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Full text of "Lehrbuch der organischen Chemie, oder, Der Chemie der Kohlenstoffverbindungen"

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Chem  kyiM 


föarbarlr  College  ILibrarg* 


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Ai  ja^.   /, 


I^ekrbteli 


der 


Organischen    Chemie. 


o 

Lehrbach 

der 


Organisch eX  Chemie 


oder  der 


Chemie  der  KohlenstoflPv^erbindiingen 


▼on 


Dr.  Aug.  Kekul6, 

o.  ProfesBonr  der  Chemie  an  der  Staatsuniversitttt  ztk  Gent. 


Erster    Band. 


Mit  19  in  den  Text  eingedrackten  Holzschnitten, 


Erlangen. 

Verlag    von    Ferdinand    Enke. 
186  1. 


JhJA,,  ^<yt'tft:r^ 


Dm  Reoht  der  Uebersetzung  behalt  sieh  Autor  und  Verleger  vor. 


SchneUpresacndrack  von  C.  H.  KunsUnann  in  Erlwagen. 


Vorwort 


Im  Verlauf  der  letzten  Jahre  hat  die  organische  Chemie  in 
Bezug  auf  thatsächliche  Erkenntniss  der  in  ihr  Gebiet  gehörigen  Er- 
scheinungen die  umfassendsten  Fortschritte  gemacht;  veranlasst 
durch  diese  Entdeckungen  haben  die  theoretischen  Ansichten  in  der- 
selben Zeit  eine  förmliche  Umwälzung  erlitten. 

Aus  Liebig's  und  Wöhler's  Ansichten  einerseits  und  anderer- 
seits aus  den  Ideen  der  französischen  Chemiker:  Dumas,  Laurent 
und  Gerhardt  hat  sich  in  neuester  Zeit,  wesentlich  unter  den  Hän- 
den von  Williamson  und  Odling,  Hofmann  und  Wurtz,  eine  An- 
schauungsweise entwickelt,  welche  die  Vorzüge  der  früheren,  in 
ihrer  strengen  Form  oft  widersprechend  scheinenden  Theorien  in 
sich  vereinigt  und  so  als  möglichst  allgemeiner  Ausdruck  unserer 
jetzigen  Erfahrungen  dasteht,  während  sie  gleichzeitig  besser  als 
eine  der  früheren  Ansichten  von  der  Ursache  der  chemischen  Phä- 
nomene Rechenschaft  gibt. 

Das  vorliegende  Werk  soll  diese  in  dem  überreichen  Material 
der  einzelnen  Arbeiten  zerstreuten  Ansichten  zu  einem  übersicht- 
lichen Ganzen  zusammenfassen  und  durch  eine  auf  sie  begründete 
Darstellung  der  im  Gebiet  der  organischen  Chemie  erkannten  That- 
sachen  ihre  Zweckmässigkeit  nachweisen. 

Desshalb  musste  der  allgemeine  Theil  mit  einiger  Ausführlich- 
keit abgehandelt  und  neben  einer  umfassenden  Darlegung  und  Be- 
gründung der  jetzigen  theoretischen  Ansichten,  auch  auf  ihre  Ent- 
stehung zurückgegangen  werden. 


IV  Vorwort 

Dagegen  konnte  im  speciellen  Theil  eine  absolute  Vollständig- 
keit in  der  Aufzählung  der  Thatsachen  nicht  einmal  angestrebt  wer- 
den, weil  sie  der  Uebersichtlichkeit  nur  geschadet  hätte.  Alle  durch 
ihre  Anwendung  irgend  wichtigen,  so  wie  die  für  die  Theorie 
interessanten  Thatsachen  sind  ausführlich  besprochen,  practisch  und 
theoretisch  unwichtige  sind  nur  kurz  erwähnt,  bisweilen  auch  voll- 
ständig übergangen  worden.  Ganz  besonders  ist  der  Verfasser  bemüht 
gewesen,  die  Beziehungen  der  verschiedenen  Körper  zu  einander 
hervortreten  zu  lassen  und  von  den  bei  den  chemischen  Metamor- 
phosen stattfindenden  Vorgängen  Rechenschalft  zu  geben. 

Die  Beziehungen  zwischen  physikalischen  und  chemischen  Ei- 
genschaften sind  in  einem  besonderen  Gapitel  besprochen.  Die 
Wichtigkeit ,  welche  diese  Gegenstände  für  die  spätere  Entwicklung 
einer  wirklich  wissenschaftlichen  Chemie  darbieten,  liess  es  nöthig 
erscheinen,  die  bis  jetzt  erkannten  Thatsachen  mit  einiger  Voll- 
ständigkeit anzuführen  und  bisweilen  auf  die  Vorstellungen  einzu- 
gehen, welche  sich  aus  diesen  Thatsachen  herleiten. 

Ein  besonderes  Capitel  behandelt  endlich  diejenigen  allgemei- 
nen Reactionen,  welche  ganzen  Gruppen  organischer  Verbindungen 
gemeinsam  sind;  so  wie  die  Einwirkung  der  wichtigsten  Reagentien 
auf  die  den  verschiedenen  Gruppen  zugehörigen  Verbindungen. 

Der  Zweck  des  Werkes  liess  es  geeignet  erscheinen,  vielfach 
und  namentlich  bei  neueren  Arbeiten  auf  die  Originalabhandlungen 
zu  verweisen.  Dass  die  gegebenen  Citate  in  keiner  Weise  voll- 
ständig sind,  versteht  sich  von  selbst;  bei  ihrer  Auswahl  sind  einzig 
didactische  Gründe  leitend  gewesen. 

Die  dem  Text  eingedruckten  Abbildungen  sind  wesentlich  dazu 
bestimmt,  an  einzelnen  Beispielen  eine  zweckmässige  Aufstellung 
der  Apparate  zu  zeigen  und  das  Verständniss  der  in  neuerer  Zeit 
in  Anwendung  gekommenen  Untersuchungs  -  und  Darstellungsmetho- 
den zu  erleichtern. 

Gent,  21.  Mai  1859. 

Aug*  Eekule. 


Inhalts  verzeichuiss. 


Seite 
Allgemeiner  Theil. 

Begriff,  Entstehung  and  frühere  Entwicklung  der  organischen  Chemie    .     .  3 

Zusammensetzung  der  organischen  Verbindungen 12 

Bestandtheile — 

Organische  ElementaranaJyse 15 

Qualitative  Analyse — 

Quantitative  Analyse 17 

Ableitung  der  Formel  aus  den  Ergebnissen  der  Analyse 33 

Berechnung  der  procentischen  Zusammensetzung — 

Ableitung  des  atomistischen  Verhältnisses 84 

Bestimmung  des  Aequivalentgewichtes 39 

Bestimmung  der  physikalischen  Eigenschaften  der  chemischen  Verbin- 
dungen         44 

Ansichten  Über  die  Constitution  der  organischen  Verbindungen      ....  65 

Grenze  von  Thatsache  und  Hypothese — 

Historische  Entwicklung  der  Ansichten  über  die  Constitution  der  orga- 
nischen Verbindungen 69 

Lavoisier^s  Ansichten.    Dualismus;  Radicale — 

Einfluss    der    atomistischen  Theorie    und    der    electrochemischen 

Hypothese 60 

Berzelius.    Radicaltheorie 62 

Ansichten  von  Laurent  und  Dumas.    Gesetz  und  Theorie  der  Sub- 
stitution.   Typentheorie;  Kemtheorie 66 

Streit    der   electrochemischen   Radicaltheorie  gegen   die  Substitu- 
tionstheorie        71 

Neuere  Modificationen  der  Radicaltheorie 75 


VI  InhaltsverzeichniBS. 

Seite 

Weitere  Entwicklung  der  Typentheorie 77 

Versache  zur  Feststellung  der  relativen  Grösse  der  Atome   und 

Molecüle ^ 80 

Laurents  und  Gerhardts  Ansichten  über  Moleculargrösse    ...  82 

Gerhardt's  Atomgewichte 83 

Gerhardt's  ünitfitstheorie 85 

Classificationsversuche — 

Verschmelzung  der  Radicaltheorie  mit  der  Typentheorie     ...  89 

Theorie  der  mehratomigen  Radicale 98 

Theoretischer  Theil 95 

Betrachtungen  über  Atom  und  Molecül — 

Bestimmung  der  Atomgrösse  der  Elemente 98 

Bestimmung  der  Moleculargrösse 100 

Atomgewicht,  Moleculargewicht 107 

Aequivalent — 

Natur  der  Elemente.     Idee  der  Typen 114 

Eigenschaften  der  chemischen  Verbindungen 124 

Die  chemischen  Metamorphosen    —  Verbindung,  Zersetzung 184 

Radicale 146 

Nothwendigkeit  und  Bedeutung  der  rationellen  Formeln 152 

Constitution  der  Radicale 158 

Chemische  Natur  des  Kohlenstoffs.    Constitution   der  kohlenstofflialtigen 

Verbindungen 161 

Kohlenstoffreichere  Verbindungen 166 

Kohlenstoffhaltige  Radicale 168 

Basicität  der  kohlenstofflialtigen  Radicale 170 

Einfluss  der  relativen  Stellung  der  Atome 172 

Veränderung  der  Basicitöt  der  Radicale 175 

Isomerie.    Polymerie.    Metamerie 183 

Gepaarte  Verbindungen.     Gepaarte  Radicale       192 

Basicitätsgesetz 210 

Classification  der  organischen  Verbindungen       220 

Beziehungen  zwischen  chemischen  und  physikalischen  Eigenschaften  .     .     .  281 
Physikalische  Eigenschaften  bestehender  und  in  demselben  Aggregatzustand 

beharrender  Körger 232 

Specifisches  Gewicht .    •  — 

Specifisches  Gewicht  gasförmiger  Körper 233 

Beziehung  zwischen  Dampfdichte  und  Moleculargewicht      ...  — 
Anwendung    des   Gesetzes    der  Dampfdichte   zur   Correctur  des 

specifischen  Gewichtes  durch  das  Moleculargewicht      ....  237 

Ableitung  der  Molecularformel  aus  der  Dampfdichte 238 


InlialtaTeneteliiiiss.  VH 

Seite 
Specifisches  Gewicht  gaBf&rmiger  Körper. 
Vortheile  der  atomistischen  Molecolarformeln  bei  yolütnbetrach- 

tungen 241 

Aeltere  Anschaaungsweise  . 248 

Aeltere  Berechnungsweise 248 

Specifisches  Gewicht  flüssiger  Körper. 
Beziehungen  zwischen  dem  specifischen  Yohrai  und  der  chemi- 
schen Zusammensetzung 268 

Spedfisches  Gewicht  fester  Körper 270 

Specifische  W&rme 271 

y        gasförmiger  Körper 272 

„        flüssiger  Körper 276 

„        fester  Körper 278 

Ausdehnung  durch  Wärme — 

Physikalische  Erscheinungen  bei  Veränderung  des  AggregÄtsRisiaadee  .    .  281 

Siedepunktsregelmässigkeiten "...  — 

Schmelzpunkt 286 

Volumveränderung  beim  Uebergang  von   einerin  Aggregalsastand  ih 

den  andern      .    * 287 

Latente  Wärme 288 

Physikalische  Phänomene   beim  Zusammenbringen   verschiedener  Körper, 

die  keine  chemische  Wirkung  auf  einander  ausüben 289 

Diffusion  der  Gase;  Mischung  von  Flüssigkeiten;  Absorption  dto 

Gase*,  Löslichkeit  fester  und  flüssiger  Körper  etc — 

Physikalische  Erscheinungen  bei  chemischen  Metamorphosen 296 

Verbrenn  ungs  wärme — 

Beziehungen  zwischen  den  physikalischen  Bigensehaften  dkr  vor 
einer  chemischen  Metamorphose  vorhandenen,  zu  ded  physika- 
lischen Eigenschaften  der  durch  sie  erzeugten  Körper  ....  299 

Formverhältnisse  fester  organischer  Verbindungen 801 

Optische  Eigenschaften  organischer  Verbindungen 90S 

Brechungscoefücient ,  Circularpolarisation  etc.      .    .    ^    .    .    .     .  — 
Specieller  Theil. 

Cyanverbindungen 308 

Cy  an  verbin  düngen  des  Wasserstofftyps 810 

„               „    Wassertyps 844 

„               „     Ammoniaktyps 868 

Fettkörper 361 

Allgemeine  Reaetionen — 

Verbindungen   der  einatomigen   Kohlenwasserstoffradicale :    6kiH2a-f-i 

(Alkoholradicale) 869 


Vm  Inhaltoveneichiiiss. 

Seite 

Allgemeine  Betrachtungen 869 

KethylverbindQDgen 880 

Aethylverbindangen 894 

Propyl-,  Butyl-,  Amyl-  und  Caproylverbindungen 480 

Caprylverbindungen 437 

Cetylverbindnngen 489 

Gerylverbindungen 441 

Hyrlcylverbindüngen 442 

Verbindungen  der  Alkoholradicale  mit  den  Elementen  der  StickstolT- 

gruppe 443 

Allgemeine  Betrachtungen — 

Stickstoffbasen  der  Alkoholradicale 447 

Phosphorbasen  „               „                  466 

Arsenbasen         ,,               ,,                       472 

Antimonbasen    ,.                ,,                  484 

Wismuthbasen    „                „                   488 

Boräthyl 489 

Verbindungen  der  Alkoholradicale  mit  einatomigen  Metallen  ....  490 

Verbindungen  der  Alkoholradicale  mit  zweiatomigen  Metallen     .    .    .  492 

Zink-,  Magnesium-,  Quecksilberverbindungen — 

Verbindungen  der  Alkoholradicale  mit  vieratomigen  Metallen      .         .  505 

ZinuTerbindungen.  (Blei-,  Aluminium-,  Wolfram  Verbindungen)  — 
Verbindungen    der   einatomigen   Ozykohlenstoflfradicale :    6oH2u— lO. 

(Fette  Säuren  und  Abkömmlinge) 514 

Allgemeine  Betrachtungen      .    , — 

Ameisensäure  etc 542 

Acetylverbindungen 549 

Aldehyd — 

Essigsäure  etc 560 

Hydrate  der  fetten  Säuren 590 

Anhydride  der  fetten  Säuren 599 

Aetherarten  der  fetten  Säuren 600 

Chloride,  Bromide,  Jodide  der  fetten  Säuren 604 

Amide  der  fetten  Säuren 605 

Aldehyde  und  Acetone 606 

Zweiatomige  Kohlcnwasserstoffradicale:  OaHin 619 

Allgemeine  Betrachtungen — 

Kohlenwasserstoffe:  6dH2o 629 

Chlor-,  Brom-  und  Jodderivate  der  Kohlenwasserstoffe:  €nHtn     -  684 

Verbindungen  der  zweiatomigen  Radicale:  6nH2D ^^ 

Glycole,  etc  ....    , — 


InhaltBverzeichniss.  IX 

Seite 
Verbindungen  der  Radicale  OnHin  mit  den  Elementen  der  Stick- 

Btoffgruppe 658 

Snlfurylverbindongen  der  Radicale:  OuHi» 673 

Verbindungen    der    zweiatomigen    Ozykohlenwasserstoffiradicale  : 

e„H2n-2e 678 

Carbonylverbindungen 681 

Eohlenoxyd,  Kohlensäure  etc — 

Amidartige  Verbindungen       687 

Allgemeine  Betrachtungen — 

Amide  der  Kohlensfture       691 

HamBtoflf  etc 703 

Sulfocarbonylverbindungen 713 

Zweiatomige  Sfiuren:  6nH2ii03 729 

Betrachtungen  über  die  Ursache  des  eigenthümlichen  Verhaltens 

dieser  Säuren  und  ihrer  Abkömmlinge 731 

Glycolverbindungen  (Glycolsäure  etc.;  Sulfoessigsäure)     .    .    .  741 

Lactylverbindungen  (Milchsäure  etc) 746 

Oxybuttersäure,  Acetonsäure,  Butylactinsäure 764 

Leucinsäure 755 

Amide  der  Radicale:  6aH2n-20 756 

Monamide       757 

Aminsäuren  (Glycine:  Glycocoll,  Alanin  etc 758 


Chemie 


der 


Kohlenstoffverbindungen. 


■  KekiiW,  organ.  Cheale. 


Allgemeiner  TheiL 


Begriff»  Entstehung  und  frühere  Entwicklung 
der  organischen  Chemie. 


Unter  den  versehiedenen  Wisaenflchaften,  die  sich  mit  dem  Stadium 
der  uns  umgebenden  Eörperwelt  beschäftigen,  sind  einige,  deren  Haupt- 
aufgabe es  ist  die  Naturkörper  ihrer  äusseren  Erscheinung  nach  zu 
stadireB  und  den  Eindruck  darausteilen,  den  sie  auf  unsre  Sinne  hervor- 
brungen.  Man  fasst  diese  Disciplinen  gewöhnlich  unter  dem  Namen  Na- 
turbeschreibung zusammen.  Im  Gegensatz  zu  diesen  rein  descriptiven 
IKscipliiien  beschäftigt  sich  ein  andrer  Theil  der  Naturwissenschaft 
mit  der  BrmitÜung  der  Ursachen  des  Jetzigen  Zustandes  der  Körper,  mit 
dem  Studium  der  mannigfachen  Veränderungen,  die  wir  an  ihnen  wahr- 
ndmien,  und  mit  der  Erforschung  der  Gesetze,  welche  diese  Veränderun- 
gen beherrschen.  Diese  letzteren  Disciplinen  bilden  die  eigentliche 
Naturwissenschaft 

Solche  Veränderungen  sind  nun  entweder  mehr  äusserer  Art,  sie 
betreffen,  so  zu  sagen,  nur  den  Zustand  der  Materie,  und  gehören  dann 
in  das  Gebiet  der  Physik;  oder  sie  sind  tiefer  eingehend,  es  sind  wirklich 
stoffliche  Veränderungen  der  Materie;  sie  bilden  dann  den  Gegenstand 
der  Chemie.  Wir  beabsichtigen  nicht  mit  den  paar  Worten  eine  er- 
schöpfende Definition  von  Physik  und  Chemie  zu  geben;  sie  sollen  nur 
das  wesentliche  Gebiet  der  beiden  Disciplinen  andeuten,  ohne  es  abzu- 
grenzen. 

Die  Chemie  ist  also  die  Lehre  von  den  stofflichen  Metamorphosen 
der  Materie.  Ihr  wesentlicher  Gegenstand  ist  nicht  die  existirende  Sub- 
staas,  sondern  vielmehr  ihre  Vergangenheit  und  ihre  Zukunft.  Die  Be- 
aehangen  eines  Körpers  zu  dem  was  er  früher  war  und  zu  defm  was  er 
werdeik  kann  bUden  den  eigentliehen  Gegenstand  der  Chemie. 


Begriff,  Entstehung, 

Dabei  kann  natürlich  eine  Beschreibung  des  bestehenden  Körpers, 
eine  Aufzählung  seiner  physikalischen  Eigenschaften  nicht  umgangen 
werden,  denn  diese  Eigenschaften  dienen  uns  als  Merkmale,  an  welchen 
wir  einen  Körper  erkennen  und  als  Kriterien  seiner  Reinheit;  sie  sind, 
so  zu  sagen,  das  Signalement  der  Körper,  mit  welchen  wir  umgehen. 
Obgleich  also  streng  genommen  nicht  in  das  Gebiet  der  eigentlichen 
Wissenschaft  gehörig,  müssen  sie  in  das  Gebiet  der  Chemie  aufgenom- 
men werden,  insofern  ein  bestehender  Körper  durch  die  Gesammtsumme 
seiner  äusseren  Eigenschaften  charakterisirt  wird. 

Den  Gegenstand  dieses  Buches  bildet  nun  nicht  die  Chemie  über- 
haupt^ sondern  ein  specieller  Theil  derselben,  den  man  gewohnheitsmässig 
mit  dem  althergebrachten  Namen  organische  Chemie  bezeichnet.  Um 
zunächst  darüber  klar  zu  werden,  was  man  unter  organischer  Chemie  versteht 
und  warum  man  die  organische  Chemie  von  der  unorganischen  unter- 
scheidet, ist  es  nöthig  in  raschem  Ueberblick  die  historische  Entwicklung 
unsrer  Wissenschaft  zu  verfolgen;  denn  alle  unsre  Ansichten  fus^en 
mehr  als  man  gewöhnlich  glaubt  auf  den  Ansichten  unsrer  Vorgänger; 
das  Angeerbte,  das  durch  Erziehung  irgend  welcher  Art  Angewöhnte  beein- 
flusst  mehr  als  wir  selbst  es  zugeben  wollen  unsem  Gedankengang  und 
nur  zu  häufig  lässt  die  Schwierigkeit,  die  wir  darin  finden  einen  gewohn- 
heitsmässig eingeschlagenen  Gang  der  Gedanken  zu  verlassen  uns  die  ein- 
fjEkchsten  Beziehungen  übersehen. 
2.  Die  organische  Chemie  ist  eine  der  jüngsten  Wissenschaften.    Ihre 

Entwicklung  gehört  fast  ausschliesslich  unsrem  Jahrhundert  an.  Kennt- 
nisse in  der  organischen  Chemie,  wenn  man  die  vereinzelten  Wahrneh- 
mungen aus  der  organischen  Natur  so  nennen  will,  sind  zwar  eben  so 
alt,  wie  die  ersten  Beobachtungen  chemischer  Thatsachen  überhaupt. 
Einzelne  organische  Substanzen  gehören  sogar  gerade  zu  den  am  frühe- 
sten gekannten  Körpern.  Die  erste  Säure  z.  B.,  welche  die  Alt^n  kann- 
ten, war  eine  organische  Säure,  der  Essig;  eine  organische  Substanz,  der 
Galläpfelauszug,  war  das  erste  Reagens ;  die  ersten  Salze,  die  man  künst- 
lich erzeugte,  waren  Salze  einer  organischen  Säure;  die  Gährung,  die 
Destillation  (des  Terpentinöls),  die  Verseifbarkeit  der  Fette  durch  Alka- 
lien gehören  zu  den  am  längsten  bekannten  Beobachtungen.  Ein  Unter- 
schied zwischen  organisch  und  unorganisch  wurde  in  jenem  Kindheits- 
alter der  chemischen  Wissenschaft,  in  der  Periode  des  Alter th ums, 
natürlich  nicht  gemacht;  waren  der  bekannten  chemischen  Thatsachen 
doch  so  wenige,  dass  man  sie  nicht  einmal  unter  gemeinschaftlichem 
Gesichtspunkt  zusammen  fasste. 

Während   des  Mittelalters   in  der  Periode,   die   man  als  Zeit^ 
alter  der  Alchemie  (400—1500)  bezeichnet  und  deren  höchstes  Stre- 
ben das  Auffinden  des  Steines  der  Weisen  war,  waren  die  Untersuchungen 
wesentlich  auf  Mineralsubstanzen  beschränkt,  indessen  bemühte  man  sich; 
^       ebenso,  wenn  gleich  weniger  häufig,   den  Stein  der  Weisen  aus  organi- 


frtiliere  Entwicklong.  5 

fichem  Material  darzustellen  wie  aas  unorganischem.  Man  unterschied  in 
keiner  Weise  organische  und  unorganische  Körper ,  man  theilte  vielmehr 
die  Chemie  ein  nach  den  verschiedenen  Operationen,  in  die  Lehre  von 
der  Caicination,  der  Putrefaction ,  der  Exaltation  etc.  Auch  in  thatsäch- 
licher  Hinsicht  schritt  die  organische  Chemie  nur  langsam  voran  ^  man 
isolhrte  den  Weingeist  und  gewann  durch  Destillation  eine  Anzahl  äthe- 
rischer Oele  etc. 

Auch  die  folgende  Periode,  die  der  medicinischen  Chemie 
(1500 — 1660)  war  für  Erkenntniss  organischer  Verbindungen  wenig  för- 
dernd. Den  Jatrochemikern,  wie  man  die  Chemiker  von  medicini- 
scher  Richtung  dieser  Periode  nennt,  war  es  weniger  um  Darstellung 
reiner  Substanzen  als  um  Bereitung  der  wirksamed^  Principien  in  arznei- 
lieh verwendbarer  Form  zu  thun.  Daher  sind  der  neu  entdeckten  That- 
sachen  verhältnissmässig  wenige.  Man  stellte  aus  dem  Beuzoeharz  die 
Benzoesäure,  aus  dem  Bernstein  die  Bemsteinsäure  dar,  man  kannte  den 
Holzessig  und  das  Aceton,  man  isolirte  den  Milchzucker  und  bereitete 
Schwefeläther.  Zwischen  organischen  und  unorganischen  Substanzen 
machte  man  keinen  Unterschied.  Man  stellte  den  Essig  in  dieselbe  Reihe 
mit  den  Mineralsäuren;  der  Weingeist  (Spiritus  vini)  stand  neben  dem 
Zinnchlorid  (Spiritus  Libavii),  das  Chlorantimon  oder  die  Antimonbutter 
stand  neben  der  Kuhbutter.  Man  classificirte  die  Körper  einfach  nach 
ihren  alleräusserlichsten  Eigenschaften  ohne  auf  Vorkommen  oder  che- 
mische Natur  weiter  Rücksicht  zu  nehmen.  Während  die  Chemiker  jener 
Periode,  welche  sich  mit  Darstellung  metallischer  Präparate  beschäftigten, 
mit  nüchternem  Fleiss  eine  Masse  der  wichtigsten  Thatsachen  zu  Tage 
forderten,  ergingen  sich  die  eigentlichen  Jatrochcmiker  fast  ausschliess- 
lich in  Speculationen ,  die  zum  Theil  zwar  geistreich  aber  doch  für 
Förderung  der  Wissenschaft  nur  von  untergeordnetem  Nutzen  waren.   * 

Diesem  Umstand  ist  es  wesentlich  zuzuschreiben,  dass  man  in  der 
folgenden  Periode,  in  dem  Zeitalter  der  phlogistischen  Theorie 
(1660  — 1770)  ebenfalls  anorganisches  Material  mit  besonderer  Vorliebe 
bearbeitete;  hatten  doch  die  Vorgänger  in  der  Richtung  wichtige  und 
verwerthbare  Resultate  gewonnen,  während  das  Streben  der  mit  organi- 
schem Material  arbeitenden  Jatrochcmiker  meist  ohne  Erfolg  geblieben 
war.  Indessen  verdienen  doch  die  zu  Ende  der  Periode  der  Phlogiston- 
theorie  von  Bergmann  (1735  —  1784)  und  besonders  von  Scheele 
(1742 — 1786)  ausgeführten  Untersuchungen  besondrer  Erwähnung,  indem 
sie  eine  grosse  Anzahl  wichtiger  Thatsachen  der  organischen  Chemie 
zu  Tage  förderten.  Von  besonderem  Interesse  ist  es,  dass  schon  zu  Be- 
ginn dieser  Periode  Lemery  in  seinem  Cours  de  chimie(1675)  die  mine- 
ralischen Substanzen  von  den  vegetabilischen  und  animalischen 
unterschied;  dass  also  damals  zuerst  die  Unterscheidung  aufbrat,  welche 
die  Trennung  von  anorganischer  und  organischer  Chemie  veranlasste- 
Indessen  erschien  schon  den  eigentlichen  Begründern  der  Phlogistontheo- 


6  Begriff,  Enl8telini|ig, 

rie:  Becher  (1685«>-1682)  ond  Stahl  (1660—1734)  die Eintheilang  der 
chemischen  Verbindungen  einzig  nach  ihrem  Ursprung  zu  unwissenscbaft- 
Hch;  sie  bemühten  sich  daher  für  die  Substanzen,  welche  in  den  y^- 
schiedenen  Naturreichen  vorkommen,  auch  eine  Verschiedenheit  der  Zu- 
sammensetzung nachzuweisen.  So  meinte  Becher:  „die  Elemente  seien 
zwar  in  den  verschiedenen  Reichen  dieselben  aber  sie  seien  in  den  vege. 
tabilischen  und  animalischen  Substanzen  auf  eine  verwickelte,  in  den 
mineralischen  Substanzen  dagegen  auf  einfache  Art  zusammengefügt/' 
Stahl  seinerseits  suchte  den  Unterschied  in  der  Verschiedenheit  der 
Bestandtheile;  „in  den  mineralischen  Substanzen,  so  meinte  er,  herrsche 
das  erdige,  in  den  vegetabilischen  und  animalischen  das  wässrige 
und  das  brennbare  Princip  vor/' 

So  sehen  wir  also  im  siebzehnten  Jahrhundert  schon  alle  die  An- 
sichten über  den  Unterschied  der  organischen  Substanzen  von  den  unor- 
ganischen auftreten,  die  seitdem  und  bis  auf  die  allemeueste  Zeit  in  man- 
nigfachen Veränderungen  freilich,  aber  dem  Princip  nach  sich  gleichblei- 
bend abwechselnd  vorgebracht  und  vertheidigt  wurden. 

Wie  für  die  Chemie  überhaupt  so  begann  auch  für  die  organische 
Chemie  ein  neuer  Tag  mit  Lavoisi'er  (1743 — 1794).  Erst  nach  dem  Um- 
sturz der  Fhlogistontheorie,  nach  der  Entdeckung  des  Sauerstoffs,  nach 
der  Ermittlung  der  Zusammensetzung  des  Wassers  und  der  Kohlensäure 
konnte  durch  Lavoisier,  den  Begründer  der  jetzigen  Chemie,  die  Zusam- 
mensetzung der  organischen  Verbindungen  ermittelt  und  ein  Unterschied 
in  der  Zusammensetzung  der  Substanzen,  welche  aus  der  leblosen  und 
aus  der  belebten  Natur  stammen,  aufgefunden  werden.  Kohlenstoff,  Was- 
serstoff und  Sauerstoff  hatte  Lavoisier  als  Bestandtheile  der  (und  wie  er 
glaubte  aller)  aus  dem  Pflanzen  -  und  Tbierreiche  stammenden  Stoffe  er- 
kannt; dies  führte  ihn  zu  der  Ansicht:  „die  vegetabilischen  Substanzen 
enthalten  diese  drei  Elemente,  die  animalischen  dazu  noch  Stickstoff  und 
bisweilen  Phosphor  und  Schwefel.^'  —  Indessen  fand  er  doch  selbst,  dass 
ein  scharfer  Unterschied  in  der  Weise  nicht  gemacht  werden  könne. 
Während  er  einerseits  nach  dem  von  Stahl  zuerst  benutzten  Princip  die 
Verschiedenheit  der  Bestandtheile  als  massgebend  betrachtete,  behielt  er 
gleichwohl  die  von  Lemery  eingeführte  Bezeichnung:  mineralisch,  vege- 
tabilisch und  animalisch  bei  und  suchte  gleichzeitig,  nach  Bechers  Bei- 
spiel, die  Ursache  der  Verschiedenheit  in  der  mehr  oder  weniger  com- 
plicirten  Zusammensetzung,  indem  er  hervorhob  *) :  „bei  den  Mineralsub- 
stanzen sei  der  mit  dem  Sauerstoff  verbundene  Theil  meist  einfach ,  bei 
den  vegetabilischen  und  animalischen  Substanzen  dagegen  stets  zusam- 
mengesetzt, und  zwar  bei  den  vegetabilischen  stets  aus  Wasserstoff  und 


•)  Trait^  eUmentaire  de  Chimie.  1793.  I.  124  u.  125. 


firäbcre  fintwickluag.  7 

Koklenstoff,  bei  den  animaliachen  meist  aus  Wasserstoff,  Kohlenstoff,  Süds* 
Stoff  und  Phosphor.'^ 

Mit  Lavoisier  beginnt  in  der  Chemie  eine  neue  Periode,  die  man 
das  Zeitalter  der  quantitativen  Forschung  genannt  hat.  Waren 
bis  zu  Lavoiaier's  Zeit  die  Bestrebungen  der  Chemiker  wesentlich  der  an- 
oiganischen  Cheqiie,  zugewandt,  so  dass  die  Kenntnisse  in  der  organischer 
Oiemie  im  Vergleich  mit  der  Länge  der  Zeit  und  mit  den  in  unorgani- 
schen Chemie  gemachten  Entdeckungen,  sicli  nur  wenig  vermehrt  hatten, 
so  wandte  sich  jetzt  bald  eine  grössere  Anzahl  von  Chemikern  mit  be- 
sonderer Liebhaberei  der  organischen  Chemie  zu.  Lavoisier's  Arbeiten 
hatten  Bahn  gebrochen ;  sie  hatten  namentlich  eine  Methode  der  Analyse 
angebahnt,  die  bald  von  Gay  Lussac  und  Thenard,  von  Saussure  und  von 
Berzelius  verbessert  wurde,  um  dann  unter  Liebig's  Händen  einen  solchen 
Grad  von  Einfachheit  und  Präcision  zu  gewinnen,  dass  die  späteren 
JiJirzehente  für  einzelne  Fälle  zwar  Modificationen  beifbgen,  die  Methode 
im  Allgemeinen  aber  nur  beibehalten  konnten.  Von  jetzt  an,  seit  Be- 
ginn unsres  Jahrhunderts  also,  machte,  wie  die  Chemie  überhaupt,  so  na- 
mentlich die  organische  Chemie  ungemein  rasche  Fortschritte.  Die 
bekannten  Thatsachen  mehrten  sich  bald  so,  dass  man  eine  Trennung 
der  Chemie  in  zwei  Theile  einzuführen  genöthigt  war.  Während  die 
firflheren  Chemiker  organische  und  anorganische  Körper  zwar  unterschieden, 
aber  doch  in  einer  zusammenhängenden  Wissenschaft  abgehandelt  hatten, 
trennte  man  jetzt  die  Chemie  in  zwei  Disciplinen,  die  man  als  anorganische 
und  organische  Chemie  unterschied.  Es  ist  unmöglich  alle  die  Ansichten 
aufzuzählen,  welche  über  den  Unterschied  von  organisch  und  unorganisch 
jetzt  aufgestellt  wurden;  wir  begnügen  uns  vielmehr  damit  einzelne 
jener  Ansichten  als  Repräsentanten  der  übrigen  hier  hervorzuheben. 

Zunächst  werden  wir  dabei  die  Ueberzeugung  gewinnen,  dass  der 
Standpunkt  der  Frage  jetzt  ein  völlig  andrer  ist  als  früher.  Hatte  man 
früher,  wo  die  Chemie  doch  eigentlich  einen  Theil  der  beschreibenden  Natur- 
wissenschaften ausmachte,  mit  Recht  einen  Unterschied,  ja  fast  einen  Gegen- 
satz, gesehen  zwischen  Körpern  aus  dem  Mineralreich  und  solchen  aus  dem 
Pflanzen-  und  Thierreieh,  also  mit  Recht  in  organisch  und  unorganisch  ge- 
trennt, oder  wenigstens  unterschieden;  so  wurde  jetzt,  wo  die  Chemie  als 
selbstst&ndige  Wissenschaft  aufzutreten  begann ,  wo  sie  sich  immer  mehr 
ihrer  eigentlichen  Aufgabe:  die  Metamorphosen  des  Stoffs  und  die  dabei  statt- 
findenden Gesetze  zu  ermitteln,  bewusst  ward,  eine  Trennung  der  Körper 
einzig  nach  dem  natürlichen  Vorkommen  eigentlich  widersinnig.  Man  konnte 
liebt  mehr  Körper,  die  sich  in  allen  Eigenschaften  ähnlich  waren,  tren- 
nen, weil  sie  in  verschiedenen  Naturreichen  aufgefunden  waren;  man 
konnte  ebensowenig  verschiedenartige  Körper  zusammenstellen,  weil  sie 
zufällig  gleiehes  Vorkommen  zeigten.  Was  früher  als  einzige  oder  doch 
als  hauptsächliche  Aufgabe  der  Chemie  betrachtet  worden  war ,  trat  jetzt 
QMbr  und  mehr  in  den  Hintergrund.    Die  Disciplinen ,   welche  früher  als 


8  Begriff,  Entstehung, 

Beschreibung  der  aas  vegetabilischem  und  animalischem  Material  erhal- 
tenen Substanzen  den  Hauptgegenstand  der  organischen  Chemie  ausge- 
macht hatten,  lösten  sich  immer  mehr  von  der  nach  andrer  Richtung  hin 
sich  weiter  ausbildenden  eigentlichen  Chemie  los  und  entwickelten  sich 
als  bis  zu  einem  gewissen  Grad  selbstständige  Disciplinen,  als  Theile  der 
Pflanzen-  oder  Phytochemie  und  der  Thier-  oder  Zoochemie,  weiter,  ganz 
ähnlich  wie  es  in  Bezug  auf  specielle  Verwendung  andre  Disciplinen:  die 
pharmaceutische ,  die  technische,  die  landwirthschaftliche  Chemie  etc. 
thaten.  Neben  allen  diesen  speciellen  Disciplinen  und  als  Grundlage 
aller  trat  die  reine  Chemie  als  besondere  Wissenschaft  auf.  Aber 
auch  in  dieser  hatte  sich  durch  die  vereinigte  Thätigkeit  einer  fortwäh- 
rend wachsenden  Zahl  von  Chemikern  die  Anzahl  der  bekannten  That- 
sachen  so  gemehrt,  dass  eine  Trennung  nöthig  schien;  nöthig  —  nur 
im  Interesse  der  Uebersichtlichkeit  und  zur  Erleichterung  des  Studiums. 
Darin  liegt  der  Unterschied  des  jetzigen  Standpunktes  gegenüber  dem  frü- 
heren; während  man  früher  theilte,  weil  man  eine  Grenze  sah,  sucht  man 
jetzt  nach  einer  Grenze,  weil  man  von  der  Zweckmässigkeit  der  Theilung 
überzeugt  ist. 

Man  theilt  also  die  Chemie  in  zwei  grössere  Abschnitte;  und  wenn  man 
ftir  dieselben  die  Namen  unorganische  und  organische  Chemie 
gebraucht,  wenn  man  in  die  eine  wesentlich  die  dem  Mineralreich,  in  die 
andre  hauptsächlich  die  dem  Pflanzen-  und  Thierreich  entnommenen  Stoffe 
setzt,  so  ist  dies  einfach  ein  Anschliessen  an  die  von  früher  überkomme- 
nen Ansichten. 

Da  man  bei  Bearbeitung  vegetabilischen  oder  animalischen  Materials 
auf  ungleich  grössere  Schwierigkeiten  stiess  als  bei  Untersuchung  der 
Mineralien,  kam  man  zu  der  Ansicht:  „dass  in  der  lebenden  Natur  die 
Elemente  ganz  andren  Gesetzen  gehorchen  als  in  der  todten^^  (Berzelius 
Lehrbuch  1827);  man  definirte  die  organische  Chemie  als:  „Chemie  der 
Pflanzen-  und  Thiersubstanzen,  oder  der  Körper,  die  unter 
dem  Einfluss  der  Lebenskraft  gebildet  werden.'^  Den  Fortschrit- 
ten der  Wissenschaft  gegenüber  konnte  indess  diese  Ansicht:  dass  die 
Verbindungen,  welche  die  Organe  der  Pflanzen  und  Thiere  zusammen- 
setzen, durch  eine  eigene,  ganz  besondere,  ausschliesslich  den  lebenden 
organisirten  Wesen  innewohnende,  räthselhafte  Kraft  zusammengehalten 
werden,  nicht  Stand  halten.  Nachdem  es  gelungen  war  die  direct  aus 
vegetabilischem  oder  animalischem  Material  gewonnenen  Producte  in  un- 
endlich mannigfacher  Weise  umzuwandeln,  sah  man  sich  zunächst  ge- 
nöthigt  der  früheren  Definition  noch  beizuftigen:  „und  der  Substanzen, 
welche  aus  jenen  durch  chemische  Umwandlung  erhalten 
werden  können/^  Immer  aber  blieb  die  Ansicht  noch  herrschend, 
dass  in  den  chemischen  Verbindungen  der  organischen  Natur  andre 
Kräfte  thätig  seien.  Man  gab  zu,  dass  der  Chemiker  die  von  lebenden 
Wesen  einmal  erzeugte  organische  Substanz  durch  Anwendung  der  Kräfte, 


frühere  Entwicklung.  9 

Aber  die  er  willkflrlich  verfügen  kann,  in  andre  ebenfalls  noch  organische 
Körper  umzugestalten  yermöge,  aber  man  bestritt  die  Möglichkeit  orga- 
nische Substanzen  künstlich  aus  ihren  Elementen  zu  erzeugen.  Als  es 
daoB  1828  Wöhler  gelang  den  Harnstoff,  den  man  vorher  nur  als  Pro- 
duct  des  thierischen  Organismus  kannte  und  dessen  organische  Natur 
desshalb  Niemand  bezweifelte,  aus  den  Elementen  selbst  zusammenzu- 
setzen; als  man  aus  Schwefel,  Kohlenstoff,  Chlor,  Wasser  und  Zink  — 
Essigsäure  darstellen  lernte  (Beispiele  von  s.  g.  künstlicher  Bildung  or- 
ganischer Stoffe,  die  seitdem  in  fast  endloser  Anzahl  aufgefunden  wur- 
den), da  konnte  Niemand  mehr  im  Ernst  an  einen  Unterschied  der  Kräfte 
glauben  und  man  bemühte  sich  andre  unterscheidende  Merkmale  aufzu- 
finden. 

Natürlich  war  es,    dass  dabei   auch    die   Ansicht  Becher's   (S.  6), 
die  auch   Lavoisier  bisweilen  benutzt  hatte,   in  mannigfach   veränderter 
Form    wieder   auftrat.    Die    organischen  Substanzen,    so    meinte 
man,   enthalten  eine  grössere  Anzahl  von  Atomen;   aber  ein- 
fache Zählung  ergab  bald,    dass   die  einfachsten  Körper  organischen  Ur- 
sprungs ebensoviel  oder  sogar  weniger  Atome  enthalten    als  die  compli- 
cirter  zusammengesetzten  Mineralsubstanzen.    Wir  finden/^  sagt  dann 
Berzelius  (1814),   „dass   die  anorganischen  Körper   alle   binär, 
die  organischen   alle   ternär   oder   quaternär   zusammenge- 
setzt   sind/^    Bald   indess   gab  Berzelius   selbst   diese  Ansicht  wieder 
auf,   indem  er   die  für  die   anorganischen   Substanzen  damals   allgemein 
benutzte  Betrachtungsweise  auch  auf  organische  Körper   anwandte.    Die 
Entdeckung   des  Cyans   und   die  Beobachtung,  dass  dieser  zusammenge- 
setzte Körper  sich  den  Elementen  ähnlich  verhält,  veranlasste  ihn  die  von 
LaYoisier   schon  ausgesprochene   Ansicht   wieder   aufzunehmen  und    den 
Unterschied    der  organischen   Körper   von   den    unorganischen    darin  zu 
suchen:    das»  alle  unorganischen  Körper  einfache,   alle   orga- 
nischen   dagegen    zusammengesetzte   Radicale    enthalten. 
Man  definirte  jetzt  die  organische  Chemie  als  Chemie  der  zusammen- 
gesetzten Radicale.     Die    späleren    Betrachtungen    werden    zeigen, 
dass  auch  diese  Ansicht  jetzt  nicht  mehr  haltbar  ist;   nicht  etwa,    weil 
organische  Körper  existiren,  in  welchen  man  keine  zusammengesetzten 
Radicale  annehmen  kann,   sondern  vielmehr,  weil  mit  demselben  Recht, 
mit  welchem  in  den  organischen  Körpern  zusammengesetzte  Radicale  an- 
genommen wenioi)  können,  auch   in  einer  grossen  Anzahl  unorganischer 
Substanzen  zusammengesetzte  Radicale  angenommen  werden  müssen. 

Waren  so  alle  Versuche  zwischen  unorganischen  und  organischen 
Körpern  einen  Unterschied  in  der  Verbindungs weise  der  Elemente  aufzu- 
finden fruchtlos  geblieben,  so  kehrte  man  jetzt  wieder  zurück  zu  der  An- 
sicht von  Stahl,  die  ebenfalls  in  Lavoisier  einen  Vertreter  gefunden 
hatte;  man  hielt  die  Qualität  der  Elemente  für  maassgebend.  Lavoisier's 
Untersuchungen  hatten  gezeigt,  dass  alle  Substanzen  von  vegetabilischem 


10  Begriff,  Entstefanng, 

und  animaliBehem  Ursprung  Kohlenstoff  enthalten;  alle  spätren  Analy- 
sen hatten  diese  Erfahrung  bestätigt.  Es  lag  also  nahe  die  organische 
Chemie  zu  definiren  als  Chemie  der  EohlenstoflPverbindungen.  Weil  aber 
bei  consequenter  Durchführung  dieser  Ansicht  eine  Anzahl  von  Kohlen- 
stofftrerbindungen ,  die  man  in  der  anorganischen  Chemie  abzuhandelo 
gewohnt  war  und  die  man  gerne  auch  noch  in  dieser  abgehandelt  hätte 
(Kohlenoxyd,  Kohlensäure,  Phosgen,  Schwefelkohlenstoff,  einzelne  Kohlen- 
wasserstoffe und  Chlorkohlenstoffe),  der  organischen  Chemie  hätten  zuge- 
theilt  werden  müssen  und  weil  man  eine  solche  Consequenz  scheute,  be- 
mühte man  sich  auf  mannigfache  Weise  diesem  Uebelstande  abzuhelfen. 
„Die  organischen  Körper  enthalten  alle  Kohlenstoff,  aber  nicht  alle  Koh- 
lenstoffverbindungen  sind  organisch,''  meint  Gmelin  in  seinem  ausge- 
zeichneten Handbuch  der  Chemie;  „organisch  sind  alle  die  Ver- 
bindungen, welche  mehr  als  1  Atom  Kohlenstoff  enthalten/' 
So  konnte  man,  und  darauf  kam  es  wesentlich  an,  das  Kohlenoxyd,  die 
Kohlensäure,  den  Schwefelkohlenstoff  und  das  Phosgengas  wenigstens  in 
der  anorganischen  Chemie  lassen.  Die  Untersuchungen  der  neueren  Zeit 
haben  es  indess  über  allen  Zweifel  erhoben,  dass  die  obengenannten 
Kohlenstoffverbindungen  ebensoviel  Kohlenstoffatome  enthalten  wie  die 
Ameisensäure,  der  Holzgeist  und  ihre  Abkömmlinge;  sie  haben  gezeigt, 
dass  einzelne  jener  Kohlenwasserstoffe  und  Chlorkohlenstoffe  ebensoviel 
Kohlenstoffatome  enthalten  wie  der  Alkohol  und  die  Essigsäure;  wenn 
man  also  der  Ansicht  ist,  dass  die  Körper  nach  der  Anzahl  ihrer  Kohlen- 
stoffatome zu  gruppiren  seien,  so  können  diese  Verbindungen  jetzt  nicht 
mehr  getrennt  werden;  man  muss  entweder  jene  einfachen  Kohlenstoff- 
verbindungen in  der  organischen  Chemie  abhandeln,  oder  man  muss  um- 
gekehrt den  Holzgeist  und  die  Ameisensäure  und  sogar  den  Alkohol  und 
die  Essigsäure  den  anorganischen  Verbindungen  zuzählen. 

Dass  die  hier  mitgetheilten  Ansichten  über  den  Unterschied  der 
unorganischen  und  der  organischen  Verbindungen  in  mannigfacher  Weise 
combinirt,  dass  ausser  ihnen  noch  zahlreiche  andre  aufgestellt  wurden, 
bedarf  nicht  der  Erwähnung.  Das  Mitgetheilte  genügt  um  zu  zeigen, 
dass  alle  Bemühungen  einen  solchen  Unterschied  aufzufinden,  vergeblich 
gewesen    sind.     Nichtsdestoweniger   werden    alle   diese  Ansichten    heute  '^^ 

noch  aufgeführt,  häufig  sogar  mehrere  derselben  gleichzeitig.  Weil  man 
von  der  Unhaltbarkeit  jeder  einzelnen  Ansicht  überzeugt  ist,  führt  man 
sie  alle  auf,  als  ob  die  Summe  von  all  dem  was  einzeln  genommen  un- 
haltbar ist,  dann  den  Unterschied  zwischen  organischen  und  unorganischen 
Verbindungen  klar  hervortreten  lasse. 
10.  Wir  sind  also  zu   der  Ueberzeugung  gelangt,   dass  die  chemischen 

Verbindungen  des  Pflanzen-  und  Thierreichs  dieselben  Elemente  enthal- 
ten wie  die  Körper  der  leblosen  Natur;  wir  haben  die  Ueberzeugung, 
dass  in  ihnen  die  Elemente  denselben  Gesetzen  folgen;  dass  also  weder 
in  dem  Stoff,  noch  in  den  Kräften  und  ebensowenig  in  der  Anzahl  oder 


frflhere  ßa.twic]|Ii|]|g.  11 

in  der  Art  der  Oruppining  der  Atome  ein  Unterschied  besteht  zwischen  den 
organischen  und  den  anorganischen  Verbindungen.  Wir  sehen  eine  fort- 
laufende Reihe  chemischer  Verbindungen,  deren  einzelne  Glieder  (wenn 
man  nur  die  nahe  liegenden  vergleicht)  eine  so  grosse  Aehnlichkeit  zei- 
gen, dass  naturgemäss  nirgends  dne  Trennung  gemacht  werden  kann. 
Wenn  aber  dennoch  eine  Trennung  vorgenommen  werden  spU ,  wie  sie 
in  der  That,  einzig  im  Interesse  der  Uebersichtlichkeit,  vorgenommen 
werden  muss,  dann  ist  diese  Trennung  an  sich  nicht  natürlich,  sie  ist 
rein  willkürlich  und  man  kann  eben  darum  die  Grenze  da  ziehen,  wo  es 
gerade  zweckmässig  scheint.  Will  man  dabei  so  theilen,  dass  möglichst 
das,  was  gewohnheitsmässig  in  der  organischen  Chemie  abgehandelt 
wurde,  auch  jetzt  als  besonderer  Abschnitt  abgehandelt  werde,  so  er- 
scheint 68  am  zweckmässigsten,  wie  dies  in  neurer  Zeit  schon  öfter  vor- 
geschlagen wurde,  alle  Eohlenstoffverbindungen  in  diesem  Abschnitte 
zusammen  zu  fassen. 

Wir  definiren  also  die  organische  Chemie  als  die  Chemie  11- 
der  Kohlenstoffverbindungen.  Wir  sehen  dabei  keinen  Gegen- 
satz zwischen  unorganischen  und  organischen  Verbindungen.  Das  was 
wir  mit  dem  althergebrachten  Namen  organische  Chemie  bezeichnen 
und  was  man  zweckmässiger  Chemie  der  Kohlenstoffverbindun- 
gen nennen  würde,  ist  vielmehr  nur  ein  specieller  Theil  der  reinen 
Chemie,  den  wir  desshalb  besonders  abhandeln,  weil  die  grosse  Anzahl 
und  die  besondere  Wichtigkeit  der  Kohlenstoffverbindungen  ein  speciel- 
leres  Kennenlernen  derselben  nöthig  erscheinen  lässt 

Ganz  besonders  muss  dabei  hervorgehoben  werden,  dass  die  orga-  12 
'Bische  Chemie  nichts  zu  thun  hat  mit  dem  Studium  der  chemischen 
Vorgänge  in  den  Organen  der  Pflanzen  oder  der  Thiere.  Dieses  Studium 
bildet  den  Gegenstand  der  physiologischen  Chemie.  Diese  hat  es 
also  mit  den  chemischen  Veränderungen,  welche  innerhalb  der  lebenden 
Organismen  stattfinden,  zu  thun  und  zerfällt,  je  nachdem  sie  den  chemi- 
schen Theil  des  Lebensprocesses  der  Pflanzen  oder  der  Thiere  behandelt, 
in  Pflanzenchemie  oder  Phytoehemie  und  in  Thierchemie  oder 
Zoochemie. 


12  ZnsaminenBetEniig. 

ZuBammensetBong  der  organischen  Verbindungen. 
Bestandtheile. 

18.  Der  Kohlenstoff  ist  der  wesentliche  und   charakteristische   Be- 

standtheil  aller  s.  g.  organischen  Verbindungen.  — 

Bei  weitem  die  grösste  Anzahl  aller  und  namentlich  der  in  der 
Natur  fertig  gebildet  vorkommenden  Kohlenstofiverbindungen  enthält 
Wasserstoff,  eine  sehr  grosse  Anzahl  zudem  noch  Sauerstoff,  viele 
Stickstoff. 

Ausser  diesen  4  Elementen  sind  nahezu  alle  Elemente  fohig  in 
kohlenstoff- haltige  Verbindungen  einzutreten,  indessen  finden  sich  solche 
Verbindungen  verhältnissmässig  selten  fertig  gebildet  in  der  Natur. 

Man  findet  häufig  noch  die  firfiher  allgemein  angenommene  Ansicht  ausge- 
sprochen,  die  organischen  Verbindungen  enthielten  nur  die  4  Elemente  C,  H, 
0  und  N;  sie  unterschieden  sich  eben  darin  wesentlich  von  den  unorganischen, 
bei  welchen  eine  viel  grössere  Mannigfaltigkeit  der  Bestandtheile  stattfinde.  Eine 
solche  Ansicht  entspricht  nicht  dem  heutigen  Stand  der  Wissenschaft.  Richtig 
ist,  dass  die  meisten  der  Substanzen ,  welche  im  Organismus  der  Pflanzen 
und  Thiere  erzeugt  werden,  nur  die  4  Elemente,  die  man  desshalb  wohl  orga- 
nische Elemente  nennt,  enthalten;  da  aber  die  organische  Chemie,  der  heu- 
tigen Auffassung  nach,  nicht  mehr  einzig  die  Aufgabe  hat  die  Bestandtheile  der 
Pflanzen  und  Thiere  zu  beschreiben,  vielmehr  sich  mit  dem  Studium  der  Eigen- 
schaften und  Metamorphosen  aller  kohlenstoff-haltigen  Verbindungen  beschäftigt*, 
da  es  femer  den  Chemikern  gelungen  ist  fast  alle  Elemente,  sogar  Metalle,  in 
Eohlenstoffverbindungen  einzufahren;  so  ist  es  einleuchtend,  dass  die  heutige 
organische  Chemie  es  mit  allen  oder  doch  nahezu  allen  den  Elementen  zu  thun 
hat,  welche  Bestandtheile  der  unorganischen  Verbindungen  ausmachen  und 
ausserdem  mit  dem  Kohlenstoff,  welcher,  der  heutigen  Auffassung  nach,  der 
charakteristische  Bestandtheil  der  organischen  Verbindungen  ist.  — 

14.  Da  die  4  Elemente  G,  0,  H  und  N  als   Repräsentanten,   und  swar 

als  die  am  häufigsten  vorkommenden  Repräsentanten  ganzer  Gruppen  von 
Elementen  betrachtet  werden  können ,  so  ergeben  sich  die  folgenden 
Combinationen  der  Bestandtheile  organischer  Verbindungen: 

C  -|-  0.  Verbindungen  von  C  und  0  allein  kennt  man  nur  zwei:  das 
Kohlenoxyd  und  die  Kohlensäure.  Die  flbrigen  oft  als  Oxyde 
desKohlensto  f  f  s  aufgeftthrten  Körper:  die  wasserfreie  Oxal- 
säure, die  Mellithsäure.  Krokonsäure  und  Rhodizonsäure  sind  nur 
Hypothesen  der  älteren  Theorien. 

C  +  H.  Verbindungen,  welche  nur  Kohlenstoff  und  Wasserstoff  enthal- 
ten, sind  in  verhältnissmässig  grosser  Anzahl  und  von  sehr 
wechselnder  Zusammensetzung  bekannt.  Alle  diese  Kohlen- 
wasserstoffe haben  eine  Eigenschaft  gemein,  sie  sind  alle 
ohne  Zersetzung  flüchtig. 


Bestaadtheile.  13 

C  4*  H  4-  O.  Ungemein  groBB  ist  die  Anzahl  der  Verbindungen,  weiche  gleich- 
zeitig Kohlenstoff.  Wasserstoff  und  Sauerstoff  enthalten.  In  ih- 
ren Eigenschaften  zeigen  diese  Verbindungen  grosse  Mannigfal- 
tigkeit; während  ein  Theil  derselben  ohne  Zersetzung  flüchtig 
ist,  werden  andre  durch  Einwirkung  der  Hitze  zerstört;  wäh- 
rend viele  ein  den  Metalloxyden  oder  Ozydhydraten  analoges 
Verhalten  zeigen,  sind  andre  entschiedene  Säuren,  andre  völlig 
indifferente  Körper.  Die  Verhältnisse,  nach  welchen  die  Ele- 
mente in  diesen  Verbindungen  enthalten  sind,  sind  ungemein 
wechselnd,  indessen  enthält  keine  so  viel  Sauerstoff,  dass  durch 
diesen  aller  Wasserstoff  zu  Wasser  und  gleichzeitig  aller  Kohlen- 
stoff zu  Kohlensäure  verbrannt  werden  könnte. 

C    -j-    ^-  i>&s  Cyan  und   das  Paracyan  sind    die  einzigen  Verbindungen, 

welche  nur  Kohlenstoff  und  Stickstoff  enthalten. 

0  4-^  +  ^-  Körper  von  solcher  Zusammensetzung  sind  bis  jetzt  nicht  be- 
kannt. (Die  wasserfreie  Cyansäure  ist  wie  die  wasserfreie 
Oxalsäure  bis  jetzt  nur  hypothetisch;  ein  in  neuester  Zeit  ent- 
deckter Körper,  das  Trinitroacetonitrü,  könnte  bei  rein  empiri- 
scher Betrachtung  hierher  gerechnet  werden,  ist  aber  seinem 
ganzen  Verhalten  nach  eine  eigenthümliche  Modification  (ein 
Substitutionspro duct)  eines  Körpers  der  folgenden  Gruppe. 

6  4-^4"^'  Hierher  gehören  die  Blausäure,  eine  Anzahl  von  der  Blausäure 
analogen  Substanzen  (die  s.  g.  Nitrile)  und  femer  die  organi- 
schen, dem  Anmioniak  ähnlichen,  Basen. 
C  4"  N  4*  H  4*  O.  Die  (Cyansäure  und  Cyanursäure,  so  wie  alle  Amide  organischer 
Säuren,  eine  Anzahl  künstlicher  organischer  Basen  und  die 
meisten  der  namentlich  in  Pflanzen  vorkommenden  basischen 
Substanzen  (die  s.  g.  Alkaloide)  enthalten  diese  4  Elemente. 

Da  diese  4  Elemente  als  Repräsentanten  ganzer  Gruppen  von  Ele- 
menten betrachtet  werden  können,  so  enthält  diese  Darstellung  eine 
üebersicht  aller  möglichen  EohlenstofiVerbindungen. 

Diese  natürlichen  Repräsentanten  können  (mit  Ausnahme  des  Eoh-    15. 
lenstoffs,   mit  welchem  bis  jetzt  kein  andres  Element  in  seinen  Yer- 
bindungsverhäitnissen  Aehnlichkeit  zeigt)  in  den  Verbindungen,  vollständig 
oder  zum  Theil,  vertreten   sein  oder   vertreten  werden  durch  andre  Ele- 
mente, die  derselben  Gruppe  zugehören. 

Der  Wasserstoff  kann  z.  B.  vertreten  werden  durch  die  ihm 
analogen  Elemente:  Chlor,  Brom,  Jod;  so  entstehen  die  den  Hydrüren 
entsprechenden  Chloride,  Bromide,  Jodide  und  die  grosse  Anzahl  der 
sogenannten  Substitutionsproducte,  zu  welchen  auch  die  Chlorkohlenstoffe 
zu  rechnen  sind. 

Der  Wasserstoff  kann  femer  ersetzt  sein  durch  Metalle,  so  ent- 
stehen die  zahlreichen  Salze  organischer  Säuren  etc.  und  einige  der 
eigenthamlichen  metallhaltigen  Verbindungen  z.  B.  das  Zinkäthyl. 

Der  Sauerstoff  kann  ganz  oder  theil  weise  vertreten  sein  durch 
die  ihm  analogen  Elemente:  Schwefel,  Selen,  Tellur;  so  entstehen  s.  B. 
die  beiden,  dem  Kohlenoxyd  und  der  Kohlensäure  entsprechenden,  Schwe- 


14  Zufammensetänrng. 

fdkohlenstoffe ,  die  SchwefelTerbiodangeQ  der  b.  g.  Alkoholradicate  u. 
8.  w.  and  vielleicht  auch  jene  eigenthümlichen  im  Pflanzen-  und  Thier- 
körper  vorkommenden  dem  Eiweifls  ähnlichen  Substanzen  (die  s.  g. 
Proteinkörper) ,  über  deren  chemische  Natur  noch  so  gut  wie  nichts  be- 
kannt ist. 

Der  Stickstoff  kamn  vertreten  werden  dufch  die  ihm  analogen 
Elemente:  Phosphor,  Arsen,  Antimon  undWismuth,  wodurch  die  dem 
Ammoniak  und  den  stickstoffhaltigen  organischen  Basen  analogen  Phos- 
phor-, Arsen-,  Antimon-  und  Wismutfabasen  erzeugt  werden. 

16.  Da  ausserdem  noch  zusammengesetzte  Atomgruppen  bisweilen  eine 
den  Elementen  ähnliche  Rolle  spielen  und  diese  zu  ersetzen  vermögen 
(die  aus  Stickstoff  und  Sauerstoff  bestehende  Nitrogruppe  z.  B.  den 
H,  in  den  Nitrosubstitutionsproducten);  da  femer  nicht  nur  basische 
orgunifiche  Substanzen  mit  unorganischei  Säuren  salzartige  Verbindungen 
zu  enieagen  im  Stande  sind,  sondern  da  auch  eine  grosse  Anzahl  andbrer 
organischer  Körper  sich  mit  einigen  unorg-anischen  Säuren  (mit  Sdiwe- 
felsäure,  Phosphorsäure,  Arsensäure  u.  s.  w.)  zu  s.  g.  gepaarten  Verbin- 
dungen zu  vereinigen  vermögen;  so  ist  es  einleuchtend,  dass  schon  durch 
die  Natur  der  in  den  organischen  Verbindungen  enthaltenen  Elemente 
eine  unendliche  Mannigfaltigkeit  dieser  Verbindungen  eraeugt  werden 
kann.  Diese  Mannigfaltigkeit  wiird  nun  dadurch  noch  vermehrt,  dass 
viele  organische  Verbindungen,  veranlasst  durch  die  eigenthömliohe  Na- 
tur des  Kohlenstoffs,  eine  sehr  grosse  Anzahl  von  Atomen  enthalten; 
(so  endiält  z.  B.  die  Stearinsäure  56,  derWallrath  98,  der  Hauptbestand- 
theil  des  Bienenwachses  140,  das  Stearin  173  Atome)^;  sie  wird  weiter 
noch  dadurch  vermehrt,  dass  bei  den  organischen  Verbindungen  sehr 
häufig  Pftlle  vonMetamerie,  Polymerie  und  Isomerie  vorkommen, 
sehr  häufig  also  Körper  von  gleicher  Zusammensetzung  völlig  verschie- 
dene Eigenschaften  zeigen. 

17.  Bei  dieser  grossen  Mannigfaltigkeit  uud  der  oft  ungemein  grossen 
durch  Gleichheit  oder  Aehnlichkeit  der  Bestandtheile  veranlassten,  Aehn- 
lichkeit  der  orgimischen  Verbindungen  kann  es  nidit  überraschen,  dass 
für  die  allerwenigsten  derselben  einzelne  charakteristische  Reactionen 
ezistiren,  durch  welche  ein  Körper  mit  Bestimmtheit  nachgewiesen  wer- 
den kann.  Während  bei  der  verhältnissmässig  beschränkten  Anzahl  unor- 
ganischer Verbindungen  für  die  meisten  derselben  so  charakteristische 
Merkmale  aufgefunden  werden  konnten,  dass  wenige  Versuche  ausreichen, 
um  die  Natur  und  Zusammensetzung  eines  Körpers  festzustellen;  gibt  es 
nuff  äusserst  wenig  organische  Substanzen  deren  Nachweis  durch  wenige 
Reactionen  möglich  ist;  in  den  meisten  Fällen  ist  es  nöthig  die  Substanz 
in  reinem  Zustand  darzustellen,  ihre  physikalischen  und  chemischen  Ei- 
genschaften zu  ermitteln  und  namentlich  ihre  Elementarzusammensetzung 
festzustellen.  Gerade  der  Umstand,  dass  die  quantitative  Bestimmung  der 
Bestandtheile  nicht  nur  für  Untersuchung  neu  entdeckter,   sondern  sehr 


QunfiffttEt«  Maj9t.  15 

h&uflg  auch  als  GrkeDDttngsraittel  sehen  längst  bekannter  Substanzen 
Bötbig  ist,  verleiht  den  Methoden  zur  quantitatiyen  Bestimmung  der  Ele- 
mente in  organischer  Verbindung,  der  s.  g.  Organischen  Elementarana- 
lyse,  besondere  Wichtigkeit 


Organische  Elementar-Analyse. 
Quantitative  Analyse. 

Prüfung  auf  Kohlenstoff.  Alle  organischen  Verbindungen  sind  18. 
brennbar;  unter  günstigen  Bedingungen  verbrennt  aller  Kohlenstoff  zu 
Kohlensäure,  aller  Wasserstoff  zu  Wasser.  Mangelt  es  bei  der  Verbren- 
nung an  Sauerstoff,  oder  ist  die  Hitze  nicht  hoch  genug,  so  bleibt 
die  Verbrennung  oft  unvollständig  und  es  bildet  sich  eine  schwarze 
verkohlte  Masse.  Die  Bildung  solcher  Kohle,  oder  auch  das  vor- 
abergehende Schwärzen  während  der  Zersetzung  durch  Hitze  ist  ein 
Zeichen  von  der  Anwesenheit  von  Kohlenstoff.  Indessen  liefern  nicht 
alle  organischen  Verbindungen  beim  Erhitzen  eine  solche  Kohle;  viele 
derselben  sind  ohne  Zersetzung  flüchtig  (setzen  aber  dann  meist  beim 
Durchleiten  ihrer  Dämpfe  durch  glühende  Röhren  Kohle  ab),  andre  wer- 
den beim  Erhitzen  zwar  zerstört  aber  ohne  Abseheidung  von  Kohle. 
Das  Verkohlen  ist  also  immer  ein  Zeichen  der  Anwesenheit  von  Koh^ 
lenstoff,  das  Nicht -schwarzwerden  beweist  dagegen  nicht  die  Abwesen- 
heit des  Kohlenstoffs.  Am  sichersten  wird  die  Anwesenheit  von  Kohlen- 
stoff daran  erkannt,  dass  man  die  Substanz  mit  einem  leicht  reducirbaren 
Metalloxyd  (mit  Kupferozjd  z.  B.)  erhitzt  und  die  gebildete  Kohlensäure 
mittelst  Kalk-  oder  Barytwasser  nachweist. 

Prüfung  auf  Wasserstoff.  Tritt  bei  dieser  Verbrennung  der 
sorgföltig  getrockneten  Su1)stanz  mit  trocknem  Kupferoxyd  Wasser  auf, 
so  enthielt  die  Substanz  Wasserstoff. 

Prüfung  auf  Stickstoff.  Zur  Prüfung  auf  Stickstoff  kocht  man  19. 
entweder  die  organische  Substanz  mit  Kalilauge  oder  glüht  dieselbe  mit 
einem  Alkalihydrat  (am  besten  Natronkalk).  Wird  dabei  Ammoniak  ge- 
bildet, welches  am  Geruch,  an  der  alkalischen  Reaction  und  der  Bildung 
weisser  Nebel  mit  Salzsäure  leicht  erkannt  wird,  so  ist  die  Gegenwart 
von  Stickstoff  erwiesen.  Empfindlicher  ist  die  folgende  von  Lassaigne 
vorgeschlagene  Methode.  Man  erhitzt  die  zu  prüfende  Substanz  in  einem 
Röhrchen  mit  metallischem  Kalium  oder  Natrium,  treibt,  nachdem  die 
meist  mit  einer  Art  von  Verpufiiing  vor  sich  gehende  Reaction  stattge- 
funden hat,  durch  längeres  Erhitzen  den  Ueberschuss  des  Alkalimetalles 
weg  und  löst  den  Rückstand  in  Wasser;  man  setzt  dann  etwas  Eisen- 
oxydoxydulsalz (an  der  Luft  oxydirte  Lösung  von  Eisenvitriol)  zu  und 
übersättigt  mit  Salzsäure;  bleibt  dabei  ein  blaues  Pulver  (oder  Flocken) 


16  ZuBammeiifletsnng. 

▼OD  Berlinerblau  ungelöst,  so  enthielt  die  angewandte  Sabstanz  Stickstoff. 
Diese  Beaction  ist  ungemein  scharf  und  lässt  die  geringsten  Mengen 
von  Stickstoff  noch  auf&nden.  Bei  sehr  geringem  Stiokstoffgehalt  tritt 
bei  dem  Ansäuern  eine  oft  yollst&ndig  scheinende  Lösung  ein,  aber  die 
mehr  oder  minder  grünlich  ge&rbte  Flüssigkeit  setzt  dann  bei  längerem 
Stehen  Berlinerblau  ab.  Viele  stickstoffhaltige  Substanzen  zeigen  beim 
Verbrennen  für  sich  den  eigenthümlichen  unangenehmen  Geruch,  der  beim 
Verbrennen  von  Hörn  und  Haaren  auftritt  und  dadurch  bekannt  ist. 

20.  Prüfung  auf  Sauerstoff.  Die  Gegenwart  von  Sauerstoff  in 
organischen  Verbindungen  kann  bis  jetzt  nicht  direct  nachgewiesen  wer- 
den; nur  die  quantitative  Bestimmung  aller  andern  Elemente  gibt  Auf- 
schluss  darüber,  ob  eine  Substanz  Sauerstoff  enthält  oder  nicht. 

21.  Prüfung  auf  andre  Elemente.  In  einer  grossen  Anzahl  orga- 
nischer Verbindungen  zeigen  die  Elemente  nicht  mehr  die  Reactionen, 
durch  welche  sie  in  unorganischen  Verbindungen  nachgewiesen  werden. 

Die  Chloride  der  organischen  Basen  und  einige  mit  Wasser  zersetzbaren 
Chloi'verbindungen  (z.  B.  Acetylchlorid)  geben  zwar  mit  Silbersalzen  die  gewöhn- 
liche Reaction,  aber  die  Chloride  der  s.  g.  Alkoholradicale  und  alle  Chlor,  Brom 
oder  Jod  enthaltenden  Substitutionsproducte  werden  durch  Silberlösung  nicht  ge- 
föllt.  Ebenso  zeigen  die  unorganischen  Säuren  in  den  salzartigen  Verbindungen 
mit  organischen  Basen  die  für  sie  charakteristischen  Reactionen^  sie  werden  aber 
durch  dieselben  Reactionen  in  einer  Anzahl  andrer  Verbindungen,  in  den  Aether- 
arten,  den  s.  g.  gepaarten  Sfiuren  etc.  nicht  nachgewiesen,  (der  Schwefelsäure- 
äther und  die  gepaarten  Schwefelsäuren  geben  z.  B.  mit  Barytsalzen  keine  Fällung 
von  schwefelsaurem  Bar3rt).  In  ähnlicher  Weise  sind  die  Metalle  in  den  salzarti- 
gen Verbindungen  mit  organischen  Säuren  in  der  Regel  durch  die  gewöhnlichen 
Reagentien  nachweisbar,  in  andern  Verbindungen  dagegen  werden  sie  durch  die- 
selben Reagentien  nicht  ermittelt. 

In  allen  diesen  Fällen  ist  es  nöthig,  die  organische  Substaaz 
durch  Oxydation  oder  durch  Hitze  zu  zerstören,  bevor  man  die  ge- 
wöhnlichen Reagentien  in  Anwendung  bringt  Da  sich  bei  solcher 
Erhitzung  viele  organische  Verbindungen  ohne  Zersetzung  verflüchtigen, 
andre  unter  den  Zersetzungsproducten  auch  die  aufzufiudenden  Bestand- 
theile  entweichen  lassen,  so  ist  es  meistens  uothwendig  die  zu  prüfende 
Substanz  mit  einer  unorganischen  Base  (Aetzkalk,  kohlensaures  Kali 
u.  s.  w.)  zu  glühen,  bisweilen  bei  gleichzeitigem  Zusatz  oxjdirender  Kör- 
per (Salpeter,  Ghlorsaures  Kali,  Quecksilberoxjdj. 

Ein  Gehalt  an  Chlor  oder  Brom  wird  z.  B.  ermittelt,  indem  man  die 
organische  Substanz  mit  reinem,  namentlich  chlorfreiem  Kalk  glüht,  die  mög- 
lichst weissgebrannte  Masse  in  verdünnter  Salpetersäure  löst  und  Silberlösung 
zufügt 

Die  Gegenwart  von  Schwefel  oder  von  Phosphor  wird  am  besten  er- 
mittelt, indem  man  die  organische  Substanz  mit  kohlensaurem  Kali  oder  Natron, 
welchem  man  Salpeter,  chlorsaures  Kali  oder  Quecksilberoxyd  •)  zusetzt,    glüht 


*)  Bei  Anwendung  von  Salpeter  oder  chlorsaurem  Kali  treten,   wenn  die  ozy- 


I 


QuantitaÜve  Analjrse.  17 

und  in  der  Lösxing  des  weissgebrannten  Glührückstandes  auf  Schwefelsfiure  (mit- 
telst Chlorbariom)  und  auf  Phosphorsäuse  (mittelst  Magnesiasalz  und  Ammoniak) 
prQft  Ein  Gehalt  an  Schwefel  kann  bisweilen  nachgewiesen  werden,  indem  man 
den  organischen  Körper  mit  Salpetersäure  oder  mit  Salzsäure  und  chlorsaurem 
Kali  oxydirt;  in  vielen  Fällen  lässt  sich  indess  auf  die  Weise  keine  vollständige 
Zerstörung  der  organischen  Substanz  erreichen.  Viele,  aber  nicht  alle,  schwefel- 
haltigen Substanzen  geben  beim  Erhitzen  mit  Kalihydrat  oder  kohlensaurem  Kali 
Schwefelkalium  \  nimmt  man  diese  Erhitzung  auf  einem  Silberblech  vor,  oder  bringt 
man  die  geschmolzene  Masse  auf  Silberblech  und  setzt  eine  Säure  zu,  so  bildet 
sich  ein  schwarzer  Fleck  von  Schwefelsilber. 

Nicht  flüchtige  Substanzen,  Metalloxyde  namentlich,  bleiben  beim 
Glühen  meistens  zurück,  häufig  in  Verbindung  mit  Kohlensäure  (oder  wenn  Chlor 
oder  Schwefelsäure  etc.  zugegen  war  als  Chlormetall  oder  schwefelsaures  Salz)*, 
der  weissgebrannte  Glührückstand,  die  Asche,  wird  dann  auf  gewöhnliche  Weise 
untersucht. 

Quantitative  Elementaranalyse. 

Die  quantitative  Elementaranalyse  hat  zur  Aufgabe   die  Gewichts-    2^ 
▼erh&ltnisse  zu  ermitteln,  nach  welchen  die  Elemente  in  organischen  Ver- 
bindungen enthalten  sind. 

Gewöhnlich  bezeichnet  man  mit  organischer  Elementaranalyse  nur 
die  Methoden  zur  Bestimmung  des  Kohlenstoffs,  des  Wasserstoffs  und  des 
Stickstoffs,  weil  nur  zur  Bestimmung  dieser  Elemente  Methoden  in  An- 
wendung gebracht  werden,  welche  bei  der  Analyse  unorganischer  Ver-  . 
bindungen  nicht  oder  nur  selten  vorkommen,  während  alle  übrigen  Ele- 
mente in  den  Zerstörungsproducten  der  organischen  Substanz  nach  den 
gewöhnlichen  analytischen  Methoden  bestimmbar  sind. 

Bestimmung  des  Kohlenstoffs  und  des  Wasserstoffs. 

Weder  der  Kohlenstoff  no^jh  der  Wasserstoff  können  als  Elemente  23. 
ans  organischen  Verbindungen  abgeschieden  und  so  bestimmt  werden. 
Es  ist  indess  einleuchtend,  dass  derselbe  Zweck  erreicht  wird,  wenn  man 
beide  Elemente  in  Verbindungen  von  bekannter  Zusammensetzung  über- 
führt und  aus  der  genau  bestimmten  Menge  dieser  Verbindungen  die 
Menge  der  in  der  Substanz  enthaltenen  Elemente  berechnet.  Alle  Metho- 
den, welche  seit  Lavoisier,  dem  Begründer  der  organischen  Elementar- 
analyse, bis  auf  unsre  Zeit  in  Anwendung  gebracht  worden  sind,  beruhen 
darauf,  dass  bei  vollständiger  Verbrennung  einer  organischen  Substanz 
aller  Kohlenstoff  in  Kohlensäure,  aller  Wasserstoff  in  Wasser  verwan- 
delt wird. 


dirende  Substanz  nicht  mit  hinlänglich  >iel  kohlensaurem  Salz  verdünnt  ist, 
leicht  Explosionen  ein. 
KeknU,  organ.  Chemie.  2 


lg  Ziuammensetziing 

24.  Lavoisier  verbrannte  bei  den  Analysen  organischer  Körper,  die  er  1784 — 

1789  ausführte,  eine  gewogene  Menge  der  organischen  Substanz  in  einer  gemesse- 
nen Menge  Sauerstoff  und  bestimmte  das  Volum  der  gebildeten  Kohlensäure.  In- 
dem er  dann  die  dem  Volum  nach  gemessenen  Mengen,  nach  den  von  ihm  be- 
stimmten spec.  Gewichten  des  Sauerstoffs  und  der  Kohlensäure,  in  Gewichtsmengen 
umrechnete,  konnte  er,  von  der  Ansicht  ausgehend,  dass  bei  der  Verbrennung  kein 
andres  Product  als  Kohlensäure  und  Wasser  gebildet  werde,  auch  die  Menge  des 
gebildeten  Wassers  berechnen.  (Das  Gewicht  der  verbrannten  Substanz  -f-  dem 
Gewicht  des  verbrauchten  Sauerstoffs  —  dem  Gewicht  der  gebildeten  Kohlensäure 
war  gleich  dem  Gewicht  des  gebildeten  Wassers).  Die  von  Lavoisier  benutzte 
Methode  der  Verbrennung  war  nur  für  leichtverbrennliche  Substanzen  anwendbar*, 
Apparat  und  Ausführung  waren  sehr  complicirt;  indessen  sind  die  von  Lavoi- 
sier ausgeführten  Bestimmungen  in  einzelnen  Fällen  überraschend  genau,  wenn 
man  die  directen  Ergebnisse  der  Versuche,  statt  mit  den  von  Lavoisier  angewand- 
ten und  höchst  ungenauen  spec.  Gewichtszahlen  mit  den  jetzt  genau  bestimmten 
specifischen  Gewichten  berechnet.  Inmitten  dieser  Untersuchung  der  Wissenschaft^ 
durch  die  Guillotine  entrissen  (1794)  konnte  Lavoisier  alle  die  zahlreichen  Ver- 
besserungen, die  er  in  seinen  Schriften  gelegentlich  andeutet,  nicht  selbst  in  Aus- 
führung bringen.  Er  hebt  schon  hervor,  dass  es  wahrscheinlich  zweckmässiger 
sein  müsse,  statt  des  gasformigen  Sauerstoffs  leichtreducirbare  Metalloxyde  anzu- 
wenden und  dass  das  gebildete  Wasser  wohl  besser  direct  durch  wasseraufneh- 
mende Substanzen  bestimmt  werde. 

Gay  Lussac  und  Thenard  wandten  1810  zuerst,  statt  des  Sauerstoffs 
einen  Körper  an,  welcher  leicht  Sauerstoff  abgibt;  sie  bedienten  sich  des  chlor- 
sauren Kalis.  Sie  verbrannten  in  einer  senkrecht  stehenden  Glasröhre,  deren  un- 
teres verschlossenes  Ende  stark  erhitzt  war.  Das  obere  Ende  der  Röhre  war  durch 
einen  Hahn  verschlossen,  welcher  statt  der  Durchbohrung  nur  eine  Vertiefung  hatte, 
die  das  Eintragen  des  zuKügelchen  geformten  Gemenges  der  Substanz  mit  chlor- 
saurem Kali  möglich  machte,  ohne  dass  gleichzeitig  Luft,  eintrat.  Eine  an  der  Seite 
der  Röhre  neben  dem  Hahn  angebrachte  Gasentwicklungsröhre  gestattete,  die  erzeug- 
ten Gase  über  Quecksilber  aufzufangen.  Durch  Eintragen  und  Verbrennen  einer 
Anzahl  von  Kügelchen  wurde  zuerst  die  Luft  aus  dem  Apparat  verdrängt  und 
durch  dasselbe  Gasgemenge  ersetzt,  welches  bei  der  Verbrennung  erzeugt  wurde ;  nach 
dieser  Vorarbeit  wurde  eine  gewogene  Menge  der  zu  analysirenden  Substanz  (mit 
chlorsaurem  Kali  gemischt  und  zu  Kügelchen  geformt)  verbrannt,  die  Gase  über 
Quecksilber  aufgefangen  und  gemessen;  die  Kohlen8äiu*e  wurde  mit  Kali  absor- 
birt  und  der  rückständige  Sauerstoff  wieder  gemessen.  Der  Kohlenstoff  wurde 
direct  aus  der  Menge  der  absorbirten  Kohlensäure  berechnet;  den  Wasserstoff  be- 
rechnete man  aus  dem  gebildeten  Wasser,  dessen  Menge  man  ähnlich  wie  es  Lovoisier 
gcthan  hatte  fand,  indem  man  die  beobachteten  Volume  nach  den  spec.  Gewichten 
in  Gewichtsmengen  umwandelte  und  dann  von  der  Summe  der  angewandten  Sub- 
stanz und  des  aus  dem  chlorsauren  Kali  gebildeten  Sauerstoffs  die  Menge  der 
Kohlensäure  »f-  dem  unverbraucht  gebliebenen  Sauerstoff  abzog.  Die  von  Gay 
Lussac  und  Thenard  gewonnenen  Resultate  waren  meist  sehr  genau;  aber  die 
Ausfülirung  der  Operation  war  schwierig  und  erforderte  alle  Sorgfalt  geübter 
Experimentatoren. 

Berzelius  mischte  das  chlorsaure  Kali  mit  Kochsalz  und  erreichte  so,  statt 
der  explosionsartigen  Verpuffung,  eine  langsame  Verbrennung,  die  er  zu- 
erst in  horizontalliegenden  Röhren  ausführte.    Er  war  ebenso  der  erste, 


Quantitative  Analyse.  19 

der  die  von  Lavoisier  schon  angedeutete  Idee  ausführte,  indem  er  das  gebildete 
Wasser  mittelst  Chlorcalcium  absorbirte  und  aus  der  Gewichtszunahme  des 
Clilorcalciumrohres  direct  die  Menge  des  Wassers  bestimmte  (1814). 
Die  bei  der  Verbrennung  gebildete  Kohlensäure  fing  Berzelius  über  Quecksilber 
auf  und  bestimmte  entweder  das  Volum  derselben  durch  Absorption,  oder  er 
brachte  einen  mit  Kali  gefüllten  Gläsapparat  in  die  Glocke,  Hess  so  die  Kohlen- 
säure absorbiren  und  bestimmte  ihr  Gewicht  durch  die  Gewichtszunahme  dieses 
Apparates. 

Der  nächste  grössere  Fortschritt  der  Verbrennungsanalyse  bestand  in  der 
Anwendung  von  Metalloxyden,  namentlich  von  Kupferoxyd,  statt  des  chlorsauren 
Kalis.  Lavoisier  hatte  schon  1784  versuchsweise  Quecksilberoxyd  und  Mennige 
angewandt  \  Gay  Lussac  und  Thenard  hatten  ebenfalls  Metalloxyde  versucht ,  dem 
Chlorsäuren  Kali  aber  den  Vorzug  gegeben-,  auch  Berzelius  hatte  sich  des  Chlor- 
säuren Kalis  bedient.  Da  man  bald  fand ,  dass  chlorsaures  Kali  für  stickstoffhal- 
tige Substanzen  nicht  anwendbar  ist,  bediente  sich  Gay  Lussac,  gelegentlich  sei- 
ner Untersuchung  über  das  Cyan  (1815),  zuerst  des  Kupfer oxyds,  dessen 
Vorzüge  bald  so  allgemein  anerkannt  wurden,  dass  es  von  da  an  bis  jetzt  für  alle 
die  Fälle  in  Anwendung  blieb,  bei  welchen  nicht  besondere  Umstände  seine  An- 
wendung unmöglich  machen.  So  war  die  Verbrennungsanalyse  und  namentlich 
die  Bestimmung  des  Wasserstoffs  eine  ziemlich  leicht  ausführbare  Operation  gewor- 
den*, die  Bestimmung  des  Kohlenstoffs  gab,  bei  grösserer  Schwierigkeit  der  Aus- 
fuhrung, weniger  genaue  Resultate.  Wasserstoff  und  Kohlenstoff  wurden  stets 
etwas  zu  niedrig  gefunden,  weil  nach  beendigter  Verbrennung  die  ganze  Röhre 
mit  Verbrennungsproducten  gefüllt  blieb.  Dieser  Fehler  konnte  zwar  dadurch 
annähernd  vermieden  werden,  dass  man,  wie  dies  Berzelius  schon  that,  eine  im 
hinteren  Ende  der  Röhre  befindliche  Menge  von  chlorsaurem  Kali  erhitzte  und 
durch  den  entwickelten  Sauerstoff«  die  Verbrennungsproducte  verdrängte.  So  wur- 
den die  Resultate  genauer,  die  Ausfüluning  aber  schwieriger  und  der  Felder  doch 
nicht  vollständig  vermieden,  weil  man,  da  die  Kohlensäure  in  einer  Glocke  über 
Quecksilber  aufgesammelt  wurde,  keine  zur  vollständigen  Verdrängung  hinlängliche 
Menge  von  Sauerstoff  entwickeln  konnte.  Es  ist  Liebig's  Verdienst,  diesem  üebel- 
stand  abgeholfen  und  die  Verbrennungsanalyse  bei  vollständiger  Genauigkeit  der 
Resultate  zu  einer  ausnehmend  leicht  ausführbaren  Operation  gemacht  zu  haben*, 
durch  Einführung  des  nach  ihm  benannten  Kugelapparates,  dessen  Benützung  es 
möglich  macht,  nach  beendigter  Verbrennung  einen  Strom  von  Luft  durch  den 
Appai*at  streichen  zu  lassen  und  so  alle  in  demselben  enthaltenen  Verbrennungs- 
producte zu  verdrängen  und  dieselben  ohne  Verlust  in  den  vorgelegten  mit  Chlor- 
calcium und  Kalilauge  gefüllten  Apparaten  aufzusammeln. 

Ausführung  der  Verbrennung.  Eine  gewogene  Menge  der  25. 
zu  analjsirenden  Substanz  wird  mit  Eupferoxyd  gemengt,  in  einer 
horizontal  liegenden  Röhre  von  schwerschmelzbarem  Olase  a  d ,  deren 
hinteres  Ende  a  in  eine  aufrecht  stehende  Spitze  ausgezogen  ist,  und 
die  in  einem  eisernen  Verbrennungsofen  durch  glühend  aufgelegte 
Holzkohlen  erhitzt  wird,  verbrannt.  Die  gasförmigen  Verbrennungspro- 
ducte streichen  zunächst  durch  das  mit  Chlorcalcium  gefüllte  Rohr  A 
und  dann  durch  den  mit  Kalilauge  gefüllten  Kugelapparat  B  (Kaliappa- 
rat). Nach  beendigter  Verbrennung  wird  die  Spitze  a  abgebrochen  und 
vermittelst    eines    an    den  Kaliapparat  angesteckten    Saugrohrs   D  lang- 

2* 


20  ZuBammeziBetEimg. 

sam  Luft  durch  den  Apparat  gesaugt,  um  alle  in  demselben  noch  be 
findlichen  Verbrennungsproducte  in  die  mit  Chlorcalcium  und  Kalilauge 
gefüllten  Apparate  zu  bringen.  Beide  Apparate  sind  vor  der  Verbren- 
nung gewogen  und  werden  jetzt,  nach  beendigter  Verbrennung,  wieder 
gewogen.  Die  Gewichtszunahme  des  Chlorcalciumrohrs  gibt  die  Menge 
des  gebildeten  Wassers,  die  Gewichtszunahme  des  Kaliapparates  die  Menge 
der  gebildeten  Kohlensäure  an. 


26.  Details  der  Ausführung.    Dass   die  zu  analysirende  Substanz  vollkom- 

men rein  und  möglichst  trocken  sein  muss,  versteht  sich  von  selbst.  Das 
Trocknen  geschieht  je  nach  der  Katur  der  Substanz  entweder  in  einer  Glocke 
Über  Schwefelsäure  (Exsiccator),  im  luftleeren  Raum  über  Schwefelsäure,  im 
Wasserbad  bei  100*,  oder  im  Luftbad  bei  höheren  Temperaturen.  Sehr  zweck- 
dienlich ist  für  viele  Fälle  der  von  liebig  angegebene  Trockenapparat,  in  wel- 
chem die  Substanz  bei  gewöhnlicher  oder  bei  höherer  Temperatur  durch  einen 
Strom  von  trockner  Luft  getrocknet  wird. 

Das  zur  Verbrennung  dienende  Kupferoxyd ,  meistens  durch  Glühen  von 
salpetersaurem  Kupferoxyd  oder  durch  Glühen  von  mit  Salpetersäure  befeuchtetem 
Kupferhammerschlag  dargestellt,  muss  vor  der  Anwendung  jedesmal  getrocknet 
werden.  Es  geschieht  dies  am  besten,  indem  man  es  in  einem  bedeckten  Tiegel 
(hessischen  Thontiegel)  längere  Zeit  gelinde  glüht.  Es  wird  dann  noch  warm  mit 
der  zu  analysirenden  Substanz  gemischt,  oder  man  fÜUt  es  heiss  in  eine  Glasröhre 
ein  und  lässt  es  verschlossen  erkalten. 

Zum  Büschen  der  zu  untersuchenden  Substanz  mit  Kilpferoxyd  und  zum  Füllen 
der  Verbrennungsröhre  sind  zwei  verschiedene  Methoden  in  Anwendung.  Viele 
Chemiker  mischen  nach  Liebig's  Vorschlag  in  einer  getrockneten  Porzellanreibschale 
und  f[illen  die  Mischung  durch  directes  Schöpfen  aus  dem  Mörser  in  die  Verbren- 
nungsröhre. Der  von  dieser  ersten  Mischung  in  der  Reibschale  bleibende  Rest 
wird  wiederholt  durch  Zusammenreiben  mit  Kupferoxyd  gleichsam  verdünnt  und 
auf  dieselbe  Weise ,  durch  Schöpfen ,  in  die  Röhre  eingefüllt.  Diese  Methode  des 
EinfüUens,  äusserst  bequem  in  der  Ausführung,  hat  den  Nachtheil,  dass  das  Kupfer- 
oxyd während  der  Operation  des  Füllens  leicht  etwas  Feuchtigkeit  anzieht  und  so 
eine  Vermehrung  des  in  die  Chlorcalciumröhre  tretenden  Wassers,  mithin  eine  Er- 
höhimg des  in  der  Substanz  gefundenen  Wasserstoffs  veranlasst.  Dieser  Fehler 
wird  vermindert,   die  Wasserstoffbestimmung   fällt   also  genauer  aus,   wenn  man 


QuantLtatiye  Analyse.  21 

nach  der  von  Bnnsen  vorgeschlagenen  Methode  das  Eupferozyd  in  einer  ver- 
schlossenen Röhre  erkalten  lässt,  aus  dieser  direct  in  die  Verbrennungsröhre  ein- 
fQHt  und  das  Mengen  der  Substanz  mit  dem  Eupferozyd  in  der  Yerbrennungsröhre 
selbst  durch  einen  spiralförmig  gewundenen  Draht  ausführt.  In  beiden  Fällen  wird 
die  Röhre  so  gefüllt,  dass  das  hintere  Ende  (ab)  nur  Kupferozyd,  die  Hälfte  der 
Röhre  etwa  fb  c)  das  Gemenge  und  der  vordere  Theil  (c  d)  wieder  Eupferoxyd  enthält. 
Durch  vorsichtiges  Aufklopfen  der  Röhre  erzeugt  man,  bevor  man  die  Röhre  in 
den  Verbrennungsofen  einlegt,  auf  der  oberen  Seite  einen  Eanal,  welcher  den  durch 
die  Verbrenntmg  erzeugten  Gasen  freien  Durchtritt  gestattet 

Dem  Chlorcalciumrohr  gibt  man  meist  die  in  der  Zeichnung  angedeutete 
Form;  viele  Chemiker  bedienen  sich  mit  Vorliebe  ü förmiger  Chlorcalciumröhren, 
was  indess  bei  gewöhnlichen  Verbrennungen  nicht  nöthig  ist.  Das  Chlorcalcium 
darf  nicht  in  geschmolzenem  Zustand  angewandt  werden,  weil  das  geschmolzene 
immer  schwach  alkalisch  reagirt  und  desshalb  Eohlensäure  zurückhalten  würde  j 
man  verwendet  es  am  zweckmässigsten  in  dem  blasigen  Zustand,  in  welchem  es 
beim  Entwässern  erhalten  wird,  gerade  ehe  es  zu  schmelzen  beginnt 

Die  meisten  Chemiker  verbinden  das  Chlorcalciumrohr  vermittelst  eines  ge- 
trockneten Eorks  mit  der  Verbrennungsröhre.  Mitscherlich  zieht  die  gefüllte  Ver- 
brennungsröhre am  vorderen  Ende  aus ,  steckt  den  ausgezogenen  TheÜ  in  ein  zu 
dem  Zweck  eigens  geformtes  Chlorcalciumrohr  und  verbindet  mit  Eautschuk. 

Der  Ealiapparat  wird  meistens  noch  in  der  von  Liebig  angegebenen  Form 
angewandt-,  die  Erfahrung  hat  zur  Genüge  gezeigt,  dass  die  Zahl  der  Engeln  und 
die  angewandte  Menge  von  Ealilauge  vollständig  hinreicht,  um  alle  Eohlensäure 
m.  absorbiren,  so  dass  also  eine  Vermehrung  der  Engeln  unnöthig  ist  Er  wird 
mit  dem  Chlorcalciumrohr  durch  eine  Eautschukröhre  verbunden  und  zwar  so, 
dass  die  grössere  Eugel  dem  Chlorcalciumrohr  zugekehrt  ist  Die  Ealilauge  (Ka- 
tronlauge ist  nicht  anwendbar)  wird  am  zweckmässigsten  von  1,25  — 1,30  spec. 
Gew.  angewandt.  Da  die  in  dem  Ealiapparat  enthaltene  Flüssigkeit  während  der 
Yerbrennung-  durch  das  Durchstreichen  der  trockenen  Luft  stets  etwas  Wasser 
Terhert,  (wodurch  der  Eohlenstoff  zu  niedrig  gefunden  werden  würde) ,  ist  es  in 
sUen  Fällen  zweckmässig  vor  den  Ealiapparat  noch  eine  Röhre  (C)  zu  legen ,  die 
mit  Chlorcalcium  oder  mit  Stücken  von  festem  Ealihydrat  gefüUt  ist  Die  Ge- 
wichtszunahme dieser  Röhre  wird  dann  zu  der  Gewichtszunahme  des  Ealiapparates 
ftddirt  Man  kann  diese  mit  Ealistückchen  gefüllte  Röhre  auch  direct  mit  dem 
Kaliapparat  verbinden  und  mit  diesem  wägen. 

Wenn  der  Apparat  vollständig  zusammengesetzt  ist  und  man  sich  davon 
Hbeneugt  hat,  dass  alle  Verbindungen  luftdicht  schliessen,  erhitzt  man  zunächst 
durch  glühend  aufgelegte  Holzkohlen  den  vorderen  mit  Eupferoxyd  gefüllten  Theil 
der  Röhre  (cd)  und  beginnt  dann  die  Verbrennung  des  Gemenges,  indem  man  von  c 
nach  a  fortschreitend  glühende  Eohlen  auflegt  Die  Verbrennung  muss  so  geleitet 
werden,  dass  die  Gasentwicklung  nie  zu  rasch  geht  Wenn  die  ganze  Röhre  mit 
glühenden  Eohlen  umgeben  ist  und  wenn  selbst  nach  stärkerem  Anfachen  der 
Kohlen  alle  Gasentwicklung  aufgehört  hat  und  die  Ealilauge  zurückzusteigen  be- 
ginnt, bringt  man  den  Ealiapparat,  der  während  der  Verbrennung  so  gestellt  war, 
dass  f  höher  stand  als  e,  jetzt,  um  das  Zurücksteigen  der  Ealilauge  zu  verhindern, 
in  die  umgekehrte  Lage.  Man  entfernt  dann  die  Eohlen  von  dem  hinteren  Ende 
der  Röhre,  bricht  die  Spitze  ab  und  saugt  vermittelst  einer  an  den  Ealiapparat 
oder  an  das  vor  demselben  befindliche  Ealirohr  angesteckten  Saugröhre  (oder  ver- 
mittelst eines  Aspirators)  langsam  Luft  durch  den  Apparat,  bis  alle  Verbrennungs« 


22  ZnBammenBetzimg 

prodacte  aus  der  Röhre  verdrängt  sind.  Dabei  ist  es  zweckmässig  auf  die  abge- 
schnittene Spitze  eine  Glasröhre  aufzusetzen ,  damit  die  in  die  Verbrennungsröhre 
eintretende  Luft  nicht  aus  der  nächsten  Nähe  der  gh'ihenden  Kohlen  genommen 
werde  und  zu  viel  Kohlensäure  enthalte.  Will  man  den  Zutritt  der  Kohlensäure 
und  der  Feuchtigkeit  möglichst  ausschliessen ,  so  füllt  man  diese  Röhre  mit  Aetz- 
kali  und  Chlorcalcium. 

Ghlorcalciumrohr  und  Kaliapparat  werden  dann  abgenommen  und  bleiben 
vor  dem  Wägen  noch  etwa  eine  halbe  Stunde  stehen,  um  wieder  die  Temperatur 
der  Luft  anzunehmen. 

Die  Resultate,  von  nach  der  Methode  ausgeführten  Bestimmungen,  sind  bei 
richtiger  AusfQhrung  fast  völlig  genau.  Der  Kohlenstoff  wird,  wenn  kein  Kalirohr 
angewandt  wurde ,  stets  etwas  zu  niedrig  (im  Durchschnitt  0,1  ®/o)  gefunden, 
bei  Anwendung  eines  Kalirohres  dagegen  meist  etwas  zu  hoch  (0,05^/o  etwa). 
Der  Wasserstoff  wird  stets  etwas  zu  hoch  gefunden  (0,1 — 0,2*/o);  die  Art  und 
die  Schnelligkeit  des  Einfüllens  ist  dabei  natürlich  von  nicht  unbedeutendem 
Elinfluss. 

27.  Einfüllen  von  Flüssigkeiten  u.  s.w..  Substanzen,  deren  physikalische 
Beschaffenheit  das  Mengen  mit  Kupferoxyd  und  das  Einfüllen  nach  der  beschrie- 
benen Methode  nicht  gestatten,  machen  geringe  Modificationcn  des  Verfahrens 
nöthig.  Flüssige  und  flüchtige  Körper  füllt  man  in  kleine  vorher  gewogene  Glas- 
kügelchen  ein ;  man  bringt  eines  oder  zwei  solcher  Kügelchen  in  die  Verbrennungs- 
röhre (in  die  Nähe  des  hinteren  Endes),  füllt  die  Röhre  dann  mit  Kupferoxyd  und 
treibt,  während  der  vordere  Theil  der  Röhre  im  Glühen  gehalten  wird,  durch  vor- 
sichtiges Erhitzen  der  Stelle,  wo  das  Kügelchen  liegt,  die  Flüssigkeit  aus  demsel- 
ben aus.  Die  Dämpfe  werden  dann,  während  sie  über  das  glühende  Kupferoxyd 
streichen,  verbrannt.  Dabei  ist  es  zweckmässig,  statt  des  pulverförmigen  Kupfer- 
oxyds kleine  Stückchen  von  durch  stärkeres  Glühen  zusammengesintertem  Kupfer- 
oxyd anzuwenden.  —  Statt  die  Flüssigkeiten  in  solchen  Kügelchen  mit  offener 
Spitze  in  die  Verbrennungsrhöre  zu  bringen,  bedient  sich  Bunsen  dünnwandiger 
Glaskügelchen,  welche  vollständig  mit  Flüssigkeit  gefüllt  und  an  beiden  Enden  zu- 
geschmolzen in  die  Röhre  eingebracht  werden  und  bewirkt  durch  Erwärmen  das 
Bersten  der  dünnwandigen  Kugel. 

Flüssige  aber  nicht-flüchtige  Körper  (Oele  z.  B.)  werden  in  kleinen  Glas- 
röhren; festere  Fette  und  ähnliche  Substanzen  in  kleinen  nachenf5rmigen  Schäl- 
chen  (von  Porzellan  oder  Glas)  gewogen  und  so  in  die  Verbrennungsröhre 
gebracht. 

28.  Die  Natur  der  za  untersuchenden  Substanz  macht  in  manchen 
Fällen  Modifloationen  dieses  Verfahrens  nothwendig. 

Für  schwerverbrennliche  Substanzen  z.  B.  reicht  Kupferoxyd  als 
Verbrennungsmittel  nicht  aus,  man  bedient  sich  dann  statt  dessen  des  chromsauren 
Bleioxyds,  welches  vor  der  Anwendung  durch  Erhitzen  in  einer  Porzellanschale 
getrocknet,  im  Üebrigen  aber  wie  das  Kupferoxyd  behandelt  wird.  Man  kann 
auch  dem  Kupferoxyd  chromsaures  Bleioxyd  zusetzen  oder  für  sehr  schwer  ver- 
brennliche  Substanzen  ein  Gemenge  von  chromsaurem  Bleioxyd  mit  saurem  chrom- 
saurem Kali  anwenden.  —  Statt  so  stärker  oxydirende  Substanzen  anzuwenden, 
kann  man  auch  die  bei  der  Verbrennung  mit  Kupferoxyd  etwa  unverbrannt  gebliebene 
Kohle  zuletzt  durch  einen  Strom  von  Sauerstoffgas  vollständig  oxydiren.  Man 
entwickelt  den  Sauerstoff  dann  entweder  in  der  Röhre  selbst  aus  chlorsaurem  oder 


QoiUitttetiTe  Analyse.  23 

besser  aus  überchlorsanrem  Kali^  oder  man  entwickelt  denselben  ausserhalb  der 
Verbremmngsrölire  oder  lässt  ihn  aus  einem  Gasometer  in  die  Röhre,  deren  hin- 
teres Ende  dann  zu  einer  horizontal  liegenden  Spitze  ausgezogen  ist,  einströmen. 

Stickstoffhaltige  Substanzen  machen  ebenfalls  eine  Abänderung  des 
Verfahrens  nöthig.  Bei  der  Verbrennung  solcher  Substanzen  wird  nämlich  leicht 
etwas  Stickozyd  erzeugt,  welches  das  Gewicht  des  Kaliapparates  vermehren,  also 
einen  Fehler  in  der  Eohlenstoffbestimmung  veranlassen  würde.  Man  vermeidet 
diesen  Fehler,  indem  man,  wie  dies  Gay  Lussac  schon  that,  in  das  vordere  Ende 
der  Röhre  metallisches  Kupfer  bringt,  welches  während  der  Verbrennung  glühend 
gehalten  wird  und  so  das  Stickozyd  zerlegt  Man  verwendet  dazu  zu  Pfropfen 
zusammengedrehte  Kupferdrehspäne,  die  man  im  Wasserstoffstrom  redudrt,  oder 
zweckmässiger  in  Wasserstoff  reducirte  Stückchen  von  durch  starkes  Glühen  zu- 
sammengesintertem Kupferoxyd. 

Auch  chlorhaltige  Substanzen  können  mit  Kupferozyd  nicht  ver- 
brannt werden,  weil  flüchtiges  Kupferchlorür  erzeugt  wird,  welches  das  Gewicht 
des  Ghlorcalciumrohres  erhöhen  würde.  Man  verbrennt  solche  Substanzen  am 
besten  mit  chromsaurem  Bleioxyd  oder  man  legt  bei  Verbrennungen  mit  Kupfer- 
oxyd in  den  vorderen  Theil  der  Röhre  Stückchen  von  chromsaurem  Bleiozyd. 

Schwefelhaltige  Substanzen  geben  beim  Verbrennen  mit  Kupferozyd 
schweflige  Säure.  Man  schaltet  um  diese  zu  entfernen  zwischen  das  Chlorcalcium- 
rohr  und  den  Kaliapparat  eine  Röhre  ein,  die  mit  völlig  getrocknetem  braunem 
Bleihyperoxyd  gefüllt  ist. 

Hinterlässt  die  zu  untersuchende  Substanz  eine  alkalische  Asche,  so 
wird  bei  der  Verbrennung  mit  Kupferoxyd  ein  Theil  der  gebildeten  Kohlensäure 
von  der  Asche  zurückgehalten;  auch  in  diesem  Fall  wird  zweckmässig  chromsau- 
res  Bleioxyd  als  Oxydationsmittel  angewandt. 

Verbrennung  mit  Weingeist  oder  mit  Gas. 

Statt  in  dem  Lieb  ig' sehen  Verbrennungsofen  mit  Holzkohlen  zu  ver-  29. 
brennen,  haben  sich  einzelne  Chemiker  schon  vor  längerer  Zeit  eigener 
aus  Weingeist- Lampen  zusammengesetzter  Oefen  bedient,  von  welchen 
der  von  Hess  vorgeschlagene  am  meisten  in  Gebrauch  kam.  Jetzt,  seit- 
dem das  Leuchtgas  in  chemischen  Laboratorien  fast  allgemein  als  Heiz- 
material verwendet  wird,  bedient  man  sich  häufig  der  Gasöfen.  Solche 
Gasöfen  zu  Verbrennungsanalysen  sind  nun  von  verschiedenen  Chemikern 
in  sehr  verschiedenen  Formen  angegeben  worden,  der  Gebrauch  hat  sich 
indess  bis  jetzt  für  keinen  derselben  bestimmt  entschieden.  Wir  geben 
desshalb  keine  Beschreibung  irgend  eines  dieser  Apparate  *)^  müssen  aber 
^e  Art  der  Ausführung  der  Analyse  bei  Anwendung  solcher  Oefen  näher 
kennen  lernen,  weil  diese  Art  der  Verbrennung  vor  der  gewöhnlichen 
Verbrennung  mit  Holzkohle  so  viele  Vorzüge  darbietet,  sowohl  in  Bezug 
auf  Einfachheit  der  Ausführung  als  auf  Genauigkeit  der  Resultate,    dass 


*)  Die  Zeichnung  stellt  den  von  v.  Babo  angegebenen  Gasofen  dar. 


24 


Zus&iDineiifietEuiiff. 


sie  dieselbe  voraussichtlich,  bis  zu  einem  gewissen  Grad  wenigstens,  ver- 
drängen wird. 

Man  verbrennt  bei  Anwendung  solcher  Oefen  in  einer  auf  beiden 
Seiten  offenen  Verbrennungsröhre.  Das  vordere  Ende  dieser  Röhre  wird 
vermittelst  eines  Korkes  mit  dem  Chlorcalciumrohr  A,  dem  Ealiapparat  B 
und  einer  mit  festem  Ealihydrat  gefüllten  Röhre  G  in  Verbindung  ge- 
setzt. Das  hintere  Ende  steht  mit  zwei  Gasometern  in  Verbindung,  von 
welchen  das  eine  mit  Sauerstoff,  das  andere  mit  Luft  gefüllt  ist  Die  Art 
der  Aufstellung  des  Apparates  macht  es  möghch  nach  WillkührLuft  oder 
Sauerstoff  in  die  Verbrennungsröhre  eintreten  zu  lassen;  beide  in  völlig 
trockenem  Zustand  und  frei  von  Kohlensäure,  indem  man  zwischen  die 
Gasometer  und  die  Verbrennungsröhre  ein  System  von  Apparaten  ein- 
schaltet, in  welchen  durch  Aetzkali  und  Schwefelsäure  alle  Kohlensäure 
und  alle  Feuchtigkeit  zurückgehalten  wird.  Die  Verbrennungsröhre  a  d 
wird  zu  etwa  2/3  mit  Kupferoxyd  angefüllt  (welches  man  zweckmässig 
in  zusammengesinterten  Stückchen  anwendet).  Der  hintere  Theil  a  c 
bleibt  leer.  Man  erhitzt  nun  zunächst,  um  den  Apparat  zur  Verbrennung 
herzurichten,  die  ganze  Röhre,  lässt  Luft  durchströmen  und  vertreibt 
so  alle  Feuchtigkeit.  Nachdem  die  Röhre  erkaltet  ist,  setzt  man 
bei  d  das  Chlorcalciumrohr,    den   Kaliapparat  etc.  an,    öfinet   bei  a  und 


schiebt  die  in  einem  Platinschiffchen  gewogene  Substanz  ein  (b).  Man 
erhitzt  dann  c  d  zum  Glühen.  Man  erhitzt  weiter  das  hintere  Ende  bei 
a,  damit  keine  Destillationsproducte  der  Substanz  sich  in  diesem  Ende 
der  Röhre  verdichten  können  und  beginnt  nun,  während  fortwährend  ein 
langsamer  Strom  von  Luft  durch  den  Apparat  geht,  die  Verbrennung, 
indem  man  die  Stelle  b,  an  welcher  sich  das  Platinschiffchen  befindet, 
allmälich  erwärmt.  Die  Producte  der  trocknen  Destillation  der  Substanz 
werden  von  dem  Luftstrom  über  das  glühende  Kupferoxyd  geführt  und 
da  verbrannt.  Zuletzt,  wenn  keine  weiteren  Destillationsproducte  mehr 
auftreten,  bleibt  das  Platinschiffchen  meist  mit  Kohle  gefüllt.  Man  schliesst 
dann  das  Luftgasometer  und  öffnet  den  Hahn  des  Sauerstoffgasometers. 
Sobald  der  Sauerstoff  in    die  Verbrennungsröhre  eintritt,    verbrennt  die 


Qnantitatire  Analyse.  25 

Kohle  voUst&iidig.  Man  läset  so  lange  Sauerstoffgas  durch  den  Apparat 
gehen,  bis  alles  Kupferozyd,  welches  während  der  Verbrennung  reduoirt 
wurde,  wieder  oxydirt  ist;  bis  also  Sauerstoff  aus  dem  Kalirohr  c  aus- 
tritt. Man  wechselt  dann  die  Gasometer  nochmals  und  lässt  längere  Zeit 
Luft  durch  den  Apparat  gehen,  um  allen  Sauerstoff,  welcher  im  Chlor- 
calciumrohr  und  namentlich  im  Kaliapparat  befindlich  ist,  zu  entfernen, 
und  man  wägt  endlich,  nach  etwa  halbstündigem  Stehen,  das  Ghlorcal- 
eiamrohr,  den  Kaliapparat  und  die  Kaliröhre. 

Bei  solchen  Verbrennungen  im  Luftstrom  ist  es  nun  nöthig,  statt  der  hori- 
Kontalliegenden  Chlorcalciumröhren,  U förmige  Röhren  anzuwenden,  weil  bei  dem 
verhältnissiaässig  starken  Luftstrom  an  der  oberen  Wand  der  horizontalliegenden 
Röhre  leicht  Luft  durchgehen  könnte,  ohne  ihre  Feuchtigkeit  abzugeben,  während 
(Üe  Luft  in  der  ü  förmigen  Röhre  zuerst  abwärts  und  dann  aufwärts  getrieben  und 
80  sicher  vollständig  durch  das  Chlorcalcium  getrocknet  wird.  Es  ist  weiter  nöthig 
ausser  dem  Kaliapparat  noch  eine  mit  Kalistückchen  gefüllte  Röhre  vorzulegen,  weil 
bei  dem  lang  andauernden  trocknen  Luftstrom  die  Kalilauge  eine  nicht  unbedeu- 
tende Menge  von  Wasser  abgibt. 

Verbrennungen  nach  dieser  Methode  geben  weit  schftrfere  Wasserstoffbestim- 
mungen,  w^eil  der  Apparat  direct  vor  der  Benutzung  vollkommen  ausgetrocknet 
werden  kann.  Sie  gestatten  femer  im  Platinschiffchen  gleichzeitig  eine  Bestimmung 
der  Aschenmenge  auszufiihren  und  die  Asche  sogar  weiterer  Untersuchung  zu  un- 
terwerfen. Sie  sind  endlich  in  der  Ausführung  sehr  bequem,  weil,  wenn  der  Ap- 
parat einmal  zusammengesetzt  ist ,  für  die  einzelne  Analyse  kaum  Vorbereitungen 
nöthig  sind  und  weil  die  eine  Verbrennung  den  Apparat  gerade  in  dem  Zustand 
hinterlfisst,  in  welchem  er  für  die  nächste  brauchbar  ist 

Auch  Stickstoff  oder  Chlor  enthaltende  Körper  können  in  derselben  Weise 
analysirt  werden.  Man  hat  dann  nur  nöthig  in  den  vorderen  Theil  der  Röhre 
frisch  reducirtes  metallisches  Kupfer  oder  bei  chlorhaltigen  Substanzen  einige  Stücke 
chromsaures  Bleioxyd  einzuschieben. 

Bestimmung  des   Stickstoffs. 

Enthält   eine   organische   Verbindung  Stickstoff,  so    muss   derselbe    30. 
durch  eine  besondere  Operation  bestimmt  werden. 

Die  verschiedenen  Methoden  zur  quantitativen  Bestimmung  des  Stick- 
stofis  in  organischen  Körpern  können  nach  den  ihnen  zu  Grunde  liegen- 
den Principien  in  zwei  Gruppen  getheilt  werden.  Man  verbrennt  entweder 
die  organische  Substanz  mit  einem  Alkalihjdrat  und  bestimmt  die  Menge 
des  gebildeten  Ammoniaks;  oder  man  verbrennt  mit  oxjdirenden  Sub- 
stanzen und  bestimmt  die  Menge  des  in  Freiheit  gesetzten  Stickstoffs. 

Besünunung  des  Stickstoffs  als  Ammoniak. 

Methode  von   Will   und  Varrentrapp.    Die  Methode  beruht    31. 
darauf,  dass  stickstoffhaltige  organische  Substanzen    beim  Glühen  mit  ei- 
nem AlkaUbydrat  kohlensaures  Salz  erzeugen ,    während  der   Wasserstoff 
des  Hydrats  zur  Bildung  von  Ammoniak  verwendet  wird. 


26  Zasammensetsimg. 

KohlenBtoiEreiche  Substanzen  geben  bei  solcher  Verbrennung  anfangs  Cyan- 
metall,  bei  weiterem  Erhitzen  wird  dieses  durch  den  Ueberschuss  des  Alkalihydrata 
ebenfalls  zersetzt 

Die  Idee,  diese  von  Dumas  beobachtete  Reaction  zur  organischen  Elemen- 
taranalyse zu  verwenden ,  rührt  von  Berzelius  und  W ö h  1  c r ,  die  Anwendung 
selbst  und  die  Einführung  der  ungemein  einfachen  und  scharfen  Methode  von  Will 
und  Var  reu  trapp  her  (1841). 

32.  Ausführung.    Eine   gewogene  Menge   der   organischen   Substanz 

wird  mit  Natronkalk  (1  Theil  Natronhydrat  auf  2  Theüe  Aetzkalk)  ge- 
mischt und  in  eine  Verbrennungsröhre  a  d  so  eingefüllt,  dass  im  hinteren 
Theil  (a  b)  nur  Natronkalk,  im  mittleren  (b  c)  das  Gemenge,  im  vorderen 
Theil  (c  d)  wieder  nur  Natronkalk  enthalten  ist.  Ein  in  das  vordere 
Ende  eingeschobener  Asbestpiropf  verhindert  das  Uebergerissenwerden 
feiner  Ealktheilchen.  Die  Röhre  wird  vermittelst  eines  Korkes  mit  einem 
Glasapparat  in  Verbindung  gesetzt,   welcher   mit   concentrirter  Salzsäure 

gefdllt  ist.     Man   leitet  die 

If  f  l    a.  Verbrennung    wie    bei    der 

I  g^^^^^^^^^^^^  Bestimmung  des  Kohlenstoffs 

'v^      .  j^^*^"^^^^^^^^^^^^^^_  und  Wasserstoffs,  indem  man 

[.^^^^g/^^^^^^^^^^^^K^^^     ^on  c  nach  a   fortschreitend 
'- -  '^'^^^^^^SSI^^i^lml^^W     durch     glühend     aufgelegte 
~  ^~         "^  Holzkohlen    erhitzt.     Wenn 

die  Verbrennung  beendigt 
ist,  bricht  man  die  Spitze  der  Röhre  ab  und  saugt  vermittelst  eines  an 
den  Glasapparat  aufgesetzten  Saugrohrs  längere  Zeit  Luft  durch  den  Ap- 
parat Man  bestimmt  dann  die  Menge  des  in  der  Salzsäure  absorbirten 
Ammoniaks  nach  einer  der  zur  Bestimmung  des  Salmiaks  gewöhnlich  in 
Anwendung  kommenden  Methoden.  Gewöhnlich  entleert  man  den  Inhalt 
des  Glas-Apparates  in  eine  Porzellanschale ,  wascht  mit  einem  Gemenge 
von  Aether  und  Alkohol  aus ,  setzt  Platinchlorid  zu ,  dampft  zur  Trockne 
ein  und  extrahirt  mit  einem  Gemenge  von  Aether  und  Alkohol.  Der  un- 
gelöste Platinsalmiak  wird  auf  einem  gewogenen  Filter  gesammelt  und  in 
getrocknetem  Zustand  (100®)  gewogen. 

Bisweilen  ist  der  so  erhaltene  Platinsalmiak  durch  öl  -  oder  harzartige  Dcslil- 
lationsproducte  stark  verunreinigt;  es  ist  dann  zweckmössiger  denselben  durch 
Glühen  zu  zerstören  und  das  zurückbleibende  metallische  Platin  zu  wägen. 

Manche  Substanzen,  z.B.  der  Indigo,  entwickeln  beim  Glühen  mit  Natronkalk 
nicht  Ammoniak ,  sondern  dem  Ammoniak  ähnliche  organische  Basen.  Das  Platin- 
doppelsalz kann  dann  nicht  direct  gewogen  werden  *,  man  muss  vielmehr  das  beim 
Glühen  zurückbleibende  metallische  Platin  wägen. 

Sehr  stickstofifreichen  Substanzen  setzt  man  zweckmässig  etwas  Zucker  (oder 
eine  andre  stickstofffreie  Substanz)  zu,  um  durch  die  entstehenden  Kohlenwasser- 
stoffe etc.  das  gebildete  Ammoniak  zu  verdünnen  und  so  ein  etwaiges  Zurücksteigen 
der  Salzsäure  zu  vermeiden. 

Nöllner  hat  vorgeschlagen,   statt  der  Salzsäure  eine  Auflösung  von  reiner 


Quantitative  Analyse.  27 

Weinsäure  in  absolatem  Alkohol  zur  Absorption  des  Ammoniaks  anzuwenden  und 
den  in  absolutem  Alkohol  unlöslichen  l^ederschlag  von  saurem  weinsaurem  Am- 
moniak bei  100<^  zu  trocknen  und  zu  wägen. 

Audi  durch  Titration  kann  die  Menge  des  gebildeten  Ammoniaks  bestimmt 
werden.  P  e  1  i  g  o  t  absorbirt  dasselbe  in  einer  gemessenen  Menge  Schwefelsäure 
von  bekannter  Concentration  und  bestimmt  die  überschüssig  bleibende  Schwefel- 
säure vermittelst  einer  titrirten  Lösung  von  Aetzkalk  in  Zuckerwasser. 

Sehr  scharfe  Resultate  gibt  das  von  Mohr*)  vorgeschlagene  Titrationsver- 
fahren. Man  föngt ,  wie  gewöhnlich,  das  Ammoniak  in  Salzsäure  auf,  dampft  zur 
Verjagung  der  freien  Salzsäure  im  Wasserbad  zur  Trockne  ein,  löst  den  zurück- 
bleibenden Salmiak  in  Wasser  und  bestimmt  die  Menge  desselben  vermittelst  einer 
titrirten  Lösung  von  salpetersaurem  Silberoxyd,  um  dabei  die  Greri^e  scharf  be- 
stimmen zu  können,  setzt  man  der  Salmiaklösung  einen  Tropfen  saures  chrom- 
saures Kali  zu.  Es  entsteht  dann,  sobald  alle  Salzsäure  als  Chlorsilber  gefällt  ist, 
durch  den  ersten  überschüssigen  Tropfen  von  salpetersaui'em  Süberoxyd  ein  inten- 
siv gefärbter  Niederschlag. 

Die  Methode  von  Will  und  Varrentrapp  gibt,  bei  grosser  Bin- 
fachheit  und  Leichtigkeit  der  Ausführung,  ausnehmend  scharfe  Resultate 
und  wird  desshalb  fast  allgemein,  in  all  den  Fällen  angewandt,  in  wel- 
chen sie  anwendbar  ist.  Sie  passt  indessen  nicht:  filr  alle  die  Substanzen, 
welche  den  Stickstoff  als  Salpetersäure  enthalten,  oder  welche  durch  Ein- 
wirkung von  Salpetersäure  und  unter  Aufnahme  eines  Restes  der  Salpe- 
tersäure entstanden  sind  (s.  g«  IHtrokörper).  Solche  Substanzen  geben 
zwar  beim  Verbrennen  mit  Natronkalk  einen  Theil  ihres  Stickstoffs  als 
Ammoniak,  aber  die  Ammoniakbildung  ist  stets  unvollständig;  durch 
Zusatz  von  Zucker  oder  anderen  kohlenstofireichen  Substanzen  kann  die 
Menge  des  Ammoniaks  vermehrt  werden  (selbst  Salpeter  gibt  bei  solcher 
Verbrennung  Ammoniak),  aber  niemals  wird  aller  Stickstoff  in  Form  von 
Ammoniak  entwickelt 

Bestimmung  des  Stickstoffs  als  Stickstoffgas. 

Eis  ist  oben  (§.  30)  schon  erwähnt  worden,  dass  bei  der  Yerbren-  ^^' 
nung  sückstoflhaltiger  Substanzen  mit  oxydirenden  Körpern  der  Stickstoff 
als  Gas  abgeschieden  wird.  Auch  wurde  bereits  darauf  aufmerksam  ge- 
macht ($.28),  dass  dabei  häufig  etwas  Stickoxjd  gebildet  wird  und  dass 
dieses  durch  metallisches  Kupfer  zu  Stickstoff  reducirt  werden  kann.  Bei 
Bestimmung  des  Stickstoffs  nach  einer  der  folgenden  Methoden  bringt 
man  desshalb  stets  in  den  vorderen  Theil  der  Verbrennungsröhre  metal- 
lisches Kupfer  und  erhält  dieses  während  der  ganzen  Verbrennung  im 
Glühen.  Man  kann  nun  entweder  die  ganze  Menge  des  gebildeten  Stick- 
stoffs bestimmen  (absolute  oder  quantitative  Methoden);  oder  man  ermittelt 


♦)  lieb.  Jahrb.  1856.    S.  718  und  732.    ~     Ann.   Chem.    Pharm.   XCVH.   und 
XCIX.  197. 


28  ZuBammensetEung. 

in  den  gasförmigen  Producten  der  Verbrennung  das  Yerhältniss  des  Stick- 
stoffs zur  Kohlensäure  (relative  oder  s.  g.  qualitative  Methoden). 

Relative  Methoden. 

34.  Methode  von  Liebig.  Man  verbrennt  ein  Gemenge  der  zu 
untersuchenden  Substanz  mit  Eupferoxyd  und  vorgelegtem  metallischem 
Kupfer  in  einer  Verbrennungsröhre,  treibt  erst  durch  Verbrennung  eines 
Theiles  des  Gemenges  die  im  Apparat  befindliche  Luft  einigermassen  aus 
und  fängt  die  bei  Verbrennung  des  übrigen  Theiles  des  Gemenges  sich 
bildenden  Gase  über  Quecksilber  in  graduirten  Röhren  auf.  Man  ermittelt 
dann  für  jede  einzelne  Röhre  das  Verhältniss  der  Kohlensäure  zum  Stick- 
stoff in  folgender  Weise.  Man  bringt  die  Röhre  in  einen  mit  Quecksilber 
gefüllten  Cylinder  und  liest,  während  die  Röhre  so  gehalten  wird,  dass 
das  Quecksilbemiveau  innerlich  und  ausserhalb  möglichst  gleich  hoch 
steht,  das  Gesammtvolum  der  Gase  ab.  Man  bringt  dann  vermittelst  ei- 
ner unten  umgebogenen  Pipette  Kalilauge  in  die  Röhre,  lässt  durch 
Schütteln  die  Kohlensäure  absorbiren  und  misst  das  Volum  des  rückstän- 
digen Stickstoff.  Das  Mittel  von  6  oder  mehr  Röhren  gibt  das  Verhält- 
niss von  Stickstoff  zu  Kohlensäure;  also  von  Stickstoff  zu  Kohlenstoff. 

Die  Methode  setzt ,  wie  alle  relativen  Methoden ,  voraus ,  dass  der  Eohlen- 
stoflf  durch  eine  besondere  Bestimmung  schon  ermittelt  ist.  Sie  gibt  erfahrungs- 
mässig  fär  alle  die  Substanzen,  welche  auf  1  Atom  Stickstoff  nicht  mehr  als 
4  Atome  Kohlenstoff  (B  =  12)  enthalten,  hinlänglich  genaue  Resultate,  ist  aber 
für  alle  Substanzen,  welche  weniger  Stickstoff  entlialten,  nicht  anwendbar. 

35.  Methode  von  Bunsen.  Bunsen  nimmt  die  Verbrennung  in  einer 
auf  beiden  Seiten  zugeschmolzenen  Röhre,  welche  vorher  durch  Einleiten 
von  Wasserstoff  und  wiederholtes  Auspumpen  luftieer  gemacht  worden 
war,  vor.  Die  Röhre  wird  in  einem  Cylinder  von  Eisenblech  eingelegt 
und  der  Zwischenraum  mit  Gjps,  Sand  oder  Lehm  ausgestopft;  die  so 
eingepresste  Röhre  wird  dann  zum  Rothglühen  erhitzt.  Nach  dem  Er- 
kalten öfinet  man  die  Röhre  unter  Quecksilber;  fängt  die  Gase  imEudio- 
meter  auf  und  bestimmt  durch  Absorption  mit  Kali  die  Menge  der  mit 
dem  Stickstoff  gemischten  Kohlensäure. 

Die  Methode  gibt  ausnehmend  scharfe  Resultate,  bietet  aber  in  der  Ausfüh- 
rung so  viele  Schwierigkeiten  dar,  dass  sie  selten  in  Anwendung  kommt.  Weit 
einfacher  und  ebenfalls  genau  ist  die : 

36.  Methode  von  Gottlieb  *J,  eine  Verbesserung  der  von  Mar- 
chand vorgeschlagenen   und    von  Delbrück    beschriebenen  Methode. 


•)  lieb.  Jahrb.  1851.  624.  —    Ann.  Chem.  Pharm.  LXICVIII.  241. 


(iaaatitatiTe  Analyse. 


29 


Hau  beschickt  die  Verb  renn  ungs  röhre 
in  folgender  Weise:  a  b  Kupfer- 
oxyd ;  b  c  Gemenge  der  zu  an alj siren- 
den Substanz  mit  Kupferoxjd ;  c  d  und 
d  e  Kiipferoxyd ;  e  f  metaUieches  Ku- 
pfer; fg  Chlorcalciiim.  Die  m  gefüllte 
Röhre  wird  dann  bei  g  ausgezogeD  und 
_ •--=^=-  ---^  ~J~:-^  ■:^^"^^zi  mit   einem   mindestens   28  Zoll    langen 

Gasentwickelungsrohr  in  Verbindung 
gesetzt  Man  leitet  dann  aus  einem  bei  a  angefügten  Wasserstoffgas- 
apparat etwa  zwei  Stunden  lang  Wasserstoff  durch  dieselbe  und  schmilzt 
bei  a  zu.  Man  erhitzt  einen  Theil  des  Kupferoxydes  (d  e)  und  erzeugt 
so  in  der  Röhre  durch  Verbrennung  des  sie  erflallenden  Wasserstoffgases 
einen  luftleeren  oder  wenigstens  sehr  luftverdünnten  Raum.  Wie  weit 
dies  geschehen  ist,  kann  leicht  durch  den  Stand  des  Quecksilbers  in  der 
Gasentwickelungsröhre,  welche  selbst  als  Barometerröhre  wirkt,  oontrolirt 
werden.  Die  Verbrennung  geschieht  dann  wie  gewöhnlich;  die  Gase 
werden  in  einer  graduirten  Glocke  aufgefangen  und  in  ihnen  das  Ver- 
hältniss  des  Stickstoffs  zur  Kohlensäure  bestimmt. 

Ausser  den  hier  mitgetheilten  Methoden  ist  noch  eine  Anzahl  von  Modifi- 
cationen  beschrieben  worden;  die,  mitgetheilten  durch  die  Erfahrung  bewährten 
Methoden  genügen,  um  von  der  Ausführung  solcher  relativen  Analysen  einen  Be- 
griff zu  geben. 


Absolute  Methoden. 

Wenn  der  bei  der  Verbrennung  einer  gewogenen  Menge  von  Sub-  37. 
stanz  erzeugte  Stickstoff  ohne  Verlust  aufgefangen  und  genau  gemessen 
werden  soll,  ist  es  stets  nöthig,  einerseits  den  Apparat  vor  der  Verbren- 
nung vollständig  luftleer  *zu  machen ,  andrerseits  nach  der  Verbrennung 
den  noch  in  der  Röhre  enthaltenen  Stickstoff  vollständig  auszutreiben. 
Beides  geschieht  durch  Kohlensäure,  welche  man  gewöhnlich  in  der  Ver- 
brennungsröhre selbst  entwickelt.    Am  meisten  in  Gebrauch  ist  die 

Methode   von   Dumas.    Die   ziemlich  lange  Verbrennungsröhre    38. 
enthält:  e  f  doppelt-kohlensaures  Natron;   d  e  Kupferoxyd;  c  d  Gemenge 
von  Substanz  mit  Kupferoxyd;   b  c  Kupferoxyd;  a  b  metallisches  Kupfer. 
Man  erhitzt  zuerst  die  eine  Hälfte  des  doppelt-kohlensauren  Natrons  und 


30 


ZusammensetBung. 


treibt  so  durch  die  sich  entwickelnde  Kohlensäure  alle  Luft  aus  dem  Ap- 
parat aus.    Sobald  dies  geschehen,  sobald  also  die  austretenden  Gasblasen 


vollständig  von  Kalilauge  absorbirt  worden,  beginnt  man  die  Verbrennung, 
indem  man  zunächst  das  metallische  Kupfer  (ab)  und  das  Kupferoxyd 
(b  c)  und  dann  das  Gemenge,  wie  gewöhnlich  von  c  nach  d  fortschreitend 
erhitzt  Die  entweichenden  Gase  werden  über  Quecksilber  in  einer  gra- 
duirten  Glasglocke  aufgefangen,  welche  zum  Theil  mit  Kalilauge  gefüllt 
ist.  Wenn  die  Verbrennung  beendigt  ist,  zersetzt  man  die  zweite  Hälfte 
des  doppelt  kohlensauren  Natrons  und  treibt  allen  in  der  Verbrennungs- 
röhre noch  befindlichen  Stickstoff  ebenfalls  in  die  graduirte  Glocke.  Es 
bleibt  nun  noch  übrig,  die  Menge  des  gesammelten  Stickstoffs  zu  bestim- 
men. Man  bringt  zu  dem  Zweck  die  mit  einer  Schale  unterfangene  Glas- 
glocke in  ein  grosses  mit  Wasser  gefülltes  Gefäss;  lässt  das  Quecksilber 
und  die  Kalilauge  austreten;  hält  die  Glocke  so,  dass  das  Wasser  inner- 
halb und  ausserhalb  gleich  hoch  steht  und  liest  das  Volum  des  Stickstoff- 
gases ab.  Man  beobachtet  gleichzeitig  die  Temperatur  des  Wassers  und 
den  Barometerstand  und  findet  das  Gewicht  P.  der  gemessenen  Stickstoff- 
menge nach  der  Formel: 

P  =  °°«^256.  V.  1  ^  o!o0367.  t»  -^ 

(worin  V  das  beobachtete  Gasvolum  in  Cub.  Cent.  m. ;  t*  die  Temperatur  des  Was- 
sers, B  den  Barometerstand  in  Millimetern  und  f  die  Tension  des  Wassers  bei  der 
Temperatur  t^  und  ausgedrückt  in  Millimetern,  bezeichnet.) 

Die  Methode  von  Dumas  gibt  den  Stickstoff  meist  etwas  zu  hoch,  weil  die 
in  dem  Apparat  enthaltene  Luft  nie  vollständig  durch  die  Kohlensäure  verdrängt 
wird.  Kommt  es  auf  grössere  Genauigkeit  an,  so  ist  es  zweckmässige  zwischen 
der  Verbrennungsröhre  und  dem  Gasentwicklungsrohr  eine  Luftpumpe  einzuschalten 
(wobei  natürlich  das  Gasentwicklungsrohr  die  Länge  einer  BarometeiTöhre  haben 
muss)  und  durch  Auspumpen,  oder  noch  besser  durch  mehrmals  wiederholtes  ab- 
wechselndes Entwickeln  von  Kohlensäure  und  Auspumpen,  die  Luft  möglichst  aus 
dem  Apparat  zu  entfernen.  Bei  solchen  genauen  Stickstoffbestimmungen  ist  es 
dann  aber   auch  nöthig,    statt  des  einfachen  Messens  des  Stickstoffs  über  Wasser 


Quantitative  Analyse. 


31 


(was  übrigens  fEir  gewöhnliche  Zwecke  hinlänglich  genaue  Resultate  gibt)  diesen 
im  Eudiometer  mit  all  der  Genauigkeit  zu  messen,  deren  die  Gasanalyse  fUhig  ist. 
Statt  des  doppelt  kohlensauren  Natrons  bediente  sich  Dumas  früher  des 
kohlensauren  Bleioxyds  oder  des  kohlensauren  Kupferoxyds.  Man  kann  die  Koh- 
lensäure auch  ausserhalb  der  Verbrennungsröhre  in  einem  besonderen  Apparat 
entwickeln;  ein  Verfahren,  welcUes  sogar  ein  vollständigeres  Austreiben  der  Luft 
möglich  macht,  weil  man  beliebig  lange  Kohlensäure  durch  die  Röhre  kann  strö- 
men lassen.  Einen  sehr  geeigneten  Apparat  zu  diesem  Zweck  hat  Schiel  *)  an- 
gegeben. 

Simpson'*''*')  hat  eine Modification  der  Dumas'schen  Methode  an-  39. 
gegeben,  deren  Vortheil  wesentlich  darin  besteht,  dass  die  Art  des  Auf- 
fangens und  des  Messens  des  Stickstoffs  weit  grössere  Genauigkeit  dar- 
bietet. Er  entwickelt  die  zur  Verdrängung  der  Luft  dienende  Kohlensäure 
aus  kohlensaurem  Manganoxydul.  Die  Yerbrennungsröhre  enthält:  ab 
kohlensaures  Manganoxydul;  b  c  Gemenge  der  zu  analysirenden  Substanz 
mit  Kupferoxyd  und  Quecksilberoxyd ;  c  d  Kupferoxyd ;  d  e  metallisches 
Kupfer.  ^Nachdem  durch  Erhitzen  eines  Theils  des  kohlensauren  Mangan- 
oxyduls alle  Luft  ausgetrieben  worden,  verbrennt  man  wie  gewöhnlich 
und  f^gt  die  Gase  in  dem  mit  Quecksilber  und  Kalilauge  gefällten  Queck- 


silbergasometer auf,  aus  welchem  der  Stickstoff  dann  ohne  allen  Verlust 
in  ein  Eudiometer  übergefQllt  und  mit  all  den  fUr  eudiometrische  Mes- 
sungen nöthigen  Cautelen  und  Correcturen  bestimmt  werden  kann. 

Die  Bestimmung  des  Stickstoffs  nach  der  Methode  von  Dumas 
(oder  einer  Modification  derselben)  ist  fQr  alle  organische  Substanzen, 
auch  für  Nitroverbindungen  und  fOr  salpetersäurehaltige  Körper  anwend- 
bar, sie  kommt  indessen,  des  complicirteren  Verfahrens  wegen,  meist  nur 
in  den  Fällen  zur  Anwendung,  in  welchen  die  Methode  von  Will  und 
Varren trapp  nicht  anwendbar  ist. 

In  einzelnen  seltenen  Fällen  lässt  sich  indessen  der  Stickstoff  auch 
nach  dieser  Methode   nicht  bestimmen,   weil   die  Bildung  von  Stickoxyd 


•)  lieb.  Jahrb.  1855.  795.  —  Silliman's  american  Journal.  [2]  XX.  221.  — 
♦♦)  Ann.  Chem.  Pharm.  XCV.  68. 


32  ZuBammensetEimg. 

nicht  vollständig  vennieden  werden  kann;  man  muBS  dann  aus  dem  er- 
haltenen Oasgemenge  das  Stickoxjd  mittelst  schwefelsauren  Eisenoxyduls 
absorbiren  und  mit  in  Rechnung  bringen*). 

Bestimmung  des  Sauerstoffs. 

40.  Zur  Bestimmung  des  Sauerstoffs  in  organischen  Substanzen  ist  bis 
jetzt  keine  directe  Methode  bekannt,  die  bei  hinlänglicher  Einfachheit  der 
Ausführung  hinlängliche  Genauigkeit  der  Resultate  darböte  **).  Der  Sauer- 
stoffgehalt organischer  Verbindungen  wird  immer  aus  dem  Verlust  be- 
stimmt * 

Bestimmung  anderer  Elemente  in  organischen  Körpern. 

41.  Es  ist  oben  (5.  22.)  schon  erörtert  worden,  dass  nur  der  Kohlen- 
stoff, Wasserstoff  und  Stickstoff  durch  besondere  der  organischen  Elemen- 
taranalyse eigenthümliche  Methoden  bestimmt  werden,  während  alle  übri- 
gen Bestandtheile  organischer  Verbindungen  entweder  direct  nach  den 
gewöhnlichen  analytischen  Methoden  oder  so  bestimmt  werden,  dass  man 
zunächst  den  organischen  Körper  zerstört  und  in  dem  unorganischen 
Rückstand  die  Bestimmung  nach  den  gewöhnlichen  Methoden  vornimmt. 
Eine  ausführliche  Beschreibung  dieser  Methoden  erscheint  desshalb  über- 
flüssig; es  können  hier  nur  die  Methoden  angegeben  werden,  welche  man 
gewöhnlich  zur  Zerstörung  der  organischen  Verbindung  in  Anwendung 
bringt  In  den  meisten  Fällen  ist  es  nöthig,  die  Zerstörung  durch  Glüh- 
hitze vorzunehmen. 

Fast  alle  Metalle  oder  Metalloxyde  können  so  bestimmt  wer- 
den, dass  man  die  organische  Verbindung  in  einem  Tiegel  glüht  und  das 
zurückbleibende  Metall,  Metalloxyd,  kohlensaure  Salz  u.  s.  w.  direct  wägt 
oder  durch  geeignete  Behandlung  in  zum  Wägen  brauchbare  Verbindun- 
gen überfahrt 

Zur  Bestimmung  von  Chlor  oder  Brom  glüht  man  eine  gewogene 
Menge  der  zu  untersuchenden  Substanz  mit  chlorfreiem  Aetzkalk  in  einer 
Verbrennungsröhre;  löst  den  Röhreninhalt  in  verdünnter  Salpetersäure,  fil- 
trirt  und  bestimmt  die  gebildete  Salzsäure  als  Ghlorsilber  durch  Fällen  mit 
salpetersaurem  Siiberoxyd. 

Zur  Bestimmung  von  Schwefel,  Phosphor,  Arsenik  etc.  zer- 
setzt man  die  organische  Substanz  mit  oxydirenden  Körpern  und  bestimmt 
die  Menge  der  gebildeten  Schwefelsäure,  Phosphorsäure  oder  Arsensäure 
nach  den  gewöhnlichen  analytischen  Methoden.     Nur  in  seltenen  Fällen 


♦)  vgl.  Prankland.    Ann.  Chem.  Pharm.  XCIX.  360. 

••)  vgl.  übrigens  Baumhauer's   Methode.     Lieb.    Jahresb.    1864.  740  und  1865. 
768.    Ann.  Chem.  Pharm.  XC.  228. 


Quantitative  Analyse.  33 

gelingt  es  durch  Kochen  der  organischen  Substanz  mit  Salpetersäure  oder 
mit  Salzsäure  und  chlorsaurem  Kali  eine  vollständige  Oxydation  zu  er- 
reichen. Bisweilen  (z.  B.  bei  eiweissartigen  Körpern)  nimmt  man  die 
Oxydation  so  vor,  dass  man  die  Substanz  mitAetzkali  schmilzt  und  nach 
und  nach  Salpeter  einträgt  Meistens  mischt  man  die  zu  analysirende 
Substanz  mit  kohlensaurem  Natron  und  Salpeter  oder  besser  mit  kohlen- 
saurem Natron  und  chlorsaurero  Kali  *)  und  nimmt  das  Glühen  in  einer 
Verbrennungsröhre  vor.  Noch  zweckmässiger  ist  es,  (nach  RusseTs 
Vorschlag)  ein  Gemenge  von  Quecksilberoxyd  und  kohlensaurem  Natron 
(zu  etwa  gleichen  Theilen)  anzuwenden. 

Analyse  gasförmiger  Körper. 

Grasfbrmige  Körper  können  nach  der  für  andere  Körper  gewöhnlichen  42. 
Methode,  durch  Verbrennen  mit  Kupferoxyd  analysirt  werden.  Eine  re- 
lative Bestimmung  des  Kohlenstoff-  und  Wasserstoffgehaltes  eines  Gases 
bietet  keinerlei  Schwierigkeiten  dar.  Eine  absolute  Analyse  dagegen 
macht  die  Anwendung  eigenthQmlicher  gasometrischer  Methoden  nöthig. 
Da  indess  Analysen  der  Art  nur  ausnehmend  selten  ausgeführt  werden, 
scheint  eine  Beschreibung  der  dazu  dienlichen  Methoden  ungeeignet. 

Weit  häufiger  als  durch  die  gewöhnliche  Verbrennungsanalyse  wird 
die  Zusammensetzung  gasförmiger  Substanzen  durch  die  gasometrische 
oder  eudiometrische  Analyse  ermittelt.  Eine  Beschreibung  dieser 
Methoden  würde  indessen  zu  weit  führen;  wir  verweisen  daher  auf  R. 
Bunsen's  gasometrische  Methoden.   Braunschweig,  1857.  — 

Ableitung  der  Formel  aus  den  Ergebnissen  der 

Analyse. 

Berechnung   der   procentischen   Zusammensetzung  aus 
den  directen  Ergebnissen   der  Analyse. 

Die  organische  Elementaranalyse   gibt   den   Kohlenstoff  der  unter-  43. 
suchten  Substanz  stets   als  Kohlensäure,    den  Wasserstoff  in   Form   von 
Wasser.    Der  Stickstoff  wird  entweder  in  gasförmigem  Zustand  gemessen 
oder  in  Form  von  Ammoniak,  meist  als  Platinsalmiak,  gewogen. 

Da  nun  44  Gewichtstheile  Kohlensäure  (OO,)  12  Gewichtstheile  Kohlen- 
stoff enthalten,  also  11  Theiie  Kohlensäure  3  Theile  Kohlenstoff^  so  fin- 
det man  das  Gewicht   des  in  der  gefundenen  Menge  Kohlensäure  eirthal- 


*)  Dabei  müssen  stets  auf  1  Theil  Salpeter  oder  chlorsaures  Kali  mindestens 
8  Theile  kohlensaures  Katron  angewandt  werdea,  weil  sonst  äusserst  gefähr- 
liche Explosionen  eintreten  können. 
KckaU,  orgaa.  Chaal«.  8 


34  ZoBanunenBetzung. 

tenen  Kohlenstoffs,  wenn  man  das  Gewicht  der  gefundenen  Kohlensäure 
mit  3  multiplicirt  und  mit  11  dividirt 

Da  ferner  9  Theile  Wasser  1  Gewichtstheil  Wasserstoff  enthalten,  so 
findet  man  die  Menge  des  in  der  untersuchten  Substanz  enthaltenen  Wasser- 
stoffs, indem  man  das  Gewicht  des  gefundenen  Wassers  mit  9  dividirt 


«^=       9. 

Der  Stickstoff  endlich  ergibt  sich  aus  dem  gewogenen  Platinsalmiak  oder 
aus  der  Menge  des  gebildeten  Platins  durch  einfache  Regel  de  tri ;  (223-2 
Th.  Platinsalmiak  enthalten  14  Th.  Stickstoff;  98-7  Th.  Platin  entsprechen 
14  Theilen  Stickstoff).  In  welcher  Weise  bei  der  Bestimmung  des  Stick- 
stoffs nach  Dumas 's  Methode  das  beobachtete  Volum  in  das  entspre- 
chende Gewicht  umgerechnet  wird,  ist  §.  38.  schon  angegeben. 

Eine  einfache  Regel  de  tri :  Multiplication  der  gefundenen  Mengen 
Kohlenstoff,  Wasserstoff  und  Stickstoff  mit  100  und  Division  mit  dem  Ge- 
wicht der  zur  Analyse  verwendeten  Substanz  gibt  dann  die  in  100  Thei- 
len Substanz  enthaltenen  Mengen  Kohlenstoff,  Wasserstoff  und  Stickstoff. 

Berechnung  des  Sauerstoffs.  Da  der  Sauerstoff  in  organi- 
schen Körpern  nie  direct  bestimmt,  sondern  stets  aus  dem  Verlust  be- 
rechnet wird,  so  ergibt  sich  die  Menge  des  in  100  Theilen  der  Substanz 
enthaltenen  Sauerstoffs  einfach,  indem  man  die  Summe  der  Procentgehalte 
der  übrigen  Elemente  von  100  abzieht  und  die  Differenz  als  Sauerstoff 
in  Rechnung  bringt 

Diese  Berechnung  setzt  natürlich  voraus,  dass  alle  in  der  Substanz  enthal- 
tenen Bestandthcile  nüt  Ausnahme  des  Sauerstoffs  quantitativ  bestimmt  worden 
sind  und  dass  man  sich  durch  sorgfältige  Versuche  davon  überzeugt  hat,  dass  aus- 
ser den  bestimmten  Elementen  kein  anderes  in  der  Verbindung  enthalten  ist 

Die  Geschichte  der  Chemie  kennt  ein  Beispiel,  welches  die  Nothwendigkeit 
dieser  Prüfung  auf  andere  Elemente  in  auffallender  Weise  darthut.  Das  Taurin, 
von  Gmelin  1831  entdeckt,  wurde  analysirt  von  Demargay  1837  und  von  Fe- 
lo uze  und  Dumas  1837^  die  Analysen  führten  nur  Kohlenstoff,  Wasserstoff, 
Stickstoff  und  Sauerstoff  als  Bestandtheile  des  Taurins  auf  und  erst  Redten- 
b  ach  er  wies  1846  nach,  dass  das  Taurin  Schwefel  enthält  (und  zwar  über  20*/|>) 
der  von  sämmtlichcn  Chemikern  vorher  übersehen  worden  war. 

Ableitung  des  atomistischen  Verhältnisses. 

44.  Die  Chemiker  sind  gewohnt,  die  Zusammensetzung  der  Körper  nicht 

in  den  Gewichtsverhältnissen  der  Bestandtheile,  also  nicht  in  procentischer 
Zusammensetzung  auszudrücken;  sie  bedienen  sich  vielmehr  eigenthüm- 
licher Symbole,  der  Formeln,  deren  einzelne  Buchstaben  nicht  nur  qua- 
litative, sondern  auch  quantitative  Bedeutung  haben.  Manche  Chemiker 
wollen  die  einzelnen  Zeichen  für  die  Aequivalente  der  Elemente  gelten 
lassen,  weit  zweckmässiger   ist  es,   durch  sie   die  Atome  der  Elemente 


Ableitung  der  Formel.  35 

aaszudrücken ,   d.  h.    die   kleinsten   chemisch    untheilbaren   Mengen    der- 
selben. 

Es  bleibt  späteren  Betrachtungen  (§.  162  if.)  vorbehalten,  den  Begriff  von  Atom 
n&her  festzustellen  und  die  Mittel  anzugeben,  welche  zur  Feststellung  der  relativen 
Atomgrösse  der  einzelnen  Elemente  führen.  Fflr  jetzt  genügt  es,  die  relative  Grösse 
der  Atome,  also  die  Atomgewichte  derjenigen  Elemente  mitzutheilen ,  die  in  den 
nächstfolgenden  Betrachtungen  vorkommen. 

Wenn  H  =  1,  so  ist:  €  =  12;  O  =  16;  S  =  32;  etc. 

Wenn  man  aus  den  Oewichtsverhältnissen,  nach  welchen  45. 
die  Elemente  in  einer  Verbindung  enthalten  sind,  das  atomistische  Ver- 
hältnisse d.  h.  die  relative  Anzahl  der  Atome  der  einzelnen  Elemente, 
die  in  der  Verbindung  enthalten  sind ,  ableiten  will ,  so  hat  man  nur  nö- 
thig,  in  die  durch  die  Analj'se  gefundenen  Oewichtsmengen  (seien  es  nun 
die  direct  gefundenen  oder,  was  in  den  meisten  Fällen  vorzuziehen  ist, 
die  auf  100  Th.  Substanz  umgerechneten)  mit  den  Atomgewichten  der  be- 
treffenden Elemente  zu  dividiren.  Die  so  gefundenen  Quotienten  drücken 
schon  die  Verhältnisse  aus,  nach  welchen  die  Atome  in  der  Verbindung 
enthalten  sind.  Da  aber,  dem  BegrifT  von  Atom  nach,  Bruchtheile  von 
Atomen  unmöglich  sind,  so  hat  man  die  einfachsten  ganzen  Zahlen  auf- 
zusuchen, welche  dieses  Verhältniss  ausdrücken. 

Es  geschieht  dies  in  den  meisten  Fällen  am  einfachsten,  indem  man  den 
kleinsten  Quotienten  als  1  annimmt,  also  mit  diesem  in  die  übrigen  dividirt. 

Einige  Beispiele  werden  die  Art  der  Berechnung  deutlicher  zeigen : 

Die  Analyse  des  Terpentinöls  habe  z.  B.  gegeben: 

0.25O0  Gramm  Substanz  gaben:  0.8085  Grm.  Kohlensäure  und  0.2655  Grm. 
Wasser. 

Diese  0.8085  Grm.  Kohlensäure  enthalten  0.2205  Grm.  Kohlenstoff. 
„      0.2655      „      Wasser  „         0.0295      „     Wasserstoff. 

In  100  Theilen  Terpentinöl  sind  demnach  enthalten: 

e  =  88 .  20 
H  =  11.80 
100.00. 
Da  die  Summe  des  durch  die  Analyse  gefundenen  Kohlenstoffs  und  Wasser- 
stoffs gleich  ist  dem  Gewicht  der  angewandten  Substanz  (oder  da  der  Procentgehalt 
an  Kohlenstoff -f- <1^™  Procentgehalt  an  Wasserstoff  gerade  100  gibt),  so  sieht  man 
zunächst,    dass  der  untersuchte  Körper  keinen  Sauerstoff  enthält,    dass  er  nur  aus 
Kohlenstoff  und  Wasserstoff  besteht. 

Um  nun  zu  finden,  in  welchem  Verhältniss  die  Anzahl  der  Kohlenstoffatome 
zur  Anzahl  der  Wasserstoffatome  steht,  dividirt  man  in  die  Procentzahlen  mit  den 
betreffenden  Atomgewichten: 

Procentgehalt.  Atomgewicht.  Quotient 

e  =  88.20  12  7.35 

H  =  11.80  1  11.80. 

Man  findet  die  Substanz  enthält  auf  7.35  Atome  Kohlenstoff  11. 80  Atome  Wasser- 
stoff; ihre  Zusammensetzung  könnte  ausgedrückt  werden  durch: 

^T'Si  H|i.a 

8  ♦ 


36  ZusammensetEung. 

Sucht  man  die  einfachsten  ganzen  Zahlen  auf,  welche  dasselbe  Verfafiltniss 
ausdrücken,  berechnet  man  also  wie  viel  Atome  Wasserstoff  auf  1  Atom  Kohlen- 
stoff enthalten  sind,  so  findet  man 

"7736-  ^•^• 

Das  Terpentinöl  enthält  demnach  auf  1  Atom  Kohlenstoff  1.6  Atome  Was- 
serstoff, oder  auf  10  Atome  Kohlenstoff  16  Atome  Wasserstoff-,  seine  Zusammen- 
setzung wird  ausgedrückt  durch  die  atomistische  Verhältnissformel: 

Oio  H,i  oder  0|  He. 

Angenommen  man  habe  durch  die  Analyse  gefunden :  die  krystallisirte  Essig- 
säure enthält  in  100  Theilen:  39.96  Th.  Kohlenstoff  und  6.74  Th.  Wasserstoff;  so 
zeigt  dies  zunächst,  dass  die  Essigsäure  ausser  Kohlenstoff  und  Wasserstoff  noch 
ein  anderes  Element  enthält.  Hat  man  sich  nun  durch  die  qualitative  Analyse  da- 
von überzeugt,  dass  die  Essigsäure  kein  anderes  durch  Reactionen  nachweisbares 
Element  enthält,  so  wird  das  an  100  fehlende  als  Sauerstoff  in  Rechnung  gebracht 

Die  Essigsäure  enthält  also  in  100  Theilen: 


Procentgehalt 

Atomgewicht 

Atomistisches 
Verhältniss. 

e  =  89.96 

12 

8.88. 

H  =    6.74 

1 

6.74. 

0  =68.30 

16 

8.80. 

Dividirt  man  in  diese  Procentzahlen  mit  den  betreffenden  Atomgewichten,  so 
findet  man  die  Quotienten  8.33:6.74:8.40,  welche  das  Verhältniss  der  Anzahl 
der  in  der  Essigsäure  enthaltenen  Atome  Kohlenstoff,  Wasserstoff  und  Sauerstoff 
ausdrücken.  Diese  Verhältnisszahlen  entsprechen  nun  hinlänglich  genau  dem  Verhält- 
niss 1:2:1,  um  annehmen  zu  dürfen,  dass  die  Essigsäure  auf  1  Atom  Kohlenstoff, 
2  Atome  Wasserstoff  und  1  Atom  Sauerstoff  enthält  Der  einfachste  Ausdruck  der 
atomistischen  Zusammensetzung  der  Essigsäure  ist  demnach: 

eH,e. 

46.  Durch  einfache  Rechnung  leitet  sich  also  aus  den  directen  Ergeb- 
nissen der  Analyse  das  atomistische  Verhältniss,  die  atomistische  Zusam- 
mensetzung ab;  aber  man  sieht  leicht,  die  Analyse  lehrt  nur  das  Verhält- 
niss der  Anzahl  der  Atome  der  einzelnen  Elemente,  also  die  relative 
Anzahl  der  Atome  kennen;  sie  gibt  in  keiner  Weise  Aufschluss  darüber, 
wieviel  Atome  eines  jeden  Elementes  in  der  Verbindung  enthalten  sind; 
sie  lehrt  nicht  die  absolute  Anzahl  def  Atome  kennen. 

Wir  erfahren  durch  die  Analyse  also  nicht,  ob: 
das  Terpentinöl  =  OsHs    oder  6ioHi«    oder  BuHu  etc. 
die  Essigsäure    =  ^HaO  oder  ^iH«^!  oder  6iH<0s  oder  64H«04  etc. 
Denn  diese  verschiedenen  Formeln,  als  Multipla  von  einer,  drücken  dasselbe  Ver- 
hältniss der  Anzahl   der  Atome  aus  und   entsprechen  alle  derselben  procentischen 
Zusammensetzung. 

47.  Es  ist  einleuchtend,  dass  die  durch  die  Analyse  gefundene  procen- 
tische  Zusammensetzung  niemals  vollständig  genau  einem  einfachen  ato- 
mistischen Verhältniss  entsprechen  wird.  Eine  absolute  Uebereinstim- 
mung  kann  auch  bei  den  schärfsten  Bestimmungsmethoden  nicht  erlangt 


Ableitimg  der  Fonnel.  37 

werden.  Eine  Analyse  ist  indessen  zur  Ableitung  der  Fonnel  brauchbar,  wenn 
sie  so  genau  ist,  dass  sie  das  Verhältniss,  nach  welchem  die  Atome  in  der 
Verbindung  enthalten  sind,  unzweideutig  erkennen  lässt;  wenn  also  die 
aus  dem  atomistischen  Verhältniss  berechnete  procentische  Zusammen- 
setzung mit  der  durch  den  Versuch  ermittelten  hinlänglich  genau  über- 
einstimmt. Han  pflegt  desshalb  stets,  wenn  man  aus  einer  Analyse  die 
atomistische  Zusammensetzung  einer  Substanz  herleitet,  die  empirisch  ge- 
fundene procentische  Zusammensetzung  mit  der  aus  dem  atomistischen 
Verhältniss  berechneten  oder  der  s.  g.  theoretischen  Zusammensetzung  zu 
vergleichen. 

In  'welcher  Weise  man  aus  der  atomistischen  Zusammensetzung  den  theore- 
tiBchen  Procentgehalt  berechnet ,  ist  selbstverständlich ;  man  mnltiplicirt  ftir  jedes 
Element  die  Anzahl  der  Atome  mit  dem  Atomgewicht;  man  erhält  so  die  Gewichts- 
▼erhältnisae  der  Elemente,  die  man  dann  noch  auf  100  umrechnet.  Das  Terpen- 
tinöl z.  B.  zeigte  das  atomistische  Verhältniss  'GiH«,  daraus  berechnet  sich  die 
theoretische  Zusammensetzung  88.24%  Kohlenstoff  und  11.76 «/o  Wasserstoff,  die 
mit  der  durch  den  Versuch  gefundenen  hinlänglich  genau  Übereinstimmt. 

Theorie.  Versuch. 

€,  =r  60  —  88.24  88.20 

H»  =    8  —  11.76  11 .80 

68      100.00. 

In  ähnlicher  Weise  findet  man,  dass  die  aus  der  vorhin  für  die  Essigsäure 
aofgeihndenen  Verhältnissformel  sich  herleitende  procentische  Zusammensetzung 
hinlänglich  übereinstimmt  mit  den  durch  die  Analyse  gefundenen  Zahlen : 


Berechnet 

Gefunden. 

€!-  12 

40.00 

39.96 

H,=:    2 

6.67 

6.74 

^«16 

53.33 

— 

80 

100.00. 

Kleinste  Formel.  Die  Analyse  lässt,  wie  eben  erw&hnt,  die  VFahl  ^• 
zwischen  einer  grösseren  Anzahl  von  Formeln,  welche  dasselbe  atomi- 
stische Terhältniss  ausdrücken.  Alle  diese  Formeln  müssen  nur,  weil  die 
filr  die  Elemente  gebrauchten  Zeichen  Atome  ausdrücken,  von  der  Art 
sein,  dass  sie  keine  Bruchtheile  von  Atomen  enthalten.  Wenn  nun  aus 
emer  Substanz  durch  einfache  Reactionen  Abkömmlinge  erhalten  werden, 
die  zur  ursprünglichen  Substanz  in  einfacher  Beziehung  stehen,  so  kann 
die  Analyse  dieser  Abkömmlinge  weitere  Auskunft  geben  über  die  An- 
zahl der  in  der  ursprünglichen  Substanz  selbst  enthaltenen  Atome.  Da 
nämlich  die  atomistische  Zusammensetzung  dieser  Abkömmlinge  durch 
solche  Formeln  dargestellt  werden  muss,  die  keine  Bruchtheile  von  Ato- 
men enthalten,  so  wird  man,  um  die  Beziehungen  dieser  Abkömmlinge 
zu  der  ursprünglichen  Substanz  in  einfacher  Weise  ausdrücken  zu  kön- 
nen, von  den  nach  der  Analyse  zuläissigen  atomistischen  Verb£l>ltnis8for< 
mebi  emzehie  für  unzulässig  halten. 


38  ZuBammenfletzung. 

49.  Für  die  oben  als  Beispiel  benutzte  Essigsäure  sind  nach  der  Analyse  die  fol- 
genden atomistischen  Verhältnissformeln  möglich: 

O  HiO  oder  OiHiOi  oder  OsHeOa  oder  eiHgOi  etc. 
Stellt  man  aus  der  Essigsäure  Salze  dar  und  analysirt  diese,   so  findet  man, 
dass  für  das  essigsaure  Silberoxyd  z.  B.  der  einfachste  Ausdruck  der  atomistischen 
Zusammensetzung  ist: 

e^HaAge,. 
Ebenso    zeigt  die  Analyse   der  durch  Einwirkung   von  Chlor  auf  EBsigsäure 
erhaltenen  Monochloressigsäure ,    dass   der  einfachste  Ausdruck  der  atomistischen 
Zusammensetzung  dieses  Körpers  ist: 

€iHsC102. 
'Beide  Formeln  können  nicht  kleiner  geschrieben,  z.  B.  nicht  durch  2  getheilt 
werden,  ohne  dass  Bruchtheile  von  Atomen  auftreten.  Man  wird  also  von  den  der 
Analyse  nach  möglichen  Formeln  der  Essigsäure  nur  diejenigen  für  zulässig  halten, 
aus  welchen  atomistische  Formeln  dieser  Abkömmlinge  hergeleitet  werden  können. 
Man  wird  also  die  Formeln: 

€  HiO  und  €sH«0» 
ausschliessen,    weil   die   aus  ihnen  hergeleiteten  Formeln  der  oben  erwähnten  Ab- 
kömmlinge Bruchtheile  von  Atomen  enthalten  würden: 

e  Hi.f  Ago.»0  und  63  H4.$Agi.ie» 
O  H1.5CI0.S  "G-    „     0j  Hi.fCli.s'Oii' 
Die  Analyse  dieser  Abkömmlinge  der  Essigsäure  lässt  es  aber  immer  noch 
unentschieden,  ob  die  Formel  der  Essigsäure: 

61H4O1  oder  O*H804  ete. 
ist;   sie  schliesst  demnach  die  eine  Hälfte  der  nach  der  Analyse  der  Säure  selbst 
möglichen  Formeln   aus,  lässt  aber  immer  noch  die  Wahl  zwischen  der  andern 
Hälfte  dieser  Formeln. 

50.  Gesetzt  man  habe  durch  die  Analyse  des  Kohlenwasserstoffs  Butylen  (Tetry- 
len)  gefunden,  dass  der  einfachste  Ausdruck  der  atomistischen  Zusammensetzung 
dieses  Körpers  ist: 

en,. 

Man  fmdet  nun,  dass  dieser  Kohlenwasserstoff  sich  mit  Chlor  direct  verbindet 
zu  einer  Substanz,  deren  atomistische  Zusammensetzung  durch  die  Verhältnissformel 

eiHiCl 
ausgedrückt  werden  kann.     Da  diese  Formel  nicht  theübar  ist,    ohne  dass  Bruch- 
theile von  Atomen  entstehen,  so  wird  man  auch  den  durch  die  Analyse  des  Tetry- 
lens  gefundenen  einfachsten  Ausdruck  verdoppeln   und   demselben  die  Formel  bei- 
legen : 

e,H4. 

Wenn  man  nun  das  durch  Einwirkung  von  Chlor  auf  Butylen  erhaltene 
Chlorid  (O2H4CI)  mit  alkoholischer  Kalilösung  behandelt,  so  entsteht  Chlorkalium 
und  eine  neue  chlorhaltige  Substanz,  deren  atomistische  Zusammensetzung  am  ein- 
fachsten ausgedrückt  wird  durch: 

e*HtCl. 
Die  Existenz  dieses  Körpers  und  die  Untheilbarkeit  seiner  Formel  veranlasst 
uns  die  Formel  des  oben  erwähnten  Chlorids    und  die  des  Tetrylens  selbst  noch- 
mals zu  verdoppeln;  weil  die  Formeln: 

Tetrylen  OÄ 

Tetrylenchlorid  OJlsClj 
Chlortetrylen      e4HiCl 


AequiYalentgewichtBbestiininung.  39 

die  einfachsten  sind,  welche  die  Beziehungen  der  verschiedenen  Substanzen  zu  ein- 
ander klar  hervortreten  lassen. 

Betrachtungen  der  Art  schliessen  also  von  den  der  Analyse  nach  möglichen  51. 
Formeln  eine  Anzahl  aus,  aber  sie  entscheiden  nicht  bestimmt  für  eine  Formel, 
lassen  vielmehr  immer  noch  die  Wahl  zwischen  einer,  jetzt  ü*eilich  kleineren,  An- 
zahl. Wenn  nicht  andere  Betrachtungen  Anhaltspunkte  zur  Feststelhmg  der  Foiincl 
böten ,  bliebe  es  der  Willkühr  überlassen  und  es  ist  in  der  That  in  all  den  Fällen, 
in  welchen  weitere  Anhaltspunkte  nicht  gewonnen  werden  können,  mehr  oder  we- 
niger Sache  der  Willkühr,  aus  den  diesen  Anforderungen  genügenden  Formeln  eine 
auszuwählen.  Zudem  können  solche  Betrachtungen  nicht  einmal  bestimmt  einzelne 
Formeln  ausschliessen,  da  man  durch  alle  Formeln,  (wenn  auch  vielleicht  weniger 
einfach,  indem  man  z.  B.  die  ursprüngliche  Substanz  zweimal  oder  öfter  in  Rech- 
nung bringt)  die  Beziehungen  der  aus  einander  entstehenden  Substanzen  dar- 
stellen kann. 

Bestimmung  des  Aequivalentgewichts  *). 

Wir  nennen  diejenigen  relativen  Mengen  verschiedener  Substanzen,  52. 
welche  chemisch  gleich-  oder  ähnlichwerthig  sind,  äquivalent  **J.    Die 
AequiyaJentgewichtsbestimmung  hat  demnach  zur  Aufgabe  die  Gewicht«- 
verhältaisse  chemisch  gleich    oder  ähnlich  wirkender  Substanzen  festzu- 
stellen. 

Nach  dem  BegriflF  des  Wortes  äquivalent  kann  daher  von  Aequivalenz  nur 
unter  solchen  Substanzen  dij  Rede  sein,  die  eine  gewisse  Analogie  zeigen,  die  eine 
ähnliche  Rolle  spielen.  Man  kann  also  wohl  von  dem  Aequivalent  einer  Säure  im 
Yergleicb  mit  einer  andern  Säure  oder  von  dem  Aequivalent  einer  Base  im  Ver- 
gleich mit  einer  andern  Base  sprechen-,  aber  nicht  eigentlich  von  dem  Äquivalent 
einer  Säure  verglichen  mit  einer  Base,  also  z.  B.  nicht  vom  Aequivalent  der  Salz- 
säure im  Vergleich  zum  Ammoniak,  weil  beide  Körper  niemals  eine  ähnliche 
Rolle  spieleoL 

Wenn  man  also  das  Aequivalentgewicht  einer  Säui'e  bestimmt,  so  53. 
heisst  dies  nichts  anderes  als:  ermitteln,  eine  wie  grosse  Menge  der  zu 
untersuchenden  Säure  (der  Essigsäure  z.  B.)  dieselbe  Rolle  spielt  wie  eine 
bestimmte ,  für  den  Vergleich  als  Ausgangspunkt  gewählte ,  Menge  einer 
anderen  bekannteren  Säure  (der  Salzsäure  z.  B.).  Es  geschieht  dies  am 
einfachsten,  indem  man  ermittelt,  welche  relative  Mengen  der  zwei  Säuren 
nöthig  sind,  um  mit  einer  und  derselben  Menge  von  Metall  ein  neutrales 
Salz  zu  bilden.  Da  die  bekanntere  Säure  in  der  Hinsicht  natürlich  er- 
forscht ist,  hat  man  den  Versuch  nur  fiir  die  neu  zu  studirende  Säure 
nöthig.  um  das  Aequivalentgewicht  der  Säuren  zu  bestimmen,  dienen 
also  die  Basen  gewissermassen  als  Maassstab;  aber  die  Bestimmung 
schliesst  stets,  wenn  auch  stillschweigend,  den  Vergleich  mit  einer  ande- 
ren Säm-e  ein. 


*}  IrrthÜmlich  öfter:  Atomgewichtsbestimmung  genannt. 
••)  vgl.  §.  178  flf. 


40  ZusammensetEung. 

5^^  Handelt  es  sich  z.  B.  darum,   das  Aeqmvalentgewicht  der  Essigefture  zu  be- 

stimmen, so  stellen  wir  ein  Salz  dieser  Säure  dar,  z.  B.  das  Silbersalz,  und  unter- 
werfen es  der  Analyse.    Wir  finden  100  Theile  essigsaures  Silberozyd  enthalten: 

Atomistisches 
Atomgewicht. 

12 

1 

16 

108 


VerhältnlBS. 
1.2  oder  2 
1.8  „  8 
1.2  „  2 
0.6     „     1 


ProcentgehaJt 

B  =  14.4 
H  =  1.8 
e  =  19.2 
Ag=64.6 

Wir  leiten  auf  die  bekannte  Weise  (§.  45)  aus  den  Ergebnissen  der  Analyse 
das  atomistische  Verhältniss  her  und  finden,  dass  der  einfachste  Ausdruck  der  ato- 
mistischen  Zusammensetzung  des  essigsauren  Silberozyd's  ist: 

€iH,Age,. 
Wenn  wir  nun  das  essigsaure  Silberozyd  vergleichen  mit  dem  Chlorsilber, 
also  die  Essigsäure  mit  der  Salzsäure,  so  finden  wir,  dass  die  Menge  Essigsäure, 
welche  durch  die  Formel  OsHtOi  ausgedrückt  wird,  äquivalent  ist  der  Menge  Salz- 
säure =  HCl,  insofern  sie  mit  derselben  Menge  Silber  ein  neutrales  Salz  bildet 
Wir  finden  also  das  Aequivalentgewicht  der  Essigsäure  =  60  (wenn  die  Salz- 
säure =  86.5  angenommen  wird): 

Essigsäure.  Salzsäure. 

€t  =  2.12  =  24  Cl  =  36.5 

Hi  =  4.   1  =    4  H   =    1. 

04  =  2.16  =  32^  36.5. 

60 
55.  Es  ist  nun   zur  BestimmuDg  des  Aequivalentgewichts  einer  Säure 

nicht  nöthig,  ein  Salz  derselben  vollständig  zu  analysiren;  die  Bestim- 
mung der  Menge  von  Metall,  welche  im  Salz  enthalten  ist,  genttgt  zur 
Feststellung  des  Aequivalentgewichtes. 

Man  findet  z.  B.  das  essigsaure  Silberozyd  hinterlässt  beim  Glühen  64.67  «/o 
metallisches  Silber;  es  ergibt  sich  daraus  das  Aequivalentgewicht  der  Essigsäure 
durch  folgende  Betrachtung.  100  Theile  essigsaures  Silberozyd  enthalten  64.67 
Theile  Silber,  also  35 .  33  Gewichtstheile  anderer  Elemente ;  mit  einem  Atom  Silber 
(^  Ag  =  108  Gewichtstheilen)  sind  also  verbunden  59.27  Gewichtstheile  der  an- 
dern Elemente,  nach  der  Gleichung: 

64.67:108  =  35.33  :z. 
Da  nun  die  Essigsäure  statt  des  einen  Atoms  Silber,  welches  im  Silbersalz 
enthalten  ist,  1  Atom  Wasserstoff  (=  H  =  1  Gewichtstheü  Wasserstoff)  enthält ,  in 
Verbindung  mit  demselben  Rest,  der  im  Silbersalz  mit  Silber  verbunden  war,  so 
ist:  59.27  4-  1  =60.27  das  durch  die  Silberbesdmmung  ermittelte  Aequivalent- 
gewicht der  Essigsäure.  Daraus  und  aus  der  früher  (§.  45)  ausgeführten  Analyse 
der  Essigsäure  lässt  sich  nun  leicht  die  Aequivalentformel  der  Essigsäure  herleiten. 
Versucht  man  nämlich,  ob  das  aus  der  Analyse  hergeleitete  einfachste  atomistische 
Verhältniss  oder  ob  ein  Multiplum  davon  die  durch  die  AequivaJentgevnchtsbestim- 
mung  gefundene  Zahl  60.27  liefert,  so  findet  man: 

eHiO    =      12  +  2.1  4-      16  =  30  Gewichtstheüe. 
eiHiO»  =  2.12  4-  4.1  4-  2.16  =  60  „ 

Ein  Aequivalent  Essigsäure  wird  demnach  ausgedrückt  durch  die  Formel: 


^ 


Aeqnivalentgewichtsbestiminimg.  4  t 

Zur  BestimmuDg  des  Aequivalentgewichts  einer  Säure  dient  also  66. 
entweder  die  vollständige  Analyse  eines  oder  mehrerer  Salze,  oder  die 
Metalibesümmung  in  solchen  Salzen.  Im  Grund  genommen  können  alle 
Salze  zur  Bestimmung  des  Aequivalentgewichtes  verwendet  werden,  man 
wählt  dabei  natürlich  diejenigen  aus,  die  ihrer  physikalischen  Eigenschaf- 
ten wegen  am  meisten  Garantie  fdr  Reinheit  bieten  und  deren  Metall  eine 
möglichst  genaue  Bestimmung  zulässt. 

Ans  diesen  Gründen  bedient  man  sich  mit  besonderer  Vorliebe  der  Silber- 
salze,  weil  erfahrungsgemäss  die  Silbersalze  meist  direct  frei  von  KrystaUwasser 
erhalten  werden;  weil  nur  äusserst  selten  basische  Salze  des  Silbers  gebildet  wer- 
den; and  weil  in  den  meisten  Fällen  der  Sübergehalt  eines  Salzes  durch  einfache 
Operation  (Glühen)  in  ausnehmend  genauer  Weise  bestimmt  werden  kann.  Indes- 
sen sind,  wie  oben  erwähnt^  alle  Salze  zur  Aequivalentgewichtsbestimmung  an- 
wendbar und  es  ist  stets  zweckmässig,  mehrere  Salze  zu  untersuchen,  um  so  durch 
die  Analyse  des  einen  eine  Controle  für  die  des  andern  zu  gewinnen. 

Mit  derselben  Leichtigkeit  wie  fbr  die  Säuren  kann  auch  das  Aequi-  67. 
yalentgewicht  derjenigen  organischen  Substanzen  ermittelt  werden,  welche 
ausgepräg;t  basische  Eigenschaften  besitzen.  Eine  grosse  Anzahl  orgcmi- 
scher  Verbindungen  (welche  alle  Stickstoff  enthalten),  die  s.  g.  organischen 
Basen,  zeigen  in  ihrem  Verhalten  eine  grosse  Analogie  mit  dem  Ammo- 
niak; sie  yerbinden  sich  wie  dieses  mit  den  Wasserstoffsäuren  und  den 
Sfturehydraten  zu  salzartigen  Verbindungen;  und  geben,  wie  das  Ammo- 
niak, mit  Platinchlorid  (und  andern  Chloriden)  dem  Platinsalmiak  entspre- 
chende Verbindungen.  Die  Bestimmung  des  Aequivalentgewichtes  dieser 
Basen  ist  stets  ein  Vergleichen  derselben  mit  dem  Ammoniak;  ein  Be- 
stimmen derjenigen  Oewichtsmenge  der  organischen  Base,  welche  dieselbe 
Bolle  spielt  wie  das  Ammoniak.  —  Aehnlich  wie  man  sich  zur  Bestimmung 
des  Aequivalentgewichtes  der  Säuren  der  Metalle  oder  Oxyde  als  Maass- 
stab bedient,  so  misst  man  das  Aequivalentgewicht  der  Basen  vermittelst 
der  Säuren.  Man  hat  also  nur  nöthig,  durch  den  Versuch  festzustellen, 
eine  wie  grosse  Menge  von  Säure  in  dem  Salz  einer  solchen  Base  ent- 
halten ist,  oder  wie  viel  Säure  eine  bestimmte  Menge  der  Base  zu  binden 
und  zu  sättigen  vermag. 

Diese  Bestimmung,  die  man  häufig  Bestimmung  der  Sättigungscapacität  56. 
nemit,  geschieht  entweder  so,  dass  man  ein  Salz  der  Base  analysirt  oder  wenigstens 
die  Menge  der  in  ihm  enthaltenen  Säure  bestimmt.  Oder  aber  man  lässt  in  einem 
geeigneten  Glasapparat  flber  eine  gewogene  Menge  der  Base  trocknes  'Salzsäuregas 
streichen  und  wägt,  wenn  keine  weitere  Absorption  mehr  stattfindet^  das  gebildete 
Salz.  Aus  der  Gewichtszunahme  des  Apparates,  welche  die  Menge  der  aufgenom- 
menen Salzsäure  ausdrückt,  berechnet  sich  leicht  das  Aequivalentgewicht  der  Base 
in  folgender  Weise: 

0.4560  Grm.  Chinin  nahmen  an  Gewicht  zu  0.1026  Grm.>  da  die  organische 
Base  sich  wie  das  Ammoniak  direct  mit  Salzsäure  verbindet,  so  ist  die  Menge 
Base,  welche  HCl  =  36.5  aufgenommen  hat  ein  Aequivalent  der  Base;  diese 
Menge  ergibt  sich  aus  der  Gleichung : 

0.1026:0.4560  =  86.5  :z. 


42  ZusammensetzTuig. 

Man  findet  also  161.4  als  Aequivalentgewicht  des  Chinins.  Dieselbe  oder 
annähernd  dieselbe  Zahl  würde  aus  der  vollständigen  Analyse  eines  jeden  Salzes 
des  Chinins  hergeleitet  werden. 

59.  Mit  besonderer  Vorliebe  bedient  man  sich  bei  der  Aequivalentgewichtsbeslim- 
mung  organischer  Basen  der  s.  g.  Platinsalze,  d.  h.  der  dem  Platinsalmiak  en^ 
sprechenden  Verbindungen,  weil  diese  einerseits  in  den  meisten  Fällen  leicht 
rein  erhalten  werden  können  und  weil  andrerseits  durch  einfaches  Glühen  der  Pla- 
tingehalt  leicht  und  völlig  genau  ermittelt  werden  kann.  Auch  hier  ist  eine  voll- 
ständige Analyse  des  Platinsalzes  nicht  nöthig^  wenigstens  nicht,  wenn  es  sich  nur 
um  Feststellung  des  Aequivalentgewichtes  handelt,  ihre  Ausführung  ist  aber  stet* 
zweckmässig,  weil  sie  der  Analyse  der  Base  selbst  zur  Controle  dient. 

Angenommen  die  Analyse  des  Chininplatinchlorids  habe  zu  der  Formel 
geführt : 

Ol  oHi  3  NOClsPt 
so  führt  dies  fOr  das  Chinin  zu  der  Aequivalentformel : 

•GioHiiNO, 
wobei  man  annimmt,    dass  das  Chininplatinchlorid   zum  Chinin  in  derselben  Be- 
ziehimg stehe,  wie  der  Platinsalmiak  zum  Ammoniak: 

e,oH,3NeClsPt :  e,aH,tN0  =  NH4Cl,Pt:NH3. 

60.  Die  vollstöndige  Analyse  ist  indess  zur  Bestimmung  des  Aequivalentgewich- 
tes nicht  nöthig,  man  kann  dieses  Aequivalentgewicht  aus  der  Bestimmung  des 
Platins  allein  herleiten.  Gesetzt  man  habe  beim  Glühen  des  Chininplatinchlorids 
26.85  Vo  metallisches  Platin  als  Glührückstand  erhalten,  so  findet  man  das  Aequi- 
valentgewicht des  Chininplatinchlorids,  verglichen  mit  dem  Platinsalmiak,  durch  die 
Gleichung : 

26.85:100  =  98.7:  x 
(98,7  =  Atomgewicht  des  Platins).  Zieht  man  von  dem  so  zu  367.6  gefundenen 
Aequivalentgewicht  des  Chininplatinsalzes  206.2  ab  (d.  h.  die  Summe  der  Atom- 
gewichte der  Elemente,  welche  in  dem  Platinsalz  mehr  entlialten  sind  als  in  der 
freien  Base,  HCljPt),  so  erhält  man  161.4  als  empirisch  gefundenes  Aequivalent- 
gewicht des  Chinins.  Daraus  lässt  sich  dann  leicht,  wenn  die  Analyse  des  Chinins 
selbst  vorausgegangen  ist,  die  Formel  von  1  Aequivalent  Cliinin  herleiten.  Die 
Analyse  des  Chinins  ergab  das  atomistische  Verhältnis» 

e,oH,»NO. 
Die  Summe  der  Atomgewichte  der  in  dieser  Formel  entlialtenen  Elemente  ist: 

e.o  =  10.12  =  120 

H„  =  12.    1  =     12 

N     =         14  =     14 

O     =         16  =  J_6^ 
162 
162^   eine  Zahl,    die  hiidänglich    mit  dem  durch  den  Versuch  ermittelten  Aequiva- 
lentgewicht  des  Chinins   (161.4)  übereinstimmt,    um   annehmen   zu  können,  dass 
diese  Formel  der  atomistische  Ausdruck  für  ein  Aequivalent  Chinin  ist 

Statt  der  Platinsalze  oder  neben  denselben  bedient  man  sich  häufig  der  ähn- 
lich zusammengesetzten  Gold-,  Palladium-  oder  Quecksilberdoppelsalze. 

61.  Für  alle  organischen  Verbindungen,  welche  au8geprä.gt  saure  oder 
basische  Eigenschaften  besitzen,  ist  es  also  leicht  durch  vollständige  oder 
theilweise  Analyse  ihrer  Salze  das  Aequivalentgewicht  festzustellen,  und 
diese  Bestimmungen  sind  es,  die  man  Aequivalentgewichtsbestim- 


Aeqniyaleiitgewichtsbestiinmting.  43 

mungen  nennt.  Für  alle  die  Substanzen  dagegen,  welche  sich  weder 
den  unorganischen  Säuren  noch  den  unorganischen  Basen  analog  verhal- 
ten ,  ist  keine  eigentliche  Aequivalentgewichtsbestimmung  möglich. 

Man  sieht,  dass  es  zwar  nicht  für  alle  Substanzen,  aber  wenigstens  62. 
für  Säuren  und  Basen  leicht  wäre,  die  chemische  Formel  aufzustellen, 
wenn  nämlich  die  Formein  äquivalente  Mengen  der  verschiedenen  Substanzen 
bezeichneten.  Die  chemischen  Formeln  drücken  aber  nicht  äquivalente 
Mengen  der  verschiedenen  Verbindungen  aus,  es  sind  keine  Aequiva- 
lent formein,  wenn  man  sie  auch  bei  der  heute  herrschenden  BegriflFs- 
verwirrung  häufig  dafür  hält.  Dass  sie  es  nicht  sind,  zeigen  schon  ein- 
zelne der  bekanntesten  Verbindungen  der  unorganischen  Chemie.  Man 
schreibt  z.  B.  die  Phosphorsäure  PO4H3 

das  Eisenchlorid  FcjCla 
und  doch  ist  PO4H3  nicht  ein  Aequivalent,  sondern  drei  Aequivalente 
Phosphorsäure  (verglichen  mit  einer  anderen  Säure,  mit  Salzsäure  =  HCl 
z.  B.)  und  ebenso  ist  FcsCl,  nicht  ein  Aequivalent,  sondern  drei  Aequi- 
valente Eisenchlorid  (verglichen  mit  andern  Chloriden  z.  B.  mit  Chlor- 
kalium =:  KCl).  Die  chemischen  Formeln  drücken  nicht  Aequivalente  63. 
aus,  sie  bezeichnen  vielmehr  die  kleinste  Menge  der  chemischen  Verbin- 
dung, die  in  freiem  Zustand  existiren  kann,  sie  bezeichnen  die  Grösse 
des  chemischen  Molecüls '"),  es  sind  Molecularformeln. 

In  vielen  Fällen  ist  zwar  ein  Molecül  gleichzeitig  ein  Aequi- 
valent, und  dann  ist  natürlich  die  Aequivalent formel  gleichzeitig 
die  Molecular formel;  in  andern  Fällen  findet  dies  nicht  statt  und 
dann  kann  die  Aequivalentgewichtsbestimmung  (selbst  wenn  der  Natur 
der  Substanz  nach  eine  solche  möglich  ist)  nicht  zur  Feststellung  der 
Formel  führen. 

Angenommen  man  habe  z.  B.   durch   die  Analyse  der  Bemsteinsäure  gefun-  64. 
den,  dass  diese  Säure  in  trocknem  Zustand  die  Elemente  Kohlenstoflf,   Wasserstoff 
und  Sauerstoff  in  solchen  Gewichtsverhältnissen  enthält,  dass  ihre  atomistische  Zu- 
sammensetzung ausgedrückt  wird  durch  eine  der  folgenden  Verhältnissformeln: 
ßt^rlh  oder  e^e^H«  oder  eeOcHg  etc. 

Um  zu  entscheiden,  welche  dieser  Formeln  ein  Aequivalent  Bernstein- 
saure  ausdrückt,  stellen  wir  Salze  der  Bemsteinsäure  dar  und  unterwerfen  diese 
Salze  der  Analyse.  Wir  fmden  in  einem  Barytsalz  z.  B.:  54.15  %  Baryimi,  und 
leiten  daraus  ftlr  die  Bernstein  säure  das  Aequivalentgewicht  =  59  her-,  wir  beob- 
achten aber  gleichzeitig  die  Bildung  eines  Barytsalzes  von  anderem  Ansehen,  eine 
Barytbestimmnng  gibt  36.92%  Baryum,  woraus  sich  für  die  Bemsteinsäure  das 
Aequivalentgewicht  =118  herleitet. 

Das  erste  Barytsaiz  wird  ausgedrückt  durch  die  Formel: 
OjOjHjBa,  das  zweite  durch  04^4HiBa. 
Damach  erscheint  die  Bemsteinsäure  selbst  als: 

eiOjHa  oder  als  e4e4H6. 


♦)  vgL  weiter  §. 


44  ZusammensetEimg. 

Welche  der  beiden  Formeln  soll  nun  gebraucht  werden?  welche  drückt  die 
Moleculargrösse  der  BemBteinsänre  aus?  Die  Analyse  der  Säure  und  die  Aequiva- 
lentgewichtsbestimmung  können  beide  diese  Frage  nicht  beantworten.  Es  bedarf 
eines  genaueren  Studiums  des  chemischen  Verhaltens  der  Bemsteinsänre ,  um  zu 
der  Ansicht  zu  führen,  dass  die  Bemsteinsäure  eine  zweibasische  Säure  ist,  d.  h. 
dass  ein  Molecül  Bemsteinsäure  zwei  Atome  Wasserstoff  enthält,  die  durch  Metalle 
vertretbar  sind;  dass  die  Molecularformel  der 

Bemsteinsäure  t=  ^iOiH« 
die  des  einen  (des  sauren)  Salzes  =  OiOiHfBa 
die  des  zweiten  (neutralen)  Salzes  s  OiOiHiBai. 
Etwas  Aehnliches  findet  bei  einer  grossen  Anzahl   organischer  Säuren  statt, 
zeigt  sich  aber  auch  bei  einzelnen  der  dem  Ammoniak  analogen  organischen  Basen. 
Für  das  Chinin,   welches  oben  (§.  58  —  60)  als  Beispiel  benutzt  wurde,  führt  die 
Aequivalentgewichtsbestimmung  zu  der  Formel : 

welche  unbestreitbar  die  Menge  von  Chinin  ausdrückt,  welche  dem  Ammoniak 
(sB  1S[H$)  äquivalent  ist.  Ein  genaueres  Studium  des  Chinins  führt  uns  aber  zu 
der  Ansicht,  dass  das  Molecül  Chinin  doppelt  so  gross  ist  und  wir  geben  dem 
Chinin  demnach  die  Formel: 

ea.  Die  Aequivalentgewichtebestiminung  führt  also  nicht  zur  An&tellang 

der  ohemischen  Formel,  weil  die  chemischen  Formeln  nicht  Aequivalent- 
formeln,  sondern  Molecularformeln  sind  und  weil  weder  die  Analyse  noch 
die  Aequivalentgewichtsbestimmung  über  die  Grösse  (d.  h.  die  relative  Grösse) 
der  Moleoüle  Aufschluse  geben  kann.  Zur  Bestimmung  dieser  Molecular- 
grosse  ist  es  vielmehr  nöthig,  alle  Eigenschaften  der  betrffenden  Substanz, 
die  chemischen  sowohl  wie  die  physikalischen,  in  Betracht  zu  ziehen;  es 
ist  nöthig,  möglichst  viel  Umwandlungsproducte  darzustellen  und  die  Be- 
ziehungen zu  ermitteln,  in  welchen  die  zu  untersuchend^  Substanz  zu  einer 
möglichst  grossen  Anzahl  anderer  bekannterer  Körper  steht  Eine  aus- 
führlichere Entwicklung  der  zur  Feststellung  der  Moleculargrösse  dienen- 
den Anhaltspunkte  muss  späteren  Betrachtungen  vorbehalten  bleiben*). 

Bestimmung  der  physikalischen  Eigenschaften 
chemischer  Verbindungen. 

^  Das  Studium  der  physikalischen  Eigenschaften  der  chemischen  Ver- 

bindungen hat  zur  Erkenntniss  von  Regelmässigkeiten  und  Gesetzmässig- 
keiten in  diesen  Eigenschaften,  in  manchen  Fällen  auch  zur  Erkenntniss 
einer  Abhängigkeit  der  physikalischen  Eigenschaften  von  der  chemischen 
Zusammensetzung  und  namentlich  von  der  Moleculargrösse  geftlhrt 

Die  Ermittlung  einzelner  physikalischer  Eigenschaften,  besonders  des 
speciflschen  Gewichtes  der  Dämpfe,   der  Siedetemperatur,   des  Schmelz- 

•)  S-  167  ff. 


Bestunmung  des  spec.  Gewichtes.  45 

pnnktes  a.  8.  w.  wird  so  häufig  als  Erkennungs-  oder  UnterscheiduDgs- 
mittel  chemischer  Verbindungen  oder  als  Anhaltspunkt  zur  Feststellung 
der  Holeculargrösse  gebraucht,  dass  eine  kurze  Andeutung  wenigstens  der 
dazu  dienenden  Methoden,  die  gewissermassen  einen  Theil  der  chemischen 
Analyse  ausmachen ,  hier  nicht  umgangen  werden  kann  *). 

Bestimmung  des  specifischen  Gewichtes. 

unter  speciflschem  Oewicht  versteht  man  bekanntlich  das  Verhält-  67. 
niss  der  absoluten  Gewichte  gleicher  Volume.  Man  ist  gewohnt,  die  spe- 
cifischen Gewichte  fester  und  flüssiger  Körper  zu  beziehen  auf  das  Ge- 
wicht des  Wassers  als  Einheit;  bei  den  elastisch  flüssigen  Körpern:  den 
Gasen  und  den  Dämpfen  wird  gewöhnlich  das  specifische  Gewicht  be- 
zogen auf  das  der  atmosphärischen  Luft  als  Einheit  **). 

Die  specifischen  Gewichte  sind  also  die  Zahlen,  welche  ausdrücken, 
wieviel  mal  so  schwer  ein  gewisses  Volum  eines  Körpers  ist  alsnlas  gleich 
grosse  Volum  Wasser  oder  Luft. 

Die  Bestimmung  des  specifischen  Gewichtes  von  festen  Körpern  und 
von  Gasen  findet  in  der  organischen  Chemie  verhältnissmässig  selten  An- 
wendung; weit  häufiger  ist  die  Bestimmung  des  specifischen  Gewichtes 
von  flOssigkeiten ;  von  ganz  besonderer  Wichtigkeit  die  Bestimmung  des 
specifischen  Gewichtes  der  Dämpfe. 

Bestimmung  des   specifischen  Gewichtes  von  Flüssig-  68. 
keiten.    Die  specifischen  Gewichte  der  Flüssigkeiten   werden   meistens 
so  bestimmt,   dass  man  unmittelbar  die  absoluten  Gewichte  gleicher  Vo- 
lume (von  der  zu  untersuchenden  Substanz  und  von  Wasser)  vergleicht 

Man  führt  dies  gewöhnlich  so  ans,  dass  man  ein  kleines  Glasfläschchen  erst 
leer,  dann  mit  Wasser  gefüllt  und  endlich  mit  der  zu  untersuchenden  Flüssigkeit 
^ftillt  wägt.  Das  spec.  Gewicht  ergibt  sich,  indem  man  mit  dem  Gewicht  des 
Wassers  in  das  der  anderen  Füssigkeit  dividirt. 

Man  bedient  sich  zu  diesen  Bestimmungen  kleiner  Glasfläschchen,  die  mit 
einem  eingeschliffenen,  von  einer  Haarröhrenöffnung  durchbohrtem  Glasstopfen  ver- 
sehen sind ;  oder  aber  kleiner  Flfischchen ,  deren  Hals  an  einer  Stelle  verengt  und 
mit  einer  Marke  versehen  ist,  und  die  man  dann  genau  bis  zu  dieser  Marke  füllt 

Da  das  spec.  Gewicht  gleichzeitig  vom  absoluten  Gewicht  und  vom  Volum 
abhängig  ist  und  da  das  Volum  der  Flüssigkeiten  sich  bei  Temperaturänderungen 
indert,   so  ist  es  nöthig,   beide  Flüssigkeiten  bei  gleicher  Temperatur  zu  wägen. 


^)  Für  ausführlichere  Beschreibung  dieser  Methoden  und  Angabe  der  Methoden 
zur  Bestinunung  anderer  physikalischer  Eigenschaften  vgl.  besonders:  Lehr- 
buch der  physikalischen  und  theoretischen  Chemie  von  Buff,  Kopp  und  Zam- 
miner  (auch  als  erster  Band  von  Graham-Otto's  ausführlichem  Lehrbuch  der 
Chemie.  S.  Auflage). 
^^)  Es  wird  später  gezeigt  werden ,  dass  es  für  gas  -  und  dampfförmige  Körper 
weit  zweckmässiger  ist,  statt  der  Luft  den  Wasserstoff  als  Einheit  zu  be- 
nutzen. 


46 


ZuBammensetzung. 


Da  das  spec.  Gewicht  bei  Bestimmungen,  die  bei  verschiedenen  Temperaturen  aus- 
gefülirt  sind ,  ungleich  gross  gefunden  wird ,  und  eine  Reduction  auf  eine  Normal- 
temperatur  nur  dann  möglich  ist,  wenn  man  die  durch  Temperaturveränderung 
veranlasste  Ausdehnung  der  untersuchten  Flüssigkeit  durch  besondere  Beobachtung 
ermittelt  hat,  ist  es  zweckmässig  die  Temperatur  anzugeben,  bei  welcher  dk  Be- 
stimmung vorgenommen  wurde. 

Eine  Correction  des  spec.  Gewichtes  auf  den  luftleeren  Raum  ist,  wenn  es 
sich  nicht  um  Erforschung  physikalischer  Gesetzmässigkeiten  handelt,  nicht  nöthig, 
weil  bei  der  geringen  Verschiedenheit  des  spec.  Gewichtes  der  meisten  Flüssig- 
keiten diese  Correctur  weniger  beträgt  als  die  gewöhnlichen  Versuchsfehler. 

69.  Bestimmung  des  specifischen  Gewichtes  derDämpfe*); 
Bestimmung  der  Dampf  dichte.  Bei  der  Bestimmung  der  specifi- 
schen Gewichte  der  Dämpfe  verfährt  man  entweder  so:  dass  man  das 
Gewicht  der  Menge  Dampf  ermittelt,  welche  bei  beobachtetem  Druck 
und  bei  beobachteter  Temperatur  einen  bekannten  Raum  erfüllt  (Me- 
thode von  Dumas);  oder  man  bestimmt  den  Raum,  welchen  der 
Dampf  einer  gewogenen  Menge  von  Substanz  bei  beobachtetem  Druck 
und  beobachteter  Temperatur  einnimmt  (Methode  von  Gay-Lussacj.  — 

70.  Methode  von  Dumas.  Ein  leichter  Glasballon,  von  200  —  500 
C.  C.  m.  Inhalt,  dessen  Hals  in  eine  umgebogene  Spitze  ausgezogen  ist, 
wird  sorgfältig  ausgetrocknet  und  leer,  d.  h.  mit  trockner  Luft  erfüllt, 
gewogen ;  Temperatur  und  Barometerstand  werden  beobachtet.  Man  füllt 
dann  5 — 10  Gramm  der  zu  untersuchenden  Flüssigkeit  durch  Einsaugen- 

iassen    in   den  Ballon  und   erwärmt  diesen  je 
nach  der  Natur  der   zu  untersuchenden   Sub- 
stanz in  einem  mit  Wasser,  Oel,  Paraffin  oder 
Cblorzink  gefüllten  Gefilsse.     Wenn    die  Tem- 
peratur des  Bades  den  Siedepunkt  der  Flüssig- 
keit um  etwa  30  —  50^  überschritten  hat,  hält 
man  sie  einige  Zeit  constant  und  schmilzt,  so- 
bald keine  Dämpfe  mehr  aus  der  offenen  Spitze 
des  Ballons   entweichen,    diese  Spitze  mittelst 
des  Löthrohres  zu.     Man  beobachtet  die  wäh- 
rend des  Zuschmelzens  stattfindende  Tempera- 
tur des  Bades,   nimmt  den  Ballon  aus  demselben,  lässt  ihn  erkalten  und 
wägt.     Man  kennt  so  das  Gewicht  des  mit  Luft  erfüllten  und  das  Gewicht 
des  mit  Dampf  erfüllten  Ballons;  es  ist  nun  noch  nöthig,  den  Inhalt  der- 
selben zu   ermitteln.     Dies  geschieht,  indem  man  die  Spitze  des  Ballons 
unter  Quecksilber  abbricht;  das  in  den  Ballon  eingetretene  Quecksilber  in 
einen    nach   Cubikcentimetern    graduirten   Cylinder    entleert    und    misst. 
Häufig,  namentlich  wenn  nicht  hinlänglich  viel  Substanz  angewandt  wurde. 


♦)  Für  Bestimmung  des  spec.  Gewichts  der  Gase  vgl.  Buff,  Kopp  und  Zamnii- 
ner,  S.  324;  und  besonders  Bunsen:   Gasometrische  Methoden,  S.  124. 


Bestiminiiiig  der  Dampfdichte.  47 

kommt  es  vor,  dass  nicht  alle  Luft  durch  den  Dampf  aus  dem  Ballon  . 
ausgetrieben  wurde,  dass  also  das  Quecksilber  den  Ballon  nicht  vollstän- 
dig erfQllt,  sondern  eine  Luftblase  zurücklässt.  Das  Volumen  dieser  Luft^ 
blase  und  die  Gapacität  des  Ballons  werden  dann  bestimmt,  indem  man 
den  Ballon  nochmals  und  jetzt  vollständig  mit  Quecksilber  (oder  Wasser) 
füllt  und  die  Menge  desselben  durch  Entleeren  in  den  graduirten  Cylin- 
der  misst 

Die  so  gefundenen  Daten  genügen  zur  Berechnung  des  spec.  Gewichtes  des  71. 
Dampfes.  Die  Berechnung  selbst  kann  in  verschiedener  Weise  ausgeführt  werden, 
immer  natürlich  so:  dass  man  in  das  absolute  Gewicht  des  Dampfes  mit  dem  Ge- 
wicht dividirt,  welches  ein  gleichgrossefl  Volum  Luft  bei  demselben  Druck  und 
derselben  Temperatur  besitzt.  Da  man  nun  weder  den  Dampf  noch  die  Luft  für 
sich  gewogen  hat ,  vielmehr  beide  mit  dem  angewandten  Glasballon ,  so  muss  zu- 
uSchBt  das  Gewicht  dieses  Glasballons  berechnet  und  von  den  durch  Wägung  ge- 
fundenen Zahlen  in  Abzug  gebracht  werden. 

Nennen  wir  die  Ergebnisse  der  Beobachtung: 

Gewicht  des  mit  Luft  erfüllten  Ballons       =  B 
Temperatur    während  der  Wägung  =  t 

Barometerstand    „         „  „  =  h 

Gewicht  des  mit  Dampf  erfüllten  Ballons  =  B' 
Temperatur  während  des  Zuschmelzens  =  t' 
Barometerstand  „  ,,  ,,  :=  h' 

Gapacität  des  Ballons =  V. 

Man  findet  das  Gewicht  (B«)  des  luftleeren  Ballons,  indem  man  vom  Ge- 
wicht des  mit  Luft  erfüllten  (B)  das  Gewicht  (p)  abzieht,  welches  V  Oubikcenti- 
meter  Luft  bei  der  Temperatur  t  und  bei  h  Barometerstand  besitzen. 

B«  =  B  —  p. 
V  Cubikcentimeter  Luft  wiegen  aber  bei  f  und  h  Barometerstand,   (da  1  Cub.  C. 
bei  09  und  760  M.  m.  Barometerstand  0.001293  Gr.  wiegt): 

p=0.001293.V.3-p^L__.^ 

Man  findet  weiter  das  Gewicht  des  Dampfes,    indem  man  vom  beobachteten 

Gewicht  des  mit  Dampf  erfüllten  Ballons  (B')    das  Gewicht   des  luftleeren  Ballons 

(B«)  abzieht: 

=  B'  —  B»  =  B'  —  (B  —  p). 

Das  spec.  Gewicht  des  Dampfes  ergibt  sich  nun,  indem  man  in  dieses 
Gewicht  des  Dampfes  dividirt  mit  dem  Gewicht,  welphes  V  Cubikcentimeter  Luft 
bei  derselben  Temperatur  (f)  und  bei  demselben  Barometerstand  (hO  besitzen,  bei 
welchem  der  Dampf  eingeschlossen  und  gewogen  wurde  •). 

B'-(B-p) 


S  = 


0. 001293.  V.  ^  ^' 


1  +  0. 00366. t'  760. 
(worin  p  den  oben  angegebenen  Werth  hat). 


*)  Man  kann  auch  umgekehrt  das  Volumen  des  Dampfes  auf  Qo  und  760  M.  m. 
redudren   und  das  Gewicht  dieses  Dampfes    dann   vergleichen  mit  dem  Ge-f 
wicht,  welches  ein  gleich  grosses  Luftvolum  ebenfalls  bei  0<»  und  760  M.  m.  be- 
sitzt.   Die  Rechnung  muss  zu  genau  denselben  Resultaten  führen;  sie  macht 


48  Zasammensetzimg. 

72.  Bei  dieser  Berechnung  wurde  angenommen,  dass  keine  Luftblase  im  Ballon 

zurückgeblieben  war.    Ist  dieses  der  Fall ,  so  kommen  zu  den  Ergebnissen  der  Be- 
obachtung noch  hinzu: 

Volum  des  zuerst  eingetretenen  Quecksilbers  =  Y' 

Demnach  Volum  der  Luftblase =  V  —  V 

Temperatur  während  dieser  Bestimmung  .  =  i" 
Druck  auf  die  eingeschlossene  Luftblase   .  :=  h''. 
Um  in  diesem  Falle  das  Gewicht  des  im  Ballon  enthaltenen  Dampfes  zu  fin- 
den, muss  man  also  von  dem  Gewicht  des  mit  Dampf  erfüllten  Ballons  (B')  ausser 
dem  Gewicht  des  luftleeren  Ballons  (B^  =:  B  —  p)  noch   das  Gewicht  (p")  dieser 
Luftblase  abziehen.    Man  hat  also: 

Gewicht  des  Dampfes  =  B'  —  (B  —  p)  —  p". 
Worin: 

P"  =  o.ooim(v-vo.  ^^o.io366.t»  -mr 

Man  findet  das  spec.  Gewicht  des  Dampfes,  wenn  man  in  dieses  Gewicht  mit 
dem  Gewicht  dividirt,  welches  ein  gleich  grosses  Luftvolum  bei  derselben  Tempe- 
ratur (t')  und  demselben  Druck  (h')  besitzt,  bei  welchem  der  Dampf  eingeschlossen 
wurde. 

Der  Dampf  erfüllte  nun  während  des  Zuschmelzens  den  ganzen  Inhalt  des 
Ballons  minus  dem  Raum  (v'),  welchen  die  zurückgebliebene  Luftblase  bei  der  Tem- 
peratur und  dem  Druck  während  des  Zusammenschmelzens  einnahm.  Dieser  Raum 
v'  ist  nun: 

V'  -  (Y    y^  ^  + 000366.  t-      h" 
V   —  IV     y  j  ^  4-0. 00366. t"     h'. 

Das  Gewicht  einer  dem  gewogenen  Dampfvolum  gleichgrossen  Luilmenge  bei 
der  Temperatur  t'  und  dem  Druck  h'  ist  demnach: 

-  0.001298.  (V-V)  ,^,^3ee.,  •  w 
Und  folglich  das  spec.  Gewicht  des  Dampfes: 

TT  Q B'_(B-p)-p'' 


7 


0.001293.  (V~vO 


h' 


1  4- 0.00366t'     760. 
,8.  Es  ist  einleuchtend,    dass  bei  dem  Messen  der  zurückgebliebenen  Luftblase 

nicht  nur  der  Barometerstand,  sondern  auch  die  Höhe  des  Quecksilbers  im  Glas- 
baUon  über  dem  äusseren  Quecksilbemiveau  berücksichtigt  werden  muss  und  dass 
der  beobachtete  Barometerstand  minus  dieser  DiflPerenz  der  beiden  Quecksilber- 
niveau's  erst  den  Werth  h''  gibt.  Da  es  indessen  verhältnissmässig  schwierig  ist 
diesen  Unterschied  der  beiden  Quecksilbemiveau's  zu  bestimmen,  so  vernachlässigt 
man  denselben  meistens ;  was  auf  das  Resultat  der  Rechnung  um  so  weniger  Ein- 
fluss  hat,  je  kleiner  die  zurückgebliebene  Luftblase  ist.  Da  nun  femer  die  Berück- 
sichtigung der  geringen ,  während  eines  Versuches  stattfindenden  Barometerschwan- 
kungen, auf  das  Resultat  der  Berechnung  sehr  wenig  Einfluss  ausübt,  weit  weniger 
als  die  durch  Ausdehnung  des  Glases  veranlasste  Verschiedenheit  in  der  Capacität 
der  Ballons,  so  kann  man  füglich  alle  Correcturen  für  Veränderung  des  Barometer- 


aber  die  unrichtige  und  verwirrende  Annahme,  der  untersuchte  Dampf  könne 
bis  0«  erkaltet  werden,  ohne  sich  zu  verdichten  und  folge  dem  Mariotte'- 
schen  Gesetz,  verändere  also  bei  Veränderung  des  Drucks  und  der  Tempe- 
ratur sein  Volum  genau  in  demselben  Verhältnisse  wie  die  Luft 


Bestimmung  der  Dampfdichte.  49 

Standes  weglassen.    Thut  man  dieses,  so  gewinnen  die  oben  gegebenen  Formeln 
die  folgende  einfachere  Form : 

1 


p"  =  0. 001293.  (V—V) 
v'  =  (V-VO- 
L  Ohne  Luftblase:    S  =  


1  +  0. 00366.  t" 

1  4-  0. 00866. t^ 
1  +0. 00366.  t" 

B'-"(B-p) 


0. 001293. V 


IL   Mit  Luftblase:    S  = 


1  -I-  0. 00366. t' 
B'- (B-p)  -p" 


0.001293.(V-v0^^^^3^^, 

Statt  bei  dieser  Berechnung  das  Gewicht  der  Luftvolume  für  die  betreffenden  74. 
Temperaturen  jedesmal  auszurechnen,   kann   man  sich  —  wodurch  die  Rechnung 
wesentlich  vereinfacht  wird  —  einer  Tabelle  bedienen ,  welche  die  Werthe  von : 

Hb*  die  verschiedenen  Temperaturen  (also  die  Gewichte  von  1  C.  C.  m.  Luft  bei  t«) 
enthält    Kennt  man  diesen  Werth  nt,  so  erhalten  die  zwei  Gleichungen  die  Form : 

X  Ohne  Luftblase:  S  =  ^' ~  ^r'^7'^^ 

V .  nt'. 

n.  Mit  Luftblase:     S  = -^ rr-^ 

(V — v^nt'. 

Ist  die  zurttckgebliebene  Luftblase  nicht  bedeutend,  wie  dies  bei  gut  geleiteten  75. 
Versuchen  stets  der  Fall  ist,   so  kann  man  ohne  Nachtheil  von  der  Differenz  der 
Volume,   welche  diese  Luftblase  bei  gewöhnlicher  Temperatur  und  bei  der  Tempe- 
ratur des  Zuschmelzens  einnimmt,  ebenfalls  absehen.    Man  kann  also  (V  —  v')  =  V 
annehmen  und  man  hat: 

B'—  B  +  V.nt  —  (V— V)  nt" 
V'.nt'. 

Ist  die  Temperatur,  bei  welcher  der  Inhalt  des  Ballons  gemessen  ^^'u^de,  die-  76. 
selbe  wie  die,  bei  welcher  der  mit  Luft  gefüllte  Ballon  gewogen  wurde,  was  bei 
den  meisten  Versuchen  der  Fall  sein  wird,  oder  wenigstens  annähernd  genug  der 
Fall  sein  vnrd;  ist  also  t  =  t";   so  gewinnt  die  Gleichung  die  noch  einfachere  und 
fOr  die  Berechnung  bequemste  Form  *): 

XX  X.                         o        B'  —  B4- V'.nt 
XL  b.  S  = -^ 

^  V'nt'. 

Die  folgende  Tabelle  enthält  die  Werthe  von  nt,  also  das  Gewicht  (in  Gram-  77. 
men)  von  1  Cubikcentimeter  Luft,  fOr  Temperaturen  von  10  zu  10«  C;  es  ist  leicht 
die  Tabelle  für  zwischenliegende  Temperaturen  durch  Proportionalberechnung  (oder 
Interpolation)  zu  ergänzen: 


*)  Will  man  die  Berechnung  der  Dampfdichten  mit  Anbringung  aller  Correcturen 
ausführen,  so  bedient  man  sich  am  zweckmässigsten  der  von  Poggendorff  an- 
gegebenen Formel.    (Pogg.  Ann.  XLI.  449.) 
KekvU,  Organ.  Ch«Bie.  4 


50 


ZnsaauneiiBetBimg. 


toC 

n 

t*C 

n 

t*C 

n 

0 

0  .  001293 

110 

0.000921 

220 

0 .  000715 

10 

0  .  001248 

120 

0 .  000898 

230 

0  .  000701 

20 

0  .  001205 

130 

0  .  000876 

240 

0.000688 

30 

0.001165 

140 

0  .  000854 

250 

0  .  000674 

40 

0  .  001128 

150 

0.000834 

260 

0.000662 

50 

0 .  001093 

160 

0  .000815 

270 

0  .  000650 

60 

0.001060 

170 

0  .  000796 

280 

0.000638 

70 

0  .  001029 

180 

0  .  000779 

290 

0 .  000626 

80 

0.001000 

190 

0  .  000762 

300 

0  .  000616 

90 

0  .  000972 

200 

0.000746 

310 

0  .  000605 

100 

0 .  000946 

210 

0  .  000730 

320 

0 .  000595 

78.  In  neuester  Zeit  haben  St.  Ciaire  Deville  und  Troost  *)    eine 

Modification  der  Dumas'schen  Methode  angegeben ,  welche  es  möglich 
macht,  die  Bestimmung  des  specifischen  Gewichtes  bei  sehr  hohen  Tem- 
peraturen (Siedetemperatur  des  Schwefels,  des  Quecksilbers  und  selbst 
des  Zink's)  auszuführen.  Sie  benutzen  entweder  einen  Glasballon  oder, 
wenn  die  Bestimmung  bei  einer  Temperatur  ausgeführt  werden  soll,  welche 
das  Glas  nicht  aushalten  würde,  einen  ähnlich  geformten  Ballon  von 
Porzellan,  den  sie  dann  mit  dem  Knallgasgebläse  zuschmelzen.  Statt  den 
Ballon  in  einem  Bad  von  Flüssigkeit  zu  erhitzen,  bringen  sie  denselben 
in  die  Dämpfe  von  Schwefel,  Quecksilber  oder  Zink,  die  in  einem  eiser- 
nen ,  aus  einer  Quecksilberflasche  hergestellten  Gefässe  destillirt  werden. 
79.  Methode  von  Gaj-Lussac.    Die  Methode  von  Gay-Lussac  ver- 

fährt, wie  oben  schon  angegeben,  nach  dem  umgekehrten  Princip,  wie 
die  von  Dumas;  sie  bestimmt  das  Volum,  wel- 
ches der  Dampf  einer  gewogenen  Menge  von 
Substanz  einnimmt. 

Ein  möglichst  dünnwandiges  Glaskügel- 
chen  wird  vollständig  mit  der  zu  untersuchen- 
den Flüssigkeit  gefüllt  und,  zugeschmolzen,  in 
eine  graduirte ,  mit  Quecksilber  gefiillte  Glas- 
glocke eingebracht,  welche  in  einem  eisernen, 
mit  Quecksilber  gefüllten  Gefässe  steht  Die  gra- 
duirte Glasglocke  wird  dann  mit  einem  wei- 
teren Glascylinder  umgeben,  den  man  mit  Was- 
ser ,  oder  bei  höher  siedenden  Substanzen  mit 
Oel  oder  einer  anderen  durchsichtigen  Flüssig- 
keit anfüllt.  Der  ganze,  auf  einem  kleinen  Ofen 
oder  über  einer  Lampe  stehende  Apparat  wird 
nun  erwärmte  Durch  die  bei  der  Erwärmung 
stattfindende    Ausdehnung  berstet  zunächst    die 


•)  Compt.  rend.  XLY.  821.  —    Ann.  Chem.  Pharm.  CV.  213. 


Bestimmimg  der  DampAUchte.  51 

dflnnwaxidige  CHaskugel  und  ihr  Inhalt  verwandelt  dich  bei  höherer  Tem- 
peratur in  Dampf.  Mao  steigert,  während  man,  um  ^leichmässige  Er- 
hitzung zu  erzielen,  die  Flüssigkeit  in  dem  die  Glasglocke  umgebenden 
Bade  umrührt,  die  Temperatur  bis  zu  dem  Punkt,  bei  welchem  man  die 
Befitinimung  «usfbhren  will  und  man  beobachtet  dann: 

das  Volum  des  Dampfes  .    .    .    .    Y 

die  Temperatur  des  Bades    .    .    .    t' 

den  Barometerstand h 

die  Temperatur  der  Luft  .    .    .    .    t 

und  den  Unterschied h', 

der  zwischen  d^n  Stand  des  Quecksilbers  innerhalb  und  ausserhalb  der 
Glooke  stattfindet  (was  leicht  mittelst  eines  in  Millimeter  eingeiheilten 
Eisenstabes  geschieht). 

Aus  diesen  Ergebnissen  der  Beobachtung  ergibt  eich  das  specifische  Gewicht   80. 
des  Dampfes,  indem  man  berechnet,  wieviel  ein  dem  Dampfvolum  gleiches  Luftvo- 
lum bei  derselben  Temperatur  und  unter  demselben  Druck,  bei  welchem  das  Dampf- 
volmn  beobachtet  wurde,  wiegt  und  indem  man  mit  diesem  Gewicht  in  das  direct 
gewogene  Gewicht  (p)  der  zum  Versuch  verwandten  Substanz  dividirt: 

0. 001293.  V, 


1  +  0. 00366.  t'  760. 
In  dieser  Gleichung  bedeutet  H  den  auf  den  Dampf  ausgeübten,  auf  0*  re- 
ducirten  Druck.  Es  ist  nämlich  einleuchtend ,  dass  man  nicht  direct  die  Höhe  der 
Quecksilbersäule  in  der  Glasglocke  über  dem  äusseren  l^iveau  von  dem  Barometer- 
stand abziehen  kann,  weil  beide  Quecksilbersäulen  sehr  ungleiche  Temperatur  be- 
eitien ;  man  muss  desshalb  beide  Höhen,  ehe  man  sie  subtrahirt,  auf  dieselbe  Tem- 
peratur ,  am  besten  auf  0<*  reduciren.  Da  nun  der  Ausdehnungscoefiicient  des 
Quecksilbers  =  0.00018  (genauer  0.00018158)  fOr  1«  C.  ist,  so  hat  man: 

H=  h . ^ 

1  +  0.00018.  t  1  +  0.00018. f. 

Die  Methode  von  Gay-Lussac  ist  nur  anwendbar  oder  wenigstens  81. 
mit  Vortheil  nur  anwendbar,  wenn  die  zu  untersuchende  Substanz  so  niedrig 
siedet,  dass  die  Bestimmung  der  Dampfdichte  beim  Siedpunkt  des  Was- 
ser», oder  bei  noch  niederem  Temperaturen  ausgeführt  werden  kann.  Bei 
höher  siedenden  Substanzen  wird  die  Methode  ungenau  und  unangenehm 
in  der  Ausführung.  Ungenau ,  weil  bei  der  Art  des  Erhitzens  eine  gleich- 
mäissige  Erwärmung  des  Bades  nicht  mehr  möglich  ist  und  weil  die  bei 
höheren  Temperaturen  nicht  unbedeutende  Tension  der  Quecksilberdämpfe 
einen  Fehler  veranlasst;  lästig  wegen  der  bei  stärkerer  Erhitzung  aus 
dem  äusseren  Bade  entweichenden  Quecksilber  -  Dämpfe. 

Fflr  Substanzen,  bei  welchen  die  Dampfdichtbestimmung,  bei  höheren 
Temperaturen  ausgeführt  werden  muss,  hatNatanson*)  eineModification 


♦)  Vgl  Ann.  Chem.  Phann.  XCVIII.  801. 


52 


Zugammensetzimg. 


des   Gay-Lu8  8ac*8chen    Verfahrens   in  Vorschlag  gebracht.    Statt  von 
unten  zu  erhitzen,  erwärmt  Natanson  den  oberen  Theil  der  Glasglocke, 

also  den  gebildeten  Dampf,  durch  ein 
um  die  Glocke  angebrachtes  Luftbad, 
welches  durch  glühende  Holzkohlen,  die 
zwischen  der  doppelten  Blechwand  die- 
ses Bades  eingefüllt  werden,  erhitzt  wird. 
Sämmtliche  Blechwandungen  des  Luft- 
bades haben  parallel  mit  der  Axe  und 
in  Einer  Richtung  Einschnitte,  welche  ' 
das  Ablesen  des  Dampfirolums  möglich 
machen.  Natürlich  müssen  bei  diesem 
Verfahren  wegen  der  Tension  des  Queck- 
silberdampfes und  wegen  Ausdehnung 
des  Quecksilbers  Correctionen  angebracht 
werden,  deren  Grösse  man  am  zweck- 
mässigsten  durch  einen  directen  Ver- 
gleichsversuch mit  atmosphärischer  Luft 
ermittelt. 

Vergleicht  man  die  beiden  Metho- 
den zur  Bestimmung  der  DampfdicHte, 
80  ergibt  sich,  dass  die  Methode  von  Dumas  mit  grösserer  Einfach- 
heit der  Ausführung  den  Vortheil  verbindet,  dass  sie  auch  für  höhere 
Temperaturen  noch  ausführbar  ist  Sie  hat  dagegen  den  Nachtheil,  dass 
man  für  jeden  Versuch  eine  verhältnissmässig  grosse  Menge  von  Substanz 
opfern  muss,  weil  bei  weitem  der  grösste  Theil  des  Dampfes  zum  Aus- 
treiben der  im  Ballon  enthaltenen  Luft  verwendet  wird.  Sie  hat  weiter 
den  Nachtheil,  dass  auch  die  geringste  Verunreinigung  der  zu  untersu- 
chenden Substanz  mit  einem  höher  siedenden  Körper  einen  beträchtlichen 
Fehler  veranlasst,  weil,  der  Art  des  Verfahrens  nach,  diese  höher  siedende 
Substanz  sich  im  Ballon  anhäuft,  so  dass  der  den  Ballon  zuletzt  erfüllende 
Dampf  bei  weitem  mehr  Verunreinigung  enthält,  als  die  angewandte 
Substanz.  Die  Methode  von  Gay-Lussac  hat  den  wesentlichen  Vor- 
theil, dass  man  bei  weitem  weniger  Substanz  zur  Bestimmung  der  Dampf- 
dichte nöliiig  hat  und  dass  sämmtlicher  von  der  Flüssigkeit  gebildete 
Dampf  gemessen  wird,  so  dass  eine  geringe  Verunreinigung  das  Resultat 
nur  wenig  beeinflusst.  Sie  gestattet  ferner,  mit  einer  und  derselben  Menge 
Substanz  verschiedene  Beobachtungen  bei  verschiedenen  Temperaturen 
auszuführen  und  aus  diesen  das  Mittel  zu  nehmen.  Sie  leidet  daftlr  an  dem 
Nachtheil,  dass  sie  bei  Temperaturen,  welche  die  Anwendung  einer  an- 
deren Flüssigkeit  statt  des  Wassers  nöthig  machen ,  schwierig  und  unan- 
genehm auszuführen  ist  und  dass  bei  Temperaturen,  die  höher  sind  ab 
170  —  180',  die  Genauigkeit  des  Resultates  durch  die  Spannkraft  des 
Quecksilberdampfes    u.  s.  w,    wesentlich   beeinträchtigt    wird.     Die   von 


Bestimmung  der  Dampfdichte.  53 

Natanson    vorgeschlagene  Modification    hebt    diese  Uebelstände    und 
macht  die  Methode  auch  f^r  höhere  Temperaturen  anwendbar. 

Substanzen^  welche  von  Quecksilber  zersetzt  werden,  können  natürlich  nicht 
nach  der  Methode  von  Gay-Lussac  untersucht  werden. 

Bei  allen  Bestimmungen   des    specifischen  Gewichtes    der  Dämpfe,  83. 
nach  welcher  Methode  man  sie  auch  ausführen  möge,  ist  es  nöthig,    die 
Bestimmung  bei  einer  Temperatur  vorzunehmen,  die  ziemlich  hoch   (min- 
destens 30  —  40»)  über  dem  Siedepunkt  der  Flüssigkeit  liegt 

Man  hat  nämlich  gefunden,  dass  die  Dämpfe  nur  bei  Temperaturen, 
die  beträchtlich  höher  sind  wie  die  Siedetemperatur  ein  den  Oasen  ana- 
loges Verhalten  zeigen  und,  wenigstens  annähernd,  dem  Mariotte'schen 
Gesetze  Folge  leisten^  bei  Temperaturen,  die  dem  Siedepunkt  der  Flüs- 
sigkeit noch  nahe  liegen,  zeigen  die  Dämpfe  meistens  ein  höheres  speci- 
fisches  Grewicht;  bei  steigender  Temperatur  wird  das  specifische  Gewicht 
fortwährend  niedriger,  bis  es  endlich  bei  höheren  Temperaturen  constani 
bleibt.  Bei  manchen  Substanzen  tritt  dieses  constante  specifische 
Gewicht  schon  bei  wenigen  Graden  über  dem  Siedepunkt  ein,  bei  vie- 
len bei  Temperaturen,  die  20® — 30"  höher  sind,  bei  manchen  sogar  erst 
bei  weit  höheren  Temperaturen.  Es  ist  daher  immer  zweckmässig,  die 
Dampfdichtebestimmung  bei  möglichst  hoher  Temperatur  auszuführen, 
jedeufalls  bei  einer  Temperatur,  die  beträchtlich  höher  ist,  als  der  Siede- 
punkt 

Für    den  Alkohol   hat  man  z.  B.   die  folgenden  specifischen    Gewichte  ge- 

fanden. 

Bei    88»     ...    .    1.725 
98»     ...    .    1.649 
110«     .    .    .     .    1.610 
125«    ....    1.603 
150»     ....    1.604 
175»     ....     1.607 
200»     ....     1.602. 
Für  das  Essigsäurehydrat  fand  Cahours  das  specifische  Gewicht  bei 
125»     ....    3.180  200»     .    .    .     .    2.248 

130»     ....    3.105  220»     ....    2.132 

140»     .    .     .     .    2.907  240»     .     .     .     .    2.090 

150»     ....    2.727  270»     ....    2.088 

160»     ....    2.604  310»     ....    2.085 

170»     ....    2.480  320»     ....    2.083 

180»     ....    2.438  336»     ....     2.083 

190»     ....    2.378 
80  dass  also  bei  dem  Alkohol  das  specifische  Gewicht  des  Dampfes  bei  Tempera' 
toren ,  die  mehr  als  30»,  bei  dem  Essigsäurehydrat   erst    bei  Temperaturen ,    die 
mehr  als  120*  höher  sind  als  der  Siedepunkt  constant  zu  werden  anfängt. 

Bestimmung  des  Siedepunktes. 

Der  Siedepunkt  einer  Flüssigkeit  kann,  annähernd  wenigstens,  schon    84. 
bei  jeder  Destillation   beobachtet   werden.    Wenn   das  in    den  Dämpfen 


54  ZoBammensetzuiig. 

der  siedenden  Flttssigkeit  befindliche  Thermometer  längere  Zeit  confltant 
bleibt,  so  zeigt  es  die  Siedetemperatur  der  gerade  ttberdestUlirenden  Sub- 
stanz an.  Stehen  nur  geringe  Mengen  von  Substanz  zur  Bestimmung  des 
Siedepunktes  zur  Disposition,  so  bedient  man  sich  einer  Probirröhre  als 
Siedegefoss. 
85.  Bei  allen  Siedepunktsbestimmangen  ist  es  zweckmftssig,  das  Thermometer 

nicht  in  die  siedende  Flüssigkeit ,  sondern  nur  in  den  Dampf  eintauchen  zu  lassen. 
Man  hat  nämlich  gefdnden,  dass  die  Temperatur  einer  siedenden  Flüssigkeit  nicht 
nur  durch  Beimengung  von  Verunreinigungen,  sondern  auch  durch  die  Besdiaffen- 
heit  der  Wand  des  SiedegefUsses  imd  durch  die  Adhäsion  der  Flüssigkeit  an  dieser 
Wand  wesentlich  beeinüusst  wird,  während  die  aus  einer  siedenden  Flüssigkeit 
entweichenden  Dämpfe  stets  dieselbe  Temperatur  zeigen. 

86.  Bei  genaueren  Siedepunktsbestimmungen  ist  es  nöthig ,  eine  durch  die  Con- 
struction  und  die  Art  der  Anwendung  der  Thermometer  veranlasste  Correctur 
anzubringen,  welche  leicht  mehrere  Grade  betragen  kann.  Die  Thermometer  wert 
den  nämlich  den  Siedepunkt  stets  zu  niedrig  anzeigen,  wenn  ein  Theil  des  Queck- 
silberfadens nicht  in  den  siedenden  Dämpfen  befindlich  ist.  Der  Fehler,  welchen 
die  geringere  Erwärmung  des  Theiles  des  Quecksilberfadens ,  der  sich  ausserhalb 
des  Siedegefässes  befindet,  veranlasst,  kann  nach  Kopp*)  mit  hinreichender  Ge- 
nauigkeit corrigirt  werden,  wenn  man  zu  dem  direct  beobachteten  Thermometer- 
stand hinzuaddirt : 

N  (T  —  t). 0.000164, 
worin  N  die  Länge  des  ausserhalb  des  Siedegefässes  befindlichen  Quecksilbeifadens 
in  Graden^  T  den  Stand  des  Thermometers,  t  die  mittlere  Temperatur  des  ausserhalb 
des  Siedegefl&sses  befindlichen  Quecksilberfadens,  welche  durch  ein  zweites,  an  die 
Mitte  dieses  Fadens  gestelltes  Thermometer  beobachtet  wird,  ausdrückt-,  während 
0.000154  die  scheinbare  Ausdehnung  des  Quecksilbers  im  Glas  fär  1^  C.  be- 
zeichnet. 

Da  auch  der  Luftdruck  von  Einfluss  auf  die  Siedetemperatur  der  Flüssig- 
keiten ist,  so  kann  man  bei  genauem  Siedepunktsbestimmungen  eine  Correction 
für  den  während  des  Versuchs  stattfindenden  Barometerstand  ausfuhren  und  den 
Siedepunkt  auf  Normalbarometerstand  (=  760  M.  M.)  reduciren.  Es  geschieht  dies 
mit  annähernder  Genauigkeit,  wenn  man  für  je  2,7  M.M.  Differenz  im  Barometer- 
stand den  direct  beobachteten  Siedepunkt  um  0^,1  C.  erniedrigt  oder  erhöht  (letz- 
teres, wenn  der  Barometerstand  höher  ist  als  760  M.M.) 

Bestimmung  des  Schmelzpunktes. 

87.  Der  Schmelzpunkt  eines  festen  Körpers  f&llt  gewöhnlich  mit  dem  Ge- 
frierpunkt oder  Erstarrungspunkt,  d.  h.  mit  der  Temperatur,  bei  welcher 
der  flüssige  Körper  beim  Erkalten  wieder  fest  wird ,  zusammen.  Viele 
Körper  können  indess  mehrere  Orade  unter  ihren  Schmelzpunkt  abge- 
kühlt werden,  ohne  zu  erstarren. 

Man  kann  den  Schmelzpunkt  oder  den  Erstarrungspunkt  so  bestim- 
men,  dass   man   ein  Thermometer  in  die  eben    schmelzende    oder  eben 


*}  Vgl.  Ann.  Chem.  Pharm.  XCIV.  S.  262. 


Siedpunkt    Schmelzpiuikt  55 

eratairende  Substanz  eintaucht  Weit  genauere  Resultate  erhält  man, 
wenn  man  zum  Versuch  nur  sehr  geringe  Mengen  von  Substanz  ver- 
wendet, die  sich  in  dünnwandigen  und  engen  Glasröhrchen  befinden.  Man 
bringt  mehrere  solche  Röhrchen  in  ein  mit  "Waser,  oder  bei  Substanzen, 
die  über  100®  schmelzen,  mit  Schwefelsäure  etc.  gefülltes  Becherglas,  wel- 
ches auf  einem  Sandbad  stehend,  langsam  erwärmt  wird.  Man  erwärmt 
das  Bad  bis  zum  Schmelzen  der  Substanz;  lässt  dann  langsam  abkühlen 
bis  zum  Erstarren ;  erwärmt  dann  wieder  und  wiederholt  dies  öfter,  wäh- 
rend man  jedesmal  die  Temperatur  des  Bades ,  bei  welcher  das  Schmel- 
zen oder  Erstarren  stattfindet,  beobachtet.  Das  Mittel  aus  mehreren  Be- 
obachtungen gibt  den  Schmelzunkt  und  Erstarrungspunkt  Zeigen  sich 
beide  bei  wiederholten  Versuchen  constant  verschieden,  so  werden  beide 
Temperaturen  aufgeführt 


ABsichten   über   die   Constitution  der  organischen  Ver- 
bindungen. 

Grenze  von  Thatsache  und  Hypothese. 

Da  in  der  Chemie  nur  zu  häufig  und  fast  gewohnheitsmässig  Hjpo-  88. 
fliesen  fär  Thatsachen  augesehen,  oder  wenigstens  wie  solche  gehandhabt 
werden,  ist  es  vor  allem  nöthig,   sich   darüber  klar  zu  werden:  wo   in 
der  Chemie  das  Gebiet  der  Thatsachen  authört  und  das  der  Betrachtun- 
gen und  Hypothesen  aniUngt. 

Wenn  durch  die  Elementaranalyse  die  Zusammensetzung  einer  Sub- 
stanz ermittelt  worden  ist ,  wenn  wir  z.  B.  gefunden  haben : 

Kohlenstoff.    Wasserstoff.    Sauerstoff. 
Essigsäure  enthält  m  100  Theilen  89.96  6.74  53.80 

Bemsteinsfiure  „      „    „        „  40.68  5.08  54.24 

80  ist  dies  das  Resultat  exacter  Versuche,  es  ist  eine  Thatsache. 

Wenn  die  Chemiker  übereinkommen,  sich  einer  abgekürzten  Schreib- 
weise zu  bedienen  und  die  Zusammensetzung  der  Körper  nicht  in  Ge- 
wichtsyerhältnissen  der  Elemente,  sondern  in  Formeln  darzustellen,  deren 
einzelne  Buchstaben  nicht  nur  die  Qualität ,  sondern  auch  die  relative 
Quantit&t  der  Elemente  ausdrücken;  wenn  solche  Proportionszahlen  oder 
Mischungsgewichte  durch  Uebereinkunft  festgesetzt  worden  sind,  z.  B.  für: 
Kohlenstoff  0  =  6  Gewichtstheile 
Wasserstoff   H  =  1  „ 

Sauerstoff      0  =:  8  „ 

Dann  kann   die  Zusammensetzung  der  beiden  Säuren    ausgedrückt 
werden  durch: 


56  Gonstitation  der  org.  Verbindungen. 

Essigsäure  C  H  0    oder  ein  Multiplum 

Bemsteins&ure   C4H3O4     „        „  ,, 

und  es  ist  dies:  der  übereinkunftsmässige  Ausdruck  einer 
Thatsache.  Durch  weitere  Uebereinkunft  kann  dann  ftir  jede  Substanz 
eines  der  möglichen  Multiplen  festgesetzt  werden  und  man  kann  über- 
einkunftsmässig  schreiben,  z.  B.: 

Essigsäure  C4H4O4 

Bemsteinsäure  CsOeHs. 

91.  Legt  man  den  Buchstaben  der  Formeln  aber  eine  andere  Bedeutung 
unter ;  betrachtet  man  sie  als  den  Ausdruck  der  Atome  und  der  Atom- 
gewichte der  Elemente,  wie  dies  jetzt  meistens  geschieht,  so  wirft 
sich  die  Frage  auf:  wie  gross,  oder  wie  schwer  (relativ)  sind  die  Atome? 
Da  die  Atome  weder  gemessen  noch  gewogen  werden  können,  so  ist  es 
einleuchtend,  dass  nur  Betrachtung  und  Speculation  zur  hypothetischen 
Annahme  bestimmter  Atomgewichte  führen  kann.  Daher  kommt  es  denn, 
dass  die  Chemiker  nicht  einig  sind  über  die  relative  Grösse  der  Atome  ^ 
dass  ein  Theil  derselben  den  Kohlenstoff,  Wasserstoff  und  Sauerstoff  zu : 

C  =6^       H  =  1-,    0  =  8 
ein  andrer  zu: 

e  =  12 ;    H  =  1  •,    e  =  16 
annimmt*). 

Sobald  man  also  die  Zusammensetzung  der  Körper  in  atomist i- 
schen  Formeln  darstellt,  schliesst  die  Formel  (selbst  die  Verhältniss- 
formel) Hypothesen  ein,  weil  die  relativen  Grössen  der  Atome  hypo- 
thetisch sind.  Je  nachdem  ein  Chemiker  also  die  einen  oder  die  andern 
Atomengrössen  für  die  wahrscheinlichsten  hält,  wird  er  schreiben: 

Essigsäure  ==  C  H  0    oder  G4H4O4 

Bemsteinsäure  =  C4Ht04      „  CaHcOg 
oder  aber 

Essigsäure  =  GH»0    oder  €iH46^ 

Bemsteinsäure  :=  6»HsO!i      „  G4HJG4. 

92.  Die  Aeq uivalentge wich te  analoger  Substanzen  können,  wie 
§.  52  etc.  gezeigt  wurde,  mit  Leichtigkeit  durch  Versuche  ermittelt  werden. 
Wenn  man  die  Essigsäure  und  die  Bemsteinsäure  z.  B.  vergleicht  mit 
der  Salzsäure,  so  ergeben  sich  die  Aequivalentgewichte: 

Salzsäure  =36.5 

Essigsäure        =60.0 
Bemsteinsäure  =  59.0. 


*)  In  den  folgenden  Betrachtungen  und  in  dem  späteren  historischen  Theil  sind 
häufig  die  alten  Atomzeichen  und  Atomgewichte  neben  den  neuen  gebraucht 
Es  bedeutet  dabei  stets  : 

alt:      C  =    6-,      0=8;      H  =  1 
neu:  e  =  12;      O  =  16;      H  =  1. 


Constitution  der  org.  Verbindungen.  57 

Die  Aequivalentgewichte ,  als  durch  den  Versuch  direct  feststell- 
bar, sind,  wenn  überhaupt  ermittelt,  wirkliche  Thatsa che;  und  alle 
Chemiker  müssen  darüber  einerlei  Ansicht  sein,  welche  Mengen  von  ana- 
logen Substanzen  einander  äquivalent  sind.  Schreibt  man  die  Formeln 
also  so,  dass  sie  äquivalente  Mengen  darstellen,  so  werden  sie  zwar 
verschiedenes  Aussehen  gewinnen,  jenachdem  man  die  einen  oder  die 
andern  Atomgewichte  annimmt,  man  wird  z.  B.  schreiben : 
Salzsäure  H  Cl       oder    H  Cl 

Essigsäure         C4H4O4      „       ^iHiOs 
Bernsteinsäure  C4H3O4      ^^       OiHsOt , 
aber  die  durch  die  Formel  ausgedrückten  Mengen,  die  Aequivalente  wer- 
den,   welcher  Schreibweise  man  sich  auch  bedienen  mag,   dieselben  Ge- 
wichtsverhältnisse, dieselben  Aequivalentgewichte  besitzen.    Man  hat  z.B. 
fiHr  Essigsäure: 

C,  =  4.6  =  24    oder    6,  =  2.12  =  24 
H,  =4.1  =    4  H,  =  4.1     =  4 

0^  =  4.8  =  32  Oj  =  2.16  =  32 

60  60. 

Die  chemischen  Formeln  bezeichnen  aber  nicht  äquivalente  Mengen,  ^^^ 
es  sind  nicht  Aequivalentformeln ;  sondern  vielmehr,  wie  früher  ($.  63) 
hervorgehoben  wurde,  Molecularformeln  (vgl.  S-162,  lG7j.  Wie  bei  den  Ato- 
men, so  wirft  sich  auch  hier  die  Frage  auf:  wie  gross  oder  wie  schwer 
(relativ)  sind  die  Molecüle  der  verschiedenen  Körper?  Nur  eine  Reihe 
von  Betrachtungen,  eine  Speculation  kann  darüber  zu  einer  Ansicht  fuhren; 
und  wie  bei  den  Atomen,  ja  mehr  noch  als  dort,  so  weichen  auch  üb^r 
die  Grösse  der  Molecüle  die  Ansichten  verschiedener  Chemiker  von  ein- 
ander ab.  Für  die  Essigsäure  sind  alle  Chemiker  darüber  einig,  dass  ein 
Molecül 

Essigsäure  =  C^H^O^     oder    €,H^0, 
fUr  die  Bernsteinsäure  dagegen  nimmt    ein  Theil  der  Chemiker  die  Mole- 
cularformel  halb  so  gross  an,  als  die  andern : 

Bernsteinsäure  =  C^H,04     oder    6,H,0^ 
Oder  =  C.H.O,       „        e,H,0,. 
Geht  man  in  den  Betrachtungen  noch  etwas  weiter ,   begnügt  man    94. 
sich  nicht  damit,  eine  Vorstellung  gewonnen   zu  haben   über  die  Anzahl 
der  Atome  der  Elemente,   die  zu  Einem  Molecül  der  Verbindung  zusam- 
mengetreten sind;  fragt  man  vielmehr  nach   der  Art   der  Lagerung  oder 
Gruppirung    der  Atome  im  Molecül   (nach    der  Constitution  der  Verbin- 
dung)^   so  sind  der  Natur  der  Sache  nach  —  weil  man  sich  weiter  vom 
Gebiet  des  Thatsächlichen  entfernt  und  tiefer  in  Betrachlungen  und  Spe- 
culationen   verliert  —  noch    mehr  verschiedene  Ansichten  möglich;   und 
desshalb  bedienen  sich  die  verschiedenen  Chemiker  für    ein  und  dieselbe 
Substanz  einer  ofl  sehr  grossen  Anzahl  verschiedener  rationeller  Formeln. 
Für  die  Essigsäure,  eine  der   best  untersuchten  organischen  Verbindungen 


58  Conatitation  der  arg,  Vei^bindimgeni. 

sind  z.  B*  die  folgenden  rationellen  Formeln  gebraacht  oder  wenigstens  vorgeschla- 
gen worden*). 

CfH^O^ empirische  Formel. 

G4H,0,  -^  HO dualistische  Formel. 

0^11,04    .   H Wasserstoffsäure-Theorie. 

C4H4      +  O4 Kemtheorie. 

C4H,0,  "1- HO,        Longchamp's  Ansicht 

C4H       +  Hj04 Graham's  Ansicht 

C4H,0,.0  4-HO Radicaltheorie. 

C4H,  .  0,  +  HO Radicaltheorie. 

^*^'h'I^* Gerhardt    Typentheorie. 

^4J^»|04 Typentheorie  (Schischkoff  etc.) 

0^0,  +  C,H,  -{-HO     .    .    .  Berzelins'  Paarlingstheorie. 

H  0.(C,Hj)C,,Oj Kolbe's  Ansicht 

HO.(C,H,)C„0.0,    ....  ditto 

C,(C,H,)0,JQ^        YT^j^rtz 

C,H3(C,0^)|q^ Mendius. 

^«'^••JJJC^O, Geuther. 

jC,H,) 

C,jO       >0  4-H0      ....  Rochleder. 


(C,  '^-  +  Co»)  +  HO   .    P 


ersoz. 


H 


o.jk- 


"T — jo; Buff. 

95.  Eine  einmal  festgestellte  Thatsache  kann  nie  Gegenstand  des  Strei- 

tes sein.  Die  Chemiker  können  also  nie  verschiedener  Ansicht  sein  aber 
die  procentische  Zusammensetzung  und  über  das  Aequivalentgewicht  genau 
.  untersuchter  Substanzen.  Betrachtungen  dagegen  können,  von  densel- 
ben Thatsachen  als  Orundlage  ausgehend,  je  nachdem  man  der  einen 
oder  der  anderen  vorwiegend  Werth  beilegt,  zu  ganz  verschiedenen  An- 
sichten fahren.    Durch  Erkenntniss   und  Beracksichtigung  neuer  Thatsa- 

^)  Für  deren  Vollstftndigkeit  übrigens  nicht  garantirt  werden  kann. 


Lavoiner's  Anfliehton.  59 

oheu  mflssen  diese  Ansichten  der  Natur  der  Sadie  nach  fortwährende 
Veränderangen  erleiden.  Da  nun  die  Ansichten  über  Atomgewicht 
der  Elemente,  Holeculargrösse  und  Constitution  der  Verbindungen 
nur  aus  Betrachtungen  hergeleitet  werden  können,  so  ist  es  einleuchtend, 
dass  sie  im  Verlauf  der  Entwicklung  der  Wissenschaft  sich  fortwährend 
ändern  mussten ,  dass  sie  jetzt  noch  fortwährend  sich  ändern  und  dass 
zu  derselben  Zeit  verschiedene  Chemiker  verschiedener  Ansicht  sein  kön- 
nen. Zum  Verständniss  unserer  jetzigen  Ansichten  über  diese  Gegen- 
stände ist  es  nöthig,  die  historische  Entwicklung  dieser  Ansichten,  in  all- 
gemeinen Zügen  wenigstens,  zu  verfolgen. 

Historische   Entwicklung    der  Ansichten   über  die 
Constitution  der   organischen  Verbindungen. 

Lavoisier's  Ansichten.    Duahsmus;  Radicale. 

Ein  grosser  Theil  der  jetzt  noch  aUgemein  oder  wenigstens  von  96. 
einer  grösseren  Anzahl  von  Chemikern  adoptirten  Ansichten  über  die 
Constitution  der  chemischen  Verbindungen  rührt  von  Lavoisier,  dem 
eigentlichen  Begründer  wissenschaftlicher  Chemie  her.  Die  völlige  Um- 
gestaltung, welche  die  Chemie  durch  Lavoisier  erfuhr,  lässt  es  unnöthig 
erseheinen,  hier  auf  die  Ansichten  früherer  Chemiker  ausführlicher  einzu- 
gehen ,  zu  dem  ist  das  ftlr  die  organische  Chemie  wichtigste  oben  (J.  3) 
schon  mitgetheüt  worden.  Zu  den  S.  6  besprochenen  Ansichten  StabPs 
mnss  indessen  hier  noch  zugefügt  werden,  dass  Stahl  schon  bei  den  Be- 
trachtungen über  die  Constitution  der  Körper  von  derselben  Idee  aus- 
ging, die  auch  den  späteren  Chemikern  als  Grundlage  diente  und  jetzt 
noch  häufig  als  solche  dient,  von  der  Idee  nämlich :  man  könne  aus  den 
Producten  der  Zersetzung  eines  Körpers  Schlüsse  ziehen  auf  die  Constitu- 
tion des  Körpers  selbst.  Erwähnt  zu  werden  verdient  weiter,  dass  ftir 
Stahl  schon,  wie  für  die  meisten  der  späteren  Chemiker  das  Studium  der 
Verbrennungserscheinungen  den  wesentlichen  Ausgangspunkt  für  theore- 
tische Beiracl^tungen  bildete. 

Die  Verbrennungstheorie  von  Lavoisier  ist  der  Anfang  der  neuen  97. 
Periode  in  der  Chemie;  sie  bildet  die  Grundlage  aller  späteren  Ansichten. 
Nachdem  Lavoisier  den  Sauerstoff  als  das  bei  der  Verbrennung  thätige 
Element  erkannt  hatte,  wurden  alle  Körper  der  Einwirkung  des  Sauer- 
stoffes ausgesetzt,  alle  auf  Gehalt  an  Sauerstoff  geprüft.  Die  Chemie  der 
damaligen  Zeit  war  wesentlich  eine  Chemie  des  Sauerstoffs.  Bei 
allen  Untersuchungen  war  der  Sauerstoff  die  Hauptsache;  der  mit  ihm 
verbundene  Theil  wurde  weit  weniger  berücksichtigt,  es  war  der  Rest,  um 
dessen  Zusammensetzung  man  sich  verhältnissmässig  wenig  kümmerte 
und  den  man  la  base^  le  radical  nannte.  Die  einfacheren  Verbindun- 
gen bestanden  aus  zwei  Theilen :   aus  Sauerstoff  und   aus  dem  Rest 


60  Constitution  der  org,  Verbindungen 

Die  auffallende  Verschiedenheit  der  einfachsten  Sauerstoffverbindungen 
liess  sie  in  zwei  Gruppen  theilen :  in  Basen  und  Säuren.  Da  durch 
Zusammenbringen  beider  die  Salze  entstanden,  so  hielt  man  diese  ein- 
fach f[lr  eine  Vereinigung  von  Säure  mit  Base.  Betrachtungen  der  Art 
bildeten  die  Grundlage  und  bilden  noch  jetzt  den  Hauptinhalt  der  dua^ 
listischen  Ansichten,  die  vonLavoisier  bis  auf  die  neueste  Zeit 
in  der  unorganischen  Chemie  fast  allgemein  angenommen  wurden  und  die 
in  ihrer  Anwendung  auf  die  organische  Chemie  die  s.  g.  Radicaltheorie 
erzeugten. 

98.  Lavoisier  dehnte,  wie  in  anderer  Beziehung  so  auch  hier  seiner 
Zeit  um  vieles  vorauseilend,  diese  Anschauung  schon  auf  die  organischen 
Verbindungen  aus.  Gerade  so,  wie  er  den  Stickstoff  das  Radical  der 
Salpetersäure  nennt,  gerade  so  wie  er  sagt:  le  carhone  est  le  radical  de 
Vadde  carbonique  (Traiti  elementaire  de  Chimie  1793,  S.  251),  so  spricht 
er  auch  von  den  Radicalen:  oxalique^  malique,  citrique,  tartareux  etc. 
und  versteht  darunter  stets  den  Theil  der  Verbindung,  der  mit  dem  Sauer> 
Stoff  die  Säure  ausmacht. 

Er  sagt  sogar  (a.  a.  0.  S.  209).  ^^tPai  d^ja  fait  observer^  que 
dans  le  r^gne  min^ral  presque  to^ts  les  radicaux  nxidables  et  acuUfiables 
itaient  simple$\  que  dans  le  regne  vegctal  au  contraire  et  sur^tout  dans 
le  r^gne  animal ,  il  rCen  existait  presque  pas  qui  ne  fusserd  composSs  au 
moins  de  deux  substances^  d^hydrogene  et  de  carbone ;  que  soucent  Pazote  et  le 
phosphore  s'y  reunissaient,  et  quHl  en  resultait  dfs  radicaux  a  quatre  bases  *).'* 

Einfluss  der   atomistischen  Theorie  und  der  elektrochemischen 

Hypothese, 

In  der  nächsten  Zeit  nach  Lavoisier's  Tod  waren  die  Chemiker 
wesentlich  mit  Ausarbeitung  der  von  ihm  und  seinen  Zeitgenossen  ange- 
bahnten Untersuchungen  und  der  von  ihm  ausgesprochenen  Ansichten  be- 
schäftigt.. Die  meisten  Untersuchungen,  im  Sinn  der  dualistischen  Theorie 
ausgeführt,  schienen  nur  weitere  Belege  für  deren  Richtigkeit  zu  geben. 

99.  Inzwischen  war  die  von  Dalton  zuerst  durchgeführte  Atomen- 
theorie (1804  —  1808),  dieHiggin's  15  Jahre  vorher  (1789)  schon 
in  ähnlicher  Form  aufgestellt  hatte,  von  den  Chemikern  fast  allgemein 
angenommen  worden,  weil  sie  den  einfachsten  Ausdruck  und  gewisser- 
massen  den  Schlüssel  bot  zu  den  in  der  Zusammensetzung  der  chemi- 
schen Verbindungen  erkannten  Gesetzmässigkeiten.    Durch  sie  gewannen 


♦)  Lavoisier  muss  demnach  als  der  eigentliche  Urheber  der,  von  Berzelius 
nur  weiter  ausgetiihrten ,  Radicaltheorie  betrachtet  werden;  und  desshalb  ist 
der  den  französischen  Chemikern  von  mancher  Seite  gemachte  Vorwurf  un- 
begründet :  „die  Radicaltheorie  habe  bei  französischen  Chemikern  wenig  Ein- 
gang gefunden ,  bei  vielen  wohl  desshalb ,  weil  sie  nicht  auf  französischem 
Boden  gewachsen.^^ 


Atomistische  Theorie.  61 

theoretische  Betrachtungen  über  die  Constitution  der  chemischen  Verbin- 
dangen  wesentlich  an  Interesse.  Hatte  man  vorher  vielleicht  klare  Vor- 
stellungen nur  dunkel  auszudrücken  vermocht,  so  war  es  jetzt  an  sich 
verständlich,  was  man  unter  Zusammensetzung  und  Constitution  der  Ver- 
bindung verstand;  man  meinte  die  Lagerung  der  Atome.  Während 
die  atomistische  Theorie  so  im  allgemeinen  zu  Speculationen  anregte  und 
das  Interesse  an  theoretischen  Betrachtungen  erhöhte,  diente  sie  gleich- 
zeitig zur  Verbreitung  der  dualistischen  Ansichten.  Obgleich  an  sich 
nicht  eigentlich  dualistisch  ,  konnte  sie  doch  —  und  wurde  es  von  An- 
fang an  —  dualistisch  aufgefasst  werden,  und  sie  schien  so,  weil  sie  mit 
dem  Dualismus  leicht  in  üebereinstimmung  gebracht  werden  konnte,  dem- 
selben zur  Stütze  zu  dienen. 

Weit  mehr  noch  trugen  zur  Verbreitung  der  dualistischen  Ansicht  100. 
die  Vorstellungen  bei,  die  man  sich  von  der  Ursache  der  chemischen 
Verwandtschaftserscheinungen  machte.  Man  hatte  gefunden ,  dass  der 
elektrische  Strom  Verbindungen  zersetzt*)  und  Verbindungen  veranlasst**); 
man  fand ,  dass  der  galvanische  Strom  in  ähnlicher  Weise  zersetzend 
einwirkt  **♦) ;  man  beobachtete  weiter,  dass  bei  Berührung  ungleichartiger 
Substanzen  stets  Elektricitätserscheinungen  auftreten  f)  und  dass  bei  che- 
mischer Einwirkung  stets  gleichzeitig  elektrische  Phänomene  stattfinden. 
Man  schloss  daraus,  nicht  etwa,  dass  chemische  und  elektrische  Erschei. 
nuDgen,  weil  gleichzeitig  auftretend,  von  derselben  Ursache  bedingt  seien; 
man  hielt  vielmehr  die  elektrischen  Eigenschaften  der  Atome  für  die  Ur- 
sache der  chemischen  Verwandtschaftserscheinungen.  Die  am  besten  aus- 
gebildete und  am  meisten  verbreitete  elektrochemische  Theorie, 
die  von  Berzelius  (1819),  nahm  an:  die  Atome  der  Körper  sind 
an  den  entgegenstehenden  Polen  mit  entgegengesetzten  Elektricitäten  be- 
laden, so  dass  stets  die  eine  Elektricilät  vorherrschend  ist;  die  Anziehung 
der  ungleichen  Elektricitäten  und  die  Ausgleichung  derselben  veranlasst 
die  chemische  Verbindung. 

Da  ein  Gegensatz  der  Elektricitäten  die  Ursache  der  chemischen 
Vereinigung  war,  so  musste  die  Verbindung  nothwendig  aus  zwei  Theilen 
bestehcD,  welchen  diese  entgegengesetzten  Elektricitäten  eigen  waren.  Die 
elektro-chemische  Theorie  fügte  also  den  dualistischen  Ansichten  nichts 
wesentlich  Neues  bei,  aber  sie  diente  denselben  nicht  nur  zur  Stütze,  sie 
liess  dualistische  Zusammensetzung  geradezu  nothwendig  erscheinen. 


*)  Wasser:  Deymann  und  Paets  van  Troostwyk,  1789.  —    Ammoniak: 

Berthollet  1785. 
♦♦)  Wasser:    Watt,  1781.  —    Salpetersäure:    Cavendish,  1784. 
♦♦♦)  Wasser:    Nicholson  und  Carlisle,  1800.  —    Salze:    Berzelius  und 
Hisinger,  1803. 
f)  Galvani,  1790. 


62  ConBÜtntion  der  org.  Verbindimgen. 

Dasa  die  elektro-diemische  Theorie  ungemein  rasch  Eingang  fand,  und  dass 
sie  sich  lange  eines  fast  allgemeinen  Beifalls  erireute,  hat  seinen  Grund  nicht  sowohl 
darin,  dass  ihre  Erklärungen  gerade  besonders  befriedigend  waren  j  es  ist  vielmehr 
wesentlich  dem  Umstand  zuzuschreiben,  dass  sie  gleich  von  Anfang  in  abgerunde- 
ter Form,  und  es  lässt  sich  niclit  läugnen,  in  geistreicher  Weise  durchgeführt,  auf- 
trat. Befremdend  ist  es  dagegen ,  dass  sie  jetzt,  nachdem  das  H3^othetische  ihrer 
Grundlage  und  das  Kichtübereinstimmen  mit  den  einfachsten  Thataadien  so  häufig 
nachgewiesen  worden  ist,  noch  immer  Anhänger  hat ;  befremdend  ist  es  nament- 
lich ,  dass  einzelne  ihrer  Anhänger  sie  geradezu  zu  einem  Glaubensartikel  erhoben 
haben  ,  über  dessen  Begründetsein  sie  in  keiner  Weise  Betrachtungen  anzustellen 
sich  veranlasst  finden.  Das  selbstbefriedigte  und  absprechende  Auftreten  der 
elektro-chemischen  Theorie  macht  es  nöthig,  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass 
selbst  die  am  häufigsten  und  merkwürdigerweise  noch  in  neuester  Zeit  gebrauchte 
Argumentation  —  als  zerfiele  das  schwefelsaure  Kali  bei  elektrolytischer  Zersetzung 
in  S0|  und  KG  —  gerade  die  Auffassung  dieses  Vorganges  ist,  welche  nachgewie- 
senermassen  mit  den  Thatsachen  im  Widerspruch  steht. 

Berzelius.  —    Radicaltheorie. 

100.  Die  dttalistischen  Ansichten    über   die  Constitution  der   chemischen 

und  zunächst  der  unorganischen  Verbindungen  mussten  nothwendig  zu 
weiterer  Ausbildung  der  Ideen  führen,  welche  Lav eis  i  er  schon  über  die 
Constitution  der  organischen  Verbindungen  ausgesprochen  hatte. 

Nachdem  Berzelius  durch  eine  Reihe  sorgfältiger  Versuche  (wesent- 
lich 1815  —  1817)  das  Gesetz  der  constanten  und  multiplen  Verhältnisse 
auch  für  organische  Körper  bestätigt  gefunden  hatte,  verglich  er,  ähnlich 
wie  dies  Lavoisier  schon  gethan,  die  organischen  Verbindungen  mit 
den  unorganischen  und  stellte,  indem  er  im  Wesentlichen  die  von  La- 
voisier 24  Jahre  vorher  ausgesprochenen  Ansichten '^)  wiederholte,  den 
Satz  auf: 

„Nachdem  wir  den  unterschied  zwischen  den  Producten  der  orga- 
„nischen  und  der  unorganischen  Natur,  und  die  verschiedene  Art  und 
„Weise,  wie  ihre  entfernteren  Bestandtheile  untereinander  verbunden  sind, 
„näher  kennen  gelernt,  haben  wir  gefunden,  dass  dieser  Unterschied 
„eigentlich  darin  besteht,  dass  in  der  unoi^anischen  Natur  alle  oxydirten 
„Körper  ein  einfaches  Radical  haben,  während  dagegen  alle  orga- 
„nischen  Substanzen  aus  Oxyden  mit  zusammengesetztem  Ra- 
„dioal  bestehen.  Bei  den  Pflanzensubstanzen  besteht  das  Radical  im 
„Allgemeinen  aus  Kohlenstoff  und  Wasserstoff,  und  bei  den  Thierstoffen 
„aus  Kohlenstoff,  Wasserstoff  und  Stickstoff.''  (Lehrbuch  der  Chemie. 
2.  Aufl.  Stockholm  1817,  L  544.) 

In  der  nächsten  Zeit  wurde  diese  Ansicht  von  Berzelius  selbst 
nicht  weiter  ausgeführt  und  sie  blieb;  obgleich   die  fast  gleichzeitige  Ent- 


•)  Vergl.  §.  98. 


Aeltere  Radfealüicotie. 


63 


deckuDg  des  Cyans  (Gaj-Lussac  1815)  ein  hrefilichea  Beispiel  eines 
zusammengesetzten  (dem  Chlor  ähnlichen)  Radicales  abgab,  fast  ohne 
Anhang;  wesentlich  wohl  desshalb ,  weil  fast  gleichzeitig  für  eine  der 
bestgekannten  Eörpergruppen  eine  andere  Anschauungsweise  mitgetheilt 
wurde,  die  sich  den  Thatsachen  ebenso  gut,  wenn  nicht  besser,  anzupas- 
sen schien.  Gay-Lussac  hatte  gefunden,  dass  die  Dampfdichte  des 
Alkohols  gleich  ist  der  Summe  der  Dampfdichten  des  Wassers  und  des 
ölbildenden  Grases;  and,  dass  man  die  Dampfdichte  des  Aethers  erhält, 
wenn  man  zu  zweimal  der  Dampfdichte  des  ölbildenden  Gases  noch  die 
des  Wassers  addirt  Er  schloss  daraus ,  der  Alkohol  sei  eine  Vereinigung 
von  1  Vol.  ölbildendem  Gas  mit  1  Vol.  Wasser,  der  Aether  eine  Verbin- 
dung von  2  Vol.  ölbildendem  Gas  mit  1  Vol.  Wasser.  Nicht  nur  die 
damals  vom  Aether  und  Alkohol  bekannten  Thatsachen  fanden  durch 
diese  Anschauung  ihre  einfachste  Deutung,  auch  die  von  Dumas  und 
Boullay  1828  entdeckten  zahlreidien  Verbindungen  konnten  nach  ihr 
in  einfacher  Weise  dargestellt  werden.  Da  die  erste  Zusammenstellung 
einer  grösseren  Anzahl  von  auseinanderentstehenden  Substanzen  in  dieser 
Anschauungsweise  —  der  s.  g.  Aetherintheorie  —  gegeben  wurde,  so 
musste  sie  natürlich,  obgleich  nie  auf  eine  grössere  Anzahl  organischer 
Substanzen  ausgedehnt,  der  Annahme  der  Radicaltheorie  hindernd  im 
Wege  stehen. 

Die  Aetherintheorie  nahm  in  allen  vom  Alkohol  sich  ableitenden 
Körpern  die  Gruppe  C4H4  an;  sie  verglich  so  diese  Verbindungen  wesentlich  mit 
dem  Ammoniak  und  seinen  Salzen. 


Aetherin 

(OelbildendesGas)  C^H^ 

Aether  C^H^  +  HO 

Alkohol  C,H,  +  2H0 


NH 


Chloräthyl 

Schwefeläthyl 

Mercaptan 


C,H,  +  HCl 
C^H,  +  HS 
C,H,  +  2HS 


Schwefelweinsäure  *  C^H^  •{-  2(S0,  .  HO) 


etc. 


Ammoniak 

Ammoniumoxyd 

Ammoniumozydhy- 

drat 
Salmiak 

Schwefelammonium 
Schwefelwasserstoff- 
schwefelammonitmi 
KH,  +  2(S0,.H0)  Saures  schwefelsau- 
res  Ammoniak, 
etc. 


NH,  +H0 
NH3  +2H0 

NH,  +  HCl 
NH,  4-  HS 
NH,  4  2HS 


Die  weitere  Ausbildung  der  Radicaltheorie  wurde  zunächst  veran-  108. 
lasst  durch  die  ausgezeichneten  Untersuchungen,  welche  Liebig  und 
Wöhler  1832  über  die  Benzojlverbindungen  anstellten.  Diese  Unter- 
suchungen zeigten ,  dass  in  den  Benzojlverbindungen  eine  zusammenge- 
setzte Atomgruppe  (Benzoyl  =  CuH^O«!)  angenommen  werden  kann,  die 
in  ihren  Verbindungsverhältnissen  mit  den  einfachen  Badicalen  (Metallen) 
der  unorganischen  Natur  die  grösste  Analogie  zeigt  und  wie  diese  von 
einer  Verbindung  in  eine  andere  fibertragen  werden  kann.  Berzelins 
begrasste  diese  Entdeckung  mit  besonderer  Freude;  er  meinte:  es  breche 


64  Constitation  der  org.  VerbiBdungen. 

ein  neuer  Tag  jetzt  an  für  die  Chemie  übeiiiaupt  und  besonders  für  die 
Radiealtheorie.  Er  schlug  vor,  das  neu  entdeckte  Radical  statt  Benzojl, 
Proin  oder  Orthrin  zu  nennen  (von  nqM  morgens  —  und  oQÖqog  der 
Morgen).  Er  entwickelte  jetzt  die  Radiealtheorie  ausführlicher,  indem  er 
sie  zunächst  (1834)  auf  den  Alkohol  und  seine  Umwandlungsproducte 
anwandte ,  in  welchen  er  das  den  Metallen  analoge  Radical  Aethjl 
=  C4H5  annahm.  Während  die  Aetherintheorie  diese  Substanzen  mit 
dem  Ammoniak  und  seinen  Verbindungen  verglichen  hatte,  verglich  die 
Radiealtheorie  (speciell :  Aethjltheorie)  dieselben  Körper  mit  dem  Kalium 
und  seinen  Verbindungen.  Da  nun  gerade  in  jener  Zeit  in  den  Am- 
moniaksalzen ein  dem  Kalium  analoges,  zusammengesetztes  Metall  ange- 
nommen wurde,  so  musste  natürlich  in  demselben  Maasse,  in  welchem 
die  Theorie  des  Ammoniums  die  Ammoniaktheorie  verdrängte,  auch  die 
Radiealtheorie  den  Sieg  über  die  Aetherintheorie  davon  tragen.  In  der 
That  fand  die  Radiealtheorie  jetzt  fast  allgemeinen  Beifall.  Die  deutschen 
Chemiker  besonders  schlössen  sich  an  und  Lieb  ig  definirte,  wie  S.  9 
erwähnt,  die  organische  Chemie  als  Chemie  der  zusammengesetzten  Ra- 
dicale.  Auch  die  französischen  Chemiker  traten,  zum  Theil  freilich  nur 
für  kurze  Zeit,  zur  Radiealtheorie  über ,  und  selbst  Dumas,  der  bisher 
der  Aetherintheorie  gehuldigt  hatte,  gab  bei  persönlicher  Zusammenkunft 
den  Argumenten  von  Lieb  ig  nach  und  erklärte  sich  (1837)  für  einen 
Anhänger  der  Radiealtheorie. 

So  war,  freilich  für  nicht  lange.  Eine  theoretische  Anschauung  von 
allen,  wenigstens  von  den  bedeutenden  Chemikern  adoptirt.  — 

104.  Die   Radiealtheorie    ist  ihrer   Grundidee    nach    dualistisch.     Wenn 

dies  bei  den  früheren  Entwicklungen  derselben  nicht  besonders  hervorgehoben 
wurde,  so  geschah  dies,  weil  es  sich  zu  einer  Zeit,  in  welcher  dualistische  Ansich- 
ten allgemein  und  fast  ohne  Widerspruch  angenommen  waren,  von  selbst  verstand. 
Da  man  die  dualistische  Constitution  der  unorganischen  Verbindungen  ftir  absolut 
bewiesen  hielt ,  war  es  nur  nöthig  zu  sagen:  die  organischen  Verbindungen  sind 
den  unorganischen  analog  zusammengesetzt ,  mit  dem  einen  Unterschied  ,  dass 
zusammengesetzte  Atomengruppen,  Radicale,  die  Rolle  von  Elementen  spielen, 
also  wie  diese  mit  Elementen  und  unter  einander  Verbindungen  eingehen  und  von 
einer  Verbindung  durch  Austausch  in  andere  übertragen  werden  können.  Das 
eigentliche  Wesen  der  Radiealtheorie  ist  also  nicht  sowohl  ein  Vergleichen  der  or- 
ganischen Verbindungen  mit  den  unorganischen;  sondera  vielmehr  gleichzeitig  eine 
Anwendung  der  bei  den  unorganischen  Verbindungen  für  wahr  gehaltenen  dualisti- 
schen Hypothese  auf  die  organischen  Substanzen. 

In  welcher  Weise  die  Radiealtheorie  organische  Körper  mit  unorganischen 
verglich  ,  zeigt  das  folgende  Beispiel : 


Kalium 

K 

Ae  =  C,H, 

Aethyl 

KaU 

KO 

AeO 

Aether 

Kalihydrat 

KO  +  HO 

AeO  +  HO 

Alkohol 

Chlorkaliam 

KCl 

AeCl 

Chlorftthyl 

Schwefelkalium 

KS 

AeS 

SchwefelfiÜiyl 

Aeltere  Radicaltheorie.  65 

SchwefelwassentoiT 

schwefelkalium       KS  4-  HS  AeS  4-  HS  Mercaptan 

Saures  schwefelsau- 
res Kali  E0.S0,4-H0.S0,  AeO.SO,4-BO-SO>  SchwefelweinsäuTe. 
Die  jetzt  noch  vielfach  gebrauchte  Nomenclatur  der  organischen  Verbindun- 
gen ,  Ton  der  Radicaltheorie  herrührend ,  ist  eine  Anwendung  der  in  der  unorga- 
mschen  Chemie  gebräuchlichen  und  durch  die  dualistische  Hypothese  veranlassten 
Bezeichnungsweise.  Die  Namen  der  Radicale  enden  meistens  auf  yl ,  von 
Ulf  z=  Stoff. 

Diese  UebereinstimmuDg  der  Ansichten  dauerte  indess  nicht  lange.  106. 
Merkwürdige  Thatsachen,  die  von  französischen  Chemikern  anfangs  verein- 
zelt, bald  aber  in  reichlicher  Anzahl  entdeckt  wurden,  Hessen  die  Frage  auf- 
werfea,  ob  der  Sauerstoff,  das  Chlor  und  andere  elektronegative  Elemente 
in  die  Radicale  eintreten  könnten  oder  nicht  Berzelius,  der  anfangs  das 
sauerstoffhaltige  Radical  der  Benzojlverbindungen  mit  so  grosser  Freude 
begrasst  hatte,  hielt  jetzt  die  Annahme  sauerstoffhaltiger  Radicale  für 
Yöllig  unzulässig.  „Eine  solche  Ansicht,  sagt  Berzelius  (Lehrbuch 
„öte  Aufl.  I.  674)  ist  derselben  Art ,  wie  wenn  man  die  schweflige  Säure 
,/ar  das  Radical  der  Schwefelsäure ,  oder  das  Manganhyperoxyd  für  das 
„Radical  der  Mangansäure  ansehen  wollte.  Ein  Oxyd  kann  kein  Radi- 
„cal  sein.  Es  liegt  im  Begriff  des  Wortes  Radical,  dass  es  den  Körper 
„bedeutet ,  welcher  in  dem  Oxyd  mit  Sauerstoff  verbunden  ist 

Nach  der  einen  Ansicht  erschien  die  Benzoesäure  z.  B.  vergleichbar  dem 
KaHhydrat,  sie  enthielt  das  Radical:  Benzoyl  C,4H30, ;  die  Essigsfture  in  ähnli- 
cher Weise  betrachtet,  war  das  Oxydhydrat  des  Radicals  C^HsO,: 

Kalihydrat  K  .  0  +  HO 

Benzoesäure     0, 4H4O,  .  0  +  HO 

Essigsäure        C,  H3O,  .  0  +  HO. 
Die  andere  Ansicht  nahm  sauerstofiffireie  Radicale  an ,    deren  höhere  ,   sauer- 
stoffireichere  Oxyde  in  Verbindung  mit  Wasser  die  Säuren  bildeten ;    die  zwei  orga- 
nischen Säuren  wurden  dann  mit  der  Schwefelsäure  vergleichbar. 

Schwefelsäure  S  .  0,  -f-  HO 

Benzoesäure        Cj^H^.O,  -|- HO 

Essigsäure  C,  H,  .  0,  4"  HO. 

Ungleich  grössere  Schwierigkeiten  machte  der  älteren  Radical-  106. 
theorie,  von  ihrem  elektro-chemisch  dualistischen  Standpunkt  aus,  die 
Deutung  der  stets  zahlreicher  entdeckten  chlorhaltigen  Substanzen,  für 
welche  die„Sub8titutionstheorie"  eine  einfache  Vertretung  von  Was- 
serstoff durch  Chlor  annahm.  Dass  zwei  elektro  -  chemisch  so  verschie- 
dene Körper  wie  Chlor  und  Wasserstoff  in  Verbindungen  sich  Atom  für 
Atom  sollten  ersetzen  und  eine  auch  nur  annähernd  ähnliche  Rolle  spie- 
len können,  konnte  die  Radicaltheorie  nie  zugeben  und  ihre  Vertreter  be- 
mühten sich  auf  alle  mögliche  Weise ,  diese  Thatsachen  durch  andere 
Deutung  mit  ihren  elektro-chemischen  Ansichten  in  üebereinstimmung  zu 
bringen ,  bis  sie  endlich ,  der  Macht  der  Thatsachen  nachgebend ,  freilich 

KtkaU,  orgaa.  Chemie.  5 


Qß  Constitutum  der  org.  Verbindungen. 

unter  fortwährendem  Widerspruch  und  halb  unbewusst  die  Hauptiehren 
der  bekämpften  Ansicht  annahmen.  Ehe  wir  indess  diesen  Stareit  der 
Radicaltheorie  gegen  die  Substitutions  -  und  Typentheorie  näher  kennen 
lernen,  ist  es  nöthig,  die  Geschichte  der  Entdeckung  solcher  Substitutions- 
producte  und  die  Entwicklung  der  durch  sie  veranlassten  theoretischen 
Betrachtungen  selbst  zu  verfolgen. 

Ansichten   von  Laurent  und  Dumas.    Gesetz  und  Theorie  der 
Substitution;  Typentheorie,  Kemtheorie. 

107.  Die  Entdeckung  neuer  Thatsachen,    welche  mit  den  herrschenden 

Theorien  im  Widerspruch  sind  oder  durch  dieselben  eine  ungenügende 
Erklärung  finden,  führt  stets  zur  AufsteUung  neuer  theoretischer  Ansich 
ten.  So  erzeugte  das  Studium  der  merkwürdigen  Körper,  welche  durch 
Einwirkung  von  Chlor  etc.  auf  organische  Substanzen  erzengt  werden, 
eine  Anzahl  von  für  die  weitere  Entwicklung  der  Chemie  ungemein  fol- 
gereichen Theorien:  die  Substitutionstheorie,  die  Tjrpentheorte  und  die 
Eerntheorie. 

106.  Oay-Lussac   hatte  die  Beobachtung  gemacht,   dass  das  Wachs 

beim  Bleichen  mit  Chlorgas  „Wasserstoff  verliert,  indem  es  ein  Yol. 
Chlor  aufnimmt,  welches  dem  des  entzogenen  Wasserstoffs  ganz  gleich 
ist/^  Dumas  beobachtete  dasselbe  bei  dem  Terpentinöl;  er  verfolgte 
dann  die  Einwirkung  des  Chlors  auf  organische  Substanzen  genauer  und 
wurde  so  zu  dem  empirischen  Gesetz  der  Substitution  ge- 
führt, welches  er  zuerst  (13.  Januar  1834)  in  folgenden  drei  Sätzen  aus- 
sprach : 

1)  Wenn  ein  wasserstoffhaltiger  Körper  der  dehjdrogenirenden  Ein- 
wirkung des  Chlors,  Broms,  Jods,  Sauerstoffs  u.  s.  w.  unterworfen 
wird,  so  nimmt  er  für  jedes  Atom  Wasserstoff,  das  er  verliert,  ein 
Atom  Chlor,  Brom,  Jod  oder  Sauerstoff  auf. 

2)  Enthält  ein  wasserstofilialtiger  Körper  Sauerstoff,  so  gilt  dieselbe 
Regel  ohne  Modification. 

3)  Enthält  ein  wasserstoffhaltiger  Körper  Wasser ,  so  verliert  dieses 
seinen  Wasserstoff  ohne  Ersatz  und  entzieht  man  ihm,  von  diesem 
Punkt  an,  eine  neue  Quantität  Wasserstoff,  so  wird  dieser,  wie  vor- 
her, ersetzt. 

Das  Dumas'sche  Gesetz  der  Substitution  ist,  wie  man  sieht,  ein  empiri- 
sches Gesetz,  welches  nur  die  Beziehungen  der  eintretenden  Chlor-Menge  zur 
Menge  des  austretenden  Wasserstoffs  ausdrückt ,  ohne  auf  die  dadurch  etwa  veran- 
lasste Veränderung   in  der  Natur  der  Substanz  irgendwie  Rücksicht  zu  nehmen. 

Statt  des  Namens  Substitution  schlug  Dumas  in  dieser  ersten  Abhandlung 
schon  das  Wort  Metalepsie  vor.  —  In  einer  kurz  nachher  mit  Peligot  gemein- 
schaftlich veröffentlichten  Arbeit  über  die  Einwirkung  des  Chlors  auf  Zimmtalddiyd 
findet  sich  zuerst  der  Vorschlag  für  die  später  öfter  gebrauchte  Nomendatur^  nach 


Substitutioiisdieorie.  67 

welcher  die  Anzahl  der  Chloräquivalente  durch  den  Vocal  der  angehängten  öid- 
sflbe  ÄUBgedradU  wird  (so  dass  a  =  1,  e  =  2  etc.)^  das  vierfach  gechlorte  Zimmtr 
Öl  wird  a]£:  Chlorocinnose  beschrieben. 

Das  Sobstitationagesets  von  Dumas  gab  Veranlassung  zu  einer  109. 
grösseren  Anzahl  von  Versuchen  in  ähnlicher  Richtung;  das  empiri- 
sebe  6 e 8 e t B  der  Substitution  wurde  bald  durch  Laurent  erweitert, 
welcher  zuerst  dafi  entstandene  Prodact  seinen  Bigenschaften  nach  mit 
dem  angewandten  Substanz  verglieh  und  über  die  Rolle,  welche  das  ein- 
wirkende Element  bei  solchen  Bubstilutionen  spielt,  Betrachtungen  an- 
st^te«  So  wurde  aus  dem  empirischen  Oesetz  der  Substitution  die 
Th  eorie  der  Substitution,  deren  Hauptinhalt  Laurent  1835 
so  aosdrückte: 

W«nn  äquivalente  Substitution  des  Wasserstoffs  durch  Chlor 
oder  Brom  stattfindet,  so  trit(  das  Chlor  an  die  Stelle,  welche 
Yom  Wasserstoff  eingenommen  war  und  spielt  gewissermassen 
seine  Rolle;  desshalb  muss  das  gechlorte  Product  Analogie 
mit  dem  Körper  zeigen,  aus  welchem  es  erhalten  wurde. 

DieSubstitutionstheorie  von  Laurent  ist  eine  weitere  Ausbildung  des 
Damas'schen  Substitationsgesetzes,  was  Laurent  selbst  zugibt,  indem  er 
(1836)  sagt:  „wenn  man  die  zwei  Gesetze  anwendet,  welche  Dumas  über  die  Substi- 
tutimi  au%estellt  hat;^^  sie  fügt  aber  demselben  völlig  neue  Gesichtspunkte  bei  und 
muss  darum,  als  wesentlich  verschieden,  von  demselben  getrennt  werden.  Es  ver- 
dient dies  desshalb  besonders  hervorgehoben  zu  werden,  weil  man  gewöhnlich  die 
beiden  Ansichten  zusammenwirft  und  Dumas  für  den  Urheber  der  Substitutions- 
theorie hält,  während  Dumas  so  weit  davon  entfernt  war,  die  Ansichten  Lau- 
rent's  zu  theilen,  dass  er  wiederholt  gegen  dieselben  protestirte.  Zunächst  in  den 
Sitzungen  der  Pariser  Academie ,  als  Laurent  (1837,  20.  Dec.)  gelegentlich  der 
Kemdieorie  auch  seine  Ansichten  über  die  Substitution  weiter  entwickelte ,  und 
dann  entschiedener  noch,  als  Bcrzelius  aus  Verwedislung  ihn  statt  Lau- 
rent wegen  dieser  Ansichten  zu  Rede  stellte.  ,,Berzeliu8,  so  sagt  Dumas 
(1838) ,  legt  mir  da  eine  Ansicht  unter ,  die  genau  das  Gegentheü  von  dem  ist, 
was  idi  stets  behauptet  habe,  nämlich  die,  es  trete  bei  dieser  Einwirkung  das 
Chlor  an  die  Stelle  des  Wasserstoffs.  Aussagen  der  Art  haben  mir  nie  ange- 
gehört, und  es  möchte  schwer  halten,  solche  aus  den  Ansichten  zu  folgern,  welche 
ich  über  diese  Thatsache  aufgestellt  habe.  Wenn  man  mir  die  Angabe  unter- 
legt, dass  der  Wasserstoff  durch  Chlor  vertreten  wird,  welches  ganz  dieselbe  Rolle 
spielt ,  80  schreibt  man  mir  eine  Meinung  zu ,  gegen  die  ich  feierlich  protestire, 
indem  sie  mit  Allem ,  was  ich  je  über  diesen  Gegenstand  gesagt  habe ,  in  direc- 
tem  Widerspruche  steht.  Das  Gesetz  der  Substitutionen  ist  ein  empirisches  Gesetz, 
nichts  weiter;  es  drückt  die  Beziehungen  aus  zwischen  dem  Wasserstoff,  welcher 
entweicht  und  dem  Chlor,  welches  eintritt.  Ich  bin  nicht  verantwortlich  für  die 
übertriebene  Erweiterung,  welche  Laurent  meiner  Theorie  gegeben  hat.^^ 

Während  Dumas  anfangs  protestirt  hatte  gegen  L  a  u  r  e  n  t's  An-  HO. 
siebten  bezüglich  der  Bolle,  welche  das  CSilor  bei  diesen  Substitutionen  spielt, 
so  trat  er  bald,  n€U)hdem  durch  Laurent,  Mala^guti,  Kegnault  u.  a. 
eine  grössere  Anzahl   von  Substitutionsproducten  entdeckt  worden  war 

6* 


6g  Constitution  der  org.  Verbindungen. 

und  nachdem    er  selbst  die  Trichloressigsäure  dargestellt  hatte ,    zu  den 
selben  über.    Er  ging  sogar  weiter,  er  dehnte  diese  Ansichten  auch  auf 
den  Sauerstoff  aus    und  entwickelte  zuerst   1839  und  dann  ausfilhrlicher 
in  einer  Reihe  von  Abhandlungen  „über  die  chemischen  Tjpen^'  die  Ty- 
pentheorie, deren  Hauptsätze  er  1839  so  ausdrückte: 

1)  Die  Elemente  eines  zusammengesetzten  Körpers  können  in  sehr  vie- 
len Fällen  ersetzt  werden ,  und  zwar  nach  gleichen  Aequivalenten, 
durch  andere  Elemente,  oder  auch  durch  zusammengesetzte  Köi^ 
per,  welche  die  Rolle  der  einfachen  spielen. 

2)  Wenn  solche  Substitution  zu  gleichen  Aequivalenten  stattfindet, 
so  behält  der  Körper ,  in  welchem  Vertretung  stattgefunden  hat, 
seinen  chemischenTypus  bei  und  das  eingetretene  Element 
spielt  in  ihm  dieselbe  Rolle,  wie  das  Element,  welches  ent- 
zogen worden  ist. 

Dumas  unterscheidet  dann  noch  chemische  und  mechani- 
sche Tyjpen.  Zu  demselben  chemischen  Typus  zählt  er  alle  die  ^r- 
bindungen,  welche  eine  gleich  grosse  Anzahl  von  Aequiyalenten  auf  die- 
selbe Weise  vereinigt  enthalten  und  welche  dieselben  Fundamentaleigen- 
schaften besitzen.  Zu  demselben  mechanischen  Typus  oder  Molecular- 
Typus  rechnet  er  (indem  er  Ansichten,  welche  Regnault  zuerst  ausge- 
sprochen hatte,  adoptirt  und  weiter  ausdehnt) ,  alle  die  Substanzen, 
welche  zwar  eine  gleich  grosse  Anzahl  von  Aequivalenten  enthalten,  aber 
dabei  in  ihren  Eigenschaften  wesentlich  verschieden  sind.  —  Er  hebt  dann 
noch  besonders  hervor:  „dass  die  Eigenschaften  einer  Verbindung  vor- 
zugsweise durch  die  Lagerung  der  Theilchen  und  weit  weniger  durch 
deren  Natur  bedingt  seien." 

An  einer  anderen  Stelle  (1840)  drückt  Dumas  die  Typentheorie  in  folgen- 
der Weise  aus:  Man  kann  die  Verbindungen  mit  Planetensystemen  vergleichen, 
worin  die  Atome  durch  Affinität  zusammengehalten  sind.  Wird  darin  ein  Atom 
der  einen  Materie  durch  das  einer  anderen  ersetzt,  so  bleibt  dasselbe  System.  Es 
kann  liiebei  ein  einfaches  Atom  durch  ein  zusammengesetztes  vertreten  werden, 
ohne  dass  dadurch  die  allgemeine  Constitution  geändert  wird.  Erfolgt  die  Substi- 
tution nach  gleicher  Atomzahl  und  bleibt  die  gegenseitige  Stellung  der  Atome,  so 
behält  die  neue  Verbindung  denselben  Typus. 

111.  Wenn    man    die  Typentheorie  mit  Laurents  Substitutionstheorie 

vergleicht,   so  sieht  man  leicht,    dass  sie  in  den  Hauptpunkten   nur  eine 
Erweiterung  derselben,  aber  eine  wesentliche  Erweiterung  derselben ,  ist. 

Dies  gibt  auch  Dumas  selbst  zu.  Er  sagt  1840  :  „Da  der  Haupteinwurf, 
welchen  man  der  Nebeneinanderstellung  der  Essigsäure  und  der  Chloressigsäure 
entgegengesetzt  hat,  in  der  ähnlichen  Rolle  liegt,  welche  man  dem  Chlor  und  dem 
Wasserstoff  zuzuschreiben  genöthigt  ist,  so  ist  es  von  Wichtigkeit  hier  zu  bemer- 
ken, dass  Laurent,  lange  bevor  der  Versuch  dies  positiv  entschieden  hatte,  auf 
der  Identität  der  Rolle  des  Chlors  mit  der  des  Wasserstoffs  bei  den  durch  Substi- 
tution gebildeten  Körpern  i  bestanden  hat."  Und  später  (1857):  „Was  Laurent 
später  erkannte ,   ist ,   dass  bei  Substitutionserscheinungen    der  Typus  beibehalten 


Typentheorie.  69 

wird,  das  heisst,  dass  das  Chlor  nicht  nnr  an  die  Stelle  des  WasserstoffB  tritt, 
sondern  auch  dieselbe  Rolle  spielt,  wie  er.  Die  Wichtigkeit  dieses  Gesichtspunk- 
tes ist  einleuchtend,  aber  er  kam  nach  den  vorhergehenden  und  diente  ihnen  als 
Erg&nzung/^ 

Bei  unbefangener  Betrachtung  kommt  man  also  zu  der  Ansieht,  113. 
dass  Laurent  und  Dumas  gleich  sehr  bei  Entwicklung  dieser  Ansich- 
ten betheiligt  sind,  dass  weder  der  eine  noch  der  andere  als  einziger 
Urheber  der  Substitutions  -  oder  der  Typentheorie  betrachtet  werden 
kann;  dass  vielmehr  die  Verdienste  beider  nicht  getrennt  werden  kön- 
nen. Dabei  muss  aber  gleichzeitig  zugegeben  werden,  dass  Dumas 
durch  seine  Entwicklung  der  Typeniheorie  in  so  fem  einen  grösseren 
Einflass  auf  die  Entwickelung  der  Wissenschaft  ausübte ,  als  er  (abge* 
sehen  davon,  dass  sein  Name  und  seine  Stellung  den  von  ihm  vertrete- 
nen Ansichten  rascher  Anhang  verschafften)  gelegentlich  dieser  zuerst  mit 
Energie  den  Ansichten  vonBerzelius  und  besonders  der  elektrochemisch- 
dualistischen  Hypothese  entgegentrat  Er  war  der  erste,  der  diesen  An- 
sichten den  Fehdehandschuh  hinwarf,  indem  er  (1839)  sagte:  „Aber 
diese  elektro  -  chemischen  Vorstellungen ,  diese  specielle  den  Atomen  der 
einfachen  Körper  zugeschriebene  Polarität ,  beruhen  sie  denn  auf  so  evi- 
denten Thatsachen,  dass  man  sie  zu  Glaubensartikeln  erheben  dürfte? 
Oder  wenn  sie  als  Hypothesen  betrachtet  werden  sollen,  haben  sie  wenig- 
stens die  Eigenschaft,  sich  den  Thatsachen  anzupassen,  sie  zu  erklären, 
sie  mit  einer  so  vollkommenen  Sicherheit  vorauszusetzen,  da  man  bei 
chemischen  Untersuchungen  grossen  Nutzen  daraus  gezogen  hätte?  Man 
muss  zugeben,  dass  dem  nicht  so  ist!^'  Dumas  gab  so  Veranlassung 
za  dem  erbitterten  Kampf,  welchen  Berzelius  und  seine  Anhänger  ge- 
gen die  Anhänger  der  Substitutions  -  und  Typentheorie  führten  und  aus 
welchem  diese  Ansichten  in  vollkommenerer  Form  und  in  den  Hauptsa- 
chen siegreich  hervorgingen;  wesenüich  weil  man  einerseits  nur  zu  Le- 
gionen neuer  und  stets  complicirterer  Hypothesen  seine  Zuflucht  nehmen 
konnte,  während  man  andrerseits  eine  wirksamere  Waffe,  ein  fortwäh- 
rend wachsendes  Heer  neuer  Entdeckungen  ins  Feld  sandte. 

Wir  werden  später  sehen,  wie  die  Substitutions-  und  Typentheorie, 
trotz  des  Widerspruchs ,  den  sie  anfangs  fand ,  die  Hauptgrundlage  der 
Entwicklung  der  theoretischen  Ansichten  wurde  und  wie  aus  ihr  die 
jetzigen  Ansichten  hervorwuchsen. 

Kerntheorie.  Erwähnung  verdient  hier  noch  die  unter  dem  Namen  ^.Kem.  113. 
theorie"  bekannte  Anschauungsweise  der  organischen  Verbindungen,  welche  Lau- 
rent 1836  zuerst  aufstellte  und  in  späteren  Abhandlungen  weiter  ausführte. 
Obgleich  für  die  Entwicklung  der  theoretischen  Ansichten  im  Allgemeinen  von 
verhältnissmässig  imtergeordneter  Bedeutung,  ist  diese  Theorie  desshalb  hier  zu  er- 
wähnen, weil  sie  vonGmelin  adoptirt  wurde  und  in  dessen  trefflichem  Handbuche 
sogar  dem  System  zu  Grunde  gelegt  ist. 

Indem  Laurent  sich  bemühte,  eine  Vorstellung  zu  gewinnen  von  der  La- 
gerung der   Atome   in   einer  chemischen  Verbindung^    verglich   er  diese  mit  einer 


70  ConBÜtutution  der  org.  Verbindangen. 

geometrischen  Figfur,  mit  einer  Säule  z.  B.,  deren  Kanten  und  Ecken  'durch  aneinan- 
der gelagerte  Atome  gebildet  werden.  Es  kann  dieser  Säule  keine  Kante  (kein 
Atom)  entzogen  werden,  ohne  dass  sie  zusammenfällt;  tritt  dagegen  an  die  Stelle 
des  entzogenen  Atoms  ein  anderes,  so  bleibt  die  Gruppe  als  solche  bestehen,  denn 
die  neu  eingefügte  Kante,  wenn  auch  von  anderem  Material,  hält  nach  wie  vor  das 
Gebäude  zusammen.  Ausserhalb  dieser  Säule,  an  diesen  Kern  also,  können  sidi 
andere  Atome  in  Form  von  Pyramiden  z.  B.  auflagern  imd  ihn  sogar  völlig  um- 
hüllen. 

Solche  zusammengesetztere  Verbindungen  sind   dann,  ähnlich  wie  Krystalle 
durch  mechanische  Mittel,   so   durch  chemische  Einwirkung  spaltbar;  die  secun- 
däre  Hülle  kann  von  dem  primitiven  Kern  entfernt  werden. 
114.  Der  Hauptinhalt  der  Kerntheorie    kann  in  ^e  folgenden  Sfttee  zus»n> 

mengefaest  werden: 

Die  Atome  der  organischen  Verbindungen  sind  theils  Kerne,  theils  Verbindun- 
gen der  Kerne  mit  verschiedenen  sich  ausserhalb  an  die  Kerne  anlagernden 
Stoflfen. 

Die  Kerne  sind  Zusammenhäufungen  von  Kohlenstoffatomen  mit  den  Ato- 
men einiger  anderer  Elemente ,  nach  einer  für  jede  Art  von  Kern  bestimmten  Zahl 
und  Ordnung,  zu  mathematischen  Figuren. 

In  den  nur  aus  Kohlenstoff  und  Wasserstoff  bestehenden  Kernen  (Stamm- 
kernen) kann  1  oder  mehrere  oder  sogar  alle  Atome  Wasserstoff  durch  Atome  an- 
derer Elemente  und  sogar  durch  Atomgruppen  ersetzt  werden,  welche  dabei 
genau  dieselbe  Stelle  einnehmen,  wie  die  Wasserstoffatome;  so  entstehen  die  ab- 
geleiteten Kerne,  oder  Nebenkerne.  Dabei  kommt  es  also  weit  mehr  auf  die 
Stellung  der  Atome  als  auf  ihre  Natur  an. 

Tritt  bei  einer  Zersetzung  kein  Kohlenstoff  aus  der  Verbindung  aus,  so  bleibt 
der  Kern  entweder  unverändert  oder  er  geht  in  einen  mehr  oder  weniger  abgelei- 
teten Kern  über.  Entstehen  dagegen  zwei  oder  mehr  kohlenstoffhaltige  Producte, 
tritt  also  Kohlenstoff  aus ,  so  enthalten  die  neuen  Verbindungen  kohlenstoffUrmere 
Kerne,  die  anderen  Reihen  angehören. 

Vertretung  der  Atome  im  Kern  ändert  die  Fundamentaleigenschailen  nicht 
(das  Chlor  im  Kern  ist  z.  B.  durch  gewöhnliche  Reagentien  nicht  nachweisbar). 
Was  sich  dagegen  ausserhalb  des  Kerns  anlagert,  ändert  vollständig  die  Eigen- 
schaften der  Verbindung;  auch  werden  diese  ausserhalb  des  Kerns  sich  anlagern- 
den Atome  weit  leichter  angegriffen,  ersetzt  oder  weggenommen. 

Die  Anzahl  der  Kohlenstoffatome  im  Kern  ist  stets  eine  paai*e;  ebenso  die 
Anzahl  aller  übrigen  Kematome. 

Die  Natur  und  Anzahl   der   sich  an  den  Kern  anlagernden  Atome  ist  von 
wesentlichem  Einfluss  auf  die  Natur  der  Verbindimg.    So  sind  z.  B.  Anlagerungen 
von  2  Atomen  Sauerstoff  zum  Kern  neutrale  Oxyde,  durch  Anlagerung  von  4  Ato- 
>.    men  Sauerstoff  entstehen  einbasische,  durch  Anlagerungen  von  6  Atomen  Sauer- 
stoff zweibasische  Säuren.  — 

Einige  Beispiele  werden  diese  Anschauung  klarer  machen. 

Stammkem:    Vine  (Ölbildendes  Gas)    C4H4 

Verbindungen  des  Stammkemes 

Aether       C.H^  +  HO 

Alkohol C,H,  +  2H0 

Chloräthyl C,H,  +  HCl 

Aldehyd C^H^  +  0, 


Kemtheorie.  71 

BtoigstStore C^H,  +  O^ 

Elaylchlorid C,H,  +  Cl, 

Gepaarte  Verbindungen  des  Stammkems 

Schwefelsäure-äthyläther     .    .    C^H^  -f    HO  +  SO, 
Aethylschwefelsäure       .     .    .    C^H^  +  2H0  +  2SO3 
Abgeleitete  Kerne 

Sauerstoffkem  (unbekannt)    .    C4H,0, 

Oxalsäure C^H^Oj  +  0« 

Chlorkern       C^H  Cl,  . 

Chloral C,H  Cl,  +  0, 

Tridilor^Bigsäure      ....    C^H  Cl,  +  O^ 
Chlorkem  (Chlorkohlenßtoflf)    .    .    C4CI4 

Perchlorvinäther C4CI4      +  CIO 

Anderthalbchlorkohlenstoflf     .     C4CI4      +  Cl, 

Anudkem C4(NH,)H, 

Acetamid C4(NH»)H,  +  0, 

GlycocoU C^CKHJH,  +  O4     etc. 

Die  Formeln  der  Kerntheorie  sind,  wie  man  leicht  sieht,  sämmtlich  verschie- 
den von  denen  der  Radicaltheorie  (die  Radicale  enthalten  stets  eine  unpaare  Anzahl 
von  Atomen)  sie  fallen  dagegen  für  viele  Verbindungen  zusammen  mit  denen  der 
Aetherintheorie  (§.  102). 

Die  Kemtheorie  war,  weil  sie  nach  einem  einheitlichen  Princip,  und  dabei 
nach  verhältnissmässig  leicht  nachweisbaren  Merkmalen,  nach  der  Zusammensetzung 
nämlich,  die  Verbindungen  zusammenstellt,  besonders  gut  zur  Systematik  geeignet; 
wesentlich  desshalb  wurde  sie  von  Gmelin  adoptirt.  Sie  hat  jetzt  keine  Anhänger 
mehr  und  konnte  darum  hier  nur  dem  Hauptinhalte  nach  mitgetheilt  werden. 

Streit  der  elditrochemischen  Radicaltheorie  gegen  die  Sabstitntions- 

theorie. 

„Die  Gewohnheit  einer  Meinung  erzeugt  oft  die  völlige  Uebenseugang  115. 
von  ihrer  Richtigkeit;  sie  verbirgt  die  schwächeren  Theile  davon  und 
macht  uns  unfähig,  die  Beweise  dagegen  anzunehmen/^  So  sagt  Ber- 
zeliuB,  man  könnte  meinen  prophetisch,  gelegentlich  der  Entwicklung 
der  elektro- chemischen  Hypothese  (Lehrbuch,  1827.  Bd.  HI,  S«  50).  In 
der  ganzen  Entwicklung  der  Wissenschaft  ist  dies  auf  keine  Ansicht  mit 
grösserem  Recht  anwendbar,  als  auf  die  elektro -chemische  Hypothese 
selbst- 

Die  zahlreichen  Thatsaehen  der  Substitution,  von  welchen  im  Vori- 
gen die  Bede  war,  standen  mit  der  Grundidee  der  elektro -chemischen 
Hypothese  im  Widerspruch.  Wie  war  es  möglieh,  dass  zwei  in  ihren 
Haupteigenschaften  so  verschiedene  Elemente,  dass  das  elektronegative 
Chlor  und  der  elektropositive  Wasserstoff  sich  in  Verbindungen  sollten 
ersetzen  können;  wie  konnte  sich  Jemand  zu  der  Ansicht  verirren,  dass 
beide  dieselbe  Rolle  spielen? 

Alle  Arten  von  Widerspruch  erhoben  sich  gegen  die  Thatsaehen 
der  Substitation  und  gegen  die  durch  sie  veranlassten  Theorien.   Anfangs 


72  Constitation  der  org.  Verbindungen. 

bezweifelte  man  die  Wahrheit  der  Thatsachen;  aber  neue  Analysen  und 
zahlreiche  neue  Entdeckungen  stellten  die  Thatsachen  fest  Dann  ver- 
suchte man  die  Auffassung  der  Thatsachen  lächerlich  zu  machen  oder  an 
die  Stelle  der  von  den  Anhängern  der  Substitutionstfaeorie  gegebenen  Elr- 
klärungen  andere  zu  setzen,  die  mit  dem  herrschenden  Lehrgebäude  in 
besserer  Uebereinstimmung  standen. 

So  lange  Laurent  der  einzige  Vertreter  der  Substitutionstheorie 
war,  schien  es  kaumnöthig,  diesen  Ansichten  mit  Ernst  entgegenzutre- 
ten; als  aber  Dumas  sie  adoptirt,  als  er  ihnen  in  der  Tjpentheorie  noch 
mehr  Ausdehnung  gegeben  hatte,  war  es  doch  geboten,  sie  mit  Energie 
zu  bekämpfen.  Berzelius  erkannte  von  Anfang  an  die  Tragweite  der 
Dumas'schen  Ansichten. 

In  seinen  „Bemerkungen  zur  Substitutionstheorie"  sagt  er  (1839)  :„  Die  Schlüsse, 
,, welche  Dumas  aus  seiner  interessanten  Entdeckung  (Trichloressigsäure)  zieht, 
„sind:  dass  in  der  unorganischen  Chemie  die  leitende  Grundidee  der  Isomorphis- 
„mus  sei ,  von  welchem  man  wisse,  dass  er  mit  den  elektro-chemischen  Ansichten 
„im  Widerstreit  stehe ;  und  dass  in  der  organischen  Chemie  die  Substitutionstheorie 
„dieselbe  Rolle  spiele  wie  der  Isomorphismus  in  der  unorganischen.  Er  spricht 
„dabei  die  Hoffnung  aus,  dass  man  einst  noch  auf  dem  Wege  der  Erfahrung  diese 
„beiden  unter  derselben  Benennung  werde  begreifen  können.  Daraus  folge ,  dass 
„die  damit  unvereinbaren  elektro- chemischen  Ansichten  für  die  Substitutionstheorie 
„aufgegeben  werden  müssten,  zumal  da  sie  nicht  so  befriedigend  wie  diese  die  Ei- 
„genschaften  der  Verbindungen  voraussehen  lasse.  Diese  Darstellung  enthält  un- 
„bedingt  den  Umsturz  des  ganzen  chemischen  Lehrgebäudes  ,   so  wie  es  jetzt  ist" 

116.  Er  suchte  zu  zeigen ,  dass  die  Trichloressigsäure  der  Essigsäure 
durchaus  nicht  ähnlich  sei ,  dass  beide  vielmehr  in  den  Fundamentalei- 
genschaflen  völlig  verschieden  seien.  Die  Essigsäure  sei  ein  Oxyd  des 
Radicals  G4H3;  die  Trichloressigsäure  eine  mit  Chlorkohlenstoff  gepaarte 

Oxalsäure: 

Essigsäure  .    .    .    C^H, .  0,  •+-  HO 
Trichloressigsäure    CjCl,  +  C,Oj  +  HO. 
Für  die  zahlreichen  Substitutionsproducte ,  welche  bald  nachher  von 
Malaguti  und  Regnault  entdeckt  wurden,  ersann  Berzelius    ähnli- 
che Formeln,  so  war: 

=    C,H,.0,  +2C,H,.C1, 

=    C,0,  +  5C,Cl3 

=  2C,H..O,  +C,H3.Cl3 

=  2C,H  .0,  4-  C,H.C1,    4-  2C4H,.0,4-  C,H,  .01, 

=  2C.,H,0,   +C.,H,.Cl3  +  C,H.  .0,  +2C,H..C1, 

=   C,H,.0, +  c,H,.a, 

=    CjH.Oj    4-  2C,H.Cl3 

=    CO»  4-  3CC1, 
Gechlortes  Schwefeläthyl    =    SH     4-  4CC1. 

117.  Solche  Formeln,  obgleich  von  Berzelius  als  wahrer  Ausdruck  der 
Thatsachen  und  als  an  sich  einleuchtend  empfohlen,  konnten  nicht  wohl 
Beifall  finden.    In  der  That  trat  ihnen  L  i  e  b  i  g  direct  entgegen. 


Dichlorftthyläther 

Perchloräthyläther  .  . 

Dichloressigäther    .  . 

Dichlorameisenäther  . 

Trichlorbenzoeäther  . 
Monochlormethyloxyd 

Dichlormethyloxyd  . 

Perchlormethyloxyd  . 


Streit  der  Radiealtheorie  mit  der  SabBtitationstheorie.  73 

Er  sagt  (1839):  ,,Im  Interesse  der  Sache  selbst  glaube  ich  erklären  zu 
.^müssen,  dassieh  die  Ansichten  vonBerzelius  nicht  theUe,  weil  sie  auf  einer  Menge 
,,von  hypothetischen  Voraussetzungen  beruhen,  für  deren  Richtigkeit  jede  Art  vonBe- 
,,wei8  fehlt.  Man  hat  in  der  unorganischen  Chemie  die  sonderbare  Erfahrung  ge- 
,^macht,  dass  das  Mangan  der  üebermangansäure  durch  Chlor  vertreten  werden 
.^ann,  ohne  die  Form  der  Verbindungen  zu  ändern,  welche  die  üebermangansäure 
..mit  Basen  zu  bilden  vermag.  Eine  grössere  Unähnlichkeit  kann  es  kaum  geben, 
„ais  die  zwischen  Mangan  und  Chlor.  An  eine  Erfahrung  der  Art  lässt  sich  keine 
^4)i8cus6ion  knüpfen,  wir  sind  gezwungen,  die  Thatsache  für  das  gelten  zu  lassen, 
,.wa8  sie  an  und  für  sich  ist  Chlor  und  Mangan  können  sich  in  gevnssen  Verbin- 
,,dungen  vertreten,  ohne  Aenderung  der  Natur  der  Verbindung.  Ich  sehe  nicht 
„ein,  warum  ein  ähnliches  Verhalten  für  andere  Körper,  für  Chlor  und  Was- 
„serstoff  z.  B.,  für  unmöglich  gehalten  werden  soll,  und  gerade  die  Auffassung  der 
,^£r8cheinungen,  so  wie  sie  von  Dumas  hingestellt  wird,  scheint  mir  den  Schlüs- 
„sel  zu  den  meisten  Erscheinungen  in  der  organischen  Chemie  abzugeben.  Ohne 
„zu  leugnen,  dass  sich  in  einer  grossen  Anzahl  von  Verbindungen  die  Körper  nach- 
,4hrer  Stellung  in  der  elektrischen  Reihe  vertreten,  glaube  ich,  dass  aus  dem  Ver- 
„halten  der  organischen  Verbindungen  der  Schluss  gezogen  werden  muss:  dass 
„eine  allgemeine  gegenseitige  Vertretung  von  einfachen  sowohl  als  von  zusammen- 
„gesetzten ,  nach  Art  der  isomorphen  Körper  als  ein  durchgreifendes  Naturgesetz 
,,anzusehen  ist;  dass  sogar  eine  gegenseitige  Vertretung  stattfindet  zwischen  Kör> 
„pem  ,  die  weder  eine  ähnliche  Form  noch  eine  ähnliche  Zusammensetzung  be- 
„sitzen  etc. 

An  einer  anderen  Stelle  sagt  Liebig:  „Ich  kann  nicht  umhin,  die 
„obige  Auseinandersetzung  von  Berzelius  mit  ein  paar  Bemerkungen  zu 
„begleiten.  Ich  theile  nämlich  die  Ansichten  nicht,  welche  er  der  Zusammen- 
,.setzung  der  von  Malaguti  entdeckten  Verbindungen  zu  Grunde  legt  Ich  glaube 
.,im  Gregentheil ,  dass  diese  Materien  durch  einfache  Substitution  entstanden  sind  -, 
„dass  sie  mithin  nicht  nach  Art  der  unorganischen  Verbindungen  zusammengesetzt 
„betrachtet  werden  können.  Berzelius  hat  in  der  organischen  Chemie  schon 
„vor  vielen  Jahren  die  Analogie  zwischen  den  unorganischen  und  organischen  Kör- 
„pem  geltend  gemacht.  Er  ist  der  Erste  gewesen,  der  die  organischen  Säuren,  den 
,JLether  etc.  als  Oxyde  zusammengesetzter  Radicale  betrachtet  hat.  Diese  Ansicht 
„war  ein  Leitstern  in  einem  Labyrinth ,  in  dem  sich  Niemand  zurecht  zu  linden 
„wusste.  Wir  können  und  dürfen  diesen  Führer  nicht  verlassen  in  allen  FäUen, 
„wo  er  uns  Licht  gibt  und  Unbekanntes  aufklärt  Allein  wenn  auch  die  organi- 
„Bchen  Verbindungen,  in  gewisser  Richtung  betrachtet,  den  unorganischen  gleichen, 
„so  weichen  sie  in  unzählichen  anderen  davon  ab ;  sie  besitzen  Eigenthümlichkeiten, 
„die  wir  gelten  lassen  müssen,  weil  wir  sie  nicht  erklären  können.  Dieses  Gelten- 
,Jas8en  führt  nun  zu  weiteren  Ansichten,  in  ihm  liegt  von  selbst  die  Fortbildung, 
„die  Erweiterung  und  Vervollkommnung  unserer  Begriffe.  Bis  zu  einem  bestimm- 
„ten  Punkt  folgen  wir  also  den  Principien  der  unorganischen  Chemie,  aber  über 
„diesen  Punkt  hinaus ,  wo  sie  uns  verlassen,  wo  sie  anstatt  Verwicklungen  zu  lö- 
„sen ,  Verwicklungen  schaffen ,  über  diesen  Punkt  hinaus  bedürfen  vnr  neuer  Prin. 
„dpien." 

Einwände    solcher    Art   machten    die    Vertheidigung   der    elektro- 

chemiach-dualistischen  Ansichten    zu  einer  misslichen  Aufgabe.    Indessen  Um- 
fahr Berzelius  fort,    die   neue  Ansicht  mit  allen  möglichen  Mitteln  zu 
bekämpfen.    Um  die  neuentdeckten  Thatsachen  mit  den  alten  Hypothesen 


74  Gonstitiition  der  org.  Verbmdimg«n. 

in  Uebereinstimmung  zu  bringen,  erfand  er  mit  beispielloser  Fmchtbarkeit 
an  Hypothesen  für  jeden  neuen  Köi3)er  neue  Formeln;  alle  wurden  in 
Paarlinge  zerlegt,  überall  neue  Radicale  angenommen ;  fast  jede  neue  Sub- 
stanz enthielt  ein  neues  Radical.  Dabei  hielt  er  ausführlichere  Erwähnung 
der  neuen  Ansichten  in  seinem  Jahresbericht  nicht  für  der  Mühe  werth^ 
„weil  die  Wissenschaft  doch  keinen  Nutzen  daraus  ziehen  würde;  weil 
sie  nur  Interesse  hätten  für  die  blinden  Anhänger  der  Theorie  der  Meta- 
lepsie,  dieser  wenig  wahrscheinlichen  Hypothese."  Er  anerkannte  die 
Wichtigkeit  der  Thatsachen ,  bisweilen  sogar  Laurents  Geschick  im 
Experimentiren,  bedauerte  aber  dabei  den  Zustand  seines  Gehirns  und 
gab  höchstens  zu,  dass  hie  und  da  eine  klare  Idee  durch  den  Cralimatias 
durchblicke.  — 
1X9.  Inzwischen  hatten  sich   die  Thatsachen   der  Substitution  rasch   ge- 

mehrt. Aus  Substanzen,  die  den  verschiedensten  Eörpergi'uppen  zugehör- 
ten ,  waren  Substitutionsproducte  erhalten  worden ,  die  in  den  hauptsäch- 
lichsten Eigenschaften  mit  der  Muttersubstanz  übereinstimmten.  Als  es 
garMelsens  (1842)  gelang,  aus  der  Trichloressigsäure  wieder  Essig- 
säure zu  erzeugen ,  da  war  die  Ansicht ,  dass  beide  Säuren  keine  Aehn- 
lichkeit  zeigten  und  desshalb  durch  verschiedene  rationelle  Formeln  dar- 
gestellt werden  müssten,  nicht  mehr  haltbar.  Da  man  es  früher  für  un- 
zulässig erklärt  hatte,  die  Chloressigsäure  für  der  Essigsäure  analog  zu- 
sammengesetzt zu  halten  und  sie  als  gepaarte  Oxalsäure  betrachtet 
hatte 

Essigsäure     ....     C4H,  .0,  +  HO 
Chloressigsäure     .     .     C^Clg        +  0,0,  -f  HO; 

SO  änderte  man  jetzt  nicht  die  Formel  der  letzteren,  man  betrachte  viel- 
mehr die  Essigsäure  ebenfalls  als  gepaarte  Oxalsäure. 

Essigsäure  ....  CjH,  +  0,0,  +  HO, 
und  man  fand  einen  besonderen  Beweis  dafür  gerade  in  dem  Umstand, 
dass  es  gelinge,  „das  Chlor  im  Paarung  durch  Wasserstoflf  zu  substituiren." 
Die  interessanten,  von  Eolbe  entdeckten  Körper  (Methyldithionsäure 
etc.)  wurden  ihn  ähnlicher  Weise  aufgefasst  und  gaben  für  die  Richtig- 
keit dieser  Ansicht  den  Beweis: 

Trichlormethyldithionsäure  =  CjCl,      +  S^O^  +  HO 
Dichlormethyldithionsäure    =  CjHClj  4-  8,0^  +  H^- 

Die  eine  entsta-nd  aus  der  andern ,  „indem  ein  Atom  Wasserstoff  in  den 
120.  Paarung  eintrat  und  in  ihm  ein  Atom  Chlor  ersetzte."  Kurz,  Ber- 
zelius  entwickelte  jetzt  selbst  die  Substitutionstheorie:  das  Chlor  wax 
im  Stande,  eine  gleichgrosse  Anzahl  von  W^asserstoffatomen  zu  er- 
setzen, die  Substitution  fand  aber  nur  im  Paarling  statt  Was  widersinnig 
gewesen,  so  lange  man  es  ohne  Hypothese  betrachtet  hatte,  wurde  „über- 
raschend klar  und  einfach,"  nachdem  man  die  Hypothese  der  Paaiiinge 
hinzu  gethan  hatte. 


Ifodificationen  der  Radioaltfaeorie.  75 

• 

So  vollständig  war  man  TOn  der  Richtigkeit  dieser  Ansichten  überseogt^  dass 
Berzelins  es  nicht  verstehen  konnte,  wie  Jemand  anderer  Ansicht  sein  könne. 
Als  Lieb  ig  1845,  in  einer  Anmerkung  zu  Hofmann's  trefflicher  Untersuchung 
über  die  Bildung  der  chlorhaltigen  Aniline  aus  den  Chlorsubstituüonsproducten 
des  Isatins ,  nnumwimdener  noch  wie  friiher  den  neuen  Ansichten  beitrat  und  ge- 
radezu erklärte :  er  glaube ,  dass  die  Natur  einer  chemischen  Verbindung  nicht 
von  der  elektro-chemisohen  Natur  der  Elemente ,  sondern  vielmehr  von  dem  Platz, 
den  die  Elemente  einnehmen,  herrühre,  hielt  IhmBerzelius  vor:  die  Basen  seien 
alle  gepaarte  Ammoniakverbindungen  ,  es  sei  also  ganz  einerlei ,  ob  der  Paarling 
C11H4  oder  C11H3CI  sei,  denn  immer  sei  das  Ammoniak  die  Base.  — 

Dass  Äese  Paarlinge  meistens  hypothetische  Körper  waren,  brachte  der  An- 
sicht keinen  Nachtheil.  Man  brauchte  nur  daran  zu  erinnern,  dass  wenigstens  ein- 
zelne der  firüher  hypothetischen  Körper  später  dargestellt  worden,  und  dass  es  über- 
haupt viele  hypothetische  Körper  gebe.  Man  hatte  sogar  noch  den  Vortheil,  dem 
hypotheläsciien  Paarling  durch  eine  Hypothese  olle  die  Eigenschaften  zuschreiben 
zu  können,  die  zur  Erklärung  der  Eigenschaften  der  Verbindungen  wünschcnswerth 
erschienen. 

Aus  Freude  über  die  Paarlinge  hatte  man  vergessen  ,  dass  man  ei* 
gentlieh  die  BubstitutionsÜieorie  bekämpfen  wollte.  Während  man  noch 
gegen  die  Substüutionstheorie  stritt,  hatte  man  sie  ihrem  ganzen  Inhalt 
nach  angenommen;  man  drückte  sogar  in  rationellen  Formeln  (freilich 
mit  Gebrauch  zahlreicher  Hypothesen)  genau  das  aus,  was  Laurent,  als 
er  die  Substitutionstheorie  zuerst  aufstellte ,  in  Worten  aussprach :  dass 
das  Chlor  gerade  an  die  Stelle  trete,  welche  der  Wasserstoff  vorher  ein- 
genommen. 

Genug,  die  Substitutionstheorie  war  zugegeben  und  ist  seitdem  in 
alle  theoretischen  Ansichten  aufgenommen. 

Neuere  Modificationen  der  Radicaltbeorie. 

Während  des  Kampfes  gegen  die  Substitutionstheorie  hatte  die  Ra-  121. 
dicaltheorie  ihrer  selbst  vollends  vergessen.  Die  Radicale  hatten  sich 
aufgelöst  zu  Paarungen;  aus  der  Theorie  der  Radicale  war  eine  Theorie 
der  Paarlinge  geworden.  In  solch  aufgelöstem  Zustand  befand  sich  die 
Radiealtheorie  beim  Tode  von  Berzelins.  Seine  Nachfolger  und  An- 
hänger hatten  nicht  geringe  Mühe,  aus  den  Bruchstücken  der  Radicale 
(den  Paarlingen)  sich  wieder  Radicale  zusammenzulesen.  So  entstanden 
zahlreiche  Modificationen  der  Radiealtheorie,  welche  alle ,  mehr  oder 
weniger  von  andern  theoretischen  Ansichten  in  sich  aufnehmend ,  die 
Hauptsätze  der  elektrochemischen  Radiealtheorie  als  Grundlage  beibe- 
hielten. 

Der  Einflass  der  von  Berzelins  vertheidigten  Paarlingsfonneln  und  122. 
die  Anwendong  und  Vereinigung  dieser  mit  der  Radiealtheorie  erzeugte 
die  Ansicht  der  gepaarten  Radicale  (Kolbe  1848). 

Die  Essigsäure  erscheint  dieser  Ansicht  nach  als  Oxyd  eines  Radicals ,  wel- 
ches aus  Me&yl  und  Kohlenstoff  gepaart  ist;   bei  der  Benzoesäure  ist  das  Radical 


76  Constitation  der  org.  Verforndungen. 

gepaart  ans  Kohlenstoff  und  Phenyl;  bei  der  Methyldithionsttnre  ist  der  eine  Paar- 
ung Methyl ,  der  andere  (der  dem  Kohlenstoff  der  Essigsäure  entspricht)  ist 
Schwefel: 

Essigsäure (C,  H,)Cj.O,  +  HO 

Benzoesäure (Ci,Hj)C,.0,  +  HO 

Methyldithionsäure     .     .     .    (C,  H,)S,  .O*  +  HO. 

Solche  Radicale  werden  zum  Unterschied  von  den  einfacheren  Radicalen  (z.  B.: 
Aethyl  =  C4H5 ^  Methyl  =  C,H,  etc.)  gepaarte  oder  combinirteRadicale 
genannt. 

128.  Die  Adoption  der  Substitutionstheorie  Alhrte  zur  Annahme  sabsti- 

tuirter  Radicale;  z.  B. 

Phenol  =  Phenyloxydhydrat  .     .    .    .    (C,,   HJ  O  +  HO 

Chlorphenol  =  Chlorphenyloxydhydrat    .    .  ("c,,  J^M        0  +  HO 

Picrinsäure    =  Trinitrophenyloxydhydrat    .  (C|,  j^A  ^    j^  +  ^^• 

Für  die  Anhänger  der  gepaarten  Radicaltheorie  ist  eine  solche  Substitution 
auch  innerhalb  der  gepaarten  Radicale  möglich ;  so  entstehen  Verbindungen,  welche 
em  gepaartes  Radical  mit  substituirtem  Paarling  enthal- 
ten,  z.  B.: 

Essigsäure (C,H,  )C,.0,  4- HO 

Trichloressigsäure  .    .    .    .  (C,C1,)C,.0,  +  HO 

Methyldithionsäure      .     .     .  (C,H,  )S,  .0.  +  HO 

Trichlormethyldithionsäure  .  (C,C1,)S»  .0,  -j-  HO. 

124.  Die  Annahme  der  Substitutionstheorie  hat  viele  Chemiker,  selbst  Anhänger  der  Ra^ 
dicaltheorie,  veranlasst,  die  elketrochemische  Hypothese  zu  verlassen,  oder  wenig- 
stens sie  nicht  mehr  streng  in  dem  früheren  Sinn  beizubehalten.  Andere  haben 
bei  Annahme  der  Substitutionstheorie  die  elektrochemische  Theorie  in  aller  Strenge 
als  einzig  sichere  Grundlage  beibehalten.  In  welcher  Weise  aber  die  Substituir- 
barkeit  elektrochemisch  so  verschiedener  Elemente  wie  Wasserstoff  und  Chlor  mit 
der  elektrochemischen  Theorie  in  Einklang  gebracht  werden  kann,  ist  schwer  ver- 
ständlich und  würde  sicher  von  Niemanden  verstanden  worden  sein,  wenn  nicht 
Chemiker,  die  gleichzeitig  beiden  Theorien  anhängen,  das  Räthsel  in  der  Weise 
gelöst  hätten  :  „da ,  wo  wir  dieselben  sich  vertreten  sehen,  ist  daher  anzunehmen, 
dass  das  eine  derselben  oder  vielleicht  beide,  andere  elektrochemische  Eigenschaf- 
ten besitzen,  als  wir  ihnen  beizulegen  gewohnt  sind."  Wobei  natürlich  noch  die 
weitere  Frage  zu  erörtern  bleibt :  „Ist  es  aber  denkbar ,  dass  der  elektropositive 
Wasserstoff  und  das  elektronegative  Chlor  in  einem  Zustand  existiren,  wo  sie  sich 
dieser  elektrochemischen  Eigenschaften  bis  zu  einem  Grade  entäussert  haben,  dass 
sie  sich  in  ihren  Verbindungen  einander  vertreten  können  ?"  Eine  Frage,  die  dann 
nach  Betrachtungen  über  den  Status  nascens  dahin  entschieden  wird:  „Mit  ande- 
ren Worten:  der  Wasserstoff  ist  nicht  absolut  elektropositiv-  und  in  gleicher  Weise, 
aber  in  umgekehrtem  Sinn  lässt  sich  diese  Betrachtung  auch  auf  das  Chlor  und  an- 
dere Elemente  anwenden." 

125.  Auch  die  früher  schon  discutirte  Frage,  ob  Sauerstoff  im  Radical 
angenommen  werden  könne  oder  nicht  (vgl.  $.  105),   erzeugt  jetzt  noch 


Modificationen  der  Radicaltheorie.  ^^ 

Meinangsyerschiedenheit  unter  den  Anhängern  der  Radicaltheorie.  Wäh- 
rend einige,  der  Ansicht  von  Berzelius  sich  anschliessend,  allen  Bauerstoff 
ausserhalb  des  Radicak  annehmen,  betrachten  andere,  wesentlich  auf  in 
neuei^r  Zeit  entdeckte  Thatsachen  gestützt,  dieselben  Substanzen  als  Ver- 
bindungen sauerstoffhaltiger  Radicale.   Z.  B. 

Sauerstofffreie  Sauerstoffhaltige 

Radicale.  Badicale. 

Aldehyd  .    .    .    C,  H^  .  0  +  HO 
Essigsäure  .    .    C«  Hs  •  Ot+  ^^ 

Acetylchlorid        C^  H,  j^*    .    . 

Bittermaudelöl     C, «H^ .  0  -f  HO 
Benzoesäure    .    Cj^H«  .  0,4- HO 


Benzoylchlorid     C  g  «H,  j  ^< 


C4  H,0,.H 

C4  H,0,.0  +H0 

C,  H,0,.C1 


CmH»O..H 
C,,H,0,.0  +  H0 

C,,H,0,.CL 


Die    ausgebildetste   der   neueren   Modificationen  der  Radicaltheorie  126. 
(Kolbe)  vereinigt    auch  hier    beide  Ansichten  und  nimmt  an:    dass  die 
chemischen  Verbindungen  entferntere  Radicale  enthalten ,  die  dann 
durch  Vereinigung  mit  einer  gewissen  Anzahl  von  Sauerstoffatomen  neue 
nähere  Radicale  erzeugen. 

So  enthält  z.  B.  die  Essigsäure  das  entferntere  Radical  Acetyl  ==  C4HM 
=  (C,H,)G,,  welches  in  Verbindung  mit  zwei  Atom  Sauerstoff  das  nfthere  Radi- 
cal: Acetoxyl  erzeugt  =  C4H,0,  =  (C,H,)C,,  0,;  die  Essigsäure. ist  also: 

[(C,H,)C„  0,]0  +  HO  oder  (C,H,)C,.0,  -f  HO. 

Es  scheint  unnöthig,  auf  ausfiihrlichere  Darlegung  der  zahlreichen  127. 
Modificationen  der  Radicaltheorie  hier  einzugehen,  namentlich  weil  bei 
der  grossen  Mannigfaltigkeit  der  Ansichten  Vollständigkeit  unmöglich  er- 
langt werden  kann.  Der  Hjpothesenreichthum  der  Radicaltheorie  in  der 
Grundidee  sowohl  als  in  der  Auffassung  der  einzelnen  Verbindungen  ist 
augenftllig.  Die  Betrachtung  einzelner  Verbindungen  wird  noch  öfter 
Gelegenheit  geben,  darauf  aufmerksam  zu  machen.  Hier  verdient  nur 
der  Umstand  noch  besonders  Erwähnung,  dass  viele  Chemiker,  obgleich 
ftusserlich  Anhänger  der  Radicaltheorie  (namentlich  insofern  sie  die  For- 
meln nach  der  Schreibweise  der  Radicaltheorie  darstellen),  diese  Theorie 
nicht  mehr  in  dem  ursprünglichen,  streng  dualistischen  Sinn  auffassen  und 
namentlich  die  Radicale  nicht  mehr  ftlr  an  sich  enger  geschlossene  und 
in  den  Verbindungen  präexistirende  Atomgruppen  halten,  wie  dies  von 
Berzelius  und  den  strengen  Anhängern  der  ursprünglichen  Radicaltheorie 
geschah  und  von  einzelnen  Chemikern  noch  geschieht. 

Weitere  Entwickelimg  der  Typentheorie. 

Die  Theorie  der  Substitution  und  der  Typen,  so  wie  sie  Laurent  128. 
und  namentlich    wie    sie  Dumas    entwickelt    hatten,   enthielt,    wäh- 


78  Constitution  der  org.  Verbindimgen. 

rend  sie  zum  grossen  Theil  den  Thatsachen  sich  einfach  und  unge- 
zwungen anposste,  doch  gleichzeitig  etwas  weit  gehende  Verallgemei- 
nerungen von  fast  poetischer  Färbung.  Die  zahlreichen  Angriffe,  welche 
von  Seiten  der  Radicaltheorie  gegen  .sie  vorgebracht  wurden ,  so  wie  die 
geistreiche  und  meist  auf  neue  Experimente  gestützte  Vertheidiguog  von 
Seiten  ihrer  Anhänger,  Hessen  bald  das  Zweckmässige  und  Begründete 
von  dem  weniger  Wahrscheinlichen  unterscheiden.  So  wurde  die  Ver- 
tretbarkeit des  Wasserstoffs  durch  Chlor,  Brom,  Jod  und  die  s.  g.  Nitro- 
gruppe  (NO^)  durch  zahlreiche  Versuche  dargethan  und  bald  von  allen 
Chemikern  adoptirt.  Dagegen  fand  die  von  Dumas  1840  ausgesprochene 
Ansicht,  „man  könne  auch  mit  dem  Kohlenstoff  wahre  Substitutionen  vor- 
nehmen" weder  Anhänger,  nodi  wurde  sie  von  Dumas  selbst  weiter 
vertheidigt  *).  Ebenso  fand  man  bald,  dass  die  durch  Einwirkung  von 
Sauerstoff  entstehenden  Substanzen,  eine  weit  grössere  Verschiedenheit 
von  der  Muttersubstanz  zeigen  als  die  durch  Einwirkung  von  Chlor,  Brom, 
Jod  oder  Salpetersäure  entstehenden   Substanzen,  in   welchen   ohne  wei- 


«)  Die  Ansicht,  dass  auch  der  Kohlenstoff  der  organischen  Substanzen  der 
Substitution  fähig  sei,  veranlasste  mehr  als  irgend  eine  andere  während  der 
Entwicklung  der  Typentheorie  geäusserte  Ansicht,  den  Widerspruch  und 
selbst  den  Spott  anderer  Chemiker.  So  brachten  z.  B.  Liebig*s  Annalcn 
(1840)  eine  mit  S.  C.H.  Wind  1er  unterzeichnete  Correspondenz  aus  Paris,  in 
welcher  ausführlich  mitgetheüt  wird,  dass  beim  Behandeln  des  essigsauren 
Mauganoxj'duls  mit  Chlor  nicht  nur  der  Wasserstoff,  der  Sauerstoff  und  das 
Mangan,  Atom  für  Atom,  sondern  zuletzt  auch  der  Kohlenätoff  durch  Chlor 
vertreten  werden  könne  und  dass  so  ein  Product  entstehe,  welches  obgleich 
nur  aus  Chlor  bestehend,  doch  noch  die  Haupteigenschaften  des  angewen- 
deten Mangansalzes  besitze.  In  einer  Anmerkung  wurde  dabei  noch  weiter 
mitgethcih,  dass  in  den  Magazinen  von  London  bereits  Stoffe  aus  gcsü-ickt^m 
Chlor  zu  haben  seien,  die  für  Schlafmützen  etc.  allen  anderen  vorgezogen 
würden. 

Zur  richtigen  Würdigung  dieser  von  Duiiias  vermuthcten  Vertretbar- 
keit des  Kohlenstoffs,  ist  es  nöthig,  die  Thatsaohe  zu  kennen,  aufweiche 
Dumas  diese  Ansicht  begi-ündete.  Walter  hatte  durch  Einwirkung  von 
conccntrirter  Schwefelsäure  auf  wasserfreie  Camph'ersüurc  eine  Säure  erhal- 
ten (Sulfocamphorsäure),  bei  deren  Bildung  sich  die  angewandten  Substanzen 
unter  Austritt  von  Kohlenoxyd  vereinigten.  Diese  Reaction  ,  damals  voll- 
ständig und  noch  jetzt  £äst  ohne  Analogie  wurde  von  Dumas  so  aufge- 
fasst,  als  sei  ein  Rest  der  Schwefelsäure  (SO«)  an  die  Stelle  von  1  At  Koh- 
lenstoff der  Catnphorsäure  getreten,  während  dieses  eine  Atom  C  in  Verbin- 
dung mit  dem  einen  Atom  0  der  Schwefelsäure  als  Kohlenoxyd  weggegan- 
gen sei. 

Die  Sulfocamphorsäure  wurde  also  betrachtet  als  Camphorsäure,  in  wel- 
cher 1  At.  C  vertreten  ist  durch  die  Gruppe:    SOi: 

CtoHeO*  CgCSOOHeOi 

Camphorsäure.  Sulfocamphorsäure. 


Entwicklung  der  Typentiieorie.  79 

tere  Aendening  eine  gewisse  Anzahl  Wasserstoffatome  durch  eine  gleich- 
grosse  Anzahl  von  Chloratomen  u,  s.  f.  ersetzt  ist.  Man  reservirte  da- 
her den  Namen  „Substitutionsproducte'^  ausschliesslich  für  diese 
letzteren  Körper.  Man  gab  ferner  bald  zu,  dass  sich  die  wirklichen  Sub- 
stitutionsproducte  in  allen  Haupteigenschaften  den  Körpern,  von  welchen 
sie  sich  herleiten  lassen,  sehr  ähnlich  verhalten;  dass  also,  wie  man 
sich  ausdrückte,  bei  der  Substitution  der  Typus  beibehalten  werde.  Das 
Zusammenstellen  dervonDumas  demselben  mechanischen  Typus  zu- 
gezahlten Substanzen  dagegen  zeigte  sich  weniger  zweckmässig,  obgleich 
Dumas  gerade  von  den  mechanischen  Typen  erwartet  hatte,  dass  sie  eine 
natürliche  Systematik  ermöglichen  würden.  Denn  obgleich  so  eine  gewisse 
Anzahl  analoger  und  in  naher  Beziehung  stehender  Substanzen  zusam- 
mengefasst  werden  konnte,  so  mussten  doch  andere  bisweilen  nahe- 
stehende Körper  aus  der  Familie  ausgeschlossen  werden,  weil  sie  eine 
andere  Anzahl  von  Atomen  enthielten. 

Wie  man  sieht,  wurde  gerade  der  Theil  der  Theorie,  der  von  Lau-  129. 
rent  ausgegangen  war,  fast  direct  adoptirt,  während  nahezu  Alles,  was 
Dumas  hinzugethan  hatte,  in  der  nächsten  Zeit  nur  wenig  Beifall  fand. 
Nichtsdestoweniger  muss  man  zugeben,  dass  gerade  die  Auffassung  der 
chemischen  Verbindungen,  so  wie  sie  damals  von  Dumas  mitgetheilt 
wurde,  von  ganz  besonderem  Einfluss  auf  die  Entwicklung  der  Wissen- 
schaft wurde  und  dass  sie  eine  der  Hauptgrundlagen  unserer  heutigen 
Ansichten  ist. 

Auf  ein  Hauptverdienst  der  Dumas'schen  Typentheorie  ist  früher  schon 
(S.  112)  aufmerksam  gemacht  worden;  darauf  nSmlich,  dass  sie  zuerst  das 
Unzulängliche  der  elektro-chemischen  Hypothese  nachwies.  —  Ein  weiterer  we- 
sentlicher Einfluss,  den  sie  auf  die  Entwicklung  der  Wissenschaft  ausübte,  bestand ' 
darin,  dass  sie  durch  die  Auffassung  der  Verbindungen  als  einheitliche  Atomgruppe 
and  durch  die  besondere  Wichtigkeit,  die  sie  der  Analogie  in  den  Haupt- 
eigenschaften beilegte,  im  voUstöndigen  Gegensatz  zu  der  fortwährend  zu 
Hypothesen  anregenden  dualistischen  Radicaltheorie^  von  nutzlosen  Speculationen 
über  die  Lagerung  der  Atome  abhielt,  dagegen  zu  einem  vergleichenden  Studium 
der  Ifetamorphosen  ähnlicher  Substanzen  anregte.  Kicht  minder  wichtig  für  die 
weitere  Entwicklung  der  Wissenschaft  ist  der  Einfluss  der  Typentheorie  auf  die 
Ansichten  über  die  relative  Grösse  der  Atome  und  der  Molecüle.  Indem  sie  näm- 
lich die  Verbindungen  nach  Eigenschafben  und  Zusammensetzung  verglich  und  nur 
die  Körper  einer  natürlichen  Familie  (Typus)  zuzählte,  die  eine  gleiche  Anzahl  von 
Atomen  enthalten ,  veranlasste  sie  Betrachtungen  dai'Über,  welche  relative  Mengen 
der  verschiedenen  Substanzen  eigentlich  vergleichbar  sind  und  welche  relative  Men- 
gen der  Elemente  sich  gegenseitig  vertreten*,  sie  führte  so  zu  einer  klareren  Auffas- 
sung der  Begriffe  von  A t om,  Molecül  und  Aequivalent.  — 

Wie  immer  in  solchen  Fällen,  so  war  man  auch  während  des  Strei-  180. 
tes  der  Radicaltheorie  mit  der  Substitutions-  und  Typentheorie  von  beiden 
Seiten  zu  weit  gegangen.    Gerade  so  wie  die  meisten  Anhänger  der  Rar 


gO  Constitution  der  org.  Verbindungen. 

dicaltheorie  lange  Zeit,  wenn  gleich  vergeblich,  sogar  das  Thats&chliche 
der  Substitution  nicht  anerkannten ;  so  ging  man  andererseits  zu  weit, 
indem  man  das  Gute  der  Radicaltheorie  in  nicht  genügender  Weise 
würdigte. 

Zwar  hatte  Dumas  in  seinen  ausführlichen  Betrachtungen  über 
das  Gesetz  der  Substitution  und  die  Theorie  der  Typen  (1840)  darauf 
aufmerksam  gemacht,  dass  nicht  nur  Elemente  an  die  Stelle  anderer 
Elemente  treten  könnten,  dass  nicht  nur  die  Gruppe  NO«)  (in  den  Nitrokor- 
pem)  den  Wasserstoff  zu  ersetzen  im  Stande  sei,  sondern  dass  es  auch 
in  einem  gegebenen  Typus  gewisse  zusammengesetzte  Gruppen  gebe,  die 
durch  einfache  Körper  ersetzt  werden  könnten  und  welche  in  dieser  Be- 
ziehung den  Namen  von  Radicalen  verdienten  (z.  B.  das  Aethyl,  das 
Benzoyl  etc.).  Aber  diejenigen  Chemiker,  welche  zunächst  zur  Verbreitung 
der  Typentheorie  beitrugen,  zogen  es  vor,  auf  Andeutung  des  chemischen 
Verhaltens  durch  rationelle  Formeln  vorerst  Verzicht  zu  leisten  und  sich 
nur  der  empirischen  Formeln  zu  bedienen.  So  ging  ein  Hauptvortheii 
der  Radicaltheorie  verloren,  der  nämlich,  dass  man  durch  analoge  Schreib- 
weise der  Formeln  an  analoges  Verhalten  erinnerte.  Diesem  Umstände 
ist  es  offenbar  zuzuschreiben,  dass  die  Radicaltheorie  von  vielen  Chemikern 
wenigstens  der  äusseren  Form  nach  beibehalten  wurde ,  wenn  man  auch 
die  Grundidee  nicht  mehr  in  der  früheren  Strenge  beibehielt.  Es  bedurfte 
längerer  Zeit,  bis  das  Gute  der  Radicaltheorie  von  den  Anhängern  der  Ty- 
pentheorie anerkannt  und  in  diese  aufgenommen  wurde  und  bis  durch 
Verschmelzung  beider  Theorien  und  durch  weitere  Ausdehnung  der  aus 
beiden  entlehnten  Ansichten,  die  jetzigen  theoretischen  Vorstellungen  sich 
bildeten. 
131,  Es  ist  nicht  wohl  möglich,  diese  den  letzten  zwei  Decennien    ange- 

hörende Entwicklung  der  theoretischen  Ansichten  hier  ausführlicher  zu 
erörtern.  Bei  der  zwar  raschen  aber  immerhin  ruhigen  Entwicklung 
der  Wissenschaft  änderten  sich  die  Ansichten  sehr  allmälich  und  bis- 
weilen fast  unbemerkt;  eine  nur  gelegentlich  ausgesprochene ,  bisweilen 
selbst  eine  nur  angedeutete  Ansicht  wurde  in  späteren  Arbeiten  weiter 
ausgeführt  und  gewann  so  nach  und  nach  Boden;  so  dass  sich  nicht, 
oder  wenigstens  nicht  ohne  allzusehr  in  Details  einzugehen,  verfolgen 
lässt,  von  wem  und  bei  welcher  Gelegenheit  eine  neue  Ansicht  zuerst 
ausgesprochen  wurde.  —  Wir  begnügen  uns  desshalb  damit,  die  wich- 
tigsten der  Gesichtspunkte,  welche  die  Entwicklung  der  jetzigen  An- 
sichten aus  der  Typentheorie  vermittelten,  hier  kurz  zusammenzustellen. 

Versuche    zur    Feststellung    der    relativen    Grösse   der 
Molecüle  und  der  Atome. 

182.  Theorie  der  mehrbasischen  Säuren.   Es  ist  früher  mehrfach 

erwähnt  worden,  dass  die  dualistische  Theorie  die  Zusammenstellung  com- 


Theorie  der  mehrbasischen  Säuren.  gl 

plioirter  Verbindungen  durch  eine  beliebige  Anzahl  von  additionell  neben 
einander  geschriebenen  einfacheren  Körpern  darstellte.  So  schrieb  sie 
z.  B.  die  sauren  Salze  als  additioneile  Verbindungen  des  neutralen  Salzes 
mit  dem  Säurehydrat: 

neutrales  schwefelsaures  Kali     .    .    KO.SO3 

saures  schwefelsaures  Kali    .    .    .    KO.SO3  -{-  HO.SO3 

Schwefelsäurehydrat HO.SO3. 

Die  durch  die  Formel  dargestellte  Menge  des  sauren  Salzes  enthielt  also 
doppelt  soviel  Säure  wie  die  durch  die  Formel  ausgedrückte  Menge  des 
neutralen  Salzes.  Eine  Ausnahme  machte  man  nur  bei  der  Phosphor- 
säure  und  der  Citronensäure ,  bei  welchen  man  alle  Salze  mit  gleichviel 
Säure  schrieb,  weil  die  Formeln  der  beiden  Säuren  nicht  getheilt  werden 
konnten,  ohne  dass  Bruchtheile  von  Atomen  entstanden  wären. 

Phosphorsäure.  '  Saure  Salze. Neutrales  Salz. 

PO5.8HO  PO5.2HO.MO  PO5.HO.2MO  PO5.3MO. 

Citronensäure. 

CiA0„.8H0      C,2H50„.2HO.PbO      CnH5O11.HO.2PbO      CiaH^On  •  3AgO. 

Beide  Säuren  wurden  für  dreibasisch  gehalten,  weil  ihre  Formeln 
nicht  durch  drei  getheilt  werden  konnten.  FürBerzelius  warUntheil- 
barkeit  der  Formel  der  einzige  Grund,  eine  Säure  für  mehrbasisch 
SU  halten.  133. 

Nadidem  dann  Graham  die  verschiedenen  Salze  und  Modificationen  der 
Phosphorsäure  genauer  untersucht  hatte,  entwickelte  Lieb  ig  (1838),  gestützt 
auf  ausführliche  Untersuchungen  über  die  Salze  einer  grossen  Anzahl  organi- 
scher Säuren,  seine  Ansichten  über  die  Constitution  der  Säuren;  Ansichten,  die 
unter  dem  Namen :  Theorie  der  mehrbasischen  Säuren,  bekanntwur- 
den. Lieb  ig  fand,  dass  eine  grosse  Anzahl  von  Säuren  sich  der  Phosphor- 
säure  in  sofern  analog  verhalten,  als  ein  Atom  Säure  1  oder  2  oder  auch 
1,  2  oder  3  Atome  Basis  aufzunehmen  im  Stande  ist.  Er  betrachtete  alle 
solche  Säuren,  selbst  wenn  ihre  Formeln  getheilt  werden  konnten,  als  mehr- 
basisch;  und  zwar  als  zweibasisch,  wenn  sie  mit  ein  und  derselben 
Basis  zwei,  als  dreibasisch,  wenn  sie  drei  verschiedene  Salze  zu  bil- 
den vermochten.  Er  hielt  indess  nicht  sowohl  die  Existenz  saurer  SaJze, 
als  vielmehr  die  von  Doppelsalzen  für  charakteristisch  für  die  mehrbasische 
Natur  einer  Säure;  so  zwar,  dass  er,  ohne  sich  gerade  bestimmt  darüber 
auszusprechen,  nur  Doppelsalze  mit  gewissen  Basen  für  entscheidend  hielt. 

L  i  e  b  1  g  hebt  z.  B.  besonders  hervor ,  dass  die  sauren  schwefelsauren  Salze 
zwei  Atome  Säure  auf  ein  1  Atom  Basis  enthalten ,  dass  also  die  Schwefelsäure 
eine  einbasische  Säure  sei,  weil  bei  Einwirkung  von  Natron  auf  saures  schwe- 
feLsaures  Kali  kein  Doppelsalz  der  beiden  Basen  entstehe,  sondern  vielmehr  ein 
Gemenge  von  neutralem  schwefelsaurem  Kali  mit  schwefelsaurem  Natron. 

Der  Begriff  der  mehrbasischen  Säuren  wurde  zunächst  durch  134. 
Oerhardt  weiter  ausgedehnt.    Nach  Gerhardt  ist  eine  jede  Säure  mehr- 

KeknU,  organ.  Chemie.  ß 


82  Constitation  der  org.  Verbindungen. 

basisch,  wenn  sie  saure  Salze  und  Doppelsalze,  gleichgOltig  mit  welcher 
Base,  zu  bUden  vermag;  wenn  sie  also  mehr  als  1  Atom  durch  Metalle 
vertretbaren  Wasserstoff  enthält.  Gerhardt  fügte  femer  als  weiteres  (und 
zwar,  weil  auch  einzelne  e  i  nbasische  Säuren  saure  Salze  und  Doppelsalze 
zu  bilden  vermöchten,  als  besonders  charakteristisches)  Merkmal  der  zwei- 
basischen Säuren  bei,  dass  sie  zwei  Aetherarten  zu  bilden  im  Stande 
seien,  saure  und  neutrale  (den  beiden  Salzen  entsprechend)  und  dass  die 
neutralen  Aether  der  zweibasischen  Säuren  (bei  älterer  Schreibweise  der 
Formel)  2  Vol.  Dampf  entsprechen,  während  die  der  einbasischen  Säuren 
4  Vol.  Dampf  bilden;  oder  dass,  wenn  man  beide  so  schreibt,  dass  die 
durch  die  Formel  ausgedrückte  Menge  4  Vol.  Dampf  entspricht,  in  dem 
Aether  der  zweibasischen  Säure  doppelt  so  viel  Aethyl  enthalten  sei  als 
in  dem  der  einbasischen  Säure.    Z.  B. 

Einbasische  Sänre.  Zweibasische  Säure. 

Salpetersäure.  Schwefelsäure. 

NO5  .  C.H^O   =  4  Vol.;  SO,  .     C4H,0  =  2  Vol. 

2  SO,  .  2  C^H.O  =  4  Vol. 

135.  Laurent  schloss  sich  den  Ansichten  von  Gerhardt  an,   stellte  die 

Kennzeichen  der  mehrbasischen  Säuren  nochmals  zusammen  und  fügte  als 
weiteres  bei,  dass  eine  einbasische  Säure  nur  ein  Amid  zu  bilden  ver- 
möge, eine  mehrbasisohe  Säure  dagegen  mehrere,  eine  zweibasische  z.  B. 
zwei,  von  welchen  das  eine  neutral,  das  andere  dagegen  sauer  sei.  — 

186.  Man  sieht  leicht  den  Zusammenhang  der  Theorie  der  mehrbasi- 

schen Säuren  mit  den  typischen  Ansichten.  Während  der  Dualis- 
mus die  Salze  derselben  Säure  oft  durch  sehr  ungleich  grosse  Formeln  ■ 
darstellte,  suchte  die  Theorie  der  mehrbasischen  Säuren  nach  vergleich- 
baren Mengen;  sie  schrieb  alle  Salze,  die  sauren  sowohl  wie  die  neutra- 
len, so,  dass  sie  demselben  Typus  zugehörten  wie  die  Säure  selbst.  Die 
Theorie  der  mehrbasischen  Säuren  war  also  ein  Versuch,  die  Molecular- 
grösse  der  Säuren  und  der  Salze  festzustellen  und  sie  bediente  sich  dazu 
derselben  Betrachtungen,  die  jetzt  noch,  freilich  neben  einer  Anzahl  an- 
derer, zu  demselben  Zweck  in  Anwendung  gebracht  werden. 

Die  Theorie  der  mehrbasischen  Säuren  war  nicht  nur  durch  die 
zahlreichen  durch  sie  veranlassten  Entdeckungen  für  die  Wissenschaft 
fruchtbringend;  sie  trug  auch  wesentlich  zur  Entwicklung  klarerer  Ansichten 
bei.  Ein  grosser  Theil  der  jetzigen  Anschauungsweise  ist  in  der  That 
nichts  weiter  als  eine  weitere  Ausdehnung  und  consequentere  Durchfüh- 
rung der  von  der  Theorie  der  mehrbasischen  Säuren  zuerst  benutzten 
Betrachtungsweise. 

Laurent's  und  Gerhardt's  Ansichten  tiber  Molecular- 

grosse. 

137.  Unsere  jetzigen  Ansichten  über  die  relative  Ghrösse  der  Moleoüle  der 


QerharcU'a  Atomgewidite.  83 

ohenüschen  Yerbmdungen  sind  wesentlich  henrorgemfen  und  vorbereitet 
worden  durch  die  geistvollen  Betrachtungen,  welche  Laurent  und  Ger- 
hardt*) aber  diesen  Gegenstand  veröffentlichten.  Die  meisten  der  von 
diesen  Chemikern  mitgetheilten  Argumente  sind  heute  noch  in  vollem 
Maasse  gfiltig  und  werden  bei  der  später  zu  gebenden  Begründung  der 
jetzigen  Theorie  benutzt  werden  ($.  167  ff.) ,  so  dass  ein  ausführlidieres 
Eingehen  darauf  hier  unnöihig  erscheint. 

Hier  mag  nur  einstweilen  bemerkt  werden,  dass  Gerhardt  bei 
Feststellung  der  von  ihm  gebrauchten  Molecularformeln  wesentlich  von 
Yolumspeculationen  ausging;  also  von  Ideen  über  die  Beziehung  zwischen 
dem  specifischen  Gewicht  der  Dämpfe  und  der  durch  die  Formel  ausge- 
drflekten  Menge  von  Substanz.  Er  schrieb  allgemein  die  Formehi  der  che- 
mischen Verbindungen  so,  dass  sie  eine  gleich  grosse  Anzahl  von  Volu- 
men ausdrückten  und  benutzte  dabei  die  oben  (§•  134)  gegebenen  Be- 
trachtungen als  weitere  Anhaltspunkte. 

Laurent  stützte  sich  bei  seinen  Betrachtungen  wesentlich  auf  che- 
mische Analogie  und  auf  gleichmässige  Interpretation  ähnlicher  Metamor- 
phosen. Von  den  zahlreichen  von  ihm  herrührenden  Argumenten  heben 
wir  einstweilen  hervor: 

1)  Da  bei  chemischen  Metamorphosen  stets  nur  solche  Mengen  von 
Substanz  in  Wirkung  treten  oder  ausgeschieden  werden,  die  eine  paare 
Anzahl  von  Atomen  enthalten,  so  enthält  das  Molecül  stets  eine  paare 
Anzahl  von  Atomen.  Da  z.  B.  bei  Einwirkung  von  Chlor  auf  organische 
Eöiper  stets  2,  4,  6  etc.  Atome  Chlor  und  niemals  1,  3,  5  etc.  Atome 
in  Wirkung  treten,  so  enthält  1  Molecül  Chlor  zwei  Atome. 

2)  Wenn  verschiedene  Körper  völlig  analoge  Metamorphosen  zeigen, 
so  müssen  sie  als  analog  zusammengesetzt  betrachtet  werden.  Vergleicht 
man  z.  B.  die  Wirkung  des  Chlors  mit  der  des  Chlorcjans,  Benzoylchlo- 
rids  etc.,  so  fahrt  dies  zu  dem  Schluss,  dass  1  Molecül  Chlor  zwei  Atome 
enthält.  — 

Gerhardt's  Atomgewichte. 

Gerhardt  war  der  erste,  welcher  den  Begriff  von  Atom  in  kla-  188. 
rerer  Weise  auffasste  und  die  relative  Grösse  der  Atome  der  Elemente 
festzustellen  sich  bemühte.     Obgleich  die  von  ihm  1842  vorgeschlagenen 
Atomgrössen  und  Atomgewichte  anfangs   den  lebhaftesten  Widerspruch 


*)  Die  von  Clark  (1826)  und  Griffin  (1884)  über  denselben  Gegenstand 
(besonders  über  die  Hydrate  der  Säuren  und  der  Oxyde)  veröffentlichten  An- 
siditen  --  vgl.  The  Radical  Theory  in  Chemistry,  by  GrifGn.  London  1858  — 
zeigten  nur  das  Unbewiesene  der  (üteren  Ansichten  ohne  die  neuen  durch 
Gründe  zu  stützen.  Sie  übten  zudem  auf  die  Entwicklung  der  Wissenschaft 
keinerlei  Einfluss  aus  und  bleiben  desshalb  ohne  weitere  Berücksichtigung. 

6  ♦ 


84  CSonstitntion  der  org.  VerbinduiLgeiL 

fanden  und  namentlich  von  Berzelius  für  so  widersinnig  gehalten  wur- 
den, dass  er  es  nicht  für  nöthig  hielt,  sie  in  seinem  Jahresbericht  mitzuthei- 
len,  so  hat  doch  der  Fortschritt  der  Wissenschaft  in  so  schlagender  Weise 
dargethan,  dass  Gerhardts  Atomgewichte  ein  wahrerer  Ausdruck  der 
Thatsachen  sind  und  dass  sie  Analogien  und  Verschiedenheiten  besser 
hervortreten  lassen ,  als  die  früher  gebräuchlichen ,  dass  sie  schon  jetzt 
von  vielen  Chemikern  angenonunen  sind  *)  und  voraussichtlich  in  kur- 
zer Zeit  allgemein  werden  angenommen  werden. 

Die  später  zu  gebenden  Betrachtungen  über  die  Atomgrösse  (§.  163  ff.) 
und  über  die  Beziehungen  zwischen  der  Dampfdichte  und  der  atomisti- 
schen  Molecularformel  werden  die  Zweckmässigkeit  der  Oerhardt'schen 
Atomgewichte  genügend  darthun.  Hier  muss  nur  erwähnt  werden,  welche 
Betrachtungen  Gerhardt  damals  zur  Umänderung  der  vorher  gebräuch- 
lichen Atomgewichte  veranlassten. 

Indem  Gerhardt  den  Volumverhältnissen' der  gasförmigen  Elemente 
möglichst  Rechnung  trug,  nahm  er  wie  Berzelius  an,  dass  in  gleich 
grossen  Volumen  der  einfachen  Gase  eine  gleich  grosse  Anzahl  von  Ato- 
men enthalten  sei.  Er  wählte  die  Atomgewichte  so,  dass  die  Anzahl  der 
Atome  gleichzeitig  die  Volumverhältnisse  ausdrückte.  Er  schrieb  dem- 
nach, wie  Berzelius,  das  Wasser:  HjO;  halbirte  ako  das  Atomgewicht 
des  Wasserstoffs  verglichen  mit  dem  des  Sauerstoffs  als  Einheit  oder, 
was  dasselbe  ist,  er  verdoppelte  dcus  Atomgewicht  des  Sauerstoffs  im  Ver- 
gleich mit  dem  des  Wasserstoffs  als  Einheit 

Für  alle  die  Elemente,  welche  nicht  in  gasförmigem  Zustand  existi- 
ren,  liess  er  chemische  Analogie  entscheiden;  und  er  halbirte 
80,  indem  er  seine  Principien  mit  möglichster  Consequenz  durchführte, 
(was  Berzelius  nicht  gethan  hatte)  auch  die  Atomgewichte  der  meisten 
Metalle. 

Die  so  festgesetzten  Atomgrössen  fanden  dann  weitere  Stützen  in 
der  Betrachtung  der  atomistischen  Zusammensetzung  der  chemischen  Ver- 
bindungen. Die  glückliche  Idee,  die  Zusammensetzung  der  Verbindungen 
durch  rein  empirische  Formeln  auszudrücken  und  diese,  also  die  That- 
sachen direct,  mit  einander  zu  vergleichen,  statt  die  Betrachtung  durch 
das  stets  trügerische  Glas  angeerbter  Hypothesen  vorzunehmen,  zeigte 
ihm,  dass  die  Formeln  der  meisten  und  gerade  die  der  best  bekann- 
ten Substanzen  von  einzelnen  Elementen  stets  eine  paare  Anzahl  von 
Atomen  enthalten  und  dass  für  bei  weitem  die  meisten  der  Körper,  bei 
welchen  dies  nicht  der  Fall  ist.  Gründe  zur  Verdopplung  der  Formel, 
d.  h.  zur  Verdopplung  der  Moleculargrösse  vorlagen.  Er  schloss  daraus, 
dass  diejenige  Menge  solcher  Elemente ,  die  man  vorher  fttr  zwei  Atome 
gehalten  hatte,  eigentlich  nur  ein  Atom  sei;  dass  man  also  die  Atom- 
gewichte dieser  Elemente  (z.  B.  0,  S,  C  etc.)  verdoppeln  müsse.  — 


*)  Sie  sind  in  diesem  Lehrbuche  gebraucht. 


Classiiications-Versache.  85 

Gerhardt's  Unitätstheorie. 

Die  Ansichten  über  die  Moleculargrösse  der  Verbindungen  und  über  139. 
die  Atomgrösse  der  Elemente,  welche  er  früher  vereinzelt  in  Abhandlun> 
gen  mitgetheilt  hatte,  fasste  Gerhardt  später  zu  einem  systematischen 
Ganzen  zusammen,  welches  er  zunächst  in  einem  besonderen  Werkchen 
(Introduction  d  Vetude  de  la  chimie  par  le  Systeme  unUaire.  1848.)  der 
ganzen  Betrachtung  der  Chemie  zu  Grunde  legte  und  später  im  Bd.  IV. 
seines  Traue  de  Chimie  organiquc  1856  noch  weiter  ausführte.  Das  We- 
sentlichste dieser  Betrachtungen,  welche  Gerhardt  selbst  Unitätstheo- 
rie, Systhne  unHaire^  nennt,  ist  folgendes. 

Die  Grösse  der  Atome  der  Elemente  sowohl,  als  die  Grösse  der 
Holecüle  der  Verbindungen  sind  der  Natur  der  Bache  nach  nicht  abso- 
lut bestimmbar;  sie  können  vielmehr  durch  vergleichende  Betrachtung 
nur  relativ  festgestellt  werden.  Desshalb  ist  es  nöthig,  dass  man  von 
einer  und  derselben  Substanz  als  gemeinschaftlicher  Einheit  für  alle  Kör- 
per  ausgeht  (unüe  de  moUcule)  und  dass  man  weiter  den  Vergleich  selbst 
immer  in  derselben  Art  vornimmt,  also  dass  man  alle  chemischen  Meta- 
morphosen, so  weit  irgend  thunlich,  in  einer  und  derselben  Weise  auf- 
fasst  und  durch  analoge  Formeln  darstellt  (ricuAion  type) :  denn  nur  wenn 
man  alle  Körper  mit  einem  und  demselben  Maasse  misst  und  wenn  man 
dieses  Maass  stets  auf  dieselbe  Weise  anwendet,  können  die  Grössenver- 
hältnisse  richtig  ermittelt  werden. 

Als  Einheit  des  Maasses,  als  Ausgangspunkt  des  Vergleiches,  be- 
nutzt Gerhardt  das  Wasser,  dessen  Formel  er,  aus  oben  angedeuteten 
Gründen  H2O  schreibt,  die  Moleculargrösse  aller  andern  Körper  wird 
durch  Vergleichung  mit  dieser  Einheit  festgestellt. 

Als  Reactionstypus  betrachtet  Gerhardt  die  doppelte  Zersetzung,  den, 
wie  wir  später  sehen  werden,  am  häufigsten  vorkommenden  Fall  der  che- 
mischen Metamorphose. 

Alle  derartigen  Argumentationen  Gerhardt's  waren  hier  nnr  anzudeuten, 
nicht  ausführlicher  zu  besprechen,  weil  sie,  zu  bei  weitem  dem  grössten  Theil, 
Theile  des  jetzigen  Lehrgebäudes  ausmachen. 

Classifications- Versuche. 

Die  Systematik  ist  der  Natur   der  Sache  nach   stets   ein  Ausdruck  140. 
der  theoretischen  Ansichten.    Jede  tiefer  gehende  Aenderung  dieser  wird 
eine  Aenderunng  der  Systematik  zur  Folge  haben;   aber  umgekehrt  sind 
alle  Versuche,  übersichtlichere  Systeme  aufzufinden,  auf  die  Entwicklung 
der  theoretischen  Ansichten  von  besonderem  Einfiuss. 

Die  ersten  Anfänge  wissenschaftlicher  Systematik  gab  die  1828  von 
Dumas  und  Boullay  mitgetheilte Zusammenstellung  der  Alkoholverbin- 
dungen im  Sinne  der  Aetherintheorie  (vgl.  $.  102).  Zahlreiche  ähnliche 
Zusammenstellungen    von   in   verwandtschaftlicher  Beziehung   stehendeg 


86  Constitution  der  org.  Verbindongen. 

Substanzen  gab   später  die   Radicaltfaeorie ;   z.  B.  BenzoylTerbindimgeQ 
(liebig  und  Wöhler  1832);  Aethylverbindungen  (1834)  etc. 

141.  Der  erste  Versuch  einer  allgemein  durchgeführten,  alle  orgomschen 
Verbindungen  umfassenden  Systematik  wurde  von  Laurent  1836,  ge- 
legentlich der  Entwicklung  der  Kemtheorie  mitgetheilt.  Des  damaUgen 
Standes  der  Kenntnisse  wegen  musste  ein  solcher  Versuch  natürlich  auf 
zahllose  Schwierigkeiten  stossen,  zu  zahlreichen  Hypothesen  seine  Zuflucht 
nehmen  und  war  so  von  vorneherein  des  lebhaftesten  Widerspruchs  sicher. 
Nichtsdestoweniger  war  Laurents  Classification  von  besonderem  Einfluss, 
sie  wurde  der  Vorläufer  und  die  Grundlage  der  meisten  späteren 
Systeme. 

Laurent  stellte  bei  diesem  ersten  Versuch,  der  später  mannigfach  modificirt 
wurde,  zunächst  alle  die  Verbindungen  in  eine  Reihe,  welche  von  einem  Stamm- 
kern  abgeleitet  werden  konnten,  in  welchem  der  Kohlenstoff  und  Wasserstoff  in 
demselben  Verbfiltniss  enthalten  war.  Innerhalb  dieser  Reihen  wurden  die  Stamm- 
kerne  so  geordnet,  dass  man  von  den  kohlenstofireichsten  zu  den  kohlenstoff&rme- 
ren  Überging.  An  die  Verbindungen  der  Stammkeme  wurden  Jedesmal  die  der 
mehr  und  mehr  abgeleiteten  Kebenkeme  angereiht. 

Da  die  Classification  von  Laurent,  obgleich  vor  der  Dumas^- 
schen  Typentheorie  mitgetheilt,  schon  die  Vertretbarkeit  des  Wasserstofi 
im  Kern  durch  Chlor  und  das  Entstehen  anderer  abgeleitete  Kerne  durch 
Eintritt  von  Sauerstoff  an  die  Stelle  von  Wasserstoff  angenommen  hatte, 
so  konnte  die  weitere  Entwicklung  der  Typentheorie  (von  Dumas)  der 
Systematik  kaum  neue  Gesichtspunkte  beibringen.  Laurents  Systema- 
tik wiirde  vielmehr  von  den  Anhängern  der  neuen  Richtung,  in  mehr 
oder  weniger  veränderter  Form  als  Grundlage  neuer  Systeme  benutzt 
Sie  ist  z.  B.  mit  einigen  Modificationen  \n  L.  Gmelin's  trefilichem  Hand- 
buch der  Chemie  benutzt,  „weil  sie,^^  wie  Gmelin  sagt,  „die  organischen 
Verbindungen  in  eine  naturgemässe  Ordnung  bringt,  welche  so  leicht  zu 
übersehen  ist,  als  es  die  ausserordentliche  Mannigfaltigkeit  dieser  Verbin- 
dungen nur  immer  erlaubt 

142.  Ein  fOr  die  Systematik  ausnehmend  einflussreicher  Schritt  geschah 
durch  die  Erkenntniss  der  s.  g.  Homologie. 

Lehre  von  den  Homologen.  J.  Schiel  machte  zuerst  1842 
darauf  aufmerksam,  dass:  „die  Radicale  der  als  Alkohole  bezeichneten 
Körper  eine  höchst  einfache  regelmässige  Reihe  bilden,  und  dass  in  den 
Eigenschaften  dieser  Körper  eine  der  Zusammensetzung  entsprechende 
Regelmässigkeit  stattfinde.^'    Er  gab  damals  die  Reihe: 

CiH«  =  R 

Methyl  .  .  . 
Aethyl    .     .    . 

Amyl  .  .  . 
Cetyl  .  .  . 
Cerosyl  .    .    . 


1  R  +  H 
2R4.H 

6  R  +H 
16  R  +  H 
26  R  +  H. 

GlA6fiifi€stion6-Ver8uche.  87 

Er  liob  noch  besonders  hervor,  dass  auch  die  höheren  Glieder  die- 
ser Reihe  dieselbe  Siedepunktsdifferenz  zeigen  (19®  für  CjHj),  welche 
Kopp  kurz  vorher  für  die  Methyl  -  und  Aethylverbindungen  nachgewiesen 
hfl^te.  Er  sprach  weiter  die  Ansicht  aus,  dass  es  gewiss  noch  viele 
solcher  Reihen  gäbe.  Bald  nachher  zeigte  Dumas  (1842),  dass  die 
wichtigsten  fetten  Säuren  eine  ähnliche  Reihe  bilden;  dass  auch  filr 
sie  eine  Differenz  in  der  Zusammensetzung  um  n  C2H2  stattfindet  und 
dass  ebenso  wie  die  Siedepunkte  so  auch  die  Schmelzpunkte  mit  der  Zu- 
nahme von  G2H2  steigen. 

Gerhardt,  welchem  die  Systematik  der  organischen  Verbindungen  148. 
ihre  jetzige  Gestalt  zum  grössten  Tlieil  verdankt,  machte  zuerst  1843  und 
dann  in  seinem  Pr^cia  de  Chimie  organique  (1844  und  1845)  diese  Reihen, 
von  welchen  er  eine  grosse  Anzahl  zusammenstellte,  und  für  welche  er 
zuerst  den  Namen  homolog  gebrauchte,  zu  einer  der  Hauptgrundlagen 
der  Systematik.  Neben  der  am  Schlüsse  des  erwähnten  Werkes  gegebe- 
nen Classification  nach  chemischen  Functionen  und  nach  homo- 
logen Reihen,  benutzte  Gerhardt  damals  noch  eine  andere  Classifica- 
tion, die  er  Schelle  de  combustion  nennt,  weil  sie  von  den  kohlenstofireich- 
sten  Verbindungen  ausgehend  die  andern  in  solcher  Weise  anreihte,  wie 
sie  durch  Verbrennung  aus  diesen  entstanden  gedacht  werden  konnten; 
eine  Systematik,  welche  mit  der  von  Laurent  früher  gegebenen  grosse 
Aehnlichkeit  hat.  Obgleich  durch  den  raschen  Fortschritt  der  Wissen- 
schaft nie  allgemein  angenommen  hatte  das  ersterwähnte  der  beiden  Sy- 
steme von  Gerhardt  auf  die  Entwicklung  ungemeinen  Einfluss.  Einzelne 
der  nach  chemischen  Functionen  zusammengestellten  Gruppen  und  na- 
mentlich die  homologen  Reihen  wurden  in  alle  späteren  Systeme  aufge- 
nommen. — 

Während  so  die  genannten  Chemiker  in  das  Chaos  der  stets  zahl-  144. 
reicher  werdenden  organischen  Verbindungen  nach  wissenschaftlichen 
Principien  systematische  Ordnung  zu  bringen  bemüht  waren,  begnügte  sich 
eine  nicht  unbedeutende  Zahl  anderer  immer  noch  mit  Wiederholung  der 
von  früheren  Jahrzehnten  ererbten  Classification  nach  s.  g.  natürlichen 
Familien.  Nach  den  verschiedenartigsten  Principien  stellte  man  die  orga- 
nischen Substanzen  theils  nach  Vorkommen,  theils  nach  Farbe,  Consistenz 
oder  anderen  der  alleräusserlichsten  physikalischen  Eigenschaften  in  bun- 
tem Gewirre  zusammen.  Die  gelegentliche  Aufiiahme  einzelner  Gesichts- 
punkte ans  den  Systemen  von  Laurent  und  Gerhardt  gab  diesen  Classi- 
ficationen zwar  äusserlich  einen  etwas  wissenschaftlichen  Anstrich,  ver- 
mehrte aber  gleichzeitig  die  leitenden  Principien.  Dass  man  früher,  als 
noch  die  Metamorphosen  der  wenigsten  Substanzen  so  weit  erforscht 
waren,  dass  die  Beziehungen  der  verschiedenen  Körper  untereinander 
hervortraten,  in  solcher  Weise  zu  Gruppen  zusammengestellt  hatte,  war 
durch  den  damaligen  Stand  der  Kenntnisse  geboten;   eine  solche  Ciasei- 


9g  Constitation  der  org.  VerbinduDgen. 

ficätion  jetzt  noch  beibehalten   oder   auch   nur  ausfOhrlicher  besprechen 
zu  wollen,  hiesse  den  heutigen  Stand  der  Wissenschaft  verkennen. 

145.  Nach  der  in  früheren  Abschnitten  besprochenen  Aufgabe  der  Chemie 
ist  es  an  sich  klar,  dass  ein  System  nur  dann  wissenschaftlich  und 
chemisch  sein  kann,  wenn  es  chemische  Metamorphosen,  che- 
mische Function  und  genetische  Beziehungen  als  Hauptanhalts- 
punkte benutzt.  Ausser  den  eben  erwähnten  Classifications- Versuchen, 
welche,  veranlasst  durch  den  jemaligen  Stand  der  chemischen  Kenntnisse, 
sehr  unvollkommen  sein  mussten,  bedarf  also  nur  noch  die  Classification 
einer  besondem  Besprechung,  welche  Gerhardt  1853 — 1856  in  seinem 
TraiU  de  chimie  organique  entwickelte.  Obgleich  wesentlich  auf  den  frü- 
heren Ideen  von  Laurent  und  von  Gerhardt  fussend  hat  diese  Classifica- 
tion in  den  Einzelnheiten  der  Durchführung,  veranlasst  durch  den  raschen 
Fortschritt  der  Wissenschaft,  kaum  Aehnlichkeit  mit  den  früheren  Syste- 
men. Wir  geben  den  Hauptinhalt  dieser  Systematik,  die  von  Gerhardt 
selbst:  Classification  nach  Reihen  genannt  wird,  so  weit  als  than- 
lieh  in  Gerhardt's  eigenen  Worten.  '- 

146.  Der  Zeitpunkt  ist  gekommen ,  wo  die  organische  Chemie  auf  Äus- 
sere Eigenschaften  als  Classificationsmittel  weniger  Werth  legt,  wo  sie 
sich  vielmehr  auf  allgemeinere  und  auf  alle  Körper  anwendbare  Princi- 
pien  stützt  Nachdem  sie  die  Metamorphosen  der  Verbindungen  erforschl 
hat,  stellt  sie  diejenigen  zu  Gruppen  oder  Reihen  zusammen,  welche  aus- 
einander erzeugt  werden.  Nachdem  so  eine  Anzahl  von  Reihen  entstan- 
den ist,  sucht  sie,  ob  unter  den  eingereihten  Substanzen  einzelne  eine 
grössere  Aehnlichkeit  unter  einander  besitzen  als  mit  anderen  Substanzen, 
so  dass  sie  mehr  oder  weniger  noch  denselben  Typus  besitzen.  Indem 
sie  dann  von  der  Vergleichung  einzelner  Glieder  zur  Vergleichung  ganzer 
Reihen  übergeht,  entdeckt  sie  neue  Analogien;  sie  findet  Gruppen,  welche 
sich  wiederholen,  Reihen,  welche  p'arallel  laufen  und  aus  diesem  Paralle- 
lismus leitet  sie  endlich  allgemeine  Formeln  ab,  -welche  die  Constitution 
und  die  Beziehungen  ganzer  Reihen  zusammenfassen. 

Man  stellt  also  nach  einer  Seite  hin  alle  die  Substanzen  in  eine 
Reihe  zusammen,  die  durch  chemische  Metamorphosen  auseinander  er- 
zeugt werden  und  man  ordnet  die  so  erhaltenen  Reihen  dann  in  der 
Weise,  dass  nach  der  andern  Seite  hin  alle  die  Körper  in  eine  Reihe 
kommen,  welche  die  grösste  Aehnlichkeit  zeigen,  also  demselben  Typus 
zugehören. 

147.  Die  erste  Art  von  Reihen  nennt  Gerhardt  heterx)loge  Reihen, 
weil  die  derselben  Reihe  zugehörenden  Substanzen  in  chemischer  Natur 
und  in  Zusammensetzung  wesentlich  verschieden  sind;  man  bezeichnet 
sie  bisweilen  als  genetische  Reihen,  insofern  sie  die  Körper  umfas- 
sen, welche  durch  einfache  Metamorphosen  aus  einander  entstehen  können. 


Gerhardts  ^laseificAtioii.  89 

Die  zweite  Art  von  Reihen  umfasst  die  untereinander  ähnlichsten 
Körper,  also  ssunächst  die  Homologen  und  ausserdem  Substanzen,  die 
bei  grosser  Analogie  der  Eigenschaften  doch  eine  grössere  Differenz  der 
Zusammensetzung  zeigen  als  die  homologen.  Gerhardt  nennt  solche  Kör- 
per isolog  (z.  B.  Alkohol  und  Phen jlalkohol ,  Essigsäure  und  Benzol 
saure  u.  s.  w.). 

Gerhardt  vergleicht  sinnig  eine  solche  Classification  mit  der  folgen« 
den  Anordnung  eines  Kartenspiels.  Man  lege  alle  Karten  von  derselben 
Farbe  in  eine  verticale  Reihe  und  die  so  erhaltenen  Reihen  so  nebenein- 
»ider,  dass  alle  gleichwerthigen  Karten  in  dieselbe  horizontale  Reihe  zu 
liegen  kommen.  Die  verticalen  Reihen  entsprechen  dann  den  heterologen 
(oder  genetischen),  die  horizontalen  den  homologen  und  isologen  Reihen. 
Fehlt  eine  Karte  im  Spiel,  so  ist  ihr  Platz  dennoch  angezeigt  und  man 
kann,  ohne  sie  zu  sehen,  sich  von  ihr  eine  vollständige  Vorstellung  ma- 
chen. Ebenso  geht  es  in  der  organischen  Chemie;  die  Reihen  können 
fes^estellt  werden,  ohne  dass  man  alle  Glieder  derselben  kennt  und  der 
Vortheil  einer  solchen  Classification  nach  Reihen  besteht  weniger  darin, 
dass  man  alle  bekannten  Körper  methodisch  gruppiren  kann,  als  vielmehr 
darin,  dass  man  die  Existenz  noch  unbekannter  Körper  voraussehen  und 
ihre  Eigenschaften  vorher  bestimmen  kann. 

Man  kann  also  nach  zwei  verschiedenen  Arten  classificiren.  Man 
stellt  entweder  alle  durch  chemische  Metamorphosen  auseinander  entste- 
henden Substanzen  zu  heterologen  Reihen  zusammen;  oder  man  stellt 
alle  homologen  und  isologen  Körper  und  überhaupt  alle,  die  ihrer  chemi- 
schen Function  nach  ähnlich  sind,  also  demselben  Typus  zugehören,  in 
dieselbe  Gruppe.  Beide  Classificationen  sind  von  gleicher  Wichtigkeit 
und  zur  vollständigen  Kenntniss  der  Natur  der  chemischen  Verbindungen 
ist  die  Anwendung  beider  nothwendig.  —  Die  erste  Classificationsmethode 
wird  desshalb  von  Gerhardt  im  speciellen  Theil  seines  Lehrbuches  einge- 
halten ;  nach  der  zweiten  gibt  er  im  4.  Bande  eine  Zusammenstellung  der 
Gruppeneigenschaften  der  organischen  Verbindungen. 

Verschmelzung  der  Radicaltheorie  mit  der  Typen- 
theorie. 

Es  ist  oben  schon  hervorgehoben  worden  (§.  130),  dass  die  An-  148. 
h&nger  der  Typentheorie  während  des  Streites  gegen  die  dualistische  Ra- 
dicaltheorie und  vielleicht  zum  Theil  wegen  dieses  Streites,  von  der 
Radicaltheorie  nichts  auch  nicht  das  Gute  aufnahmen;  so  zwar,  dass  man 
nieht  nur  den  dualistischen  Begriff  von  Radical,  sondern  die  Annahme 
und  den  Gebrauch  von  Radicalen  überhaupt  verwarf  und  zu  rein  empiri- 
sehen  Formeln  zurückkehrte.  Noch  1848  in  seiner  Introduction  benutzte 
Gerhardt  nur  empirische  Formeln.  Da  man  indessen  doch  fand,  dass  diese 
die  Bezidiungen  der  Körper  untereinander  bei  weitem  nicht  so  klar  her- 


90  ConstUntion  der  org.  Verbindangen. 

Tortreten  Hessen  als  die  freilich  hypothetischen  Formeln  der  Radiealtheo- 
rie,  so  bediente  man  sich  zur  Darstellung  solcher  Beziehungen  der  s.  g. 
synoptischen  Formeln,  in  welchen  der  einer  Reihe  von  auseinander 
entstehenden  Substanzen  gemeinsame  Theil  von  den  übrigen  Bestandthei- 
len  getrennt  geschrieben  und  auch  wohl  durch  ein  besonderes  Zeichen 
ausgedrückt  wurde.  Man  schloss  sich  bei  solcher  Darstellung  bald  mehr 
aa  die  Radicaltheorie,  bald  mehr  an  die  Eemtheorie  an,  ohne  indess  da- 
mit etwas  anderes  zu  bezwecken  als  die  Beziehungen  der  Körper  zu  ein* 
ander  besser  hervortreten  zu  lassen. 
149.  Der  grösste  Fortschritt  der  Typentheorie  und  der  theoretischen  An- 

sichten überhaupt  ist  die  Aufnahme  der  Radicaie  in  die  Typen.  Diese 
Verschmelzung  beider  Theorieen  wurde  wesentlich  vorbereitet  und  ver- 
mittelt durch  Betrachtungen,  welche  Gerhardt  1839  schon  mittheilte  und 
später  noch  weiter  ausführte  und  die  er:  loi  oder  theorie  des  residues 
nannte.  Er  meint:  „wenn  eine  s.  g.  Vertretung  eines  einfachen  Körpers 
„durch  einen  zusammengesetzten  stattfindet,  so  ist  dies  nicht  einfache 
„directe  Substitution,  die  Reaction  erfolgt  vielmehr  in  der  Weise,  dass 
„ein  Element  (z.  B.  H)  des  einen  Körpers  sich  mit  einem  Element  (z.  B. 
„0)  des  andern  verbindet,  dass  das  entstandene  Product  (z.  B.  HO)  aus- 
„tritt,  während  die  von  beiden  Körpern  übrig  bleibenden  Elemente  (Reste) 
„in  Verbindung  treten.^'  Er  hebt  dabei  besonders  hervor,  dass  diese 
Theorie  der  Reste  die  Annahme  aller  hypothetischen  Radicaie  un- 
nöthig  mache. 

Man  sieht  leicht,  dass  die  Reste  von  Gerhardt  in  vielen  Fällen  dieselben 
Atomgmppen  sind  wie  die  Radicaie  der  Radicaltheorie ,  aber  aller  Hypothese  ent- 
kleidet ^  so  dass  die  Theorie  der  Reste  die  Beziehungen  der  Substanzen  untereinan- 
der mit  derselben  Klarheit  darzustellen  vermochte  wie  die  Radicaltheorie,  ohne 
dabei  die  Annahme  einer  endlosen  Anzahl  enger  geschlossener  und  in  den  Ver- 
bindungen präexistirender  Radicaie  nöthig  zu  machen. 

160.  In  welcher  Weise  dieser  Gerhardt'sche  Begriff  der  Reste  allm&hlig 

den  der  Radicaie  der  älteren  Theorie  verdrängte  und  so  zu  den  jetzigen 
Ansichten  über  Radicaie  und  gleichzeitig  zur  Verschmelzung  beider  Theo- 
rieen führte,  ist  schwer  zu  verfolgen.  Der  bedeutendste  Schritt  darin  ge- 
schah offenbar  durch  die  epochemachende  Entdeckung  der  dem  Ammo- 
niak entsprechenden  Basen,  die  wir  Wurtz  verdanken  (1849).  Damals 
gab  man  für  diese  Substanzen  zwei  Betrachtungsweisen,  von  welchen  die 
eine  sich  mehr  an  die  Radicaltheorie,  die  andere  sich  mehr  an  die  Ty- 
pentheorie anschloss.  Man  sagte,  sie  lassen  sich  betrachten  als  die  Oxyde 
der  Alkoholradicale,  deren  Sauerstoff  durch  Amid  ersetzt  ist;  oder  als 
Ammoniak,  in  welchem  Wasserstoff  durch  Aethyl  u.  s.  w,  ersetzt  ist 
Hofmann  gab  der  letzteren  typischen  Anschauung  den  Vorzug. 
Die  Betrachtung,  dass  auch  die  beiden  andern  Wasserstoffatome  des  Am- 
moniaks, ebenso  wie  das  eine,  durch  die  Alkoholradicale  müssten  vertreten 
werden  können,  führte  ihn  zu  der  Entdeckung  der  zahlreichen  dem  Ammo- 


Geriiwdt'B  Typentheoite.  9i 

niak  m  eo  merkwürdiger  Weise  analogen  Basen  (1849  und  1S60).  Damit 
war  die  Anfhahme  der  Radicale  in  die  Typentheorie  und  zugleich  eine 
weeentUche  Erweiterung  der  ursprünglichen  Typentheorie  gewonnen.  Die 
Entdeckung  der  dem  Ammoniak  entsprechenden  Basen  ist  unbestreitbar 
der  Grundstein  der  jetzigen  Anschauungsweise.  Man  bezog  jetzt  orgi^ 
nische  Verbindungen  auf  einfache  unorganische  Verbindungen  als  Typus; 
und  man  nahm  an,  dass  in  dem  Typus  Ammoniak  (=  NH3)  der  Wasser- 
stoff Atom  für  Atom,  nicht  nur  durch  Metalle  (Laurent),  sondern  auch 
durch  Alkoholradicale  vertreten  werden  könne. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  für   die  Entwicklung  dieser  Ansichten  161. 
wurden  nachher  die  Betrachtungen,  welche  Willi  am son  1850  über  die 
Aetherbildung  und  die  Constitution  der  Aether  und  Alkohole  mitthalte. 

Dem  Typus  Ammoniak  trat  jetzt  der  Typus  Wasser  =  Hj0  zur 
Seite;  der  Wasserstoff  des  Wassers  war  wie  der  des  Ammoniaks,  Atom 
filr  Atom ,  also  entweder  zur  Hälfte  oder  ganz  vertretbar  durch  Alkohol- 
radicale. 

Williamson  dehnte  diese  Ansichten  kurz  nachher  (1851)  auch  auf 
die  Säuren  (z.  B.  die  Essigsäure  =  62^4^2)  ^^s;  ^^  betrachtete  das  Essig- 
säurehydrat als  Wasser,  in  welchem  1  Atom  H  durch  das  Radical  ^^HaO 
vertreten  sei  und  meinte  durch  Vertretung  des  zweiten  Wasserstoffatoms 
durch  dasselbe  Radical  müsse  eine  Substanz  erhalten  werden  können,  (die 
wasserfreie  Essigsäure),  welche  zum  Essigsäurehydrat  genau  in  derselben 
Beziehung  stehe  wie  der  Aether  zum  Alkohol.  Gerhardt  schloss  sich 
direct  diesen  Ansichten  an  und  beide  Chemiker  betrachteten  jetzt  das 
Wasser  als  Typus  einer  grossen  Anzahl  organischer  Substanzen,  sie  nah- 
men an,  dass  es  zwei  Atome  vertretbaren  Wasserstoff  enthalte,  also  ge- 
wissermassen  eine  zweibasische  Säure  sei. 

Als  es  dann  Gerhardt  1852  gelang  die  wasserfreie  Essigsäure  und  152. 
ähnliche  Anhydride  wirklich  darzustellen,  fanden  diese  Ansichten  rasch 
weitere  Ausdehnung.  Man  fing  jetzt  an  alle  organischen  Substanzen 
nicht  nur  untereinander,  sondern  auch  mit  den  einfachsten  Verbindungen 
der  unorganischen  Chemie  zu  vergleichen.  Man  suchte  nach  den  ein- 
fachsten Repräsentanten,  den  Typen,  aus  welchen  ganze  Gruppen  von 
Körpern  durch  Einführung  von  Radicalen  an  die  Stelle  von  Wasser- 
stoff abgeleitet  werden  könnten.  So  entstanden  die  Ansichten,  die  na- 
mentlich von  Gerhardt  weiter  ausgeführt  wurden  und  die  desshalb  un- 
ter dem  Namen:  „Gerhardt'sche  Typentheorie"  bekannt  gewor- 
den sind. 

Dabei  darf  nun  wohl  darauf  aufmerkBam  gemacht  werden ,  dass  die  weitere 
AuBfÜhrong  dieser  Ansichten^  obgleich  ohnstreitig  verdienstlich  und  fOr  die  Ent- 
wicklimg  der  Wissenschaft  von  hoher  Bedeutung,  nachdem  erst  das  Ammoniak 
und  das  Wasser  als  solche  Typen  erkannt  worden  waren,  etwas  sehr  nahe  liegen- 
des war;  so  swar,  dass  man  fitr  eine  sehr  grosse  Anzahl  von  Verbindungen  nur 
nddiig  hatte,  die  dualistischen  Formeln  der  alten  Radicaltheorie  in  typische  Schreib- 


92  Gonstitation  der  org.  VerbindangeiL 

weise  umzuändern,  nur  nöthig  also,  die  alte  Art  der  Betrachtung  in  die  neue  An- 
schauungsweise zu  übersetzen.  — 

153.  Bei  dieser  weiteren  Ausdehnung  gewann  nun  die  neue  Tjpen- 
theorie  eine  gewisse,  freilich  nur  äusserliche  Aehnlichkeit  mit  der  alten 
Radicaltheorie;  der  Begriff  derRadicale  war  ein  vöilig  anderer  geworden. 

154.  Da  in  der  späteren  Entwicklung  der  jetzigen  theoretischen  Ansich- 
ten die  Gerhardt'sche  Typen theorie  noch  ausführlicher  besprochen 
werden  wird,  stellen  wir  hier  nur  einzelne  Sätze  zusammen,  die  für  die 
Ansichten  Gerhardts  besonders  charakteristisch  sind: 

Die  rationellen  Formeln  der  Chemiker  drficken  nicht  die  Lage- 
rung der  Atome  aus  und  können  sie  nicht  ausdrücken,  sie  bezeichnen 
vielmehr  nur:  Beziehungen,  Analogieen  und  Reactionen;  es  sind  keine 
Constitutionsformeln,  sondern  nur  Umsetzungsformeln. 

Die  rationellen  Formeln  drücken  in  einer  durch  Convention  festge- 
stellten Schreibweise  eine  gewisse  Anzahl  von  Reactionen  aus;  sie  sind 
gewissermassen  zusammengezogene  Ausdrücke  für  die  als  Gleichung  ge- 
schriebenen Reactionen. 

Die  meisten  chemischen  Zersetzungen  sind  wechselseitige  Zer- 
setzungen und  können  aufgefasst  werden  als  doppelter  Aastausch; 
so  also,  dass  die  eine  Verbindung  einen  Theil  ihrer  Elemente  austauscht 
gegen  Elemente  der  anderen.  Radicale  oder  Reste  (residues)  werden 
die  Elemente  genannt,  welche  durch  solchen  doppelten  Austausch  in  an- 
dere Verbindungen  übertragen  werden  können.  Die  Radicale  sind  also 
nicht  isolirbare  oder  isolirte  Körper,  sie  bezeichnen  vielmehr  nur  die  Be- 
ziehungen, welche  zwischen  den  sich  vertretenden  Elementen  stattfinden. 

Eine  und  dieselbe  Substanz  kann  durch  verschiedene  rationelle  For- 
meln, in  welchen  verschiedene  Radicale  vorkommen,  ausgedrückt  werden. 

Wenn  man  die  chemischen  Verbindungen  nach  ihren  Analogieen  im 
chemischen  Verhalten  also  nach  ihrer  Function  zusammenstellt,  so  erhält 
man  Gruppen  oder  Reihen,  deren  einzelne  Glieder  getnsse  Eigenschaften 
gemeinsam  haben.  Jedes  Glied  einer  solchen  Reihe  kann  demnach  als 
Repräsentant  aller  anderen  betrachtet  werden;  zweckmässig  wählt  man 
die  einfachste  Substanz  einer  Reihe  als  Hauptrepräsentant,  als  Typus 
der  andern. 

Die  Typen  bezeichnen  also  in  keiner  Weise  die  Art  der  Gruppi- 
rung  der  Atome,  vielmehr  nur  Analogien  der  Metamorphosen.  Der  Ty- 
pus ist  die  Einheit  des  Vergleiches  für  alle  die  Körper,  welche  analoge 
Zersetzungen  zeigen  wie  er,  oder  welche  dasProduct  analoger  Zersetzun- 
gen sind. 

Man  wählt  am  zweckmässigsten  das  Wasser  =  H2O  als  Einheit 
des  Molecüls  und  gleichzeitig  als  Haupt-  oder  Grundtypus,  mit 
welchem  man  alle  anderen  Körper  vergleicht.  Dabei  ist  es  zweckmässig, 
ausser  dem  Wasser,  noch  andere,  von  demselben  durch  Vertretung  des 


Theorie  der  mehratomigen  Radicale.  93 

Sauerstofis  durch  andere  Elemente  sich  ableitende  Typen  s.  g.  Neben- 
tjpen  oder  abgeleitete  Typen  anzunehmen.  Für  eine  methodische 
Classification  genügt  die  Annahme  der  folgenden  4  Typen  (formules 
types): 

Wasser.  Salzsäure.  Ammoniak.  Wasserstoff. 

H,0  HCl  NH,  H, 

Theorie  der  mehratomigen  Radicale. 

Eine   wichtige  Erweiterung  haben   die   theoretischen  Ansichten  in  155. 
neuester  Zeit  erfahren  durch  eine  Ansicht,  welche  Williamson   1851 
in  der  oben  schon  erwähnten  Abhandlung  über  die  Constitution  der  Säu- 
ren mittheilte. 

Gerade  so  wie  die  Essigsäure  betrachtet  .werden  kann  als  Wasser, 
in  welchem  1  Atom  WasserstofiT  durch  das  Radical  GsHaO  (Acetyl  oder 
Othyl  von  Williamson)  ersetzt  ist,  so  kann  das  Schwefelsäurehydrat  an- 
gesehen werden  als  2  Molecüle  Wasser,  in  welchen  zwei  Atome  Wasser- 
stoff durch  das  zweiatomige  Radical  Sulfuryl:  =  SO^  vertreten  sind. 
Typus.  Essigsäure.  Typus.  Schwefelsäure. 

Williamson  hat  diese  Ansicht  nie  allgemein  durchgeführt,  aber 
an  einzelnen  Beispielen  ihre  Berechtigung  experimentell  begründet.  Er 
zeigte  z.  B.  1854,  dass  durch  Einwirkung  von  Phosphorsuperchlorid  auf 
Schwefelsäurehydrat  zwei  verschiedene  Chloride  des  Radicals  Sulfuryl  er- 
halten werden  können; 

Schwefelsäurehydrat.        Chlorschwefclsäurehydrat.        Clilorschwefelsäure. 
Hj^  Hje  S^,.C1, 

«0,1  S0jCl 

und  kurz  nachher  (1854),  dass  das  Chloroform  sich  gegen  Alkohol- 
natrium wie  das  Chlorid  des  dreiatomigen  Radicals  6H  verhält,  indem 
bei  der  Einwirkung  der  beiden  Stoffe  aufeinander  ein  Körper  gebildet 
wird  (dreibasischer  Ameisensäureäther  von  Williamson),  welcher  betrachtet 
werden  kann  als  drei  Molecüle  Alkohol,  in  welchen  3  Atome  Wasser- 
stoff vertreten  sind  durch  das  dreiatomige  Radical  des  Chloroforms. 

Typus.  Chloroform.  Typus.        Dreibasischer  Ameisensäureäther. 

3Ha  eH.Cl,  3H,0  ^H)^ 

Diese  Ansichten  wurden  zunächst  weiter  ausgedehnt  von  Odling  i56. 
(1854),   der  sie   auf  eine  grosse  Anzahl  unorganischer  Verbindungen  an- 
wandte,  indem  er  zeigte,  dass  viele  Metalle  als  mehrbasisch  betrachtet 


94  CoiL8titation  der  org.  Verbindimgeii. 

werden  müssen  und  dass  die  Phosphorsäure  betrachtet  werden  kann  als 
eine  Verbindung  des  dreiatomigen  Radicals :  PO  =:  Phosphoryl  *) : 

TypUB.    Phoßphor-     Typus.    Metaphos-     Typus.    Pyrophos-     Typus.    Phosphor- 
säure.  phorsäure.  phorsäure.  ozychlorid. 

8H,e      Pe|03       2H,0      P^|0,        &H,e      Pe)  3HC1       Pa.Q, 

P0V 
Hj 

Odling  machte  auch  schon  darauf  aufmerksam,  dass  die  unter- 
schweflige Säure  betrachtet  werden  kann  als  eine  Vereinigung  von  HjO 
und  H2S: 

Typus.  Unterschweflige  Säure. 

hP 

157.  Seitdem  sind  diese  Ansichten  auch  von  Gerhardt  adoptirt  und  in 
Bd.  IV.  seines  Trait6  benutzt  worden;  bisweilen  freilich  nicht  vollständig 
im  Sinn  der  'Williamson'schen  Ansicht  und  mit  nicht  völlig  consequenter 
Durchführung. 

158.  Die  wichtigsten  Stützen  erhielt  die  Theorie  der  mehratomigen 
Radicale  zunächst  durch  die  ausführlichen  Untersuchungen  von  Bert he- 
lot  über  die  Verbindungen  desGlycerins  mit  Säuren;  Substanzen,  die  ihre 
richtige  Deutung  erst  1855  erhielten  durch  Wurtz,  welcher  seitdem  durch 
seine  geistvolle  Auffassung  und  seine  glänzenden  Entdeckungen  (mehr- 
säurige  Alkohole,  Glycole,  künstliche  Bildung  der  Glycerine  u.  s.  w.)  zum 
wesentlichen  Förderer  dieser  Theorie  wurde. 

159.  Eine  ausführlichere  Entwicklungsgeschichte  dieser  Theorie,  welche 
voraussichtlich  die  Richtung  angibt,  nach  welcher  die  Wissenschaft  sich 
in  den  nächsten  Jahren  vorzugsweise  entwickeln  wird,  so  wie  ein  Auf- 
zählen der  fortwährend  zahlreicher  werdenden  Entdeckungen  mehratomi- 
ger Verbindungen,  kann  hier  umgangen  werden,  da  diese  Theorie  in  dem 
Lehrbuche  benutzt  ist  und  in  den  folgenden  Eapitehi  ausführlicher  be- 
sprochen werden  wird. 


*)  Die  nach  Odling's  Vorschlag  den  Radicalen  beigefügten  Striche  drücken  die 
Basicität  der  Radicale  aus,  sie  bezeichnen  also:  einer  wie  grossen  Anzahl 
Yon  Wasserstoffatomen  das  Radical  äquivalent  ist. 


Theoretischer  Theil. 


Die  Chemie,  auf  ihrem  jetzigen  Stand,  hat  ausser  dem  Gesetz  der  160. 
eonstanten  und  der  multiplen  Proportionen  (im  Gewicht,  bei  gasför- 
migen Körpern  auch  im  Volum)  noch  keine  Gesetze  mit  Sicherheit  er- 
mittelt Ueber  die  Ursache  der  Verschiedenheit  der  Elemente;  über  die 
Natur  der  Kraft,  die  die  chemischen  Verbindungen  veranlasst;  über  die 
Gesetze,  welche  die  chemischen  Metamorphosen  beherrschen  u.  s.  f.  haben 
wir  keinerlei  exacte  Kenntniss.  Von  einer  eigentlichen  Theorie  kann 
also  bis  jetzt  in  der  Chemie  nicht  die  Rede  sein.  Alle  s.  g.  theoretischen 
Betrachtungen  sind  nur  Wahrscheinlichkeits-  und  Zweckmässig- 
keitsbetrachtungen.  Aus  einer  grossen  Anzahl  von  Thatsachen  her- 
geleitet, bei  Anwendung  auf  andere  passend  gefunden,  sind  sie  vorerst 
als  ein  der  Wahrheit  sich  nähernder  Ausdruck ,  aber  desshalb  nicht  als 
erkannte  Wahrheit  zu  betrachten. 

Alles  was  also  dermalen  in  theoretischer  Beziehung  geschehen  kann, 
ist:  eine  Anschauungsweise  aufzusuchen,  welche  sich  einer  möglichst 
grossen  Anzahl  von  Thatsachen  in  möglichst  ungezwungener  Weise  an- 
passt;  welche  die  chemischen  Vorgänge  in  möglichst  einfacher  und  um- 
fassender Weise  darstellt  und  von  ihnen,  wenn  auch  keine  Erklärung, 
doch  wenigstens  eine  einigermassen  klare  Vorstellung  gibt. 

Betrachtungen  über  Atom  und  Molecül. 

Die  froher  oft  diseatirte  Frage,  die  übrigens  mit  der  Chemie  in  kei-  161. 
ner  direeten  Beziehung  steht,  ob  die  Materie  den  Baum  stetig  erfülle  oder 
ob  sie  aus  von  einander  abstehenden  Theilchen  bestehe,  ist  jetzt  ziemlich 
allgemein  zu  Gunsten  der  letzteren  Ansicht  entschieden.  Die  atomistische 
Hypothese  gibt  von  den  physikalischen  und  chemischen  Veränderungen 
d^  Materie  am  besten  Rechenschaft;  sie  erklärt  unter  anderem  das  Ge- 


96  Theoretischer  Theil. 

setz  der  constanten  und  multiplen  Verhältnisse,  sie  gibt  eine  Vorstellung 
von  der  Verschiedenheit  poljmerer  und  metamerer  Substanzen. 

In  der  That  führen  physikalische  sowohl  als  chemische  Betrachtun- 
gen zur  Annahme  kleinster  Theilchen,  die  man:  Massetheilchen ,  Hassen- 
element,  Partikel,  Atom  oder  Holecül  etc.  genannt  hat.  Wir  denken  uns 
einen  krystallisirten  Körper  z.  B.  als  eine  Aneinanderlagerung  kleinster 
Theilchen:  Erystallmolecale;  wir  denken  uns  ein  Gas  aus  einer  Anzahl 
von  in  verhäJtnissmässig  grösseren  Abständen  stehenden  (oder  sich  be- 
wegenden) kleinsten  Theilchen  gebildet,  die  wir  ebenfalls  Molecüle  nen- 
nen. Ob  beide,  das  Erystallmolecül  und  das  Gasmolecül,  identisch  und 
gleich  gross  sind,  ist  damit  noch  keineswegs  bewiesen.  Das  Erystall- 
molecül (des  Schwefels  z.  B.)  kann  möglicherweise  eine  Zusammenhäu- 
fung einer  grösseren  Anzahl  der  Massetheilchen  sein,  die  bei  demselben 
Eörper  in  gasß>rmigem  Zustand  als  kleinste  Theilchen,  als  Atome  oder 
Holecüle,  auftreten.  Ebenso  wenig  kann  es  als  a  priori  feststehend  be- 
trachtet werden,  dass  die  Theilchen,  die  wir  als  Gasmolecüle  anzunehmen 
berechtigt  sind,  gleichzeitig  die  geringsten  Mengen  derselben  Substanz 
sind,  welche  in  chemischen  Verbindungen  vorkommen.  Es  ist  z.  B.  mög- 
lich, dass  in  der  Schwefelsäure  oder  dem  Schwefelwasserstoff  eine  ge- 
ringere Menge  von  Schwefel  vorkommt  als  diejenige,  welche  in  dem 
Schwefeldampf  als  kleinstes  Massetheilchen,  als  Gasmolecül  aufhitt;  mög- 
lich also,  dass  ein  Gasmolecül  Schwefel  eine  Zusammenhäufimg  einer 
grösseren  Anzahl  chemischer  Atome  ist. 

Physikalische  und  chemische  Betrachtungen  führen  also  zur  An- 
nahme kleinster  Theile;  aber  die  eine  Betrachtung  kann  nicht  zur  Bestim- 
mung der  Grösse  der  kleinsten  Theile  überhaupt  führen.  Man  kann  aus 
den  physikalischen  Eigenschaften  eines  Gases  z.  B.  keinen  Anhaltspunkt 
gewinnen  für  die  Grösse  der  Erystallmolecüle  desselben  Eörpers;  man 
kann  ebenso  wenig  durch  das  Studium  der  physikalischen  Eigenschaften, 
die  Grösse  der  bei  chemischen  Metamorphosen  als  kleinste  Theile  auf- 
tretenden Mengen  direct  herleiten.  A  priori  wenigstens  können  die 
kleinsten  Theile,  die  man,  gestützt  auf  physikalische  Betrachtungen,  in  festen, 
flüssigen  oder  gasförmigen  Eörpern  annimmt,  weder  untereinander  noch 
mit  den  bei  chemischen  Metamorphosen  als  kleinste  Massetheilchen  er- 
scheinenden Mengen  für  identisch  gehalten  werden.  Es  muss  vielmehr 
für  jede  einzelne  Substanz  erst  nachgewiesen  werden,  ob  die  bei  den  ver- 
schiedenen Erscheinungen  als  kleinste  Theilchen  erscheinenden  Mengen 
dieselben  sind  oder  nicht. 

Die  Feststellung  der  relativen  Grösse  der  kleinsten  Theile,  deren  Be- 
wegung die  physikalischen  Erscheinungen  veranlasst  (physikalische  Atome 
oder  Molecüle),  gehört  der  Physik  zu.  Ebenso  hat  die  Chemie  nichts  zu 
thun  mit  der  an  sich  unfruchtbaren  Frage,  ob  die  als  chemisch -kleinste 
Theilchen  erscheinenden  Mengen  einer  weiteren  Theilung  absolut  unf&hig, 
ob  sie  ideell  untheilbar  (metaphysische  Atome)  sind.    Von  ausnehmender 


Atom.    HolecOL  97 

Wichtigkeit  für  die  Chemie  ist  dagegen  die  BestimmuDg  der  relativen 
Grrösse  der  Hassentheilchen,  die  bei  chemischen  Metamorphosen  als  un- 
theilbar  erscheinen. 

Die  Betrachtung  der  chemischen  Metamorphosen  führt  uns  nun  zu 
der  Annahme  von  zwei  verschiedenen  „kleinsten Mengen/'  die  schon 
dem  Begriff  nach  scharf  unterschieden  werden  müssen ,  und  die  wir  mit 
Atom  und  Molecfll  bezeichnen. 

Wir  bezeichnen  mit  Atom  die  kleinste  chemisch  untheilbare  Menge  162. 
von  Materie,  die  wir  in  Verbindung  mit  anderen  Stofilheilchen  an- 
nehmen. 

Wir  nennen  Molecül  die  geringste  Menge  von  Substanz,  welche 
in  freiem  Zustand  existiren  kann,  die  also  als  kleinste  bei  chemischen 
Metamorphosen  in  Wirkung  tritt. 

Eine  chemische  Verbindung  ist  eine  Aneinanderlagerung  stofflich  verschiedener 
Atome.  Die  Salzsäure  z.  B.  enthält  Chlor  und  Wasserstoff*,  und  es  kann  für  zusam- 
mengesetzte Körper  überhaupt  nicht  bezweifelt  werden,  dass  ein  Molecül  minde- 
stens zwei  Atome  enthält.  Auch  bei  den  einfachen  (d.h.  jetzt  noch  unzerlegten 
Körpern)  besteht,  wie  nachher  gezeigt  werden  wird,  die  geringste  frei  existirende 
Menge  (das  MolectÜ)  aus  mehren  Atomen.  Die  Molecüle  der  einfachen  Körper 
unterscheiden  sich  also  von  denen  der  zusammengesetzten  dadurch,  dass  sie  aus 
einer  Aneinanderlagerung  gleichartiger  Atome  bestehen ,  während  bei  den  zusam. 
mengesetzten  Körpern  ungleichartige  Atome  zu  einem  Molecül  vereinigt  sind. 

Die  Ursache  der  Vereinigung  der  Atome  zu  Molecülen  muss  für  jetzt  einer 
den  Atomen  innewohnenden  Anziehungskraft,  die  wir  Affinität  oder  chemische  Ver- 
wandtschaft nennen^  zugeschrieben  werden.  Schon  diese  Vorstellung  lässt  es  wahr- 
scheinlich erscheinen,  dass  die  Atome  nie  einzeln  existiren;  die  kleinsten  frei  exi- 
stirenden  Mengen  (MolectÜe)  also  mindestens  zwei  Atome  enthalten. 

Die  Molecüle  existiren  also  frei  und  werden  bei  chemischen  Metamorphosen 
verändert',  die  Atome  existiren  nie  in  freiem  Zustand  und  sind  durch  chemische 
Einwirkung  nicht  veränderlich,  nicht  theilbar. 

Die  Bestimmung  der  absoluten  Grösse  oder  des  absoluten  Gewichtes 
solcher  chemisch -kleinsten  Mengen,  der  Atome  sowohl  als  der  Molecüle, 
ist  nun,  für^jetzt  wenigstens,  unmöglich;  wir  können  ihre  Grösse  nur  re- 
lativ bestimmen.  Es  ist  desshalb  nöthig,  Eine  Substanz  als  Ausgangs- 
punkt des*  Vergleichs ,  als  chemische  Einheit  anzunehmen  und  alle 
Substanzen  in  Bezug  auf  Atomgrösse  und  Moleculargrösse  mit  dieser 
Einen  Substanz  zu  vergleichen.  Als  solche  Einheit  hat  man  nun  aus 
mehrfachen  Gründen  den  Wasserstoff  gewählt,  so  zwar,  dass  man  zweck- 
mässig den  Wasserstoff  als  Einheit  des  Atoms  und  als  Einheit  des  Ge- 
wichtes annimmt.  Man  misst  also  alle  übrigen  Körper  mit  dem  Wasser- 
stoff: H  =  1  Atom  =  1  Gewichtstheil. 

Um  nun  die  Atomgrösse  und  die  Moleculargrösse  der  Ele- 
mente and  der  Verbindungen  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  herleiten  zu 
können,  ist  es  nöthig,  eine  sehr  grosse  Anzahl  von  Verbindungen  und 
eine  sehr  grosse  Anzahl  chemischer  Metamorphosen  der  Betrachtung  und 

K«k«U,  or|U.  Chemie.  7 


98  Theorie. 

VerleiohuDg  zu  unterziehen.  Ausfahrliche  Betrachtungen  über  diesen  6e- 
genstand  gehören  indess  in  das  Gebiet  der  allgemeinen  theoretischen  Che- 
mie, hier  kann  nur  an  wenigen  Beispielen  gezeigt  werden,  welche  Be- 
trachtungen wesentlich  zur  Annahme  einer  bestimmten  Atomgrösse  und 
Moleculargrösse  veranlassen. 

Bestimmung  der   Atomgrösse  der  Elemente. 

163.  Nach  dem  §.  162  gegebenen  Begriff  von  Atom  ist  es  einleuchtend, 

dass  schon  eine  einfache  Betrachtung  der  existirenden  Verbindungen  über 
die  relative  Grösse  der  Atome  eine  gewisse  Auskunft  geben  wird.  Wenn 
man  z.  B.  die  Sauerstoffverbindungen  mit  den  Schwefelverbindungen  und 
den  Chlor  -  oder  Bromverbindungen  derselben  Elemente  oder  Radicale  *} 
vergleicht,  so  findet  man,  dass  unter  den  Sauerstoff-  und  Schwefelverbin- 
dungen eine  weit  grössere  Mannigfaltigkeit  stattfindet  als  unter  den  Chlor- 
und  Bromverbindungen  ^  dass  die  Zahl  der  ersteren  weit  grösser  ist  wie 
die  der  letzteren;  dass  namentlich  Oxyde  und  Sulfide  von  zwei  verschie- 
denen Elementen  oder  Kadicalen  regelmässig  vorkommen,  während 
die  entsprechenden  Chloride  oder  Bromide  nie  (oder  doch  höchst  selten) 
bekannt  sind.    Z.  B.  **) : 


Oxyde. 

Sulfide. 

Chloride. 

Bromide. 

H            H 

0, 

H           H 

s. 

H  Ol 

H  Er. 

K            H 

0. 

K           H 

s. 

fehlt. 

fehlL 

K            E 

0, 

K           K 

s. 

K  Gl 

K  Er. 

(C,H.)        H 

0, 

(C,H.)        H 

s. 

fehlt. 

fehlt 

(C,H.)         K 

0, 

(C,H.)        Hg 

s. 

fehlt 

fehlt 

(C,H,)   (C,H.) 

0. 

(C,H.)  (C,H,) 

s. 

(C,HJ  Cl 

(C,H  J  Er. 

(C,H,0,)      H 

0, 

(C.H,0,)      H 

s. 

fehlt. 

fehlt 

(C,H,0,)      K 

0, 

(C,H,0,)      Pb 

s. 

fehlt. 

fehlt 

(C,H,0,XC,H,) 

0, 

(C,H,0,KC,HJ 

s. 

feldt. 

fehlt 

(C,H,0,XC,H,0,)  0, 

(C,H,O.KC,H»OJ 

'  s. 

(C,H,00C1 

(C,H.O,)  Br. 

Dies  führt 

zu 

der  Ansicht,   dass 

die 

mit    0]  und 

Ss^  bezeichne- 

ten  Mengen  Sauerstoff  und  Schwefel  nicht  zwei  Atome,  sondern  viel- 
mehr ein  untheilbares  Ganze,  ein  chemisch  kleinstes  Theilchen, 
ein  Atom  sind.  So  dass  die  zwei  Atome  von  Elementen  oder  Radica- 
len,  die  mit  O2  und  S2  verbunden  sind,  durch  die  Untheilbarkeit  der  durch 
Oj  und  S2  ausgedrückten  Mengen  zusammengehalten  werden.  Bei  den 
Chloriden  und  Bromiden  dagegen   spricht  die  Nichtexistenz  solcher  inter- 


*)  Unter  Radical  verstehen  wir  vorerst  Atomgruppen ,  die  sich  den  Elementen 
ähnlich  verhalten. 

**)  In  den  folgenden  Entwicklungen  bedienen  vt^ir  uns  zunächst  der  alten  von  vie- 
len Chemikern  noch  gebrauchten  Atomgrössen,  um  so  die  grössere  Wahr- 
scheinlichkdt  und  Zweckmässigkeit  der  neuen  besser  hervortreten  zu  lassen. 


AtomgröB^e.  99 

nediärer ,  d.  h.  zwei  yerschiedene  Radi(>ale  oder  Elemente  enthaltenden 
Verbindungen  dafür,  dass  eine  solche  Ursache  des  Zusammenhaltens  nicht 
stattfindet,  wdl  die  mit  Cl  und  Br  bezeichneten  Mengen  Chlor  oder  Brom 
wirklich  die  kleinsten  chemisch-unth eilbaren  Mengen,  also  diechemischen 
itome  darstellen. 

Deutlicher  noch   als  bei  der  Betrachtung  der  bestehenden  Yerbin-  l^^« 
düngen   zeigt   sich   diese  Verschiedenheit   bei  einzelnen  Metamorphosen. 
Wenn  man  z.  B.  dureh  Einwirkung  von  Füinffachschwefelphosphor  oder 
Ton  FOnffaohehlorphosphor   den  Sauerstoff  des  Alkohols   oder  der  Essig- 
8&ure  durch  Schwefel  oder  durch  Chlor  ersetzt,  so  entsteht: 

AlkohoL  Mercaptan.  Aethylchlorid  -{- 

Salzsäure. 

Essigsäure.  Thiacetsäure.  Acetylchlorid  4^ 

Salzsäure. 
C,H,0,|q^  C,H,OJg^  C,H,0,,C1 

Während  also  durch  den  Sauerstoff  und  durch  den  Schwefel  die 
Gruppen  C4H5  und  H,  C4H3O2  und  H  zusammengehalten  werden,  weil 
die  mit  0^  and  S2  bezeichneten  Mengen  ein  chemisch  untheilbares 
Ganze,  ein  Atom  darstellen;  tritt  ein  Zerfallen  in  zwei  Körper  ein,  so- 
bald an  die  Stelle  des  Sauerstoffs  Chlor  tritt,  weil  die  das  eine  Atom 
Sauerstoff  CO2)  ersetzende  Menge  Chlor  (Cl,)  chemisch  theilbar  ist;  mit 
andern  Worten,  weil  Clj  z=z  2  Atomen  Chlor  ist. 

Ebenso  deutlich  tritt  diese  Verschiedenheit  hervor  bei  dem  von 
Frankland  untersuchten  Verhalten  des  Zinkäthyls  gegen  Sauerstoff,  Schwe- 
fel, Chlor  und  Brom;  es  entsteht  dabei: 

ZinkiChyL      Zxnkäthylat      Zinkmercaptid.       Aethylchlorid  «^      Aethylbromid.  -^ 

Zinkchlorid.  Zinkbromid. 

C,H,{  C,H,{^  ^^^^{s.  C4H,»C1  C,H,,Br 

"    '  Zn   Cl  Zn   Br 


4H5)  ^4^5  )/V  C^Hj.)« 

ZnJ  ZnJ"*  Znr 


Auch  hier  ist  die  Verschiedenheit  des  Verhaltens  dadurch  veranlasst, 
dass  die  mit  Cl]  und  mit  Brj  bezeichneten  Mengen  Chlor  oder  Brom  che- 
miseh  in  zwei  Theile  zerfallen  können,  während  die  mit  Oj  und  S2  ge- 
aehriebenen  Mengen  Sauerstoff  und  Schwefel  chemisch  nicht  spaltbar  sind 
ond  so  den  Zusammenhang  der  zwei  Gruppen :  C4H5  und  Zn  veranlassen. 

Solche  Betrachtungen,  die  sich  leicht  vermehren  Hessen,  fdr  die  in- 
dess  hier  nur  der  Weg  gezeigt  werden  kann,  führen  zu  der  Ansicht,  dass 
die  seither  als  20  und  als  2S  bezeichneten  Mengen  Sauerstoff  und  Schwefel 
meht  zwei  Atome,  sondern  nur  ein  Atom  darstellen.  Da  nun  die 
einzelnen  Buchstaben  unserer  chemischen  Formeln   die  Atome  der  Ele- 

7  * 


100  Theorie. 

mente  darstellen,   schreiben  wir  den  Sauerstoff:    O  =  2  O  (alt),   den 
Schwefel  Ö  =  2  S  (alt). 

165.  Auch  für  den  Kohlenstoff  erscheint  eine  Verdopplung  der  seither  ge- 
bräuchlichen Atomgrösse  zweckmässig.  Da  nämlich  keine  der  besser  ge^ 
kannten  Eohlenstoffverbindungen  weniger  als  C2  enthält  und  da  in  keiner 
eine  unpaare  Anzahl  der  alten  Eohlenstoffatome  vorkommt  (also  nie  C|, 
C3,  G5  u.  s.  w.),  so  ist  kein  Grund  vorhanden,  warum  man  nicht  €  = 
2  C  (alt)  als  Atomgrösse  des  Kohlenstoffs  annehmen  solL  Es  hiesse,  bei 
dem  heutigen  Stand  der  chemischen  Kenntnisse,  einer  alten  Gewohnheit 
allzusehr  Rechnung  tragen,  wenn  man  immer  noch  den  Kohlenstoff  mit 
C  (=  6  wenn  H  =  1)  schreiben  und  so  die  Formeln  aller  organischen 
Verbindungen  unnöthig  compUciren  wollte. 

166.  Betrachtungen  dieser  und  ähnlicher  Art  führen  zur  Annahme  der  fol- 
genden Atomgrössen: 

H    =      1      K    =    89.2       N    =    14        0    =    16*) 


Cl  =    85.6  Na  = 

23 

P     =    81 

B    = 

82 

Br  =80      Ba  = 

68.5 

Afl   =    76 

Se  = 

80 

J    «127.     Ca  = 

20 

Sb   =  120 

Te  = 

128 

Zn  = 

82.6 

Bi    =  208 

e  = 

12 

Ag  = 

108 

Si  = 

28.4. 

Bestimmung  der  Moleculargrösse. 

167.  Da  wir  unter  Molecül  (vgl  §.  162)  die  geringste  Menge  von  Sub- 

stanz verstehen,  die  bei  chemischen  Reactionen  in  Wirkung  tritt,  so  ist  es 
einleuchtend,  dass  die  Betrachtung  einer  grösseren  Anzahl  von  Reactio- 
nen, bei  welchen  ein  Körper  auf  andere  von  bekannter  (oder  als  bekannt 
angenommener)  Moleculargrösse  einwirkt,  zur  Bestimmung  der  Molecular- 
grösse dieses  Körpers  den  nächsten  Anhaltspunkt  geben  wird. 

Betrachtet  man  z.  B.  alle  Reactionen,  bei  welchen  Chlor  auf  andere 
Körper  einwirkt,  so  findet  man,  dass  niemals  weniger  als  zwei  Atome 
Chlor  in  Wirkung  treten  und  dass,  wenn  mehr  als  zwei  Atome  Chlor 
einwirken,  die  Anzahl  der  Chloratome  stets  eine  paare  ist.   Z.  B.: 


*)  Wie  man  sieht,  können  die  mit  alten  Atomgrössen  geschriebenen  Formeln 
mit  Leichtigkeit  in  die  neue  Schreibweise  übertragen  werden,  üan  hat  nur 
nöthig  die  Zi£fem,  welche  die  Anzahl  der  Atome  von  Sauerstoff,  Schwefel, 
Selen,  Tellur,  Kohlenstoff,  Siliciumetc.  ausdrücken,  zu  halbiren;  während  die 
Anzahl  der  Atome  der  andern  Elemente  dieselbe  bleibt 

Umgekehrt  werden  die  Formeln  der  neueren  Schreibweise  in  die  alte  ver- 
wandelt, wenn  man  die  Anzahl  der  Atome  dieser  Elemente  (0,  S,  Se,  Te, 
6  Si)  verdoppelt;  während  die  Anzahl  der  Atome  Wasserstoff,  Chlor,  der 
Metalle  etc.  dieselbe  bleibt 


Ifoleciüargröflae.  101 

EsaigBftiire     .    ß^E^B^  +     a,  =  6,  H,C10,  +     HCl 

—  ^jH^e,  4-  3  ci,  =  e,  Hci,0,  4-  s  hci 
Eiayi    .  .  .  e,  H4    4.   a,  =  e,  H4ca, 

Rropylcn    .    .    6,  H.     +     Ca,  =  6,  H,a, 
Naphthalin     .    6,oH,     +     G,  =6,,H,G, 

—  e,.H,    +2a,  =  e,,H,ci, 

—  ^.»Hg    +2a,  =  e,.H,a,    +*2Hci 

-  e.oH.     +  8CI,  =  e,.Clg         +  ÖHG 

Alkohol  .  .  e,  H,0  4-  Cl,  =  e,  H,e  4-  2  HCl 
Aldehyd  .  .  e,  H,0  4.  Cl.  =  e,  H,0.C1  +  HCl 
CyanquecksilbereNHg      4-     Q,  =  6N.C1  4-  HgCl. 

Dasselbe  findet  auch  bei  der  Einwirkung  von  Chlor  anf  unorganische 
Yerbindungen  statt;  z.  B.: 

Kalihydrat    KH0  4.  a,  =r  CIHO  4-  KG  u.  s.  w. 

Wir  schliessen  daraus,  dass  die  geringste  Menge  Chlor,  welche  in 
fireiein  Zustand  existiren  kann,  zwei  Atome  Chlor  enthält;  dass  also  ein 
Ufolecfll  Chlor  aus  zwei  Atomen  Chlor  besteht 

Eine  ähnliche  Betrachtung  zeigt  auch,  dass  ein  Holecül  Wasser- 
stoff zwei  Atome  enthält,  so  dass  die  Einwirkung  des  Chlors  auf  Was- 
serstoff sich  an  die  eben  gegebene  Reihe  von  Reactionen  anschliesst: 

H  H  4.  G,  =  Ha  4.  HCl. 

Man  kennt  in  der  That  keine  Reaction,  bei  welcher  weniger  als 
zwei  Atome  Wasserstoff  in  Wirkung  treten;  und  bei  allen  Reactionen,  bei 
welchen  Wasserstoff  austritt,  werden  stets  zwei  Atome  oder  bei  grösseren 
Mengen  eine  paare  Anzahl  von  Atomen  in  Freiheit  gesetzt.    Z.  B.: 

Alkohol     .    .    e,H,0     4-    KHO  =  e,H,Ke,  4-  2H, 

Aldehyd    .    ..    e,H,e     +    KHO  =  e,H,K0,  4.     H, 

Ameisensäure  2€HKO,  =  OjO^K,  -f.     H, 

Jodäthyl    .    .  2e,H,J  =  e,H,J,  4-     e,H,         4-    H, 

Zucker      .    .    6eH,,0^  =  e.H^O,  4-200,  -f  2Hi 

Glycerin   .    .    O^R^B^    4-    KHO  =  OiHjKOt  +    OHtO^i       +  2Hi 

Angelicasäure    O^HgO,    +2  KHO  =  ejHjKO,  +     0,HjKO,  4.     H, 
Odsfiure    .    .    e,sH,,ei4.2KH0  =  e,,H,,KO,  +     e,H,KO,  +     H» 

Isatin    .    .    .    0,H.NO,4.4KHO  =  e,H,N  4.  2ee,K,       4.     H, 

Bittermandelöl   0,H,0      +   KHO  =  O.Hj^KO,  4-     Hi 

Saligenin   .    .    O^HgOi    -f  KHO  =  O^H^KO,  -j-  2H, 

Cumarinßäure     6,HgO,   4-2KHO  =  O^HjKO,  -f-     OiHaKO,  4-    H, 

Zixnmteänre  .    O.HgO,    4-2KHO  =  O^H^KO,  4-     0,H,KO,  4-     H,. 

Wir  schliessen  daraus,  dass  die  geringste  Menge  von  frei  existiren- 
dem  Wasserstoff,  d.  h.  ein  Molecül,  zwei  Atome  enthält 


102  Thcone. 

168.  In  vielen  Fällen  ist  zur  Feststellung  der  Holeculargrösee  eine  andere 
Art  der  Betrachtung  anwendbar,  die  übrigens  zu  demselben  Resultate 
führt 

Vergleicht  man  z.  B.  die  Einwirkung  einer  Anzahl  von  Chlorverbin- 
dungen auf  Ealihjdrat : 

Salzsäure    .    .  HCl  +  KHO  =  KCl  +  HH^  WMser 

Kupftrchlorid .  CuCl  +  KHO  =  KCl  +  CuH0  Kupferoxydhydrat 

Chlorcyan  ,    .  ON.Cl        +  KH0  =  KCl  +  eN.H0  Cyansäurc 

Aethylchloiid  .  e,H,.Cl    +  KHO  =  KCl  +  e^H^-HO  Alkohol 

Acetylchlorid  .  e,H,O.Cl  +  KHO  =  KCl  4-  e,H,O.HO  Essigsäure 

Benioylchlorid  e,H,e.Cl  +  KHO  =  KCl  +  6,H^O.HO  Benzoesäure, 

SO  findet  man,  dass  alle  diese  Reactionen  analog  sind  und  durch  sym- 
naetrische  Formeln  dargestellt  werden  können;  dass  n&mlich  stetsr  Chlor- 
kalium gebildet  wird  neben  einem  Körper,  welcher  aus  dem  angewandten 
Ealihjdrat  entstanden  gedacht  werden  kann,  indem  an  die  Stelle  des  Ka- 
liums der  mit  dem  Chlor  verbunden  gewesene  Res!  getreten  ist  Betradi- 
tet  man  nun  die  Einwirkung  des  freien  Chlors  auf  Kalihydrat,  so  findet 
man ,  dass  die  Reaction  durch  die  symmetrische  Formel  dargestellt  wer- 
den kann: 

a  Cl  +  KH^  =  KCl  4*  CIH^  Unterchlorige  Säure. 

Wie  in  den  anderen  Fällen,  so  entsteht  auch  hier  Chlorkalium;  und 
die  unterchlorige  Säure  leitet  sich  auf  dieselbe  Weise  aus  dem  Kalihydrat 
her,  wie  dort  das  Kupferoxydhydrat,  die  Essigsäure  etc.  Wenn  man  also 
die  oben  betrachteten  Körper  als  Chloride,  als  Kupferchlorid,  Cyanchlo- 
rid,  Aethylchlorid,  Benzoylchlorid  etc.  ansieht,  so  erscheint  das  freie 
Chlor  als  Chlorid  des  Chlors;  es  enthält  zwei  Atome  Chlor,  welche 
au  einem  Molecül  vereinigt  sind. 

Auch  die  Einwirkung  des  Cyans  auf  Kalihydrat  ist  ganz  analog: 
CN.CN  4-  KHe  =  K.CN  4.  CN-HO. 

Das  freie  Cyan  enthält  zwei  Atome  Cyan,  die  zu  einem  Mo- 
lecül Cyan  vereinigt  sind. 

169.  Für  das  freie  Cyan  kann  man  noch  auf  andere  Weise  zeigen,  dass 
seine  Zusammensetzung  62N2  isL  Aus  den  Ammoniaksalzen  der  organi- 
schen Säuren  entstehen  durch  Austritt  von  Wasser  die  Anride  und  die 
Nitrile.     Z.  B.: 

Benzoesaures  Ammoniak:  C^HjOj.NH^  —     H,0  =  C,H,0N  Benzamid 
C^HjO,  .NH,  —  2H,0  =  C^H^N  Benzonitril. 

Aus  dem  Oxalsäuren  Ammoniak  entsteht  ebenso  Oxamid  und  Cyan : 

Oxalsaures  Ammoniak:  026^4.  NjHg  —  2  HjO^  =  Ca^jNjH^  Oxamid 
Ca^^.NaHg  —  4H2e  =  ^^Nj  Cyan, 

während  umgekehrt  aus  Cyan  durch  Wasseraufnahme  wieder  oxalsaures 
Ammoniak  gebildet  wird. 


MoleenlargrösBe.  103 

Eäne  ihnUche Betrachtnng  zeigt  auch,  dass  ein  Mole cül  Stickstoff 
zwei  Atome  Stickstoff  enthält.  Beim  Erhitzen  des  Salpetersäuren  Am- 
moniaks entsteht  Stickoxjdul,  beim  Erhitzen  des  salpetrigsauren  Aromo- 
Diaks  entsteht  Stickstoff.  Beide  Zersetzungen  sind  offenbar  analog.  In 
beiden  BUIlen  tritt  Wasser  aus.  Der  übrig  bleibende  Rest  ist  in  dem 
einen  Fall  Stiekoxydul,  im  anderen  Stickstoff.    Man  hat: 

Salpetersaures  Ammoniak.  Salpetrigsaures  Ammoniak. 


NO 

0         e 

N 

e      0 

N 

Ha        H, 

N 

H,        H, 

StickoaqrduL 

Wasser. 

Stickstoff. 

Wasser. 

Da  das  bei  der  einen  Reaotion  entstehende  Stickoxydul  entschieden  einen 
Rest  (N0)  der  Salpetersäure  enthält  in  Verbindung  mit  einem  Rest  (N) 
iea  Ammoniaks,  so  muss  man  der  Analogie  nach  annehmen,  dass  der  im 
anderen  Fall  frei  werdende  Stickstoff  die  Reste  der  salpetrigen  Säure  und 
des  Ammoniaks  enthält  Jedes ^  frei  werdende  Molecül  Stickstoff  enthält 
also  zwei  Atome,  von  welchen  das  eine  aus  der  salpetrigen  Säure,  das 
andere  aus  dem  Ammoniak  herrührt.  Die  beiden  Atome  Stickstoff  blei- 
ben zu  einem  Molecül  vereinigt,  in  derselben  Weise  wie  in  dem  an- 
deren Fall  K0  und  N  zu  einem  Molecül  Stickoxjdul  (=  N^O)  vereinigt 
bleiben. 

Betrachtungen  ähnlicher  Art  führen  für  die  freien  Elemente   über-  170. 
haopt,  auch  für  die  Metalle,  zu  der  Ansicht,  dass  stets  (oder  wenigstens 
in  der  bei  weitem  grössten  Mehrzahl  der  Fälle)  zwei  Atome  zu  einem 
Molecül    verbunden   sind.     Man  findet  für  die  Elemente  beispielsweise 
die  folgenden  Moleculargrössen: 

Wasserstoff Hj 

Chlor Cla 

Sauerstoff O^ 

Stickstoff N, 

Kalium K, 

u.  s.  w. 

Eine  grosse  Anzahl  der  einfacheren  Verbindungen  erscheinen  dann  171. 
als  intermediär  zwischen  den  sie  zusammensetzenden  Elementen  oder 
Badicalen  z.  B.: 


H  H 

E  K 

a  Cl 

H      H 

K      K 

Cl        Cl 

Hca 

K  Cl 

(€N)  Cl 

(eN)H 

(ON)  K 

(e,H  j  Cl 

ClCl 

Cl  Cl 

(ONK^N) 

(eN)(eN) 

(ONxeN) 

(€aHJ(6aHJu.8.w 

Für  zusammengesetzte  Körper  sind   natürlich  dieselben  Argu-  172. 
mente  zur  Feststellung  der  Moleculargrösse  anwendbar,  wie  für  die  Ele- 
mente;  bei  vielen  derselben  geben  indessen  noch  andere  Betrachtungen 
Anhaltspunkte  zur  Bestimmung  der  relativen  Grösse  der  Molecüle. 

So  kann  z.  B.,   worauf  früher  §.  48    schon  aufmerksam  gemacht 
wurde,  keine  Molecularformel  so  gewählt  werden,    dass  sie  BruchtheUe 


104 


Theorie. 


173. 


von  Atomen  enthält  oder  dass  Körper,  deren  Holecfll  man  nach  Analogie 
Ton  ähnlicher  Grösse  anzunehmen  berechtigt  ist,  Bruchtheile  von  Atomen 
enthalten. 

Solange  man  also  dos  Atom  des  Sauerstoffs  zu  0  =  8  annahm, 
konnte  das  Wasser  als  HO  (=  9)  betrachtet  werden;  sobald  man,  wie 
dies  offenbar  geschehen  muss,  das  Atom  des  Sauerstoffs  zu  0  =  16  an- 
nimmt, ist,  abgesehen  von  allen  übrigen  Betrachtungen,  keine  geringere 
Menge  Wasser  möglich  als  HjO.  Ebenso  kann  schon  aus  diesem  Grunde 
das  Molecül  Aether  nicht  C4H5O  (=  621150^/2)  sein,  es  muss  mindestens 
durch  die  Formel  C8H|q02  (^^^  0J3.iq^)  ausgedrückt  werden. 

Ganz  dasselbe  gilt  von  dem  Schwefelwasserstoff  und  von  allen 
Schwefelverbindungen.  Das  Wasser  und  der  Schwefelwasserstoff  müssen, 
weil  keine  geringere  Menge  von  Sauerstoff  möglich  ist,  als  0  =  16  und 
keine  geringere  Menge  von  Schwefel  als  B  =  32,  mindestens  zwei  Atome 
Wasserstoff  im  Molecül  enthalten,  so  dass  ihre  Molecularformeln  =  H^O 
und  E^B  sind.  ' 

Die  s.  g.  Hydrate  erscheinen  dann  als  intermediär  zwischen  dem 
Wasser  und  den  trockenen  Oxyden,  gerade  so  wie  nach  der  früheren  Be- 
trachtung (§.  171)  die  Salzsäure  intermediär  ist  zwischen  dem  Wasserstoff 
und  dem  Chlor,  das  Cyankalium  intermediär  zwischen  dem  E[alium  und 
dem  Gyan.    Z.  B.: 


174. 


Eali- 
hydrat 
a.  Eali. 

Unterchlorige 
Säure  als  Hy- 
drat u.  was- 
serfrei. 

Alkohol  u. 
Aether. 

Essigsäure  n. 

Essigsäure- 

anhydrid. 

Essigsaares  Eali 

u.  Essigsfiure- 

anhydrid. 

HH0 
E  H0 
KEe 

HH  0 
CIH  0 
CICIO 

H      H       0 

(GaH,)  H       0 

(e,H,XG,H,)0 

H        H       0 
(GaHje)  H       0 

E            EG 
(GaHjG)      E     G 
(GjH,G)(GjH,G)G 

Ebenso  ist  das  Schwefelwasserstoffschwefelkalium  intermediär  zwi- 
sehen  dem  Schwefelwasserstoff  und  dem  Schwefelkalium,  das  Mercaptan 
intermediär  zwischen  dem  Schwefelwasserstoff  und  dem  Schwefeläthyl  etc. 


liumsiilfhydrat  und 
Ealiumsulfid. 

Mercaptan  und 
Schwefelfithyl. 

Schwefelquecksilber  und 
Quecksilbermercaptid. 

H    H    6 
E    H    6 
E    E    6 

H           H         S 
(G^H,)        H         B 
(G,H,)   (GaHJ    S 

Hg         Hg      B- 
(GjHj       Hg      e 
(G,H,)  (GaH,)  e 

In  der  That  lässt  sich  leicht  durch  vergleichendes  Studium  der  Me- 
tamorphosen verfolgen,  dass  diese  Körper  wirklich  intermediär  sind,  in- 
sofern sie  als  Zwischenglieder  bei  den  .Reactionen  gebildet  werden. 

Es  sind  dies  genau  dieselben  Betrachtungen,  welche  schon  seit  lange 
(vgl.  Theorie  der  mehrbasischen  Säuren  §.  132)  zu  der  Ansicht  geführt 
haben,  dass  die  Moleculargrösse  vieler  Säuren  (der  zweibasischen  Säuren) 
doppelt  so  gross  angenommen  werden  muss,  als  es  vorher  geschah.    So 


HoleenlargrOsfle. 


105 


Bernsteinsäure. 

Oxalsäure. 

Schwefelsftare. 

Ty^H^'^^            H            li 

03^4       H        H 

D'O'4          H         H 

ijJA.^Tj'^         H.         ii. 

6304      H        K 

'&O4         H        K 

^4**'1^4            **^            '^ 

0^04      K        K 

1704             H.           J^ 

eSi^t  («A)  K 

e,e4(^2H5)    K 

«4Hie4(€,H,)(0,H,) 

e,04(^A)(^aH5) 

6e4(€,H,)(e,H,) 

€A04(e,H,)      H 

0,04  (^aH,)    H 

604  (02H5)        H 

T/^U^TT^         11                 xl 

€,04       H        H 

&04      H           M 

dass  die  saaren  Salze  (2)  als  intermediär  zwischen  dem Sänrehjdrat (1) 
nnd  dem  neutralen  Salz  (3);  die  Salze  der  s.  g.  Aethersäuren  (4)  inter- 
mediär zwischen  dem  neutralen  Salz  und  neutralen  Aeiher  (5)  und  die 
8.  g.  Aethersäuren  (6)  intermediär  zwischen  dem  neutralen  Aether  und 
dem  Säurehydrat  erscheinen.    Z.  B.: 

WeinsSnre. 

1.  e.A^«      H      H 

2.  04H404        H        K 
8.  '04H404        K         K 

4.  e^4&,  («A    K 

6.  '041140^(02^5  H 

7.  0^04         H        H 

genau  so  wie  die  Hydrate  (§.  173)  intermediär,  sind  zwischen  dem  Was- 
ser und  den  Oxyden.  Eine  Betrachtung  die  zu  der  einfachen  Consequenz 
filhrt,  dass  der  Schwefelwasserstoff  und  das  Wasser  den  zweibasischen 
Säuren  völlig  analog,  gewissermassen  selbst  zweibasische  Säuren  sind, 
bei  welchen  nur  der  mit  den  zwei  Atomen  Wasserstoff  verbundene  Theil 
ein  Element  ist,  während  er  bei  den  eigentlichen  zweibasischen  Säuren 
aus  mehren  Atomen  besteht 

Die  Existenz  intermediärer  Verbindungen  gibt  also  häufig  175. 
Anhaltspunkte  zur  Feststellung  der  Holeculargrösse.  Die  Existenz  der 
intermediären  Aether  (Aethylmethyläther  u.  a.)  würde  also  allein  schon, 
selbst  wenn  die  Untheilbarkeit  der  im  Aether  enthaltenen  Sauerstoffmenge 
nicht  dazu  nöthigte,  Veranlassung  sein  müssen,  die  Holecularformel  des 
Aethers  zu  OJi^,GJB.^.B  anzunehmen; 


Aethylfither. 

0AU 
«aH5r 

Aethylmethyläther. 

0H,r 

Ifethyläther. 
0H,U 


Essigsäureanhydrid. 

0afl30r 

Essigsäure  •  Benzoe- 
säureanhydrid. 

02Hj0Jrv 

6^0^ 
Benzoesäureanhydrid. 

0,H50I^ 

e,H50}^ 


Benzoesänreanhydrid. 

Nitrobenzoebenzoe- 
fiäureanhydrid. 

Nitrobenzoesänreanhydrid. 
0,H.|(N02)0J^ 
0,H4(N0a)0r 


Ebenso  müssen  schon  der  Existenz  der  intermediären  wasserfreien 
Säuren  wegen,  abgesehen  von  anderen  Gründen,  die  Formeln  der  wasser- 
freien Säuren  mit  zweimal  demselben  Radical  geschrieben  werden. 

Ganz  besonderes  Interesse  bietet  in  der  Beziehung  das  NitrobenzoS- 
benzoSsäureanhydrid;  ein  Körper,  welcher  offenbar  als  Nitrosubstitutions- 
product  des  Benzoesäureanhydrids  betrachtet  werden  muss  und  der  inter- 
mediär ist  zwischen  diesem  und  dem  NitrobenzoCanhydrid. 


106  Theorie. 

Das  Zerfiailen  der  Anhydride  mit  Wasser  erscheint  dann  dem  Zer- 
fallen der  intermediären  Anhydride  völlig  analog: 

Essigsäureanhydrid.  Wasser.  Esßigsäurehydrat.         Essigsäurehydrat. 

Eesigsäurebenzoe-  Essigsäure-  Bensoesäure- 

anhydrid.  hydrat.  hydrat 

tfM^   +   ?!^  =   ^^'^^   +    ^'^ü^ 

nur  dass  im  ersten  Fall  die  beiden  entstehenden  Hydrate  identisch,  im 
letzteren  dagegen  verschieden  sind. 

Dass  dies  wirklich  so  ist,  zeigt  sich  deutlich  bei  Einwirkung  der 
wasserfreien  Thiacetsäure  auf  Wasser : 

Thiaeetsäureanhydrid.  Wasser.  Thiacetsäure.  Essigsäure. 

SS?!«     +    ?K  =   ^-^'^  +  ^"^'^ 

Eine  Zersetzung*),  welche  dem  seit  lange  bekannten  Zerfallen  des 
Schwefelbaryums  zu  Schwefelwasserstoffschwefelbaryum  und  Barythydrat 
vollständig  analog  ist: 

13'  +  S»  =  il«  +  11*. 

176.  Von  der  Holeculargrösse  der  chemischen  Verbindungen  gilt  übrigens 

dasselbe  wie  von  der  Grösse  der  Atome.  Eine  ex  acte  Bestimmung, 
auch  nur  der  relativen  Grösse  der  Molecüle,  ist  nicht  ausflihrbar.  Durch 
Betrachtung  einer  grossen  Anzahl  von  Verbindungen ,  durch  Vergleichung 
einer  grossen  Anzahl  von  Metamorphosen  findet  man  diejenigen  Atom  -  und 
Moleculargrössen ,  deren  Annahme  die  Eigenschaften  der  Verbindungen 
und  die  Vorgänge  bei  Metamorphosen  in  umfassendster,  einfachster  und 
klarster  Weise  auffassen  und  darstellen  lässt,  die  also  zweckmässig 
und  wahrscheinlich  erscheinen,  aber  desshalb  immer  nicht  bewie- 
sen sind. 

Im  weiteren  Verlauf  dieser  Betrachtungen  und  gelegentlich  der  Be- 
schreibung einzelner  Verbindungen  wird  sich  häufig  Gelegenheit  bieten 
auf  Anhaltspunkte  zur  Feststellung  der  Atom-  tind  Moleculargrösse  **) 
aufmerksam  zu  machen,  so  dass  es  unnöthig  erscheint,  hier  eine  grössere 
Anzahl  von  Beispielen  anzuhäufen. 


•)  Wäre  das  Essigsäureanhydrid ,  wie  dies  von  den  Anhängern  der  älteren 
Theorie  angenommen  wird  =  C1H3O3  und  ginge  cr  durch  Aufnahme  von 
HO  in  Essigsäurehydrat  über,  so  müsste  das  Thiaeetsäureanhydrid  €4113028 
durch  Aufnahme  von  HO  eine  Säure  von  der  Formel  CjH^OaS  liefern ,  wäh- 
rend es  dabei  zu  Thiacetsäure  und  Essigsäure  zerfUlU. 
**)  vgl.  besonders:  Beziehungen  zwischen  Dampfdichte  und  Moleculargrösse. 


Atomgewidit    Jtokeenlargewicht.  1^ 

Atomgewicht  —  Moleculargewichk 

Die  chemischen  Verbindungen  sind,  wie  oben  ($.  162)  erwähnt,  als,  177. 
durch  unbekannte  Ursachen  zusammengehaltene  Gruppen  von  Atomen  der 
Elemente  zu  betrachten. 

Gerade  so  wie  die  Atome  der  Elemente  constante  (oder  wenn  über- 
haupt, dann  jedenfalls  innerhalb  sehr  enger  Ghrenzen  schwankende)  Grös- 
sen sind;  so  sind  auch  die  chemischen  Molecüle  der  Verbindungen,  für 
dieselbe  Substanz,  stets  gleich  gross  und  gleich  schwer. 

Atomgewichte  nennt  man  die  Zahlen,  welche  das  Gewichtsver- 
hältniss  der  Atome  der  Elemente  ausdrücken;  Holeculargewichte 
die  Zahlen,  welche  die  relativen  Gewichte  der  Molecüle  bezeichnen. 

Die  Atomgewichte  und  Holeculargewichte  sind  nur  Verhältniss- 
zahlen, nicht  absolute  Grössen.  Es  ist  desshalb  im  Grund  gleichgültig 
und  vollständig  der  Willkür  und  der  Convention  überlassen,  welche  Sub- 
stanz man  als  Einheit  bei  der  Wahl  dieser  Verhältnisszahlen  benutzen 
will.  Man  bezieht  jetzt  fast  allgemein  (und  zwar  aus  mehrfachen  Grün- 
den, unter  welchen  Einfachheit  und  Bequemlichkeit  dermalen  die  am  mei- 
sten entscheidenden  sind)  die  Atomgewichte  auf  das  Gewicht  von  Einem 
Atom  Wasserstoff  als  Einheit 

Das  Moleculargewicht  einer  Verbindung  ist  natürlich 
gleich  der  Summe  der  Atomgewichte  der  die  Verbindung 
zusammensetzenden  Elemente. 

Wie  von  Atomen  und  Atomgewichten  der  Elemente,  so  spricht  man 
bisweilen  auch  von  Atomen  und  Atomgewichten  zusammengesetzter  Grup- 
pen, von  deren  Zusammengesetztsein  man  bei  den  gerade  angestellten 
Betrachtungen  absieht,  die  man  also  als  den  Elementen  analoge  Körper 
(als  8.  g.  Radicale)  betrachtet 

Man  nennt  z.  B.  GN  =  Cy  ein  Atom  Cyan;  Bfi^=:Ae  ein  Atom  Aethyl. 
Das  Atomgewicht  des  Cyans  ist  also  26  (G  =  12  »f-  ^  =  14)^  das  des  Aethyls  29. 
Ein  Molecül  Cyan  =  63^3  enthält  zwei  Atome  Cyan,  es  ist  Cy  Cy  (ähnlich  wie 
ein  MolectÜ  Chlor  =  CI^  ist);  das  Moleculargewicht  des  freien  Cyans  ist  also 
=  62.  — 

Aequivalent. 

Nachdem  im  Vorhergehenden  die  Begriffe  von  Atom  und  Molecül  178. 
festgestellt  worden,  ist  es  möglich,  ein  klareres  Verständniss  vom  Begriff 
des  Wortes  Aequivalent*)  zu  gewinnen. 

Wir  nennen  äquivalent  diejenigen  Mengen  verschiedener  Substan- 
zen, welche  chemisch  gleich-  oder  ahn  lieh  werthig  sind,  welche  also  den- 
selben chemischen  Effect  hervorbringen. 

Es  ist  demnach  einleuchtend,   dass  nur  bei  wirklich  ähnlichen  Sub- 


*)  Ygl.  Aequivalentgewichtsbestimmung  §.  62. 


108  Theorie. 

stanzen  von  Aequivalenz  gesprochen  werden  kann.  Da  aber  der  Begriff 
der  Aehnlichkeit  an  sich  schwankend  ist,  da  man  bald  die  eine,  bald  die 
andere  Eigenschaft  vergleichen,  also  manchmal  Körper  in  einer  Hinsicht 
ähnlich  finden  kann,  die  in  anderer  Beziehung  nicht  die  geringste  Ana- 
logie zeigen,  so  ist  es  einleuchtend,  dass  auch  der  Begriff  von  äquiva- 
lent ein  schwankender  sein  muss. 

179.  Wenn  man  z.  B.  die  Verbindungen  des  Kaliums  mit  denen  des  Silbers 
vergleicht,  so  zeigt  es  sich,  dass  in  aUen  diesen  Verbindungen  eine  be- 
stimmte Menge  Kalium  dieselbe  Rolle  spielt,  wie  eine  bestimmte  Menge 
Silber;  wir  nennen  diese  Mengen  äquivalent  —  Wir  sprechen  ebenso  von 
der  Aequivalenz  des  Chlors  und  des  Broms  oder  von  der  Aequivalenz 
des  Chlors  und  des  Wasserstoffs;  oder,  indem  wir  die  Salze  mit  den  Säu- 
ren vergleichen,  von  der  Aequivalenz  von  K,  Ag  oder  anderen  Metallen 
mit  H. 

In  aUen  diesen  Fällen  ist  1  Atom  K  äquivalent  1  Atom  Ag;  oder 
1  Atom  Cl  äquivalent  1  Atom  Br,  oder  1  Atom  H  oder  1  Atom  K  oder 
Ag.  Bei  allen  diesen  Elementen  ist  ein  Atom  des  einen  Elementes 
äquivalent  einem  Atom  des  andern. 

Ganz  in  derselben  Weise  ist  auch  ein  Atom  Sauerstoff  (=0)  äqui- 
valent einem  Atom  Schwefel  (=:  9). 

Es  findet  indess  auch  zwischen  Körpern,  welche  eine  grössere  Ver- 
schiedenheit zeigen  wie  das  Chlor  und  Brom  oder  die  Metalle  und  der 
H  eine  gewisse,  wenn  gleich  nicht  so  weit  gehende  Aehnlichkeit  statt 

"Wenn  wir  z.  B.  die  Einwirkung  des  fünffach  Chlorphosphors  (PCl^) 
oder  des  fünffach  Bromphosphors  (PBrj)  auf  Wasser,  auf  Alkohol  oder 
auf  Essigsäure  betrachten: 

H^e  +  PCI5  =  2HC1  +  POCI3 
HjO  +  PBrj  =  2HBr  +  FOBt^  etc., 
so  finden  wir,  dass  stets  an  die  Stelle  des  einen  Atoms  O,  im  Wasser, 
dem  Alkohol  oder  der  Essigsäure,  2  Atome  Chlor  treten,  dass  also  2 
Atome  Chlor  oder  Brom  denselben  chemischen  Effect  ausüben  wie  1  Atom 
0;  mit  andern  Worten,  dass  2  Atom  Cl  oder  2  Atom  Br  äquivalent  sind 
1  Atom  0.  Ebenso  ist  auch  1  Atom  S  äquivalent  2  Atom  Cl  oder  2 
Atom  Br  und  mithin  2  Atom  H. 

180.  Man  spricht  also  von  der  Aequivalenz  der  Atome  unter 
einander  und  man  findet,  dass  häufig: 

1  Atom  des  einen  Elements  Einem  Atom  des  andern  äquivalent 
ist,  z.  B.: 

1  At  H  äq.  1  At  Cl,  äq.  1  At  Br,  äq.  1  At  K  oder  Ag  etc. 
oder  1  At.  0  äq.  1  At.  S. 

Dass  aber  oft  auch  1  Atom  des  einen  Elements  äq.  ist  2  Atomen 
eines  anderen,  z.  B. : 

1  At  0  äq.  2  At  Cl,  äq.  2  At.  H  etc. 
1  At  S  äq.  2  At  Cl,  äq.  2  At  Br  etc. 


Aeqmyalent  109 

In  derselben  Weise  wie  man  Atome  untereinander  in  Beziehung  auf  181. 
ihren  chemischen  Effect  vergleichen  kann,  so  können  auch  Molecüle  mit 
Molecfllen  —  aber  nie  mit  Atomen  verglichen  werden;    und  man  kann, 
wie  von  der  Aequivalenz  der  Atome  untereinander,  so  auch  von  Aequi- 
valenz  der  Molecüle  untereinander  sprechen. 

So  ist  z.  B.:  1  Mol.  HCl  äquivalent  1  Mol.  HBr 
und  ebenso  1  Mol.  KCl         „         1  Mol.  AgClu.äq.lMol.HCletc. 

Dehnt  man  die  Betrachtung  noch  weiter  aus,  so  kann  man  auch 
sagen: 

1  Mol.  HCl  äq.  1  Mol.  H2  oder  1  Mol.  Gl,  oder  1  Mol.  E,  etc. 
Ebenso  ist:  1  Mol.  HjO  äq.  1  Mol.  E^S  oder  1  Mol.  EjS  etc. 
Vergleicht  man   aber  das  Wasser  oder  den  Schwefelwasserstoff  mit  der 
Salzsäure  oder  dem  Bromwasserstoff,  so  findet  man  stets,  welche  Reac- 
tionen  man  auch  vergleichen  mag,  dass 

1  Mol.  H2O  äq.  ist  2  MoL  HCl  oder  2  MoL  HBr. 
1  Mol.  HjS   „     „   2  Mol.  HCl  oder  2  MoL  HBr. 

Lässt  man  z.  B.  Kalium  (=  K2)  auf  Schwefelwasserstoff  und  auf 
Salzsäure  einwirken,  so  wird,  um  ein  neutrales  Salz  zu  bilden,  für  1  Mol. 
Kalium  1  MoL  HjÖ,  dagegen  2  MoL  HCl  erforderlich  sein.  2  MoL  HCl 
bringen  also  denselben  Effect  hervor  wie  1  MoL  H2d;  d.  h.  2  MoL  HCl 
sind  äq.  1  MoL  H29. 

Dasselbe  zeigt  sich  bei  Yergleichung  der  Säuren  untereinander.  Ver- 
gleicht man  z.  B.  die  HCl ,  die  Salpetersäure  N03H  und  die  Essigsäure 
62H4O2  ^  Bezug  auf  ihre  Fähigkeit  Salze  zu  bilden ,  also  Basen  zu  neu- 
tralisiren,  so  findet  man:  um  eine  bestimmte  Menge  einer  Base  zu  sätti- 
gen, sind  gleichviel  Molecüle  der  verschiedenen  Säuren  erforderlich  (was 
sich  leicht  schon  daraus  herleiten  lässt,  dass  alle  diese  Säuren  eine  gleich- 
grosse  Anzahl  von  durch  Metalle  vertretbaren  Wasserstoffatomen  enthal- 
ten), mithin  ist: 

1  MoL  HCl  äq.  1  MoL  NO3H  und  äq.  1  Mol.  ejHiOa- 

Vergleicht  man  ebenso  die  Weinsäure,  die  Berns teinsäure,  die  Oxal- 
säure und  die  Schwefelsäure  untereinander,  so  zeigt  sich,  dass  auch  bei 
diesen  Säuren  1  Mol.  der  einen  stets  1  MoL  der  andern  äquivalent  ist. 
1  MoL  efi4ßt'^i  äq.  1  MoL  e4H4e4.H2  äq.  1  MoL  e204.H2  äq.  1  MoL 

&V4,H2. 

Alle  diese  Säuren  sind  zweibasisch,  sie  enthalten  in  1  Molecül  2 
Atome  durch  Metalle  vertretbaren  Wasserstoff. 

Vergleicht  man  dagegen  eine  der  eben  besprochenen  zweibasischen 
Säuren  mit  der  Salzsäure,  der  Salpetersäure,  der  Essigsäure  oder  irgend 
einer  anderen  einbasischen  Säure,  so  findet  man: 

1  MoL  einer  zweibasischen  Säure  ist  äq.  2  MoL  einer  einbasischen,  z.  B. 
1  Mol.  Se4H2  äq.  2  MoL  HCl  oder  2  MoL  e2H4e2 
1  MoL  62O4H2  äq.  2  MoL  HCl  oder  2  MoL  esH^e,} 


110  Theorie. 

insofern  man  nftmlioh  eine  doppelt  so  grosse  Anzahl  von  Salzsäure-  oder 
von  Essigsäuremolecülen  braucht,  um  eine  bestimmte  Menge  von  Base  zu 
neutralisiren ,  als  Molecüle  der  zweibasischen  Säure  (Schwefels&ure  oder 
Oxalsäure)  für  dieselbe  Menge  ron  Basis  erforderlich  sind. 

Dieselbe  Betrachtung  zeigt,  dass  fiir  die  dreibasisohe  Phosphorsäure 
PO4H, 

1  Mol.  Pe^  äq.  3  Mol.  HCl,  äq.  IV2  Mol.  SO^Hj 
oder 

2  Mol.  FOÄ  äq.  3  Mol.  ä&^E^. 

182.  Man  sieht  also,  bei  den  Moiecülen  findet  dasselbe  statt  wie  bei  den 

Atomen:  in  vielen  Fällen  ist  1  MoL  der  einen  Subst  äq.  1  MoL  der  andern; 
in  andern  Fällen  dagegen  sind  2  MoL  der  einen  Bubstanz  erforderlich,  um 
denselben  chemischen  Effect  hervorzubringen,  der  von  1  Mol.  einer  andern 
Substanz  geleistet  wird,  es  sind  dann  2  Mol.  der  einen  Substani«  äq. 
1  Molecül  der  anda.*n  etc. 

133.  Es  ist  nun  weiter  einleuchtend,  dass  es  bei  Feststellung  äquivalenter 

Mengen  ganz  auf  die  Art  der  Beaction  ankommt,  bei  welcher  man  die 
verschiedenen  Substanzen  mit  einander  vergleicht;  und  dass  oft  in  ver- 
schiedenen Beactionen  ungleiche  Mengen  von  Einer  Substanz  äq*  sein  kön- 
nen einer  und  derselben  Menge  der  andern  Substanz. 

Wenn  man  z.  B.  die  Einwirkung  des  Wassers  H2O,  des  Alkohols 
OjH^O  und  der  Essigsäure  O2H402  auf  Phosphorsuperchlorid  vergleicht: 
so  zeigt  sich,  dass  eine  gleich  grosse  Anzahl  von  Moiecülen  der  drei  Sub- 
stanzen nöthig  ist,  um  auf  das  Phosphorsuperchlorid  denselben  Effect  aus- 
zuüben, d.  h.  um  es  in  Phosphoroxychlorid  zu  verwandeln: 
PCI,  +  H,e  =  PeClj  +  2  HCl 
PCI5  +  e^E^e   =  POCI3  +     HCl  +  OaHsCl 

PCI5  +  CjH^ej  =  POCI3  +   HCl  -f  ejHgeci; 

in  diesen  Reactionen  ist  also  1  Mol.  H2O  äq.  1  Mol.  €2HeO,   äq.  1  Mol. 

T72H4t/2« 

Vergleicht  man  dagegen  dieselben  Substanzen  untereinander  in  Be- 
zug auf  ihre  Fähigkeit  Metall  an  die  Stelle  von  H  aufzunehmen,  so  zeigt 
sich,  dass: 

1  Mol.  H2e  äq.  2  Mol.  CaH^O  äq.  2  Mol.  e2H4e2, 
weil  in  dem  Wasser  2  Atome  durch  Metall  vertretbaren.  Wasserstoffs  ent- 
halten sind,   während  der  Alhohol  und  die  Essigsäure  nur  1  At.  durch 
Metalle  ersetzbaren  Wasserstoff  im  Molecül  enthalten. 

Vergleicht  man  ebenso  die  Schwefelsäure  mit  dem  Wasser  in  Be- 
ziehung auf  diese  Vertretbarkeit  des  Wasserstoffs  durch  Metall,  so  ist: 

1  Mol.  HjO  äq.  1  Mol.  9e4H2, 

insofern  beide  2  Atome  H  enthalten,  die  durch  Metalle  ersetzbar  sind. 
Vergleicht  man  dieselben  zwei  Substanzen  in  Beziehung  auf  die  Wirkung, 
die  sie  auf  Phosphorsuperchlorid  ausüben,  so  ist: 

2  MoL  Hb0  äq.  1  Mol.  Q&^E2, 


Aeqwaleiit  Hl 

denn  man  hat: 

2PCI5  +  2H,e  =  2PeCl,  +  4HC1 

2PCI5  +  mjaii=  2Peci,  +  2HC1  +  00401,. 

Man  sieht  ans  all  dem,  dass  man  von  äquivalenten  Mengen  nur  fOr  184. 
bestimmte  Reactionen  sprechen  kann,  bei  welchen  man  die  Körper  ge- 
rade vergleicht;  dass  nicht  ein  für  allemal  und  für  alle  Reactionen  eine 
bestimmte  Menge  der  einen  Substanz  einer  bestimmten  Menge  einer 
andern  Substanz  äquivalent  ist;  dass  das  Aequivalent  also  keine  sich 
immer  gleich  bleibende  Menge  von  Substanz  bezeichnet  und  dass  es  dess- 
halb  völUg  unzulässig  ist,  Atom  und  Aequivalent  (wie  dies  häufig  ge- 
schieht) zu  identificiren. 


Man  gebraucht  nun  häufig  das  Wort  Aequivalent  noch  in  einem  et-  186. 
was  anderen  Sinn.  Man  spricht  z.B.  von  Einem  Aequivalent  Sauer- 
stoff' oder  von  Einem  Aequivalent  Schwefelsäure  oder  von  Einem 
Aequivalent  Phosphorsäure.  Auch  dabei  vergleicht  man  stets  (in  der  Idee 
wenigstens)  den  in  Rede  stehenden  Körper  mit  einer  andern  einfacheren 
Substanz,  mit  welcher  er  gewisse  AehnlicUkeit  hat  und  die  bei  dem  Ver- 
gleich als  Einheit  vorschwebt. 

1  Aeq.  Sauerstoff  ist  z.  B.  die  Menge  Sauerstoff,  welche  mit  1 
Atom  H  oder  mit  1  Atom  Gl  äquivalent  ist;  da  nun 

1  Atom  Sauerstoff  =r  O  äq.  ist  2  At.  H,  oder  2  At  Cl,  so  ist: 
Vj  Atom  Sauerstoff  =  Oi/,  äq.  1  At.  H,  oder  1  At  Cl; 
d.  h.  Ol/,  ist  Ein  Aequivalent  Sauerstoff. 

Ebenso  ist  ein  Aequivalent  Schwefelsäure  die  Menge  Schwefelsäure, 
welche  mit  Einem  Molecül  Salzsäure  äq.  ist    Da  nun 

1  Hol.  Schwefelsäure  =  Se4H2  äq.  ist  2  Mol.  HCl,  so  ist: 
1/2  Mol.  Schwefelsäure  =  Si/^e^H  äq.  1  Mol.  HCl, 
also  1  Aeq.  Schwefelsäure  ist  =  1/2  MolecQl  Schwefelsäure. 
In  derselben  Weise  ist: 

1  Aeq.  Phosphorsäure  =  ^3  Molecül  =  Fi/^ßi/ß. 
Denn: 

1  Mol.  Phosphorsäure  =  PO^Ha  äq.  3  Mol.  HCl  oder 
1  Molecül  =  3  Aequivalent; 

1/3  Molecül  also  =  1  Aequivalent 

Man  sieht  aus  den  wenigen  Beispielen  schon,  dass  fUr  die  Säuren 
allgemein  diejenige  Menge  1  Aequivalent  ist,  welche  1  Atom  durch 
Metall  ersetzbaren  Wasserstoff  enthält  — 

Ganz  in  derselben  Weise  ist  1  MoL  Eisenchlorid  =r  (FcjClj)  äquiva- 
lent 3  Mol.  KCl;  mithin  ist  1  Aequivalent  Eisenchlorid  •=  1/3  Molecül  = 
Fev.Cl*). 

•)  vgl  S.  62. 


112  Theorie. 

186.  Wie  früher  (§.  63)  schon  erwähnt,  drücken  die  chemischen  Fonnebi, 
deren  wir  uns  bedienen,  die  Moleculargrösse  (vgl.  §.  167 ff.)  der  dar- 
gestellten Verbindungen  aus;  die  einzelnen  Buchstaben  derselben  bezeichnen 
die  Atome  der  Elemente  (vgl.  §.  163 ff.). 

Bisweilen  ist  es  indessen  zweckmässig,  statt  in  Molecularformeln 
in  Aequivalent formein  zu  schreiben,  weil  diese  direct  die  Mengen 
von  Substanz  ausdrücken,  welche  gleichen  chemischen  Effect  hervorbrin- 
gen« Man  kann  also  die  Salzsäure,  Schwefelsäure  und  Phosphorsäure,  z.B.: 

HCl         9i/,02H         Pi/,OvjH 
schreiben,    wo  dann  die  Formeln  äquivalente  Mengen  ausdrücken.    Dass 
in  diesen  P'ormeln  Bruchtheile   von  Atomen  vorkommen,   ist  von  keinem 
Belang,  weil  diese  Formeln  nicht  exisürende  Mengen,  sondern  nur  Ver- 
hältnisse darstellen  sollen. 

187.  Ebenso  ist  es  für  einzelne  Betrachtungen  von  Vortheil,  den  Buch- 
staben, mit  welchen  wir  die  Formeln  schreiben,  nicht  den  Sinn  unter- 
zulegen, den  wir  ihnen  gewöhnlich  beilegen,  sie  also  nicht  für  Atome, 
sondern  für  äquivalente  Mengen  der  Elemente  gelten  zu  lassen.  Na- 
mentlich bei  Vergleichung  complicirt  zusammengesetzter  Salze;  und  ganz 
besonders  der  Salze  derjenigen  Metalle,  welche  verschiedene  Aequivalente 
besitzen,  ist  eine  solche  Schreibweise  der  Formeln  häufig  von  Vortheil  und 
gestattet  eine  leichtere  üebersicht,  und  ein  leichteres  Vergleichen  der  ver- 
schiedenen Salze. 

Da  diese  Schreibweise  der  Formeln,  bei  welcher  die  Zeichen  nicht  die 
Atome,  sondern  die  Aequivalente  bezeichnen,  für  manche  Betrachtungen  von 
Vortheil  ist  und  da  sie  von  einzelnen  Chemikern  mit  Vorliebe,  von  andern  wenig- 
stens in  einzelnen  Fällen  gebraucht  wird,  so  kann  sie  hier  nicht  ohne  Ei*wähnung 
bleiben.  Eine  ausführliche  Erörterung  dieses  Gegenstandes  gehört  indess  in  das 
Gebiet  der  allgemeinen  theoretischen  Chemie,  und  es  kann  hier  nur  das  Wesent- 
lichste dieser  Darstellungs-  und  Betrachtungsweise  mitgetheilt  werden*). 

Wenn  man  das  Eisenchlorür  mit  dem  Eisenchlorid,  das  Eisenoxydul  mit  dem 
Eisenoxyd  \  wenn  man  überhaupt  die  s.  g.  Eisenoxydulverbindungen  mit  den  Eisen- 
Oxydverbindungen  und  mit  den  correspondirenden  Verbindungen  eines  anderen 
Metalles  (Kalium  z.  B.)  vergleicht;  so  findet  man,  dass  in  dem  Eisenoxydul  und 
allen  seinen  Verbindungen  28  Gewichtstheile  Eisen  äquivalent  sind  39.2  Gewichts- 
theilen  Kalium,  während  in  dem  Eisenoxyd,  dem  Eisenchlorid  und  allen  Eisenoxyd- 
salzen 18,7  Gewichtstheile  Eisen  derselben  Menge  Kalium  äquivalent  sind. 

Wenn  man  also  Fe  =  28  (wenn  K  =  39,2  und  H  =  1)  als  Atom  des  Ei- 
sens annimmt,  so  ist  in  dem  Eisenoxydul  und  seinen  Verbindungen: 

1  At.  Fe  äq.  1  At.  K., 
in  dem  Eisenoxyd  und  seinen  Verbindungen  dagegen: 

Vi  At.  Fe  äq.  1  At.  K. 
Mit  anderen  Worten  1  Atom  Eisen  des  Eisenoxyduls  ist  äquivalent  */«  Atom  Eisen 
des  Eisenoxyds.    Es  ist  demnach   nur   der  Ausdruck  einer  Thatsache,   wenn  man 
dem  Eisen  zwei  verschiedene  Aequivalente  beilegt. 

*)  vgl.  Übrigens:   Lehrbuch  der  physikalischen  und  theoretischen  Chemie  von 
Buff,  Kopp  und  Zamminer.  S.  682—685. 


Aequivalent.  113 

Vergleicht  man  z.  6.  dcis  EisenchlorOr  mit  dem  Eisenchlorid  und  mit  dem 
Oilorkalinm ,  so  hat  man: 

1  Mol.  KCl  ist  ftq.  1  Mol.  FeCl  und  &q.  i/,  Mol.  FesCl,, 
mithin: 

KCl  äq.  FeCl  äq.  Fe»/,C1. 

Ein  Aequivalent  Eisenchlorid  ist  demnach  Fea/,G1  oder,  wie  man  statt 
dessen  schreibt  feCl,  worin  fe  =  \  Fe  (also  =  18,7  Gewichtstheile  Eisen). 

Aequivalente  Mengen  der  verschiedenen  Eisenverbindungen  können  demnach 
ausgedrückt  werden  durch  die  Formeln: 

EisenchlorOr:     FeCl  feCl  Eisenchlorid. 

Eisenoxydul:     Fe^O  fe^O  Eisenoxyd. 
Schwefelsaures  Schwefelsaures 

Eisenoxydul:   Fe^BO^^  fe2Ö04  Eisenoxyd. 

Ein  ähnliches  Verhalten  wie  das  Eisen  zeigen  noch  eine  Anzahl  anderer  Me- 
talle z.  B.  Chrom,  Kobalt,  Gold,  Platin,  Kupfer,  Quecksilber  etc.     Wenn  man  die 
in  den  verschiedenen  Verbindungen  dieser  Metalle   einander  äquivalenten  Mengen 
Biit  besoniieren  Buchstaben  bezeichnet,  so  kann  man  schreiben: 
1  Aeq.  Chromchlorür  =  CrCl 
1  Aeq.  Chromchlorid   =  crCl, 
worin  CT  =  */,Cr;  ebenso  für  Kobalt  co  =  ^/,  Co. 
Ftlr  Gold  hat  man: 

1  Aeq.  Goldchlorür  =  AuCl 
1  Aeq.  Goldchlorid  =  auCl, 
worin  au  =  ^/j  Au.    Für  Platin : 

1  Aeq.  Platinchlorür  =  PtCl 
l  Aeq.  Platinchlorid  =  ptCl , 
worin  pt  =  */j  Pt. 

Für  Quecksilber  (und  ebenso  für  Kupfer)  ist: 

1  Aeq.  Quecksilberchlorid  =  HgCl  oder  hgCl 
1  Aeq.  Quecksilberchlorür  =  ÄgCl     „    HgjCl, 
worin  Ug  =  2Hg  oder  hg  =  ^/j  Hg  etc. 

Die  Annahme  verschiedener  Aequivalente  für  dasselbe  Metall  ist  in 
so  fem  rein  Ausdruck  der  Thatsache,  als  wirklich  verschiedene  Mengen  sol- 
cher Metalle  unter  sich  und  mit  einer  bestimmten  Menge  eines  anderen  Metalls 
äquivalent  sind.  Sie  widerspricht  in  keiner  Weise  dem  Gesetz  der  multiplen 
Proportionen,  nicht  einmal  der  atomistischen  Theorie,  wenn  man  sich  daran  erin- 
nert, dass  die  so  geschriebenen  Formeln  nicht  Molecüle,  sondern  nur  äquiva- 
lente Mengen  ausdrücken  sollen  und  dass  die  mit  dem  Buchstaben  bezeichneten 
Mengen  der  Elemente  nicht  Atome,  sondern  äquivalente  Mengen  der  Ele- 
mente bezeichnen. 

Man  überzeugt  sich  leicht  davon,  dass  die  Vortheile,  welche  der  Gebrauch 
dieser  verschiedenen  Aequivalentzeichen  für  dasselbe  Element  darbietet, 
am  deutlichsten  hervortreten,  wenn  man  die  Salze  z.  B.  vergleicht,  welche  eine  und 
dieselbe  Säure  mit  verschiedenen  Metallen  zu  bilden  im  Stande  ist,  und  wenn  man 
dabei  auf  die  Verschiedenheit  des  Metalls  nur  verhältnissmässig  untergeordneten 
Werth  legt  Die  Schreibweise  lässt  es  dann  besonders  deutlich  hervortreten,  dass 
alle  Salze  aus  der  Säure  hergeleitet  werden  können,  indem  der  Wasserstoff  durch 
eine  äquivalente  Menge  vom  Metall  ersetzt  wird.  Z.  B.: 
KekaU,  orgaa.  Chemie.  S 


114  Theorie. 

Oxalsäure ^AO^ 

Saures  oxalsaures  Kali OaKH04 

Oxalsaures  Kali B^^i^t 

Oxalsaures  Eisenoxydul O^Fe^'O-« 

Oxalsaures  Eisenoxyd Osfe^-O« 

Oxalsaures  Eisenoxyd-Kali     ....  'G^feKO^ 

Oxalsaures  Chromoxyd-Kali  ....  ß^^KB^ 

Oxalsaures  Quecksilberoxyd  ....  B^hg^B^ 

Oxalsaures  Quecksilberoxyul      .    .     .  OaKgaO«. 

Will  man  dagegen  durch  die  Schreibweise  die  Verschiedenheit  im  Verhalten 
und  namentlich  in  den  Verbindungsverhältnissen  der  verschiedenen  Metalle 
hervortreten  lassen,  so  ist  die  ato mistische  Schreibw^eise  der  Formeln  weit 
geeigneter,  weü  sie  deutlich  zeigt,  dass  die  verschiedenen  Metalle  sich  in  ver- 
schiedenen, aber  für  dasselbe  Metall  immer  oder  wenigstens  för  ganze  Reihen 
von  Verbindungen  constanten  Verhältnis!?en  mit  anderen  Körpern  (Chlor  oder  Säure- 
resten z.  B.)  verbinden. 

Z.  B.: 

Chlorkalium  KCl  Eisenchlorür  FeCl  Eisenchlorid  .    Fe^Cl, 

Eisenoxydul-  Eisenoxyd- 
Kalihydrat  .  K(He)            hydrat .     .    Fe(HO)  hydrat  .    .  .    Fj(He), 
Schwefelsau-                        Schwefelsaur.  Schwefelsaures 

res  Kali  .  K2(S04)         Eisenoxydul  Fe2(Se4)         Eisenoxyd  .    Fe4(Se4), 

Oxalsaures  Oxalsaures  Oxalsaures 

Kali     .    .  K2(6204)       Eisenoxydul  Fe2(ej04)       Eisenoxyd  .    ¥e^(BiB^)z 

Benzoesaures  Benzoesaures  Benzoesaures 

Kali     .    .  KCe^HaOa)    Eisenoxydul  FeCe^HjOj)    Eisenoxyd  .    Fe2(e,Hj0,), 

Will  man  endlich,  wie  dies  jetzt  gewöhnlich  geschieht,  durch  die  chemischen 
Formeln  die  Moleculargrösse  der  Verbindungen  ausdrücken,  so  bietet  der  Ge- 
brauch der  Aequivalentzeichen  keinen  Vorfheil  dar  und  man  bezeichnet  dann 
die  Atome  der  Elemente  mit  besonderen  Buchstaben,  welche  eine  für  jedes  Ele- 
ment unveränderliche  Gewichtsmenge  (relativ)  ausdrücken. 

Die  Vortheile  der  Schreibweise  mit  Aequivalentzeichen  sind  also  be- 
schränkt; sie  treten  besonders  schlagend  nur  bei  einzelnen  complicirter  zusammen- 
gesetzten Körpern  hervor.  In  manchen  Fällen  aber  ist  nur  eine  solche  Schreib- 
weise der  Formeln  geeignet^  die  Beziehungen  verschiedener  Substanzen  unterein- 
ander hervortreten  zu  lassen.  So  können  z.  B.  die  Beziehungen  der  verschiedenen 
Eisendoppelcyanide  (Blutlaugensalz,  Berlinerblau  etc.)  zu  einander  auf  keine  andere 
Weise  so  klar  dargestellt  werden,  als  durch  Aequivalentformeln ,  deren  einzelne 
Zeichen  Aequivalente  der  verschiedenen  Metalle  ausdrücken,  (vgl.  Eisendoppel- 
cyanide.) 


Natur  der  Elemente.    Idee  der  Typen, 


188.  Wenn  man  nach  den  im  Vorhergehenden  gegebenen  Principien  die 

Atomgrösse  der   Elemente  bestimmt  und  sie  in  Bezug   auf  Aequivalenz 


Natur  der  Elemente.  115 

vergleicht,  so  findet  man,  dass  die  Elemente*)  in  wenige  Gruppen  ein- 
getheilt  werden  können. 

1.  Gruppe.    Einatomige  oder  einbasische,    d.  h.  solche,  von 

welchen  ein  Atom  äquivalent  ist  einem  Atom  H. 

2.  Gruppe.    Zweiatomige   oder   zweibasische,    von  welchen 

ein  Atom  äquivalent  ist  zwei  Atomen  Wasserstoff. 

3.  Gruppe.    Dreiatomige  oder  dreibasische,    von  denen  ein 

Atom  äquivalent  ist  drei  Atomen  H. 

Die  Verhältnisse  der  Eohlenstoffverbindungen  finden,  wie  nachher 
gezeigt  werden  soll,  ihre  einfachste  Deutung,  wenn  man  annimmt,  dass 
der  Kohlenstoff  vieratom ig  oder  vierbasisch  ist;  so  dass  also  ein 
Atom  Kohlenstoff  äquivalent  ist  vier  Atomen  Wasserstoff. 
Der  Kohlenstoff  reiht  sich  also  den  drei  Gruppen  als  bis  jetzt  einziger 
Repräsentant  einer  vierten  Gruppe  an,  welcher  indess,  wie  es  scheint, 
auch  Silicium  und  vielleicht  das  Bor,  Titan  etc.  zugehören,  deren  Ver- 
bindungsverhältnisse indessen  noch  zu  wenig  erforscht  sind. 

Die  Elemente,  welche  einer  und  derselben  Gruppe  zugehören,  zei-  189. 
gen  untereinander  in  vielen  ihrer  Eigenschaften  eine  grosse  Aehnlichkeit 
(Gruppeneigenschaften).  Sie  zeigen  namentlich  dieselben  Verbin- 
dungsverhältnisse, d.  h.  ihre  correspondirenden  Verbindungen  mit 
andern  Elementen  enthalten  eine  gleich  grosse  Anzahl  von  Atomen  die- 
ser Elemente. 

Die  derselben  Gruppe  zugehörigen  Elemente  besitzen  indess  auch 
individuelle  Eigenschaften,  welche  das  eine  Element  von  den  an- 
dern derselben  Gruppe  unterscheiden  und  die  sich  ebenfalls  in  die  Ver- 
bindungen tibertragen. 

Die  Verhältnisse,   nach    welchen   sich  die  Atome   der  Elemente  zu  190. 
Holeeülen  vereinigen  (und  bei  chemischen  Zersetzungen  vertreten),    sind 
abhängig  und  veranlasst  von  der  Basicität  dieser  Atome. 

Ein  Atom  eines  Elementes  der  ersten  Gruppe,  ein  einatomi- 
ges Element,  verbindet  sich  mit  einem  Atom  eines  andern  Elementes 
derselben  Ghruppe,  z.  B.: 

HCl  KCl  H  H. 

Ein  Atom  eines  zweiatomigen  Elementes  verbindet  sich  mit 
KW  ei  Atomen  eines  Elementes  oder  zweier  verschiedener  Elemente  der 
ersten  Gruppe,  z.  B.: 

0H3  eH,  GEH. 

Ebenso  bedarf  ein  Atom  eines  dreiatomigen  Elementes  drei 


*)  Es  handelt  sich  hier  nur  um  die  für  organische  Chemie  wichtigen  Elemente 
und  es  bleiben  desshalb  die  bei  verschiedenen  Metallen  vorkommenden  com- 
plidrteren  Yerh^tnisse  unberücksichtigt 

8* 


116  Theorie. 

Atome  von  einatomigen  Elementen,  um  eine  Verbindung  zu  bilden, 
z.  B.: 

NH3  PCI,  SbAga. 

191.  Diese  einfachsten  Gombinationen  der  Elemente  unter- 
einander erzeugen  die  einfachst  zusammengesetzten  chemi- 
schen Verbindungen,  die  man  also  wieder  in  drei  Gruppen  eintheilen 
kann,  welche  man  durch: 

I  +  I  n  +  21  m  +  3i 

bezeichnen  könnte,  worin  die  römischen  Ziffern  dieBasicität  der  Atome, 
die  arabischen  die  Anzahl  der  Atome  ausdrücken.  Statt  indess  diese 
Gruppen  von  Verbindungen  in  so  allgemeiner  Weise  durch  die  Zahlen- 
verhältnisse der  sie  zusammensetzenden  Atome  auszudrücken,  zieht  man 
es  meistens  vor,  aus  jeder  Gruppe  einen  Körper  auszuwählen,  den  man 
als  Repräsentant  aller  der  Körper  betrachtet,  die  derselben  Gruppe 
zugehören.  Man  wählt  dazu  den  Wasserstoff,  das  Wasser  und  das  Am- 
moniak : 

HH  OH,  NH3 

und  bezeichnet  diese  Körper  als  Typen  oder  Haupttjpen. 

Wenn  wir  also  einen  Körper  dem  T3^U8  Wasser  zuzählen,  so  heisst  dies  nichts 
anderes  als :  seinem  ganzen  Verhalten  nach  muss  er  betrachtet  werden  als  eine 
Verbindung  eines  zweiatomigen  Elementes  mit  zwei  einatomigen  Elementen  (oder 
Radicalen). 

192.  In  diesen  Haupttypen  ist  jedes  Element  der  Repräsentant  zunächst 
aller  andern  Elemente,  die  derselben  Gruppe  zugehören. 

Man  kann  also  alle  Verbindungen,  die  derselben  Gruppe  zugehören,  mit  der 
als  Repräsentant  ausgewählten,  dem  s.  g.  Typus  vergleichen,  indem  man  z,  B.  sagt: 
das  Kalihydrat  (KH0)  gehört  dem  Typus  Wasser  zu,  es  kann  betrachtet  werden 
als  H^^,  worin  1  Atom  Wasserstoff  vertreten  ist  durch  1  Atom  Kalium;  oder:  die 
Salzsäure  gehört  dem  Typus  Wasserstoflf  zu ,  sie  ist  H, ,  in  welchem  1  Atom  H 
ersetzt  ist  durch  1  Atom  Cl;  der  Schwefelwasserstoff  ist  Wasser,  in  welchem 
1  Atom  O  vertreten  ist  durch  1  Atom  B. 

198.  Gomplicirter  zusammengesetzte  Körper   können   ebenfalls  mit  diesen 

einfachsten  Verbindungen  verglichen  werden,  indem  man  von  dem  Zu- 
sammengesetztsein gewisser  Atomgruppen  absieht  und  diese, 
bei  der  gerade  anzustellenden  Betrachtung  als  den  Elementen  analoge 
Gruppen,  als  s.  g.  Badicale  betrachtet 

Man  kann  also  sagen:  die  Cyanwasscrstoffsäure  (=  GNH)  gehört  dem  Ty- 
pus Wasserstoff  zu;  sie  kann  betrachtet  werden  als  Wasserstoff,  in  welchem  1  Atom 
H  ersetzt  ist  durch  das  zusammengesetzte  (aus  Kohlenstoff  und  Stickstoff  beste- 
hende) Radical  Cyan  (=  GN).  Ebenso  kann  man  den  Alkohol  mit  dem  Wasser 
oder  mit  dem  Kalihydrat  u.  s.  w.  vergleichen*,  man  kann  sagen,  der  Alkohol 
(=  G^H^G)  gehört  dem  Typus  HjG  zu,  er  ist  Wasser,  in  welchem  1  Atom  H  ver- 
treten ist  durch  das  zusammengesetzte  Radical  Aethyl  (=:  G^Hj),  oder:  er  ist 
Kalihydrat  (KHG^))  dessen  Kalium  durch  das  Radical  Aethyl  ersetzt  ist. 


Typen.  117 

Wenn  miin  so  zusammengesetztere  Verbindungen,  indem  man  von 
dem  Zusammengesetztsein  der  Radicale  absieht,  mit  den  einfachen  Ver- 
bindungen vergleicht,  also  auf  die  drei  Haupttypen  zurückführt,  so  ist  in 
diesen  Haupttjpen  jedes  Element  der  Repräsentant  nicht  nur  aller  andern 
Elemente,  die  derselben  Gruppe  zugehören ,  sondern  auch  aller  Radicale, 
die  dieselbe  Basicität  besitzen. 

Da  bei  solcher  Ausdehnung  der  typischen  Betrachtung  eine  sehr  194. 
grosse  Anzahl  von  Verbindungen  demselben  Typus  zugezählt  werden  kann^ 
ist  es  für  viele  Betrachtungen  zweckmässig,  innerhalb  der  drei  Hauptgrup- 
pen (Haupttypen)  wieder  Unterabtbeilungen  zu  machen,  also  Neben  typen 
anzunehmen.  Man  rechnet  z.  B.  alle  die  Verbindungen,  die  dem  Haupt- 
typus Wasser  (H^O)  zugehören,  aber  statt  des  Sauerstoffs  Schwefel  ent- 
halten, zu  dem  Nebentypus  Schwefelwasserstoff  (H,^). 

Man  sagt  also  z.  B.,  das  Schwefelwasserstoff -Schwefelkalimn  (KHS)  gehört 
dem  Typus  Schwefelwasserstoff  zu,  es  kann  betrachtet  werden  als  H2$<)  in  welchem 
1  Atom  H  ersetzt  ist  durch  1  Atom  K;  man  rechnet  ebenso  das  Mercaptan  dem 
Typus  H^S  zu,  indem  man  es  als  E2B  betrachtet,  in  welchem  1  Atom  H  durch 
das  Radical :  Aethyl  (62H5)  vertreten  ist.  Der  Nebentypus  Schwefelwasserstoff 
wird  dabei  gewissermassen  als  eigenthümliche  (schwefelhaltige)  Modification  des 
Hauptiypus  Wasser  angesehen,  welcher  seinerseits  wieder  nichts  anderes  ist  als  ein 
conventionell  gewählter  Repräsentant  aller  der  Körper,  die  nach  der  allgemeinen 
Formel  11  4-  21  zusammengesetzt  sind. 

Man  nimmt  z.  B.  die  folgenden  Nebentypen  an: 

Haupttypns:    HH  H^e  H,N 

Nebentypen:     HCl  H^S  H,P 

HBr  Ha6e  H,As 

HJ  etc.  etc. 

etc. 


Man  sieht  nun  leicht,  dass  mehre  Molecüle  der  Typen  vereinigt  wer-  196. 
den  können,    wenn  an  die  Stelle  von  mehreren  Wasserstoffatomen,    (die 
dabei  selbst  nur  als  Repräsentant  aller  einatomigen  Elemente  betrach- 
tet werden,)  ein  Atom  eines  mehratomigen  Elementes  tritt. 

So  kann  z.  B.  der  dreiatomige  Phosphor  drei  Molecüle  Wasser  und 
ebenso  drei  Molecüle  Salzsäure  zu  einem  uhtheübaren  Molecül  zusammen- 
halten. Im  ersteren  Fall  entsteht  die  phosphorige  Säure,  welche  betrachtet 
werden  kann  als  3  Molecüle  des  Typus  HjO,  welche  durch  Eintritt  von 
ein  Atom  Phosphor  an  die  Stelle  von  drei  Atomen  Wasserstoff  zusam- 
mengehalten werden: 

Typus.  Phosphorige  Säure. 

8  HjO  P  \r. 

im  letzteren  Fall  entsteht  das  Phosphorchlorür,  welches  als  eine  Vereinigung 


118  Theorie. 

von  drei  Molecttlen  HO  betrachtet  werden  kann,  in  denen  die  3  Atome  H 
dorch  ein  Atom  P  ersetzt  sind: 

TypxxB,  Phosphorchlorür. 

3  Ha  pca,. 

Diese  letztere  Verbindung  kann  indessen  auch  als  dem  dritten  Ty- 
pus: m  -f-  31  oder  NHj  zugehörig  betrachtet  werden,  als  Nfi^,  dessen 
N  durch  P  und  dessen  3  H  durch  3  Cl  ersetzt  sind. 

Ganz  in  derselben  Weise  kann  das  NH3  selbst,  also  der  dritte  Haupt- 
typus zurückgeftlhrt  werden  auf  den  Typus:  H^;  man  kann  es  betrachten 
als  3  H),  die  durch  Eintritt  des  dreiatomigen  Phosphors  zu  einem  Holecdl 
zusanmiiengehalten  sind;  ebenso  kann  man  das  Wasser,  also  den  zweiten 
Haupttypus  betrachten  als  2  Mol.  H2,  in  welchem  2  Atome  H  durch  das 
zweiatomige  Element  0  ersetzt  sind. 

Man  sieht,  die  verschiedenen  Typen  können  alle  auf  einen,  auf  den 
Wasserstoff,  der  dabei  selbst  nur  als  Repräsentant  der  kleinsten  Molecu- 
largrösse  als  Einheit  des  Molecüls  betrachtet  wird,  zurfickgefUhrt  werden. 
Mit  andern  Worten:  alle  chemischen  Verbindungen  können  betrachtet 
werden  als  eine  Anzahl  ideeller  Wasserstoffmolecüle,  die  durch  Eintritt 
eines  oder  mehrerer  mehratomigen  Elemente  oder  Badicale  zu  grösseren 
Gruppen  zusammengehalten  werden. 
196.  D^  Zurückführen  der  typischen   Betrachtungsweise  bis  zu  dieser 

letzten  Gonsequenz  zeigt  deutlich,  dass  die  ganze  Anschauung  nichts  wei- 
ter ist  als  ein  Vergleichen  der  verschiedenen  Verbindungen 
in  Bezug  auf  ihre  Zusammensetzung;  nicht  etwa  eine  wirk- 
liche Theorie,  welche  uns  die  Zusammensetzung  selbst  ken- 
nen lehrt.  Die  verschiedenen  Typen  sind  also  nicht  etwa  durch  völlig 
verschiedene  Constitution  scharf  getrennte  Klassen  von  Verbindungen,  es 
sind  vielmehr  bewegliche  Gruppen,  in  die  man  immer  die  Verbindungen 
zusammenstellt,  welche  den  Eigenschaften  nach,  die  man  gerade  be- 
sonders hervorheben  will,  eine  gewisse  Analogie  zeigen. 


197.  Zusammengesetzte  Atomgruppen,  welche,  wie  früher  schon  erwUint 

wurde  und  später  ausführlicher  gezeigt  werden  soll,  häufig  eine  den  Ele- 
menten ähnliche  Rolle  spielen,  oder  wie  man  sich  ausdrückt  als  zusam- 
mengesetzte Radicale  erscheinen,  —  d.  h.  so  lange  man  von  ihrem 
Zusammengeseiztsein  absieht,  mit  Elementen  verglichen  werden  können  — 
zeigen  in  Basicität  genau  dieselben  Beziehungen  wie  die  Elemente  oder 
einfachen  Radicale.    Sie  sind,  wie  diese: 

einatomig,   d.  h.  äquivalent  1  Atom  H  oder  1  ehem.  Einheit 
zweiatomig     „  „  2      „      „      „     2      „  „ 

dreiatomig      „  „  3      „      „      „     3      „  „ 


Typen.  119 

Die  complidrter  zusammengesetzten  Verbindungen  lassen  sich  dem-  198. 
nach  (5.  193)  denselben  Gruppen  einordnen  und  auf  dieselben  Typen  be- 
ziehen,  wenn  man  annimmt,    dass  ein  zusammengesetztes  Radical 
die  ihm  äquivalente  Menge  von  Atomen  der  Elemente  in  den  ein- 
fachsten Verbindungen  ersetzt 

80  kann  die  Salpetersäure  z.  B.  betrachtet  werden  als  H2O,  in  wel- 
chem l  Atom  H  vertreten  ist  durch  das  einatomige  Radical  NOj;  ^^ 
salpetrige  Säure  ist  dann  der  diesem  abgeleiteten  Wasser  entsprechende 
Wasserstoff,  sie  erscheint  als  1  Molectll  H],  in  welchem  1  Atom  H  durch 
das  ihm  äquivalente  Radical  N02  ersetzt  ist. 

Tjrpufl.  Salpetersäure.  Typus.  Salpetrige  Säure. 

In  ähnlicher  Weise  kann  das  Schwefelsäurehydrat  betrachtet  werden 
als  2  MolecOle  HjO,  die  durch  Eintritt  des  zweiatomigen  Radicals  Sul- 
fiiryl  =  S02  an  die  Stelle  von  2  Atomen  H,  die  den  zwei  verschiedenen 
Wassermolecülen  angehörten,  zu  einem  chemisch  untheilbaren  Ganzen,  zu 
einem  Holecül  zusammengehalten  werden.  Die  Ghlorschwefelsäure  (Sul- 
fuiylchlorid)    erscheint   dann   als    zwei  in   derselben  Weise,   d.  h.  durch 

Eintritt  des  zweiatomigen  Radicals  SOj  *)  an  die  Stelle  von  2  Atomen  H 
zusammengehaltene  SalzsäuremoleciQe. 

Typus.  Schwefelsäure.  Typus.  Ghlorschwefelsäure. 


Hl 


0  h|o 


Die  gewöhnliche  (dreibasische)  Phosphorsäure  erscheint  bei  ähnlicher 
Betrachtung  als  3  Molecüle  Wasser,    die  durch  Eintritt  des  dreiatomigen 

Radicals  Phosphoryl  =  PO  an  die  Stelle  von  drei  Atomen  H  zu  einem 
MolecOl  vereinigt  sind;  während  das  Phosphoroxychlorid  die  dem  Typus 
3  HCl  zugehörige  Verbindung  desselben  Radicals  ist,  d.  h.  als  drei  durch 
Eintritt  des  dreiatomigen  Radicals  zusammengehaltene  Salzsäuremolecüle 
betrachtet  werden  kann. 

Typus.  Phosphorsäure.  Typus.  Phosphoroxychlorid. 

Jjje,  PGJe,  3  HCl  PO.CI3. 

Dieselben  Betrachtungen,    welche  §.  195    über  die  Beziehungen  der  199. 
drei  Haupttypen  untereinander  angestellt  wurden,  können  jetzt  wiederholt 


*)  Um  die  Basicität  der  Radicale  in  der  Schreibweise  anzudeuten,  bezeichnet 
man  sie  mit  darüber  gesetzten  Strichen,  welche  die  Anzahl  der  Wasserstoff- 
atome  ausdrücken,  denen  das  Radical  äquivalent  istj  vgl.  §.  156. 


120  Theorie. 

werden.  Die  Ghlorschwefelsäure  z.  B.,  die  man  gewöhnlich  ab  dem  Ty- 
pus 2  HCl  zugehörig  betrachtet,  kann  ebenso  als  dem  Typus  HjO  zuge- 
hörig betrachtet  werden,   in  welchem   der  zweiatomige  Sauerstoff  durch 

das  zweiatomige  Radical  S02  ^^^  ^^^  beiden  Wasserstoffatome  durch 
Chlor  ersetzt  sind.  Ebenso  kann  man  das  Phosphorozjchlorid,  statt  dass 
man  es  auf  3  HCl  bezieht,  vergleichen  mit  dem  Ammoniak  NH^;  man 
kann  sagen,  es  gehöre  dem  Typus  NH3  zu  und  es  seien  die  3  Atome  H 
durch  drei  Atome  Cl,  der  N  aber  durch  die  ihm  äquivalente,  d.  h.  eben- 

falls  dreiatomige  Gruppe  PO  ersetzt.  Diese  verschiedenen  Betrachtungen 
für  eine  und  dieselben  Substanz  sind  indessen  im  Grund  genommen  iden- 
tisch, weil  (nach  §.  195)  das  H2O  und  das  NH,  selbst  auf  den  Typus  H^ 
bezogen  werden  können  und  weil  die  beiden  Typen  H^O  und  NH^  nichts 
weiter  bedeuten  als:  durch  Eintritt  mehratomiger  Elemente  vereinigte 
Wasserstoffmolecüle  oder,  allgemeiner  ausgedrückt,  zu  einem  untheilbaren 
Molecül  vereinigte  chemische  Einheiten. 
200.  I^i®  Grundidee  dieser  Ansicht  —  der  Theorie  der  mehr- 

atomigen Radicale  —  ist  also,  dass  durch  Eintritt  mehr- 
atomiger Radicale,  mögen  diese  nun  einfach  (Elemente)  oder 
zusammengesetzt  sein,  eine  grössere  Anzahl  vorher  getrenn- 
ter Molecüle  zu  einem  jetzt  untheilbaren  Molecül  vereinigt 
werden  können. 


201.  Es  ist  nun  einleuchtend,  dass  mehratomige  Radicale  ebensogut,  wie 

sie  die  Vereinigung  von  zwei  gleichartigen  und  demselben  Typus  zu- 
gehörigen Molecülen  veranlassen,  so  auch  zwei  Molecüle  zusammenhalten 
können,  welche  verschiedenen  Typen  angehören. 

Das  von  Berthelot  dargestellte  Epichlorhydrin  erscheint  z.  B.  als 
eine  Vereinigung  von  einem  Molecül  HjO  und  einem  Molecül  HCl,  die 
durch  Eintritt  des  dreiatomigen  Radicals  G^Hs  an  die  Stelle  der  drei 
Atome  H  zusammengehalten  werden. 

Typus.  Epichlorhydrin. 

="  «Aß 

Ebenso  kann  das  s.  g.  Chlorschwefelsäurehydrat  betrachtet  werden  als 
1  Mol.  HjO  +  1  Mol.  HCl,  die  durch  Eintritt  des  zweiatomigen  Radicals 
an  die  Stelle  von  2,  den  beiden  Molecülen  angehörenden,  Atomen  H  ver- 
einigt sind. 

lypuB.  ChlorschwefelBäorehydrat 


Hl 


h}^ 


't 


G. 


Typen.  121 

In  ähnlicher  Weise  können  die  von  Berthelot  aus  dem  Glycerin 
dargestellten  Verbindungen:  das  Monochlorhydrin  und  das  Dichlorhjdrin, 
betrachtet  werden  als  IHCI  +  2H20  und  2  HCl  +  iHjO,  die  durch 
Eintritt  des  dreiatomigen  Radicals  G^E^  an  die  Stelle  von  3  Atomen  H 
vereinigt  sind: 

Typns.  Monochlorhydrin.  T3rpa8.  Dichlorhydrin. 

E\r.  H  x^  /HCl  «     (Cl 


\  -  e,H,)ci  <HC1 

i"^  hW  )hT- 

'§«  »l 

während  das  Trichlorhydrin  und  das  Glycerin  selbst  als  die  dem  Typus 
3  HCl  und  3H2O  zugehörigen  (also  dem  Phosphoroxychlorid  und  derPhor- 
phorsäure  vollständig  entsprechenden)  Verbindungen  desselben  Radicals 
betrachtet  werden: 

Typus.  Trichlorhydrin.  Typus.  Glycerin. 

{HCl  ejHftIci  H,f^»        ^»"»{e,. 

'HCl  'Cl  H,> 

Die  untersohweflige  Säure  kann  nach  Odling's  Vorschlag  betrachtet 
werden  als  eine  Vereinigung  von  HjO  mit  H2S: 

Typus.  Unterschweflige  Säure. 

Die  schweflige  Säure  (als  Hydrat  betrachtet)  erscheint,  wenn  man 
in  ihr  dasselbe  Radical  annehmen  will,  wie  in  der  Schwefelsäure,  als  dem 
Typus  H2O  -+"  H2  zugehörig: 

Typus.  Schweflige  Säure. 

(m  H 


Hl 


Auch  die  s.  g.  Aminsäuren  finden  ihre  einfachste  Deutung,  wenn 
man  sie  aofifasst  als  eine  Vereinigung  zweier  Molecüle:  H2O  4~  ^^3,  die 
durch  Eintritt  eines  zweiatomigen  Radicals  vereinigt  werden,  z.  B.: 

Typus.  Sulfaminsäure.  Carbaminsäure.        Ozaminsäure. 

H,  H  H  H 


122  Theorie. 

202.  ^^^  ksxin  die  eine  Art  von  Verbindungen,   die  nämlich,   bei  wel- 

chen gleichartige  Molectile  durch  mehratomige  Radicale  vereinigt  sind, 
multiple  Typen  oder  Polymertypen;  die  andern,  bei  welchen  die 
zusammengehaltenen  Molecüle  verschiedenen  Typen  zugehören:  inter- 
mediäre oder  gemischte  Typen  nennen. 

208.  Um   diese  Betrachtungsweise   vollständig   klar   zu   machen,   ist   es 

nöthig,  an  einzelnen  Beispielen  die  durch  mehratomige  Radicale  möglichen 
Combinationen  zusammenzufassen. 

Ein  einatomiges  Radical  kann  nie  eine  Vereinigung  mehrer 
Molecüle  veranlassen. 

Ein  zweiatomiges  Radical  kann,  indem  es  an  die  Stelle  von 
zwei  einatomigen,  resp.  von  2  At.  H  tritt,  eine  Vereinigung  von  2  Molecü- 
len  veranlassen,  die  entweder  gleichartig  oder  verschieden  sind,  z.  B.: 

Chlorschwefelsäurc.        Schwefelsänrehydrat.  Carbamid  (HamstoiT). 


iSOj 


»Cl  H  »^  H 

Cl 


h{n 

Chlorsckwefelsäurehydrat.  CiBtrbaminsäure. 

H  <0  ^j 


h; 


o. 


Ein  zweiatomiges  Radical  kann  aber  auch  zwei  Atome  H  in 
einem  Molecül  ersetzen*),  z.  B.: 

Typns.  Schwefelsäure-  Kohlensäure.  Carbimid 

anhydrid.  (Cyansäure.) 

Ein  dreiatomiges  Radical  kann  drei  Molecüle  der  Typen  ver- 
einigen : 

Phosphorsäure.        Glycerin.  Trichlorhydrin.  Chloroform. 

pou  ^aXu         ^A.ci,  eä.ci,. 

Diese  drei  Molecüle  sind  entweder  gleichartig,  oder  wie  bei  den 
früher  §.  000  betrachteten  Chlorhydrinen  ungleichartig.  — 

Ein  dreiatomiges  Radical  kann  ebenso  drei  Atome  H  ersetzen, 
welche  zwei  Molecülen  angehören,  z.  B.: 


•)  Der  freie  SauerstoiT  muss   in    derselben  Weise    aufgefasst   werden;   er  ist 

O.e. 


Typen.  123 

Typus.  MetophoBphorsäure.  Typua.  Acediamin. 


Hf^ 


I« 


m^  ^H 


h{n 


Ein    dreiatomiges  Radical   kann    endlich,    natärlich  nur  beim 
Typus NH3,  drei  Atome H  ersetzen,  die  einem  Molecül  angehören,  z.B.: 

Typns.  Acetonitril.  BlauBäore. 

H,N  eaH,.N  ek.N. 

Die  Anzahl  der   möglichen  Verbindungen   wird   nun   dadurch  noch  204. 
vermehrt,  dass  mehratomige  Radicale,  wenn  sie  mehrmals  in  die  Typen 
eintreten,  eine  grössere  Anzahl  von  Holecülen  zu  vereinigen  im  Stande 
sind. 

80  können  z.  B.  das  Nordhäuser  Vitriolöl  und  das  ihm  entsprechende 
von  Jacquelin  dargestellte  Kalisalz  betrachtet  werden  als  3  Mol.  HjO,  die 

dnrch  Eintritt  von  2  Atomen  des  Radicals  Sulfuryl  =  SOj  zusammen- 
gehalten sind: 

T^iu.  Nordh&nser  Vitriolöl.  Jacqnelin's  Kalisalz. 

H»^  H  U  K  U 


'5! 


^ 


Ebenso  kann  nach  Odling's  Vorschlag  die  Pyrophosphorsäure  be- 
trachtet werden  als  5  Molecüle  H^O,  die  durch  Eintritt  von  2  mal  dem 
Radical  PO  (Radical  der  gewöhnlichen  Phosphorsäure)  vereinigt  sind. 

T3rpii8.  Pyrophosphorsäure. 


Jjje,    oder    Jjje,  PO  j 

PO  (^»• 


Ebenso   wie   durch   mehrmaligen  Eintritt  desselben   zweiato-  205. 
migen  Radicals,  so  können  auch  durch  gleichzeitigen  Eintritt  mehr  er 
verschiedener  zweiatomigen  Radicale  eine  grössere  Anzahl  von  Mole- 
cQlen  der  Typen  vereinigt  werden. 

So  erscheint  z.  B.  die  Sulfosalicylsäure  dem  Nordhäuser  Vitriolöl  völlig 
analog.    Beide  können  dem  Typus  3H2O  zugezählt  werden. 


206. 


124  Theorie. 

Typus.  lITordhäuser  Vitriolöl.  Sulfosalicylsäiire. 

hJ^  h  }^  H  r- 

Das  Nordhäuser  Vitriolöl  enthält  zweimal  das  Radieal:  Sulfurjl  =r 
SO2  an  der  Stelle  von  je  2  Atomen  WasserstoflF;  die  Sulfosalicjlsäure 
enthält  dieses  Radieal  SO2  ^^^  einmal,  dagegen  sind  zwei  andere  Was- 
serstoffatome  durch  das  Radieal  Salicyl  (=  O7H4O)  vertreten*). 

Eigenschaften  der  chemischen  Verbindungen. 

Die  Eigenschaften  der  chemischen  Verbindungen  sind  der  Natur  der 
Sache  nach  zunächst  bedingt  durch  die  Natur  der  sie  zusammensetzenden 
Atome.  Man  wird  also  einerseits  die  Gruppeneigenschaften  der 
Elemente,  andererseits  aber  auch  ihre  individuellen  Eigenschaften  in 
den  Verbindungen  wiederfinden. 

Die  Gruppeneigenschaften  der  Elemente  (also  wesentlich  ihre 
Basicität)   veranlassen   die  typischen  Eigenschaften  der  Verbin- 
dungen,  d.  h.   die  Eigenschaften,    welche  allen  Verbindungen  desselben 
Typus  gemein  sind. 
^^'  So  ist  es  z.  B.  eine  typische  Eigenschaft  aller  der  Körper,  die  dem 

einfachen  Wassertyp  zugehören,  dass  sie  zwei  Atome  eines  einatomigen 
Elementes  oder  Radicales  enthalten,  die  bei  Metamorphosen  gegen  andere 
ausgewechselt  werden  können.  Ist  von  den  beiden  Wasserstoffatomen 
des  Wassers  das  eine  schon  durch  ein  Radieal  (gleichgültig  ob  einfach 
oder  zusammengesetzt)  vertreten,  so  entstehen  Substanzen,  welche  die 
eine  Eigenschaft  gemeinsam  haben,  dass  sie  ein  Atom  Wasserstoff  ent- 
halten, w.elcher  mit  Leichtigkeit  gegen  Radicale  ausgetauscht  wird,  z.  B. : 

Kalihydrat.  Alkohol.  Essigsäure.  Salpetersäure. 

In  ähnlicher  Weise  haben  alle  Verbindungen,  die  sich  von  dem  Ty- 
pus: 2H2O  herleiten,  in  welchem  2  Atome  H  durch  ein  zweiatomiges 
Radieal  ersetzt  sind,  die  eine  Eigenschaft  gemeinsam,  dass  in  ihnen  noch 
zwei  Wasserstoffatome  enthalten  sind,  welche  mit  Leichtigkeit  durch 
zwei  einatomige  Radicale  vertreten  werden  können,  z.  B.: 

Quecksilberoxyd-        Glycol.        Glycolsäure.        Oxalsäure.        Schwefelsäure, 
hydrat**). 

Haf^2  Hjf^a  Haf^a  Hjf^a  Haf^» 


•)  In  ähnlicher  Weise  können  noch  andere  der  s.  g.  „gepaarten  Verbindungen^' 
aufgefasst  werden.  Vgl.  diese  §.  000.  — 
••)  Hg  =  200  wenn  H  =  1  und  O  =  16. 


Typische  Eigenschaften.  125 

Alle  die  Verbindungen  endlich,  welche  dem  Typus  3  HjO  zugehören, 
in  welchem  3  Atome  H  durch  ein  dreiatomiges  Radical  vertreten  sind, 
haben  die  eine  gemeinsame  und  charakteristische  Eigenschaft,  dass  sie 
noch  3  durch  Radicale  vertietbare  Wasserstoffatome  enthalten,  z.  B.: 

\^muthozyd-        Eisenoxyd-        Glycerin.        Glycerinsäure.        Phosphorsäure, 
hydrat  hydrat 

Haf^»  H,  i^9  H,f^«  H,f^8  H,f^» 

Es  ist  weiter  eine  typische  Eigenschaft  aller  dem  Wassertyp  zuge-  208. 
hörigen  Substanzen,  dass  bei  geeigneten  Reactionen  aller  dem  Typus 
Wasser  zugehörige  Sauerstoff  gegen  Chlor  ausgetauscht  werden  kann 
und  dass  dabei,  der  einatomigen  Natur  des  Chlors  wegen,  eine  Spaltung 
eintritt,  indem  aus  1  Molecül  HjO  zwei  Molecüle  des  Typus  HCl  ent- 
stehen. Lässt  man  z.  B.  auf  irgend  einen  Körper  des  Typus  HjO  Phos- 
phorsuperchlorid einwirken,  so  findet  eine  solche  Reaction  statt,  der  ty- 
pische Sauerstoff  wird  durch  Chlor  ersetzt,  während  andrerseits  Phosphor- 
oxychlorid  entsteht,  z.  B.: 

Waaser ?(^       Pbt      5g_ 


Alkohol 


«AU  e,H».CL 


A««»«' Iä(^ 

Essigsäureäther ^^'^}^ 

äure ^»^«2)^ 


Wasserfreie  Essigsäure    .    .    ^^g'^Sl^ 


H  a 

eaH30.Cl 

OaH»    .CI 

eaHaO.Cl 

H.Cl 

ejHae.ci 


eaHaO.Cl. 

Diese  Reaction  ist  allen  Verbindungen  des  Wassertyps  eigen,  sie 
findet  sich  auch  bei  den  dem  Nebentyp  HjS  zugehörigen  Substanzen,  die 
also  aus  den  entsprechenden  Verbindungen  des  Typus  H2O  durch  Eintritt 
von  S  an  die  Stelle  von  O  erzeugt  werden,  z.  B.: 

Schwefelwasserstoflf  .  Ss    gibt      55 

^f  HCl 

Thiacetsäure    .    .    .    ^»^»^iß     „       ^»^»^-^ 
Hf        ''  H.Cl. 

In  ähnlicher  Weise  ist  es  eine  charakteristische  Reaction  aller  Kör- 
per, die  dem  Typus  HCl  zugehören  —  es  ist  eine  typische  Eigenschaft 
dieser  Körper  —  dass  sie  leicht  doppelte  Zersetzung  zeigen,  bei  welchen 
der  mit  dem  Chlor  verbundene  Theil  (also  die  den  H  der  HCl  ersetzende 
Gruppe)  gegen  ein  Atom  Metall  ausgetauscht  wird. 

Ebenso  ist  es  eine  typische  Eigenschaft  aller  der  Körper,  die  dem 
Typus  NH,  zugehören,  dass  sie,  ähnlich  wie  das  Ammoniak  selbst,  sich 


126  Theorie. 

mit  Salzsäure   oder  einem   andern   demselben  Typus  zugehörigen  Körper 
verbinden  und  so  dem  Salmiak  correspondirende  Verbindungen  erzeugen. 


209.  Bei  solcher  Gemeinsamkeit  der  typischen  Eigenschaften  zei- 
gen aber  die  demselben  Typus  zugehörigen  Substanzen  doch  wesent- 
liche Verschiedenheiten,  die  durch  die  individuelle  Natur  der 
in  ihnen  enthaltenen  Elemente  (oder  Radicale)  veranlasst  sind. 

Die  oben  erwähnten  Schwefelverbindungen  unterscheiden  sich  z.  B. 
beti*ächtlich  von  den  correspondirenden  Sauerstoffverbindungen;  die  dem 
Nebentypus  H29  zugehörenden  Substanzen  also  von  den  dem  Haupttyp 
H2O  zugehörenden  Körpern.  In  allen  ist  zwar  1  Atom  H  durch  Metalle 
vertretbar;  aber,  alles  üebrige  gleich  angenommen,  zeigen  die  Schwefel- 
verbindungen stets  grössere  Neigung,  den  H  gegen  Metalle  auszutauschen 
wie  die  Sauerstoffverbindungen.  Der  Schwefelwasserstoff  selbst  zeigt  weit 
mehr  die  Eigenschaften  einer  Säure  wie  das  Wasser  und  dies  wiederholt 
sich   in  allen    von    den  beiden  Körpern    sich   herleitenden  Verbindungen. 

Das  Mercaptan  =     ^rj^  |  S   bildet   z.  B.   mit  vielen  Metalloxyden   direct 

salzartige  Verbindungen,  während  in  der  entsprechenden  Sauerstoffverbin- 

düng,  dem  Alkohol  =     ^  4  ( ^  ^^r  bei  Einwirkung  der  Alkalimetalle  direct 

vertretbar  ist.     Ebenso  ist  die  Thiacetsäure  =     *   *h(^    ^^^^    stärkere 

©  H  O^ 
Säure  wie  die  Essigsäure  =     ^   'g>0;   sie  zersetzt  das  essigsaure  Blei- 
oxyd unter  Bildung  von  thiacetsaurem  Bleioxyd. 

Eine  solche  Verschiedenheit  in  der  Natur  con-espondirender  Ver- 
bindungen, die  sich  nur  dadurch  von  einander  unterscheiden,  dass  die 
einen  Sauerstoff,  die  andern  Schwefel  enthalten,  ist  offenbar  durch  die 
Verschiedenheit  der  individuellen  Eigenschaften  der  sonst  so  ähnlichen 
Elemente :  Sauerstoff  und  Schwefel  veranlasst. 

Dasselbe  findet  sich  bei  den  dem  Ammoniaktypus  zugehörenden 
Substanzen.  Während  das  NH3  selbst  stark  basische  Eigenschaften  hat 
und  sich  mit  Leichtigkeit  mit  Wasserstoffsäuren  verbindet,  gibt  der  PH, 
nur  mit  Jodwasserstoffsäure  eine  bestimmte  Verbindung,  das  AsH,  end- 
lich hat  so  schwach  basische  Eigenschaften,  dass  man  von  ihm  bestimmte 
salzartige  Verbindungen  bis  jetzt  nicht  erhalten  konnte. 

210.  Dass  die  individuellen  Eigenschaften  der  Elemente  sich  in  den 
Verbindungen  wiederfinden,  zeigt  sich  am  deutlichsten,  wenn  man  die- 
jenigen demselben  Typus  zugehörenden  Verbindungen  vergleicht,  in  wel- 
chen die  einzelnen  Elemente  in  ihren  individuellen  Eigenschaften  grosse 
Verschiedenheit  zeigen.  Aus  dem  indifferenten  Wasserstoff  (Hj)  wird  z.  B. 
durch  Eintritt   von    1  At  Gl   an   die  Stelle  von   1  At  H   die  Salzsäure. 


Eigenachaften  der  ehem.  Verbindungen.  127 

Ebenso  entsteht  aus  dem  Wasser,  wenn  an  die  Stelle  von  1  At.  H,  1 
At.  Cl  tritt,  die  unterchlorige  Säure.  Umgekehrt  zeigt  das  demselben  Ty- 
pus zugehörige  Ealihjdrat  die  Eigenschaften  einer  Base,  d.  h.  es  tauscht 
den  noch  vertretbaren  Wasserstoff  mit  besonderer  Vorliebe  gegen  chlor- 
fthnliche  (saure)  Elemente  oder  Radicale  aus.  Die  Atomgruppe  N02 
steht  in  ihren  Eigenschaften  dem  Gtilor  nahe,  sie  ändert  durch  Eintritt  an 
die  Stelle  von  H  die  Natur  der  Verbindungen  in  ähnlicher  Weise  um  wie 
dieses.  Die  dem  Typus  H2  zugehörende  Verbindung  dieses  Radicals  (die 
salpetrige  Säure)  ist  ebenso  wie  die  dem  Typus  H2O  zugehörende  Ver- 
bindung desselben  Radicals  (die  Salpetersäure)  eine  Säure;  beide  tauschen 
1  At.  H  mit  besonderer  Leichtigkeit  gegen  Metalle  aus  *). 

Dieser  Einfluss  der  individuellen  Eigenschaften  der  Elemente  211. 
(oder  Radicale)  auf  die  Eigenschaften  der  Verbindung  zeigt  sich  auch 
dann  noch,  wenn,  wie  dies  bei  den  sogenannten  Substitutions- 
producten  der  Fall  ist,  die  Vertretung  innerhalb  des  bei  vielen  Zer- 
setzungen unverändert  bleibenden  Restes,  also  innerhalb  des  Radicales 
stattfindet.  Dabei  ist  indess  der  Einfluss  weit  weniger  hervortretend,  weil, 
der  Anzahl  und  der  Stellung  der  Atome  wegen,  die  Veränderung  der 
einzelnen  Atome  eine  verhältnissmässig  untergeordnete  Rolle  spielt. 

O  H  i 
Aus  der  Carbolsäure  =     *jt'^/^5  bei  welcher  die  Eigenschaft;en  der 

Säure  nur  schwach  ausgeprägt  sind,  entstehen  z.  B.  durch  Eintritt  von 
Chlor  oder  durch  Eintritt  der  chlorähnlichen  Gruppe  N02  Körper,  die  den 
Wasserstoff  mit   weit  grösserer  Leichtigkeit   gegen  Metalle  austauschen, 

so  dass  die  Trinitrocarbolsäure  (oder  Pikrinsäure)  z.  B.  =     •   *^     H    |^ 

eine  starke  Säure  ist. 

Gerade  so,  wie  in  diesen  Fällen  durch  Eintritt  eines  sauren  (chlor- 
ähnlichen) Elementes  oder  Radicals  die  saure  Natur  einer  Verbindung 
erhöht  wird,  so  wird  durch  Eintritt  desselben  Elementes  oder  Radicals 


♦)  Wenn  man  die  dem  Typus  Hj  und  dem  Typus  H2O  zugehörenden  Verbin- 
dungen in  Reihen  ordnet,  in  welchen  die  Verbindungen  des  Chlors  am  einen, 
die  des  Kaliums  am  andern  Ende  stehen  und  die  übrigen  nach  der  grösse- 
ren oder  geringeren  Aehnlichkeit  mit  einem  der  beiden  eingeordnet  sind,  so 
findet  man,  dass  die  Endglieder  und  die  ihnen  nahestehenden  Substanzen  in 
ihren  Eigenschaften  förmlich  contrastiren,  dass  die  Verbindungen  des  Chlor- 
endes z.  B.  den  H  besonders  leicht  gegen  Metalle  oder  metallähnliche  Radi- 
cale, die  Verbindungen  des  Ealiumendes  dagegen  den  H  besonders  leicht 
gegen  chlorähnliche  Elemente  oder  Radicale  austauschen*,  man  unterscheidet 
daher  beide  als  Säuren  und  Basen.  Die  in  der  Mitte  der  Reihen  stehen- 
den Substanzen  zeigen  alle  Arten  von  Uebergängen,  sie  können  weder  be- 
stimmt für  Säuren  noch  für  Basen  gehalten  werden.  Man  überzeugt  sich  so, 
dass  ^äiure^^  und  „Basis^^  in  keiner  Weise  scharf  zu  trennende  Begriffe  sind. 


128  Theorie. 

in  basische  Körper  die  basische  Natur  dieses  vermindert    Aus 

dem  Anilin  =    H  \N,  einem  Körper,  der  dem  Typus  Ammoniak  zuge- 

H  ) 
hört  und  der  wie  dieses  sich  mit  Leichtigkeit  mit  Salzsäure  zu  einer  salz- 
artigen  Verbindung  vereinigt,  können   drei  chlorhaltige  Substitutionspro- 
ducte  abgeleitet  werden: 

Anilin.  Chloranilin.  Dichloranilin.  Trichloranilin. 

^«H«!  'G«H4C1)  '^«HaClai  ^i^a^^j) 

H  |n  H}N  H5N  h|n. 

H  i  H*  H*  H> 

Das  Chloranilin  und  das  Dichloranilin  verbinden  sich  noch  wie  das 
Anilin  selbst  mit  Salzsäure,  aber  sie  sind  schon  schwächere  Basen  wie 
dieses;  das  Trichloranilin  endlich  hat  völlig  die  Eigenschaft  verloren  mit 
Salzsäure  sich  zu  verbinden,  obgleich  es  offenbar  noch  demselben  l^ypus 
zugehört  wie  die  andern.  .  Man  sieht  also,  dass  der  Einfluss,  den  die  in- 
dividuelle Natur  der  Elemente  ausübt,  sogar  bei  Substitutionsproducten 
so  weit  gehen  kann,  dass  die  Verbindung  die  am  meisten  charac- 
teristischen  Eigenschaften  der  Substanz,  aus  welcher  sie  erhalten  wurde, 
verliert  — 
212.  ^^^  ähnliche  Verschiedenheit  zeigt  sich  zwischen  dem  Alkohol  und 

der  Essigsäure,  zwischen  dem  Aethylamin  und  dem  Acetamid  etc.  Wäh- 
rend der  Alkohol,  obgleich  er  1  At  H  gegen  Metalle  auszutauschen  im 
Stande  ist,  doch,  weil  dieser  Austausch  verhältnissmässig  schwierig  er- 
folgt, nicht  eigentlich  eine  Säure  genannt  werden  kann,  ist  die  Essig- 
säure eine  entschiedene  Säure.  Beide  Körper  gehören  dem  Typus  H2O  zu : 
T3^U8.  Alkohol.  Essigsäure. 

Die  Verschiedenheit  ist  offenbar  veranlasst  durch  die  Natur  der  Ra- 
dicale,  die  den  Wasserstoff  des  Typus  ersetzen. 

Vergleicht  man  die  dem  Ammoniaktypus  zugehörenden  Verbindun- 
gen derselben  Radicale: 

Typus.  Aethylamin.  Acetamid. 

h|n  HJN  hJn, 

Hl  H)  H) 

so  zeigt  sich  derselbe  Einfluss.  Der  Eintritt  von  62H3O  an  die  Stelle 
von  62H5,  welches  vorher  die  sauren  Eigenschaften  der  Verbindung  er- 
höht hatte,  vermindert  jetzt  die  basischen.  Während  das  Aethyl- 
amin sich  dem  Ammoniak  höchst  ähnlich  verhält  und  mit  Leichtigkeit  salz- 
artige Verbindungen  erzeugt,  entstehen  solche  Verbindungen  bei  dem 
Acetamid  so  schwer,  dass  man  ihre  Existenz  bis  auf  die  allemeueste  Zeit 
übersehen  hat  Während  das  Aethylamin  weder  bei  Einwirkung  von  Me- 
talloxyden noch  von  Metallen  Wasserstoff  gegen  Metalle   auszutauschen 


Eigenschaften  der  chemischen  Verbindungen.  129 

im  Stande  ist,  kann  im  Acetamid  ein  At.  H,  wie  Strecker  gefunden  hat, 
mit  Leichtigkeit  durch  Metalle  ersetzt  werden.  Obgleich  also  dem  Am- 
moniaktypus zugehörig,  verhält  sich  das  Acetamid  wie  eine  (freilich 
schwache)  Säure,  weil  durch  den  Einfluss  des  in  den  Typus  eingetretenen 
sauren  Radicales  die  Natur  der  Verbindung  eine  wesentliche  Veränderung 
erlitten  hat  — 

Aehnliche  Verschiedenheiten  zeigen  sich  bei  den  dem  Typus  HCl 
zagehörenden  Verbindungen  derselben  Radicale. 

Typus.  Aethylchlorid.  Acetylchlorid. 

HCl.  eA.ci  ejHj^.a. 

Während  das  Acetylchlorid  mit  Oxydhydraten  und  selbst  mit  Wasser 
leicht  Zersetzung  erleidet  und  mit  Silbersalzen  leicht  Chlorsilber  erzeugt, 
erfolgen  dieselben  Zersetzungen  bei  dem  Aethylchlorid  bei  weitem  schwie- 
riger; es  wird  in  der  Kälte  weder  von  Wasser  noch  von  Metalloxyden 
zersetzt,  es  erleidet  selbst  durch  Silbersalze  in  der  Kälte  keine  Zersetzung. 
Bei  Anwendung  höherer  Temperaturen  treten  dagegen  alle  diese  Zer- 
setzungen ein,  so  dass  das  Aethylchlorid  alle  für  den  Typus  HCl  charak* 
teristischen  Reactionen  zeigt,  wenn  auch  mit  weit  geringerer  Leichtigkeit 
wie  das  Acetylchlorid. 

Vergleicht  man  nun  die  beiden  Radicale:  Aethyl  =  €21^5  ^^^  ^^^'  ^^^' 
tyl  =  62H3O  mit  einander,  so  findet  man,  dass  das  letztere  aus  dem 
ersteren  entstanden  gedacht  werden  kann,  indem  an  die  Stelle  von  2  At 
H  die  äquivalente  Menge,  d.  h.  1  At.  O  getreten  ist.  Der  Unterschied  in 
der  individuellen  Natur  der  beiden  Elemente :  O  und  H  ist  offenbar  die 
Ursache  der  Verschiedenheit  der  Natur  der  beiden  Radicale,  die  sich  dann 
auf  sonst  ähnliche  und  demselben  Typus  zugehörige  Verbindungen  überträgt. 


Man  sieht  also,  dass  von  der  Natur  dieser  in  einer  Verbindung  schon  214. 
enthaltenen  Radicale  und  der  sie  zusammensetzenden  Elemente  viele  Ei- 
genschaften der  Verbindung  abhängig  sind,  unter  andern  auch,  ob  der 
noch  vertretbare  Wasserstoff  des  Typus  mit  grösserer  Leichtigkeit  durch 
Metalle  und  metallähnliche  Radicale  oder  durch  saure  (chlorähnliche)  Ra- 
dicale ersetzt  wird. 

Der  Alkohol  z.  B.  nähert  sich  in  dieser  Beziehung  den  eigentlichen 
Basen,  indem  sein  typischer  Wasserstoff  mit  grösserer  Leichtigkeit  durch 
saure  Radicale  ersetzt  wird;  die  Essigsäure  verhält  sich  wie  eine  Säure 
d.  h.  ihr  noch  vertretbarer  Wasserstoff  wird  mit  besonderer  Leichtigkeit 
durch  Metalle  oder  metallähnliche  Radicale  vertreten  ($.  212).  Dieselbe 
Beziehung  findet  zwischen  der  Carbolsäure  und  der  Pikrinsäure  statt 
(S.  211). 

Von   besonderem  Interesse  sind  in  dieser  Beziehung  einige  Körper,  216. 
welche  zwei  Atome  typischen   (also  leicht  durch  Radicale  vertret- 
baren) Wasserstoff  (§.  207)  enthalten,  die  aber  insofern  nicht  völlig  gleich- 

KeknU,  organ.  Chemie.  9 


130  Theorie. 

werthig  sind,  als  der  eine  leichter  durch  saure,  der  andere  leichter  durch 
metallfthnliche  Radicale  vertreten  wird.  Ein  solches  Verhalten  zeigt  z.  B. 
die  Olycols&ure,  und  ebenso  die  Milchsäure  etc. 

Qlycolsftore.  Ifilchsfture. 


^2' 


Beide  enthalten  zwei  Atome  typischen  (d.  h.  noch  vertretbaren j 
Wasserstoffs.  Aber  von  diesen  beiden  wird  nur  der  eine  durch  Metalle 
ersetzt;  die  beiden  Substanzen  verhalten  sich  wie  einbasische  Säuren; 
ihre  s.  g.  neutralen  Salze  sind: 

Glycolsaurer  Kalk.  Milchsanrer  Kalk. 

Ca'  Ca' 

Das  zweite  Wasserstoffatom  wird  nicht  (oder  nur  sehr  schwer! 
durch  Metalle  vertreten,  es  kann  dagegen  leicht  durch  saure  Radicale, 
z.  B.  Benzoyl,  ersetzt  werden.     So  entstehen: 


BenzoglycolsSure. 

Benzomilchattur 

H 

Zwei  Säuren,  die  selbst  wieder  *e in  basische  Säuren  sind,  insofern 
sie  1  At.  H  enthalten,  welches  mit  Leichtigkeit  durch  Metalle  ersetz- 
bar ist: 

Benzoglycolsaurer  Baryt.  Benzomilchsaurer  Baryl. 

Ba^  Ba' 

Von  den  beiden  Wasserstoffatomen  der  Gljcolsäure  (und  der  Milch- 
säure) zeigt  der  eine  also  dasselbe  Verhalten  wie  der  Wasserstoff  des 
Alkohols ,  der  andere  dasselbe  wie  der  Wasserstoff  der  Essigsäure.  Die 
Gljcolsäure  steht  in  dieser  Beziehung  in  der  Mitte  zwischen  dem  Gljcol  und 
der  Oxalsäure,  von  welchen  das  erstere  ein  zweisäurigtr  Alkohol,  die 
letztere  eine  zweibasische  Säure  ist: 

Glycol.  Glycolsftare.  Oxalsäure. 

ejH,^;  Ca)  Ca) 


EigenBchaften  der  chemischen  Verbindungen.  131 

Vergleicht  man  die  Radicale  des  Oljcols,  der  Oljcolsäure  und  der 
Oxals&ure: 

M  H  tt 

€2^4  ©2"  2^  ^2^2  y 

80  sieht  man,  dass  das  letztere  sich  von  dem  Radical  der  Gljcolsäore 
in  derselben  Weise  herleitet,  wie  dieses  vom  Radical  des  Olycols.  Der 
Eintritt  von  1  At  O  an  die  Stelle  von  2  At.  H  im  Radical  €2114  veran- 
lasst also,  dass  eines  von  den  beiden  typischen  Wasserstoffatomen  mit 
Leichtigkeit  durch  Metalle  vertreten  wird,  während  das  andere  noch  (wie 
die  beiden  Wasserstoffatome  des  Glycols)  durch  saure  Radicale  ersetzbar 
bleibt  Tritt  nochmals  1  At.  0  an  die  Stelle  von  2  At  H  des  Radicals,  so 
ändert  auch  das  zweite  Wasserstoffatom  seine  Natur,  d.  h.  es  wird  jetzt 
(wie  das  erste)  mit  Leichtigkeit  durch  Metalle  vertretbar*). 

Ein  ähnliches  Verhalten  zeigt  auch  die  aus  dem  Olycerin  sich  her-  ^,^^- 
leitende  61y cerinsäure : 

Glycerln.  Glycerinsfiure. 

Obgleich  sie  der  typischen  Formel  nach  eine  dreibasische  Säure  sein 
sollte,  zeigt  sie  doch  nur  das  Verhalten  einer  einbasischen  Säure.  Ihre 
Sake  sind: 

H2^.- 


Die  zwei  weiteren  Wasserstoffatome  sind  offenbar  ebenfalls  durch 
Radicale  vertretbar;  bei  ihnen  findet  aber  die  Vertretung  nicht  durch  Me- 
talle (basische  Radicale)  statt,  sie  werden  voraussichtlich  mit  grösserer 
Leichtigkeit  durch  saure  Radicale  ersetzt  werden  **). 


*)  Dies  Beispiel  zeigt  deutlich,  dass  zwei  Atome,  die  der  typischen  Auffassung 
nach  eigentlich  gleichwertkig  sein  müssten,  dies  nicht  immer  sind.  Es  wird 
später,  wo  von  dem  Einfluss  der  relativen  Stellung  der  Atome  auf  die  Katmr 
der  Verbindung  die  Rede  ist  (§.  293),  gezeigt  werden,  dass  dieses  gewisser- 
massen  unsymmetrische  Verhalten  der  Glycolsäure  seine  Ursache  in  der  un- 
symmetrischen Stellung  hat,  welche  die  beiden  Wasserstoffatome  in  Bezug 
auf  den  Sauerstoff  einnehmen. 

*)  Man  wird  z.  B.  eine  Dibenzoylglycerinsäure  erhalten,  welche  selbst  noch  eine 
einbasische  Säure  ist. 

(0TH5O)a>^3- 

Ca) 


132 


Theorie. 


217.  Es  ist  an  sich  klar,   dass  die  Verbindungen  eine  um  so  grössere 

Aehnlichkeit  zeigen,  je  ähnlicher  die  in  ihnen  enthaltenen  Radicale  in 
Natur  und  in  Zusammensetzung  sind.  Dies  tritt  besonders  deutlich  her- 
vor bei  gGOizen  Reihen  organischer  Verbindungen,  deren  Radicale  die- 
selben Elemente  nur  in  verschiedenen  Verhältnissen  enthalten.  Betrach- 
tet man  z.  B.  die  homologen  Reihen  der  Alkohole  und  der  fetten 
Säuren : 


Methylalkohol  .    . 

^•K 

Ameisensäure  .     . 

«H^e 

v/Aethylalkohol  .    . 

•  ^'hI^ 

Essigsäure  .    .    . 

€j|H,0j0 

Propylalkohol  .    . 

•  ^'hI^ 

PropionBfture    .     . 

H        ( 

Butylalkohol    .     . 

«*H.je 

Buttersäure      .     . 

O^H^'O'     AV 

u.  s.  w. 

U.  8.  w. 

so  kann  man  aus  der  Zusammensetzung  schon  herleiten,  was  auch  durch 
Beobachtung  bestätigt  wird,  dass  die  verschiedenen  Glieder  einer  solchen 
Reihe  untereinander  eine  grössere  Aehnlichkeit  zeigen  werden,  als  mit 
irgend  einem  Körper  der  andern  Reihe.  Bei  sehr  nahe  liegenden,  also 
sehr  ähnlich  zusammengesetzten  Körpern  ist  die  Analogie  der  Eigenschaf- 
ten oft  so  gross,  dass  nur  mit  Mühe  Reactionen  aufgefunden  werden  kön- 
nen, durch  welche  die  Körper  sich  von  einander  unterscheiden  lassen. 
218.  Andererseits  kann   bei   sehr  starker  Verschiedenheit  der  Elemente 

oder  Radicale  die  Verschiedenheit  von  Verbindungen,  die  demselben  Typus 
zugehören,  so  gross  werden,  dass  die  Verbindungen  kaum  mehr  die  für 
den  Typus  charakteristischen  Reactionen  zeigen,  dass  sie  gewissermassen 
ihren  Typus  verläugneu  und  dass  nur  mit  Mühe  eine  Analogie  des  Ver- 
haltens aufgefunden  werden  kann.  Die  vorhin  erwähnte  Verschiedenheit 
des  Trichloranilin'ö  und  des  Anilin's  gehört  schon  hierher.  Am  deutlich- 
sten vielleicht  tritt  solche  Verschiedenheit  hervor  bei  dem  Ammoniak  und 
dem  Phosphorchlorür,  welche,  obgleich  sie  demselben  Typus  zugehören, 
in  ihren  Eigenschaften  so  stark  von  einander  abweichen,  dass  sie  ausser 
den  Verbindungsverhältnissen  kaum  etwas  gemeinsam  haben  und  dass 
sie  kaum  eine  gemeinschaftliche  Reaction  zeigen.  Indessen  geben  doch 
beide,  was  oben  als  charakteristisch  filr  den  Typus  angegeben  wurde, 
direct  Verbindungen  mit  einem  Körper  des  Wasserstoflftyps;  das  NH3  be- 
sonders leicht  mit  HCl;  das  PCI3  besonders  leicht  mit  Clj;  das  Phos- 
phorsuperchlorid und  der  Salmiak  sind  offenbar,  obgleich  in  den  Eigen- 
schaften kaum  ähnlich,  correspondirende  Verbindungen. 


Ammoniak    .    . 
Phosphorchlorür 


NH, 
PCI, 


Sabniak Jm^jCl^ 

Phosphorsuperchlorid     PCI4CI. 


EigeuBchafteii  der  chemiBchen  Yerbindiingen. 


133 


Bisweilen  hat  die  Verschiedenheit  in  der  Natur  der  Bestandtheile  219. 
einen    so   grossen  Einfluss,    dass   demselben  Typus  zugehörende   nnd 
völlig    correspondirende  Substanzen,   ganz  verschiedene   und   sogar 
entgeg^engesetzte  Reactionen  zeigen. 

Ein  solches  Verh&ltnise  findet  z.  B.  zwischen  der  Monochioressigsäure  und 
derTrichloressigsäure  Btatt^  obgleich  beide,  als  Substitutionsproducte  der  Essigsäure, 
für  analog  zusammengesetzt  gehalten  werden  müssen  und  in  vielen  Reactionen  auch 
ein  analoges  Verhalten  zeigen.  Das  monochloressigsaure  Kali  zerffiUt  nämlich  mit 
Ealihydrat  (oder  mit  Wasser)  zu  Glycolsäure  nnd  Chlorkalium,  das  trichloressig- 
saore  Kali  dagegen  liefert  kohlensaures  Kali  und  Chloroform: 


Monochloressigsaure. 

eAci^l^     4- 

Trichloressigs&ure. 
eaCl30J^       + 


O       = 


i!« 


Glycolsäure. 

Chloroform. 
eHCl, 


+ 


KCl. 


eeaKj. 


Nicht  minder  merkwürdig  ist  das   (von  Hofmann  beobachtete),   völlig  ver-  220. 
Bchiedene  Zerfallen  der  beiden,   offenbar  analog  zusammengesetzten,  Körper:   des 
Tetrftthylammoniumozydhydrats    und   des   Teträthylphosphoniumoxydhydrats,    bei 
Einwirkung  der  Hitze: 


N(ejH5)4He         = 
Teträthylammonium- 
oxydhydrat. 


N(6A), 
Triäthylamin. 


P(eA)4He 
Teträthylphosphonium- 
oxydhydrat 


=      P(eA),0 

Triäthylphos- 
phinoxyd. 


+      €A      H 

Elayl. 

Aethylwasser- 
stoff. 


Hoe 


Von  ganz  besonderem  Interesse  ist  die  von  Baeyer  beobachtete  Einwirkung  221. 
von  Schwefelwasserstoff  auf  Arsenmonom ethyldichlorid  und   auf  das   von  Wurtz 
entdeckte  Dichloräthylamin : 


Arsenmonomethyl- 
dichlorid. 
As(6H3)Cl,        + 

Dichloräthyl- 
amin. 


Arsenmonomethyl- 
sulfid. 
Haß        =        As(€H3)S        +      2HCa. 


2H,S        = 


Salzsaures 
Aethylamin. 
N(ejH5)H,Cl  + 


HCl    4-    &,. 


Dabei  geht  die  Verschiedenheit  soweit,  dass  in  dem  einen  Fall  die  eine,  im 
andern  die  andere  Seite  des  Schwefelwasserstoffmolecüls ,  im  einen  also  der 
Schwefel,  im  andern  dagegen  der  Wasserstoff  verwendet  wird.  Die  individuelle 
Verschiedenheit  der  zwei,  derselben  Gruppe  zugehörigen  Elemente:  N  und  As,  ist 
offenbar  die  Ursache  dieser  auffallenden  Verschiedenheit.  Die  Arsenik  enthaltende 
Gruppe  zeigt  wie  das  Arsenik  selbst  eine  besondere  Neigung  zur  Bildung  eines 
Sulfids,  während  bei  der  Stickstoff  enthaltenden  Verbindung  die  Vorliebe,   mit  wel- 


134  Theorie. 

eher  der  Stickstoff  Ammoniak  erzengt,  zur  Bildung  einer  dem  Salmiak  entsprechen- 
den Verbindung  Veranlassung  gibt 


Die  chemischen  Metamorphosen.  —  Verbindung  und 

Zersetzung. 

222.  Wenn  rerschieden  zusammeDgesetzte  Molecüle  zusammengebracht 
oder  auch,  wenn  gleichartige  Molecüle  in  veränderte  Verhältnisse  ge- 
bracht werden,  so  treten  häufig  Veränderungen  ein,  deren  Resultat  darin 
besteht,  dass  die  Molecüle  nach  denselben  anders  zusammengesetzt 
sind  wie  vorher.  Solche  Veränderungen  bezeichnet  man  im  Allgemeinen 
als  chemische  Metamorphosen,  ab  Verbindung  oder  Zer- 
setzung. 

Betrachtet  man  nun  diese  Metamorphosen,  indem  man  sich  eine 
Vorstellung  von  dem  dabei  stattfindenden  Vorgang  zu  machen  sucht,  so 
findet  man,  dass  sie  zunächst  unter  die  folgenden  Gesichtspunkte  zusam- 
mengefasst  werden  können. 

223.  Direote  Addition  mehrer  Molecüle  zu  einem  findet  bisweilen, 
aber  doch  in  verhältnissmässig  seltenen  Fällen  statt 

So  addirt  sich  z.  B.  1  Mol.  Ammoniak  direct  zu  1  Mol.  Salzsäure  und  bildet 
1  Mol.  Salmiak;  ebenso  addirt  sich  1  Mol.  Püosphorchlorür  direct  zu  1  Mol.  Chlor 
und  erzeugt  1  Mol.  Phosphorsuperchlorid;  in  derselben  Weise  addirt  sich  1  Mol. 
Triäthylamin  direct  zu  1  Mol.  Jodäthyl  und  gibt  Teträthylammoniun\jodid.  Nahezu 
alle  dem  Typus  NE,  zugehörenden  Körper  geben  mit  irgend  einem  Körper,  der 
dem  Typus  H,  zugehört,  solche  directe  Additionen,  die  desshalb  (vgl.  §.  208)  für 
die  am  meisten  charakteristische  Reaction  dieses  Typus  angesehen  werden  können. 

In  ganz  ähnlicher  Weise  addirt  sich  Kohlenoxyd  direct  zu  Chlor  und  erzeugt 
Phosgengas  (=  Carbonylchlorid) ;  und  ebenso  schweflige  Säure  zu  Chlor  und  lie- 
fert Chlorschwefelsäure  (Sulfurylchlorid).  Ebenso  verhalten  sich  einige  Kohlen- 
wasserstoffe z.  B.  das  Aethylen  und  seine  Homologen  und  einige  andere. 

1  Molecül    4-  1  Molectil  =  1  Molecül. 

Kohlenoxyd  €0     +         Clj  =  60Cla     Phosgen. 

Schweflige  Säure  S03    +  Cl^  =  GOa^la  Chlorschwefelsänre. 

Aethylen  ^aH^  +  Qj  =  ^aH4Cla  Elaylchlorid. 

Butylen  ßfi^  +         Clj  =        e^HgCla  Butylenchlorid. 

Für  die  dem  Typus  Ammoniak  zugehörigen  Körper  und  ftlr  die  iso- 
lirten  zweiatomigen  Radicale  sind  solche  directe  Additionen  regelmässig 
vorkommende  und  sogar  charakteristische  Reactionen ;  sie  kommen  indess 
auch  bei  anderen  Körpern,  wenn  gleich  seltener  vor. 

224.  Mit  diesen  directen  Additionen,  bei  welchen  durch  Aneinanderlage- 
rung  zweier  chemischer  Molecüle  ein  neues  chemisches  Molecül 
erzeugt  wird,  sind  diejenigen  Aneinanderlagerungen  nicht  zu  verwechseln, 


Chemische  Metamorphosen.  135 

bei    welchen    mehrere  chemische  Molecüle   sich   zu   einem  Krystall- 
molecül  vereinigen*). 

Vereinigungen  der  Art  kommen  ausnehmend  häufig  vor.  Z.  B.  bei 
den  mit  KrystaJlwasser  krystallisirenden  Salzen,  bei  einer  grossen  Anzahl 
von  Doppelsalzen,  bei  vielen  basischen  Salzen  und  bei  den  s.  g.  über- 
saoren  Salzen  ♦•). 

Bei  der  bei  weitem  grössten  Anzahl  der  chemischen  Metamorphosen  226. 
kann  man  sich   eine  Vorstellung   von  dem  Vorgang  während  derselben 
bilden,  welche  eine  gewisse  Rechenschaft  von  der  Ursache  der  Verände- 
rung gibt    Man  kann  nämlich  annehmen:  dass  eine  Umlagerung  der 
Atome  (und  resp.  Radicale)  stattfindet. 

Dabei  wird  bisweilen,  ähnlich  wie  bei  den  directen  Additionen  die  226. 
Anzahl  der  MolecOle  vermindert  und  man  könnte  daher,  bei  oberfläch- 
licher Betrachtung,   diese  Art  der  Verbindung  für  eine  directe  Addi- 
tion halten. 


*}  Es  ist  froher  (§.  161)  schon  darauf  aufrnerksam  gemacht  worden,  dass  das 
Erystallmolecül  der  Idee  nach  eine  vom  chemischen  Holeclil  völlig  verschie- 
dene Grösse  ist  und  dass  möglicherweise  eine  grössere  Anzahl  von  chemi- 
schen Molecülen  erst  die  Massentheilchen  bilden,  durch  deren,  nach  bestimm- 
ten Gesetzen  erfolgende,  Aneinanderlagerung  die  Erystalle  entstehen.  Es 
mnss  jetzt  zugefügt  werden,  dass,  nach  dem  jetzigen  Stand  der  Wissenschaft, 
eine  solche  Aneinanderlagerung  der  chemischen  MoleciQe  zu  Krystallmolectl- 
len,  wenn  nicht  allgemein,  so  doch  jedenfalls  häufig  stattzufinden  scheint. 

Man  kennt  bis  jetzt  durchaus  keine  Anhaltspimkte  zur  Bestimmung  der 
relativen  Grösse  der  Erytallmolecüle.  Wenn  man  also  krystallisirte  Salze  etc. 
in  Formeln  darstellt,  so  bezeichnen  diese  Formeln  nicht  die  Molecüle,  es  sind 
vielmehr  nur  Verhältnissformeln.  Desshalb  ist  es  auch  zulässig, 
und  weder  mit  der  atomistischen  Theorie,  noch  mit  den  Ansichten  über  die 
Molecüle  etc.  im  Widerspruch,  die  Formeln  krystaUisirter  Salze  so  zu  schrei- 
ben, dass  halbe  Molecüle  oder  dass  Bruchtheile  von  Atomen  darin  vorkom- 
men.   Z.  B. 

Essigsaures  Kupferoxyd  =  Bfi^Cu.^^  +  Va  HaO. 

Essigsaures  Bleiozyd       =  OaEsPhO,  +  ^Va  B^O. 

**)  Unter  üb  er  sauren  Salzen  verstehen  wir  die  Salze,  welche  als  eine  An- 
einanderlagerung von  einem  Molecül  Säurehydrat  zu  einem  Molecül  des  neu- 
tralen oder  sauren  Salzes  betrachtet  werden  können.    Z.  B.: 


Uebersaures  oder  s.  g.   6aH,0>^  _i_  ri  -a  n 
saures  essigsaures  Kali  Kf^  "T"  ^i^a^i- 

Uebersaurer  oder  s.   g.    ^jB^O» 
saurer  milchsaurer  K^k  B  >  O3  -f-  O^B,^,. 

Ca^ 

Uebersaures  oder  s.  g.      ^2^2  i 
vierfach  sam*e8  ozaLsau-  hIo^  4-  ^sB^O«. 

res  Kali  E' 


136  Theorie. 

Wenn  z.  B.  Schwefelsttnreanhydrid  auf  Wasser  einwirkt,  so  entsteht  Schwe- 
felsflurehydrat: 

Vor  der  Einwirkung.      Nach  derselben.  In  Typen. 


e  ffie        Se. 


Die  Metamorphose  kann  anfgefasst  werden ,  als  habe  das  zweiatomige  Ra- 

dical  SOa  seine  Lage  in  der  Weise  geändert,  dass  es,  während  es  vorher  zwei 
Atome  Wasserstoff  ersetzte,  die  einem  Molectil  Wasser  angehörten,  jetzt  an  die 
Stelle  von  zwei  Atomen  Wasserstoff  getreten  ist,  welche  zwei  verschiedenen  Wasser- 
molectüen  zugehören.  Die  beiden  Holecüle  ($02.0  und  H20)  werden  so  au 
einem  untheilbaren  Ganzen,  zu  einem  Molecül  vereinigt. 

Dieselbe  Art  von  Reaction  findet  z.  B.  statt,  wenn  aus  Glycolid  (=  ^^2^2) 
durch  Aufnahme  von  Wasser  Glycolsäure  (=  ^2^4^i)]  ^^^  Lactid  (=  0^0 j) 
durch  Aufnahme  von  Wasser  Milchsäure  (=:  03H903)  wird;  wenn  Bemsteinsäure- 
anhydrid  (=  04H403)  mit  Wasser  Bemsteinsäurehydrat  (=  04H^0a)  erzeugt;  oder 
wenn  Schwefelkohlenstoff  (=  0S2)  ^^  Schwefelkalium  (=  E2&)  sulfocarbonsaures 
Kali  (0S3K2)  bildet;  oder  wenn  aus  Schwefelsäureanhydrid  und  Methyläther 
(=  02H30}  Schwefelsäuremethyläther  entsteht  u.  s.  w. 

Z.B.: 

vor:  nach:  vor:  nach: 

02**3'^ « 0  0,        J0  04H402.0  «  J0. 

h|^  Er- 

▼or:  nach:  vor:  nach: 

Dieselbe  Art  von  Metamorphosen  findet  auch  statt  bei  der  Bildung  von  Harn- 
stoff aus  Cyansäure  und  Ammoniak ;  bei  Bildung  von  Sulfobenzol säure  aus  Benzol 
und  Schwefelsäureanhydrid: 

Cyansäure  und  Harnstoff.  Benzol  und  Sulfobenzol- 

Ammoniak.  Schwefelsäure.  säure. 


(«, 


^)4ft                     N  H                          H  ^ 

__?Y  '   "  ""w ötr2 

N  H  N{H 

und  ebenso  bei  der  Bildung  der  SulfosaUcylsäure ,  die  der  Entstehung  des  Nord- 
h&aser  Vitriolöls  völlig  analog  ist: 


Chemische  Metamorphosen. 


13T 


Sehwefels&iiTehydrat 
und  wasserfireie  Schwe- 
felsäure. 

?\« 


Nordhftuser 
Vitriolöl. 


Salicylsfiure  und 
wasserfreie  Schwe- 
felsäure. 


Hl 


nh 


}< 


&0'j»'w 


SnlfosaUcyl- 
säore. 

HJ^- 


Das  Umgekehrte  iäieeer  Art  von  Verbindung  findet  bei  manchen  227. 
Zersetzungen  statt.    Durch  Umlagerung  eines  zweiatomigen  Radicedes 
wird    eine   vorher  untheilbare  Atomgruppe  theilbar  und  zerfällt  in  zwei 
Holecüle,  so  dass  also  die  Anzahl  der  Molecüle  sich  vermehrt. 

Hierher  gehört  z.  B.  das  von  Marignac  beobachtete  Zerfallen  des  Schwefel- 
sänrehydrats  in  Wasser  nnd  Schwefelsäureanhydrid  und  ebenso  die  öfter  bei  zwei- 
basischen organischen  Säuren  vorkommende  Bildung  von  Anhydrid  und  Wasser, 
»-  B.: 


Wasserfreie  Schwefel- 
säure und  Wasser. 

n 


iH' 


Bemsteinsänre- 
hydrat 


Wasserfreie  Bemstein- 
säure  und  Wasser. 


Schwelsäure- 
hydrat 

In  derselben  Wdse  erfolgt  auch  das  Zerfallen  des  Nordhäuser  Vitriolöls  in 
der  Bitze  und  das  Zerfallen  des  Sucdnamid's  in  Succinimid  und  Ammoniak  u.  a. : 


§«■ 


Nordhänser 
VitriolöL 


-    1^ 
4^ 


Wasserfreie  Schwefelsäure 
und  Schwefelsäurehydrat 


Succinamid. 


Ammoniak  und 
Succinimid. 


SO2 


H 
H 


h)^ 


hJn        eÄejfu 


Weit  häufiger  als  die  beiden  ebenbesprochenen  Metamorphosen,  bei  228. 
welchen  also  die  Umlagerung  der  Atome  so  erfolgt,  dass  zwei  Molecüle 
eich  zu  einem  verbinden  oder  dass  sich  ein  Molecül  in  mehrere  spaltet,  sind 
die  Metamorphosen,  bei  welchen  da«  eine  Molecül  einen  Theil  seiner  Be- 
standtheile  gegen  einen  Theil  der  Bestandtheile  eines  anderen  Molecüls 
austauscht  Man  nennt  diese  Art  von  Veränderung:  „wechselseitige 
Zersetzung  oder  doppelten  Au.stausch.^^ 

Wenn  z.  B.  durch  Einwirkung  von  Salzsäure  auf  salpetersaures  Silberoxyd, 
Chlorsilber  und  Salpetersäurehydrat  entsteht,  so  kann  diese  Metamorphose  aufge- 
ÜMst  werden,  als  habe  die  Salzsäure  ihren  Wasserstoff  ausgetauscht  gegen  das  Sil- 
ber des  salpetersauren  Silberoxyds: 

N^./ 


138 


Theorie. 


229.  Dass  dabei  stets  äquivalente  Mengen  gegeneinander  ausgetauscht 
werden ,  bedarf  kaum  der  besonderen  Erwähnung. 

Ein  mehratomiges  Element  oder  Radical  wird  also  ausgetauscht 
gegen  ein  anderes  einatomiges  Element  oder  Radical. 

Ein  Atom  eines  zweiatomigen  Elementes  oder  Radicals  gegen 
zwei  Atome  eines  einatomigen. 

Ein  Atom  eines  dreiatomigen  gegen  drei  Atome  eines  ein- 
atomigen Elementes  oder  Radicals,  etc. 

230.  Ebenso  ist  es  nach  den  früheren  Betrachtungen  selbstverständlich,  dass, 
immer  wenn  an  die  Stelle  eines  mehratomigen  Radicals  mehrere  einatomige 
treten,  eine  Spaltung  in  mehrere  Molecüle  stattfindet  und  dass  umgekehrt 
mehrere  Molecüle  zu  einem  untheilbaren  Ganzen  vereinigt  werden  können, 
wenn  ein  mehratomiges  Element  oder  Radical  an  die  Stelle  mehrerer  ein- 
atomigen tritt,  welche  verschiedenen  vorher  getrennten  Molecülen  ange- 
hören. 

Die  folgenden  Beispiele  werden  das  ebengesagte  deutlicher  machen.  Sie  zei- 
gen zugleich,  dass  die  Betrachtung  solcher  Metamorphosen,  die  als  doppelter  Aus- 
tausch aufgefasst  werden  können,  deutlich  erkennen  lässt,  ob  ein  Radical  einbasisch, 
zweibasisch  oder  dreibasisch  (oder  atomig)  ist,  d.  h.  ob  es  einem,  zwei  oder  drei 
Atomen  Wasserstoff  äquivalent  ist. 

Austausch  eines  einatomigen  Radicals  gegen  ein  anderes  ein- 
atomiges: 


ci(cr 


Chlor. 


■\.  r 


H]H       =       Cl  H       4-       a  H 
Wasserstoff.  Salzsäure.  Salzsäure. 


3. 


a(F 


-X  r 


"^eaH5=        Cl  Zn       +       H.e^ 


Salzsäure. 

Zinkäthyl. 

Chlorzink. 

ci.e,H,e  + 

Benzoyl- 
Chlorid. 

Cl.K        + 
Chlorkalium. 

Aethylwasser- 
stoff. 

Chlor. 

Bittermandelöl. 

Salzsäure. 

cifa 

Chlor. 

H 
Kalihydrat 

Unterchlorige 
Säure. 

Cl(T 


Salzsäure. 


NO, 


Zfj 


e    = 


Salpetersauree 
Silberoxyd. 


ClAg     4-       ^%^ 
Chlorailber.  Salpetersäure. 


6. 


7. 


ChemiBche  Metamorphosen.  139 

Salzs&ure.  Alkohol.  Aethyl-  Wasser. 

Chlorid. 

cif^Ü^oTx^        Hjj^   =      CIH      +      ^Agje 


8. 


10. 


Acetylchlorid. 

-~-^J0    =        CIK      + 

^€Si^ 

ci[eA    ,\^ 

Aethylchlorid. 

Chlorkalium. 

Essigäther. 

J(«A    ;\L 

5^   N    =       JH       4- 

H  ' 

1!" 

Aethyljodid. 

Ammoniak.          Jodwasser- 
stoffsäure. 

Aethylamin. 

H   ^  ^^ 

Acetylchlorid.  Ammoniak.  Salzsäure.  Acetamid. 


^    H  ^2^5 

Wasser.  Essigäther.  Essigsäure.  Alkohol. 


12.       ^jdZI^NlH^ElU    =      ej|A«   +    «AJje 

'  H  'GjHjO'    ' 

Wasser.  Essigsäure-  Essigsäure.  Essigsäure, 

anhydrid. 


Wasser.  Acetamid.  Essigsäure.  Ammoniak. 

Essigäther.  Ammoniak.  Alkohol.  Acetamid. 


140 


Theorie. 


Austausch  eines  zweiatomigen  Radicals  gegen  zwei  einato- 


mige: 


16. 


Hj 


Wasser. 


7s  r 


"ci7)a»p  = 


H  o 


+  ea,p 


Phosphor- 
superchlorid. 


H  Cl 

Salzs&ure.        Phosphor- 
ozy  Chlorid. 


16.      ^^^^\  f^       >v<^     cina^P    =  ^&^  +  ^cijP 


Alkohol. 


Phosphor-  Aethylchlorid       Phosphor- 

superchlorid.        4*  Sslzsäure.       oxychlorid. 


17. 


eil 

Cl( 


H 


H   i 


I«  _ 


Sulfürylchlorid. 


H 

Wasser. 


CIH 
Cl 


Salzsäure.     Schwefelsäure. 


la 


ä( 


eaHaO 


^aH^ 


Elayljodid. 


J  V 


f8 

EesigsanreB 
Silberoxyd. 


11  =     Lii 


Jodsilber. 


äure- 
Glycol. 


19. 


§iEj 


Carbonyl- 
chlorid. 


CIH     ,    ee 


Cl  H 


Salzsäure. 


Carbamid 
(Harnstoff). 


20. 


Benzol. 


ÖOa 


^  =  tfi^'  +  S[^ 


Wasserfreie 
Schwefelsäure. 


Sulfobenzid. 


S! 

Wasser. 


Austausch    eines    dreiatomigen    Radicals    gegen    drei   einato> 
mige: 


21. 


CI3. 


PO 


-X  r 

J      "x 


He 

He    =       3C1H    -«-  P^« 

He 


+  ^j«. 


Phosphoroxy- 
chlorid. 


3  Mol.  Wasser.        Salzsäarc.     Phosphorsäure. 


ChemiBche  Metamorphosen. 


141 


22. 


Cl,. 


Phosphor- 
chlorür. 


J  V 


H0 

He    =       3C1H    + 

H^ 


8  Mol.  Wasser.        Salzsäure. 


Phosphorige 
Sfiure. 


28. 


Cl, 


Phosphor- 
chlorür. 


r 


6H, 
H. 


8  Mol.  Methyl-         Methylchlo-       Methylphos- 
alkohol.  rid  u.  Salz-  phorige 

sftore.  Säure. 


24. 


Essigsaures 
Silberoxyd. 


Brom- 
süber. 


Triacetin. 


Wenn  man  die  einzelnen  Beispiele  Überblickt,  so  findet  man,  dass  häufig  die  231. 
bei  der  Reacüon  entstehenden  Producte  gleichartig  sind;  so  entsteht  z.  B.  (Nr.  1.) 
bei  Einwirkung  von  Chlor  auf  Wasserstoff  nur  Salzsäure;  bei  Einwirkung  von 
Wasser  auf  Essigsäureanhydrid  nur  Essigsäurehydrat  (Nr.  12.).  Man  könnte  ver- 
sucht öein,  diese  Reactionen  als  directe  Additionen  au&ufassen  (z.  B.:  Cl  -4-  H  =z 
HCl),  aber  die  Analogie  mit  anderen  Metamorphosen  und  eine  Anzahl  der  früher 
gegebenen  Argumente  *)  sprechen  dafür,  dass  sie  ebenfalls  doppelter  Austausch  sind. 

In  ähnlicher  Weise  wirken  oft  zwei  gleichartige  Molecüle  aufeinander  ein  282. 
und  geben  neue  Producte,  indem  sie  einen  Theil  ihrer  Bestandtheile  austauschen. 
So  entsteht  z.  B.  aus  Salzsäure  durch  die  zersetzende  Einvidrkung  des  galvanischen 
Stroms  Chlor  und  Wasserstoff,  ebenso  gibt  das  Wasser  bei  der  Elektrolyse  Sauer- 
stoff und  Wassei-stoff;  das  Cyanquecksilber  zerfällt  beim  Erhitzen  zu  Quecksilber 
und  Cyan,  das  Quecksilberoxyd  zu  Quecksilber  und  Sauerstoff. 


g[QI  X    r  HJCl        gibt        HH        +        ClCl 

HgfeN        jX^        Hg](€N)      „        HgHg      +       (6N)(9N) 

HgHg 


iäftO 


\ 


Sjd 


-X  r 


i)t< 


HgHg 


HH 


+     ee 


oo. 


•)  vgl.  SS.  167,  168. 


142  Theorie. 

Solche  Zersetzungen,  die  als  directes  Zerfallen  betrachtet  werden  könn- 
ten (z.  B.:  Hg(€N)  =  Hg  4-  "BN),  müssen  ebenfalls,  allen  Analogieen  nach,  als 
doppelter  Austausch  aufgefasst  werden  und  erscheinen  also  der  bei  weitem 
grössten  Anzahl  chemischer  Metamorphosen  vollständig  analog. 

288.  Es  lässt  sich  nicht  läugnen,    dass  diese  Aufifassung  der  chemischen 

Metamorphosen  (doppelter  Austausch),  welche  auf  bei  weitem  die  Mehr- 
zahl der  genauer  erforschten  Fälle  anwendbar  ist,  eine  verhältnissmässig 
klare  Vorstellung  von  diesen  Metamorphosen  gibt.  Sie  drückt  wenigstens 
die  Beziehungen,  in  welchen  die  nach  der  Einwirkung  vorhandenen  Mo- 
lecüle  zu  den  vor  derselben  dagewesenen  stehen,  in  möglichst  einfacher 
Weise  aus.  Sie  ist  aber  zunächst,  auf  die  oben  (§.  223)  erwähnten  di- 
recten  Additionen  und  ausserdem  auf  eine  Anzahl  anderer  Metamorphosen 
(§.  236J  nicht  (oder  nur  höchst  gezwungen)  anwendbar;  sie  gibt  femer 
nicht  eigentlich  eine  Vorstellung  von  dem,  was  während  der  Reaction 
vorgeht,  könnte  vielmehr,  namentlich  bei  den  gebräuchlichen  Ausdrücken : 
ein  Radical  tritt  aus,  wird  ersetzt  etc.,  leicht  zu  der  offenbar  irrigen  An- 
sicht. Veranlassung  geben,  als  existirten  die  Atome  und  Radicale  während 
des  Austausches,  während  sie  gewissermassen  unterwegs  sind,  in  freiem 
Zustand.  —  Die  einfachste  und  für  alle  Fälle  anwendbare  Vorstellung 
von  dem  Vorgang  bei  chemischen  Metamorphosen  ist  die  folgende. 

284.  Wenn  zwei  Molecüle  aufeinander  einwirken,   so  ziehen  sie  sich  zu- 

nächst, vermöge  der  Affinität,  an  und  lagern  sich  an  einander;  das  Ver- 
hältniss  zwischen  den  Affinitäten  der  einzelnen  Atome  veranlasst  dann 
häufig,  dass  Atome  in  engsten  Zusammenhang  kommen,  die  vorher  ver- 
schiedenen Molecülen  angehört  hatten.  Desshalb  zerfällt  die  Atomgruppe, 
welche,  nach  einer  Richtung  getheilt,  sich  aneinander  gelagert  hatte,  so, 
dass  jetzt  Theilung  nach  anderer  Richtung  stattfindet  *).    Z.  B. : 


*)  Man  kann  sich  vorstellen,  dass  dabei  während  der  Annäherung  der  Holecülc 
aa'  und  bb'  schon  der  Zusammenhang  der  einzelnen  Atome  in  denselben 
geschwächt  wird,  weil  ein  Theil  der  Verwandtschaftskraft  durch  die  Atome 
des  andern  Molecüls  gebunden  wird.  Während  also  der  Zusammenhang  der 
Atome  a  und  a',  b  und  b'  fortwährend  gelockert  wird ,  nimmt  der  der  Atome 
a  und  b  und  a'  und  b'  fortwährend  zu,  bis  endlich  die  vorher  vereinigten 
Atome  ganz  ihren  Zusammenhang  verlieren  und  die  neu  gebildeten  Molecüle 
sich  loslösen. 

Diese  Auffassung  gibt  dann  auch  eine  verhältnissmässig  einfache  Er- 
klärung von  Massenwirkung  und  von  katalytischer  Wirkung.  Gerade  so 
nämlich  wie  ein  Molecül  eines  Stoffes  auf  ein  Molecül  eines  andern  ein- 
wirkt, so  wirken  auch  alle  andern  in  der  Nähe  befindlichen*,  sie  lockern 
den  Zusammenhang  der  Atome.  Die  Thätigkeit  des  einen  Molecüls  erleich- 
tert so  dem  andern  die  Arbeit-,  das  nächstliegende  wirkt  am  stärksten  und 
erleidet  mit  dem  stofflich  verschiedenen  wechselseitige  Zersetzung.  Die  ent- 
fernter liegenden  sind  ihm  dabei  behülflich;  sie  erleiden,  während  sie  den 
Zusammenhang  der  Atome  im  anderen  Molecül  lockern,   selbst  die  gleiche 


Chemlflche  Metamorphosen, 
vor  der  Zersetzung  während 


143 


:t    8i 


nach  der  Zersetzung 


Vergleicht  man   dabei  d«l8  Product  mit  dem  angewandten  Material, 
so  kann  die  Zersetzung  aufgefasst  werden  als  wechselseitiger  Austausch: 


'G 


a  a- 


bjb^        gibt 


ab 


a'b'. 


Alle  die  Metamorphosen ,  welche  vorhin  ($.  228  ff.)   als  doppelter  286. 
Austausch  betrachtet  wurden,  können  in  dieser  Weise  aufgefasst  werden, 
mögen   die  auf  einander  einwirkenden  Holecüle  zwei  oder  noch  so  viel 
Atome  enthalten. 


Z.  B.: 

Bildung  von  Salzsäure 

aus  Wasserstoff  und 

Chlor. 


Zerfallen  des  Cyan- 
quecksilbers. 


Hg    Hg 


Einwirkung  von  Salzsäure 
auf  Zinkäthyl. 

Gl    Zn 


H    e,H,. 


Salzsäure  auf  salpeter- 
saures Silberozyd. 

H      Ne- 


Gl 


1Z2-  / 
Ag|i< 


Ghloracetyl  auf 
Wasser. 


PaHaO   H 
Gl   H 


]\' 


Ghloracetyl  auf 
Ammoniak. 

H 

eaH>^  H 

Gl  H 


N. 


Bildung  von 
Wasser. 

H    0    H 
HÖH 


Wasser  auf  Phosphor- 
superchlorid. 

H      Gll 


H 


Gl 


Gl, 


Wasser  auf  Phosphor- 
ozy  Chlorid. 

P0      H, 

Gl,     H,  ll^r 


f 


Veränderung;  sobald  aber  die  Zersetzung  stattgefunden  hat,  gewinnen  sie 
ihren  früheren  Zusammenhang  wieder.  Massenwirkung  und  Katalyse  unter- 
scheiden sich  dieser  Auffassung  nach  nur  dadurch  von  einander,  dass  bei 
Massenwirkimg  das  katalytisch  wirkende  Holecül  gleichartig  mit  einem  der 
sich  zersetzenden  Molecüle,  bei  Katalyse  dagegen  stofflich  verschieden  von 
beiden  ist.  — 


144 


Theorie. 


Aber  auch  eine  Anzahl  anderer  Metamorphosen,  welche  nicht  wohl 
als  doppelter  Austausch  angesehen  werden  können  *) ,  lassen  dieselbe 
Auffassung  zu  und  erscheinen  also  allen  übrigen  Metamorphosen  yollstän- 
dig  analog.    Z.  B.  die  folgenden: 

Essigsaures  Kali    4*    Kalihydrat    gibt    Sumpfgas  und  kohlensaures  Kali. 


K 

^jo 

0H,.H 

+    !!«■ 

Trichloressigsaures 

Kali.    Kalihydrat.     „ 

Chloroform. 

„  Kohlensaures  Kali. 

eci, 

K 

K'je 

0C1,H 

+  tt*' 

Chloral. 

Kalihydrat     „ 

Chloroform. 

„     Ameisensaures  Kall. 

0C1, 

0        0 
H 

Hl 
K   j^ 

0CI3H 

+     ^«|}e. 

Chloral. 

Salpetersäure.     „ 

Clilorpikrin. 

„     Ameisensäure. 

0CI3 
0        0 
H 

H     1^ 

0Cl3(N02) 

+  «"?}«■ 

Ameisensaurer 

Essigsaurer     „ 

Aldehyd. 

„        Kohlensaurer 

Kalk. 

Kalk. 

Kalk. 

H 

0         00 
Ca 

02H,0   j 

Ca    \^ 

021130 

Ca,^ 

Essigsaurer 

Valeriansaurer     „ 

Intermediäres 

„      KohleuBaurer 

Kalk. 

Kalk. 

Aceton. 

Kalk. 

0  H, 

0         00 
Ca 

0,H.0  1 
Ca      ^ 

W 

Caji 

Essigsaturer 

Essigsaurer     „ 

Aceton. 

„      Kohlensaurer 

Kalk. 

Kalk. 

Kalk. 

0H3 

0          00 
Ca 

0aH30  K 
Ca'jO 

"■aa 

•)  Es  sei  denn,  dass  man  die  Gruppen:  H0  (Wasserstoffsuperoxyd)  und  K0 
(Kaliumhyperozyd)  als  Radicale,  und  zwar  als  des  doppelten  Austausches 
fähige  Radicale,  ansehen  will;  eine  Ansicht,  die  von  Laurent  öfters  ironisch 
vorgeschlagen  und  als  einfache  Consequenz  empfohlen  wurde  *,  aber,  in  diesem 
Sinne  wenigstens,  niemals  Beifall  fand. 


Chemische  Metamorphosen.  145 

Sind  bei  solchen  Metamorphosen  die  aufeinander  einwirkenden  Mo-  287. 
lecflle  complicirter  zusammengesetzt,  so  ist  es  möglich,  dass  sie  nach  der 
Aneinanderlagerung  zum  Theil  an  einer,  zum  Theil  an  anderer  Stelle  sich 
spalten.  Auf  solche  Weise  entstehen  wohl  verschiedene  Substanzen  als 
Producte  gleichzeitiger  R^acdonen  und  man  iat  nicht  gerade  zu  der  An- 
nahme genöthigt,  alle  Molecüle  zerfielen  anfonglich  in  derselben  Weise 
und  es  entstünden  nur  durch  Einwirkung  der  anfangs  erzeugten  Producte, 
also  durch  secundäre  Einwirkung,  noch  von  den  Hauptproducten  ver- 
sehiedene  Nebenproducte. 

In  bei  weitem  der  Mehrzahl  solcher  Reactionen  wird  die  Kraft,  2B8. 
welche  die  Ann&herung  der  Molecttle  veranlasste,  auch  die  Zersetzung 
der  anfangs  gebildeten  Aneinanderlagerung  hervorbringen.  Es  ist  indess 
denkbar,  und  es  kommen  Fälle  der  Art  vor,  dass  die  Affinität  von  a  und 
a'  zu  b  und  b'  zwar  die  Aneinanderlagerung  der  beiden  Molecüle,  inner- 
halb derselben  Bedingungen  aber  nicht  das  Zerfallen  zu  zwei  neuen  Mo- 
lecfllen  veranlasst,  weil  sie  nicht  hinreicht  um  den  Zusammenhang  der 
ursprünglich  verbundenen  Atome  völlig  aufzuheben.  Solche  Fälle,  bei  wel- 
chen also  das  Zwischenstadium  festgehalten,  die  Zersetzung  aber  durch 
Yer&nderung  der  Bedingungen  doch  zu  Ende  geführt  werden  kann,  sind 
fbr  das  Verst&ndniss  des  Vorgangs  bei  chemischen  Metamorphosen  von 
besonderem  Interesse. 

Wenn  z.  B.  Chlorzink  auf  Alkohol  einwirkt,  so  entsteht  eine  krystallisirte  Ver- 
bindung, welche  als  directe  Addition,  als  Aneinanderlagerung  von  1  Molecüi  Chlor- 
link  und  1  Molecüi  Alkohol  betrachtet  werden  muss:  62H«'0'  -{-  ZnCl;  erwärmt 
man  diese  Verbindung,  so  tritt  die  Zersetzung  ein,  die  in  den  meisten  FäUen  direct 

erfolgt;  es  entsteht:  Chloräthyl  ^aH^Cl  und  Zinkoxydhydrat:   ^^i^. 
vor :  während :  nach : 

ai      eAu         ci  ejEft»  ci.eA 

ZnJ  KT  „+    „  (^  Zn    H0. 

Zn       H  > 

Nahezu  alle  firüher  besprochene  additionelle  Verbindungen  (§.  228)  sind 
solche  Aneinanderlagerungen  zweier  Molecüle,  bei  welchen  innerhalb  der  gerade 
stattfindenden  Bedingungen  das  zufällige  Verhfiltniss  zwischen  der  Anziehung  der 
Atome  die  Zersetzung  nicht  bis  zur  VoUendimg,  sondern  nur  bis  zu  der  dem  Zer- 
fallen vorausgehenden  Aneinanderlagerung  der  Molecüle  gehen  lässt. 

Dass  dies  auch  bei  den  additioneilen  aus  dem  Typna  NH,  entstehenden  und 
mit  dem  Salmiak  vergleichbaren  Verbindungen  der  Fall  ist,  zeigt  am  deutlichsten 
das  merkwürdige  Verhalten,  welches  Baeyer  in  neuester  Zeit  bei  den  Arsenmetbyl- 
verbindungen  beobachtet  hat. 

Das  Eakodylchlorid  =  As  {^2^9)2^^  (^1^®  dem  Typus  NH3  zügehörige  Sub- 
stanz) addirt  sich  direct  zu  CI3,  indem  es  Eakodyltrichlorid  liefert,  einen  Körper, 
der  dem  T3rpu8  NH,  -f~  ^^  zugehört.  Bei  geringer  Erhöhung  der  Temperatur 
zerfWt  diese  krystallisirte  Verbindung  zu  Methylchlorid  =  6H3CI  und  zu  Arsen- 
monomethylbi Chlorid  :=  AsCOH^JCla,  einem  Körper,  welcher  wieder  dem  Typus 
XH,  zugehört.    Lftsst  man  bei  dieser  Einwirkung  das  als  Zwischenglied  der  Reao* 

Kekal^,  orgau.  Chenie.  \Q 


146  Theorie. 

tlon  erzeugte  Eakodyltrichlorid  unberücksichtigt,  so  könnte  die  Reaction  aufgefasst 
werden  als  doppelter  Austausch. 

[eHa      j^v^  ^^]  Cl        gibt        As  I  Cl  *    +      OH, .  Cl. 

Cl 

Aber  die  Bildung  des  krystallisirten  Zwischengliedes,  welches  in  diesem 
Falle  noch  verhältnissmässig  leicht  festgehalten  werden  kann,  zeigt  deutlich,  daes 
dem  s.  g.  doppelten  Austausch  eine  directe  Addition  vorausging. —  Lftsat 
man  auf  das  Arsenmonomethylbichlorid  von  neuem  Chlor  einwirken,  so  entweicht 
wiederum  Methylchlorid  und  es  entsteht  Chlorarsen,  so  dass  die  Zersetzung  als 
doppelter  Austausch  erscheint : 


^r^I       >^^^  SnCl  iCl 

^«    ci^  ^ ^^*      ^'icl      "*"      ^^'^^' 

(  a 

Es  bedarf  diesmal ^der  Anwendung  eines  Kältegemisches,  um  sich  davon  zu 
überzeugen,  dass  dieser  s.  g.  doppelte  Austausch  nichts  anderes  ist  als  das  Zer- 
fallen einer  vorher  gebildeten  additionellen  Verbindung,  bei  welcher  nur  das  Zer- 
fallen mit  ausnehmender  Leichtigkeit  und  schon  unter  dem  Gefrierpunkt  des  Was- 
sers stattfindet. 


R  a  d  1  c  a  1  e. 

239.  Nach  diesen  Betrachtungen  über  den  Vorgang  bei  chemischen  Me- 
tamorphosen ist  es  möglich,  den  Begriff  der  Radicale  in  bestimmterer 
Weise  aufzufassen. 

Wir  nennen  Radical  den  bei  einer  bestimmten  Zersetzung 
gerade  unangegri f f e n e n  Rest.  Wir  reserviren  aber  dabei  gewöhnlich 
den  Namen  Radical  ganz  besonders  Air  die  Reste,  bei  welchen  wir  nicht 
bei  allzu  einfachen  und  zu  häufig  vorkommenden  Metamorphosen  ein 
weiteres  Zerfallen  beobachten. 

Die  Radicale  sind  also  nicht  etw^a  in  den  bestehenden  Verbindungen 
enthaltene  in  sich  fester  zusammenhängende  Atomgruppen,  vielmehr  nur 
Reste,  die  bei  gewissen  Reactionen  unangegriffen  bleiben,  die  aber  dess- 
halb  nicht  an  sich  unveränderlich  sind,  vielmehr  bei  anderen  Metamor- 
phosen selbst  weitere  Spaltung  erleiden  können. 

Es  sind  die  Reste,  bei  welchen  wir  in  den  gerade  anzustellenden 
Betrachtungen  einhalten,  von  deren  Zusammengesetztsein  und  etwaigen 
Zersetzungen  wir  für  den  Augenblick  absehen  und  die  wir  desshedb  als 
den  Elementen  analog  betrachten. 

240.  Danach  ist  es  auch  einleuchtend,  dass  in  einer  und  derselben  Ver* 
bindung  verschiedene  Radicale  angenommen  werden  können,  je  nachdem 


Radicale.  147 

man  die  eine  oder  die  andere  Metamorphose  der  Betrachtung  und  Ver- 
gleichung  unterzieht;  je  nachdem  man  die  eine  oder  die  andere  Analogie 
will  henrortreten  lassen;  je  nachdem  man  die  Betrachtungen  weit  oder 
weniger  weit  ausdehnt 

Es  ist  unnöthig  nochmals  Beispiele  aufzuführen,  die  früher  schon 
erwähnten  Zersetzungen  sind  als  solche  genügend. 

Wollte  man  alle  Reste,  die  bei  irgend  einer  Zersetzung  unange-  241. 
griffen  bleiben,  für  RadicaJe  gelten  lassen,  so  müssten  die  Gruppen  HO 
(Wasserstoffhjperoxydj ,  K0  etc.  als  solche  betrachtet  werden;  die  Sal- 
petersäure wäre  die  Wassersioffverbindung  des  Radicals  NO3,  die  Essig- 
säure die  Wasserstoffverbindung  des  Radicals  O2H3O2;  ^^  diese  Radicale 
entsprächen  vollständig  dem  Chlor*).  Da  man  indessen  bei  zu  vielen 
und  zu  gewöhnlichen  Reactionen  das  Zerfallen  dieser  Gruppen  beobachtet, 
so  werden  sie  gewöhnlich  nicht  für  Radicale  angesehen**). 

Dass  in  einer  und  derselben  Verbindung  verschiedene  Radicale  an- 
genommen werden  können,  je  nachdem  man  eine  mehr  oder  weniger  tief 
eingreifende  Zersetzung  betrachtet,  zeigen  deutlich  die  früher  erwähnten 
Metamorphosen  der  Essigsäure. 

Betrachtet  man  z.  B.  die  Reactionen  Nr.  7,  10—14  (§.  280),  so  führt  dies 
zu  der  Ansicht:  die  Essigstture  enthalte  das  Radical  'G^H^^-.  Betrachtet  man  da- 
gegen die  Bildung  von  Grubengas  bei  Einwirkimg  von  Ealihydrat  auf  essigsaures 
Kali  (§.236),  so  führt  dies  zur  Annahme  des  Radicals  6H3  (Methyl)  in  der  Essig- 
säure. Die  Bildung  des  Acetons  endlich  (§.  286)  zeigt,  dass  1  Molectil  Essigs&ure 
so  zersetzt  wird,  dass  die  Gruppe  O3H3O  unangegriffen  bleibt,  während  bei  dem 
zweiten  Molecül  Essigsäure  diese  Gruppe  selbst  weiter  zerstört  wird  und  nur  OH3  als 
unangegriffener  Rest,  als  Radical,  bleibt;  diese  eine  Reaction  führt  also  zur  Annahme 
der  beiden  Radicale: 

^aHaO  und  eH,. 

Ganz  in  derselben  Weise  erscheint  das  Schwefel säurehydrat ,  wenn  man  nur  242. 
die  Salzzersetzungen  derselben  berücksichtigt,  als  eine  Verbindung  des  Radicals  &0'4 ; 
insofern  dieser  Xheil  unangegriffen  bleibt  und,  wie  man  sich  ausdrückt,  von  einem 
Salz  in  das  andere  übertragen  werden  kann.  Die  Schwefelsäui'e  wii*d  dann  ver- 
gleichbar mit  dem  Wasser  oder  dem  Schwefelwasserstoff,  sie  erscheint  als  H^O, 
in  welchem  O  vertreten  ist  durch  das  Radical:  &O4. 

Wasser.  Schwefelwasserstoff.  Schwefelsäurehydrat. 


*)  Betrachtungen  der  Art  bilden  die  Grundlage  der  s.  g.  Wasserstoffsäuren- 
theorie,  nach  welcher  alle  Säuren  als  Wasserstoffverbindungen  von  Radicalen 
angesehen  werden.  — 
**)  Dass  bei  consequenter  Durchführung  des  Begriffs,  den  man  gewöhnlich  von 
Radical  gibt,  alle  diese  Atomgruppen  und  selbst  das  Wasserstoffhyperozyd 
füi'  Radicale  gehalten  werden  müssten,  ist  schon  öfter,  besonders  von  Laurent 
gezeigt  worden.    Man  vgl.  namentlich :  Methode  de  Chimie.  S.  854. 

10  ♦ 


148  Theorie. 

Betrachtet  man  dagegen  die  Einwirkung  des  .  PhosphorsuperchloridB  auf 
Schwefelsäure,  so  findet  man,  dass  dabei  ein  weit  kleinerer  Theil  der  Schwefel- 
säure unangegriffen  bleibt;  es  entsteht  nämlich,  indem  wie  bei  allen  Einwirkungen 
des  Phosphorsuperchlorids  an  die  Stelle  des  typischen  Sauerstoffs  Chlor  tritt: 


aus 

erstes  Stadium. 

zweites  Stadium. 

Schwefelsäure- 

Chlorschwefelsäure- 

Chlorschwefelsäure. 

hydrat 

hydrat 

H    ^ 

H  iO 
ß^alci 

H     Cl 
dOj  •  Clj 

H    Cl 

H     d. 

Diese  tiefer  eingreifende  Zersetzung  veranlasst  uns  dann  in  der  Schwefelsäure 

das  Radical  ^6-2  anzunehmen  und  die  den  Salzzersetzungen  nach  als  Radical  er- 
scheinende Gruppe,   für  gewöhnlich  wenigstens,  nicht  mehr  als  solches  gelten  zu 
lassen. 
248.  Dasselbe  findet  bei  einer   grossen  Anzahl  kohlenstoffhaltiger  Verbindungen 

statt  Die  Sulfophenylsäure  liefert  z.  B.  mit  Phosphorsuperchlorid  ein  Chlorid  von 
der  Formel:  O^H^S^a'^l*  Da  dabei  die  Gruppe:  GeHj^O^a  unangegriffen  bleibt, 
kann  sie  als  Radical  der  Sulfophenylsäure  angesehen  werden,  die  dann  als  dem 
Typus  H2O  zugehörige  Verbindung  dieses  Radicals  erscheint: 

Sulfophenylsäure.  Sulfophenylchlorid. 

G^H^iTO'a^  ^  GgHj'&Gj .  Cl. 

Betrachtet  man  dagegen  die  Bildung  der  Sulfophenylsäure  aus  Benzol  und 
Schwefelsäureanhydrid,  so  muss  man  in  derselben  zwei  Radicale,  das  des  Benzols 
=  ^JSL^  und  das  der  Schwefelsäure  &G2  annehmen;  so  dass  die  in  der  anderen 
Reaction  als  unzersetzt  bleibender  Rest,  alsRadical,  erscheinende  Gruppe:  ^JSL^B^^ 
für  eine  Verbindung  dieser  beiden  Radicale  gehalten  werden  muss. 

244.  Die  oben  (§.  239)  gegebene  Definition  von  Radical  fallt,  da  die 
meisten  Metamorphosen  als  doppelter  Austausch  aufgefasst  werden  kön- 
nen, für  alle  diese  Metamorphosen  zusammen  mit  der  gewöhnlich  gege- 
benen Definition :  Ein  Radical  ist  die  Atomgruppe ,  welche  bei  wechsel- 
seitigen Zersetzungen  gegen  Elemente  (oder  gegen  andere  Radicale)  aus- 
getauscht werden  kann.  ( —  vgl.  Gerhardt,  Trait^  de  Chim.  org.  IV.  568.) 

245.  Auch  diese  Auffassung  zeigt  deutlich,  dass  in  einer  und  derselben 
Substanz  je  nach  den  Metamorphosen,  die  man  gerade  betrachtet,  ver- 
schiedene Radicale  angenommen  werden  können. 

Betrachtet   man   z.   B.   die   folgenden  Metamorphosen    des   Bittermandelöls 
Bittermandelöl  mit  Chlor    gibt    Benzoylchlorid    und  Salzsäure. 


e,Ht^.fH         >  J^  ÖjCl        =       e,H,e.Cl       +       HCL 


a. 


Radicale. 
Bensoylchlorid    mit  Wasser    gibt    Benzoesttnre. 
0  = 


149 


[^ 


"\  r 
j  \_ 


?!' 


H 

Bittermandelöl    mit  Phosphor- 
snperchlorid. 


Bittermandelöl. 

r 


Anilin. 
^•H5l 


AJte^H, 


J 


Chlorbenzol. 

ejHg.Cla 
Benzoylanilid. 


Salzsänre. 


+ 


Phosphorozy- 
cUorid. 

peci, 

Wasser. 


80  mnss  man  zugeben,  dass  einmal  die  Gruppe  O^H^^,  das  anderemal  die  Gruppe 
G^E^  und  endlich  die  Gruppe  ^fH^*)  die  Rolle  eines  Radicales  zu  spielen  im 
Stande  ist 


•)  Die  Bildung  des  Benzoylanilids ,  welche  von  Gerhardt  (Tniti,  IV.  678)  in 
der  oben  mitgetheilten  Weise  aufgefasst  wird,  kann  indessen  auch  aufgefasst 
werden,  als  werde  das  Radical  ^^H«  gegen  zwei  Atome  Wasserstoff  des  Am- 
moniaks ausgetauscht: 

Benzoylanilid.  Wasser. 


Bittermandelöl. 


^•[^« 


r 


Anilin. 

e.H5 


N        = 


+ 


Hl 


0, 


so  dass  die  Annahme  des  Radicals  ^1^5  nicht  gerade  nothwendig  erscheint. 
Auch  die  Bildung  des  Hydrobenzamid's ,   fiir  welche  Gerhardt  dasselbe 
Radical  '61H5  annimmt,  und  die  er  durch  die  Gleichung  darstellt: 

Bittermandelöl.  Ammoniak.  Hydrobenzamid.  Wasser. 


kann  durch  Annahme  dieses  Radicals  G7H4  gedeutet  werden: 


Bittermandelöl. 


Ammoniak. 


Hydrobenzamid. 

<hJ 

<H.) 


Wasser. 


8  OH,. 


Die  letzte  der  beiden  Auffassungen  verdient  offenbar  den  Vorzug  und  findet 
namentlich  noch  in  der  in  neuester  Zeit  von  Wicke  beobachteten  Bildung  des 
Hydrobenzamids  bei  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  Essigsäurebenzoläther 
eine  besondere  Stütze, 


150  Theorie, 

nAß  Ganz    in    derselben    Weiße    erscheint,    wenn    Acethylchlorid    auf   Wasser 

einwirkt: 

Acetylchlorid.  Wasser.  Salzsäure.  Essigsäure. 

die  Gruppe  OjHjO  als  Radical;   während   bei  Einwirkung  von    Acetonitril 
auf  wässeriges  KaHhydrat: 

Acetonitril.  Wasser  und  Ammoniak.  Essigsaures  Kali. 

Kalihydrat. 


r^ — \     f       H 


-^^^^1 


m       . 

=    NH,       4-      ^«^»je. 


die  Gruppe  '69H,  als  Radical  erscheint,  insofern  sie  gegen  drei  Atome  H 
ausgetauscht  werden  kann.  Die  Essigsäure  erscheint  also  der  einen  Reaction  nach 
als  dem  Typus  EjO  zugehörige  Verbindung  des  Radicals  BjHjO,  während  sie 
der  andern  Bildungsweise  nach   als  dem  Typus  2H2O  zugehörige  Verbindung  des 

dreiatomigen  Radicals  OaH,  betrachtet  werden  kann: 

Typus.  Essigsäure.  Typus.  Essigsäure. 

^.  Es  ist  einleuchtend,  dass  in  complicirter  zusammengesetzten  Verbin- 

dungen, die  in  ihren  Metamorphosen  eine  grössere  Mannigfaltigkeit  zei- 
gen, auch  eine  grössere  Anzahl  von  Radicalen  angenommen  werden  kann. 
Aber  selbst  verhältnissmässig  einfache  Verbindungen  erscheinen  oft,  je 
nachdem  man  die  eine  oder  die  andere  Metamorphose  betrachtet,  als 
Verbindungen  des  einen  oder  des  anderen  Radicals. 

Abgesehen  davon  nämlich,  dass  die  Zersetzungen  eines  Körpers 
bald  tiefer,  bald  weniger  tief  eingreifen,  erfolgt  der  Angriff  auf  eine 
Atomgruppe  bald  von  der  einen,  bald  von  der  andern  Seite.  So  dass 
bisweilen  ein  Bestandtheil  als  dem  Radical  zugehörig  betrachtet  werden 
muss,  der  bei  andern  Reactionen  als  dem  Typus  zugehörig  erscheint. 

Selbst  die  allereinfachsten  Verbindungen  zeigen  ein  solches  wech- 
selndes Verhalten  und  dann  natürlich  in  höchst  auffallender  Weise. 

rt^  Alle  Cyanverbindungen  werden  z.  B.  gewöhnlich  als  Verbindungen  des  Ra- 

dicals Cyan  =  ON  betrachtet  und  in  der  That  bleibt  diese  Atomgnippe  bei  der 
grössten  Anzahl  der  Metamorphosen  unangegriflfen  oder  kann  durch  doppelten  Aus- 
tausch in  andere  Verbindungen  übertragen  werden. 


Radicale. 


151 


So  entsteht  z.  B.  aus: 
ChJorcjan.  Kalihydrat. 

ci(W 


>n: 


Dl 

H   ' 


e      = 


Chlorkalium.  Cyausäure. 


oder  aus: 

Chlorcyan. 


Cl.JOT 


ClE 


Salzsäure. 


CIH 


+ 


Cyanamid. 

HIN. 
H^ 


Bei  andern  Reactionen  aber  (immer  dann,  wenn  dem  Stickstoff  Gelegenheit 
geboten  wird  KH3  zu  bilden)  erfolgt  der  Angriff  auf  die  Cyanverbindungen  gerade 
▼on  der  anderen  Seite,  so  dass  jetzt  die  beiden  sonst  vereinigt  bleibenden  Elemente 
B  und  N  von  einander  getrennt  werden  und  in  die  verschiedenen  Producte  über- 
gehen. So  zerflült  z.  B.  die  Cyanwasserstoffsäure  mit  wässerigem  Aetzkali  zu 
Ammoniak  und  Ameisensäure: 


Cyanwasserstoff. 


Wasser  und 
Kalihydrat. 


GH 


-\  r 


H 
H 
H 


Ammoniak. 


H 


=      nIh 


Ameisensaures 
Kali. 


+         eHKOj. 


'  So  dass  also  die  Blausäure,  die  man  sonst  als  Wasserstoffverbindung  des 
Radicals  Cyan  betrachtet,  nach  dieser  Metamorphose  betrachtet  werden  muss  als 
Ammoniak,  in  welchem  die  8  Atome  Wasserstoff  durch  den  auch  in  der  Ameisen- 
sfinre  enthaltenen  Rest  €H  vertreten  sind.  In  der  That  wird  denn  auch  Blausäure 
erhalten  (natürlich  in  Verbindung  mit  Ammoniak) ,  wenn  das  Chlorid  dieses  Ra- 
dicals BE^  das  Chloroform  auf  Ammoniak  einwirkt: 


Salzsäure.        Cyanwasserstoff. 

=     3  cm     +       ei». 


Ein  ganz  ähnliches  Verhalten  zeigt  die  Cyansäure,  die  der  oben  erwähnten 
Bildung  nach  betrachtet  werden  kann  als  dem  Typus  HjO  zugehörige  Verbindung 
des  Radicals  Cyan ;  lässt  man  z.  B.  Kalihydrat  einwirken  auf  Cyansäure ,  so  ent- 
steht Ammoniak  und  kohlensaures  Kali : 


Chloroform.                    Ammoniak. 

ci, 

.AT                    \               1                         H 

» 

\                                                ". 

) 

Cyansäure. 


Ammoniak. 


=         NH3 


Kohlensaures 
Kali. 


60 

kJ 


6, 


152  Theorie. 

So  dass  hiernach  die  CyanBäure  betrachtet  werden  muBS  als  Ammoniak,  in  welchem 

2  Atome  H  ersetst  sind  durch  das  zweiatomige  Radical  der  Eohlensfinre  (60). 

249.  Betrachtungen  der  Art,    die   sich  leicht  auf  eine  grosse  Anzahl  von  Verbin- 

dungen ausdehnen  lassen,  zeigen  deutlich,  dass  die  chemischen  Verbindungen  nicht 
enger  vereinigte  und  an  sich  unveränderliche  Atomgruppen  (Radicale  der  filteren 
Radicaltheorie)  enthalten,  dass  es  vielmehr  wesentlich  von  der  Natur  des  einwir- 
kenden Stoffes  und  von  der  Natur  der  mit  dem  sonst  vielleicht  unverändert  blei- 
benden Rest  vereinigten  Elemente  abhängig  ist,  welche  Elemente  gerade  zu  der 
für  die  bestimmte  Reaction  unveränderlichen  Gruppe  vereinigt  bleiben.  Der  Aus- 
druck, ein  Körper  erscheint  als  Verbindung  oder  er  ist  die  Verbindung  eines 
bestimmten  Radicals,  er  enthält  ein  gewisses  Radical,  will  also  nichts  anderes  heis- 
sen  als:  er  zerföllt  bei  der  gerade  betrachteten  Reaction  oder  bei  einer  Anzahl  von 
Reactionen  so,  dass  die  betreffende  Atomgruppe  imangegriffen  bleibt,  oder  gegen 
andere  Atomgruppen  oder  Elemente  ausgetauscht  zu  werden  scheint  Wenn  wir 
sagen:  man  kann  in  einer  und  derselben  Substanz  verschiedene  Radicale  annek- 
men,  so  ist  dies  nur  ein  anderer  Ausdruck  für  die  Thatsache,  dass  ein  und  der- 
selbe Körper  bei  verschiedenen  Reactionen  in  verschiedener  Weise 
zerfallen  kann.  Mit  andern  Worten,  die  Annahme  der  Radicale  ist  nur  ein  Hilfs- 
mittel der  Betrachtung,  aber  die  Radicale  selbst  sind  nicht  existirende  Grössen. 

260.  Da,  wie  früher  (§.  193)  schon  herrorgehoben  wurde  —  die  ganze 
typische  Betrachtungsweise  —  die  s.  g.  neuere  lypentheorie  —  auf  der 
Annahme  von  Radicalen  beruht,  so  sieht  man  leicht,  dass  die  Begriffe 
von  Radical  und  von  Typus  sich  gegenseitig  ergänzen  und  dass  eine  und 
dieselbe  Substanz ,  je  nachdem  man  sie  in  Bezug  auf  dieses  oder  jenes 
Verhalten  betrachtet,  und  je  nachdem  man  in  ihr  dieses  oder  jenes  Radical 
annimmt,  auch  verschiedenen  Typen  zugezählt  werden  kann. 

Nothwendigkeit  und  Bedeutung  der  rationellen  Formeln. 

261.  Es  ist  mehrfach  erwähnt  worden*),  dass  die  Formeln,  deren  wir 
uns  bedienen,  die  Moleculargrösse  der  Yerbindungen  ausdrücken 
sollen,  dargestellt  durch  die  Anzahl  der  Atome  der  Elemente.  Stellt 
man  dabei  die  einzelnen  Buchstaben  ohne  weitere  Trennung  neben  ein- 
ander, schreibt  man  z.  B. : 

Salpetersäure N  e,H 

Essigsäure ^2^4^! 

Alkohol «iHeO 

Essigäther GJB.^^^  u.  s.  w.; 

Bo  nennt  man  diese  Formeln  empirische  Formeln  oder  im  Oegensatz 
zu  den  $.  45  und  46  besprochenen  Verhältnissformeln  auch  wohl  empi- 
rische Molecularformeln.   Es  ist  nun  einleuchtend,  dass  solche For- 


')  vgl.  besonders  $. 


Rationelle  Formeln.  153 

mein  nur  die  Ansahl  der  in  1  Molec.  der  Verbindung  enthaltenen  Atome 
ausdrücken,  also  einerseits  die  procentische  Zusammensetzung  und  an- 
dererseits die  geringsten  in  Wirkung  tretenden  Mengen;  dass  sie  aber 
nicht  oder  nur  in  sehr  untergeordneter  Weise  Andeutungen  geben  über 
die  chemische  Natur  der  betreffenden  Substanzen.  Dies  letztere  bezwecken 
die  rationellen  Formeln,  deren  sich  die  Chemiker  neben  den  em- 
pirischen und  sogar  vorzugsweise  bedienen. 

Die  rationellen  Formeln  haben  also  den  Zweck,  eine  gewisse  252. 
Vorstellung  zu  geben  von  der  chemischen  Natur  einer  Verbindung,  also 
namentlich  von  ihren  Metamorphosen  und  von  den  Beziehungen,  in  wel- 
chen sie  zu  anderen  Körpern  steht.  Um  dies  zu  erreichen,  schreibt  man 
in  der  Formel  die  Atome  in  solcher  Weise  gruppirt,  dass  die  Art  der 
Stellung  (die  Schreibweise  der  Formel)  schon  anzeigt,  welche  Atome 
mit  besonderer  Leichtigkeit  gegen  andere  ausgetauscht  werden  können 
und  welche  Atomgruppen  bei  gewissen  Reactionen  unangegriffen  bleiben. 

Aus  den  im  Vorhergehenden  gegebenen  Betrachtungen  über  den 
Vorgang  bei  chemischen  Metamorphosen,  über  die  Veränderlichkeit  der 
Radicale  etc.  ist  es  nun  einleuchtend,  dass  für  die  meisten  Substanzen 
verschiedene  rationelle  Formeln  möglich  sind  und  dass  sogar  in  vie- 
len Fällen  eine  rationeUe  Formel  nicht  alle  Metamorphosen  gleichzeitig 
andeuten  kann  (z.  B.  bei  Blausäure  etc.);  daher  kommt  es  denn,  dass 
eine  und  dieselbe  Substanz  von  verschiedenen  Chemikern  durch  verschie- 
dene rationelle  Formeln  ausgedrückt  wird  (vgl.  $.  94). 

Bei  diesem  Mangel  an  Uebereinstimmung  könnte  die  Frage  aufge-  258. 
werfen  werden,  ob  es  überhaupt  nothwendig  oder  nur  geeignet  sei,  sich 
der  rationellen  Formeln  zu  bedienen,   ob  nicht  vielmehr  empirische  For- 
meln,  für  welche  weit  leichter  eine  Einigung  zu  erzielen  wäre  und  bei 
vielen  Substanzen  bereits  erzielt  ist,  den  Vorzug  verdienten. 

Man  überzeugt  sich  indess  leicht  von  der  Zweckmässigkeit  und  so-  254. 
gar  Nothwendigkeit  der  rationellen  Formeln. 

Man  beobachtet  z.  B.  dass  bei  Einwirkung  von  Salpetersäure  auf  organische 
Substanzen  sehr  hfiufig  Körper  entstehen,  die  ausser  einer  vollständigen  Analogie 
in  der  Bildung  auch  Analogie  in  den  Eigenschaften  zeigen,  z.  B.  beim  Stoss  oder 
beim  Erhitzen  explodiren.  Man  drückt  die  Art  der  Bildung  und  die  Analogie  des 
Verhaltens  dadurch  aus,  dass  man  bei  allen  diesen  Körpern  die  Gruppe  (K-G-a)  in 
die  Formel  einführt. 

Man  findet  femer,  dass  zwei  Körper  von  völlig  gleicher  Zusammensetzung: 
O^H^KClBr  vollständig  verschiedenes  Verhalten  zeigen;  insofern  der  eine  bei  Ein- 
wirkung von  Aetzkali  Chlorkalium,  der  andere  Bromkalium  liefert,  während  bei 
dem  ersteren  eine  bromhaltige  dem  Ammoniak  ähnliche  Substanz,  bei  dem  zweiten 
dagegen  eine  zwar  sehr  ähnliche  aber  chlorhaltige  Base  erzeugt  wird.  Man  würde 
der  empirischen  Formel  nicht  ansehen  können,  welchen  der  beiden  Körper  sie  ge- 
rade ausdrückt,  und  man  sieht  sich  genöthigt,  die  Verschiedenheit  des  Verhaltens 
durch  vencbiedene  Schreibweise  der  Formeln  anzudeuten. 


154  Theorie. 

Chlorwasserstoffsaures  Bromanilin  ==  ^^HeBrN  +  HCl  od6rK6cH,Br.Cl 
Bromwasserstoffsaures  Chloranilin  ==  €9^,^^  +  HBr    ,,    N6«H,G  .Br. 

Man  findet  ebenso,  dass  drei  Körper  von  gleicher  Zusammensetzung,  also  gleicher 
empirischer  Formel:  OaH^-G-)  völlig  verschiedene  Eigenschaften  besitzen.  Der  eine 
siedet  bei  140^,  reagirt  sauer  und  verbindet  sich  leicht  mit  Metallozyden  zu  Sal- 
zen; die  beiden  anderen  sieden  bei  56^  und  sind  augenehm  riechende  und  neutral 
reagirende  Flüssigkeiten*,  aber  die  eine  derselben  liefert  mit  Ealihydrat  essigsaures 
Kali  neben  Holzgeist,  die  andere  dagegen  ameisensaures  Kali  neben  Alkohol.  Es 
ist  also  nöthig,  diese  Verschiedenheit  des  Verhaltens  durch  rationelle  Formeln  aus- 
zudrücken, z.  B.  durch: 

Propionsäure ^»^t;^  j^ 

Essigs&uremethylfither ^''oH  1^ 

Ameisensäureäthylfither      .    .    .    .    ^5^1^* 

Wir  kennen  endlich  fünf  Körper,  die  bei  völliger  Verschiedenheit  der  Eigen- 
schaften doch  die  gleiche  empirische  Molecularformel :  65H1O09  besitzen,  so  dass 
die  empirische  Formel  ungenügend  und  rationelle  Formeln  geradezu  nothwendig 
sind: 

Baldriänsäure .  ^A^  je 

Buttersäuremethyläther ^^e'n  1^ 

Propionsäureäthyläther ^*e*H  1^ 

Essigsäurepropyläther *ö  H  1^ 

Ameisensäurebutyläther      .    .    .    .  ^  h  1"^' 

255.  Da  wir  also  die  rationellen  Formeln  als  nothwendig  erkannt  haben, 

80  entsteht  die  weitere  Frage,  welche  Art  der  Darstellung,  welche 
Schreibweise  der  Formel  verdient  den  Vorzug.  Na^h  dem  oben  ange- 
gebenen Zweck  der  rationellen  Formeln  kann  kein  Zweifel  darüber  sein, 
dass  diejenige  vorzuziehen  ist,  welche  die  grösste  Anzahl  der  Metamor- 
phosen eines  Körpers  und  die  meisten  Analogieen  mit  andern  Substanzen 
in  einfachster  und  präcisester  Weise  ausdrückt. 

Die  Betrachtungen  der  früheren  Kapitel  haben  nun  wohl  zur  Genüge 
gezeigt,  dass  die  typische  Schreibweise,  also  die  Darstellung  nach 
Typen,  in  welchen  einzelne  Elemente  durch  einfache  oder  zusammen- 
gesetzte Radicale  vertreten  sind,  diesen  Anforderungen  am  meisten  ent- 
spricht   Sie  haben  aber  gleichzeitig  gezeigt,  dass  selbst  innerhalb  der 


Rationelle  Formeln.  155 

typischen  Darstellungsweise  für  eine  und  dieselbe  Substanz  verschiedene 
rationelle  Formeln  möglich  sind,  so  dass  es  also  der  Convenienz  oder 
dem  Belieben  des  Einzelnen  überlassen  bleibt,  eine  der  möglichen  ratio- 
nellen Formeln  auszuwählen.  Eine  Wahl,  die  bisweilen  beträchtliche 
Schwierigkeiten  darbietet  und  die  zu  nicht  unbedeutender  Verschiedenheit 
der  Ansichten  Veranlassung  gibt 

Es  ist  nun  klar,  dass  diejenige  rationelle  Formel  am  meisten  den  266. 
oben  gestallten  Anforderungen  entsprechen  wird,  welche,  weil  aus  der 
grössten  Anzahl  von  Metamorphosen  hergeleitet,  die  am  wenigst  compli- 
cirt  zusammengesetzten  Radicale,  d.  h  die  kleinsten  bei  Metamorphosen 
unangegriffen  bleibenden  Reste  in  die  Formel  einführt;  und  welche  gleich- 
zeitig, durch  die  Stellung  der  einzelnen  Bestandtfaeile  der  Formel,  die 
Analogieen  mit  anderen  Körpern  deutlich  hervortreten  lässt 

Für  die  Snlfophenylsäure  könnte  man  z.  B.  die  drei  rationellen  Formeln  ge- 
brauchen : 

^«Hj  ^«BsS^jIrv  S0H560J.H. 

Die  erste  dieser  Formeln  drtLckt  ans:  1)  dass  ein  Atom  H  mit  Leichtigkeit 
gegen  HetaUe  ausgetauscht  werden  kann,  2)  dass  bei  Einwirkung  von  Phosphor- 
snperchlorid  Chlor  an  die  SteUe  des  typischen  Sauerstoffs  tritt,  wobei  HCl  und  das 
Chlorid:  OeH5&9-3.Cl  erhalten  werden  muss;  sie  bezeichnet  drittens,  dass  die  Snl- 
fophenyls&ure  entstehen  kann  aus  einer  Phenyl  -  und  einer  Sulfdrylverbindung 
(Benzol-  und  Schwefelsänreanhydrid)  *,  sie  drückt  also  alle  bekannten  Reactionen 
der  Stilfophenylsäure  aus  und  erinnert  an  die  einfachen  Beziehungen  der  Säure 
zum  Benzol,  zur  Schwefelsäure  u.  s.  w.  Die  zweite  der  drei  Formeln  enthält  nur 
die  Metamorphosen  1)  und  2),  lässt  dagegen  die  Bildung  aus  Benzol  und  Schwefel- 
säure unberücksichtigt,  die  dritte  endlich  deutet  nur  die  Salzzersetzungen  der  Snlfo- 
phenylsäure an  und  trägt  allen  übrigen  Metamorphosen  keine  Rechnung.  Es  ist 
also  klar,  dass  von  den  drei  rationellen  Formeln  die  erste  die  umfassendste  und 
desshalb  rationellste  ist. 

Für  das  Chlorschwefelsäurehydrat  könnte  man  die  drei  rationellen  Formeln  257. 
gebrauchen : 

Die  erste  würde  ausdrücken,  dass  der  Körper  sich  verhält  wie  ein  Chlorid, 
dass  er  mit  Wasser  z.  B.  doppelte  Zersetzung  zeigt,  wobei  Salzsäure  und  Schwefel- 
säurehydrat gebildet  wird;  die  zweite  bezeichnet,  dass  er  das  Verhalten  eines  Oxy- 
des zeigt,  das  heisst  dass  er  bei  Einwirkung  von  Phosphorsuperchlorid  den  typischen 
Sauerstoff  gegen  Chlor  austauscht  und  dass  femer  das  eine  Atom  H  diu-ch  Metalle 
ersetzbar  ist;  die  dritte  Formel  endlich,  indem  sie  den  Körper  als  dem  intermediä- 
ren Typua  HCl  -f-  H^O  zugehörig  betrachtet,  fasst  alle  diese  Metamorphosen  zu- 
sammen und  ist  desshalb  den  beiden  anderen  vorzuziehen. 

Man  wird  sich  leicht  davon  überzeugen ,  dass  die  Schreibweise  der  208. 
Formeln  nach  intermediären  Typen  ($.  202)  das  Verhalten  complicir- 


156  Theorie. 

ter  zusammengesetzter  Substanzen  ganz  besonders  deutlich  hervortreten 
lässt 

Die  Formel  einer  Aminsftnre  zeigt  z.  B.: 

GlycocoD 
(Glycolaminsftiure) 

indem  sie  den  Körper  gleichzeitig  dem  Typus  H,^^  und  dem  TyP^"  ^^a  zuzählt, 
dass  derselbe  sich  einerseits  wie  ein  Hydrat,  andererseits  wie  ein  Körper  des  Am- 
moniaktyps verhalten,  also  direct  mit  Säuren  verbinden  muss. 

Die  Formel  des  Oxamethans  zeigt  ebenso,  dass  dieser  Körper  von  einer  Seite 
aus  betrachtet  als  Amid,  von  der  andern  als  Aether  erscheint. 

^  t 
H  SN 

Die  zwei  sonst  noch  gebrauchten  Formeln: 

von  welchen  die  eine  das  Oxamethan  als  Aether  der  Ozaminsäure,  die  andere  als 
Amid  der  Aethyloxalsäure  darstellt,  sind  in  der  That  nur  zusammengezogene  Aus- 
drücke dieser  Formel  von  verschiedenen  Gesichtspunkten  aus.  Beides  sind  ratio- 
nelle Formeln,  die  für  eine  gewisse  Klasse  von  Reactionen  richtig  sind;  die  Dar- 
stellung nach  intermediären  Typen  ist  eine  Vereinigung  beider  und  gibt  als  solche 
das  vollständigste  Bild  von  der  Natur  des  Oxamethans.  — 

269.  Im  Allgemeinen  wird  die  am  weitesten  auflösende  rationelle  Formel 

immer  die  Natur  einer  Verbindung  am  vollständigsten  ausdrücken;  in  dieser 
Hinsicht  also  den  anderen  vorzuziehen  sein.  Dies  schliesst  jedoch  kei- 
neswegs aus,  dass  man  nebenbei,  und  vielleicht  sogar  gewöhnlich,  andere 
rationelle  Formeln  gebraucht,  die  zur  Darstellung  gewisser  Metamorphosen 
oder  zur  Hervorhebung  gewisser  Analogieen  hinreichend  sind.  Für  den 
gewöhnlichen  Gebrauch  wird  man  die  rationelle  Formel  auswählen,  welche 
die  am  häufigsten  vorkommenden  und  am  meisten  Analogieen  darbieten- 
den Metamorphosen  ausdrückt 

260.  So  schreibt  man  die  Essigsäure  und  die  Propionsäure  z.  B.  gewöhnlich: 

Essigsäure.  Propionsäure. 


NHa(«,<»,)(<>  „_^  ^j€,#,.e.«aH, 


€,H.ej^ 


«Agje 


und  doch  lassen  diese  Formeln  eine  grössere  Anzahl  von  Metamorphosen  vollstän- 
dig unberücksichtigt;  aUe  die  Metamorphosen  nämlich,  bei  welchen  aus  der  Essig- 
säure Methylverbindungen  und  aus  der  Propionsäure  Aethylverbindungen  entstehen. 
Man  hat,  um  diese  Metamorphosen  auszudrücken,  eine  grössere  Anzahl  rationeller 


Rationelle  Formeln.  157 

Formeln  in  Vorschlag  gebracht,  in  welchen  Methyl  =  BB.^  oder  Aethyl  =  62^5 
als  Radicale  enthalten  sind.  Die  merkwürdige  in  neuester  Zeit  von  Wanklyn  ent- 
deckte Bildung  der  Propionsäure  bei  Einwirkung  von  Kohlensäure  auf  Natrium- 
äthyl  zeigt  deutlich,  dass  neben  den  Radicalen  Methyl  und  Aethyl  in  beiden  Säuren 
das  Radical  der  Kohlensäure  angenommen  werden  muss;  sie  erhalten  demnach  die 
rationellen  Formeln: 


Typus. 

Ameisensäure. 

Essigsäure. 

PropionsSure. 

H 

%» 

H 

H  s 

nach  welchen  sie  als  dem  Typus  H^  J^'  H20  zugehörig  betrachtet  werden  können. 
Die  Ameisensäure,  das  Anfangsglied  der  homologen  Reihe  von  Säuren,  entspricht 

dann  unter  den  Verbindungen  des  Radicals  60  (Carbonyl)  vollständig  der  schwef- 

ligen  Säure  unter  den  Sulfurylverbindungen  (Radical  502) )  ^^  höheren  Homologen, 
z.  B.  die  Propionsäure  werden  vergleichbar  mit  der  Sulfophenylsäure. 


Tjrpus. 

Ameisensäure. 

Schweflige  Säure. 

Propionsäure. 

Sulfophenylsäure. 

H 

H 

H 

ej^ 

e.H, 

'St» 

4eU 

Hi 

^aJ0 

eeje 

*|«je. 

Nichtsdestoweniger  wird  man  vorerst  wenigstens  die  einfacheren,  ob- 
gleich weniger  rationellen  Formehi  der  Propionsäure    ^  '  ^^  1 0  J,  Essigsäure  etc. 

fOr  den  gewöhnlichen  Gebrauch  beibehalten,  weil  sie  eine  grosse  Anzahl 
und  gerade  die  am  häufigsten  vorkommenden  Metamorphosen  dieser  Säuren  in  ge- 
nügender Weise  andeuten. 

Welche  der  verschiedenen  rationellen  Formeln  man  fbr  bestimmte  261. 
Fälle  gerade  gebrauchen  will,  ist  wesentlich  eine  Frage  der  Zweckmässig- 
keit Die  Berechtigung  zur  Annahme  verschiedener  rationeller  Formeln 
für  dieselbe  Substanz  kann  nach  den  seither  gegebenen  Betrachtungen 
nicht  bezweifelt  werden.  Dabei  muss  man  natürlich  im  Auge  behalten, 
dass  die  rationellen  Formeln  nur  Umsetzungsformeln,  aber  keine 
Gonstitutionsformeln  sind,  dass  sie  nichts  anderes  sind  als  Ausdrücke 
fllr  die  Metamorphosen  der  Körper,  und  Vergleiche  der  verschiedenen 
Substanzen  untereinander;  dass  sie  aber  in  keiner  Weise  die  Constitution, 
d.  h.  die  Lagerung  der  Atome  in  der  bestehenden  Verbindung  ausdrücken 
sollen. 

Dies  verdient  ganz  besonders  hervorgehoben  zu  werden,  weü  merkwürdiger- 
weise manche  Chemiker  noch  jetzt  der  Ansicht  sind,  man  könne  aus  dem  Studium 
der  chemischen  Metamorphosen  die  Constitution  der  Verbindungen  mit  Sicherheit 
herleiten  und  man  könne\ diese,  also  die  Lagerung  der  Atome,  in  der  chemischen 
Formel  ausdrücken.  Das4  dies  letztere  nicht  möglich  ist,  bedaif  nicht  eines  beson- 
deren Beweises;   es  ist  an  sich  einleuchtend,  dass  man  die  Stellung  der  Atome  im 


158  Theorie. 

Ramn,  selbst  wenn  man  sie  erforscht  hätte,  nicht  auf  der  Ebene  des  Papiers  durch 
nebeneinandergesetzte  Buchstaben  darstellen  kann;  dass  man  vielmehr  dazu  minde- 
stens einer  perspectivischen  Zeichnung  oder  eines  Modelles  bedarf.  Dass  man  aber 
durch  das  Studium  der  Metamorphosen  die  Lagerung  der  Atome  in  der  bestehen- 
den Verbindung  nicht  ermitteln  kann  ist  ebenfalls  klar,  weil  die  Art,  wie  die  Atome 
aus  der  sich  verändernden  und  in  Zerstörung  begriffenen  Substanz  austreten,  unmög- 
lich dafür  beweisen  kann,  wie  sie  in  der  bestehenden  und  unverändert  bleibenden 
Verbindung  gelagert  sind.  Es  muss  nun  zwar  allerdings  für  eine  Aufgabe  der 
Naturforschung  gehalten  werden  die  Constitution  der  Materie,  also  wenn  mau  will, 
die  Lagerung  der  Atome  zu  ermitteln;  dies  kann  aber  gewiss  nicht  durch  Stu- 
dium der  chemischen  Metamorphosen,  vielmehr  nur  durch  vergleichendes  Studium 
der  physikalischen  Eigenschafben  der  bestehenden  Verbindungen  en*eicht  werden. 
So  vrird  es  vielleicht  möglich  werden  Constitutionsformeln  der  chemischen  Verbin- 
dungen aufstellen  zu  können,  die  dann  natürlich  für  eine  und  dieselbe  Substanz 
unveränderlich  dieselben  sein  müssen.  Aber  selbst  wenn  dies  gelungen  ist,  sind 
verschiedene  rationelle  Formeln  (Umsetzungsformeln)  immer  noch  zulässig,  weil 
offenbar  ein,  durch  in  bestimmter  Weise  gelagerte  Atome  erzeugtes,  Molecül  unter 
verschiedenen  Bedingungen  in  verschiedener  Weise  spaltbar  sein  und  so  verschie- 
den grosse  und  verschieden  zusammengesetzte  Bruchstücke  liefern  kann. 


Constitution  der  Radicale. 

262.  Die  Radicale  sind,  den  seitherigen  Betrachtungen  nach,  nicht  etwa 

absolut  unveränderliche  Atomgruppen,  vielmehr  nur  Gruppen,  die  bei  den 
gerade  in  Betracht  gezogenen  Reactionen  nicht  weiter  verändert  werden. 

263  ^^^  einzelnen   der  complicirter  zusammengesetzten  Radicale  wurde 

eben  (S-  256,  260)  gezeigt,  dass  sie  als  eine  Verbindung  oder  Änein- 
anderlagerung  mehrerer  einfacheren  Radicale  betrachtet  wer- 
den können. 

Man  kann  demnach,  wie  dies  öfter  geschieht,  in  den  complicirteren  Verbin 
düngen  nähere  (und  gleichzeitig  complicirtere)  und  entferntere  (einfachere) 
Radicale  annehmen. 

In  der  Sulfobenzolsäure  z.  B.  ist  Bfi^ßB^  das  nähere  Radical,  welches 
sonst  aus  den  entfernteren  Kadicalen  Bfi^  und  S^3  besteht  Ebenso  kann  man 
in  der  Essigsäure  das  nähere  Radical  'BsHsO-  annehmen,  welches  aus  den  entfern- 
teren Radicalen  60*  und  6H3  zusammengesetzt  ist*). 

2^  Die  einfachsten  Radicale  selbst  sind  Aneinanderlagerun- 

gen  der  einzelnen  Atome  der  Elemente,  die  dabei  genau  den- 
selben Gesetzen  folgen,  welche  ftlr  die  Aneinanderlagerung  der  Atome 
überhaupt  gültig  sind. 


*)  vgL  die  §.  125  besprochene  Ansicht 


Constitation  der  Radlcale.  159 

Man  kann  demnaoh  in  demselben  Sinn  von  der  Constitution  der 
fiadicale  sprechen,  wie  man  von  der  Constitution  der  Verbindungen 
spricht. 

Die  Art  der  Aneinanderlagerung  der  einzelnen  Atome  innerhalb  der  265. 
Radicale  ist  —  ebenso  wie  die  Zusammenlagerung  der  Atome  zu   den 
einfachsten  Verbindungen   J.  190  ff.   —    abhängig   und  bedingt   von  der 
Natur  und  namentlich  der  Basicität  der  Atome. 

Ein  einbasisches  Atom  kann  sich  z.  B.  nur  mit  einem  an- 
dern einbasischen  Atom  verbinden  und  offenbar  nur  in  einer  und 
derselben  Weise. 

Zweibasische  Atome  dagegen  können  schon  grössere  Mannig- 
faltigkeit der  Aneinanderlagerung  zeigen. 

Ein  Atom  eines  zweiatomigen  Elementes  kann  sich  z.  B,  mit 
einem  andern  Atom  eines  zweiatomigen  Elementes  so  verbinden,  dass 
die  zwei  Verwandtschaftseinheiten  des  einen  Atoms  gebunden  werden 
gegen  die  zwei  Verwandtschaftseinheiten  des  andern.  Das  Molecül  des 
Sauerstoffs  ist  z.  B.  eine  solche  Aneinanderlagerung  zweier  Atome. 

Zwei  Atome  eines  zweiatomigen  oder  zweier  verschiedener 
zweiatomigen  Elemente  können  aber  auch  so  zusammentreten,  dass  nur 
eine  der  zwei  Verwandtscbaftseinheiten  des  einen  Atomes  gegen  eine  des 
andern  gebunden  wird.  Von  den  vier  Verwandtschaftseinheiten  der  beiden 
zweibasischen  Atome  werden  also  2  verwendet,  um  die  Atome  selbst  zusam- 
menzuhalten und  es  bleiben  mithin  zwei  übrig,  die  durch  die  Verwandt- 
schaft anderer  Atome  noch  gebunden  werden  können.  Die  Atomgruppe 
zeigt  dann ,  weil  sie  mit  zwei  einbasischen  Atomen  eine  Verbindung  ein- 
zugehen im  Stande  ist,  das  Verhalten  eines  zweiatomigen  Radicals. 

Wenn  drei  zweibasische  Atome  in  derselben  Weise  zusammentreten, 
—  so  also,  dass  immer  je  eine  Verwandtschaftseinheit  des  einen  Atoms 
gegen  je  eine  des  andern  gebunden  wird,  so  entsteht  eine  Atomgruppe, 
bei  welcher  von  den  sechs  Verwandtschaftseinheiten  der  Atome  vier  ver- 
braucht sind,  um  die  drei  Atome  selbst  zu  vereinigen;  desshalb  ist  z.  B. 
die  Gruppe  SOj  (Sulfuryl)  ein  zweiatomiges  Radical,  d.  h.  sie  hat 
noch  zwei  Verwandtschaftseinheiten  übrig;    sie  verbindet  sich  z.  B.  mit 

2  Atomen  Chlor,  um  Chlorschwefelsäure  S02«Cl2  ^^  erzeugen  oder  sie 
vertritt  zwei  Atome  H  in  zwei  Molecülen  Wasser  (d.  h.  sie  sättigt  die 
zwei  Verwandtschaftseinheiten,  welche  vorher  durch  die  beiden  Wasser- 
stoffatome gesättigt  waren)  und  erzeugt  so  Schwefelsäurehjdrat  *). 


*)  Man  kann  sich  diese  Aneinanderlagerung  der  Atome  durch  eine  graphische 
Darstellung  versinnlichen,  indem  man  die  Basicität  der  Atome  durch  ver- 
schiedene Grösse  derselben  darstellt.  Ein  Grössenunterschied,  der  also  nicht 
etwa  Verschiedenheit  der  wirklichen  Grösse  der  Atome  ausdrücken  soll,  der 
vielmehr  nur  die  Anzahl  der  chemischen  Einheiten,  welche  ein  Atom  reprft- 


160  Theorie. 

266.  Man  sieht  leicht,  dass  diese  Art  von  Betrachtung  von  der  Vorstel- 
lung ausgeht,  dass  in  den  Molecülen  der  chemischen  Verbindungen  der 
chemischen  Anziehung  der  einzelnen  Atome  Rechnung  getragen  sein  muss. 

Sie  führt  bei  consequenter  Durchführung  zu  der  Ansicht,  dass  ein- 
zelne Atome  in  isolirtem  Zustand  nicht  möglich  sind  (vgl.  162);  und 
dass  ebenso  keine  Verbindungen  möglich  sind,  bei  welchen  ein  Theil  der 
Verwandtschaft  der  die  Verbindung  zusammensetzenden  Atome  nicht 
durch  die  Verwandtschaft  anderer  Atome  gebunden  ist. 

Sie  lässt,  mit  andern  Worten  nur  geschlossene  Molecüle  als  möglich, 
(oder  wahrscheinlich)  erscheinen;  d.  h.  solche,  bei  welchen  sämmtliche 
Affinitäten  der  einzelnen  Atome  gegen  einander  gebunden  sind. 

267.  Die  Betrachtung  gibt  so  eine  gewisse  Erklärung  von  dem  empiri- 
schen Gesetz  der  paaren  Atomzahlen.  Durch  Betrachtung  aller 
genau  bekannten  Verbindungen  hat  man  nämlich  gefiinden,  dass  die 
Summe  der  zu  einem  Molecül  vereinigten  Atome  stets  durch  eine  paare 
Zahl  ausgedrückt  wird,  wenn  man  dabei  den  Sauerstoff,  Schwefel  etc. 
(0,  S  etc.)  für  2  zählt  *). 

Die  firüher  angestellten  Betrachtungen  zeigen,  dass  dabei  der  Stick- 
stoff, der  Phosphor  und  die  übrigen  dreiatomigen  Elemente  eigentlich 
für  drei  gezählt  werden  müssen.  Da  indess  an  der  paaren  oder  unpaa- 
ren  Natur  der  Summen  nichts  dadurch  geändert  wird,  ob  man  diese  Ele- 
mente mit  1  oder  mit  3  in  Rechnung  bringt,  so  kann  man  der  Bequem- 
lichkeit wegen  die  Zahl  1  wählen.  Man  muss  dabei  im  Auge  behalten, 
dass  man  nicht  eigentlich  die  Anzahl  der  Atome,  sondern  die  Anzahl  der 
vertretenen  Wasserstoffatome,  d.  h.  die  Anzahl  der  chemischen  Ein- 
heiten zählt.    Das  Gesetz  heisst  also  eigentlich: 

In  jedem  Molecüle  einer  chemischen  Verbindung  wird 
die  Summe  der  chemischen  Einheiten  der  das  Molecül  zu- 
sammensetzenden Atome  durch  eine  paare  Zahl  aus- 
gedrückt. 


sentirt,  also  die  Anzahl  der  WaBserstoffatome  denen  es  äquivalent  ist,   dar- 
steUt    Die  folgenden  Beispiele  sind  ohne  weitere  Bemerkung  verständlich. 

Salz- Wasser.  Amme- Sauer-     Radical       Chlor-     Schwefelsäure-    Salpeter- 
säure, niak.     stoff.      Sulfuryl.    schwefel-        hydrat.  säure. 

säure. 


*)  Schreibt  man  den  Sauerstoff  =0  =  8,  den  Schwefel  =  S  =  16  etc.,  so 
werden  beide  natürlich  als  1  in  Rechnung  gebracht  Das  Gesetz  der  paa- 
ren Atomzahl  ist  älter  als  die  Annahme  der  neuen  Atomgewichte;  und 
gerade  das  Auffinden  dieses  Gesetzes  und  die  Wahrnehmung,  dass  die  Anzahl 
der  Sauerstoffatome  allein  ebenfalls  eine  paare  ist,  gab  den  ersten  Anstoss 
zur  Umänderung  der  Atomgewichte.  Vgl.  §.  138. 


ChemiBche  Natur  des  Kohlenstoffs.  161 

Dabei  muss,  der  vorhin  ($.  26f>)  gegebenen  Anschauung  nach,  streng 
genommen  noch  die  Einschränkung  gemacht  werden:  und  zwar  ist 
diese  Summe  mindestens  doppelt  so  gross  als  die  Basicitftt 
des  böchstatomigen  Elementes. 

Man  sieht  leicht,  dass  aus  dem  Gesetz  der  paaren  Atomzahl  268. 
und  mehr  noch  aus  den  eben  (8.  2fi5)  entwickelten  Ansichten  über  die 
Constitution  der  Radicale,  die  Basicität  der  Radicale  ($.  197)  be- 
stimmt, oder  dass  wenigstens  hergeleitet  werden  kann,  ob  ein  Radical 
einer  paaren  oder  unpaaren  Anzahl  von  Wasserstoffatomen  äquiva- 
lent ist 

Ein  Radical,  bei  welchem  die  Summe  der  chemischen  Einheiten  der 
es  zusammensetzenden  Elemente  eine  paare  ist,  ist  stets  zweibasisch; 
ein  Radical,  bei  welchem  diese  Summe  unpaar  ist,  ist  einbasisch  oder 
dreibasisch,  z.  B.: 

Radical  der  Schwefelsäure:  SO,  =  2  -)-  2.2  =  6 

ist  2 atomig:   SOaXl,  und  ^^|^a, 

Radical  der  Salpetersäure:  NO^  =  8  -f-  2.2  =  7 

ist  1  atomig:  NOj.Ag  und  ^g^jo, 

Radical  der  Phosphorsäore:  PO  =  3  4-  2  =  5 

ist  8 atomig:    PO.Cl,   und  ^^Wz- 

Chemische  Natur  des  Kohlenstoffs  und  Constitution  der 
kohlenstoffhaltigen  Verbindungen. 

In  allen  seil  herigen  Betrachtungen  sind  die  kohlenstoffhaltigen  Ver-  269. 
bindungen  nur  als  Verbindungen  kohlenstoffhaltiger  Radicale  angesehen 
worden.     Es  ist  jetzt  nöthig,  die  Betrachtungen  auch  auf  die  Constitution 
dieser  Radicale  auszudehnen,    um   die  Eigen thümlichkeiten   ihres  Verhal- 
tens aus  der  Natur  ihrer  Bestandtheile  herleiten  zu  können. 

Wenn  man  sich  eine  Vorstellung  darüber  bilden  will,  wie  die  ein- 
zelnen Atome  innerhalb  einer  kohlenstoffhaltigen  Atomgruppe  sich  gegen- 
seitig binden,  so  ist  es  vor  allem  nöthig,  sich  eine  Vorstellung  zu  bilden 
über  die  chemische  Natur  des  Kohlenstoffs. 

Betrachtet  man  nun  die  einfachsten  Verbindungen  des  Kohlenstoffs,  270. 
aus  welchen  offenbar  am  ehesten  Schlüsse  über  die  chemische  Natur  die- 
ses Elementes  hergeleitet  werden  können,  nämlich: 

Grubengas    ....  €H4 

Methylchlorid    .    .    .  CHjCl 

Chloroform   ....  ©HClj 

Chlorkohlenstoff    .     .  GC^ 

KfkiiU,  organ.  Chemie.  XI 


162  Theorie. 

Kohlensäure      .    .    .  60] 

Phosgengas  .    ...  €OClj 

Schwefelkohlenstoff   .  €82 

Blausäure      ....  6NH 

Chlorcjan     ....  6NC1  etc., 

so  fällt  es  auf,  dass  mit  der  Menge  Kohlenstoff,  welche  früher  (S.  165) 
als  die  geringst  mögliche,  d.  h.  als  Atom  erkannt  wurde,  stets  vier 
Atome  eines  einatomigen  oder  zwei  Atome  eines  zweiatomigen 
Elementes  verbunden  sind;  dass  allgemein:  die  Summe  der  chemi- 
schen Einheiten  der  mit  einem  Atom  Kohlenstoff  (=0)  ver- 
bundenen Atome  =  4  ist. 

Dies  führt  uns  zu  der  Ansicht,   dass  der  Kohlenstoff  vieratomig 
oder  vier  basisch  ist*)  (vergl.  §.  188). 
271.  Die  einfachsten  Combinationen,  welche  der  Kohlenstoff  mit  den  Ele- 

menten der  drei  anderen  Gruppen  ($.  188)  zu  bilden  vermag,  sind 
demnach: 

IV +  4.1  IV  +  2.U 

IV  +  (U  +  2.1)  IV  +  (ffl  +  I) 

oder  in  einfachen  Beispielen  **) : 

€H,C1  €&2  ONCL 

«HCl, 

€Cl4 


*)  Es  darf  indessen  nicht  ohne  Erwähnung  bleiben,  dass  zwei  Verbindungen: 
das  Kohlenosyd  (O0)  und  das  freilich  noch  nicht  mit  voUer  Sicherheit  nach- 
gewiesene KchlensulfÜr  (OS),  mit  dieser  Ansicht  nicht  in  Uebereinstimmuiig 
stehen;  wenigstens  nicht,  wenn  man  nach  §.  266  nur  geschlossene  Atom- 
gruppen annehmen  will.  —  Da  die  Anschauung  indessen  von  der  Zusammen- 
setzung der  bei  weitem  grössten  Anzahl  von  Eohlenstoffverbindungen  eine 
gewisse  Rechenschaft  gibt,  so  kann  sie  wohl  als  ein  der  Wahrheit  nahelie- 
gender Ausdruck  betrachtet  werden.  JedenfaUs  bietet'  sie  als  Hülfsmittel  der 
Betrachtung  mancherlei  Vortheile  dar. 

**)  Eine  graphische  Darstellung  ähnlich  der  §.  266  schon  gebrauchten  dient  viel- 
leicht zur  Erleichterung  des  Verständnisses.  Dabei  muss  indess  wiederholt 
darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  dass  die  gezeichnete  Grösse  der  Atome 
nicht  die  wirklichen  Grössenverhältnisse,  vielmehr  nur  die  Basicität  dersel- 
ben, und  dass  die  Stellung  der  einzelnen  Atome  in  keiner  Weise  die  rela- 
lative  Stellung  derselben  im  Raum  ausdrücken  soll. 

Grubengas.       Methylchlorid.       Phosgengas.        Kohlensäure.        Blausäure. 


®®®s» 


I       Constitation  der  kohlenstoffhaltigen  Verbindungen.  Ig3 

Fflr  Substanzen,  welche  eine  grössere  Anzahl  von  Eohlenstoffatomen  272. 
im  Molecül  enthalten,  muss  man  annehmen,  dass  die  verschiedenen  Eoh- 
lenstoffatome  in  ähnlicher  Weise  aneinandergelagert  sind,   wie  dies  oben 
(§.  265)  von  den  Atomen  anderer  Elemente  (von  Sauerstoff  und  Schwefel 
z.  B.  bei  Bildung  von  B&2)  angenommen  wurde. 

Der  einfachste  und  desshalb  wahrscheinlichste  Fall  einer  solchen  273. 
Aneinanderlagerung  von  zwei  Eohlenstoffatomen  ist  nun  offenbar  der,  dass 
eine  Yerwandtschaftseinheit  des  e i n e n  Eohlenstoffatoms  mit  einer  Ver- 
wandtschaftseinheit des  andern  in  Verbindung  tritt.  Von  den  2X4, 
also  8  VerwandtschafiLseinheiten  der  zwei  SohlenstoSieitome  werden  also 
zwei  verwendet,  um  die  beiden  Atome  selbst  zusammeqzubalten ;  es  blei- 
ben mithin  6  Verwandtschaftseinheiten  übrig,  die  durch  die  Verwandtschaft 
anderer  Atome  gebunden  werden  können.  Mit  anderen  Worten  eine 
Gruppe  von  2  in  der  Weise  aneinandergelagerten  Wasserstoffatomen  wird 
6  basisch  oder  6  atomig  sein;  sie  wird  mit  6  Atomen  eines  einatomigen 
Elementes  eine  Verbindung  bilden  oder  überhaupt  mit  soviel  Atomen« 
dass  die  Summe  der  chemischen  Einheiten  dieser  =  6  ist 

In  der  That  besitzen  die  einfachsten  Verbindungen,  welche  2  Atome 
Eohlenstoff  enthalten,  eine  solche  Zusammensetzung,  z.  B.  : 

Aethylwasserstoff  ....    62^6 

Aethylchlorid OjHjCl 

Elajlchlorid €2H4C1, 

11/2  Chlorkohlenstoff  .     .     .    ejCl« 

Aldehyd B^E^ß 

Acetylchlorid e2H30Cl 

Chloral ejClaOH 

GlycoHd e2H2e2 

Acetonitril 62H3N 

Cyan e2N2. 

Treten  mehr  als  zwei  Atome  Eohlenstoff  zusammen,  so  können  die  274. 
neu  hinzutretenden  sich  in  derselben  Weise  anlagern,  wiederum  also  so, 
dass  */4  der  Verwandtschafkskraft  des  einen  Atoms  durch  ^/4  der  Ver- 
wandtschaft eines  anderen  gebunden  wird.  Für  jedes  neu  hinzutretejade 
Eohlenstoffatom  wird  also  die  Basicität  der  Gruppe  um  zwei  Einheiten 
erhöht. 

Die  Anzahl  der  mit  n  Atomen  Eohlenstoff  verbundenen  Wasserstoff- 
atome z.  B.  (oder  allgemein :  chemischen  Einheiten)  wird  also*  ausgedrückt 
durch : 

2  +  n(4  —  2)    =     2+.2n 

Verbindungen  von  3  Atomen  Eohlenstoff  enthalten  also  so  viel 
Atome '  anderer  Elemente,  dass  die  Summe  der  chemischen  Einheiten  die- 
ser =:  8  ist.  Für  Verbindungen  von  4  Atomen  Eohlenstoff  ist  diese 
Summe  1=  10;  bei  5  Atomen  Eohlenstoff  =  12;  z.  B. : 

11  ♦ 


iU 


Theorie. 


Butylwasserstoff . 

.     .    64H10 

Amylwasserstoff     . 

.    .    Gfiit 

Butylohlorid    .     . 

.   e4Hj>ci 

Amjlchlorid  .     .    . 

.  .  ejHuCi 

Butylenchlorid     . 

.  e4HgCi, 

Amylenchlorid  .     . 

•  •  Ö5H10CI2 

ButyTonitril     .     . 

.  .  e4H^N 

Valeronitril    .     .     . 

.  .  e^H^N 

Butyraldid       .    .    . 

.  e4Hge 

Valeraldid     .     .    . 

•  •  65H10O 

Butyrylchlorid 

.  .  e4H7eci 

Valerjlchlorid    .     . 

OjEL^OCl 

Bernsteinsäureanhydrid     64H4O3 

Angelicasäure    .     . 

•    •    ^sßtßt 

Succinylchlorid    . 

64040*2^^2 

Brenzweinsäureanhydrid      G^H^O^. 

275^  Bei  den  seither  betrachteteu  Beispielen  wurde  angenommen     dass 

alle  mit  der  Eohlenstoffgruppe  verbundenen  Atome  durch  die  Verwandt- 
Schaftskraft  des  Kohlenstoti's  festgehalten  sind.  Man  kann  sich  aber  eben 
so  gut  denken,  dass  mehratomige  Elemente \0,  N  etc.)  sich  so  an  die 
Eohlensto%ruppe  anlagern,  dass  nur  ein  Theil  der  Verwandtschaftskrait 
dieser  mehratomigen  Elemente,  nur  eine  der  zwei  Einheiten  des  Sauer- 
stoffs z.  B.  vij^er  nur  eine  der  drei  Einheiten  des  Stickstoffs  durch  den 
Kohlenstoff  ^Bunden  sind,  so  dass  bei  dem  Sauerstoff  noch  eine,  bei  dem 
Stickstoff  nc^ls  Verwandtschaflseinheiten  übrig  bleiben,  die  noch  durch 
andere  Atom^l^ebunden  werden  können.  Diese  anderen^Atome  werden 
also  durch  Venktlung  des  Sauerstoffs  oder  des  Stickstoffs  mit  der  Eoh- 
lenstoffgruppe ^^Ij^mengehalten  und  stehen  mit  dieser  nur  indirect  in 
Verbindung*). 

Eine  solche  indirecte  Vereinigung  wird  durch  die  typische  Schreib- 
weise der  Formeln  bis  zu  einem  gewissen  Grad  ausgedrückt: 


Aethylwasserstoff. 


Alkohol. 


'St 


Aethylamin. 

H  [N. 
H  ^ 


Betrachtet  man  solche  Verbindungen  wesentlich  in  Bezug  auf  die 
sich  so  an  die  Eohlenstoffgruppe  anlagernden  Atome,  so  erscheint  diese 
kohlenstoffhaltige  Gruppe  als  Radical,  und  wir  sagen :  das  Radical  vertritt 
ein  Atom  Wasserstoff,  weil  es  ebenso  gut  die  eine  Verwandtschaftseinheit 
des  Sauerstoffs  oder  des  Stickstoffs  sättigt  wie  ein  Atom  Wasserstoff  dies 
thun  könnte. 

Ganz  in  derselben  Weise  können  durch  mehratomige  Elemente  auch 


•)  Die  graphische  Darstellung  lässt  dies  Verhältniss  deutlicher  erkennen: 
Aethylchlorid.  Alkohol.  Essigsäure.  Acetamid. 


Conütitation  der  kohlenstoffhaltigen  Verblndnngen.  165 

mehrere,  (bei  Sauerstoff  zwei,  bei  Stickstoff  selbst  drei)  kohlenstoffhaltige 
Grappen  zusammengehalten  werden  *). 

Ameisensäure-  Aether.  Triäthylamin. 

methyläther. 

eHol^  ^aI^  e,H5  n. 

Bei  solchen  Verbindungen  steht  also  der  Kohlenstoff  der  verschie- 
denen kohlenstoffhaltigen  Gruppen  nicht  in  directer  Verbindung  und  die 
Substanz  spaltet  sich  desshalb  leicht  so,  dass  die  verschiedenen  Eohlen- 
stoffgruppen  sich  wieder  loslösen. 

In  anderen  Fällen  wird  die  Vereinigung  zweier  Kohlenstoffgruppen  276. 
durch  directe  Aneinanderlagerung  der  Kohlenstoffatome  vermittelt  (z.  B. 
bei  dem  durch  Einwirkung  von  Methjlchlorid  auf  Gyankalium  entstehen« 
den  Cjanmethyl),  die  Verbindung  zeigt  dann  keine  Neigung  mehr  in  die 
iwei  ursprünglichen  Gruppen  zu  zerfallen,  verhält  sich  vielmehr  wie  die 
Verbindung  eines  einzigen  Kohlenstoffradicals  (das  CjanmeÜiyl  z.  B.  wie 
Acetonitril)  *). 

Wenn  man  diejenigen  Verbindungen  mit  einander  vergleicht,  welche  277. 
eine  gleich  grosse  Anzahl  von  Eohlenstoffatomen  im  Molecül  enthalten 
und  die  durch  einfache  Metamorphose  aus  einander  entstehen  können,  so 
kommt  man  zu  der  Ansicht,  dass  in  ihnen  diese  Kohlenstoffatome  auf 
dieselbe  Weise  anein andergelagert  sind  und  dass  nur  die  mit  derselben 
Kohlenstoffgruppe  verbundenen  anderen  Elemente  wechseln.  Bei  solchen 
Metamorphosen  bleibt  also,  so  zu  sagen,  das  Kohlenstoffskelet  der  Verbin- 
dung unangegriffen,  aber  die  um  dieses  Skelet  angelagerten  Atome  wer- 
den durch  andere  ersetzt  u.  s.  w.    Z.  B. : 

Alkohol.        Chloräthyl.        Aldehyd.        Essigsäure.        Glycolsäure.        Oxalsäure. 

^jH^O  ^2^^^*  ^2^4^  vjH^Oj  ^2"^^9  vjH2"0"4« 

Eine  Betrachtung  der  homologen  Körper  dagegen  fahrt  zu  der  An-  278. 
nähme,  dass  in  ihnen  alle  Kohlenstoffatome,  gleichgültig  wieviel  deren  im 
Molecül  enthalten  sein  mögen,  in  analoger  Weise,  also  gewissermassen 
nach  demselben  Sjmmetriegesetz,  aneinander  gelagert  sind.  Bei  tiefer  ein- 
greifenden Zersetzungen,  bei  welchen  das  Kohlenstoffskelet  selbst  ange- 
griffen wird  und  in  Bruchstücke  zerfallt,  zeigt  dann  jedes  Bruchstück  die- 
selbe Lagerung  der  Kohlenstoffatome;  desshalb  sind  die  Zersetzungsproducte 


•)  Ameisensäure-  Cyansänre-  Cyanmethyl.  Essigsäure, 

methyläther.  methyläther. 


166  Theorie. 

mit  der  angewandten  Substanz  homolog  oder  wenigstens  aus  einem  mit 
ihr  homologen  Körper  durch  einfache  Metamorphose  ableitbar. 

So  gibt  z.  B.  die  Stearinsäure  bei  der  Oxydation  die  mit  ihr  homologen 
Säuren:  Caprylsäure,  OenanthylsÄure,  Caproneäure  u.  s.  f.  und  gleichzeitig  die  aus 
diesen  fetten  Säuren  sich  ableitenden :  Korksäure,  Bemsteinsäure,  Oxalsäure  u.  s.  w. 

Eohlenstoffreichere  Verbindungen. 

279.  In  einer  sehr  grossen  Anzahl  organischer  Verbindungen  können  die 

Eohlenstoffatome  so  aneinander  gelagert  angenommen  werden,  wie  es  im 
Vorigen  (§.  273)  angegeben  wurde ;  so  also,  dass  1/4  der  Verwandtschaft 
des  einen  Atoms  durch  eben  so  viel  der  Verwandtschaft  des  anderen  ge- 
bunden wird.  Viele  organische  Substanzen  enthalten  indess  eine  im  Ver- 
gleich zur  Summe  der  übrigen  Atome  verhältnissmässig  grössere  Anzahl 
¥0n  Kohlenstoffatomen;  so  dass  man  in  ihnen  eine  dichtere  Aneinander- 
lagerung  der  Eohlenstoffatome  annehmen  muss. 

Das  Benzol  enthält  z.  B. :  Oe^e  ^^^  ^^^  seine  Abkömmlinge  zeigen, 
ebenso  wie  die  ihm  homologen  Kohlenwasserstoffe  und  ihre  Derivate,  ei- 
nen solchen  höheren  Kohlenstoffgehalt,  der  sie  charakteristisch  von  allen 
dem  Aethyl  verwandten  Körpern  unterscheidet  *). 

Das  Naphtalin  enthält  noch  mehr  Kohlenstoff,   es  ist  OioH«;   man 
muss  in  ihm  den  Kohlenstoff  in  noch  mehr  verdichteter  Form,  die  einzel- 
nen Kohlenstoffatome  also  noch  enger  aneinander  gelagert  annehmen. 
2ßQ^  Vergleicht  man  diese  kohlenstoffreicheren  Kohlenwasserstoffe:    das 

Benzol  und  seine  Homologen  und  das  Naphtalin,  mit  den  Kohlenwasser- 
stoffen der  Alkoholgruppe:  demAethylen  und  seinen  Homologen,  mit  wel- 
chen sie  in  vieler  Beziehung  Analogie  zeigen: 

Aethylen.  Propylen.  Butylen.  Amylen. 

62H4  ^dß-e  ^4^8  ^6^10 

Benzol.  Toluol.  Xylol. 

Naphtalin. 

80  zeigt  sich,  dass  die  Kohlenwasserstoffe  der  zweiten  Reihe  stets  drei 
Atome  Kohlenstoff  mehr  enthalten  wie  diejenigen  der  ersten,  welche 
gleichviel  Wasserstoffatome  enthalten.    Man  hat: 


♦)  Gerade  so  wie  die  Annahme  der  einfach stmöglichen  Ancinanderlagerung  vier- 
basischer Kohlensto£fatome  von  der  Zusammensetzung  aller  dem  Alkohol 
verwandten  Körper  eine  gewisse  Rechenschaft  gibt,  so  lassen  sich,  wovon  man 
sich  leicht  überzeugen  kann,  aus  der  Annahme  der  nächst  einfachsten  An- 
cinanderlagerung der  Kohlenstoffatome  die  Formeln  aller  mit  dem  Benzol 
verwandten  Körper  herleiten. 


KohlenBtoffireichere  Verbindungen.  167 

Propylen.  BenzoL 

Ebenso  enthält  das  Naphtalin  drei  Atome  Kohlenstoff  mehr,  wie  der- 
jenige Kohlenwasserstoff  der  zweiten  Reihe,  welcher  gleichviel  Atome 
Wasserstoff  enthält;  man  hat: 

Toluol.  Naphtalin. 

©iHg        +       ©3       =        €ioH$. 

Die  drei  Reihen  von  Kohlenwasserstoffen  können  durch  die  allge- 
meinen Formeln  ausgedrückt  werden: 

Homologe  des  Aethjlens    .    .    60  Hs.o 

Homologe  des  Benzols  .    .    .    60  +  3     H^.d 
Naphtalin 60  +  2.s  Ha.n  *). 

Es  scheint  demnach,  als  ob  dieselbe  Art  von  dichterer  Aneinander- 
lagerung  der  Kohlenstoffatome,  die  das  Benzol  und  seine  Homologen  von 


*)  In  nenester  Zeit  ist  Yon  Pritsche  im  Steinkohlentheer  ein  Kohlenwasserstoff 
aufgefunden  worden,  von  der  Formel  O14H10.  Dieser  Kohlenwasserstoff 
schliesst  sich  den  drei  Reihen  an  mit  der  Formel:  6b  -f  3.3  H2.0.  Er  verhfilt 
sich  zu  dem  Naphtalin  genau  so  wie  dieses  zum  Benzol  und  wie  das  Benzol 
zum  Aethylen*,  man  hat: 

Aethylen.  Benzol. 

^A    +  ©«Bj    =    ©A 
BenzoL  Naphtalin. 

^A    +  ©A    =     ©lA 
Naphtalin 

^loBs    +  ©4B1    =    ^lAo- 

Er  steht  also  zu  dem,  freilich  noch  unbekannten,  nächst  höheren  Homo- 
logen des  Naphtalins ,  welches  die  Zusammensetzung  ^j^Hio  haben  würde, 
in  derselben  Beziehung  wie  das  Naphtalin  zum  Toluol,  oder  wie  das  Benzol 
zum  Propylen,  d.  h.  er  enthält  geradezu  drei  Atome  Kohlenstoff  mehr. 

Stellt  man  die  bis  jetzt  bekannten  Kohlenwasserstoffe  dieser  vier  Reihen 
zusammen: 


e,H, 

eA 

eftHio    etc. 

eA 

e,H, 

e^Hio    etc. 

— 

^lA 

— 

^lA0  5 

so  sieht  man,  dass  die  Anfangsglieder  jeder  tiefer  stehenden  (kohlenstoff- 
reicheren) Reihe  zurücktreten,  so  dass  sie  sich  von  dem  Anfangsglied  der 
nächst  kohlenstoffärmeren  Reihe  um  O4H2  unterscheiden,  welches  sie  mehr 
enthalten.  Eine  Beziehung,  auf  die  von  Pritsche  schon  aufmerksam  gemacht 
worden  ist  — 


168  Theorie. 

den  Homologen  des  Aethjlens  unterscheidet,  sich  bei  dem  Naphtalin  wie- 
derhole und  als  ob  es  drei  Klassen  von  Kohlenstoffverbindungen  gäbe, 
die  schon  durch  die  Art  der  Lagerung  der  Kohlenstoffatome  von  einander 
unterschieden  sind. 
281.  Besonders  bemerkenswerth  ist  dabei  noch,  dass  niemals  durch  ein- 

fache Metamorphose  aus  einem  Körper  der  zweiten  Klasse  (Benzol  etc.) 
eine  Verbindung  der  ersten  Klasse  (Alkohol  u.  s.  w.)  erhalten  werden 
kann;  die  allereinfachsten  Kohlenstofiverbindungen  abgerechnet,  die 
durch  tiefer  gehende  Oxydation  z.  B.  erzeugt  werden.  Ebenso  ist  es  bis 
jetzt  nicht  gelungen  durch  einfache  Metamorphose  aus  einer  kohlenstoff- 
ärmeren Substanz  eine  jener  kohlenstoffreicheren  Verbindungen  herzulei- 
ten. Dagegen  entstehen  bei  der  zerstörenden  Einwirkung  der  HitAC  aus 
einer  grossen  Anzahl  selbst  der  allereinfachsten  Körper  der  kohlenstoff- 
ärmeren Klasse  von  Verbindungen,  Substanzen,  welche  der  durch  höhe- 
ren Kohlenstoffgehalt  ausgezeichneten  Körperklasse  angehören.  Es  scheint, 
als  ob  die  Einwirkung  starker  Hitze  den  Kohlenstoff  zu  solcher  dichteren 
Aneinanderlagerung  besonders  geneigt  mache. 

So  entsteht  z.  B.  wenn  Alkohol  oder  Essigsftore  durch  stark  glühende  Röh- 
ren geleitet  wird  neben  andern  Producten  auch:  Benzol,  Oarbolsäure  und  selbst 
Naphtalin.  Für  viele  der  kohlenstofTreicheren  Substanzen  dienen  die  Producte  der 
trockenen  Destillation  (von  Holz,  Steinkohlen  etc.)  als  Haupt-  bisweilen  sogar  als 
einziges  Material  der  Darstellung  (vgl.  Benzol,  Carbolsfture,  Kreosot^  Naphtalin  etc.) 

Kohlenstoffhaltige  Radicale. 

2Q2.  ^on   den  kohlenstoffhaltigen  Radicalen,   deren  Constitution  im  vor- 

hergehenden besprochen  wurde,  gilt  alles  was  firtlher  (besonders  $.239  — 
250)  von  den  Radicalen  im  Allgemeinen  bemerkt  wurde.  Da  sie  indess 
fOr  die  organische  Chemie  von  besonderer  Wichtigkeit  sind,  scheint  es 
geeignet  hier  einzelnes  nochmals  zusammenzufassen. 

288.  Die  kohlenstoffhaltigen  Radicale  sind  ebensowenig,   wie  die  andern 

Radicale,  in  sich  enger  geschlossene  und  absolut  unveränderliche  Atom« 
gruppen;  sie  sind  vielmehr  selbst  in  mannigfacher  Weise  veränderlich 
(vgl.  §.  239). 

284.  Bei  vielen  dieser  Veränderungen  bleibt  die  Eohlenstoffgruppe  selbst 
unangegriffen  und  nur  die  um  sie  angelagerten  Atome  werden  gegen  an* 
dere  ausgetauscht  ($.  277). 

Oftmals  tritt  dabei  an  die  Stelle  einer  gewissen  Anzahl  von  Was- 
serstoffatomen eine  eben  so  grosse  Anzahl  von  Chlor-,  Brom-  oder  Jod- 
atomen (oder  von  dem  dem  Chlor  analogen  Radical  NO]),  so  entstehen 
die  eigentlichen  Substitutioneproducte  (§.  128). 

285.  In  anderen  Fällen  wird  der  Wasserstoff  durch  eine  äquivalente  Menge 
Sauerstoff  vertreten^   also  immer  je  zwei  Atome  Wasserstoff  gegen  ein 


Kohlenstoffhaltige  Radicale. 


169 


Atom  Sauerstoff;  so  entstehen  aus  den  Radicalen  der  Alkohole  die  Ra- 
dicale der  S&uren.    Z.  B.: 


3  Aethylalkohol. 

Essigs&nre. 

^*h 

9 

Hf 

Aus  GlycoL 

Glycolsänre      und 

Oxalsäure. 

«^«. 

e.H,0(e, 

Aus  Glycerin. 

Glycerinsäure. 

«iht*. 

«Ä^e.. 

Während  bei  diesen  Metamorphosen  die  Summe  der  chemischen  286. 
Einheiten  dieselbe  bleibt,  und  in  Folge  davon  auch  die  Basicität  des  Ba- 
dicals ;  findet  bei  anderen  Metamorphosen  eine  tiefere  Veränderung  statt. 
Die  Kohlenstoffgmppe  selbst  bleibt  zwar  unangegriffen,  aber  die  Anzahl 
der  mit  ihr  verbunden  bleibenden  Atome  (chemischen  Einheiten)  wird  ver- 
ändert; in  diesem  Falle  ändert,  wie  gleich  gezeigt  werden  soll,  das  Ra- 
dical  seine  Basicität. 

In  noch  anderen  Fällen   geht  die  Zersetzung  noch  weiter,  so  dass  287. 
die  Kohlenstoffgruppe  selbst  Veränderungen  erleidet.     Dabei   kommt  es 
verhältnissmässig  häufig   vor,    dass  nur  ein   Kohlenstoffatom  entzogen 
wird  und  in  Form  von  Kohlensäure,  von   Grubengas,   Chloroform  etc. 
austritt,  während  alle  übrigen  Kohlenstoffatome  vereinigt  bleiben. 

Solche  Zersetzungen  finden  häufig  bei  trockener  Destillation  statt.  Viele  der 
so  genannten  Brenzsäuren  oder  Pyrosäuren  werden  auf  diese  Weise,  unter  Austritt 
von  Kohlensäure  erzeugt    Z.  B.: 


Aconitsäure. 

Itaconsäure. 

^•B«0«      — 

^Oj 

=        G5H,04. 

Gallussäure. 

Pyrogallussäure. 

^lBi^5        — 

ÖO'j 

=      OjHgOj. 

Terebinsäure. 

Brenzterebinsäure. 

"GiHiQ-G4      — 

OOj 

=      6,HiQ0j. 

Während  bei  diesen  Reactionen  die  meisten  Kohlenstoffatome  in 
ihrer  ursprünglichen  Vereinigung  bleiben  und  ein  verhältnissmässig  klei- 
nes Stück  der  Gruppe  abgelöst  wird;  zer&llt  bei  anderen  Reactionen  die 
Kohlenstoffgruppe  förmlich  in  Bruchstücke;  so  dass  die  verschiedenen 
gleichzeitig  aufiretenden  Zersetzungsproducte  alle  mehrere  Atome  Kohlen- 
stoff im  Molecül  enthalten  (vgl.  auch  $.  278}.    Z.  B. : 


170 


Theorie. 


Weinß&ure. 

Essigsäure. 

Oxalsäure. 

^4ß%^6 

= 

^2^402 

+  , 

öaHaO^. 

Citronensäure. 

Essigsäure. 

Oxalsäure. 

e,H,0,    + 

HjO 

= 

2  eaH^Oj 

+ 

02^2^4* 

Oelsäure. 

Palmitinsaures 
KaJi. 

Essigsaures 
Kaü. 

^l«H3402      + 

2KHe 

= 

^itßzi^^i 

+ 

'G2H3KO'2 

+  H,. 

Veränderungen  der  Art,  bei  welchen  also  aus  einem  kohlenstoff- 
haltigen Radical  durch  Zerstörung  mehrere  andere  kohlenstoffhaltige 
Radicale  erzeugt  werden,  sind  verhältnissmässig  häufig  und  können  in 
mannigfacher  Weise  hervorgebracht  werden.  Weit  seltener  gelingt  es,  um- 
gekehrt, eine  Aneinanderlagerung  zweier  kohlenstoffhaltiger  Radicale  in 
der  Weise  hervorzubringen,  dass  beide  Gruppen  nachher  das  Verhalten 
eines  einzigen  Radicales  zeigen. 

Die  bemerkenswerthesten  Beispiele  dieser  Art  sind  die  Cyanverbindungen 
vieler  Radicale,  z.  6.  der  Alkoholradicale ,  aus  welchen  bei  Einwirkung  von  Kali- 
hydrat unter  Bildung  von  Ammoniak  eine  Säure  entsteht,  die  den  Kohlenstoff  des 
Cyans  und  den  des  Alkohokadicals  enthält  (vgl.  §.  276).    Z.  B.: 


Cyanäthyl. 
eN.62H5      + 


2H2O  = 


Propionsaures  Ammoniak. 
63Hj(H4N)02. 


Hierher  gehört  auch  die  §.  260  schon  erwähnte  Bildung  von  Propionsäure 
bei  Einwirkung  von  Kohlensäure  auf  Natriumäthyl : 


Natriumäthyl. 

Kohlensäure. 

Propionsaures 
Natron, 

Na.eaHft 

+         ee2 

ejHftNaea. 

Basicität  der  kohlenstoffhaltigen  Radicale. 


288.  Unter  den  kohlenstoffhaltigen  Radicalen  sind,   wie  in  früheren  Be- 

trachtungen mehrfach  gezeigt  wurde,  viele  einatomig,  andere  zweiatomig, 
andere  dreiatomig  (§.  230  etc.).  Wie  bei  den  kohlenstofffreien  Radicalen 
(§.  268),  80  kann  auch  bei  den  kohlenstofihaltigen  die  Basicität  bis  zu 
einem  gewissen  Grad  wenigstens  aus  der  Zusammensetzung  hergeleitet 
werden. 

Da  nämlich  nach  dem  Gesetz  der  paaren  Zahlen  (§.  267)  in  jeder 
chemischen  Verbindung  die  Summe  der  chemischen  Einheiten  eine  paare 
Zahl  sein  muss,  so  müssen  zunächst  alle  die  Radicale,  bei  welchen  die 
Summe  der  chemischen  Einheiten  der  das  Radical  zusammensetzenden 
Atome  eine  unpaareZahl  ist,  unpaarbasisch  (einbasisch  oder  drei- 


Basicität  der  kohlenstoffhaltigen  Radicale.  171 

basisch)  sein;  ebenso  müssen  alle  die  Radicale,  bei  welchen  diese  Summe 
eine  paare  ist,  paarbasisch  (z.  B.  zweibasisch)  sein*). 

Mit  etwas  grösserer  Genauigkeit  kann  die  Basicität  der  kohlenstoff-  289. 
haltigen  Radicale  aus  den  §.  274  gegebenen  Betrachtungen  hergeleitet 
werden.  Da  nämlich  eine  Gruppe  von  n  in  einfachster  Weise  aneinan- 
dergelagerten  Kohlenstoffatomen  2  n  +  2  Atome  Wasserstoff  zu  binden 
vermag,  so  wird  ein  Radical  von  der  Form:  ©nH^n  +  i  (oder  ein  von 
diesem  durch  Vertretung  einer  gewissen  Anzahl  von  Wasserstoffatomen 
durch  eine  äquivalente  Menge  anderer  Atome  sich  ableitendes  Radical) 
einbasisch  sein. 

Ebenso  itit  ein  Radical  von  der  Form  ©nHan  zweibasisch;  ein  Ra- 
dical von  der  Form  ©nHan  — i  dreibasisch**). 

Dies  ist  denn  auch  in  der  That  der  Fall;  nur  zeigt  sich  das  bemerkens- 
werthc  VerhaUen,  dass  die  Radicale  der  dritten  Form  (OuHu  — i)  auch  noch  ein- 
basisch vorkommen,  ohne  dass  man  sich  darüber  eine  bestimmte  Rechenschaft 
zu  geben  im  Stande  ist. 

So  ist  z.  B.  das  Radical  O3H5  einbasisch  in  dem  Allylalkokol,  dreL 
basisch  im  Glycerin;  ebenso  ist  das  von  diesem  Radical  sich  herleitende  sauer- 
stoffhaltige Radical  G3H3O  einbasisch  in  der  Acrylsäure,  dreibasisch  in  der 
Glvcerinsäure. 


♦)  Da  bei  dei^  kohlenstoffhaltigen  Radicalen,  der  vicratomigen  Natur  des  Koh- 
lenstoffs wegen,  die  Summe  der  chemischen  Einheiten  der  Kohlenstoffatome 
selbst  stets  eine  paare  Zahl  ist,  so  genügt  es,  die  chemischen  Einheiten  der 
mit  dem  Kohlenstoff  verbundenen  Atome  zu  zählen. 

•♦)  Man  kennt  jetzt  schon  einige  Körper,  in  welchen  vieratomige  kohlen- 
stoffhaltige Radicale  angenommen  werden  müssen.  So  entsteht  z.  B.  (nach 
Debus)  aus  Glyoxal  =  "B2H202  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  eine  Base, 
das  Glycosin  =  O^H^N^,  welches  als  4  zu  Einem  Molecül  vereinigte  Am- 
moniakmolecüle  betrachtet  werden  kann,  in  welchen  die  12  Wasserstoff- 
atome dm-ch  dreimal  das  vieratomige  Radical  O^Ha  ersetzt  sind;  das 
Glyoxal  selbst  verhält  sich  in  dieser  Reaction  wie  die  dem  Typus  2H2O  zu- 
gehörige Verbindung  dieses  vieratomigen  Radicals: 

Glyoxal.  Glycosin. 

IV 


Vergleicht  man    dieses  Radiccd   mit  den  oben  angeführten,   so  sieht  man, 
dass  es  sich  derselben  Reihe  anschliesst;  man  hat: 

9nH2ii  -f  !  z.  B.  O2R5  einbasisch 

BnH^n  „  G2H4  zweibasidch 

GnH2n  -  1        „  O2H3  dreibasisch 

OnHao  —  2       „  O2H2  vierbasisch. 


172  Theorie. 

Allylalkohol.  Glycerin. 

Acrylsfiure.  Glycerinsänre. 

In  derselben  Weise  ist  das  Radical  AsCOH^))  einbasisch  im  Eakodylchlo- 
rid  und  den  meisten  Kakodylverbindangen ,  dagegen  dreibasisch  im  Kakodyh 
trichlorid  und  der  Kakodylsäure  *) : 

Kakodylchlorid.  Kakodyltrichlorid.  Kakodylsäore. 

As(eH3)j.Cl  A8(eH,)a.Cla  AsceHjU^ 

Die  Radicale  der  kohlenstoflfreicheren  Verbindungen  zeigen  in  Bezug  auf 
Basicität  ganz  dieselben  Beziehungen.    Man  hat  z.  B.: 

■Gn  4-  3  Hn  -|-  I     —    einbasisch 
Bn  +  3  Hn  —    zweibasisch 

On  4-  3  Hn  —  I     —     dreibasisch    und   gleichzeitig    (sogar   häu- 
figer) einbasisch. 

Einfluss  der  relativen  Stellung  der  Atome. 

290.  Es  ist  seither  besonderes  Gewicht  darauf  gelegt  worden ,   dass  die 

Eigenschaften  der  einzelnen  Elemente  die  chemische  Natur  der  Ra- 
dicale und  die  der  Verbindungen  veranlassen.  Es  muss  jetzt  beigefügt 
werden,  dass  offenbar  auch  die  relative  Stellung  der  einzelnen  Atome 
von  wesentlichem  Einfluss  auf  die  Natur  der  Verbindungen  ist.  Es  ist 
zwar  bis  jetzt  nicht  möglich,  über  die  relative  Stellung  der  einzelnen 
Atome  einer  Verbindung  eine  einigermassen  begründete  Ansicht  aufeu- 
stellen,  aber  die  Verschiedenheit  der  Eigenschaften  völlig  gleich  zusam- 
mengesetzter Körper,  von  welchen  nachher  specieller  die  Rede  sein  soll, 


*)  Eben  so  wie  die  einatomigen  Radicale  in  andern  Verbindungen  dreiatomig 
sein  können,  so  können  Atomgruppen,  die  in  einigen  Verbindungen  die  Rolle 
zweiatomiger  Radicale  spielen,  in  andern  das  Verhalten  vieratomiger  Radi- 
cale zeigen.    Z.  B. : 

Zweiatomig.  Vieratomig. 

Arsenmonomethyl-      Arsenmonomethyl-      Arsenmonom  ethj-l-      Arsenmonomethyl- 
bichlorid.  oxyd.  tetrachlorld.  sSure. 

A8(eH,) .  Cl,  AsCeHa) .  0  AsCGHa) .  CI4  A8(eH,)|  ^ 


Relative  Stellung  der  Atome.  173 

zeigt  deutlich,   dass   die  relative  Stellung  der  Atome  von  wesentlichem 
Einfluss  auf  die  Natur  der  Verbindung  sein  muss. 

Man  findet  ausserdem,  dass  ein  und  dasselbe  Element  (das  Chlor 
z.  B.)  vielen  Verbindungen  mit  ausnehmender  Leichtigkeit  entzogen  wird, 
während  es  in  andern.  Verbindungen  der  Einwirkung  derselben  Stofie  mit 
besonderer  Hartnäckigkeit  widersteht. 

Das  Chlor  (und  ebenso  das  Brom  oder  Jod  etc.)  der  Subsütuüonsproducte 
wird  z.  B.  in  den  meisten  F&llen  durch  einwirkende  Substanzen  nicht  entzogen, 
während  die  übrigen  Chlorverbindungen  verhältnissmässig  leicht  doppelte  Zer- 
setzung zeigen. 

Man  möchte  sagen,  dass  in  solchen  Fällen  das  Chlor  sich  an  einer  ftir  den 
einwirkenden  Stoff  unzugänglichen  Stelle,  gewissermassen  im  Inneren  der  Sub- 
stanz befindet;  während  es  bei  den  meisten  Körpern  (den  Chloriden)  an  leicht 
angreifbarer  Stelle  befindlich  und  so  der  Wirkung  der  einwirkenden  Substanz  aus- 
gesetzt ist 

Diese  eigenthtlmlichen  Verbindungen  des  Chlors  (Broms  etc.),  in  welchen 
es  durch  doppelte  Zersetzung  nicht  entzogen,  also  durch  die  gewöhnlichen  Reagen- 
lien  nicht  augezeigt  wird,  sind  zu  häufig  als  dass  es  nöthig  erschiene  hier  Bei- 
/»piele  auizuführen.  £s  mag  nur  daran  erinnert  werden,  dass  dieses  eigenthüm- 
lichen  Verhaltens  wegen  zur  Analyse  einer  chlorhaltigen  organischen  Substanz 
meistens  eine  voUstäudige  Zerstörung  der  organischen  Verbindung  nöthig  ist  (vgl. 
§.  41). 

Dass  auch  die  des  doppelten  Austausches  ilihigen  Chloride  etc.  ungleich  leicht 
zum  Theil  nur  sehr  schwierig  zersetzt  werden  und  dass  dies  von  der  Zusammen- 
betzung  und  Natur  des  mit  dem  Chlor  verbundenen  Radicals  abhängig  ist,  ist  frü- 
her (§.  212)  schon  hervorgehoben  worden. 

Aul'  einzelne  Eigenthümlichkeiten ,  dass  z.  B.  ein  als  Chlorid  erzeugter  Kör- 
per bei  gewissen  Zersetzungen  das  Verhalten  eines  Chlorsubstitutionsproductcs 
zeigt  oder  dass  umgekehrt  ein  Körper,  der  seiner  Bildung  nach  als  Substitutions- 
product  erscheint,  das  Verhcdten  eines  Chlorides  zeigt  etc.,  soll  nachher  aufmerk- 
sam gemacht  werden. 

Dieser  Einfluss  der  relativen  Stellung  der  Atome  zeigt  sich  schon  291. 
bei  den  allereinfachsten  Verbindungen.  Von  den  6  Atomen  Wasserstoff 
des  Alkohols  ist  z.  B.  ein  Atom  durch  Metalle  oder  auch  durch  Radicale  und 
zwar  besonders  leicht  durch  saure  (chlorähnliche)  Radicale  vertretbar; 
während  die  5  andern  durch  dieselben  Radicale  nicht  ersetzt  werden 
können.  Die  6  Wasserstoffatome  des  Alkohols  sind  also  nicht  gleich- 
werthig  und  es  ist  offenbar  der  Einfluss  der  Stellung  dieser  Wasserstoff- 
atome in  Beziehung  auf  die  übrigen  Atome,  der  diese  ungleiche  Natur 
veranlasst. 

Ebenso  sind  die  4  Wasserstoffatome  der  Essigsäure  nicht  gleich- 
werthig.  Das  eine  wird  mit  besonderer  Leichtigkeit  durch  Metalle  ver- 
treten, die  drei  anderen  können  nicht  durch  Metalle,  dagegen  durch  Chlor 
ersetzt  werden.  Auch  hier  ist  die  relative  Stellung  der  Wasserstoffatome 
die  Ursache  dieses  ungleichen  Verhaltens.  Das  eine  Wasserstoffatom  liegt 
in  der  Atomgruppe   in   der  Nähe  der  beiden  Sauerstoffatome  und   wird 


174  Theorie. 

desshalb  leicht  durch  Metalle  vertreten;  die  drei  anderen  sind  an  die 
KohlenstoflFgruppe  angelagert  und  zeigen  darum  ein  völlig  verschiedenes 
Verhalten. 

292.  In  diesen  beiden  und  ebenso  in  der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle 
gibt  die  typische  Anschauung  schon  eine  gewisse  Rechenschaft  von  dem 
ungleichen  Verhalten  der  verschiedenen  Wasserstcffatome,  indem  sie  an- 
nimmt, dass  der  durch  Metalle  (oder  andere  Radicale)  besonders  leicht 
vertretbare  Wassferstofif  typischer  Wasserstoff  ist,  d.  h.  dass  er,  nach 
der  §.  275  gegebenen  Anschauung,  durch  Vermittlung  des  typischen 
Sauerstoffs  mit  der  Kohlenstoffgruppe  verbunden  ist.  Man  kann  in  der 
That  sagen,  dass  die  ganze  typische  Anschauung  auf  das  durch  die  rela- 
tive Stellung  veranlasste  ungleiche  Verhalten  an  sich  gleichartiger  Atome 
begründet,  dass  sie  nur  ein  Ausdruck  für  diese  That«ache  ist. 

293.  Es  existiren  indess  einzelne  Fälle,  bei  welchen  verschiedene  Was- 
serstoffatome, die  der  typischen  Auffassungs weise  nach  eigentlich  gleich- 
werthig  sein  müssten,  dies  nicht  sind. 

So  zeigt  z.  B.  die  Glycolsäure  (und  ebenso  die  Milchsäurej  das  Ver- 
halten einer  einbasischen  Säure,  obgleich  sie  zwei  typische  Wasserstoffe 
atome  enthält  (vgl.  §.  215).  Die  beiden  Wasserstoffatome  der  Glycol- 
säure sind  ungleichwerthig,  obgleich  sie  beide  dem  Typus  zugehören. 
Das  eine  verhält  sich  genau  wie  der  typische  Wasserstoff  des  Alkohols, 
das  andere  genau  wie  der  typische  Wasserstoff  der  Essigsäure.  Das  un- 
gleiche Verhalten  dieser  beiden  Wasserstoffatome  ist  offenbar  durch  die 
verschiedene  Stellung  veranlasst,  die  sie  in  Beziehung  auf  die  übrigen 
Atome,  namentlich  auf  den  Sauerstoff  einnehmen.  Das  eine  Wasserstoff- 
atom liegt  wie  das  der  Essigsäure  in  der  Nähe  von  zwei  Sauerstoffato- 
men; das  andere,  wie  das  des  Alkohols  in  der  Nähe  von  einem  Sauer- 
stoffatome *). 

Das  eigenthümliche  Verhalten  der  Glycerinsäure  (vgl.  §.  216)  kann 
in  derselben  Weise  gedeutet  werden.  Von  den  drei  typischen  Wasser- 
stoffatomen, die  diese  Säure  enthält,  liegt  das  eine  in  der  Nähe  von  zwei 
Sauerstoffatomen  und  zeigt  desshalb  ein  ähnliches  Verhalten  wie  der  Was- 
serstoff der  Essigsäure;  die  beiden  andern  befinden  sich  nahe  bei  je  ei- 
nem Sauerstoffatom  und  verhalten  sich  daher  ähnlich  wie  der  tjpische 
Wasserstoff  des  Alkohols. 


♦)  Stellt  man  die  Zusammenselzung  der  Glycolsäure  durch  die  mehrfach  (S.  162, 
164,  165)  schon  benutzte  graphische  Dai*st.ellung  dar,  so  tritt  die  unsymme- 
trische Constitution  der  Glycolsäure  und  die  verschiedene  Stellung  der  Was- 
serstoffatome besonders  deutlich  hervor.  Indessen  scheint  es  geeignet,  ge- 
rade bei  diesem  Beispiel  nochmals  hervorzuheben,  dass  diese  Darstellung  in 
keiner  Weise  ein  Bild  der  wirklichen  Lagerung  der  Atome,  dass  sie  vielmehr 
nur  eine  Darstellung  geben  soll  von  den  Beziehungen  der  sich  gegenseitig 
bindenden  Atome. 


Relative  Stellung  der  Atome.  175 

Diese  Beispiele  zeigen  deutlich  den  Einfluss,  welchen  die  relative  294. 
Stellung  der  Atome  innerhalb  der  das  Molecül  bildenden  Atomgruppe  auf 
ihre  chemische  Natur  ausübt.  Dieser  Einfluss  wird  Obrigens  durch  die 
einfache  Betrachtung  schon  einleuchtend,  dass  es  nothwendig  die  Natur 
der  umliegenden  Atome  sein  muss,  die  es  veranlasst,  dass  die  Stelle, 
welche  irgend  ein  Atom  inne  gehabt,  mit  mehr  oder  weniger  grosser 
Leichtigkeit  gerade  durch  dieses  oder  jenes  andere  Atom  eingenommen 
werden  kann. 

Eine   unsymmetrische  Constitution,  d.  h.  eine  unsymmetrische  295. 
Stellung  der  Atome  veranlasst  also  stets  ein  unsymmetrisches  Verhalten 
der  Verbindung   d.  h.  verschiedenes  Verhalten  einzelner  an  sich  gleich- 
artiger Atome. 

Umgekehrt  veranlasst  symmetrische  Stellung  der  Atome  innerhalb 
des  Molecüls  stets  gleichartiges  Verhalten. 

So  sind  z.  B.  die  beiden  typischen  Wasserstoffatome  des  Glycols  schwer 
durch  Metalle,  dagegen  leicht  durch  saure  Radicale  vertretbar;  beide  liegen  wie 
der  typische  Wasserstoff  des  Aethylcdkohols  in  der  Nähe  von  je  einem  Atom 
Sauerstoff. 

Ebenso  sind  die  zwei  typischen  Wasserstoffatome  der  Oxalsäure  mit  gleicher 
Leichtigkeit  durch  Metalle  vertretbar,  weil  beide,  gerade  so  wie  der  typische  Was- 
serstoff der  Essigsäure  an  je  zwei  Sauerstoffatome  angelagert  sind. 

Die  Qlycolsäure  dagegen  zeigt  ein  unsymmetrisches  Verhalten,  sie  steht  wie 
firnher  (§.  216)  schon  hervorgehoben  in  der  Mitte  zwischen  dem  zwcisäorigen  Al- 
kohol: Glycol  und  der  zweibasischen  Säure:  Oxalsäure. 

Diese  Anschauung  gibt  auch  eine  gewisse  Rechenschaft  davon,  warum  die 
mit  der  Glycolsäure  homologe  Kohlensäure  in  Bezug  auf  die  Vertretbarkeit  der 
typischen  Wasserstoffatome  ein  so  verschiedenes  Verhalten  zeigt.  In  der  That 
müssen,  weil  das  Radical  der  Kohlensäure  keinen  Wasserstoff  enthält,  die  beiden 
typischen  Wasserstoffatome  in  Bezug  auf  den  Sauerstoff  der  als  Hydrat  gedachten 
Kohlensäure  gleichartig  (also  symmetrisch)  gestellt  sein. 

In  Verbindungen,  in  welchen  alle  Wasserstoffatome  in  Bezug  auf  die  übri- 
gen Atome  gleichartig  gestellt  sind,  ist  kein  Grund  vorhanden,  warum  einzelne 
mit  besonderer  Leichtigkeit  gegen  andere  Atome  ausgetauscht  werden  sollten.  Daraus 
erklärt  sich  die  indifferente  Natur  der  meisten  Kohlenwasserstoffe. 


Veränderung  der  Basicität  der  Radicale. 

Ans  den  im  Vorhergehenden  gegebenen  Betrachtungen  ist  es  klar,  296. 
dass  es  einerseits  von  der  Natur  der  einwirkenden  Substanz,  andererseits 
aber  auch  von  der  Natur  und  der  relativen  Stellung  der  einzelnen  Atome 
abh&ngig  ist,  ob  eine  Atomgruppe  bei  Einwirkung  eines  anderen  Körpers 
Zersetzung  erleidet  oder  nicht,  und  welchen  Charakter  sie  bei  dieser  Zer- 
setzung zeigt 

Enthält  eine  Verbindung  z.  B.  ein  Atom  Chlor  etc.  an  angreifbarer  297. 
Stelle  ($.  290),  so  wird  bei  vielen  Reaotionen  (dann  n&mlich,  wenn  ein 


176  Theorie. 

Bestandtfaeil  des  einwirkenden  Körpers  besondere  Verwandtschaft  snm 
Chlor  hat)  eine  Zersetzung  in  der  Weise  eintreten,  dass  das  Chlor  in  Ver- 
bindung mit  einem  Theil  der  einwirkenden  Substanz  (dem  Metall  z.  B.) 
austritt,  während  die  beiden  Reste  vereinigt  bleiben.  Man  kann  dann 
sagen,  der  mit  dem  Chlor  verbunden  gewesene  Theil  verh&It  sich  wie 
ein  Radical,  er  tritt  an  die  Stelle  des  Elementes  (oder  Radicals),  welches 
bei  der  Zersetzung  in  Verbindung  mit  dem  Chlor  weggeht  Da  ein  Atom 
Chlor  mit  einem  Atom  Wasserstoff  (oder  der  äquivalenten  Menge  eines 
Metalls  oder  Radicales)  in  Verbindung  tritt,  so  muss  der  mit  dem  Chlor 
verbunden  gewesene  Best  nothwendig  die  Bolle  eines  einatomigen  Ba- 
dicales  spielen. 

Enthält  eine  Verbindung  zwei  Atome  Chlor  an  angreifbarer  Stelle, 
so  werden  bei  geeigneten  Reactionen  zwei  Aequivalente  Chlormetall  er- 
zeugt werden;  der  mit  den  zwei  Atomen  Chlor  verbunden  gewesene 
Best  verhält  sich  also  wie  ein  zweiatomiges  Badical  und  eine  Zer- 
setzung, welche  ein  solcher  Körper  mit  einem  andern  erleidet,  kann  auf- 
gefasst  werden  als  doppelter  Austausch,  bei  welchem  das  zweiatomige 
Badical  an  die  Stelle  von  zwei  Atomen  Wasserstoff  oder  Metall  tritt 

Ebenso  verhält  sich  eine  Verbindung,  die  drei  Atome  Chlor  etc. 
enthält,  bei  geeigneten  Beactionen,  wie  das  Chlorid  eines  ;«dr  ei  atomi- 
gen Badicals  etc. 

299,  Die  Anzahl  der  an  angreifbarer  Stelle  befindlichen  und  desshalb  des 

doppelten  Austausches  fthigen  Chloratome  gibt  also  ein  Maass  für  die 
Basidtät  des  mit  dem  Chlor  verbundenen  Bestes,  als  dessen  Chlorid  der 
chlorhaltige  Körper  angesehen  werden  kann. 

299,  Dass  andere  dem  Chlor  ähnliche  Elemente  oder  Atomgruppen  ganz 

dasselbe  Verhalten  bedingen,  versteht  sich  von  selbst  und  man  sieht 
leicht,  dass  der  Contrast  in  der  chemischen  Natur  der  die  Verbindung 
zusammensetzenden  Elemente  eine  Hauptursache  der  eintretenden  Zer- 
setzung ist  und  dass  es  von  der  Anzahl  solcher  mit  den  übrigen  Bestand- 
theilen  der  Verbindung  in  chemischer  Natur  contrastirenden  Atome  ab- 
hängig ist,  ob  dieselbe  als  Verbindung  eines  einatomigen,  eines 
zweiatomigen  odei*  eines  dreiatomigen  Badicales  erscheint 

Aus  diesen  Betrachtungen  ergibt  sich  nun  weiter,  dass  es  durch  Ein- 
ftahren  von  mit  starker  Verwandtschaft  begabten  Elementen  —  von  Chlor 
oder  von  chlorähnlichen  Elementen  oder  Badicalen  —  gelingen  muss,  ein- 
atomige Badicale  in  zweiatomige  und  selbst  in  dreiatomige  überzuftlhren. 

Einige  Beispiele  werden  zeigen,  dass  dies  in  der  That  der  Fall  ist 

800.  Das  Grubengas  (=  ^H«)  zeigt  wie  die  meisten  Kohlenwasserstoffe  ein  ziem- 

lich indifferentes  Verhalten  j  und  wenn  man  es  als  HydrOr  des  Radicals  Methyl  (als 
6fls.H)  betrachtet,  so  ist  dies  mehr  eine  schematische  als  eine  aof  das  Verhalten 
dieses  Körpers  gestützte  Anschauung. 


Verftnderung  der  Basidt&t  der  Radicale.  177 

Durch  Einwirkuiig  von  Chlor  kann  indessen,  nach  Berthelot's  Versuchen, 
0H3CI  erhalten  werden,  welches  dann  das  Verhalten  des  Chlorids  des  einatomigen 
Radicals  Methyl  (=  eH,)  zeigt 

Lässt  man  auf  dieses  If  ethylchlorid  weiter  Chlor  einwirken,  so  entsteht  Chloro- 
form =  'GHCI3,  welches  sich  bei  geeigneten  Reactionen  wie  das  Chlorid  des  drei- 
atomigen Radicals  6H  verhiQt  Bei  Einwirkung  von  Chloroform  auf  Alkohol- 
natrium £.  B.  entsteht  n&mlich  (nach  Versuchen  von  Kay  und  WiUiamson)  der  s.  g. 
dreibasische  Ameisensäureäther: 

Ebenso  entsteht,  wenn  Chloroform  auf  Anilin  einwirkt  (Hoimann),  eine  Base 
von  der  Zusammensetzung  OuEisN^,  welche  der  Art  ihrer  Entstehung  nach  be- 
trachtet werden  muss,  als: 

e'*H      ; 

H       1 

das  heisst  als  zwei  Molecüle  Anilin,   in  welchen  drei  Atome  Wasserstoff  durch 
das  dreiatomige  Radical  OH  vertreten  sind. 

Wird  endlich  durch  Einwirkung  von  Chlor  auf  Chloroform  das  letzte  Was- 
aerstoffatom  ebenfalls  noch  durch  Chlor  ersetzt,  so  entsteht  der  Chlorkohlenstoff 
^Cl«,  der,  wenn  er  überhaupt  doppelte  Zersetzung  zeigt,  sich  wie  das  Chlorid 
eines  vier  atomigen  Radicals  verhalten  muss.  In  der  That  hat  Hofmann  gefun- 
den, dass  bei  Einwirkung  von  Chlorkohlenstoff  auf  AniHn  eine  Base  erzeugt  wird, 
deren  Formel  (=  Oj^H^N,),  der  Art  der  Bildung  nach,  dargestellt  werden  kann, 
durch: 

IV 

e 


{eA)3JN„ 

H,    S 


wonach  die  Base  als  drei  zu  einem  Holecttl  vereinigte  Anilinmolecttle  erscheint,  in 
welchen  der  Kohlenstoff,  insofern  er  vier  Atome  Wasserstoff  ersetzt,  die  Rolle  eines 
vieratomigen  Radicales  spielt*). 


^)  Man  kann  eine  grosse  Anzahl  organischer  Verbindungen  in  ähnlicher  Weise 
betrachten,  so  nämlich,  dass  man  den  Kohlenstoff  als  vieratomiges  Radical 
an  die  Stelle  von  4  Atom  Wasserstoff  in  die  Typen  einfahrt.  So  kann  z.  B. 
das  Cyanamid  betrachtet  werden  als  2  Molecüle  Ammoniak,  in  welchen 
4  Atome  H  durch  ein  Atom  Kohlenstoff  vertreten  sind; 
Cyanamid. 

IV 

Dieselbe  Verbindung   kann  auch   angesehen   werden   als   1  Mol.  NH,,   in 
welchem  ein  At.  H  durch  das  einbasische  Radical  Cyan  ersetzt  ist: 

C3'anamid. 


Dieselbe  doppelte  Betrachtungsweise  ist  auf  fast  alle  Cyanverbindungen 

KckaU,  orgao.  Chemie.  X2 


Ml 


178  Theorie. 

Bei  diesen  Reactionen  entsteht  also  durch  Einführen  von  einem  Atom  Chlor 
an  die  SteUe  von  Wasserstoff  aus  dem  indifferenten  Grubengas  das  Chlorid  eines 
einatomigen  Radicals.  Durch  weiteren  Eintritt  von  zwei  Atomen  Chlor  an  die 
Stelle  von  zwei  Atomen  Wasserstoff  dieses  Radicals,  also  durch  indirecten  Austritt 
von  zwei  Atomen  Wasserstoff  wird  das  einatomige  Radical  (Methyl  =  OH3)  in 
das  dreiatomige  Radical  6H  übergefithrt.  Aus  diesem  entsteht  endlich  durch 
Austritt  von  dem  noch  darin  enthaltenen  Atom  Wasserstoff,  das  heisst  durch  Ver- 
treten dieses  Wasserstoffs  durch  Chlor,  ein  vieratomiges  Radical.  Es  Iftsst  sich 
also  auf  dem  Weg  des  Experimentes  ausführen,  was  oben  (§.  289)  als  schema- 
tische Betrachtung  mitgetheilt  wurde.    Man  hat: 

6iiH2n  -f-  1  z.  B.  6H3  einbasisch 
6nH2a  --  1  „  6H  dreibasisch 
6nH2n  —  2       „       6        vierbasisch. 

Das  in  dieser  Reihe  fehlende  Glied:  OnH^o  oder  6Hs  muss  offenbar  zwei- 
basisch sein,  es  ist  indessen  bis  jetzt  nicht  gelungen  Verbindungen  dieses  zweiato- 
migen Radicals  aus  dem  Grubengas  oder  dem  Methylchlorid  zu  erzeugen,  dagegen 
hat  Buttlerow  amgekehrt  aus  dem  dem  Chloroform  entsprechenden  Jodoform  das 
Methylenjodid  und  aus  diesem  essigsaures  Methylglycol  erhalten,  die  beide  als 
Verbindungen  dieses  Radicals  angesehen  werden  müssen  und  in  welchen  es  wirk- 
lich zweiatomig  ist: 


z.  B.  auf  die  Blausäure  und  das  Chlorcyan  anwendbar,  von  welchen  die  er- 
stere  gewöhnlich  als  die  Wasserstoffverbindung,  die  letztere  als  die  Chlor- 
verbindung des  einatomigen  Radicals  Cyan  angesehen  wird. 

Cyanwasserstoffsäure.  Chlorcyan. 

6N.C1      oder      Oj' 
H  'Cl. 

Auch  in  dem  Melanilin  (einer  durch  Einwirkung  von  GEhlorcyan  auf  Anilin 
entstehenden  Base)  kann  der  Kohlenstoff  als  vieratomiges  Radical  angenom- 
men werden;  das  Melanilin  erscheint  dann  der  oben  erwähnten  Base  Hof- 
mann's  vollständig  analog: 

Base  von  Hpfinann.  Melanilin. 

IV  nr 

e    )  6 


(e.H,),>N,  (e.H,),^N,. 

Beide  Körper  können  indess  auch  als  Cyanverbindungen  angesehen  wer- 
den; d.  h.  als  enthielten  sie  das  einatomige  Radical  Cyan.    Sie  sind  dann: 

Base  von  Hofmann.  Melanilin. 

Cyan  -  triphenyl  -  diamin.  Cyan  -  diphenyl  -  diamin. 

€fN      )  €N      ) 


Verftndenmg  der  Basidtät  der  Radicale.  iT9 

Methylei^odid.  Essigssiires  MeÜiylglycol. 


Audi  &auerato£fhaltige  Radioale   können  durch  Eintritt  von  Chlor  802. 
an  die  Stelle  von  Wasserstoff  in  Radicale  von  höherer  Basieitftt  flber- 
geftahrt  weiden.        §  '^^^ 

Ans  der  Essigsfture,  einer  Verbindung  des  einatomigen  Radicals  O^H^^, 
entateht  %,  B.  dnrch  Einwirkung  von  Chlor  die  MonochloresBigsfture ;  eine  Snb- 
gtanx,  die  bei  vielen  Reactionen  sich  der  Essigsäure  analog  verhält,  d.  h.  als  Ver- 
bindung des  einatomigen  RadicaJs  63H3CI0  erscheint  Beim  Erhitzen  mit  Wasser 
oder  Alkalien  indessen  geht  diese  Säure  in  Glycolsäure  über,  die  ihrerseits  als  Ver- 
bindung des  zweiatomigen  Radicals  OfHaO  angesehen  werden  muss  *).  ($§•  215, 
219,  285.) 

Essigsäure.  Monochloressigsäure.  Glycolsäure. 

€A^e  «Äciej^  ^•^^^.- 

Durch  Austritt  von  einem  Atom  Wasserstoff,  welcher  Austritt  durch  das 
voihergegangene  Eintreten  von  Chlor  vermittelt  wurde,  wird  also  das  einatomige 
Radical  der  Essigsäure  in  das  zweiatomige  Radical  der  Glycolsäure  übergefOhrt 

Eigenthflmliches  Interesse  bietet  noch  der  üebergang  des  einatomigen  Ra-  gos. 

dicals:  Kakodyl  (=  AB(ßE^)^  in  das  zweiatomige  Radical:   Arsenmonomethyl 

(=  As(0El3))  dar,  weil  dabei  nicht  Wasserstoff,  sondern  die  dem  Wasserstoff  äqui- 
valente Atomgruppe  (das  Radical)  Methyl  durch  Chlor  ersetzt  und  so  dem  Radical 
entzogen  wird.  Aus  Eakodylchlorid  entsteht  nämlich  durch  Einwirkung  von  Chlor 
und  unter  Austritt  von  Methylchlorid  das  Arsenmonomethylbichlorid  (vgl.  §§.  288, 
289).  Aus  dem  ersteren,  dem  Eakodylchlorid,  kann  eine  Reihe  von  Verbindungen 
erhalten  werden,  in  welchen  wie  in  dem  Chlorid  selbst  das  Kakodyl  die  Rolle 
eines  einatomigen  Radicales  spielt,  während  das  Arsenmonomethylbichlorid  die 
Bildung  von  Substanzen  veranlasst,  in  welchen  ein  zweiatomiges  Radical  ange- 
nommen werden  kann. 


^)  Ebenso  entsteht  dnrch  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  Monochloressigsäure 
oder  auf  die  correspondirende  Monobromessigsäure  das  Glycocoll,  welches 
als  die  Aminsäure  desselben  zweiatomigen  Radicals  angesehen  werden  muss, 
dessen  Hydrat  die  Glycolsäure  ist  (vgl.  §.  258). 

Glycolsäure.  Glycocoll  ^ 

Glycölandnsäure. 


W}e,  §N 


12' 


180  Theorie. 

Radical  Kakodyl.  Kakodylchlorid. 

AsCGHa),  A«(eH,)a.Cl. 

Arsenmonomethyl.  Arsenmonomethylbichlorid. 

AsCeHj)  Aß(eH,).Cla. 

^04.  Ebenso  häufig  wie  die  Uebergänge  einatomiger Radicale  in  mehr- 

atomige durch  Eintritt  von  Chlor  oder  chlorähnlichen  Elementen  sind  die- 
jenigen, bei  welchen  diese  Umwandlung  durch  die  dem  Chlor  analoge 
Atomgruppe  NO^  (Nitrogruppe,  Nitryl)  hervorgebracht  wird. 

Aus  dem  Eohlenwasserstoff  Benzol  =  6«]!«  entsteht  z.  B.  durch  Einwirkung 
von  Salpetersäure  zunächst  Nitrobenzol  =  6eH5(N0-a)  und  später  Binitrobenzol  = 
■9QH4(KOa)2-  Durch  Einwirkung  reducirender  Substanzen  gibt  das  erstere  Anilin 
=  6eH,N,  das  letztere  Semibenzidam  =  O^HgNa.  Betrachtet  man  diese  beiden 
Körper,  wie  dies  den  Eigenschaften  nach  geschehen  muss,  als  dem  Ty^uB  Ammo> 
niak  zugehörig,  so  ist: 

Anilin.  Semibenzidam. 

#  m 

H  N,   H, 

H  /h. 

Das  Anilin  erscheint  als  Ammoniak,  in  welchem  ein  Atom  Wasserstoff  durch 
das  einatomige  Radical:  ^«H^  vertreten  ist;  das  Semibenzidam  als  zwei  Uolecüle 
Ammoniak,  in  welchen  zwei  Atome  Wasserstoff  durch  das  zweiatomige  Radical 
B^B^  ersetzt  sind. 

Das  Nitrobenzol  verhält  sich  also  wie  das  Nitrit  des  einatomigen  Radicals  O^H^ ; 
durch  Eintiiit  der  dem  Chlor  ähnlichen  Atomgruppe  NO2  ^^  die  Stelle  eines  Atoms 
Wasserstoff  in  dieses  Radical  entsteht  das  Binitrobenzol,  welches  das  Verhalten 
eines  Binitiits  des  um  ein  Atom  Wasserstoff  ärmeren  und  dadurch  zweibasisch  ge- 
wordenen Radicales :  BJtL^  zeigt. 
305.  In  ganz   ähnlicher  Weise   wii'd  durch  Eintritt  derselben  Nitrogruppe  (NO,) 

das  einbasische  sauerstoffhaltige  Radical  (O^H^O)  der  Benzoesäure  in  das  zwei- 
atomige Radical  6-jH40  übergeführt.  Durch  Einwirkung  von  Salpetersäure  auf 
Benzoesäure  entsteht  nämlich  Nitrobenzoesäure : 

Benzoesäure.  Nitrobenzoesäure. 

e^H^ou  e,H4(N0,)ei^ 

Aus  dieser  wird  durch  reducirende  Substanzen  Benzaminsäure  erzeugt,  die 
(ähnlich  wie  das  Glycocoll)  als  Verbindung  eines  zweiatomigen  Radicals  angesehen 
werden  muss;  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  erhält  man  endlich  aus 
dieser  die  Oxybenzoesäure  (Gerland),  welche  als  die  dem  Wassertyp  zugehörige 
Verbindung  desselben  zweiatomigen  Radicals  angesehen  werden  kann,  dessen  Amin- 
säure  die  Benzaminsäui*e  ist  *) : 


*)  Die  Analogie  dieses  üebergangs  des  einatomigen  Radicab  61H5O  in  das 
zweiatomige  O1H4O  mit  dem  Uebergang  des  Radicals  der  Essigsäure  in  das 
Radical  der  Glycolsäure  (§i  302)  ist  nicht  zu  verkennen. 


Yerftndenmg  der  Basidtftt  der  Radicale.  Igl 

Benzanunsfture.  Ozybenzoesäure. 

h' 


e 


Aueh  durch  Einwirkung  der  wasserfreien  Schwefelsäure  werden  bis-  306. 
weilen  einatomige  Radicale  durch  Verlust  von   einem  Atom  Wasserstoff 
in  zweiatomige  übergeführt 

So  entsteht  z.  B.  aus  der  Essigsäure,  die  man  als  dem  Wassertyp  zugehörige 

Verbindung  des  Radicals:   ^^E^^  betrachtet,  die  Snlfoessigsftnre,  in  welcher  das 

nm  ein  Atom  Wasserstoff  firmere  Radical:  O^BjO  zweiatomig  ist.    Ebenso  entsteht 

aus  der  Benzoesäure,  einer  Verbindung  des  einatomigen  Radicals:  O^H^O,  die  Sul- 

fobenzoesfiure,  deren  Radical  B-fi^^  zweiatomig  ist.  — 

Auch  bei  Bildung  von  Carbylsulfat ,  Isäthionsfiure  und  Aethionsäure  durch 
Emwirkung  der  wasserfreien  Schwefelsäure   auf  Alkohol   wird  das  einatomige  Ra- 

dical  des  Alkohols  (C3H9)  durch  Verlust  von  einem  Atom  Wasserstoff  in  das  zwei- 

atomige  Radical  OjE^  übergeführt  •).  — 

Aehnlich  wie  durch  Austritt  von  Wasserstoff  einatomige  Radicale  307. 
in  zweiatomige,  in  dreiatomige  etc.  übergeführt  werden  können,  so  kön- 
nen umgekehrt  durch  Aufnahme  von  Wasserstoff  dreiatomige  Radicale  ^ 
in  zweiatomige,  und  zweiatomige  in  einatomige  übergeftlhrt  werden. 

Das  Propylen  (=  OsH,)  z.  B.,  welches  das  Verhalten  eines  zweiatomigen 
Radicals  zeigt,  sich  also  mit  zwei  Atomen  Chlor  oder  Brom  verbindet  und  so  ein 
Bromid  erzeugt,  aus  welchem  Propylglycol  und  essigsaures  Propylglycol  erhalten 
werden  können: 

Propylen.  Propylenbromid.  Propylglycol.  Essigsaures 

Propylglycol. 


BJä^ .  "^jH«  •  ß^2  ^3^1 


'i:l^«    (eaf4)j^« 


*)  Will  man  diese  Betrachtung  noch  weiter  ausdehnen,  so  kann  die  Wirkung 
des  Sauerstoffs  in  derselben  Weise  aufgefasst  werden  wie  die  des  Chlors. 
Wenn  aus  Alkohol  Essigsäure  entsteht,  so  tritt  an  die  Stelle  von  zwei  Ato- 
men Wasserstoff  im  Radical  des  Alkohols  die  äquivalente  Menge  Sauerstoff 
(vergl.  §.  212).  Da  nun  die  Essigsäure  einzelnen  Reactionen  nach  (vergl. 
§.  246)  als  Verbindung  des  dreiatomigen  Radicals  OaHg  angesehen  werden 
kann,  so  kann  man  sagen,  das  einatomige  Radical  des  Alkohols  sei  durch 
Austritt  von  zwei  Atomen  Wasserstoff  in  dieses  dreiatomige  Radical  der 
Essigsäure  Übergefährt  worden: 

Alkohol.  Essigsäure. 


182  Tlieori«. 

kann,  wie  Bertibeloi  gescigt  hat,  direct  mit  Salzsftnre  Tereinigt  werden  unter  Bü- 
düBg  Yon  Propylchlorid  =  OjE^Cl,   welches  sich  dann  wie  das  Chlorid  des  ein- 

atomigen  Radicals  BJl-,  yerhfilt. 

Auch  durch  Schwefels&nrehydrat  gelingt  die  üeberflihnmg  dieses  zweiatomi- 

gen  Radicals:    Propylen  (BJS.^)  in  das  einatomige  Radical:  Propyl  (6,H,).    Das 
Propylen  vereinigt  sich  nttmlich  (nach  Berthelot)  direct  mit  SchweCelsänrehydrat 
und  die  so  entstandene  PropylschwefelBfinre   gibt  mit  Wasser  yerdflnnt  und  destil- 
'      lirt  PropylalkohoL 

In  derselben  Weise  wird  dnrch  Einwirkung  von  Chlorwasserstoff  oder  Brom- 

Wasserstoff  auf  das    zweibasische  Amylen  (=  Bfii^')^    das   einbasische:   Amyl 

(=s  O^ii)  \  durch  Einwirkung  von  Bromwasserstoff  oder  von  Schwefelsfturehydrat 

auf  das  zweibasisohe  Aethylen  (=  O^H«)  das  einbasische  Aethyl  (=  O^H^)  erzeugt. 

In  allen  diesen  Reactionen  gehen  die  zweibasischen  Radicale  'GnBsa  durch 
Aufiiahme  von  einem  Atom  Wasserstoff  in  die  einbasischen  Radicale  OoHsa  +  i 
über  (vgl.  $.  289). 

g0g  Hierher  gehört  auch  der  üebergang  von  Chlorkohlenstoff  (6CI4)  in  Chloro- 

form (OHCl,)  und  Methylchlorid  (6H3CI).  Dabei  wird^  indem  Wasserstoff  an  die 
Stelle  des  Chlors  tritt,  das  Verhalten  der  Verbindung  in  der  Weise  umgeändert, 
dass  aus  dem  Chlorid  des  vieratomigen  Radicals  (6),  ein  Chlorid  eines  dreiatomi- 
gen Radicals  (6H)  und  endlich  ein  Chlorid  des  einatomigen  Radicals  (OH,)  ent- 
steht. Durch  Aufnahme  von  Wasserstoff  geht  also  das  vieratomige  Radical  in  ein 
dreiatomiges  und  endlich  in  ein  einatomiges  über.  Das  Einführen  von  Wasserstoff 
an  die  Stelle  von  Chlor  macht  es  also  möglich,  genau  die  umgekehrte  Ver&nde- 
rung  Yon  derjenigen  hervorzubringen,  welche  durch  Einbringen  von  CSilor  an  die 
Stelle  des  Wasserstoffs  stattfindet  (vgl.  §.  801). 

809.  ^^  ^^^  Metamorphosen,  bei  welchen  die  Radicale  ihre  Basicit&t  än- 

dern, sind  auch  noch  diejenigen  zu  zählen,  bei  welchen  ein  Chlorid  oder 
Bromid  direct  ein  MolecOl  Chlor  oder  Brom  au&immt  und  so  einen  Kör- 
per erzeugt,  der  sich  verhält  wie  das  Chlorid  oder  Bromid  eines  Radi- 
cales,  welches  dem  in  der  angewandten  Verbindung  enthaltenen  gleich 
zusammengesetzt  ist,  dessen  Basicität  aber  um  zwei  grösser  ist 

So  v^bindet  sich  z.B.  das Eakodylchlorid  =  Ab(OH,)3.C1  direct  mit  Chlor, 

m 

um  Kakodyltrichlorid  =  As(6H,)3.Cl3  zu  erzeugen.  Das  erstere  verhttlt  sich  wie 
das  Chlorid  eines  einatomigen,  das  letztere  wie  das  Chlorid  eines  dreiatomi- 
gen Radicals. 

Ein  fthnlicher  Üebergang  eines  einatomigen  in  ein  dreiatomiges  Radical  von 
gleicher  Zusammensetzung  findet  bei  der  Einwirkung  von  Brom  auf  Allyljodid  (= 
O3H5J)  statt  Dabei  entsteht  nämlich  das  Bromid  ^^H^Br, ,  offenbar  indem  zunächst 
Brom  an  die  Stelle  des  Jods  in  Allyljodid  tritt  und  das  gebildete  Bromid  sich  dann  mit 
zwei  weiteren  Bromatomen  vereinigt  Das  Allyljodid  zeigt  das  Verhalten  des  Jo- 
dids eines  einatomigen  Radicals ;  es  liefert  z.  B.  mit  essigsaurem  Silber  Essigsäure- 
Allyläther,  aus  welchem  durch  Kali  der  Allylalkohol  erzeugt  wird.  Das  AUyltri- 
bromid  dagegen  verhält  sich  bei  dieser  Reaction  wie  das  Bromid  des  dreiatomigen 


bomerie. 


183 


Badicals,  es  gibt  mit  essigBaarem 
(Hyeerin  erhalten  werden  kann: 


Triacetin,  ana  welehem  mit  Barytwasser 


AUyljodid. 

AUylalkohoL 

EBsigsÄure  -  Allyläther. 

«A-J 

^•S1^ 

Allyltribromid. 

Glycerin. 

Triacetin. 

OA-Br. 

^•^i^» 

Das  Umgekehrte  von  dieser  Umwandlang   einatomiger  Radicale  in  810. 
die  gleich  zusammengesetzten  dreiatomigen  findet  bei  der  Einwirkung  von 
Jodphosphor  (=  P2J4)  auf  Olyoerin  statt   Dabei  entsteht  Allyljodid.    Das 
dreiatomige  Radical  des  Glycerins  wandelt  sich  also  in  das  gleich  zusam- 
mengesetzte aber  einatomige  Radical  Allyl  um. 


Isomerie.    Polymerie.    Metamerie. 

Man  war  früher  der  Ansicht,  dass  gleiche  Zusammensetzung  noth-  311. 
wendig  gleiche  Eigenschaften  bedingen  müsse.  Man  kennt  jetzt  zahbeiche 
Beispiele  dafür,  dass  dies  nicht  immer  der  Fall  ist.  In  der  That  zeigt 
schon  eine  ein&che  Betrachtung,  dass  Körper  von  gleicher  procentischer 
Zusammensetzung  aus  mehrfachen  Ghründen  doch  völlig  verschiedene  Ei- 
genschaften zeigen  können. 

Zunächst  können  procentisch  gleich  zusammengesetzte  Körper  ver- 
schiedene Moleculargrösse  besitzen;  so  dass  also  der  eine  innerhalb  eines 
Molecüls  die  doppelte  oder  dreifache  Anzahl  von  Atomen  enthält  als  der 
andere.  Dann  aber  können  selbst  Körper,  die  bei  gleicher  procentischer 
Zusammensetzung  auch  gleiche  Moleculargrösse  besitzen,  doch  völlig  ver- 
schiedene Eigenschaften  zeigen,  wenn  die  relative  Stellung  der  Atome 
innerhalb  der  Molecüle  verschieden  ist. 

Man  bezeichnet  im  Allgemeinen  alle  diejenigen  Körper  als  isomer,  812. 
die  bei  gleicher  procentischer  Zusammensetzung  verschiedene  Eigenschaf- 
ten besitzen. 

Polymer  nennt  man  diejenigen  Substanzen,  bei  welchen  die  Iso-  813. 
merie  durch  Verschiedenheit  der  Moleculargrösse  bedingt  ist;  welche  also 
dieselbe  empirische  Verh&ltnissformel  (§.  45)  aber  ungleiche  Molecular- 
fonnel  ($.  63)  besitzen. 

Es  ezistirt  z.  B.  eine  grosse  Anzahl  von  Eohlenwasserstoflfen  (Aethylen,  Pro- 
pylen,  Batylen,  Amylen  etc.),  die  alle  auf  86.71  p.  C.  Kohlenstoff,  14,29  p.  C. 
Wasserstoff  enthalten,  die  also  alle  durch  die  Yerh&ltmssformel  ßE^  (oder  allge- 
mein) OnHin  ansgedrückt  werden.  Trotz  der  Gleichheit  der  Zosammensetzung 
siiid  diese  Kohlenwasserstoffe  völlig  yerschiedene  Körper.  Sie  sind  isomer  tmd  die 


184  Theorie. 

iBomerie  hat  ihren  Grand  darin^  dass  die  Anzahl  der  im  HolectU  enthaltenen  Atome 
bei  diesen  verschiedenen  Körpern  verschieden  ist;  diese  Kohlenwasserstoffe  sind 
also  polymer.  Nach  den  Beziehungen,  die  sie  za  andern  Körpern  zeigen,  mässen 
ihre  MolectUe  ausgedrückt  werden  durch  die  Formeln: 

Aethylen.  Propylen.  Butylen.  Amylen    etc. 

CtjH«  ^3^f  '^4'^8  ^6^10' 

Ebenso  gibt  es  drei  nach  physikalischen  und  chemischen  Eigenschaften  ver- 
schiedene Körper,  die  durch  die  Verhältnissformel  6KC1  ausgedrftckt  werden  kön- 
nen. Nach  dem  chemischen  Verhalten  dieser  Körper  hat  die  Isomerie  ihre  Ursache 
in  ungleicher  Moleculargrösse.    Die  Molecularformeln  der  drei  Körper  sind: 

Gasförmiges  Ghlorcyan.        Flüssiges  Chlorcyan.        Festes  Chlorcyan. 

€Na  e^aCi,  e,N,a3. 

Bemerkenswerth  ist  dabei  noch  die  Leichtigkeit,  mit  welcher  die  eine  poly- 
mereModification  in  die  andere  umgewandelt  wird.  Das  gasförmige  Chlor- 
cyan geht  nttmlich  von  selbst  in  festes  Chlorcyanf  über,  offenbar  indem  drei  Ho- 
lecüle  sich  zu  einem  vereinigen. 

Eine  ähnliche  Polymerie  findet  statt  zwischen: 

Gyansäure.  Cyanursfture.  Cyamelid. 

Auch  hier  kann  die  eine  polymere  Modification  leicht  in  die  andere  überge- 
ftlhrt  werden.  Die  Cyanursfture  verwandelt  sich  beim  Erhitzen,  indem  ein  Molecül 
sich  in  drei  Molectüe  spaltet,  in  Cyansfture;  diese  geht  von  selbst  in  Cyamelid 
über,  wahrscheinlich  indem  eine  gewisse  Anzahl  von  Cyansfturemolecülen  sich  zu 
einem  Molecül  vereinigen. 

Ein  ähnlicher  üebergang  eines  Körpers  in  einen  andern  mit  ihm  polymeren 
findet  beim  Erhitzen  des  Cyanamids  statt,  dabei  entsteht  Melamin: 

Cyanamid.  Melamin. 

GN<|H]i  GjN^Hg. 

Auch  der  Aldehyd  (GaH^O)  geht  beim  Aufbewahren  in  verschiedene  mit 
ihm  gleich  zusammengesetzte  Körper:  den  Metaldehyd,  Paraldehyd  und  Elaldehyd 
Über,  die  wahrscheinlich  polymere  Modificationen  von  grösserem  Molecül  sind, 
deren  Moleculargrösse  aber  noch  nicht  festgestellt  ist 

Ebenso  verwandelt  sich  der  Benzoylaldehyd  (Bittermandelöl)  :=  GiH^O  un- 
ter gewissen  Bedingungen  in  einen,  den  Eigenschaften  nach  verschiedenen,  aber 
gleich  zusammengesetzten  Körper:  das  Benzoin,  dessen  Molecül  wahrscheinlich 
doppelt  so  gross  ist,  wie  das  des  Bittermandelöls: 

Bittermandelöl.  Benzoin. 

Polymer  sind  femer: 

Aldehyd  und  Buttersäure. 


vjBkd^  'Ö^Hg'ö'j 


T 


Isomerie. 

Valeraldid 

und 

Caprinsfiure. 

OftH,^^ 

^lo^jo^a- 

Angelicasänre 

und 

Camphorsänre. 

^A^j 

^lAt^«. 

185 


Metamer  nennt  man  diejenigen  bei  gleicher  Moleculargrösse  iao-  814. 
meren  Körper,  bei  welchen  man  sich  von  der  Verschiedenheit  der  rela- 
tiven Stellung  der  Atome  eine  gewisse  Rechenschaft  wenigstens  zu  geben 
im  Stande  ist;  die  also  bei  gleicher  empirischer  Molecnlarformel  (SS*  63, 
251)  daroh  verschiedene  rationelle  Formeln  (S-  252)  ausgedrückt  werden 
können. 

Die  Anzahl  metamerer  Verbindungen  ist  ungemein  gross. 

Metamer  sind  z.  B.: 
Die  Aeiherarten  der  fetten  Sfturen  untereinander  (vgl.  §.  254).    Z.  B. : 

Essigsäuremethyläther  mit  Ameisensäureäthyläiher. 

Buttersäure-  Propionsäure-  Essigsäure-  Ameisensäure- 

methyläther, äthyläther.  propyläther.  butyläther. 

eH,r  e^r  ^aH,r  e,H,r- 

Femer:  dieselben  Aeiher  mit  den  fetten  Säuren  (vgL  §.  254).    Z.  B.: 

Propionsäure        mit        Essigsäuremethyl-        und        Ameisensäure- 
äther äthyläther. 

Ebenso:  Baldriansäure  mit  Buttersäuremethyläther  und  den  drei  oben  aufge- 
führten mit  diesem  metameren  Aetherarten. 

Metamer  sind  femer  die  Aether   und   intermediären  Aether   der  Alkohol- 
gruppe^  z.  B. : 


Butyläther 

mit 

Methyloenanthyläthe 

eÄK 

Hethylamylttther 

mit 

Aethylbutyläther. 

eA.r 

«Ar- 

ben  Aether  mit  den  Alkoholen, 

z.  B. 

Methyläther 

mit 

AethylalkohoL 

m* 

^Aje. 

186 


Theoffto. 

Aethylätfaer                 mit 

BotyUkohtd. 

«^». 

Die  Aldehyde  mit  den  Acetonen,  z.  B.: 

Propylaldehyd. 

Aceton. 

€A|j 

vjlijTT 

Der  AUylalkohol  mit  den  beiden  eben  genannten  Körpern: 

AUylalkohol. 

Polymer  mit  diesen  drei  metameren  Sabstanzen  ist  femer  noch  die  Capron- 

Capronsänre. 

Metamer  sind  femer   viele  dem  Ammoniaktypns  zugehörige  Basen  der  Al- 
koholradicale,  z.  B.: 

mit 


säure: 


Aethylamin 


Dimethylamin. 


H  >N 


OH- 
H 


mit 


Propylamin 

H  >N 
H 


Einzelne  der  substituirten  Harnstoffe,  z.  B.: 


Trimethylamln. 
eH,J 

OH, 


33i 


Aethylhamstoff  mit 

Weiter  sind  metamer: 
Berasteinsfture        mit        Aethyloxalsäure 

0  » 


Dimethylhamstoff. 


und        OzalBSnremethyUUlier. 
(OH, 


^t)j^'- 


Zu  den  metameren  Körpern  kann  maii  auch  noch  z&hlen: 
Benzoesäure.  Saücylige  Säure. 


lBoni«rie.  187 

MethylaaUcylsäure  und  Anissäure. 

Salicylsäaremethyl-        mit       Aethylsalicyl-        and        AniBBäuremeÜiyl- 
äther.  säure.  ftther. 

«-^j».  «^j«.        «•*.s^!*- 

obgleich  in  diesen  FfiDen  die  Isomerie  weit  weniger  erklärt  ist,  wie  in  den  vorher- 
gdienden,  insofern  in  den  fttr  dieAniss&nre  und  Salicylsftnre  gebrauchten  Formeln 
noch  verhfiltnissmftssig  complidrt  zusammengesetste  Radicale  angenommen  sind, 
deren  innere  Constitution  bis  jetKt  wenig  bekannt  ist. 

In  allen  diesen  und  zaUreichen  anderen  F&llen  findet  die  Metamerie  815. 
ihreErkl&ning  in  der  Verschiedenlieit  der  in  den  Verbindungen  enthaltenen 
Radicale.     In  einzelnen  anderen  Fällen  kann  man  sich,  obgleich  die  in 
den  metameren  Körpern  enthaltenen  Radioale  identisch  sind,  von  der  He- 
tamerie  dennoch  eine  gewisse  Beehensehaft  geben. 

So  kann  z.  B.  die  Verschiedenheit  der  Eigenschalten  des  Ozamethans  und 
der  Aethyloxaminsäure  dadurch  erklftrt  werden,  dass  man  annimmt,  in  dem  erste- 
ren  vertrete  das  Radical  Aethyl  den  dem  Sauerstoff  nahe  stehenden  (dem  Typus 
Wasser  zugehörigen)  Wasserstoff,  in  dem  letzteren  dagegen  ein  Atom  Wasserstoff 
des  Ammoniaktypus: 

Oxamethan.  Aethyloxaminsäure. 

oaI^  h  1^- 

Auch  die  Verschiedenheit  der  beiden  isomeren  Körper:  Bromwasserstoffsau- 
res  Chlorcinchonin  und  chlorwassers^ffsaures  Bromdnchonin  findet  ihre  Erklärung 
in  der  Metamerie.    Vgl.  auch  $.  254. 

Salzsanres  Bromcinchonin OsoH^aBr^N^O,  2HC1 

Bromwasserstofiisaures  Chlorcinchonin    .    ^ao^aaClaN,^,  2HBr. 

Das  eine  ist  das  salzsaure  Salz  eines  Bromsubstitutionsproductes,  das  andere 
das  bromwasserstoffsaure  Salz  eines  Chlorsubstitutionsproductes. 

Während  man  in  allen  diesen  Fällen  von  Isomerie  sich  durch  die,  316. 
auf  das  Verhalten  der  betreffenden  Substanzen  begründeten,  rationellen 
Formeln  eine  gewisse  Vorstellung  von  der  Ursache  der  Isomerie  bilden, 
diese  also  durch  Polymerie  oder  Metamerie  erklären  kann,  existirt  eine 
verhältnissmässig  grosse  Anzahl  von  Isomerieen,  für  welche  der  jetzige 
Stand  unserer  Kenntnisse  keine  oder  wenigstens  keine  nur  einigermassen 
genügende  Erklärung  zu  geben  im  Stande  ist. 

Dies  liegt  in  vielen  Fällen  daran,  dass  die  eine  oder  beide  iso- 
mre Substanzen  noch  nicht  hinlänglich  studirt  sind,  um  ihr  chemisches 


188  Theorie. 

Verhalten  durch  eine  rationelle  Formel  ausdrücken  zu  können.  In  ande» 
ren  F&llen  dagegen  beobachtet  man  verschiedene  Eigenschaften  bei  Kör- 
pern, welchen  man  dem  jetzigen  Stand  unserer  Kenntnisse  nach  gleiche 
rationelle  Formeln  beizulegen  sich  genöthigt  sieht.  Diese  letzteren  F&lle 
bezeichnet  man  bisweilen  mit  isomer  im  engeren  Sinn, 

317.  Zu  den  Fällen  von  Isomerie,  bei  welchen  man  sich  von  der  Ursache  der 
Verschiedenheit  keine  Rechenschaft  geben  kann,  weil  der  eine  oder  beide  isomere 
Körper  noch  zu  wenig  bekannt  sind,  gehören  z.  B.  die  folgenden: 

Die  Cmninsäure  ist  isomer  mit  der  Nelk^äure  (=  ^loHiaO-j). 
Das  Sarkosin  ist  isomer  mit  dem  Alanin  (=  ■BsH^N^))* 
Das  Furforamid  verwandelt  sich  leicht  in  das  isomere  Forforin 
(=  e^HiaNaOa)  etc. 

Isomer  sind  femer  viele  der  s.  g.  Kohlenhydrate,  z.  B.:  Cellulose,  Stftrke,  Dextrin 
(=  '9«H|o05);  Gummi,  Rohrzucker,  Milchzucker  (Oi2Hsa'9'ii)  etc. 

318.  Zu  den  Isomerieen  im  engeren  Sinn  rechnet  man  hftufig  die  ver- 
schiedenen nach  der  Verhftltnissforme]  OnHg  zusammengesetzten  Kohlenwasser- 
stoffe. Für  viele  dieser  Körper  hat  die  Isomerie  offenbar  ihren  Grund  in  Poly- 
merie, wenigstens  spricht  die  Zusammensetzung  der  Verbindungen,  welche  diese 
Körper  mit  Chlorwasserstoffsfiure  und  Bromwasserstoffsäure  zu  bilden  im  Stande 
sind,  dafür  dass  einzelnen  die  Molecularformel  OioHi«,  andern  dagegen  die  Moleca- 
larformel  620H33  zukommt.  Die  Isomerie  derjenigen  Kohlenwasserstoffe  dagegen, 
deren  Moleculargrösse  (wahrscheinlich)  identisch  ist,  kann  für  jetzt  in  keiner  Weise 
erklärt  werden;  da  indess  die  chemische  Natur  dieser  Körper  noch  so  wenig  er- 
kannt ist,  dass  für  keinen  derselben  eine  rationelle  Formel  aufgestellt  werden 
kann,  so  liegt  kein  Grund  vor,  für  diese  Körper  gleiche  Constitution  anzunehmen. 

Will  man  den  Begriff  von  isomer  im  engeren  Sinn  beibehalten,  so  gehören 
dahin  etwa: 

Die  Maleinsäure  und  Fumarsäure,  die  beide,  als  zweibasische  Säuren,  nach 
der  typischen  Schreibweise  der  Formeln  ausgedrückt  werden  können  durch: 

Femer  die  beiden  ebenfalls  zweibasischen  Säuren :  Schleimsäure  und  Zucker- 


säure: 


ti^' 


^2] 

Man  sieht  indessen  leicht,  dass  die  hier  gegebenen  Formeln  nicht  eigentlich 
rationdle  Formeln  sind,  insofern  sie  nur  die  Salzzersetzungen  dieser  Säuren  aus- 
drücken und  insofern  es  unseren  jetzigen  Kenntnissen  nach  nicht  möglich  ist,  über 
die  Natur  und  Constitution  der  Atomgruppen,  die  in  diesen  Formeln  als  Radicale 
angenommen  sind,  irgend  Ansichten  aufzustellen. 

Dasselbe  gilt  auch  von  der  Isomerie  der  Ozybenzoesäure  und  der  Salicyl- 
säure,  die  beide  die  gemeinschaftliche  Formel  besitzen: 


Isomerie.  189 

und  bei  welchen  die  Verschiedenheit  wahrscheinlich  darauf  beruht,  dass  die  Atom- 
grappen,  welche  man  in  dieser  Formel  als  Radicale  annimmt,  bei  beiden  Säuren 
ungleich  zusammengesetzt  sind.  — 

Zu  den  merkwürdigsten  Beispielen  noch  unerklärter  Isomerie  gehört  die  Ver-  319^ 
schiedenheit  der  zwei  verhältnissmässig  einfach  zusammengesetzten  (=  ^T^ipii) 
Chloride,  von  welchen  das  eine  aus  dem  Aldehyd  durch  Einwirkung  des  Phosphor- 
saperchlorids erzeugt  wird,  während  das  andere  durch  directe  Vereinigung  von 
Aethylen  mit  Chlor  oder  durch  Einwirkung  von  Phosphorsuperchlorid  auf  Glycol 
entsteht-,  und  die  beide  nach  Entstehung  und  Verhalten  für  Chloride  zweiatomiger 
Radicale  gehalten  werden  müssen,  denen  also  dieselbe  rationelle  Formel  zukommt: 

Aethylidenchlorid.  Aethylenchlorid. 

^2^4  •  CI3  ^2^4  *  Cl^» 

Ebenso   merkwürdig  ist   die  Verschiedenheit  des  Acetals  und  des  Diäthyl- 
glycols,  die  beide  durch  dieselbe  rationelle  Formel  ausgedrückt  werden  müssen: 


Acetal.  Diäthylglycol. 


^*  !^^  Si^J^^ 


Es  ist  einleuchtend ,  dass  alle  f^Ue  von  jetzt  noch  unerklärter  Iso-  820. 
merie  sich  später,  bei  genauerer  Erforschung  der  betreffenden  Substanzen, 
entweder  der  Polymerie  oder  der  Metamerie  werden  unterordnen  lassen; 
das  heisst,  dass  die  Ursache  der  Verschiedenheit  entweder  auf  verschie- 
dener Moleculargrösse  oder  auf  Verschiedenheit  der  relativen  Stellung  der 
Atome  innerhalb  der  Molecüle  beruhen  muss.  — 

Zu  den  Fällen  von  Isomerie,  d.  h.  von  Verschiedenheit  der  Eigen-  321. 
Schäften  bei  gleicher  Zusammensetzung  gehören  auch  noch  diejenigen 
Körper,  die  bei  vollständiger  Uebereinstimmung  der  meisten  und  nament- 
lich der  wesentlichsten  chemischen  Eigenschaften  in  einzelnen  und  be- 
sonders in  physikalischen  Eigenschaften  wesentliche  Verschiedenheiten 
zeigen. 

So  existirt  z.  B.  die  Weinsäure  =  B^E^^^  (mit  welcher  ausserdem  noch 
die  Traubensäure,  die  Metaweinsäure  und  die  Isoweinsäure  isomer  sind)  in  zwei 
Modificationen,  die  chemisch  völlig  identisch  sind ;  aber  die  Lösung  der  einen  Säure 
dreht  die  Polarisationsebene  nach  rechts,  die  Lösung  der  andern  Säure  nach  links  ^ 
die  Salze  beider  Säuren  zeigen  dieselbe  Verschiedenheit  und  sind  ausserdem  noch 
in  der  Form  der  Erystalle  verschieden,  indem  sie,  bei  sonst  gleicher  Form,  un- 
gleichgestellte hemiedrische  Flächen  besitzen. 

Aehnliche  Verschiedenheiten  der  physikalischen  und  namentlich  der  optischen 
Eigenschaften  zeigen  sich  bei  den  zwei  Modificationen  der  Aepfelsäure  und  der 
Asparaginsäure,  bei  den  drei  Modificationen  der  Gamphorsäure ,  beim  Amyl- 
alkohol etc. 

Von  diesen  merkwürdigen  Verschiedenheiten  der  physikalischen  Eigenschaf- 
ten chemisch  identischer  Substanzen  wird   später  noch  besonders  die  Rede  sein. 


190  Theorie. 

822.  Es  ist  Mber  schon  wiederholt  darauf  auAnerksam  gemacht  worden 

(besonders  8f?241 — 248),  dass  ein  und  derselbe  Körper  in  verschiede- 
nen Reactionen  oft  völlig  verschiedenes  Verhalten  zeigen,  also  durch  ver- 
schiedene r&tionelle  Formeln  ausgedrückt  werden  kann.  Man  kann  in 
solchen  Fällen  annehmen,  oder  man  kann  wenigstens  die  Thatsache  so 
ausdrücken,  dass  man  sagt:  der  eine  Körper  verwandle  sich  w&hrend  der 
Reaction  (durch  Umlagerung  der  Atome  im  Molecül)  in  einen  andern  mit 
ihm  isomeren  Körper. 

Beispiele  von  solchem  doppelten  Verhalten  sind  in  früheren  Kapiteln  schon 
mehrfach  mitgetheilt  worden,  es  mögen  indessen  hier  einzelne  des  auffallendsten 
nochmals  zusammengestellt  werden. 

828.  Durch  Einwirkung  von  Brom  auf  Allyljodid  (Jodpropylen  =  O9H5J)  entsteht 

einBromid  von  der  Formel  BjE^Br,;  der  Art  der  Bildung  nach  kann  dieser  Körper 

betrachtet  werden  als  dasBromid  des  gebromtenPropylenB(=63H5Br.Br2)  *).  Er 
ist  in  der  That  verschieden  von  dem  von  Berthelot  durch  Einwirkung  von  Phosphor- 
superbromid  auf  Glycerin  dargestellten  Tribromhydrin,  welches  seiner  Bildung  nach 

m 

als  Bromid  des  dreiatomigen  Glycerinradicals  erscheint  (OsH^.Br,).  Er  verh&lt 
eich  auch  bei  gewissen  Reactionen  wie  das  Bromid  eines  bromhaltigen  Radicals, 
indem  er  z.  B.  bei  Einwirkung  auf  Ammoniak  (nach  Simpson)  eine  Base  liefert 
von  der  Formel: 

ie,H4Br 
N^ejH^Br 

Derselbe  Körper,  auf  dieselbe  Weise  dargestellt,  verhält  sich  bei  Behandlung 
mit  essigsaurem  Silber  in  ganz  verschiedener  Weise,  er  liefert  Triacetin,  aus  wel- 
chem dann  Glyceiin  erhalten  werden  kann. 

Allyltribromid.  Triacetin.  Glycerin. 

m  mm 

^^*  In  ähnlicher  Weise  doppeltes  Verhalten  zeigt  das  Aethylenbromid  (=  G^H^Br^). 

Der  Entstehung  nach  ist  dieser  Körper  das  Bromid  des  zweiatomigen  Radicals 
Aethylen.  Sein  Verhalten  gegen  essigsaures  Kali  steht  mit  dieser  Bildung  inUeber- 
einstimmung,  es  entsteht  nämlich  einfach -essigsaures  Glycol,  aus  welchem  durch 
KaU  Glycol  erhalten  wird. 

Aethylenbromid.      Einfach -essigsaures  Glycol.        GlycoL 

m  KM 

G,H,0  0,  H,r»- 


*)  Mit  diesem  Körper  sind  noch  isomer:  das  aus  dem  Propylenbromid 
(GjHf  .Br^)  durch  Brom  erhaltene  Substitutionsproduct  (Brompropylenbro- 
mid  =  OjH^r.Brj)',  das  Product  der  directen  Vereinigung  von  Brom  mit 
Brompropylen  (=  OsHsBr),  einem  Körper,  der  durch  Einwirkung  alkoholi- 
scher Kalilösung  auf  das  Propylenbromid  erzeugt  wird  und  ein  von  Perrot 
durch  Einwirkung  von  Brom  auf  die  Zersetzungsproducte  des  Alkohols  und 
des  Aeihers  durch  Einwirkung  elektrischer  Funken  erhaltenes  Bromid.  — 


Isomerie.  191 

Gegen  Triäthylphosphin  (=  PC^A),)  und  gegen  Trunethylaimn  (=  N(OH,),)  ; 
▼erhält  sich  derselbe  Körper  (nach  Versuchen  von  Hofinann)  wie  das  Bromid  eines 

bromhaltigen  Radicals,  wie  Bromäthylbromid  (s^^HfBr.Br)*,  es  entsteht  n&mlich 
das  Bromid  einer  bromhaltigen  Phosphorbase  oder  einer  bromhaltigen  Ammoniak- 
base: 

f6Ha 

und         N<^?»        >Br. 

Jen, 

lOaHtBr'  (ejHJBr 

Man  könnte  also  sagen,  das  Aethylenbromid  yerwandle  sich  während  dieser 
Reaction  in  das  mit  ihm  isomere  Bromäthylbromid. 

Hierher  gehören  auch  die  Fälle,  in  welchen  ein  Körper,  dem  der  Art  der 
Bildung  nach  eine  bestimmte  rationelle  Formel  beigelegt  werden  muss  und  von 
dem  man  ein  bestimmtes  Verhalten  erwarten  sollte,  eiu  völlig  anderes  Verhalten 
zeigt;  so  dass  man  also  annehmen  kann,  der  Körper  fiabe  sich  bei  seiner  Bildung 
in  eine  mit  ihm  isomere  Substanz  umgewandelt 

Aus  Salicylsfture  entsteht  z.  B.  durch  Einwirktmg  von  Phosphorsuperchlorid 
ein  Chlorid,  welches  der  Bildung  nach  das  Chlorid  des  zweiatomigen  Radicals  der 
Saücylsänre  sein  sollte: 

SäUcylsänre.  Salicylchloiid. 

Bei  Einwirkung  von  Wasser  zerfällt  dieses  Product  aber  nicht  in  Salzsäure* 
und  Salicylsfiure ,  sondern  in  Salzsäure  und  Monochlorbenzoesäure,  es  verhält  sich 
also  wie  das  Chlorid  eines  chlorhaltigen  Radicals,  wie  Chlorbenzoylchlorid: 

Monochlorbenzoesäure.  Chlorbenzoylchlorid. 

eACie.a. 


e,H,aej^ 


Will  man  diese  Art  der  Anschauung  noch  weiter  ausdehnen,  so  können  noch  826. 
viele  Körper  hierher  gerechnet  werden. 

Man  kann  z.  B.  sagen:  das  Chloroform,  seiner  Entstehung  nach  (§.  286) 
Hydrür  eines  gechlorten  Radicals ,  verwandle  sich  bei  gewissen  Reactionen  (vgL 
(.  801)  in  das  Trichlorid  des  Radicab  ^Ez 

Chloroform. 
6b,.H  ^.Cl,. 

Ebenso  kann  man  sagen:  der  Aldehyd  und  ebenso  das  Bittermandelöl,  die 
den  meisten  Reactionen  nach  als  Hydrfire  einatomiger  Radicale  betrachtet  werden 
können,  verwandlen  sich  bei  gewissen  Reactionen,  z.  B.  bei  Einwirinmg  von  Phos- 
phorsnperchlorid  oder  von  Ammoniak  etc.  (vgL  }.  246)  in  die  Oxyde  zweiatomi- 
ger Radieale: 

Aldehyd. 


192  Theorie. 

BittennandelöL 

Wird  dagegen  aus  Glycol  durch  wasserentziehende  Substanzen  Aldehyd  oder 
aus  Essigsäurebenzoläther  Bittermandelöl  erzeugt,  so  kann  man  sagen:  das  Oxyd 
eines  zweialomigen  Radicals  wandle  sich,  durch  moleculare  Umlagerung  (wenn 
man  sich  so  ausdrücken  will)  in  das  Hydrür  des  einatomigen  sauerstoffhaltigren 
Radicals  um.  •- 

827.  Eine  solche  Anschauungs-  und  Ausdrucksweise  bietet  insofern  Vor- 

theile  dar,  als  sie  immer  daran  erinnert  und  dies  in  kurzer  Form  aus- 
drückt, dass  ein  und  derselbe  Körper  verschiedenen  Reagentien  gegenüber 
ein  verschiedenes  Verhalten  zeigen  kann.  Man  darf  aber  dabei  nie  aas 
dem  Auge  verlieren,  dass  die  rationellen  Formeln  und  ebenso  die  syste- 
matischen Namen,  die  im  Orund  genommen  nichts  anderes  sind  als  in 
Worte  gefasste  rationelle  Formeln,  nicht  die  Lagerung  der  Atome  inner- 
halb des  Molecüls  ausdrücken  sollen,  sondern  vielmehr  nur  die  Art  der 
Metamorphose,  durch  welche  der  Körper  erzeugt  wird  oder  zerfällt 
(vergL  S-  261). 


Gepaarte  Verbindungen,  gepaarte  Radicale. 

828.  Während  der  Entwicklung  der  organischen  Chemie  hat  man  öfter 

complicirt  zusammengesetzte  Verbindungen  einerseits  um  Analogieen  in 
ihrer  Bildungs-  und  Zersetzungsweise  besser  hervortreten  zu  lassen,  an- 
dererseits auch  wohl,  um  gewisse  Ansichten  über  ihre  innere  Constitution 
auszudrücken,  unter  dem  Namen  „gepaarte  Verbindungen^^  zusam- 
mengefasst.  —  Dabei  wurde  der  Begriff  der  gepaarten  Verbindun- 
gen fast  nie  in  völlig  bestimmter  Form  ausgesprochen,  und  in  den  weni- 
gen Fällen,  wo  dies  geschah,  war  er  so  weit  gefasst,  dass  bei  einiger 
Consequenz  nahezu  alle  chemische  Verbindungen  oder  wenigstens  auch 
eine  grosse  Anzahl  derer,  die  man  nicht  zu  den  gepaarten  zählte,  in 
diese  Klasse  hätten  gerechnet  werden  müssen. 

So  war  es  denn  natürlich  der  Willkür  des  Einzelnen  überlassen, 
welche  Verbindungen  er  mit  dem  Namen  „gepaarte  Verbindungen^^ 
bezeichnen  und  welche  andere  er  aus  dieser  Klasse  ausschliessen  und 
gewissermassen  zu  den  „gewöhnlichen'^  zählen  wollte.  Wenn  man,  nach 
all  den  Fortschritten,  welche  die  Chemie  in  den  letzten  Jahren  gemacht  hat, 
die  Körper  überblickt,  die  man  zu  verschiedenen  Zeiten  als  gepaarte  be- 
trachtete, so  gCMTinnt  man  leicht  die  Ueberzeugung,  dass  man  stets  die- 
jenigen complicirter  zusammengesetzten  Verbindungen  als  „gepaarte^*  bezeich- 
nete, von  welchen  zwar  einzelne  Bildungs-  oder  Zersetzungsweisen  bekannt 
waren,  die  man  aber,  fehlender  Analogieen  wegen,  noch  nicht  nach  der 


Gepaarte  Yerbindimgen.  193 

fllr  die  besser  gekannten  Substanzen  gerade  gebräuchlichen  Anschauungs- 
weise durch  s.  g.  rationelle  Formeln  auszudrücken  im  Stande  war.  — 

Durch  die  Fortschritte  der  Wissenschaft  ist  es  möglich  geworden, 
auf  alle  diejenigen  Substanzen,  die  man  früher  als  gepaarte  Verbindungen 
bezeichnete,  dieselbe  Betrachtungsweise  anzuwenden,  welche  für  die  aller- 
einfachsten  chemischen  Verbindungen  in  Gebrauch  ist.  Die  im  Vorher- 
gehenden mitgetheilte  Betrachtungsweise  gibt  in  der  That  von  der  Natur 
und  den  Metamorphosen  der  s.  g.  gepaarten  Verbindungen  eine  ebenso 
klare  Vorstellung  wie  von  der  der  allereinfachsten  Körper.  Die  Annahme 
irgendwelcher  Eigenthümlichkeit  in  der  Constitution  dieser  „gepaarten 
Verbindungen^^  ist  also  jetzt  nicht  mehr  nöthig.  Nichts  desto  weniger 
scheint  es  geeignet,  die  wichtigsten  Ansichten,  die  man  früher  über  die 
Natur  dieser  gepaarten  Verbindungen  gehabt,  hier  zusammenzustellen  *)• 

Der  Ausdruck  gepaart  wurde  zuerst  (1839)  Yon  Gerhardt  gebraucht  Es  829. 
war  ihm  aufgefallen,  dass  verschiedene  Säuren,  namentlich  die  Schwefels&nre ,  bei 
l^wirkung  auf  organische  Substanzen  eigenthümliche  Verbindungen  erzeugen,  in 
welchen  man  die  charakteristischen  Eigenschaften  der  in  Verbindung  getretenen 
Bestandtheile  nicht  wieder  findet.  Um  diese  Art  der  Vereinigung  von  der  sonst 
bekannten  Verbindungsform  zu  unterscheiden,  schlug  er  vor,  sie  mit  Paarung 
(accouplement)  zu  bezeichnen,  das  Product  selbst  nannte  er  gepaarte  Verbin- 
dung (sei  copul^),  den  organischen  Körper,  der  sich  mit- der  Schwefelsäure  ver- 
einigt hatte  ohne  ihre  Basidtät  zu  ändern:  Paarung  (copule). 

Um  sich  von  der  Bildung  und  den  Eigenschaften  dieser  Substanzen  Rechen- 
schaft zu  geben ,    nahm  er  an ,    es  fänden  bei  Einwirkung  der  Schwefelsäure  (und ' 
ähnlicher  Körper)  zweierlei  Reactionen  statt.    Entweder  die  einwirkende  Säure  ver- 
liert ihre  Sättigungscapacität ,    dann  entsteht  das  Product   durch  Substitution. 
Z.  B.: 

Sulfobenzid    CjacQ^ 

Oder  die  einwirkende  Säure  behält  ihre  Sättigungscapacität,  dann  erfolgt  die  Ver- 
bindung durch  Paarung.  In  vielen  Fällen  finden  beide  Reactionen  gleichzeitig 
statt;  ein  Theil  der  einwirkenden  Säure  verliert,  ein  anderer  behält  seine  Sätti- 
gungscapacität, ein  Theil  wirkt  also  substituirend,  ein  anderer  paart  sich  mit  dem 
80  entstandenen  Körper.    So  ist  z.  B.: 

Sulfobenzoesäure    Ci^^A  O3  +  SO,, 

d.  h.  Schwefelsäure  gepaart  mit  Benzoesäure,  in  welcher  ein  Atom  Wasserstoff 
substituirt  ist  durch  SO^.  — 

Bald  nachher  (1844  Pr^cis.  Tom.  I.)  sah  Gerhardt  von  diesen  zweierlei  Reac-  330. 
tlonen  ab.    Er  nahm  in  den  gepaarten  Verbindungen  der  Schwefelsäure  diese  Säure 


*)  Man  vergleiche  u.  a.  die  geschichtlichen  Notizen  über  gepaarte  Verbindungen 
in  limpricht  und  v.  Uslar's  Abhandlung  über  Sulfobenzoesäure.  Ann.  Chem. 
Pharm.  OIL  139.  Femer:  Mendius,  ibid.  Olli.  39.  Kekuld,  ibid.  dV.  127 
und  GVL  129.  Limpricht  ibid.  CV.  177. 

Keknl^,  organ.  Chemie.  Xg 


194  Theorie. 

nicht  mehr  in  zweierlei  Fonn  an  (was  er  wegen  des  damals  schon  von  ihm  ge- 
brauchten Atomgewichts  des  Schwefels  auch  nicht  mehr  thun  konnte),  er  schrieb 
2.  B.: 

Snlfobenzolsänre    6eH,Sr03 
nnd  betrachtete  in  ihr  das  Benzol  (6«Hg)  als  den  mit  der  Schwefelsäure  gepaarten 
Körper;   ebenso  erklärte  er  jetzt  die  Sulfobenzoesäure  als  eine  gepaarte  Schwefel- 
säure, in  welcher  Benzoesäure  der  Paarling  sei.  —  (Prdcis  I.  101.) 

Zu  den  gepaarten  Verbindungen  zählte  er  damals  wesentlich  die  mit  Schwe- 
felsäure gepaarten  Substanzen;  z.  B.  die  durch  Einwirkung  von  Schwefelsäure  auf 
Benzol,  Terpentinöl  und  andere  Kohlenwasserstoffe  erzeugten  Säuren;  die  aus  Ben- 
zoesäure, Essigsäure,  Bemsteinsäure  etc.  erhaltenen  Sulfosäuren ;  er  rechnete  ausser- 
dem zu  den  gepaarten  Verbindungen  alle  sauren  Aether  der  Schwefelsäure  (die 
s.  g.  Schwefelweinsäuren)  z.  B.  die  Aethylschwefelsäure,  die  Methylschwefelsäure 
u.  s.  f.;  er  gab  femer  an,  auch  die  Phosphorsäure,  die  Arsensäure,  Bernsteinsäure 
sowie  überhaupt  alle  mehrbasischen  Säuren  seien  im  Stande  gepaarte  Verbindungen 
zn  erzeugen.  Die  Amide  und  die  Nitrosubstitutionsproducte  dagegen  wurden  da- 
mals nicht  zu  den  gepaarten  Verbindungen  gezählt  Gerhardt  hob  endlich  noch 
hervor:  den  Analysen  nach  enthielten  alle  diese  gepaarten  Verbindungen  die  Ele- 
mente der  Schwefelsäure  und  die  der  organischen  Substanz  minus  den  Elementen 
des  Wassers;  z.  B.: 

Alkohol  .  .  .  CAO  +  SHa04  =  CaH^SO^  +  H^O 
Benzol  .  .  .  C.H,  +  SHjO*  =  C,HeSO,  4-  H,0 
Essigsäure    .    .    C2H40a  +  SHjO^  =  CaH4S05  +  HjO. 

381.  Schon  im  folgenden  Jahre  (1845  Pr^cis.  Tom.  II.)  dehnte  Gerhardt  den  Be- 

griff der  gepaarten  Verbindungen  etwas  weiter  aus.  Er  bezeichnete  jetzt  als 
gepaarte  Verbindungen  alle  diejenigen  Substanzen,  die  nach  seiner  „Theorie 
der  Reste^^  (vgl.  §.  149)  als  durch  Substitution  eines  „Restes^^  an  die  Stelle 
eines  Elementes  entstanden  gedacht  wurden,  um  sie  von  denjenigen  Substitutions- 
producten  zu  unterscheiden,  bei  welchen  die  Vertretung  durch  einen  einfachen  Kör- 
per stattfindet.  Er  rechnete  demgemäss  zu  den  gepaarten  Verbindungen,  ausser  den 
oben  (§.  880)  angeftihrten  Körpern,  auch  noch  die  Amide,  die  Aether,  die  Nitro- 
substitutionsproducte etc.  (Prdcis.  II.  499.) 

882.  Inzwischen  hatten  Dumas   und  Piria  in  der  5ten  Abhandlung  Über  die 

chemischen  Typen  1842  *)  ähnliche  Ansichten  ausgesprochen.  Sie  nehmen  die 
Existenz  einer  Klasse  von  Säuren  an,  die  durch  Vereinigung  von  zwei  oder  meh- 
reren Säuren  entstanden  sind  und  die  sie  als  acides  conjugu^s  bezeichnen,  ein 
Ausdruck,  der  im  deutschen  ebenfalls  durch  „gepaarte  Säuren^^  wiedergegeben 
wurde.    Sie  führen  als  solche  acides  conjugu^s  auf: 

Benzinschwefelsäure      .    .        ^^50*}  +  ^^* 


Sulfobenzoesäure      .    .    .    ^"^q'|  +  SO, 


*)  Die  nach  Angabe  von  Dumas   drei  Jahre  vor  der  Veröffentlichung  abge- 
fasst  ist 


Gepaarte  Verbindungen.  105 

Schwcfeleadgsfture  .    .    .    ^*^o!|  +  ^^» 
Weinsfiure ^^CjO^  +  ^^»• 

Die  erste  Verbindung  betrachten  sie  als  Schwefelsäure,  die  mit  dem  Köi-per     ^q  j 

gepaart  ist;    die  Schwefelessigsäure   als  Schwefelsäure   gepaart  mit  Essigsäure,  in 
welcher   1  H   durch  SO^  substltuirt  ist;   die   Weinsäure   (wasserfrei  gedacht)   ist 
ebenso:    Oxalsäure  (C2O3)    gepaart  mit  Essigsäure,  in  welcher   1  Aeq.  H  durch 
1  Aeq.  des  Kleesäureradicals  (C^Oa)  vertreten  ist.    Man  sieht  leicht,  dass  diese  An- ' 
sieht  mit  der  ersten  Ansicht  Gerhardt's  (§.  829)  fast  vollständig  zusammenfäUt 

Auch  Berzelius  hatte  seinerseits  (1888)  selbstständig  ähnliche  Ansichten  833. 
ausgesprochen.  Da  er  aus  „theoretischen  Gründen^^  7  Atome  Sauerstoff  für  die 
grosste  Anzahl  hielt,  die  sich  mit  einem  organischen  Radical  vereinigen  kdnne, 
nahm  er  ftir  gewisse  Körper  und  namentlich  für  die,  welche  mehr  als  7  Atome 
Sauerstoff  in  der  wasserfrei  gedachten  Substanz  enthalten,  eine  „eigenthümliche 
Verbindungsart^^  an ,  ohne  indessen  dafür  einen  besonderen  Namen  zu  gebrauchen. ' 
Obgleich  er  Gerhardt's  erste  Ansicht  über  gepaarte  Verbindungen  (§.  329)  in  sei- 
nem Jahresbericht  mit  spöttischen  Noten  begleitet,  gebrauchte  er  doch  schon  im 
folgenden  Jahre  die  Ausdrücke:  Paarling  und  gepaarte  Verbindung  und  erklärte 
sogar  später,  er  habe  schon  1841  auf  Gerhardt's  Vorschlag  die  durch  Einwirkung 
von  Schwefelsäure  auf  organische  Körper  erzeugten  Säuren  „gepaarte  Säuren"  ge- 
nannt, und  schon  vorher  (1839)  die  Weinsäure  mit  diesen  Säuren  verglichen;  er 
machte  Dumas  geradezu  Vorwürfe  darüber,  dass  er  dieser  seiner  Ansicht  nicht 
genügend  Rechnung  trage  und  sie  als  neu  wiederbringe. 

Bald  indess  dehnte  auch  Berzelius  den  Begriff  der  gepaarten  Verbindungen 
weiter  aus.  Da  er  in  seinen  rationellen  Formeln  die  chemischen  Verbindungen 
durch  additionell  nebeneinandergesetzte  Bestandtheile  darstellte,  war  ihm  bald  alles 
gepaart,  was  sich  durch  mehrere  so  nebeneinandergestellte  „Paarlinge"  ausdrücken 
Üess;  nur  das  Wasser,  die  Metalloxyde  und  die  entsprechenden  Oxyde  organischer 
Radicale  konnten  sich  in  gewöhnlicher  Weise  mit  sauren  (elektronegativen)  Bestand- 
theüen  vereinigen,  die  Vereinigung  aller  übrigen  Körper  war  Paarung.  So  war 
z.  B.  die  Essigsäure  mit  Oxalsäure  gepaartes  Methyl,  die  Trichloressigsäure  mit 
anderthalb  Chlorkohlenstoff  gepaarte  Oxalsäure. 

Essigsäure C3H3  4-  C^O, 

Trichloressigsäure     .    .    C3CI34-  C^Oj. 

In  dieser  Weise  glaubte  man  (vgl.  §.  119)  die  Thatsachen  der  Substitution  mit 
der  elektrochemischen  Theorie  in  Uebereinstimmung  zu  bringen,  denn  die  Sub- 
stitution fand  nicht  in  der  chemischen  Verbindung,  sie  fand  im  Paarling  statt. 

Berzelius  deünirte  die  „gepaarten  Verbindungen"  als  „Substanzen,  die 
erzeugt  sind  durch  Vereinigung  eines  durch  seine  Verwandtschaft  zu  andern  Kör- 
pern activen  Bestandtheils,  mit  einem  andern  passiven  BestandtheU,  der  dem  erste- 
ren  in  allen  seinen  Verbindungen  folgt.^^  In  den  beiden  Essigsäuren  war  CjOs  der 
active  BestandtheU  und  es  war  gleichgültig,  ob  er  mit  C2H3  oder  C2CI3  gepaart  sei. 
In  den  Alkaloiden  war  das  Ammoniak  der  active  BestandtheU,  auf  die  Zusammen- 
setzung des  anderen^  des  passiven  Paarlings,  kam  es  weit  weniger  an  (vgl.  §.  120). 
In  ähnlicher  Weise  wurde  bald  eine   grosse  Anzahl  von  Körpern  als  aus  Paar- 

13  ♦ 


196  Theorie. 

lingen  bestehend  betrachtet  (vgl.  %,  B.  SS-  116,  119);  dass  diese  Paarlinge  in  den 
meisten  Fällen  hypothetische  Körper  waren,  that  der  Ansicht  keinerlei  Eintrag;  die 
wasserfreie  Oxalsäure,  die  Dithionsäure  (S2O5)  waren  besonders  häofig  vorkom- 
mende  Paarlinge;  das  Enallquecksilber  (=  C4N204Hg3)  erhielt  die  Formel:  HgN 
-f-  C4NO3  -[■  HgO  etc.  Dass  diese  Ansichten  von  Berzelius  wenig  Beifall  fanden 
und  auf  die  Entwicklung  der  Wissenschaft  von  untergeordnetem  Einfluss  waren, 
ist  früher  schon  hervorgehoben  worden;  sie  gaben  nur  Veranlassung  zur  Annahnae 
der  Art  von  „gepaarten  Radicalen,^^  von  welchen  früher  (SS-  122,  123,  126}  die 
Rede  war. 

834.  Es  ist  kaum  nöthig  darauf  aufinerksam  zumachen,  dass  diese  Paarlings- 
theorie von  Berzelius  keine  Aehnlichkeit  mehr  hatte  mit  den  Ansichten,  die  Ger- 
hardt über  die  gepaarten  Verbindungen  ausgesprochen.  Dies  gab  Gerhardt 
Veranlassung  wiederholt  gegen  den  Uissbrauch  zu  protestiren,  den  man  von  der 
von  ihm  vorgeschlagenen  Bezeichnung  mache.  Gleichzeitig  definirte  er,  wie  wir 
oben  sahen  (§.  881),  die  gepaarten  Verbindungen  als  solche,  die  durch  Substitution 
von  Resten  an  die  Stelle  von  Elementen  entstanden  sind. 

835.  Bald  indess  dehnte  Gerhardt  selbst  den  Begriff  noch  weiter  aus.  In  einer 
mit  Laurent  veröffentlichten  Abhandlung  über  die  Anilide  (1848)  gibt  er  die  Defi- 
nition: ,xWir  nennen  gepaarte  Verbindungen  die  durch  directe  Vereinigung  von 
zwei  Körpern  unter  Austritt  von  Wasser  entstehenden  Verbindungen,  welche  fähig 
sind,  beide  Körper  wieder  zu  erzeugen,  wenn  dieselben  von  Neuem  die  Elemente 
des  Wassers  aufiiehmen.^^  Als  Beispiele  für  gepaarte  Verbindungen  werden  beson- 
ders angeführt:  die  Amide,  die  Anilide,  die  Aetherarten  etc. 

Man  sieht  leicht,  dass  dieser  Begriff  so  weit  gefasst  ist,  dass  nahezu  alle 
Körper  zu  den  gepaarten  Verbindungen  gezählt  werden  müssen.  Mit  demselben 
Recht,  mit  welchem: 

Aethflschwefelsäure  ^2^9^   +  S^^Hj    =  ^aHe&e*  +  Hj0 

Essigsäureäther  .    .  eaH^O   +  ^2^408  =  ^«Hj^,  +  E^O^ 

Nitrobenzoesäure    .  e,Hg02  +  N0,H      =  e,H5(Ne2)0j  +  H2O 

Sulfobenzoesäure    .  9,He0a  +  ^^Si    =  e,HeSe,  +  H2O 

Benzamid  ....  Cf^HgOa  -f  NH,        =  e,H,eN  +  Hj^ 

als  gepaarte  Verbindungen  betrachtet  werden,  weil  sie  unter  Austritt  von  Wasser 
entstehen,  müssen  auch: 

Aethylchlorid      .    .  «jH,^  +  HCl  =  eaHftCl  +  EjO 
und  selbst: 

Saures  schwefelsau- 
res KaH      .    .    .  KHO  +  ^^4^2  =  KH^4  4-  HjO 
Salpetersaures  Kali  KHO  +  N0,H    =  KKOj    +  Ha^ 
Chlorkaüum  .    .    .  KHe  +  ECi       =  KG       +  Ha^ 

zu  den  gepaarten  Verbindungen  gezählt  werden. 
886.  Dies  vnrd  von  Strecker  mit  Recht  hervorgehoben  in  seinen  „Bemerkun- 

gen,^^ mit  welchen  er  die  Abhandlung  von  Laurent  und  Gerhardt  in  lieb.  Annalen 
begleitete.  Weniger  berechtigt  ist  der  andere  Vorwurf,  den  Strecker  der  Laurent- 
Gerhardt'schen  Definition  macht:  sie  schliesse  eine  Anzahl  von  Verbindungen  aus, 
die  man  offenbar  als  gepaarte  betrachten  müsse,  diejenigen  nämlich,  welche  man 


Gepaarte  Verbindungen.  197 

unter  Aufnahme  von  Wasser  zerlegen  aber  nicht  dnrch  Zusammenbringen  ihrer  Be- 
Btandtheile  darstellen  könne,  um  den  Kreis  der  gepaarten  Verbindungen  enger  zu 
ziehen,  definirt  Streeker  dann:  „wir  nennen  gepaart  solche  Verbindungen^  welche 
sich  nicht  durch  Wahlverwandtschaft  trennen,  welche  aber  durch  Anwirkung  star- 
ker Agentien  auf  einfache  Weise  sich  spalten  lassen/^  Bei  so  unbestimmter  Defini- 
tion konnte  man  zu  den  gepaarten  Verbindungen  zählen  was  man  gerade  wollte, 
und  in  der  That  führt  Strecker  als  Beispiele  genau  dieselben  Substanzen  an,  die 
von  Gerhardt  und  Laurent  als  gepaart  bezeichnet  worden  waren. 

Dieser  Kritik  Streckers  gegenüber  hebt  Gerhardt  hervor:  seine  Definition  887. 
der  gepaarten  Verbindungen  liege  in  der  die  Metamorphosen  ausdrückenden  Glei- 
chung; eine  jede  solche  Gleichung  drücke,  je  nachdem  man  sie  rückwärts  oder 
vorwärts  lese,  die  Bildung  oder  die  Zersetzung  aus  -,  es  sei  nicht  nöthig,  dass  bei- 
des bei  demselben  Körper  ausgeführt  werden  könne;  ein  jeder  Körper  sei  als  ge- 
paart zu  betrachten,  wenn  entweder  der  Bildung  oder  der  Zersetzung  nach,  diese 
allgemeine  Gleichung  auf  ihn  anwendbar  seL-    ■ 

In  neuerer  Zeit  (Trait^  de  chimie  organique  1868  — 1856)  endlich  hat  Ger-  888. 
hardt  den  Begriff  der  gepaarten  Verbindungen  noch  weiter  ausgedehnt,  aber 
gleichzeitig  die  Anwendung  der  Bezeichnung  „gepaart^^  mehr  eingeschränkt  Wäh- 
rend er  zugibt,  dass  von  gewissen  Gesichtspunkten  aus  alle  organischen  Verbin- 
dungen als  gepaarte  betrachtet  werden  können,  bedient  er  sich  des  Ausdrucks 
gepaart  (copulö  oder  conjugue)  nur  für  gewisse  Körpergruppen,  ohne  sich  darüber 
bestimmt  auszusprechen,  welche  Körper  als  gepaart  zu  bezeichnen  seien  und  welche 
nicht,  und  welche  Idee  für  ihn  beim  Gebrauch  des  Wortes  leitend  gewesen. 

Er  nennt  jetzt  die  neutralen  und  die  sauren  Aetherarten  nicht  mehr  gepaarte 
Verbindungen-,  ebenso  wird  die  Bezeichnung  nicht  gebraucht  für  die  Amide;  die 
Amidsäuren  dagegen  werden  als  gepaart  bezeichnet',  auch  die  Chlor-  und  Brom- 
substitutionsprodncte  werden,  wie  die  Nitrosubstitutlonsproducte,  zu  den  gepaarten 
Verbindungen  gezählt 

Gerhardt  spricht  sich  in  Betreff  der.  gepaarten  Verbindungen  in  folgender  889. 
Weise  aus: 

Er  sagt:  Um  gleichzeitig  verschiedene  Gruppen  von  Zersetzungen  eines  und 
desselben  Körpers  auszudrücken,  ist  es  oft  zweckmässig,  diesen  Körper  mit  einem 
gepaarten  Badical  (radical  conjuguö)  darzustellen,  das  heisst  mit  einem  Radlcal, 
welches  aus  mehreren  Radicalen  besteht^  von  welchen  jedes  an  eine  gewisse  Gruppe 
von  Metamorphosen  erinnert  —  Als  gepaart  kann  man  das  Radical  eines  jeden 
Körpers  betrachten,  welcher  fähig  ist  sich  bei  gewissen  einfachen  Reactionen  in  Ver- 
bindungen umzuwandeln,  die  andern  Radicalen  (constituirende  Radicale)  angehören; 
oder  das  Radical  eines  jeden  Körpers ,  welcher  das  Resultat  der  Vereinigung  sol- 
cher Verbindungen  ist  flV.  604.) 

Man  kann  ein  „gepaartes  Radical^^  in  zweierlei  Weise  darstellen.  Entweder  840. 
als:  gepaart  durch  Addition,  wenn  es  alle  Elemente  der  beiden  constituirenden  Ra- 
dicale enthält.  Oder  als  gepaart  durch  Substitution,  wenn  es  alle  Elemente  des 
einen,  aber  nur  einen  Theil  der  Elemente  des  anderen  Radicales  enthält,  so  dass 
man  annehmen  kann,  das  erstere  Radical  ersetze  die  fehlenden  Elemente  des 
zweiten. 

Als  Beispiele  von  dxirch  Addition  gepaarten  Radicalen  führt  er  unter  an- 
dern auf: 

Mercuräthyl Hg^CGA) 

Kakodyl AsC^H,), 


198  Theorie. 

StibftthyUam SbCe^H»)« 

Tetrftthylammonium  .    .    NCOjHj)^ 
^        Sulfophenyl "Ö^H^CSej). 

Als  Beispiele  von  durch  Substitution  gepaarten  Radicalen  erwähnt  er: 

Nitrobenzoyl      ....    6iH4(Nea)e 
Binitrobenzoyl  ....    ^,Hj{Nea)a0 
Tiichloracetyl    ....    6aHCl,e. 

841.  Die  Radicale   der  meisten  organischen  Verbindungen,    deren  nächste  Meta- 

morphosen man  kennt,  können  als  gepaart  angesehen  werden;  so  kann  man  die 
Radicale  der  fetten  Sfiuren  (6nH2n  —  lO)  betrachten  als  gepaart  aus  einem  Alko- 
holradical  mit  dem  RadicsJ  Carbonyl  (OO) : 


Formyl     .    . 

.  .  (ee)H 

Acetyl      .    . 

/XlCL\£Xa 

Propionyl 

.    .    (OO^jOjHft 

Butyryl    .    . 

.    .    C^^J'ÖjH,. 

Diese  Formeln  werden  durch  eine  grosse  Anzahl  von  Reactionen  gereckt- 
fertigt  etc.  (IV.  606.) 

Dieselben  Sftureradicale  können  auch  betrachtet  werden  als  gepaarte  Radi- 
cale, die  die  Radicale  der  entsprechenden  Aldehyde,  mit  Sauerstoff  verbunden  ent- 
halten^ man  weiss  in  der  That,  dass  die  Aldehyde  durch  Oxydation  in  Säuren 
übergehen:  (IV.  607.) 


Acetyl    .    . 

.  .  efi,m 

Propionyl  . 

.  .  e,H.(e) 

Bntyiyl  .    . 

.    .    €4H,(0). 

Dieselben  Säureradieale  können  femer  als  durch  Substitution  gepaarte  be- 
trachtet werden:  als  die  Radicale  der  entsprechenden  Alkohole,  in  welchen  2  Atome 
H  durch  O  ersetzt  sind.    Z.  B.: 

Acetyl    ....    öjHjO    als: 
Aethyl    ....    ejH^, 

in  welchem  2  H  durch  0  substituirt  sind.  (IV.  609.) 

Anstatt  ein  gepaartes  Radical  als  durch  Vereinigung  zweier  Radicale  entstan- 
den zu  denken,  kann  man  auch  annehmen,  es  sei  das  Resultat  der  Substitution 
eines  Radicals  an  die'  Stelle  eines  oder  mehrerer  Elemente  eines  anderen  Radicals. 
(IV.  608.) 

So  kann  das  Tetrftthylammonium  auch  betrachtet  werden  als  Ammonium 
(=s  NH4)  dessen  4  Wasserstoffatome  durch  Aethyl  vertreten  sind: 

Teträthylammonium    ^(62115)4. 

Diese  Art  der  Auffassung  ist  besonders  anwendbar  auf  die  Körper,  die  durch 
Einwirkung  von  Chlor,   Brom,    Salpetersäure  oder  Schwefelsäure   auf  organische 
Substanzen  entstehen.  (IV.  609.) 
842.  An  einer  anderen  Stelle  heisst  es  (IV.  659): 

Gepaarte  Säuren.     Diese  Säuren,   die  in  ihrer  Wirkung  auf  Basen  den 


Gepaarte  Verbindnngen.  199 

emfKhen  S&nren  (Addes  normaax)  ganz  analog  sind,  enthalten  ein  gepaartes  Ra- 
dieal,  d.  h.  ein  Radical,  welches  die  Elemente  von  zwei  Radicalen  enthält,  die  sich 
snsammen  wie  ein  einziges  Radical  verhalten ;  oder  sie  enthalten  ein  Radical,  wel- 
ches sich  von  einem  andern  Radical  durch  Substitution  von  einem  oder  mehrerm 
Elementen  an  die  Stelle  von  Wasserstoff  herleitet 

In  diese  Klasse  zählt  Gerhardt  wesentlich  die  durch  Substitution  von  Chlor 
oder  Brom  entstehenden  Säuren.    Z.  B.: 


Chlorbenzoesäure  .    .    .    6«H4C10)^ 
Brombenzoesäure  .    .    .    OfH^BrOl/v 


Z.B. 


Ebenso  die  Nitrosubstitutionsproducte.    Z.  B.: 

Nitrobenzoeeäure .    .    OiH^CNOa)^) /v 

Femer  die  durch  Einwirkung  von  Schwefelsäure  entstehenden  Sulfosäuren. 
Sulfophenylaäure      .    .    ^^HjCfi^a)^^ 
Sulfobenzoesäure     .    .    6)H4(603)O)^ 


Weiter  die  Amidsfturen;  z.  B.: 

Oxaminsäure  ....    NHjCej^a)!^ 

und  endlich  die  Alkalamidsäuren;  z.  B.: 

Methyloxaminsäure  .    NH(6H,)(6a0a)J^ 

Phenylcarbaminsäure .    NH(GeHj)(e0)j0 

Gerhardt  fügt  dann  bei   (IV.  671):    Es  ist  einleuchtend,   dass  bei  dem  Sinn,  348. 
den  wir  den  chemischen  Formeln  beilegen,   alle  organischen  Säuren,  deren  näch- 
ste Metamorphosen  man  kennt,  als  gepaart  betrachtet  werden  können,   ebensogut 
wie  die  Amidsäuren  oder  die  Säuren,   die  durch  Einwirkung  von  Chlor,  Brom, 
Salpetersäure  oder  Schwefelsäure  auf  organische  Substanzen  entstehen« 

So  kann  die  Essigsäure  als  Carbomethylsäure  betrachtet  werden;  d.  h.  als 
Säure  mit  einem  gepaartem  Radical,  welches  durch  Addition  der  Radicale  Car- 
bonyl  (60)  und  Methyl  (OH,)  entstanden  ist  Bei  dieser  Formel  ist  die  Essigsäure 
%  die  Kohlensäure  genau  das,  was  die  methylschweflige  Säure  (Methyldithionsäure, 
Snlfomethybäure)  fUr  die  Schwefelsäure  ist: 

Essigsäure (Oe)^!!,»^ 

Methylschweflige  Säure      .    .    (S0a)6H,l^ 

Gerhardt  fügt  bei:  ich  theile  diese  Formeln  mit  einzig  um  zu  zeigen,  dass 
die  Säuren,  welche  man  häufig  gepaarte  Säuren  nennt,  nicht  eigenthümliche  von 
den  andern  Säuren,  auf  welche  man  diese  Bezeichnung  nicht  anwendet,  verschiedene 


200  Theorie. 

Körper  sind.  Man  kann  keine  Säure  in  absolutem  Sinn  gepaart  nennen,  sie  ist 
nur  gepaart  in  Beziehung  zu  andern  Körpern,  die  aus  ihr  entstehen  können  oder 
aus  welchen  sie  gebildet  werden  kann.  Der  Alkohol,  die  Essigsäure  und  Überhai^it 
alle  Körper,  deren  nächste  Metamorphosen  wir  kennen,  sind  also  ebensogut  ge- 
paarte Verbindungen  wie  die  Kitrobenzoesäure  oder  das  Arsenäthyl. 

344^  Man  sieht,  dass  Gerhardt  den  Begriff  der  gepaarten  Verbindungen  eigent- 

lich aufgegeben;  dass  er  die  gepaarten  Verbindungen  nicht  mehr,  wie  er  es  früher 
that,  für  von  den  andern  Verbindungen  verschieden  hielt.  Er  behielt  nur  das 
Wort  noch  bei,  um  gewisse  Körper  zu  Gruppen  zusammenzufassen  und  so  gewisse 
Analogieen  besser  hervorheben  zu  können. 

Man  sieht  in  der  That  leicht',  was  er  durch  diese  Art  der  Bezeichnung  und 
DarsteUung  eigentlich  erreichen  wollte.  Seine  Formeln  drücken  die  Metamorphosen 
aus.  Der  typisch  geschriebene  Theil  der  Formel  erinnert  an  die  hauptsächlichsten 
Metamorphosen.  Sollen  in  der  Formel  gleichzeitig  noch  andere  Metamorphosen 
angedeutet  werden,  so  muss  dies  innerhalb  der  Gruppen  geschehen,  die  in  den 
typisch  geschriebenen  Formeln  die  Rolle  von  Radicalen  spielen.  Die  Radicale  wer- 
den dann  als  gepaarte  Radicale  betrachtet.  — 

Man  fängt  also  immer  da  an  gepaarte  Radicale  anzunehmen,  wo  die  typische 
Betrachtung  gerade  aufhört.  In  vielen  Fällen,  weil  es,  um  die  Analogieen  besser 
hervortreten  zu  lassen,  die  man  gerade  hervorheben  will,  zweckmässig  erscheint, 
die  typische  Betrachtung  nicht  weiter  auszudehnen;  in  anderen  Fällen,  weil  sie 
den  damaligen  Kenntnissen  entsprechend,  nicht  weiter  ausgedehnt  werden  konnte. 

345.  Dehnt  man,  wie  dies  in  den  früheren  Kapiteln  (bes.  §•  201  ff.)  geschah,   die 

typische  Betrachtung  weiter  aus,  so  können  viele  Metamorphosen  durch  typische 
Schreibweise  ausgedrückt  werden,  die  Gerhardt  durch  gepaarte  Radicale 
in  den  Typen  andeutete. 

So  rechnet  Gerhardt  z.  B  die  Amidsäuren,  indem  er  sie  dem  Typus:  H^O- 
zuzählt,  zu  den  Säuren  mit  gepaartem  Radical;  z.  B. : 

Typus.  Carbaminsäure.  Oxaminsäure. 

Löst  man  die  gepaarten  Radicale  auf,  so  gehören  diese  Säuren  zu  dem  in- 
termediären Typus:  NH,  -j-  H^O  (vgl  SS  201,  268): 


Typns.                  Carbaminsfture. 

H,                               H, 
Hn                        hn 

i     4 

Oxaminsäure. 

Hl 
H  N. 

nie. 

Zu  demselben  Typus  gehören  Gerhardt's 

Alkalamidsäuren;  z.  B.: 

Phenylcarbaminsäure. 
H  ^ 

Methyloxai 
H 

aiinsäure. 

Gepaarte  Verbindimgeii.  201 

Ebenso  können  viele  Solfoafioren,  die  Gerhardt  als  Verbindungen  gepaarter 
Radicale  betrachtet,  weil  er  sie  dem  Typus:  HjO  zuzählt,  dem  intermediären  Ty- 
pus: H,^  4~  ^9  (7S^'  SS*  201,  256)  zugezählt  werden  und  enthalten  dann  gewöhn- 
liche Radicale  j  z.  B.: 

Typus.  Schweflige  Säure.  Methylschweflige  Sulfophenyl- 

Säure.  säure. 


Hl 


0  6H,(ö02)J^  ^AC^^a))^ 


oder: 


^h|^  ^hK  *^I^- 

Dieselbe  Betrachtung  ist  auch  auf  die  Essigsäure  und  die  mit  ihr  homologen 
Säuren  anwendbar  (vgl.  g.  260).  Rechnet  man  diese  Säuren  dem  einfachen  Was- 
sertyp (=  Hj-B-)  zu,  so  erhalten  sie  die  Formeln: 

Typus.  Ameisensäure.  Essigsäure.  Propionsäure. 

Will  man  in  der  Formel  gleichzeitig  an  diejenigen  Metamorphosen  erinnern, 
bei  welchen  das  Radical  in  ein  Alkoholradical  und  in  das  Radical  der  Kohlensäure 
zerflUlt,  so  werden  sie  zu  Verbindungen  gepaarter  Radicale: 

Löst  man  diese  gepaarten  Radicale  auf,  so  können  diese  Säuren  dem  inter- 
mediären Typus:  H^  4*  ^^  zugezählt  werden: 

|e  ^1^  ^1^  ^h- 

Sie  entsprechen  dann,  wie  früher  (§.  260)  schon  hervorgehoben  wurde,  voll- 
ständig den  oben  angefahrten  Sulfosäuren. 

Dieselbe  doppelte  Betrachtung  ist  femer  möglich  bei  den  sauren  Aethem  der 
swdbasischen  Säuren,  z.  B.  der  Schwefelsäure.  —  Rechnet  man  diese  Säuren  zu 
dem  einÜEKihen  Wassertyp,  so  müssen  sie  mit  gepaartem  Radical  dargestellt  werden: 

Typus.  Methylschwefelsäure.  Aethylschwefelsäure. 

Hä^  6H,(S02)Ol^  €2115(002)^10^ 

Drückt  man  dagegen  das,  was  in  diesen  Formeln  durch  das  gepaarte  Radical 
angedeutet  ist,  ebenfalls  typisch  aus,  so  gehören  diese  Säuren  zu  dem  Typus  EjO 
•I-  H^O;  das  heisst  m,  dem  verdoppelten  Wassertyp:  H«^,  • 


202  Theorie. 

TypuB.  Methylschwefelsfture.  Aethylschwefelaftare. 

Es  Bind,  mit  andern  Worten,  die  den  sauren  Salzen  entsprechenden  Aether- 
arten  der  zweibasischen  Schwefelsäure : 

Typus.  Schwefelsäure.  Saures  Schwefel-  Aethylschwefel- 

saures  Kali  säure. 

>  .=k  .^^  «AU 

W  hK  h}«  hK- 

Dasselbe  gilt  natürlich  von  der  Sulfocarbolsäure  (Phenylschwefelsäure) ,  die 
sich  von  der  Aethylschwefelsäure  nur  dadurch  unterscheidet,  dass  sie  das  Radical 
Phenyl  (=  ^^E^)  anstatt  des  Radicals  Aethyl  (=  ßfi^)  enthält.  Ihre  Formel  ist 
entweder: 

Mit  gepaartem  Radical  oder  typisch. 

%■ 

W6.  Dieses  Beispiel  zeigt  deutlich  die  Willkür,  mit  welcher  von  manchen  Chemi- 

kern die  Bezeichnung  „gepaarte  Verbindung"  angewandt  wird.  Viele  Chemiker 
ftlhren  die  Phenylschwefelsäure  als  gepaarte  Säure  auf,  während  sie  für  die  voll- 
ständig analoge  Aethylschwefelsäure  der  andern  Betrachtung  den  Vorzug  geben, 
d.  h.  sie  als  Schwefelsäure  ansehen,  in  welcher  eines  von  den  beiden  typischen 
Wasserstoffatomen  durch  Aethyl  ersetzt  ist.  Will  man  die  Phenylschwefelsäure  als 
gepaarte  Säure  betrachten,  so  muss  nothwendig  auch  die  Aethylschwefelsäure  als 
gepaart  angesehen  werden,  dann  ist  aber  auch  das  saure  schwefelsaure  Kali  und 
selbst  die  Schwefelsäure  eine  gepaarte  Verbindung  ♦): 

Phenylschwefel-        Aethylschwefel-        Saures  Schwefel-        Schwefelsäure, 
säure.  säure.  saures  Kali. 


*)  Es  ist  einleuchtend,  dass  diese  verschiedenen  Formeln  für  dieselbe  Substanz 
nicht  eine  etwaige  Verschiedenheit  der  chemischen  Constitution  ausdrücken. 
„Eine  sichere  Entscheidung,"  ob  die  eine  oder  die  andere  Formel  die  rich- 
tige ist,  kann  also  auf  experimentellem  Weg  nicht  geliefert  werden,  wie  dies 
bisweilen  angenommen  wurde.  Die  Formel  mit  gepaartem  Radical  ist  nicht 
etwa  bewiesen,  „wenn  es  gelingt  dieses  gepaarte  Radical  in  die  Typen  ein- 
zuführen." Denn  dass  ein  Körper  die  einem  gewissen  Typus  zugehörige 
Verbindimg  eines  bestimmten  Radicales  sei,  ist  niemals  eine  Thatsache,  im- 
mer nur  eine  Anschauung,  deren  stets  mehrere  möglich  sind.  Man  hat  nur 
nöthig,  solche  Verbindungen  oder  ihre  Abkömmlinge  mit  gepaartem  Radical 
zu  schreiben,  so  ist  dieses  schon  in  die  Typen  eingeführt. 


Gepaarte  Vecbrndnngen.  203 

Da08  andere  Veibindimgen,  die  wir  jetet  dem  Typus  H,  4*  ^»^  siu&hlen,  847. 
als  gepaart  betrachtet  wurden,  während  man  die  Aeihylschwefelsfture  etc.  schon 
mit  den  sauren  Salzen  verglich  und  typisch  betrachtete,  hat  seinen  Grund  darin, 
dass  man  bei  der  Entwicklung  der  Typentheorie,  nach  den  einfachen  Typen  zu- 
nfichst  verdoppelte  Typen  annahm  und  erst  später  erkannte,  dass  ebensogut,  wie 
gleiche  Molecfüe  durch  mehratomige  Radicale  vereinigt  werden,  auch  ungleiche 
Molecfile  zu  intermediären  Typen  zusammengehalten  werden  können. 

Dass  man  im  Allgemeinen  gerade  die  Körper  als  gepaart  bezeichnete  und  848. 
mit  gepaarten  Badicalen  schrieb ,   für  welche  dem  jeweiligen  Stand  der  Kenntnisse 
nach  eine  typische  Betrachtung  nicht  möglich  war,  zeigen  noch  besonders  deutlich 
die  folgenden  Beispiele. 

Die  Salicylsäure  hielt  man  lange  für  eine  einbasische  Säure,  man  gab  ihr 
die  Formel: 


^'^^[0. 


Das  GaaItheriaÖl(Methylsalicylsäure)  wurde  danach  als  gepaarte  Verbindung 
betrachtet: 


Seitdem  die  Salicylsäure  als  zweibasisch  erkannt  ist,  betrachtet  man  diesen 
Körper  als  den  sauren  Aether  der  Salicylsäure,  d.  h.  typisch: 

Salicylsäure.  Hethylsalicylsäure. 

0<|H4-Gi  fx  0^H4"G'  i 


'*^^.        ^'W^. 


Die  Glycolsäure  und  die  Milchsäure  schrieb  man  bis  vor  Kurzem: 
Glycolsäure.  Milchsäure. 

Die  Benzoglycolsäure  und  Benzomüchsäure  wurden  demnach  mit  gepaartem 
Radical  geschrieben: 

Benzoglycolsäure.  Benzomüchsäure. 

Jetzt  gibt  man,  um  die  in  neuester  Zeit  entdeckten  Beziehungen  der  Glycol- 
säure und  der  Milchsäure  zu  der  Essigsäure  und  zu  den  Glycolen  auszudrücken, 
diesen  Säuren  die  Formeln: 

Glycolsäure.  Milchsäure. 


204  llieoxie. 

Die  BenzojgflycolBftore  und  Benzomilclis&iire  werden  dann: 
Benzoglycolsäure.  Benzomilchsäure. 

Sie  entsprechen  also  vollständig  den  sauren  Salzen  und  den  sauren  Aeiher- 
arten  aller  zweibasischen  SKuren. 

Saures  Schwefel-  Aethylschwefel-  Benzoglycol- 

saures  Kali.  säure.  säure. 

h}^  h|^  h}^- 

849*  Die  mitgetheilten  Beispiele  zeigen  hinlänglich,  dass  die  Annahme  gepaarter 

Radicale  nicht  nöthig  ist,  wenn  man  das  Gesammtverhalten  der  betreffenden  Sub- 
stanzen so  weit  thunlich  in  typischer  Schreibweise  ausdrücken  will.  Will  man  dar 
gegen  nur  eine  gewisse  Gruppe  von  Metamorphosen  durch  die  Formel  typisch  aus- 
drücken, so  genügt  die  aadere  Art  der  Darstellung,  bei  welcher  man,  um  die 
übrigen  Metamorphosen  wenigstens  etwas  anzudeuten,  s.  g.  gepaarte  Radicale 
schreiben  kann.  Dabei  darf  man  nur  nie  vergessen,  dass  das  Schreiben  gepaarter 
Radicale  nicht  etwa  eine  andere  Art  der  Verbindung  ausdrücken  soU,  dass  es  viel- 
mehr nur  ein  etwas  abgekürzter  Ausdruck  für  dieselbe  Verbindungsweise  ist,  die 
man  auch  typisch  darsteUen  .könnte  und  die  man  sonst  gewöhnlich  typisch  dar- 
stellt Wenn  man  dies  im  Auge  behält,  so  haben  Formeln  mit  gepaarten  Radica- 
len  nicht  nur  ihre  Berechtigung,  sie  bieten  sogar  zum  Hervortretenlassen  gewisser 
Analogieen  bisweilen  Vorzüge  dar.  — 

850.  In  neuester  Zeit  ist  man  wieder  mehrfach  bemüht  gewesen,  den  Begriff  der 

gepaarten  Verbindungen  schärfer  festzustellen;  so  zwar,  dass  nur  eine  verhältniss- 
mässig  kleine  Anzahl  der  früher  als  gepaart  betrachteten  Verbindungen  in  diese 
Klasse  gezählt  werden  sollten.  Man  hat  z.  B.  eine  gewisse  grössere  Beständigkeit 
des  durch  „Paarung^^  entstandenen  Radicales  für  ein  besonders  charakteristisches 
Merkmal  der  wirklich  „gepaarten  Säuren^^  erklärt.  So  hebt  Gerhardt  selbst  schon 
hervor  (IV.  667) :  „Die  gepaarten  Sulfosäuren  schliessen  sich  in  Bezug  auf  Zusam- 
mensetzung und  Bildung  vollständig  an  die  sauren  Aether  der  Schwefelsäure  an. 
Indessen  findet  doch  die  Verschiedenheit  statt,  dass  bei  den  letzteren  das  Radical 
der  Schwefelsäure  durch  doppelte  Zersetzung  wieder  ausgetauscht  werden  kann, 
um  andere  Aetherarten  oder  Abkömmlinge  des  Alkohols  zu  erzeugen;  während  bei 
den  durch  Einwirkung  von  Schwefelsäure  auf  organische  Säuren  oder  auf  Kohlen- 
wasserstoffe entstehenden  gepaarten  Säuren  ein  solcher  rückwärts  gehender  Aus- 
tausch bis  jetzt  nicht  hervorgebracht  werden  könne."  Er  sagt  weiter,  einer  jeden 
Sulfosäure  entspreche  wahrscheinlich  ein  Chlorid;  findet  also  in  der  Beständigkeit 
des  s.  g.  gepaarten  Radicals  und  in  der  Möglichkeit  es  in  andere  Typen  zu  über- 
tragen, eine  besondere  Stütze  für  Annahme  dieses  gepaarten  Radicals. 

Diese  Betrachtungen  sind  für  ihn  offenbar  Beweggrund  für  einzelne  Körper- 
gruppen vorzugsweise  die  Bezeichnung  „gepaart"  zu  gebrauchen,  obgleich  so  die 
Analogieen  verdeckt  werden,  die  sie  mit  andern  Körpern  darbieten,  welche  seinen 


Gepaarte  Verbindungen.  205 

allgemeinen  Definitionen  nach  (§.  S48)   zwar  auch  als   gepaart  betrachtet  werden 
können,  für  die  er  aber  den  Namen  ,,gepaart^^  nicht  gebraucht 

Gerade  so  wie  er  früher  auf  die  grosse  Verschiedenheit,  welche  die  neutra-  351. 
len  und  die  sauren  Aether  mit  den  eigentlichen  Salzen  zeigen,  besonderen  Werth 
legte  und  desshalb  diese  Körper  als  gepaarte  Verbindungen  von  den  anderen  trennte; 
80  findet  er  jetzt  (w&hrend  diese  Aether  mit  den  Salzen  verglichen  und  zusammen- 
gestellt werden)  in  der  etwas  grösseren  Beständigkeit  der  gepaarten  Radieale  ein- 
zelner Verbindungen  einen  Grund,  auf  diese  die  Bezeichnung  gepaart  vorzugsweise 
anzuwenden;  obgleich  er  wiederholt  hervorhebt,  dass  alle  organischen  Verbindun- 
gen, deren  nächsten  Metamorphosen  man  kennt,  von  gewissen  Gesichtspunkten  aus 
als  gepaart  betrachtet  werden  können  und  obgleich  er  noch  besonders  darauf  auf- 
merksam macht,  dass  solche  Metamorphosen  bisweilen  leicht  hervorgebracht  wer- 
den können,  bisweilen  dagegen  besondere  und  selbst  ausnahmsweise  Bedingungen 
erfordern,  dass  aber  keine  Grenze  dabei  festgestellt  werden  kann. 

Diese  grössere  Beständigkeit  mancher  gepaarten  Radieale  hat  andere  Chemi-  862. 
ker*)  geneigt  gemacht,   den  Namen  „gepaarte  Säuren'*'  nur  für  diejenigen  Säuren 
au  reserviren,  deren  Radical  diese  Beständigkeit  zeigt  und  es  für  ein  charakteristi- 
sches Merkmal   der  gepaarten  Säuren  zu   erklären,   dass  das  gepaarte  Radical  an 
die  SteUe  von  Wasserstoff  in  die  Typen  eingeführt  werden  könne. 

So  entsteht  z.  B.  aus  Benzolschwefelsäure  (Sulfophenylsäure)  (=  Bfi^B^^) 
durch  Einwirkung  von  Phosphorchlorid  das  Sulfophenylchlorid  (B^Hs^O-j^^)  i  ^^ 
diesem  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  das  Sulfophenylamid  (=  OeH^SO^N). 

Sulfophenylsäure.  Sulfophenylchlorid.  Sulfophenylamid. 

Hf^  HVN. 

Weil  bei  diesen  Metamorphosen  die  Gruppe  (das  Radical)  O^H^&Gj  unver- 
ändert bleibt  und  in  die  Typen:  HCl  und  H,N  an  die  Stelle  von  1  H  eingeführt 
werden  kann,  betrachtet  man  die  Sulfophenylsäure  als  gepaarte  Säure. 

Wenn  man,  wie  dies  oben  (§.  844)  geschah,  die  Sulfophenylsäure  so  weit  853. 
als  möglich  typisch  betrachtet,  das  gepaarte  Radical  also  auflöst  und  die  Säure 
dem  Tyyus:  HjO  4-  H3  zuzählt,  so  erklärt  sich  die  Beständigkeit,  welche  dieses 
^'  S*  gepaarte  Radical  dem  Phosphorchlorid  gegenüber  zeigt,  von  selbst.  Man 
weiss  in  der  That,  dass  die  Einwirkung  von  Chlorverbindungen  des  Phosphors  auf 
organische  Substanzen  in  fast  allen  Fällen  darin  besteht,  dass  der  dem  Typus :  HgO 
augehörige  Sauerstoff  durch  Chlor  vertreten  wird  (§.208);  ist  in  diesem  Typus  H20 
ein  Atom  H  durch  ein  einatomiges  Radical  ersetzt,  so  trennt  sich  dieses  in  Verbin- 
dung mit  Chlor  ab,  weil  durch  Eintritt  der  zwei  einatomigen  Chloratome  an  die 
SteUe  des  zweiatomigen  Sauerstoffs  die  Ursache  des  Zusammenhangs  wegfällt.  So 
entsteht  z.  B.  aus  Wasser  Salzsäure,  aus  Alkohol  Chlormethyl  und  Salzsäure: 

Ebenso  entsteht  aus  Sulfophenylsäure  das  Sulfophenylchlorid  neben  Salzsäure: 


*)  TgL  Ann.  Chem.  Pharm.  CIL  246. 


206  Tbeorie. 

Snlfophenylsftnre.  SnlfophenykUorid. 

^S  — BTÖ- 

Während  die  Snlfophenylsfiore  dem  Typus  H3  4~  ^^  eingereiht  werden 
kann,  gehört  das  Sulfophenylchlorid  dem  Typus  H,  J^  BCl  kh.  Die  Reactionist 
in  beiden  Fällen  die  gleiche: 

Ans  H^O      entsteht:  HG     neben     HCl 

„      H,  +  H,0  „  H,  +  HC1         „         HCl 

m 

Die  beiden  Typen:  H^  und  H^O  waren  durch  das  zweiatomige  Radical:  S^^ 
zusammengehalten;  die  beiden  entstehenden  Typen:  H3  und  HCl  bleiben  durch  das> 
selbe  Radical  zusammengehalten;  gerade  so  wie  dieses  Radical  die  beiden  Typen: 
H^O  und  Ha-G-  (also  2H20)  zu  Schwefelsäurehydrat  zusammenzuhalten  in  Stande 
ist    Man  hat: 


Typus.     Schwefelsäure. 

»    .1» 


y 


fW  9«' 


Typus.    Sulfophenyhiäure. 
H  e,Hj 


s«    ^^^ 


Typus.  Sulfophenylchlorid. 

H  eA 

{hci  S^2-CL 


Die  Analogie  der  Sulfophenylsäure  mit  der  Schwefelsäure  ist  also  vollständig 
und  es  ist  desshalb  ungeeignet,  diese  Säure  in  anderer  Weise  zu  betrachten  wie 
die  Schwefelsäure  und  ihr  eine  eigenthümliche  Constitution  zuzuschreiben.  —  Man 
kann  sogar  aus  dem  Schwefelsäurehydrat  durch  Einwirkung  von  Phosphorsuper- 
chlorid, indem  nur  die  Hälfte  des  typischen  Sauerstoffs  durch  Chlor  ersetzt  wird 
und  nur  1  HCl  sich  loslöst,  einen  dem  Sulfophenylchlorid  entsprechenden  Körper 
darstellen;  das  Chlorschwefelsäurehydrat  (B^^HCl).    Man  hat: 

Schwefelsäure-        gibt         Chlorschwefel-        Sulfophenyl-        gibt        Sulfophenyl- 
hydrat  säurehydrat  säure.  chlorid. 

HU  .  HU  ^A  ^A 


> 


hK  -HCT  ^^  H.Cl. 

Soll  der  Bildung  des  Sulfophenylchlorids  wegen  die  Sulfophenylsäure  als  ge^ 
paart  betrachtet  werden,  so  muss  folgerichtig  der  Bildung  des  Chlorschwefel- 
säurehydrats wegen  auch  die  Schwefelsäure  als  gepaarte  Säure  angesehen  und  dem 
Typus:  H^O  zugezählt  werden: 

Schwefelsäure.  Sulfophenylsäure. 

H(S0,)eu  e.Hj(Se,)U 

Das  Chlorschwefelsäurehydrat  ist  dann  das  Chlorid  desselben  Radicals,  wel- 
ches, wenn  es  1  H  im  Typus  H^O  ersetzt,  die  Schwefelsäure  erzeugt,  gerade  so 
wie  das  Sulfophenylchlorid  für  das  Chlorid  des  gepaarten  Radicals  (OgH^d^^)  ge- 


Gepaarte  Verbindimgen.  20T 

halten  wird,    dessen   dem  Wassertyp  zugehörige   Verbindung    die   Solfophenyl- 
Bftnre  ist: 

Chlorsehwefels&nrehydraL  Snlfophenylchlorid. 

H(&ea)e.  a  ^.HjC&ea) .  Cl 

und  sie  gibt  in  der  That  mit  Wasser  wieder  Schwefelsäurehydrat   genau   so  wie 
das  Snlfophenylchlorid  wieder  Sulfophenylsäure  erzeugt. 

Alle  diese  Betrachtimgen  zeigen,  dass  zwischen  den  häufig  als  gepaart  be-  354. 
zeichneten  Verbindungen  und  den  übrigen  chemischen  Verbindungen  kein  unter- 
schied in  der  Constitution  vorhanden  ist  und  dass  sämmtliche  in  neuerer  Zeit  ge- 
gebenen Definitionen  der  gepaarten  Verbindungen  bei  einiger  Consequenz  dazu 
tubren  müssen,  alle  organische  Verbindungen  als  gepaarte  Verbindungen  zu  be- 
trachten. 

Wenn  die  chemischen  Formeln  ihren  Zweck  erreichen  sollen,  den  nämlich, 
an  die  Metamorphosen  der  durch  sie  ausgedrückten  Körper  zu  erinnern,  so  müssen 
offenbar  Analogieen  im  Verhalten  auch  durch  analoge  Schreibweise  der  Formeln 
ausgedrückt  werden^  es  ist  nicht  zulässig,  dasselbe  Verhalten,  welches  man  bei 
gewiesen  Eörpergruppen  in  einer  bestimmten  Weise  durch  Formeln  ausdrückt,  bei 
andern  Körpern  durch  völlig  verschiedene  Schreibweise  der  Formeln  darzustellen. 

Da  man  nun  dermalen  zur  Darstellung  des  chemischen  Verhaltens  die  ty- 
pische Schreibweise  der  Formeln  für  besonders  geeignet  hält,  so  ist  es  offenbar 
am  zweckmässigsten,  diese  typische  Anschauung  und  Schreibweise  so  weit  als 
möglich  und  namentlich  auch  auf  die  s.  g.  gepaarten  Verbindungen  auszudehnen. 
Thut  man  dies,  so  treten  zahlreiche  Analogieen  hervor,  die  vollständig  verhüllt 
bleiben,  wenn  man  für  eine  Körpergruppe  die  eine,  für  eine  andere  dagegen  eine 
andere  Schreibweise  der  Formeln  anwendet 

Dass  dabei  einzelne  Körper  durch  verhfiltnissmässig  complidrte  Formeln  dar- 
gestellt werden  müssen ,  ist  nicht  zu  vermeiden.  Es  liegt  eben  in  der  Natur  der 
Sache,  dass  ein  complicirt  zusammengesetzter  Körper,  von  welchem  man  viele  Me- 
tamorphosen kennt,  wenn  man  alle  oder  wenigstens  eine  grössere  Anzahl  dieser 
Metamorphosen  durch  die  Formel  ausdrücken  will,  auch  durch  eine  complidrte 
Formel  dargestellt  werden  muss. 

Schliesslich  muss  noch  auf  eine  eigenthümliche  Wirkungsweise  der  Schwefel-  355. 
säure  auf  einige  organische  Substanzen  aufmerksam  gemacht  werden,   weü  man 
daraus  eine  neue  Definition  der  gepaarten  Verbindungen  herleiten  zu  können  ge- 
glaubt bat 

Es  ist  früher  schon  erwähnt  worden  ($.  806),  dass  bei  Einwirkung  der 
Schwefelsäure  (besonders  der  wasserfreien  oder  der  rauchenden  Schwefelsäure)  auf 
organische  Substanzen  bisweilen  dem  Radical  dieser  Verbindungen  Wasserstoff  ent- 
zogen wird  und  dass  so  das  Radical  seine  Basicität  ändert,  indem  z.  B.  aus  einem 
einatomigen  Radical  ein  zweiatomiges  entsteht  So  werden  bisweilen  Sulfosäuren 
(s.  g.  gepaarte  Säuren)  erzeugt,  die  der  Art  ihrer  Bildung  nach  als  Verbindungen 
emes  gewissen  (z.  B.  eines  einatomigen)  Radicals  betrachtet  werden  können,  die 
aber,  einmal  gebildet,  ihren  Zersetzungen  und  allen  Analogieen  nach  als  Verbin- 
dungen eines  andern  wasserstoffärmeren  (z.  B.  zweiatomigen)  Radicals  angesehen 
werden  müssen. 

Solche  Verbindungen  sind  bis  jetzt  verhältnissmässig  wenige  bekannt  und 
diese  sind  verhältnissmässig  wenig  studirt  Das  bekannteste  und  gleichzeitig  be- 
weisendste  Beispiel  ist  das  folgende: 


208  Theorie. 

Aus  dem  ölbildenden  Gase  (Elayl  ar  ^aH«),  welches,  wie  mehrfach  erwfihnt, 
die  Rolle  eines  zweiatomigen  Radicales  spielt,  entsteht  durch  Einwirkung  von  was- 
serfreier Schwefelsäure  Carbylsulfat  (=  ^aH^S^O«),  aus  diesem  durch  Einwirkung 
von  kaltem  Wasser:  Aethionsäure  (=  BaH^^aO-,)  und  aus  beiden  durch  Einwir- 
kung von  siedendem  Wasser:  Isftthionsäure  (=  '9aH^$0-4).  Schreibt  man  diese 
Verbindungen  typisch,  mit  Beibehaltung  der  Radicale,  aus  welchen  sie  erzeugt 
wurden,  so  erhalten  sie  die  Formeln: 


Carbylsulfat. 

Aethionsäure- 

IsäthiosBftnre. 

tJOa ' 
öüa 

eaH^  0 

m 

"SOa 

deren  Typen  die  folgenden  sind: 

H 

H 

H 

s* 

Alle  diese  Körper  können  auch  aus  dem  Alkohol  oder  dem  Acther  erhalten 
werden,  in  welchen  das  einatomige  Radical:  Aethyl  =  OaH^  angenommen  wird. 
Bei  dieser  Bildung  geht  also  das  einatomige  Radical  Aethyl  (=  OaH^)  durch  Ver- 
lust von  H  in  das  zweiatomige  Radical:  E^ayl  (=  OaH«)  über. 

Etwas  Aehnliches  findet  wahrscheinlich  bei  der  Bildung  der  Sulfoessigsfture 
bei  Einwirkung  rauchender  Schwefelsäure  auf  Essigsäure,  und  bei  Büdung  der 
SulfobenzoSsäure  aus  Benzoesäure  statt.    Durch  Einwirkung  der  Schwefelsäure  wer- 

den  die  einatomigen  Radicale:  Acetyl  und  Benzoyl  (=  6aH,0  und  6^H50)  durch 

n  m 

Verlust  von  H  in  die  zweiatomigen  Radicale:    6j|HaO  und  G^Yi^Q^   übergeführt. 
Hau  hat: 


Typus. 

Essigsfiure. 

Bencoes&ure. 

HP 

H 

H' 

Typus. 

Sulfoessigsäure. 

Sulfobenzoesäure. 

H 

's« 

€aHae)0 

^iH^eJe. 

"^!^ 

\V 

So  dasa  die  Bfldnng  dieser  beiden  Sulfosäuren  der  Bildung   der  Isfithionsfinre  am 
Alkohol  vOllig  analog  ist: 

Typus.  Alkohol. 

H 


[je  ^         «.H^je. 


Gepaarte  VerbindimgeiL  209 

Typus.  iBäthionsttore. 

H 


S' 


e 

Man  kann  sich  von  dem  Vorgang  bei  der  Bildung  dieser  Sulfosfturen  eine  866. 
gewisse  Rechenschaft  geben,  wenn  man  annimmt,  dass  die  Schwefelsäure  in  diesen 
Fällen  etwas  anders  einwirkt,  wie  gewöhnlich  bei  Einmrkung  auf  organische  Sub- 
stanzen. Während  gewöhnlich  die  Vereinigung  mehrerer  Molecüle  zu  einem  da- 
durch stattlindet,  dass  das  zweiatomige  Radical  der  Schwefelsäure  sich  so  um- 
lagert, dass  die  eine  Hälfte  desselben  an  die  Stelle  von  1  Atom  des  typischen 
Wasserstoffs  der  organischen  Substanz  tritt,  z.  B.: 

Sulfocarbolsäure.  Sulfophenylsäure. 

vor:  nach:  yor:  nach: 

erfolgt  in  diesen  Fällen  der  Angriff  der  Schwefelsäure  auf  die  organische  Substanz 
gewissermassen  von  der  andern  Seite;  statt  an  die  Stelle  von  typischem  Wasser- 

n 

Stoff  ZU  treten,   tritt  die  eine  Hälfte  des  zweiatomigen  Radicals  SO^  an  die  Stelle 
von  1  At  H,  welches  dem  Radical  der  organischen  Substanz  angehörte,  z.  B.: 

Isäthionsäure.  Sulfoessigsttore. 

vor:  nach:  vor:         *  nach: 

H)  cfrk       r\  Hj 


ö  Oj.TT 


e. 


H)  Hi 

Bei  Bildung  dieser  Sulfosäuren  wird  also  das  Radical  der  organischen  Sub-  857. 
stanz  verändert. 

Will  man  nun,  wie  dies  in  neuester  Zeit  mehrfach  geschehen  ist  *),  nur  die- 
jenigen Sänren  als  gepaart  bezeichnen,  bei  welchen  durch  Einwirkung  von  Schwe- 
felsäure das  Radical  selbst  verändert  wird,  so  gehören  nur:  die  Sulfoessigsäure, 
die  Sulfobenzoesäure  und  die  Sulfobernsteinsäure  zu  den  gepaarten  Säuren;  und 
etwa  noch  die  Aethionsäure  und  Isäthionsäure,  aber  diese  letzteren  nur,  wenn  man 
sie  aus  Alkohol  darsteUt,  während  sie  nicht  gepaart  sind,  wenn  man  zu  ihrer 
Darstellung  Elayl  anwendet. 

Alle  Bemühungen,  dem  vor  jetzt  20  Jahren  eingeführten  Wort  „ge-  868. 
paart^^,  von   welchem  man  sich  allmäiilig  überzeugte,   dass  es  eigentlich 


•)  VgL  Ann.  Chem.  Pharm,  CIL  246;  CV.  183. 

KeknU,  org«B.  Chemie.  14 


210  Theorie. 

keinen  Begri£f  hat  und  dass  die  Unterschiede,  die  es  ausdracken  sollte,  in 
der  That  nicht  stattfinden ,  wieder  einen  Begriff  beilegen  zu  wollen ,  sind 
vergeblich  geblieben  und  werden  voraussichtlich  vergeblich  bleiben,  weil 
solche  Unterschiede  nicht  vorhanden  sind.  Es  wäre  desshalb  offenbar  am 
geeignetsten,  den  Begriff  und  die  Bezeichnung  „gepaart'^  vollständig  auf- 
zugeben. 


Basicitätsgesetz. 

859.  Mit    dem  Namen   Basicitätsgesetz    oder   Gesetz   der   Sätti- 

gungscapacität  (loi  de  basicite)  hat  man  verschiedene  Regeln  bezeich- 
net, nach  welchen  die  Basicität,  d.  h.  die  Anzaiil  der  basischen  (leicht 
durch  Metalle  vertretbaren)  Wasserstoffatome  einer  Verbindung  aus  der 
Basicität  derjenigen  Körper  sollte  hergeleitet  werden  können,  durch  deren 
gegenseitige  Einwirkung  die  betreffende  Substanz  erzeugt  wird. 

Da  das  Gesetz  der  Basicität  stets  mit  den  Ansichten  über  gepaarte 
Verbindungen  in  Zusammenhang  gebracht  und  wesentlich  als  Gesetz  der 
Basicität  der  gepaarten  Verbindungen  mitgetheilt  wurde,  so  kann  es  nicht 
wundern,  dass  es  alles  das  Unsichere  und  Willkürliche  theilt,  wodurch 
die  Ansichten  über  gepaarte  Verbindungen  stets  charakterisirt  waren. 
Diese  Unsicherheit  wird  weiter  dadurch  noch  erhöht,  dass  der  Begriff  der 
Basicität  selbst  ein  sehr  wenig  feststeh«: nder  ist,  so  dass  ein  und  derselbe 
Körper  bald  als  neutral,  bald  als  einbasische  Säure,  ein  anderer  bald  ab 
einbasisch,  bald  als  zweibasisch  betrachtet  wird. 

360.  Das  erste  Basicitätsgesetz  wurde  von  Gerhardt  aufgestellt,  gelegentlich  seiner 

ersten  Abhandlung  über  die  gepaarten  Verbindungen  (§.  329).  Damals  (1839),  so- 
wie in  seinem  Prccis  (1844  —  45),  nachdem  er  seine  Ansichten  über  die  gepaarten 
Verbindungen  wesentlich  geändert  (§§.  330,  331)  und  namentlich  viel  weiter  aus- 
gedehnt hatte,  und  selbst  noch  in  der  mit  Laurent  über  die  Anilide  veröffentlich- 
ten Ai'beit  (§.  835)  drückte  er  es  aus : 

Die  Basicität  oder  die  Sättigungscapacität  einer  gepaarten  Verbindung  ist 
immer  um  1  kleiner  als  die  Summe  der  Basicitfiten  der  Körper,  durch  deren 
Paarung  die  Verbindung  entstanden  ist     Oder 

S  =  jf  —  1, 
worin  S  die  Basicität  der  gepaarten  Verbindung,  2  die  Summe  der  Basidtäten  der 
sich  durch  Paarung  vereinigten  Körper  bezeichnet 
Man  gab  diesem  Gesetz  auch  die  Form: 

B  =  (b  +  b')  -  1, 
worin  B  die  Basicität  des  Productes  b  und  b'   die  Basidtäten  der  einwirkenden 
Substanzen  ausdrücken. 

In  dieser  Form  war  das  Gesetz  anwendbar  auf  alle  die  Körper,  die  man  da- 
mals zu  den  gepaarten  zählte:  auf  die  Aether,  die  Amide,  die  Anilide,  die  durch 
Einwirkung  von  Schwefelsäure  auf  organische  Säuren  und  Kohlenwasserstoffe  ent- 
stehenden Sulfosäuren  etc. 


Basicitätsgesetz.  211 

Es  zeigte  z.  B.: 

Das8  die  Aethylschwefelsfture  eine  einbasische  Sttnre  ist,  weil  sie  durch  Paa- 
nmg  aus  der  zweibasischen  Schwefelsäure  und  dem  neutralen  (Basicität  =  0) 
Alkohol  entsteht: 

B  =  2  +  0  —  1  =  1. 

Es  zeigte,  dass  die  Aethylphosphorsfiure  zweibasisch  ist,  weil  die  auf  den 
neatralen  Alkohol  einwii*kende  Phosphorsäure  eine  dreibasische  Säure  ist: 

B  =  3  4-  0^—  1  =  2. 

Es  zeigte  ebenso,  dass  die  Sulfoessigsäure  zweibasch  sein  muss,  weil  die 
Basidtät  der  Schwefelsäure  =  2,  die  der  Essigsäure  =  1  ist: 

SgOgH]  "T"  C4H4O4  ^  C4H4S2O1Q  •{-  ^2^3 

6  =  2  +  1  —  1=2. 

Ferner,  dass  die  durch  Einwirkung  der  zweibasischen  Oxalsäure  auf  Ammo- 
niak (dessen  Basidtät  =  0)  entstehende  Oxaminsäure  eine  einbasische  Säure  ist: 

CaOgHa  +  NH3  =  C^HjNOe  —  HjOa 
B=2  +  0  —  1=1. 

Und  ebenso,  dass  die  Oxanilsäure,  weil  sie  aus  der  zweibasischm  Oxalsäure 
and  dem  Anilin  (dessen  Basicität  =  0  ist)  entsteht,  ebenfalls  einbasisch  ist. 

Aber  es  sagt  ausserdem,  wie  Laurent  und  Gerhardt  sich  ausdrücken,  in  che-  861. 
mische  Sprache  übersetzt,  dass  eine  einbasische  Säure  nur  neutrale  Aetherarten, 
neutrale  Amide,  neutrale  Anilide  liefert,  aber  weder  saure  Aetherarten,  noch  Amid- 
sfioren,  noch  Anilidsäuren.  Dass  dagegen  die  zweibasischen  Säuren  (wie  Oxal- 
säure, Schwefelsäure,  Camphorsäure)  zu  gleicher  Zeit  derartige  neutrale  gepaarte 
Verbindungen  geben  können,  sowie  auch  saure  Aetherarten,  Amidsäuren  und  Ani- 
lidsäuren^ dass  aber  in  diesen  gepaarten  Säuren  die  Basicität  stets  um  eine  Einheit 
kleiner  ist,  als  dieselbe  in  den  zweibasischen  Säuren  vor  der  Paarung  war. 

Strecker  machte  dann  (vgl.  g.  336)  darauf  aufmerksam,  dass  die  Formel  Ger-  362» 
hardt's  auf  manche  Eöi-per  passe ,   auf  andere   dagegen  nicht.    Er  führt  z.  B.  an 
das  Ozanilid  (=  614H12N202)    müsse    der  Gerhardt'schen  Formel   nach    eine   ein- 
basische Säure  sein,  denn: 

B  =  (2  +  0)  —  1  =  1. 
Es  entstehe  aus: 

C^O,  +  2Ci2H,N  -  4H0  =  Cj^HuNaO«. 
Nichtsdestoweniger  sei  es  ein  neutraler  Körper.    Man  könne  zwar  eine  Aus- 
hülfe darin  finden,  dass  man  annehme,  zuerst  paare  sich  ein  Anilin  mit  Oxalsäure, 
die  Basicität  sei  dann : 

B  =  (2  4-  0)  —  1  =  1. 
Das  so  entstandene  Product  paare  sich  dann  nochmals  mit  Anilin,  wodurch 
die  Basidtät  =  0  werde. 

B  =  (1  4-  0)  —  1  =  0. 
Er  hob  weiter  hervor,  dass  die  Anzahl  der  ausgetretenen  Wasseratome 
(=  HO)  einen  grossen  Einfluss  auf  die  Sättigungscapacität  der  gepaarten  Verbin- 
dung habe*,  es  sei  darum  nothwendig,  diese  Anzahl  der  ausgetretenen  Wasser- 
atome in  die  das  Basicitätsgesetz  ausdrückende  Formel  einzuführen.  Behält  man 
die  von  Gerhardt  eingeführten  Bezeichnungen:  B,  b,  b'  bei  und  drückt  die  Anzahl 

14  ♦ 


212  Theorie. 

der  bei  der  Paarung  austretenden  Wasseratome  (oder  was  dasselbe  ist,  der  bei  der 
Spaltung  eintretenden  Wasseratome}  durch  n  aus,  so  ist  die  Basicitat  der  gepaarten 
Verbindung: 

B  =  b  +  b'  -  ^ 

Für  den  oben  emv'ähnten  Fall  des  Ozanilids  hat  man  z.  B.: 
B  =  (2  +  0)  —  2  =  0. 

Er  bemerkte  dabei ,  die  von  Gerhardt  Yorgeschlagene  Form  sei  nur  ein  spe- 
deller  Fall  dieser  allgemeineren  Formel,  der  indessen  am  häufigsten  vorkomme> 
wenn  nämlich  n  =  2.  Und  er  zeigte,  dass  sich  für  eine  grosse  Anzahl  gepaarter 
Verbindungen  die  Basicitat  aus  dieser  Formel  in  Uebereinstimmung  mit  den  Re- 
sultaten der  Versuche  ergebe. 
868.  In  seiner  Erwiederung   gegen  Strecker's  Bemerkungen  (§.  337)    suchte  Ger- 

hardt dann  zu  zeigen ,  dass  Strecker's  Formel  nur  eine  veränderte  Form  der  von 
ihm  gegebenen  sei.  Strecker  dividire  sein  u  durch  2,  weil  immer  2H0,  4H0, 
6H0  etc.,  mit  andern  Worten  iHjO,  2H2O,  SH^O  austrete.  Nach  seinen  früheren 
Mittheüungen  über  das  Basicitätsgesetz  müsse  dieses  in  folgender  Weise  angewandt 
werden. 

Wenn  1  Mol.  eines  Körpers  sich  mit  einem  Molecül  eines  andern  paare,  so 
ist  die  Basicitat  des  Productes : 

B  =  b  +  b'  -  1. 

Paaren  sich  dagegen  2  Mol.  eines  Körpers  b  mit  einem  Molecül  eines  Kör- 
pers b',  so  habe  man: 

für  das  erste  Molecül  (b  +  b')  —  1  =  b" 
für  das  zweite    .    .    (b  +  b")  —  1. 

Ebenso:  wenn  8  Mol.  eines  Körpers  mit  einem  Molecüle  eines  andern  sich 
paaren: 

für  das  erste  .  .  (b  +  bO  —  1  =  b" 
für  das  zweite  .  .  (b  +  b")  --  1  =  b'" 
für  das  dritte    .    .    (b  +  b'")  —  1. 

Seine  Regel  gebe  also  immer  dasselbe  Resultat  wie  die  von  Strecker  und 
diese  drücke  in  der  That  nichts  anderes  aus  als  die  von  ihm  gegebene,  da,  wie 
er  gezeigt  habe ,  bei  jeder  Paarung  1  Molecül  Wasser  (=  H2O)  austrete. 

864.  Später  (1855)  sprach  Pu*ia  die  Ansicht  aus:  die  Anzahl  der  bei  Paarungen 
austi'etenden  (oder  der  bei  Spaltung  eintretenden)  Wasseräquivalente  (1  Aeq.  = 
HO  =  V2^2^)  s^^^  ^^^  ^^  einfacher  Beziehung  zur  Anzahl  der  sich  paarenden 
Körper.  Für  n  sich  paarende  Körper  sei  die  Anzahl  der  sich  ausscheidenden 
Aequivalente  Wasser: 

=  2(n  -  1). 

Also  bei  Paarungen  von  2  Körpern  =  2,  von  8  Körpern  =  4,  von  4  Kör- 
pern =  6  etc. 

865.  Dieser  Ausdruck  wurde  dann  von  Gerhardt  in  die  das  Basicitätsgesetz  aus- 
drückende Formel  angenommen.  So  natürlich ,  dass  er  statt  der  Anzahl  der  aus- 
tretenden Wasseräquivalente  die  der  Wassermolecüle  gebrauchte  (1  Aeq.  =:  HO; 
ein  Molecül  =  Ha0  =  2H0),  also  statt  2  (n  —  1)  nur  n  >-  1  in  die  Formel 
einführte. 


Basidtätsgesetz.  213 

Das  BaslciULtsgeaetz  erhielt  so  die  Form: 

B  =  b  4-  b'  -  (n  —  1), 

worin  n  die  Anzahl  der  sich  paarenden  Substanzen,  b  die  Basicität  des  einen,  b' 
die  des  andern  sich  durch  Paarung  vereinigenden  Körpers  bedeutet  Da  sowohl 
b  als  b'  die  Basicität  mehrerer  Molectile  ausdrücken  können ,  insofern  mehrere  Mo- 
lecüle  einer  Subst^mz  sich  nicht  mit  einem  Molecül  einer  andern  paaren  können, 
80  hfitte  man  offenbar  besser  die  allgemeinere  Form  gewählt : 

B  =  mb  4-  nb'  —  ((m  -f-  n)  ~  1),       . 

worin  m  und  n  die  Anzahl  der  MolecÜle  der  sich  paarenden  Substanzen  bezeich- 
nen, deren  Basicitäten  b  imd  b'  sind. 

Seit  dieser  Zeit  haben  einzelne  Chemiker  sich  der  alten ,  andere  der  neueren  366. 
Formel  Gerhardt's,  noch  andere  der  Formel  von  Strecker  bedient.  Man  hat  wie- 
derholt Beispiele  von  gepaarten  Verbindungen  aufgeführt,  die  mit  der  einen  Formel 
in  Uebereinstimmung ,  mit  der  andern  dagegen  in  Widerspruch  stehen.  Strecker 
hat  ausserdem  darauf  hingewiesen,  dass  Gerhardt's  letzte  Formel  schon  darum  un- 
sicherer sei,  wie  die  von  ihm  gegebene,  weil  sie  das  Piria'sche  Gesetz  (§.  864)  dn- 
schliesse  und  daher  nur  insofern  richtig  sei  als  dieses  sich  bewähre.  Während 
man  so  das  Basidtätsgesetz  in  der  einen  oder  andern  Form  als  „allgemeingültiges 
Gesetz^^  hinstellte,  für  welches  keine  oder  wenigstens  nur  höchst  wenige  Ausnah- 
men stattfänden,  unterliess  man,  seine  Richtigkeit  genauer  zu  prüfen;  man  Über- 
sah, dass  es  auf  die  allereinfachsten  Verbindungen,  die  den  gegebenen  Definitionen 
nach  als  gepaart  betrachtet  werden  müssen,  nicht  passt;  man  übersah,  dass  man 
sich  bd  seiner  Anwendung  die  allergrösste  Willkürlichkeit  erlaubte. 

Auf  einen  Theil  dieser  Uebelstände  ist  von  Beketoff  schon  hingewiesen  wor-  867. 
den*}  (1858).    Er  fuhrt  z.  B.  an:  nach  den  für  die  gepaarten  Verbindungen  gege- 
benen Definitionen  müssen  die  folgenden  Fälle  dahin  gerechnet  werden: 

Sowohl  Strecker's  als  Gerhardts  Regel  passt  nur  auf  den  ersten  dieser  drei 
FKUe;  sie  geben  beide,  wenn  man  die  Basicität  der  Benzoesäure  =  1,  die  des  Al- 
kohols =  0  nimmt,  die  Basicität  des  Productes  =:  0. 

B  =  (1  +  0)  —  1  =  0. 

Für  den  zweiten  Fall  hat  man,  da  die  Basicität  jeder  der  beiden  Säuren  zu  1 
angenommen  werden  muss: 

B  =  (1  +  1)  —  1  =  1 

d.  h.  die  wasserfreien  Säuren  müssten  noch  einbasische  Säuren  sein ,  was  sie  nicht 


*)  Bulletin  de  l'Acad.  d.  St.  Petersbourg.  Xll.  869. 


214  Theorie. 

Für  den  dritten  Fall  endlich  gibt  die  Formel ,  da  die  Baaicität  jedes  der  bei- 
den Alkohole  =  0  ist: 

B  =  (0  +  0)  -  1  =  —  1 

eine  negative  Grösse,  die  in  diesem  Fall  durchaus  keinen  Sinn  hat 

Für  drei  Körper,  die  offenbar  für  vollständig  analog  betrachtet  werden  müs- 
sen, geben  beide  Regeln  drei  verschiedene  Basicitäten:  «^  1,  0  und  —  1. 
868«  Mit  welcher  Willkür  das  s.  g.  Gesetz  der  Basicität  gehandhabt  wurde,  zeigt 

deutlich  das  folgende  Beispiel. 

Die  durch  Einwirkung  von  Schwefelsäure  auf  Carbolsäure  (Phenylalkohol) 
entstehende  Sulfocarbolsfture  (Phenylschwefelsäure  vgl.  §§.  345,  846)  ist  eine  ein- 
basische Säure.  Beide  Basicit&tsgesetze  (das  von  Strecker  und  das  von  Gerhardt) 
zeigen,  dass  sie  dies  sein  muss,  wenn  man  den  Phenylalkohol  als  indifferent,  seine 
Basicität  also  :=  0,  die  Schwefelsäure  aber  als  zweibasisch  annimmt: 

B  =  (2  +  0)  —  1  =  1. 

Die  Nitrosubstitutionsproducte  der  Carbolsäure  sind  einbasische  Säuren,  das 
Basicitätsgesetz  zeigt,  dass  dies  so  sein  muss,  wenn  man  die  Carbolsäure,  wie  die 
Essigsäure,  für  eine  einbasische  Säure  hält,  ihr  also  die  Basicität  =r  1  gibt 
Man  hat: 

für  Mononitrocarbolsäure: 

B  =(1  +  1)  -  1  =  1, 

für  Trinitrocarbolsäure  (Pikrinsäure): 

B  =  (3  +  1)  —  3  =  1. 

Dabei  wird  einmal  die  Basicität  der  Carbolsäure  =  1,  das  anderemal  =  0 
in  Rechnung  gebracht;  so  entsteht  dann  ein  „allgemeingültiges  Gesetz.^^ 
309,  Man  überzeugt  sich  in   der  That  schon  an  einfachen  Beispielen,   dass  das 

s.  g.  Basicitätsgesetz  nicht  allgemein  richtig  ist  und  dass  es  dies  auch  nicht  sein 
kann. 

Der  Aethylalkohol  und /1er  Phenylalkohol  (Carbolsäure)  sind  völlig  analoge 
Körper: 

Betrachtet  man  beide,  obgleich  sie  ein  Atom  Wasserstoff  enthalten,  der  durch 
Metalle  ersetzbar  ist,  als  indifferent,  weil  dieser  Wasserstoff  nur  mit  einiger 
Schwierigkeit  gegen  Metalle  ausgetauscht  wird;  setzt  man  ihre  Basicität  also 
=  0,  so  passen  die  durch  Einwirkung  von  Schwefelsäure  entstehenden  Säuren 
(vgL  §§.  845,  446)  zum  Basicitätsgesetz;  man  hat: 

B  =  (2  4-  0)  —  1  =  1. 

Die  ans  dem  Phenylalkohol  entstehenden  Nitrosubstitutionsproducte  (Nitro- 
carbolsäure,  Trinitrocarbolsäure  dagegen  passen  nicht: 

B  =  (1  4-  0)  —  1  =  0, 

sie  müssten  indifferent  sein,  während  sie  einbasische  Säuren  sind. 

Andererseits  ist  der  Phenylalkohol  (Carbolsäure)  auch  mit  der  Benzoesäure 
analog: 


BasieitätsgesetEB.  215 

beide  können,  weil  1  Atom  H  mit  einer  gewissen  Leichtigkeit  durch  Metalle  ver- 
treteo  wird,  als  einbasische  Säuren  (Basidtät  =  1)  betrachtet  werden.  Dann  gibt 
das  Basidtfitsgesetz  die  Basidtät  der  Nitrosubstitutionsproducte  richtig  an,  denn 
die  Hitrobenzoeaäure  ist  wie  die  Nitrocarbolsäuren  einbasisch,  so  wie  dies  das 
Gesetz  seigt: 

B  =  (1  +  1)  —  1  =  1. 

Nimmt  man  aber  beide  Körper,  wie  dies  eben  geschah,  einbasisch,  so 
mfissten  die  durch  Einwirkung  von  Schwefelsäure  entstehenden  Säuren :  Sulfocarbol- 
säore  (Phenylschwefelaäure)  und  Sulfobenzoesäure  zweibasisch  sdn;  denn: 

B  =  (2  +  1)  —  1  =  2. 

In  der  That  ist  auch  die  Sulfobenzoesäure  eine  zweibasische  Säure,  die  Sul- 
fotarbols&ure  dagegen  ist  einbasisch,  sie  passt  nicht. 
Man  sieht  also  von  den  drei  Körpern: 


Alkohol. 

Carbolsäure 
Phenylalkohol. 

Benzoesäure. 

«.H^e 

«.H^e 

die  offenbar  völlig  analog  sind,  und  auch  sonst  so  betrachtet  werden,  muss  der 
erste  als  indifferent  (Basicität  =  0),  der  zweite  dnmal  als  indifferent,  das  andere- 
mal  als  einbasisch,  der  dritte  beide  male  als  einbasisch  angesehen  werden,  wenn 
das  8.  g.  Basidtätsgesetz  die  Basidtät  der  durch  Einwirkung  von  Salpetersäure  und 
von  Schwefelsäure  entstehenden  Producte  richtig  ergeben  soll. 

Man  überzeugt  sich  leicht,   dass  ein  grosser  Theil  der  Mangelhafllgkdt  des  870. 
Basidtätsgesetzes  in  der  Unsicherheit  seinen  Grund  hat,   die  die  Bestimmung  der 
Basidtät  eines  Köi-pers  darbietet. 

Die  Benzoesäure  wird  allgemein  als  einbasische  Säure  betrachtet,  weil 
das  dne  Atom  typischen  Wassersloffs  mit  gewisser  Leichtigkeit  durch  Metalle 
irsetzt  werden  kann.  Für  den  Phenylalkohol  (Carbolsäure)  ist  diese  gewisse 
Leichtigkeit  schon  geringer  und  man  nennt  desshalb  diesen  Körper  bisweilen  eine 
etibasische  Säure,  bisweilen  einen  indifferenten  Alkohol.  Im  Aethylalkohol  endlich 
ktan  zwar  der  typische  Wasserstoff  auch  noch  durch  Metall  vertreten  werden,  die 
gewisse  Leichtigkeit  ist  aber  jetzt  sehr  kldn,  man  führt  desshalb  den  Alkohol 
nm  als  indifferenten  Körper  auf.  Wenn  ein  Körper  als  indifferent  oder  aber  als  ein- 
basBche  Säure  betrachtet  werden  soll,  je  nachdem  die  gewisse  Leichtigkeit,  mit 
weldier  sein  typischer  Wasserstoff  durch  Metall  vertretbar  ist,  gerade  klein  oder 
grosi  ist,  so  ist  der  Willkür  freier  Spielraum  gelassen.  Dann  kann  man  die  Basi- 
dtät IG  wählen,  dass  das  Basicitätsgesetz  für  alle  Fälle  richtig  ist*).  Will  man 
dagegen  einen  jeden  Körper  als  einbasisch  betrachten ,  welcher  1  Atom  durch  Me- 


*)  liese  Unsicherheit  der  Ausdrücke  indifferent  und  einbasisch  und  die  Schwie- 
rigkeit festzustellen,  ob  manche  Körper  das  eine  oder  das  andere  seien,  ist 
vO|  Gerhardt  wiederholt  hervorgehoben  worden.  Er  machte  auch  darauf 
auberksam,  dass  sein  Basicitätsgesetz  auf  solche  „Grenzkörper^^  (corps  limi- 
tes)  nicht  angewandt  werden  könne  oder  dass  es  für  diesdben  wenigstens 
im  Wicheren  lasse. 


216  Theorie. 

talle  oder  Radicale  vertretbaren  (d.  h.  typischen)  Wasserstoffs  enthält,  so  ist  das 
BasicitätsgesetK  in  der  Hälfte  der  Fälle  nnrichtig. 

Während  so  einerseits  die  Unsicherheit  in  der  Bestimmung  (resp.  Willkür  in 
der  Wahl)  der  Basicität  der  sich  paarenden  Substanzen  das  Basicitätsgesets  illaso- 
risch  macht,  wird  dies  Gesetz  andererseits  auch  dadurch  schwankend,  dass  dieselbe 
Unsicherheit  sich  bei  Bestimmung  der  Basicität  des  Productes  wiederholt. 

Soll  z.  B.  das  Succinimid  als  indifferent  oder  als  basisch  betrachtet  werden? 

Da  es  mit  Silberozyd  leicht  eine  salzarfcige  Verbindung  erzeugt: 

Succinimid.  Silbersucdnimid. 

<H  (Ag 

so  hat  man  alle  Berechtigung,  es  eine  einbasische  Säure  zu  nennen.  Thnt  man 
dies,  so  ist  das  Basicitätsgesetz  von  Strecker  im  Nachtheil,  gegenüber  der  älteren 
nnd  der  neueren  Formel  von  Gerhardt  Die  letzteren  geben  beide  die  Basidt&t 
=  1;  deim: 

B  =(2  +  0)  -  1  =  1, 
während  die  Formel  von  Strecker  die  Basicität  =  0  gibt    Msn  hat: 

^^^4  +  NH,  -  2Hae  =  e^Ne* 

also: 

B  =  (2  4-  0)  —  2  =  0. 

Dasselbe  gilt  von  der  Cyansäure,  die  man,  weil  sie  mit  fast  allen  Basen 
salzartige  Verbindungen  erzeugt,  allgemein  als  einbasische  Säure  betrachtet,  wäh- 
rend sie  gleichzeitig  (vollständig  dem  Succinimid  analog)  als  Imid  der  zweibasi- 
schen Kohlensäure  betrachtet  wird. 

Dieselbe  Bemerkung  kann  noch  fttr  viele  Körper  z.  B.  ftlr  die  Amide  der 
einbasischen  Säuren  gemacht  werden.  Die  Basicität  dieser  Körper  ergibt  sich  aus 
allen  Basicitätsgesetzen  =  0,  und  doch  weiss  man,  dass  viele  Amide  z.  B.  das 
Acetamid  ein  Atom  Wasserstoff  sogar  mit  einer  gewissen  Leichtigkeit  gegen  ein- 
zelne Metalle  austauschen.    Z.  B.: 

Acetamid.  Quecksilberacetamid. 

H  NJHg 

H  \yL 


871.  Diese  Unsicherheit  in  der  Feststellung  der  Basicität  der  sich  durch  Pairung 

vereinigenden  Substanzen  und  des  entstehenden  Productes,  hat  Beketoff  veranl*sst  •) 
von  diesen  Basidtäten  zunächst  vollständig  abzusehen  und  in  einer  Gleichuig  nur 
auszudrücken,  wieviel  überhaupt  vertretbare  Wasserstoffe  ein  durch  Paanug  ent- 
stehender Körper  enthält    Er  gibt  die  Formel: 

aH4-bH  —  cH=zH 


*)  In  der  }.  867  erwähnten  Abhandlung. 


Bandtfttsgeaetz.  217 

oder  dn&cher: 

a  -f-  b  —  c  =  z, 

worin  a  und  b  die  Anzahl  der  vertretbaren  Waeserstoffatome  (d.  h.  der  typischen 
Wasserstoffatome,  oder  wie  Beketoff  sich  ausdrückt,  des  „Paarungs -Wasserstoffs), 
c  die  Anzahl  der  Wasserstoffatome,  die  in  Form  von  Wasser  (oder  Salzsäure)  bei 
der  Paarung  austreten ,  und  z  die  Anzahl  der  typischen  oder  vertretbaren  Wasser- 
stoffatome des  Productes  ausdrückt. 

Beketoff  dehnt  dabei  einerseits  den  Begriff  der  Paarung  (Copulation)  aus, 
indem  er  alle  die  Körper  als  durch  Paarung  entstanden  betrachtet,  die  durch  Ver- 
einigung zweier  Substanzen  unter  Austritt  von  Wasser,  Salzsäure,  Chlormetallen  *) 
etc.  entstehen;  im  Allgemeinen  also  alle  die  Körper,  welche  der  tjrpischen  Betrach- 
tung nach  als  durch  Eintritt  eines  Radicales  an  die  Stelle  von  t3npi8chem  Wasser- 
stoff entstanden  angesehen  werden  können.  Er  schliesst  aber  andererseits  alle  die- 
jenigen Substanzen  aus,  bei  welchen  der  typische  Wasserstoff  unvertreten  bleibt, 
dagegen  Wasserstoff  innerhalb  das  Radicales  ersetzt  wird,  also  die  Chlor-,  Brom-) 
Nitrosubstitutionsproducte. 

Man  kann  sich  leicht  davon  überzeugen,  dass  die  von  Beketoff  gegebene  For-  872. 
md  für  alle  die  Metamorphosen,  welche  er  Paarung  nennt,  richtig  ist;    sie  drückt 
aber  in  der  That  auch  Nichts  weiter  aus,  als  was  ohnedies  schon  in  einer  in  typi- 
schen Formeln  geschriebenen  Zersetzungsgleichung  steht.    Z.  B.: 

Bildung  von  Benzoesäureäther  aus  Benzoesäure  und  Alkohol: 

1  +  1  —     2  =  0. 

Bildung  von  Benzoesäureäther  aus  Benzoylchlorid  und  Alkohol: 

eAo.ci  +  eAj^     -     HCl     =     Wje. 

0         +         1  —         1  =  0. 

Bildung  von  Benzamid  aus  Benzoeäther  und  Ammoniak: 

0  4-8  —  1  =  2. 

Beketoff's  Formel  drückt  also  aus,  wieviel  Wasserstoffatome  einer  Verbin- 
dung noch  durch  Radicale  veiiretbar  sind,  wenn  dies  bei  den  einwirkenden  Sub- 
stanzen bekannt  ist.  Sie  gibt,  wie  Beketoff  sich  ausdrückt,  den  Grad  der  Paarung 
(degr^  de  copulation)  an. 

Will  man  in  dieser  Formel  gleichzeitig  die  Basicität  der  sich  paarenden  Sub-  878. 
stanzen  ausdrücken,  um  so  die  Basicität  des  entstandenen  Körpers  herzuleiten,  so 


•)  Die  Metalle  werden  in  Beketoff's  Gleichung  in  derselben  Weise  wie  der  Was- 
serstoff in  Rechnung  gebracht 


218  Theorie. 

hat  man  nur  nöthig,  den  basischen  Wasserstoff  besonders  zu  bezeichnen,  etwa  mit 
einem  über  den  Buchstaben  oder  die  Zahl  gesetzten  Strich. 

Man  hat  z.  B.  ftir  die  Bildung  der  wasserfreien  Säuren: 

«A^*  +  «■"■^«  -  S«  =  ISD*- 

1  +         T      -  T       =      0. 

Oder  für  die  Bildung  der  Oxaminsäure: 

^aHj04    +    NH,    —        Ha0       =    eaH,N^, 

2  +       3      -    (T+  1)    =     T+2. 

Dabei  muss  das  dritte  Glied,  welches  die  Anzahl  der  bei  der  Paarung  austretenden 

c  1 1  ■  c 
Wasserstoflfatome  ausdrückt  (c),  aufgelöst  werden  in  — f—  ,  weil,  wie  Beketoff  vor- 

her  zeigt,  die  eine  Hälfte  des  Wasserstoffs  aus  dem  einen,  die  andere  dagegen  aas 
dem  andern  sich  paarenden  Körper  stammt.  Die  allgemeine  Gleichung  für  Büdang 
der  gepaarten  Verbindungen  wird  demnach: 

—     ,      .  c  -4-  c  —  , 

a    +    b    —        J       =    z  +  » 

und  die  Gleichung,  die  die  Bildung  der  Aminsäuren  (z.  B.  der  Oxaminsfture)  aus- 
drückt, ist: 

¥+8    —    (r+l)=T+2. 

Sie  zeigt,  dass  die  entstehende  Aminsäure  noch  8  vertretbare  Wasserstoffatome 
enthält,  von  welchen  eines  basisch  ist,  d.  h.  durch  Metalle  ersetzt  werden  kann. 

In  derselben  Weise  hat   man  ftir  die  Bildung  des  Oxamids  und  Überhaupt 
der  Amide  zweibasischer  Säuren: 

OjHaO^    +    2NHa    -    2Ha0    =    ß^^^^^^ 
oder: 

a        +       2b     -    ^^    =-7+z 

2"       +  6     -    T2+2)  =   "04-4, 

woraus  man  sieht,  dass  das  Oxamid  noch  4  Atome  vertretbaren  Wasserstofs  ent- 
hält, von  welchen  aber  keines  basisch  ist 

374.  Es  ist  kaum  nöthig ,  darauf  aufmerksam  zu  machen ,  dass  BeketofTs  Formel, 

insofern  sie  als  Basicitätsformel  angesehen  werden  soll,  an  denselben  Mangan  Koth 
leidet,  wie  die  anderen  Basicitätsgesetze ,  wenn  gleich  in  geringerem  Grade.  Eb 
bleibt  immer  der  Willkür  überlassen,  welchen  Wasserstoff  man  gerade  als  basisch 
betrachten  will.    Sie  zeigt  z.  B.  für  das  Succinimid: 

"2        +       8      ^  (2+2)  =      0  +  1, 


Basicitätsgesetz.  219 

dass  dieser  Körper  noch  1  Atom  Wasserstoff  enthölt,   sie  gibt  diesen  Wasserstoff 
aber  nicht  als  basisch,  obgleich  er  durch  Metalle  ersetzbar  ist. 
Sie  gibt  ebenso  für  das  Acetamid : 


02H4'G'2      ^        NH3 

—      H^O      —      öjHjON 

T        +       8 

-   (T+i)  =      0+2 

zwei  vertretbare  Wasserstoffatome ,   die  der  Gleichung  nach  gleichwerthig  erschei- 
nen, während  das  eine  durch  Metalle  vertreten  werden  kann. 

Die  Formel  Beketoff's  zeigt  also  niemals  etwas  mehr  als  die  typisch  ge- 
schriebenen Formeln;  sie  Iftsst  in  all  den  FäUen  im  Unsicheren,  in  welchen  die 
typischen  Formeln  es  auch  thun.  Wie  dies  an  sich  natürlich  ist,  da  sie  im  Grund 
genommen  Nichts  weiter  ist,  als  ein  getrenntes  Schreiben  der  in  den  typischen 
Formeln  angedeuteten  noch  vertretbaren  Wasserstoffatome. 

Beketoff's  Betrachtung  bietet  aber  insofern  Vorzüge  vor  den  andern  Basici-  876. 
tätsgesetzen  dar,  als  sie  zeigt,  dass  bei  der  Bildung  der  Snbstitutionsproducte  eine 
andere  Art  von  Reaction  stattfindet  wie  bei  den  Metamorphosen,  die  Beketoff  zu  den 
Paarungen  zählt;  insofern  bei  den  ersteren  die  Vertretung  im  Radical  stattfindet 
and  der  typische  Wasserstoff  ungeändert  bleibt,  während  bei  den  letzteren  typi- 
scher Wasserstoff  durch  Radicale  ersetzt  wird.  Sie  zeigt  femer,  dass  bei  den  durch 
Einwirkung  von  Schwefelsäure  auf  Essigsäure  und  Benzoesäure  entstehenden  Sulfo- 
säuren  (die  sich,  ebenso  wie  die  Nitrosubstitutionsproducte  der  Formel  nicht  fügen) 
eine  eigenthümliche  Reaction  stattfindet,  bei  welcher  das  Radical  der  organischen 
Säure  verändert  und  Wasserstoff,  der  vorher  diesem  Radical  angehörte,  in  typischen 
Wasserstoff  umgewandelt  wird.  (vgl.  §.  3ö6.) 

Fafist  man  Alles  zusammen,  so  überzeugt  man  sich  leicht,  dass  kei-  ^76. 
Des  der  verschiedenen  Basicitätsgesetze  ein  allgemeingültiges  Gesetz  ist. 
Es  sind  Regeln,  die  innerhalb  gewisser  Grenzen  richtig  sind,  nament- 
lich bei  den  Körpern  oder  Körpergruppen,  aus  welchen  man  sie  herleitete. 
Sie  können  natürlich  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  auf  nächst -analoge 
Fälle  angewandt  werden,  gestatten  aber  nie  die  Basicität  eines  Froductes 
mit  YoUer  Sicherheit  herzuleiten. 

Keines  der  verschiedenen  Basicitätsgesetze  leistet  mehr  als  dies  die 
typische  Anschauung  und  die  typische  Schreibweise  der  Formeln  schon 
thut.  Aber  auch  diese  zeigen  nur,  wieviel  Wasserstoffatome  überhaupt 
durch  Radicale  vertretbar  sind  (abgesehen  von  den  Chlor-,  Brom-  und 
Nitrosubstitutionen,  welche  innerhalb  des  Radicales  vor  sich  gehen),  nicht 
aber,  ob  dieser  Wasserstoff  gerade  leicht  durch  Metalle  oder  metallähn- 
liche Radicale  oder  aber  durch  saure  Radicale  ersetzt  wird.  Dies  ergibt 
sich  bis  zu  einem  gewissen  Grade  aus  den  früher  mitgetheilten  Betrach- 
tangen über  den  Einfluss,  den  die  Natur  der  in  einer  Verbindung  schon 
enthaltenen  Radicale  auf  die  Natur  der  Verbindung  ausübt  und  aus  den 
Betrachtungen  über  den  Einfluss  der  relativen  Stellung  der  Atome  auf 
ihre  Natur. 


220  Theorie. 

Classification  der  organischen  Verbindungen. 

S77.  Wenn  in  die  zahlreichen  Thatsachen  der  organischen  Chemie  einige 

Uebersichtlichkeit  gebracht  werden  soll,  so  ist  es  nöthig,  dieselben  in 
systematischer  Ordnung  abzuhandeln.  Der  Hauptzweck  einer  jeden  Clas- 
sification ist  stets  die  Uebersichtlichkeit.  Aber  das  System  muss  gleichzeitig 
die  etwa  schon  erkannten  Gesetzmässigkeiten  oder  die  Regelmässigkeiten 
und  Analogieen,  in  welchen  später  vielleicht  Gesetzmässigkeiten  aufge- 
funden werden  können,  besonders  hervortreten  lassen;  es  muss  die  zahl- 
reichen Beziehungen,  welche  die  einzelnen  Körper  und  Körpergruppen 
untereinander  verknüpfen,  genügend  hervorheben;  es  muss,  mit  einem 
Wort,  schon  durch  die  Stellung  der  Körper  im  System  ein  gewisses  Bild 
von  ihrer  Natur  geben.  Macht  das  System  dabei  noch  auf  Lücken  in  der 
dermaligen  Erkenntniss  der  Thatsachen  aufmerksam;  deutet  es  durch  die 
Art  der  Classification  die  Existenz  dermalen  noch  unbekannter  Körper 
an ;  lässt  es  dureh  den  Platz,  den  es  diesen  Köi*pern  anweist,  ihre  Eigen- 
schaften, ihre  Beziehungen  und  ihre  etwaigen  Bildungsweisen  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  voraussehen;  so  leistet  es  Alles,  was  man  billigermassen 
von  einem  System  verlangen  kann. 

878.  Es  ist  an  sich  klar,  und  früher  schon  mehrfach  hervorgehoben  wor- 

den (vgl.  §§.  145,  146),  dass  ein  chemisches  System  nothwendig 
auf  die  chemische  Natur  der  Körper  begründet  sein  muss.  Also  ei- 
nerseits auf  die  Aehnlichkeit  ihres  Verhaltens,  auf  ihre  chemische 
Function;  andererseits  auf  ihre  verwandtschaftlichen,  ihre  genetischen 
Beziehungen.  Es  muss  Beides  gleichzeitig  und  soweit  als  thunlich 
gleichmässig  berücksichtigen. 

Wollte  man  die  Körper  nur  nach  ihren  genetischen  Beziehungen  zusammen- 
stellen, so  würde  man  auf  unüberwindliche  Schwierigkeiten  stossen,  weil  eine  and 
dieselbe  Substanz  oft  aus  einer  grossen  Anzahl  anderer  Körper  erhalten  werden 
kann,  so  dass  die  genetischen  Beziehungen  ein  unendlich  vielfach  verknüpftes  Netz 
darstellen.  Und  man  würde  dabei  niemals  uebersichtlichkeit  erlangen,  weil  ihrer 
chemischen  Function  nach  sehr  ähnliche  Körper  oft  sehr  weit  von  einander  ent- 
fernt werden  mtissten. 

Wollte  man  andererseits  die  Systematik  einzig  auf  die  chemische  Function 
der  Körper  begründen  und  nur  die  in  ihren  Eigenschaften  ähnlichsten  Körper  zu 
sammenstellen ,  also  z.  B.  alle  Alkohole,  alle  Chloride,  alle  einbasischen  Säuren, 
aUe  dem  Typus  Ammoniak  zugehörigen  Körper,  so  würden,  weil  man  den  gene- 
tischen Beziehungen  zu  wenig  Rechnung  trägt  ^  die  verwandtschaftlichen  Bande, 
welche  die  Körper  verknüpfen,  zu  sehr  in  den  Hintergrund  treten  und  so  wiederum 
der  Uebersichtlichkeit  geschadet.    • 

379  Die  chemische  Natur   der  Körper  findet  ihren  Ausdruck  in  den 

rationellen  Formeln  (§.  252).     Der  typische  Theil  dieser  Formeln 

drückt  wesentlich  die  chemische  Function  aus.    Die  als  Radicale 

geschriebenen  Gruppen  erinnern  an  die  genetischen  Beziehungen. 

Die  Systematik   wird   also  der  chemischen  Function   und  den  gene- 


Classification.  221 

tiBchen  Beziehungen  gleichzeitig  Rechnung  tragen,  wenn  sie  die  chemi- 
schen Verbindungen  nach  ihren  rationellen  Formeln  ordnet. 

Da  nun,  den  früheren  Betrachtungen  nach,  ein  und  derselbe  Kör-  880. 
per  in  yerschiedenen  Metamorphosen  oft  völlig  verschiedenes  Verhalten 
zeigt  und  desshalb  durch  verschiedene  rationelle  Formeln  ausgedrückt 
werden  kann  (§.  252),  die  alle  gleichberechtigt  oder  wenigstens  für  die 
Metamorphosen,  aus  welchen  man  sie  herleitet,  berechtigt  sind,  so  wirft 
sich  die  Frage  auf:  welche  dieser  verschiedenen  rationellen  Formeln  soll 
zum  Zweck  der  Systematik  benutzt  werden?  Obgleich  man  also  die  ver- 
schiedenen rationellen  Formeln  für  gleichzeitig  berechtigt  halten  muss,  so 
muss  für  die  Classification  eine  bestimmte  ausgewählt  werden.  Damit 
soll  durchaus  nicht  gesagt  werden,  dass  diejenige  rationelle  Formel,  welcher 
man  für  die  Classification  den  Vorzug  gibt,  an  sich  mehr  berechtigt,  dass 
sie  rationeller  sei  wie  die  andern.  Mein  gibt  vielmehr  dieser  einen  Formel 
nur  desshalb  den  Vorzug,  weil  sie  dem  betreffenden  Körper  eine  Stelle 
im  System  anweist,  durch  welche  seine  Analogieen  mit  anderen  und 
seine  Beziehungen  zu  anderen  Körpern  gerade  besonders  deutlich  hervor- 
treten. 

Welche  von  den  verschiedenen  rationellen  Formeln,  die  für  einen 
Körper  möglich  sind,  fUr  die  Classification  ausgewählt  werden  soll,  ist 
eine  Frage  der  Zweckmässigkeit,  oder,  wenn  man  will,  eine  Frage  des 
Taktes.  Im  Allgemeinen  wird  man  derjenigen  den  Vorzug  geben,  welche 
die  meisten,  die  einfachsten  und  die  wichtigsten  Beziehungen  eines  Kör- 
pers ausdrückt 

Man  kann  z.  B.  die  Essigsäure  ausdrücken  durch  die  rationellen  Formeln: 

^AOU     oder      ^^A^2     oder     ^?» 

Die  erste  erinnert  an  die  Beziehungen  der  Essigsäure  zum  Alkohol  und  den 
übrigen  Aethylverbindungen ,  indem  sie  in  der  Essigsäure  ein  Radical  62H30  an. 
nimmt,  welches  sich  aus  dem  Radical  des  Alkohols  €2^5  durch  Eintritt  von  O  an 
die  Stelle  von  Hj  herleitet.  Die  zweite  erinnert  an  die  Beziehungen  der  Essigsäure 
zum  Acetonitril  etc.  (§.  246);  die  dritte  endlich  deutet  die  Metamorphosen  an,  bei 
welchen  neben  einer  Verbindung  des  Radicals  Carbonyl  (=60),  eine  Verbindung 
deö  Radicals  Methyl  (=  eH,)  entsteht  (vgl  §§.  236,  260).  —  Für  die  Classification 
verdient  die  erste  dieser  drei  Formeln  den  Vorzug,  weil  sie  der  Essigsäure  eine 
Stelle  im  System  anweist,  durch  welche  die  einfachsten  und  wichtigsten  Beziehun- 
gen dieser  Säure  besonders  klar  hervortreten. 

Ebenso  sind  für  den  Aldehyd  die  drei  rationellen  Formeln  berechtigt: 

0  0 

^Agj        oder       ^'^^je  oder  9^.0, 

von  welchen  die  erstere  den  Aldehyd  als  die  Wasserstoffverbindung  desselben  Ra- 
dicals betrachtet,  dessen  dem  Wassertyp  zugehörige  Verbindung  die  Essigsäure  ist; 


222  Theorie. 

während  die  zweite  an  die  Bildung  des  Chlorids:  ^sH^Cl  erinnert  und  die  dritte 
endlich  andeutet,  dass  der  Aldehyd  sich  in  manchen  Reactionen  verhfilt  wie  das 
Oxyd  desselben  zweiatomigen  Radicals,  dessen  dem  Wassertyp  zugehörige  Verbin- 
dung das  Glycol  ist.  ~  tür  die  Classification  verdient  wiederum  die  erstere  dieser 
Formeln  den  Vorzug,  weU  sie  den  Aldehyd  in  die  Nähe  der  Essigsäure  und  der 
übrigen  Verbindungen  desselben  Radicales  stellt  und  so  die  wichtigsten  Beziehun- 
gen besonders  hervorhebt 

881.  Obgleich  also  bei  der  Wahl  der  für  die  Classification  zu  benutzen- 

den rationellen  Formeln  nicht  ganz  ohne  Willkür  verfahren  werden  kann, 
so  ist  es  doch  natürlich  nothwendig,  dabei  eine  gewisse  Consequenz  in 
Anwendung  zu  bringen,  damit  nicht  Analogieen  verhüllt  werden  und  da- 
durch die  Uebersichtlichkeit  Noth  leide. 

Wenn  z.  B.  für  zwei  völlig  analoge  Substanzen  zweierlei  verschiedene  aber 
für  beide  Substanzen  analoge  rationelle  Formeln  möglich  sind,  so  wird  man  nicht 
bei  der  einen  Substanz  die  eine,  bei  der  andern  dagegen  die  andere  rationelle  For- 
mel auswählen.. 

3^2.  ^^^  kann  nun  bei  einer  Classification  der  organischen  Verbindungen 

nach  den  rationellen  typischen  Formeln  entweder  nach  den  Radicalen 
ordnen,  also  diejenigen  Körper  zusammenstellen,  die  dasselbe  Radical 
enthalten,  aber  verschiedenen  Typen  zugehören,  dann  wird  wesentlich 
den  genetischen  Beziehungen  Rechnung  getragen;  oder  man  kann 
die  Körper  zu  Gruppen  zusammenfassen,  welche  demselben  Typus 
zugehören,  aber  verschiedene  Radicale  enthalten,  man  berüksichtigt  dann 
wesentlich  die  chemischeFunction.  Um  die  organischen  Verbindungen 
vollständig  zu  charakterisiren  und  eine  möglichst  allseitige  Kenntniss  ihrer 
zahllosen  Beziehungen  zu  vermitteln,  ist  es  nothwendig,  sie  nach  beiden 
Methoden  zusammenzustellen.  Da  indess  eine  vollständige  Vereinigung 
dieser  beiden  Classificationsprincipien  unmöglich  ist,  so  scheint  es  geeig- 
net, bei  der  für  die  Einzelbeschreibung  der  organischen  Verbindungen  be- 
nutzten Classification  den  genetischen  Beziehungen,  d.  h.  den  Radicalen 
mehr  Rechnung  zu  tragen.  In  einem  späteren  Kapitel  sollen  dann  die 
organischen  Verbindungen  nach  dem  andern  Princip,  also  nach  der  che- 
mischen Function,  d.  h.  den  Typen,  zusammengestellt  und  die  für  den  be- 
treffenden Typus  charakteristischen  Reactionen,  also  die  einer  ganzen 
Gruppe  von  Verbindungen  gemeinsamen  chemischen  Functionen  besprochen 
werden. 


In  dem  speciellen  Theii  dieses  Lehrbuches  werden  also  die  organi- 
schen Verbindungen  in  methodischer  Reihenfolge  abgehandelt  Bei  dieser 
Classification  benutzen  wir: 

I.  Das   §.  280  erwähnte  Verhältniss    der  Anzahl  der  Kohlen- 
Stoffatome  zu  der  Summe  der  übrigen  Atome  einer  Verbindung. 


Classification.  223 

Wir  theilen  danach  die  organischen  Verbindungen  in  drei  grosse  Klas- 
sen, von  welchen  die  erste  die  nach  der  allgemeinen  Formel  OnH^a 
zusammengesetzten  Kohlenwasserstoffe  und  alle  mit  diesen  in  gene- 
tischer Beziehung  stehenden  Körper  umfasst.  Die  zweite  Klasse  um- 
fasst  die  kohlenstoffreicheren  Substanzen,  also  die  nach  der  Formel: 
€b+3  H^d  zusammengesetzten  Körper,  nebst  allen  ihren  Verwandten. 
Die  dritte  endlich  den  Kohlenwasserstoff:  On-^  E^  nebst  seinen 
zahlreichen  Abkömmlingen. 

IL  Die  Basicität  der  Radicale.  Wir  machen  also,  innerhalb  jeder 
der  drei  Hauptklassen  Unterabtheilungen,  von  welchen  die  erste  die 
Verbindungen  einbasischer  Radicale,  die  zweite  die  zweibasischen 
Radicale  und  ihre  Verbindungen,  die  dritte  die  Verbindungen  der 
dreibasischen  Radicale  enthält  eta  (vgl.  $.  289). 

in.  Innerhalb  der  so  erhaltenen  Gruppen  werden  zunächst  die  Verbin- 
dungen derjenigen  Radicale  zusammengestellt,  die  nur  Kohlenstoff  und 
Wasserstoff  enthalten.  Die  weiteren  Gruppen  umfassen  dann  die  Verbin- 
dungen derjenigen  Radicale,  welche  sich  aus  den  ersteren  durch  Ein- 
tritt von  Sauerstoff  an  die  Stelle  von  Wasserstoff  herleiten  lassen; 
und  zwar  enthält  die  nächste  die  Verbindungen  der  Radicale,  die 
aus  den  nur  Kohlenstoff  und  Wasserstoff  enthaltenden  durch  Eintritt 
von  1  Atom  O  an  die  Stelle  von  2  Atom  H  entstehen;  die  folgende 
die  Verbindungen  derjenigen  Radicale,  bei  welchen  4  Atome  H  des 
Kohlenwasserstofiradicals  durch  2  Atome  O  vertreten  sind  etc. 
(S.  285). 

IV.  In  jeder  dieser  Gruppen,  die  nur  noch  die  Verbindungen  homologer 
Radicale  enthält  (§§.  142,  143),  werden  dann  zunächst  die  Verbin- 
dungen der  einfachsten  Radicale  abgehandelt,  an  diese  reihen  sich 
dann  die  Verbindungen  der  um  €H2,  2€H2  .  .  .  n.6H2  reicheren 
Radicale  an. 

Die   folgende  Uebersichtstabelle,  in   welcher   die   Radicale   zusam-  884. 
meDgestellt    sind,   wird   die  Grundidee  dieser  Classification  verständlich 
machen : 


224 


Theorie. 
Klasse:  OnHsa« 


Einatomige 
Radicale. 

Gruppe  1. 

Ba  H20+1 

Gruppe  2. 
Ön  H2n-i  e 

eaH,0 

eXe 
eX^ 

Zweiatomige 
Radicale. 

Gruppe  3. 

Bn   H2o 

Gruppe  4. 

e«  H2a-2  0 

Gruppe  6. 
00  H20-4  0a 

eX 

60 

«x^ 

0,H40 

eX^ 

0X 
0aHi0a 
04H402 

Dreiatomige 
Radicale. 

Gruppe  6  (und  8) 

Gruppe  7  (und  9) 
e.  HS.-S  0 

(anch  einatomig 
TgL  S-  289.) 

eX 

«X 

eX^ 

Die  Gruppe 

1)  iimfasst  die  homologe  Reihe  der  Alkohole  und  alle  die  zahlreichen, 
theils  aus  den  Alkoholen,  theils  aus  andern  Substanzen  sich  her- 
leitenden Körper,  welche  dieselben  Radicale  enthalten. 

2)  Die  homologe  Reihe  der  s.  g.  fetten  S&uren,  nebst  ihren  zahlreichen 
Abkömmlingen, 

3)  die  mit  dem  Elajl  (ölbildenden  Gas)  homologen  Kohlenwasserstoffe, 
die  Yeibindungen  dieser  mit  Chlor,  Brom,  Schwefels&ure;  die  zwei; 
atomigen  Alkohole  (Gljcole)  etc. 

4)  Die  Kohlens&ure  nebst  den  wichtigen  Verbindungen,  die  dasselbe 
Radieal  enthalten  (Harnstoff  etc.);  die  Glycokänre,  Mildisjure  etc. 
Die  Gruppe 


Classification.  225 

6)  enthält  eine  homologe  Reihe  sweibasischer  organischer  Säuren:  Oxal- 
säure, Bernsteinsäure  etc. 

Dann  werden  zunächst  die  Verbindungen  der  dreiatomigen  Radi- 
cale  abgehandelt,  und  zwar: 

6)  Chloroform,  Glycerin  etc.;  dann 

7)  die  wenigen  Körper,  welche  ein  dreibasisches  von  dem  Radical  des 
Glycerins  sich  herleitendes  Radical  enthalten:  Olycerinsäure  etc. 

Da  eine  Atomgruppe  von  gleicher  Zusammensetzung,  wie  das  im 
Gljcerin  enthaltene  dreibasische  Radical  in  andern  Verbindungen  die 
Bolle  eines  einatomigen  Radicales  spielt  (§.  289),  so  reihen  sich  zu- 
nächst die  Verbindungen  dieser  einatomigen  Radicale  an.  Es  ent- 
hält also  Gruppe: 

8)  den  AUylalkohol,  das  Senföl  und  alle  die  zahlreichen  Verbindungen, 
die  sich  aus  diesen  herleiten.    Dann  folgen 

9)  die  Verbindungen,  deren  Radical  sich  aus  dem  der  AHylverbindun- 
gen  durch  Eintritt  von  0  an  die  Stelle  von  2  H  herleitet:  Acrolein, 
Acrjlsäure  und  alle  die  Säuren,  die  mit  der  Acrjlsäure  homolog 
sind:  Oelsäure  etc. 

In  der  ersten  Gruppe  werden  also  zunächst  die  Methylverbindungen,  886. 
dann  die  Aethylverbindungen  und  so  nach  einander  die  Verbindungen 
aller  mit  dem  Methyl  und  Aethyl  homologen  Radicale  besprochen.  Für 
jedes  Radical  werden  alle  den  verschiedenen  Typen  zugehörigen  Verbin- 
dungen, ferner  alle  die,  welche  unorganische  (kohlenstoffireie)  Radicale  ent- 
halten und  die,  welche  organische  (kohlenstoffhaltige)  Radicale  enthalten, 
deren  übrige  Verbindungen  durch  frühere  Kapitel  bekannt  sind,  abgehan- 
delt. Bei  der  Betrachtung  der  einzelnen  Körper  wird  so  viel  als  möglich 
eine  systematische  Reihenfolge  (nach  den  Typen)  eingehalten;  indessen 
ist  es  in  vielen  Fällen ,  im  Interesse  des  Verständnisses  und  um  den  ge- 
netischen Zusammenhang  der  verschiedenen  Substanzen  besser  hervor- 
treten zu  lassen,  nöthig,  von  dieser  systematischen  Reihenfolge  abzuwei- 
chen und  die  einzelnen  Körper  so  aneinander  zu  reihen,  wie  der  eine 
aus  dem  andern  erhalten  werden  kann.  Damit  aber  bei  diesem  freieren 
Gang  der  Einzelbeschreibung  der  systematische  Zusammenhang  und  die 
typischen  Beziehungen  nicht  allzusehr  in  den  Hintergrund  treten,  werden 
noch  besonders  bei  jeder  Körpergruppe  die  wichtigsten  Verbindungen  in 
systematischer  Uebersicht  nach  Typen  zusammengestellt. 

Sind  so  in   der  ersten  Gruppe  alle  mit  dem  Aethylalkohol   homo- 
loge Alkohole  und  ihre  nächsten  Abkömmlinge  abgehandelt,  d.  h.  alle 

KekuU,  orgao.  Cbemle.  15 


226  Theorie. 

die  YerbindungeD ,  die  durch  chemische  Metamorphosen  aus  jenen  ent- 
stehen und  die  noch  dasselbe  Radical  unverändert  enthalten ;  so  folgen 
in  der  zweiten  Gruppe  die  Verbindungen  der  Radicale,  die  aus  den  Ra- 
dicalen  der  Alkohole  durch  Eintritt  von  O  an  die  Stelle  von  2  H  ent- 
stehen, die  also  noch  dieselbe  Basicität  besitzen,  noch  einbasisch  sind, 
wie  die  Alkoholradicale.  Sind  dann  alle  Verbindungen  dieser  sauerstoff- 
haltigen einbasischen  Radicale  abgehandelt,  also  alle  aus  den  fetten  Säu- 
ren sich  herleitende  Substanzen,  die  noch  dasselbe  Radical  unverändert 
enthalten;  so  werden  in  der  dritten  Gruppe  die  Körper  betrachtet,  deren 
Radicale  sich  aus  den  Radicalen  der  Verbindungen  der  ersten  Gruppe 
(Alkohole)  durch  Austritt  von  1  Atom  H  herleiten  und  die  dadurch  zwei- 
basisch geworden  sind.  Nach  diesen  zweibasischen  Eohlenwasserstoff- 
radicalen  und  ihren  Verbindungen  folgen  dann  die  Verbindungen  derjeni- 
gen sauerstoffhaltigen  zweibasischen  Radicale,  die  sich  durch  Eintritt  von 
Sauerstoff  an  die  Stelle  von  ViTasserstoff  aus  diesen  herleiten  u.  s.  f.  — 

Da  Verbindungen  vieratomiger  Radicale  bis  jetzt  nur  verhältniss- 
mässig  wenig  bekannt  sind,  so  werden  diese  nicht  in  besonderen  Grup- 
pen zusammengestellt,  vielmehr  gelegentlich  der  Körper  eingeschaltet,  zu 
welchen  sie  die  meisten  Beziehungen  zeigen. 

S86.  Iin  Interesse  der  Uebersichtlichkeit  scheint  es  geeignet,  diese  Clas- 

sification nicht  überall  streng  einzuhalten.  So  werden  z.  B.  die  dem 
Ammoniaktypus  zugehörigen  Verbindungen  mancher  Radicale  z.  B.  der 
Alkoholradicale  (Gruppe  1)  nicht  bei  den  übrigen  Verbindungen  des  be- 
treffenden Radicals  abgehandelt,  sondern  erst,  wenn  alle  sonstige  Ver- 
bindungen dieser  homologen  Radicale  besprochen  sind,  in  eine  besondere 
Gruppe:  Ammoniakbasen  der  Alkoholradicale  zusammengestellt  An  diese 
stickstoffhaltigen  Verbindungen  der  Alkoholradicale  schliessen  sich  dann 
die  entsprechenden  Phosphor-,  Arsen-  etc.  haltigen  Verbindungen  an. 

In  anderen  Fällen  dagegen  werden  analoge  dem  Ammoniaktypus 
zugehörige  Substanzen  mit  den  übrigen  Verbindungen  desselben  Radicales 
zusammengestellt,  je  nachdem  gerade  das  eine  oder  das  andere  zweck- 
mässiger erscheint,  um  die  Beziehung  besser  hervortreten  zu  lassen,  auf 
welche  der  jetzige  Stand  der  Wissenschaft  besonderes  Gewicht  legt 

387.  Während  der  Eintritt  von  Sauerstoff  an  die  Stelle  von  Wasserstoff 

im  Radical  dazu  veranlasst,  die  Verbindungen  der  sich  so  herleitenden 
Radicale  in  eine  besondere  Gruppe  zu  stellen,  werden  die  durch  Eintritt 
von  Chlor,  Brom,  Jod  und  NO2  an  die  Stelle  von  Wasserstoff  des  Ra- 
dicals entstehenden  Körper  (die  eigentlichen  Substitutionsproducte) ,  weil 
sie  in  den  allermeisten  Fällen  eine  ungemeine  Aehnlichkeit  mit  der  Mutter- 
substanz zeigen,  so  dass  sie  gewissermassen  für  Varietäten  dieser  oder 
für  eine  Wiederholung  desselben   Musters   in   anderer  Farbe  angesehen 


Classification.  227 

werden  können,  gelegentlich  der  Sabstanz  besprochen,  aus  welcher  sie 
entstehen;  bisweilen  aber  auch  erst  —  wieder  der  Uebersichtlichkeit  we- 
gen —  nachdem  alle  Verbindungen  des  betreffenden  Radicales  besprochen 
sind,  als:  Substitutionsproducte  der  Verbindungen  des  Radicals  etc. 

Es  ist  einleuchten^],  dass  den  Zwecken  eines  Lehrbuchs  nicht  durch  888. 
pedantische  Durchführung  der  dem  System  zu  Grunde  liegenden  Prinoi- 
pien  Genüge  geleistet  werden  kann ;  dass  yielmehr  die  Zweckmässigkeit 
and  Uebersichtlichkeit  entscheiden  muss,  ob  in  einzelnen  Fällen  ein  Ab- 
weichen von  leitenden  Principien,  durch  die  man  sonst  Uebersichtlichkeit 
erlangen  kann,  Vorzüge  darbietet  oder  nicht 

So  könnte  man  z.  B.  die  der  zweiten  Hauptklasse  zugehörigen  Ver- 
bindungen, die  kohlenstofifreicheren  Substanzen  oder  die  aromatischen 
Körper  in  derselben  Weise  in  Gruppen  abtheilen,  man  könnte  die  Ver- 
bindungen zweiatomiger  Radicale  scharf  von  den  Verbindungen  einatomiger 
Radicale  trennen.  Da  indessen  in  dieser  Klasse  nur  verhältnissmässig  wenig 
Verbindungen  zweiatomiger  Radicale  bekannt  sind,  so  scheint  es  geeig- 
net, diese  Trennung  nicht  in  allen  Fällen  scharf  einzuhalten,  yielmehr 
manche  dieser  Verbindungen  gelegentlich  der  Körper  zu  besprechen,  zu 
welchen  sie  in  einfacher  genetischer  Beziehung  stehen.  — 


Bei  einer  Wissenschaft,  die  wie  die  Chemie  es  mit  der  Experimen-  889. 
taluntersuchung  aller  der  Körper  zu  thun  hat,  welche  die  Natur  unserer 
Beobachtung  darbietet,  ist  es  natürlich,  dass  eine  Menge  Körper  existiren, 
die  sich  denn  System  bis  jetzt  nicht  einordnen  lassen.  Es  ist  dies  selbst- 
verständlich ftlr  das  System  kein  Vorwurf.  Wenn  das  System  die  Körper 
nach  ihren  chemischen  Metamorphosen  ordnet,  so  ist  es  einleuchtend, 
dass  alle  die  Körper,  deren  chemische  Metamorphosen  noch  nicht  oder 
nur  80  wenig  erforscht  sind,  dass  die  Beziehungen  zu  den  übrigen  Sub- 
stanzen noch  unbekannt  sind,  in  dem  System  keinen  Platz  finden.  Wenn 
daa  System  die  Körper  nach  rationellen  Formeln  zusammenstellt,  so  ist 
es  einleuchtend,  das  es  allen  den  Körpern,  für  welche  bis  jetzt  keine  ra- 
tionelle Formeln  aufgestellt  werden  können,  keinen  Platz  anweisen 
kann. 

Unter  den  Körpern,  deren  mangelhafte  Kenntniss  es  bis  jetzt  nicht  890. 
möglich  macht,  ihnen  eine  bestimmte  Stelle  im  System  anzuweisen, 
ist  eine  verhältnissmässig  grosse  Anzahl  wenigstens  so  weit  erforscht, 
dass  einzelne  Eigenschaften  oder  einzelne  Metamorphosen  gewisse  Be- 
ziehangen  entweder  zu  einzelnen  dem  System  eingereihten  Körpern  oder 
wenigstens  zu  ganzen  Körpergruppen  hervortreten  lassen.  Andere  da- 
gegen sind  entweder  noch  so  wenig  untersucht  oder  haben,  obgleich  sie 
häafig  Gegenstand   der  Untersuchungen  waren,  den  mangelhaften  Unter- 

16  • 


228  Theorie. 

suchungsmethoden ,  über  die  wir  jetzt  verfügeo ,  so  viele  Schwierigkeiten 
entgegengestellt  5  dass  noch  durchaus  keine  oder  nur  höchst  untergeord- 
nete Beziehungen  zu  den  dem  System  eingeordneten  Körpern  bekannt 
sind. 

Die  ersteren  werden  entweder,  wenn  bestimmtere  Beziehungen  za 
einzelnen  Körpern  bekannt  sind,  gelegentlich  dieser  eingeschaltet  Oder 
sie  werden,  wenn  nur  Beziehungen  zu  ganzen  Körpergruppen  ermittelt 
sind,  als  Anhang  zu  diesen  Körpergruppen  abgehandelt. 

So  wird  z.  B.  eine  Anzahl  von  Säuren,  die  theils  fertig  gebildet 
in  der  Natur  vorkommen ,  theils  als  Zersetzungsproducte  aus  solchen  in 
der  Natur  fertig  gebildet  vorkommenden  Körpern  entstehen,  als  Anhang 
zu  der  ersten  Hauptklasse  organischer  Verbindungen  abgehandelt,  weil 
ihre  Zersetzungsproducte,  die  stets  dieser  Klasse  von  Verbindungen  an- 
gehören,  deutlich  zu  erkennen  geben,  dass  sie  selbst  dieser  Klasse  von 
Verbindungen  angehören,  obgleich  unsere  jetzige  Kenntniss  ilirer  Meta- 
morphosen es  nicht  möglich  macht,  ihnen  eine  bestimmte  Steile  anzu. 
weisen.  Hierher  gehören  z.  B.  Weinsäure,  Aepfelsäure,  Citronensaure, 
Schleimsäure  etc. 

An  diese  Körper  reihen  sich  ferner  an:  die  s.  g.  Kohlenhydrate, 
z.  B.  Stärkemehl ,  Zucker  etc. ;  weil  alle  Zersetzungsproducte  dieser  Sub- 
stanzen der  ersten  Klasse  organischer  Verbindungen  (kohlenstoffarmere 
Substanzen)  angehören  und  weil  keine  Reaction  bekannt  ist,  bei  welcher 
durch  einfache  Metamorphose  eine  der  kohlenstofifreicheren  Substanzen 
entsteht. 

391.  Alle  diejenigen  Körper  dagegen,   die  als  Zersetzungsproducte  eine 

der  Substanzen  liefern,  die  der  Klasse  der  kohlenstoffreicheren  Verbin- 
düngen  zugehören,  werden  in  dieser  Klasse,  entweder  gelegentlich  ein- 
zelner Substanzen  oder  als  Anhang  zu  den  dem  System  eingeordneten 
Körpern  dieser  Klasse  abgehandelt. 

Für  alle  diejenigen  Substanzen  endlich,  von  welchen  noch  keinerlei 
Beziehungen  zu  irgendwelchen  dem  System  eingeordneten  Körpern  be- 
kannt sind,  bleibt  nichts  anderes  übrig,  als  sie  vor  der  Hand  vollständig 
ausserhalb  des  Systemes  stehen  zu  lassen.  Dahin  gehört  namentlich 
eine  Anzahl  der  vereinzelt  in  Pflanzen  oder  Thieren  vorkommenden  Sub- 
stanzen, z.  B.  viele  Farbstoffe,  Bitterstoffe,  die  meisten  Alkaloide  etc.  und 
ferner  diejenigen  complicirt  zusammengesetzten  Körper,  die  die  Haupte 
masse  der  Organe  des  Thierkörpers  ausmachen:  die  eiweissartigen  Kör- 
per, die  Leimsubstanzen  etc. 


gog  JEs  ist  oben  darauf  aufinerksam  gemacht  worden  (§.  380),  dass  man 

zum  Zweck  der  Classification  eine  von  den  verschiedenen  rationellen  For- 


Classification. 


229 


mein,  durch  welche  man  die  Metamorphosen  eines  Körpers  ausdracken 
kann,  auswählen  muss;  es  ist  besonders  hervorgehoben  worden  (§.  281), 
dass  es  nothw endig  ist,  bei  dieser  Wahl  mit  einer  gewissen  Consequenz 
zu  verfahren.  Im  Interesse  der  Uebersichtliohkeit  scheint  es  zweckmäs- 
sig, auch  von  diesem  Princip  für  eine  Gruppe  von  Körpern  abzuweichen, 
fiir  die  Cy  an  Verbindungen  nämlich.  — 

Alle    diese  Verbindungen   können    entweder  als  Verbindungen   des 
einatomigen  Radicals  Cyan  (=  6N)  betrachtet  werden.    Z.  B.: 

Blausäure         Chlorcyan.      Cyanmethyl.      C5'ansäure.      Cyanamid.       Cyan. 
Cyanwasserstoff. 


ON.H 


eN.ci 


eN.eHa 


H 


H}N 


Sie  können  andererseits  betrachtet  werden  als  vom  Typus  Ammo- 
niak sich  herleitende  Verbindungen,  als  Ammoniak,  in  welchem  der  Was- 
serstoff durch  Radicale  ersetzt  ist  *).    Z.  B. : 


Blausäure.        Chlorcyan.      Cyanmethyl.      Cyansäure, 

Nitril  der  Am  ei-  Nitril  der  Imid  der 

scnsäure.  Essigsäure. 


Cyanamid.       Cyan. 

Amid  des     Nitril  der 
Kohlensäure.    Imids  der    Oxalsäure. 
Kohlensäure. 


N.OH 


N.'GCl 


N.eaHa 


»r    »-ü.  »■i^-- 


Wollte  man  für  die  Classification  der  letzteren  Betrachtungsweise 
den  Vorzug  geben,  so  müssten  die  Cyanverbindungen  gelegentlich  der 
Ameisensäure,  der  Essigsäure,  der  Kohlensäure  und  der  Oxalsäure  be- 
sprochen werden.  Sie  würden  also  an  verschiedenen  und  zum  Theil  sehr 
entfernten  Stellen  abgehandelt.  Dadurch  ginge  einerseits  der  Zusammen- 
hang der  verschiedenen  Cyanverbindungen  unter  einander  vollständig  ver- 
loren und   andererseits  würde    die  Beschreibung   dieser  sehr  zahlreichen 


•)  Man  kann  die  Cyanverbindungen  endlich  noch  durch  Fonneln  ausdrücken, 
in  welchen  der  Kohlenstoff  als  ^ieratom^ge8  Element  in  den  Vordergnind  ge- 
stellt wird  (vgl.  §.301  Anm.).  Man  leitet  sie  dann  gewissermassen  von  dem 
Typus  OH^  ab.    Z.  B.: 


Blausäure. 


€}^ 


Chlorcvan. 


')l 


1ci 


Cyanmethyl. 


6 


/OH, 


Cyansäure. 

IT       M» 

h)0 


(Die  Formeln  für  das  Cyanamid  und  das  Cyan  fallen  mit  den  oben  gegebe- 
nen zusammen.) 


230  Theorie. 

Körper  den  Zusammenhang  der  übrigen  Verbindungen  in  störender  Weise 
unterbrechen.  Dies  lässt  es  zweckmässig  erscheinen,  der  anderen  Be- 
trachtungsweise der  Gjanverbindungen  den  Vorzug  zu  geben  und  sie,  als 
Verbindungen  des  Radicals  Cjan,  in  einer  besonderen  Gruppe  und  zwar 
an  der  Spitze  aller  organischen  Verbindungen  abzuhandeln.  Gelegentlich 
der  Substanzen,  mit  welchen  die  einzelnen  Gjanverbindungen  in  geneti- 
scher Beziehung  stehen,  wird  dann  jedesmal  diese  Beziehung  besonders 
hervorgehoben  und  so  der  Platz  angedeutet  werden,  den  sie  im  System 
einnehmen  würden,  wenn  man  der  anderen  Betrachtung  den  Vorzug 
gäbe. 


Beaelnmgeii  Kwisohen  chemisohen  tmd  phsrsikalischen 

EigenscbafteiL 

Schon  seit  lange  sind  mancherlei  Beziehungen  zwischen  den  chemi-  S93. 
sehen  und  den  physikalischen  Eigenschaften  der  organischen  sowohl  als 
der  unorganischen .  Verbindungen  aufgeftinden  worden.  In  den  letzten 
Jahren  namentlich  haben  einzelne  Gelehrte  die  physikalischen  Eigenschaf- 
ten ganzer  Reihen  chemischer  Verbindungen  mit  aufopferndem  Fleisse 
einer  sorgfältig  vergleichenden  Untersuchung  unterworfen.  Dessen  ungeach- 
tet ist  es  bis  jetzt,  für  organische  Verbindungen  wenigstens,  nicht  gelun- 
gen, ein  wirkliches  Naturgesetz  mit  voller  Sicherheit  festzustellen.  Doch 
darf  man  bei  den  Fortschritten,  welche  Physik  sowohl  als  Chemie  in  den 
letzten  Jahren  gemacht  haben,  wohl  hoffen,  dass  die  nächste  Zukunft 
aber  diese  Gegenstände  Licht  verbreiten  werde. 

Dem  Zweck  dieses  Buches  nach  können  hier  nur  diejenigen  Be- 
ziehungen zwischen  physikalischen  und  chemischen  Eigenschaften  Berück- 
sichtigung finden,  die  für  organische,  d.  h.  kohlenstoffhaltige  Verbindun- 
gen von  besonderem  Interesse  sind.  Mit  einiger  Ausführlichkeit  können 
nur  diejenigen  abgehandelt  werden^  die  entweder  praktisch  wichtig  sind, 
insofern  sie  Anhaltspunkte  zur  Feststellung  chemischer  Eigenschaften  dar- 
bieten, oder  die,  bei  welchen  ein  Gesetz  schon  einigermassen  deutlich 
hervortritt  Alle  diejenigen  physikalisch  -  chemischen  Untersuchungen  da- 
gegen, die  noch  keine  so  abgerundeten  Resultate  geliefert  haben,  dass 
Naturgesetze  ersichtlich  sind,  und  die  praktisch,  d.  h.  als  Hülfsmittel  che- 
mischer Untersuchungen,  weniger  Werth  besitzen,  sind  nur  kurz  zu  be- 
sprechen. Indessen  können  selbst  diese  nicht  ganz  unberücksichtigt  blei- 
ben, einerseits  weil,  aller  Voraussicht  nach,  die  nächste  Zukunft  der 
Wissenschaft  sie  nutzbar  machen  wird,  ganz  besonders  aber  auch,  weil 
nur  allseitige  Eenntniss  und  Berücksichtigung  der  chemischen  und  phy- 
sikalischen Eigenschaften  dazu  führen  kann,  eine  Vorstellung  über  die 
Natur  der  Materie  in  den  verschiedenen  Aggregatzuständen  auszubilden 
und  so  die  Grundhypothesen  aufzustellen,  von  welchen  aus  eine  wirklich 
wissenschaftliche  Behandlung  der  Chemie  möglich  ist. 


232  Physikalischer  TheiL 

Physikalische  Eigenschaften  bestehender  nnd  in  demselben  Aggregate 
zustand  beharrender  Körper. 

Specifisches   Gewicht. 

894.  Die  Beziehungen,  welche  zwischen  dem  specifischen  Gewicht  (§.  67) 
und  der  chemischen  Zusammensetzung  stattfinden,  treten  am  deutlichsten 
hervor  bei  gas-  oder  dampfförmigen  Körpern;  weniger  deutlich 
bei  Flüssigkeiten;  noch  weniger  bei  festen  Körpern. 

895.  Die  VorsteUung,  welche  man  sich,  dem  jetzigen  Stand  der  Physik  nach,  von 
der  Natur  der  Materie  in  den  drei  Aggregatzustfinden  macht,  lässt  dies  von  vorn- 
herein wahrscheinlich  erscheinen.  Man  denkt  sich  nämlich  *)  die  Körper  aus  klei- 
nen Massentheilchen  bestehend,  die  unter  dem  Einfluss  der  ihnen  innewohnenden 
nnd  der  auf  sie  einwirkenden  Kräfte  sich  in  fortwährender  Bewegung  befinden. 

SämmÜiche  Eigenschailen  der  Gase  finden  ihre  einfachste  Deutung  in  der 
Annahme,  dass  bei  gasförmigen  Körpern  die  Massentheilchen,  wenn  man  für  den 
Augenblick  absieht  von  den  fortwährenden,  die  Wärmeerscheinungen  etc.  erzeugendoi 
Bewegungen  der  Massentheilchen,  in  sehr  grosser  Entfernung  von  einander  stehen-, 
so  zwar,  dass  die  Grösse  der  Massentheilchen  verschwindend  klein  ist  gegen  ihre  Ent- 
fernung, oder,  was  dasselbe  ist,  dass  der  Raum,  den  die  Massentheilchen  des  Gases 
wirklich  ausfüllen,  verschwindend  klein  ist  gegen  den  ganzen  Raum,  welchen  das 
Gas  einnimmt.  Für  das  Volum  gasförmiger  Körper  kommt  also  nicht  die  Grösse, 
sondern  nur  die  Anzahl  und  die  Entfernung  der  Massentheilchen  in  Betracht  — 
Wenn  man  dann  ferner  die  einfachste  und  nach  allen  physikalischen  Eigenschaften 
der  Gase  wahrscheinlichste  Annahme  macht,  dass  innerhalb  gleicher  Bedingungen 
bei  allen  Gasen  in  gleichgrossen  Räumen  gleichviel  Massenatome  enthalten  sind; 
dass  also  die  Entfernung  der  Massenatome  bei  allen  Gasen  gleich  gross  ist,  so 
folgt  daraus,  dass  die  Gewichtsverhältnisse  gleicher  Volume  verschiedener  Gase 
gleichzeitig  die  Gewichtsverhältnisse  der  einzelnen  Massentheilchen  derselben  sind. 

Bei  festen  und  flüssigen  Körpern  dagegen  stehen,  wenn  man  für  den  Augen- 
blick wieder  absieht  von  der  fortwährenden  Bewegung  der  Massentheilchen  (deren 
Verschiedenheit  offenbar,  obgleich  man  sich  bis  Jetzt  nicht  völlig  Rechenschaft  davon 
zu  geben  im  Stande  ist,  die  Verschiedenheit  des  festen  und  flüssigen  Zustandes  ver- 
anlasst) ,  die  MassentheÜchen  in  verhältnissmässig  grosser  Nähe,  so  dass  hier,  aus- 
ser der  Anzahl  und  Entfernung  der  Massentheilchen  auch  noch  ihre  Grösse  fOf 
das  Volumen  von  Einfluss  ist  Das  specifische  Gewicht  flüssiger  und  fester  Körper 
ist  also  nicht  nur  von  dem  relativen  Gewicht  der  Massentheilchen  (wie  bei  den 
Gasen),  sondern  gleichzeitig  von  ihrer  Grösse  und  ihrer  Entfernung  abhängig. 
Zudem  lässt  sich  bis  jetzt  aus  allgemein  physikalischen  Betrachtungen  nicht  ab- 
leiten, ob  überhaupt  und  unter  welchen  Bedingungen  ein  bestimmtes  und  bei  ver- 
schiedenen Körpern  gleiches  Verhältniss  zwischen  der  Entfernung  der  Massentheil- 
chen und  ihrer  Grösse  stattfindet;  noch  viel  weniger  aber,  in  welchem  Verhält- 
niss die  Grösse  und  die  Entfernung  dieser  MassentheÜchen  stehen. 


*)  Vgl.  besonders:  Clausius.  Pogg.  Ann.  C.  358.  im  Auszug:  Jahresbericht  über 
die  Fortschritte  der  Physik ,  von  Zamminer.  1857.  S.  89. 


Spedfisches  Gewicht  233 

Specifisches  Gewicht  gasförmiger  Körper. 
Beziehung   zwischen  Dampfdichte   und  Holeculargewicht. 

Wenn  man  die,  nach  den  früher  (§§.  167  —  176)  mitgetheilten  Be-  896. 
trachtungen  festgestellten  chemischen  Moleculargewichte  (§.  177) 
vergleicht  mit  den  speci fischen  Gewichten  derselben  Körper  in 
DampfTorm,  so  findet  man,  dass  beide  für  nahezu  alle,  und  namentlich 
für  alle  kohlenstofifhaltigen  Verbindungen,  deren  Moleculargrösse  sich 
durch  chemische  Betrachtungen  mit  einiger  Sicherheit  feststellen  l&sst, 
identisch  sind. 

Dabei  muss  man  zunächst  berückflichtigen ,  dass  die  Moleculargewichte  so- 
wohl wie  die  specifischen  Gewichte  nur  Verhfiltnisszahlen  sind  und  nicht  absolute 
Werthe.  Wenn  man  also  sagt:  die  specifischca  Gewichte  der  Körper  in  Dampf- 
form sind  identisch  mit  den  Moleculargewichten,  so  bcisst  diese  nur,  dass  die  Ver- 
hältnisse zwischen  den  absoluten  Gewichten  gleicher  Volume  verschiedener  Gase 
dieselben  sind,  wie  die  Verhältnisse  zwischen  den  Moleculargewichten  derselben 
Gase.  Da  man  gewöhnlich  die  specifischen  Gewichte  der  Gase  und  Dämpfe  durch 
Zahlen  ausdrückt,  für  welche  das  Gewicht  der  Luft  als  Einheit  dient,  während  für 
die  Moleculargewichte  das  Gewicht  von  einem  Atom  Wasserstoff  als  Einheit 
angenommen  wird,  so  ist  es  einleuchtend,  dass  die  Zahlen,  welche  die  specifischen 
Gewichte  ausdrücken,  nicht  identisch  sein  können  mit  denjenigen,  welche  die  Mo- 
leculargewichte bezeichnen;  aber  sie  müssen  untereinander  in  demselben  Verhält- 
niss  stehen  wie  jene  und  man  wird  für  beide  identische  Zahlen  erhalten,  sobald 
man  sich  auf  dieselbe  Einheit  bezieht 

Dieses  empirische  Gesetz  in  Verbindung  mit  der  oben  ($.  395)  897. 
gegebenen  Vorstellung  über  die  Natur  der  Gase  führt  uns  zu  dem  Schluss: 
dass  die  chemischen  Holecüle  identisch  sind  mit  den  physikali- 
schen Gasmolecülen,  das  heisst,  den  als  Massenatome  auftretenden 
kleinsten  Theilchen  der  Gase.  Wir  kommen  also  zu  der  Vorstellung, 
dass  die  kleinsten  Mengen,  die  bei  chemischen  Metamorphosen  in  W^ir- 
kung  zu  treten  im  Stande  sind ,  sich  nicht  etwa  zu  mehreren  zusammen- 
lagern, um  so  die  physikalischen  Atome  der  Gase  zu  bilden,  dass  sie 
vielmehr  einzeln  und  isolirt  sich  im  Räume  bewegen. 

Man  kann  dieses  Gesetz  auch  so  ausdrücken :  Gleiche  Volume  gas-  898. 
förmiger  Körper  enthalten  eine  gleiche  Anzahl  chemischer  Molecüle;  die 
Anzahl  der  Molecüle,  die  Atomzahl  (Gmelin's,  vgl.  dessen  Lehrbuch  I. 
S.  50)  ist  bei  gasförmigen  Körpern  gleich  gross.  Oder :  eine  gleichgrosse 
Anzahl  chemischer  Molecüle  erfüllt  bei  gasförmigen  Körpern  stets  gleichen 
Raum;  die  relative  Raumerfüllung,  das  specifische  Volum  *) 
ist  bei  allen  gasförmigen  Körpern  gleich  gross. 

Diese  einfachen  Beziehungen    sind   von  den   meisten  Chemikern   lange  Zeit  399. 
fibersehen  worden,   einerseits  weil  man,  allzustark  an  dem  Althergebrachten  fest- 


*)  Statt  des  Ausdrucks  specifisches  Volum  bedient  man  sich  bisweilen  der  we- 
xdger  passenden  Ausdrücke:  Atomvolum  oder  Molecularvolum. 


234  Physikalischer  Theil. 

haltend,  die  Atomgewichte  einzelner  Elemente  falsch  annahm,  wesentlich  aber,  weil 
man  die  Begriffe  von  Atom,  Molecül  und  Aequivalent  in  nicht  genügender  Weise 
unterschied  und  weil  man  von  der  irrigen  Ansicht  ausging,  die  specifischen  Ge- 
wichte seien  eine  Function  der  Atome  oder  der  Aequivalente,  wfthrend  sie  nur  eine 
Function  der  Molecüle,  also  von  der  Moleculargrösse  und  dem  Moleculargewicht 
abhängig  sein  können. 

Man  verglich  z.  B.  die  specifischen  Gewichte  der  gasförmigen  Elemente  mit 
den  Aequivalent-  oder  Atomgewichten.  Man  bezog  beide  auf  dieselbe  Einheit,  re- 
ducirte  also  die  gewöhnlichen,  auf  Luft  =  1  bezogenen,  spec.  Gewichte  auf  das  Ge- 
wicht des  Wasserstoffs  als  Einheit: 

Specifisches  Gewicht  Atomgewicht  oder 

Luft  =  1        Wasserstoff  =  1    Aequivalentgewicht. 

1  1 

16  8 

14  14 

85.6  85.5 

127.1  127.1. 


Wasserstoff     . 

.    0.0693 

Sauerstoff  .    . 

.    1.108 

Stickstoff    .    . 

.    0.969 

Chlor     .    .    . 

.    2.458 

Jod    ...    . 

.    8.802 

Da  man  das  Atomgewicht  des  Sauerstoffs  irriger  Weise  =  8  annahm  (während 
es  =  16  angenommen  werden  muss,  vgl.  §.  164),  kam  man  zu  dem  Schluss:  die 
specifischen  Gewichte  seien  entweder  den  Atomgewichten  gleich,  oder  sie  stün- 
den wenigstens  zu  ihnen  in  einfachem  Verhältniss.  —  Den  mehrfach  gemachten 
Vorschlag,  die  Atomgewichte  der  Elemente  so  zu  wählen,  dass  sie  gleichzeitig  die 
specifischen  Gevnchte  derselben  Elemente  ausdrücken,  glaubte  man  durch  folgende 
Betrachtung  von  der  Hand  weisen  zu  müssen  *).  Da  sich  1  Atom  Chlor  mit  einem 
Atom  Wasserstoff  verbindet,  um  ein  Atom  (richtiger  Molecül)  Salzsäure  zu  erzeu- 
gen, und  da  diese  Menge  Salzsäure  den  doppelten  Raum  erfüllt,  wie  das  in  ihr 
enthaltene  Chlor  oder  der  in  ihr  enthaltene  Wasserstoff,  so  kann  man  zwar  in 
gleichen  Volumen  Chlor  und  Wasserstoff  eine  gleiche  Anzahl  von  Atomen  anneh- 
men*, man  kann  dagegen  nicht  annehmen,  gleiche  Volume  Salzsäure  und  Chlor 
enthielten  eine  gleiche  Anzahl  von  Atomen,  die  Salzsäure  enthält  vielmehr  halb 
so  viel  Atome  als  ein  gleich  grosses  Volum  Chlor  oder  Wasserstoff.  Dasselbe  gilt 
von  vielen  zusammengesetzten  Gasen ;  in  gleichen  Volumen  muss  eine  kleinere  An- 
zahl von  Atomen  angenommen  werden  als  bei  den  gasförmigen  Elementen.  Man 
argumentirte  dann  weiter:  wir  haben  aber  kein  Recht,  die  unzerlegbaren  Gase  als 
eine  besondere  Classe  von  Körpern  zu  betrachten ,  f[ir  deren  atomistische  Constitu- 
tion, namentlich  was  die  Grösse  der  Zwischenräume  zwischen  den  Atomen  und 
die  Zahl  der  in  gleichen  Volumen  enthaltenen  Atome  betrifft,  aus  ganz  denselben 
physikalischen  Eigenschaften  etwas  anderes  zu  folgern  sei,  als  fiir  die  zerlegbaren; 
die  sogenannten  elementaren  Gase  sind  nicht  (nachgewiesenermassen)  einfache, 
sondern  sie  sind  Gase  von  jetzt  noch  unbekannter  Zusammensetzung.  Wenn  man 
für  die  viel  grössere  Menge  von  nachweisbar  zusammengesetzten  Gasen  zugeben 
muss,  die  durch  ihre  Atomgewichte  ausgedrückten  Mengen  können  im  gasförmigen 
Zustand  ungleich  grosse  Räume  erfüllen,  oder  gleichgrossse  Räume  können  bei 
ihnen  ungleiche  Mengen  von  Atomen    enthalten,   so  ist   es  viel  wahrscheinlicher, 


•)  Vgl.  z.  B.  Graham  Otto's  Lehrbuch.  Bd.  I.  von  Buff,  Kopp  und  Zamminer. 
S.  727,  728. 


Specifisches  Gewicht  gasförmiger  Körper.  235 

dasfl  dasaelbe  auch  für  die  noch  unzerlegbaren  Gase  anzunehmen  sei,    als  dass 
man  für  sie  ein  besonderes  Gesetz  aufstellen  dürfe. 

Man  sieht  leicht,  dass  die  Unklarheit  des  ersten  Theiles  dieser  Argumenta^ 
tion  daher  rührt,  dass  die  Begriffe  von  Atom  und  Molecül  nicht  unterschieden 
werden;  und  dass  der  zweite  gerade  das  thut,  was  er  der  entgegenstehenden  An- 
sicht als  Fehler  vorwirft,  dass  er  nämlich  für  die  elementaren  Gase  eine  andere 
Constitution  annimmt  als  für  die  zusammengesetzten,  insofern  er  bei  den  ersteren  die 
einzelnen  Atome,  bei  den  letzteren  dagegen  Aneinanderhäufungen  mehrerer  Atome 
als  kleinste  Hassentheilchen  gelten  lässt;  während  die  im  Vorhergehenden  ent- 
wickelte Ansicht  den  elementaren  und  den  zusammengesetzten  Gasen  dieselbe  Con- 
sdtation  zuschreibt,  indem  sie  annimmt,  das  chemische  Molecül  sei  stets  eine  An- 
einanderlagerung  mehrerer  Atome  etc.  — 

Indessen  darf  man  das  Gesetz,  dass  die  specifischen  Gewichte  der  400. 
Grase  identisch  sind  mit  den  chemischen  Moleculargewichten  nicht  für 
mehr  halten  als  es  wirklich  ist.  Als  veraJlgemeinerter  Ausdruck  einer  fEir 
viele  Fälle  beobachteten  Thatsache,  der  sich  dann  (nachdem  er  abgeleitet) 
bei  Anwendung  auf  eine  grosse  Anzahl  angrenzender  Fälle  anwendbar 
and  passend  gezeigt,  kann  es  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  auf  alle 
andere  ähnliche  Fälle  aasgedehnt  werden,  und  man  kann  bei  Körpern, 
ftr  welche  nur  eines  von  beiden  bekannt  ist,  mit  Wahrscheinlichkeit  we 
nigstens,  aus  den  specifischen  Gewichten  die  Moleculargewichte  oder  um- 
gekehrt aus  den  Moleculargewichten  die  specifischen  Gewichte  herleiten. 
Da  indessen  die  diesem  empirischen  Gesetz  zu  Grunde  liegenden  Ur- 
sachen noch  nicht  mit  voller  Sicherheit  festgestellt  sind,  so  ist  es  klar, 
dass  das  Gesetz  noch  nicht  den  Grad  von  Zuverlässigkeit  besitzt,  dessen 
Naturgesetze  fähig  sind. 

Es  ist  kaum  nöthig,  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  nur  diejenigen  401. 
Körper  als  Grundlage  des  Gesetzes  angenommen  werden  können,  deren  Molecular- 
grösse  durch  chemische  Argumentationen  mit  einiger  Sicherheit  hergeleitet  wer- 
den kann  und  dass  andererseits  alle  die  Körper,  deren  Moleculargewichte  nicht 
durch  Gründe  chemischer  Analogie  hinlänglich  gestützt,  sondern  mehr  oder  weni- 
ger willkürlich  angenommen  werden,  nicht  als  Beweise  gegen  das  Gesetz  ange- 
zogen werden  können.  Man  wird  sich  z.  B.  leicht  davon  überzeugen,  dass  die  in 
neuerer  Zeit  angenommenen  Moleculargewichte,  zu  deren  Feststellung  wesentlich 
die  §§.  167 — 175  angedeuteten  Gründe  chemischer  Analogie  dienen,  alle  oder  doch 
fast  alle  die  vom  Gesetz  verlangte  Uebereinstimmung  mit  den  specifischen  Gewich- 
ten zeigen;  während  die  früher  für  viele  Körper  angenommenen  und  von  manchen 
Chemikern  noch  gebrauchten  Moleculargewichte,  die,  ohne  Berücksichtigung  che- 
mischer Analogie ,  nach  Willkür  angenommen  oder  durch  Anwendung  willkürlich 
gewählter  Principien  festgestellt  worden,  diese  Uebereinstimmung  mit  den  specifi- 
schen Gewichten  nicht  zeigen.  —  Aus  der  Nichtübereinstimmung  solcher  ohne 
Grund  angenommener  Moleculargewichte  mit  den  specifischen  Gewichten  können 
also  keine  Gründe  gegen  das  Gesetz  der  Dampfdichte  hergeleitet  werden. 

Bei  der  Uebereinstimmung,   die  in  bei  weitem  der  grössten  Anzahl  402. 
von   Fällen  zwischen  specifischem  Gewicht  und  Moleculargewicht   statt 
findet,  scheint  es,  als  ob  dem  empirischen  Gesetz  ein  wirkliches  Gausal- 
gesetz  zu  Grunde  läge  und  dass  für  die  wenigen  Fälle,  bei  welchen  sich 


236  Physikalischer  Theü. 

diese  üebereinstimmung  nicht  zeigt,  eine  specielle  Ursache  stattfindet, 
welche  die  Ausnahme  vom  Gesetz  veranlasst. 

Man  beobachtet  z.  B.,  dass  bei  manchen  Körpern  das  specifische  Gewicht 
des  Dampfes  nur  halb  so  gross  ist  als  das  Moleculargewdcht.  Bei  einigen  hat  dies 
nachgewiesenermassen  seinen  Grund  darin,  dass  das,  was  man  für  den  Dampf  des 
Körpers  halten  könnte,  nicht  ein  einfacher  Dampf,  sondern  vielmehr  ein  Gemenge 
zweier  Dämpfe  ist,  weil  der  Körper  bei  einer  gewissen  Temperatur,  die  man  fiir 
seine  Siedetemperatur  halten  könnte,  sich  in  zwei  Körper  spaltet,  die  sich  bei  Tem- 
peraturerniedrigung wieder  vereinigen.  Dabei  wird  die  Anzahl  der  Molecüle  ver- 
doppelt, das  Volum  des  Gases  also  doppelt  so  gross  und  mithin  das  specifische 
Gewicht  halb  so  gross  als  es  dem  Gesetz  der  Dampfdichte  nach  sein  dürfte,  d.  h. 
halb  so  gross  als  es  sein  würde,  wenn  der  Körper  unzersetzt  flüchtig  wäre  und 
einen  einfachen  Dampf  bildete.  So  weiss  man  z.  B.  vom  Tetraethylammoniumjodid, 
dass  es  beim  Erhitzen  zu  Triäthylamin  imd  Jodäthyl  zerfällt;  man  weiss  vom 
Schwefelsäurehydrat  (durch  Marignac),  dass  es  sich  bei  seiner  s.  g.  Siedetemperatur  in 
Wasser  und  wasserfreie  Schwefelsäure  spaltet  etc.  —  Bei  andern  Körpern  lässt 
sich  ein  solches  Zerfallen  und  die  dadurch  veranlasste  Bildung  eines  gemischten 
Dampfes  nicht  mit  Sicherheit  nachweisen,  aber  alle  Analogie  spricht  dafür,  dass 
auch  bei  ihnen  das  Gas,  welches  man  für  den  Dampf  der  unzersetztcn  Substanz 
halten  könnte,  ein  Gemenge  der  Dämpfe  der  gebildeten  Spaltungsproducte  ist.  Die 
aussergewöhnlichen  Dampfdichten  vieler  Körper',  die ,  wie  das  Teträthylammonium- 
jodid,  dem  Typus  NH.|C1  zugehören,  finden  ihre  wahrscheinliche  Erklärung  in  der 
Annahme,  dass  sie  in  einen  dem  Typus  NH3  und  einen  dem  Typus  HCl  zugehöri- 
gen Körper  zerfallen.  So  ist  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  der  s.  g.  Salmiakdampf 
ein  Gemenge  von  Ammoniak  und  Salzsäure,  der  Dampf  des  fünffach  Chlorphos- 
phors ein  Gemenge  von  dreifach  Chlorphosphor  und  Chlor,  der  Dampf  des 
Cyanammoniums  ein  Gemenge  von  Ammoniak  und  Blausäure  etc.  Ebenso  kann, 
wie  dies  von  Gerhardt  schon  geschah,  der  Dampf  des  Pcrchlormethyläthers 
(=  OjCljO)  als  ein  Gemenge  von  Phosgengas  (=  00CI2)  und  Chlorkohlenstoff 
(=  0CI4)  angesehen  werden  ♦). 
405.  Andere  Fälle    von  ungewöhnlicher  Dampfdichte,   das  heisst   von  Nichtüber- 

einstimmung von  specifischera  Gewicht  mit  Moleculargewicht,  können  indessen 
durch  diese  Annahme  nicht  erklärt  werden.  Dies  gilt  namentlich  von  denjenigen 
Fällen,  in  welchen  das  specifische  Gewicht  des  Dampfes  grösser,  also  ein  Multi- 
plum  vom  Moleculargewicht  ist,  wie  dies  bei  einzelnen  Elementen,  z.  B.  beim 
Schwefel  stattfindet.  Man  muss  sich  indessen  daran  erinnern,  dass  die  Annahme: 
die  Molecüle  der  Elemente  bestünden  aus  einer  Aneinanderlagerung  von  zwei 
Atomen,  zwar  der  einfachste  aber  desshalb  nicht  der  einzig  mögliche  Fall  ist,  dass 
sich  vielmehr  bei  einzelnen  Elementen  vielleicht  eine  grössere  Anzahl  von  Ato- 
men zu  einem  chemischen  Molecül  vereinigen.  Man  niuss  weiter  berücksichtigen, 
dass  die  Annahme:  die  chemischen  Molecüle  seien  gleichzeitig  die  physikalischen 
Massenatome  der  Köi*per  in  Gasform,  zwar  der  einfachste  und  wie  es,  nach  der 
fast  allgemein  stattfindenden  üebereinstimmung  zwischen  specifischem  Gewicht  und 
Moleculargewicht,  scheint,  der  bei  weitem  am  häufigsten,  ja  fasst  ausschliesslich 
vorkommende  Fall  ist*,  dass  aber  nichts  desto  weniger  einzelne  Körper  in  der 
Weise  eine  Ausnahme  machen  können,    dass    bei  ihnen  eine  Aneinanderlagerung 


♦)  Vgl.  auch  Kopp  in  Liebig's  Annalen   CV.  390 


Specifisches  Gewicht  gasförmiger  Körper.  237 

mehrerer    chemischer   Molectile    erst    ein    physikalisches   Massenatom   er- 
zeugen. 

Die  außsergewöhnliche  Dampfdichte,  welche  der  Schwefel  bei  Temperaturen 
zeigt,  die  nicht  viel  höher  liegen  als  sein  Siedpunct,  kann  z.  B.  durch  die  Annahme 
gedeutet  werden,  dass  Innerhalb  dieser  Temperaturen  drei  chemische  Molecüle 
sich  zu  einem  physikalischen  Gasatom  vereinigt  haben: 

Atomgewicht.     Gewicht  des  Gewicht  des  Spec.  Gew.  Spec.  Gew. 

ehem.  Mo-  physik.  Atoms.  Luft=:l.  H  =  1. 
lecüls. 

Schwefel:              S  =  16           S^  =  82  §,  =  96  6-639  96. 

Da  das  specifische  Gewicht  eines   dampfförmigen  Körpers  eine  ein-  404. 
fache  Function  seines  Molecu largewichtes  ist^  so  ist  es  einleuchtend,  dass 
alle   Körper,  «leren   Moleculargewicht   gleich   gross  ist,    dieselbe  Dampf- 
dichte  zeigen  müssen,  selbst  wenn  die  atomistische Zusammensetzung  der 
(gleich  schweren)  Molecüle  vollständig  verschieden  ist. 

Zunächst  müssen  also  alle  metameren  Körper  (§.  814)  gleiche  Dampfdichte 
zeigen,  weil  bei  ihnen  die  Moleculargrödse  gleich  und  sogar  die  empirische  Zusam- 
mensetzung der  Molecüle  dieselbe  ist.  Aber  auch  Körper,  deren  Molecüle  diesel- 
ben Elemente  in  gana  verschiedenenen  Verhältnissen  enthalten  und  sogar  solche, 
deren  Molecüle  aus  ganz  verschiedenen  Elementen  zusammengesetzt  sind,  zeigen 
dieselbe  Dampfdichte,  wenn  nur  das  Moleculargewicht  dasselbe  ist. 

So  haben  z.  B.: 

Ameisensäure  und  Aethylalkohol 

dasselbe   Moleculargewicht  =  46   und  dasselbe   specifische  Gewicht  des  Dampfes 
=  1.593. 

Ebenso  haben: 

Kohlensäure  und  Stickoxydul 

dasselbe  Moleculargewicht  =  44  und  dasselbe  specifische  Gewicht  =  1 .  524. 
Ferner  haben: 

Phenylalkohol  und  zweifach  Schwefelmethyl 

"©eHgO  '82^9^2' 

dasselbe  Moleculargewicht  =  94  und  dieselbe  Dampfdichte  =  3.25. 


Anwendung  des  Gesetzes   der  Dampfdichte   zur:    Correction 
des  specifischen  Gewichtes  durch  das  Moleculargewicht. 

Ist  für  einen  gasförmigen  Körper  das  specifische  Gewicht  durch  den  405. 
Versuch   auch   nur  annähernd   bestimmt    worden,    das  Moleculargewicht 
aber  bekannt,   so  kann  man  nach  dem  letzteren  das  specifische  Gewicht 
corrigiren  und  man  kann  dann  für  alle  weitere  Betrachtungen  dieses  so- 


238  Physikalischer  Theil. 

genannte  theoretische  specifische  Gewicht  statt  des  durch  den 
Versuch  nur  annähernd  bestimmten  gebrauchen.  Ist  für  einen  gasförmi- 
gen Körper  das  specifische  Gewicht  noch  nicht  durch  Versuche  bestimmt, 
das  Moleculargewicht  dagegen  mit  hinlänglicher  Sicherheit  festgesteliti  so 
kann  man  nach  diesem  das  specifische  Gewicht  des  Dampfes  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  voraussagen. 

ViTürde  man  die  specifischen  Gewichte  auf  dieselbe  Einheit  beziehen 
wie  die  Moleculargewichte  (also  auf  das  Gewicht  von  einem  MolecQl 
Wasserstoff  zr  2),  so  wäre  begreiflicherweise  keinerlei  Rechnung  nöthig; 
man  könnte  die  Moleculargewichte  direct  für  die  specifischen  Gewichte 
gelten  lassen.  Da  man  leider  gewohnt  ist,  die  specifischen  Gewichte 
durch  Zahlen  auszudrücken,  für  welche  das  Gewicht  eines  Volumens 
Luft  als  Einheit  genommen  ist,  während  f%ir  die  Moleculargewichte  das 
Gewicht  von  einem  Atom  Wasserstoff  als  Einheit  dient  (so  dass 
das  Gewicht  eines  Molecüls  Wasserstoff  ==  2  ist),  so  wird  eine,  (natür- 
lich sehr  einfache)  Reduction  nöthig. 

Da  nämlich  die  atmosphärische  Luft  14.47  mal  so  schwer  ist  als 
ein  gleiches  Volum  Wasserstoff  und  da  das  Moleculargewicht  des  Wasser- 
stoffs =  2  ist,  so  erhält  man  das  specifische  Gewicht  eines  dampfförmi- 
gen Körpers,  wenn  man  in  sein  Moleculargewicht  mit  28.94  *)  dividirt. 

Das  specifische  Gewicht  des  ölbildenden  Gases  (Elayl)  wurde  z.  B.  gefunden : 
Henry.  Sanssure. 

0.967  0.9784. 

Da  die  Molecularformel  des  Elayls  ^  G^H«,  so  ist  sein  Moleculargewicht  s=s  28, 
daraus  ergibt  sich : 

28 


28.94 


=  0.9674 


als  theoretlBches  specifisches  Gewicht 

Die  Dampfdichte  des  Butylchlorids  ist  bis  jetzt  nicht  durch  Versuche  ermit- 
telt. Da  kein  Zweifel  darüber  sein  kann,  dass  die  Molecularfonnel  dieses  Körpers 
=  G4H9CI,  sein  Moleculargewicht  also  =r  92.5  ist,  so  lässt  sich  mit  ziemlicher 
Sicherheit  voraussagen,  dass  die  Dampfdichte  gefunden  werden  wird  zu: 

28:9r-^-^^^- 

Ableitung  der  Molecularformel  aus  der  Dampfdichte. 

406.  Weit  wichtiger  für  die  Chemie  ist  es  umgekehrt  aus  dem  specifi- 

schen Gewicht  der  Dämpfe  das  Moleculargewicht  herzuleiten,  die  Bestim- 


*)  Diese  Zahl  ist  hergeleitet  aus  dem  von  Regnault  zu  1.10568  festgestellten 
specifischen  Gewicht  des  Sauerstoffs  (Luft  =1);  weil  diese  Bestimmung  bis 
jetzt  wohl  für  die  genaueste  Bestimmung  eines  specifischen  Gewichtes  ge- 
halten werden  muss. 


Specififlches  Gewicht  gasförmiger  Körper.  239 

maog  der  Dampfdichte  also  als  Anhaltspunkt  zur  Feststellung  der  Mole- 
enlarformel  zu  benutzen. 

Auch  dabei  ist  eine  Reduction  nur  desshaib  nöthig,  weil  man  Mole- 
culargewicht  und  speciiisches  Gewicht  auf  verschiedene  Einheiten  bezieht; 
das  specifische  Gewicht  auf  Luft  =  1,  das  Moleculargewicht  auf  Wasser- 
stoff =:  2.  Man  hat  also  nur  nöthig,  das  specifische  Gewicht  (Luft=:l) 
eines  damplTörmigen  Körpers  mit  28.9  zu  multipliciren ;  das  Product  ist 
zunächst  das  specifische  Gewicht  desselben  Körpers  bezogen  auf  Wasser- 
stofT  1=  2 ;  und  es  drückt  gleichzeitig  das  Moleculargewicht  aus,  voraus- 
gesetzt, dass  der  untersuchte  Körper  nicht  etwa  eine  Ausnahme  vom  Yo- 
lamgesetz  macht. 

Man  habe  z.  B.  gefunden  (§.  83):  das  specifische  Gewicht  (Luft  =  1)  des 
Etii^igsäuredampfcs  ist  bei  810®  =  2.085.  Man  hat:  das  specifische  Gewicht  des 
Eisigöäuredampfes  ftir  Wasserstoflf  =  2  ist: 

2.085  X  28.9  =  60.14. 
Diese  Zahl  ist  gleichzeitig  das  Moleculargewicht  der  Essigsäure.  Da  nun  die  Ana- 
lyse der  Essigsäure  (§.  45)  zu  der  atomistischen  Verhältnissformel  ==  6Hj0 
flihrtc,  so  sieht  man,  dass  das  Doppelte  dieser  einfachsten  Verhältnissformel  als 
Molecularformel  anzunehmen  ist,  weil  diese  Formel  (=  OaH^^j)  zu  einem  Mole- 
culargewicht (§.  177)  führt,  welches  mit  dem  aus  der  Dampfdichte  hergeleiteten 
nahezu  übereinstimmt.    Man  hat: 


6    =  12 

e,  =24 

H,  =    2 

H,  =    4 

0    =:  16 
80 

Oa=  82 
60. 

Die  Dampfdichte  des  Essigsäureäthyläthers  ist  (nach  Dumas  und  Boullay) 
=  3.06.  Daraus  ergibt  sich  das  specifische  Gewicht  des  Essigäthers,  bezogen  auf 
Wadserstoff  =  2,  zu  88.4;  denn: 

8.06  X  28.9  =  88.4, 
eine  Zahl,    die    gleichzeitig  das  Moleculargewicht   des  Essigsäureäthers  darstellen 
müßt».    Da  nun  dem  Essigäther  der  Analyse  nach  die  Verhältnissformel  =  'G2H4O 
zukommt,  und  da  diese  Formel,  als  Molecularformel  betrachtet,  zu  dem  Molecular- 
gcviiiht  =  44  führen  würde: 

02  =  2.12  —  24 

H4  =  4.   1  —    4 

0    =  1.16  —  J^ 

44 

80  muss  die  Moleculargrösse  dieses  Aethers  doppelt  so  gross  angenommen,  die 
Molecularformel  also  64H8-9-2  geschrieben  werden.  Das  Moleculargewicht  =  88 
stimmt  dann  hinlänglich  genau  mit  dem  aus  der  Dampfdichte  hergeleiteten  über- 
ein.  in  der  That  sprechen  alle  Eigenschaften  des  Essigäthers,  seine  Bildungen  so- 
wohl wie  seine  Zersetzungen  für  diese  Molecularformel. 

Für  das  Acetal  fand  Stas  die  Dampf  dichte  ;=  4.141.  Die  Analyse  gab  die 
Verhältnissformel  =  ß^UfO.  Diese  entspricht,  wenn  man  sie  für  die  Molecular- 
formel gelten  lassen  will,    dem  Moleculargewicht  =  59;  während  sich  aus   der 


240  PhysikaÜßcher  Theil. 

Dampfdichte  das  Moleculargewicht  herleitet  zu  119.6  (4.141  ^(^  78,9),  Die  Dampf- 
dichte spricht  also  dafür,  dass  die  Moleculargrösse  des  Acetals  doppelt  so  gross, 
die  Molecularformel  also  zu:  -B«Hi40j|  angenommen  werden  muss;  nnd  obgleich 
über  die  chemische  Katur  des  Acetals  bis  vor  Kurzem  so  gut  wie  nichts  bekannt 
war ,  so  musste  diese  Molecularformel  doch  fär  die  wahrscheinlichste  gehalten  wer- 
den. Neuere  Versuche  haben  dann  in  der  That  gezeigt,  dass  auch  den  chemischen 
Beziehungen  nach  dem  Acetal  diese  Molecularformel  beigelegt  werden  muss. 

407.  Sind  von  einer  Substanz  noch  so  wenig  Metamorphosen,  noch  so 
wenig  Beziehungen  zu  andern  Körpern  ermittelt,  dass  ihre  Moleculargrösse 
daraus  nicht  hergeleitet  werden  kann,  so  bietet  die  Bestimmung  der  Dampf- 
dichte ein  Mittel  —  und  bisweilen  das  einzige  Mittel  —  die  Molecular- 
grösse mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  wenigstens  festzustellen. 

So  erhielt  z.  B.  Fremy  aus  der  Oelsäure  einen  KohlenwMserstoff,  der  bis 
jetzt  nicht  weiter  untersucht  ist.  Die  Analyse  desselben  gibt  die  Yerhältnissformel 
OH2,  oder  ein  Multiplum.  Die  Dampfdichte  wurde  gefunden  =  2.875.  Aus  die- 
ser Dampfdichte  leitet  sich  das  Moleculargewicht  81 .  38  und  mithin  die  Molecular- 
formel OfHis  her,  denn  diese  entspricht  einem  Moleculargewicht  84,  welches  an- 
nähernd mit  dem  aus  der  Dampfdichte  hergeleiteten  Übereinstimmt.  So  lange  also 
keine  weiteren  Anhaltspunkte  zur  Feststellung  der  Moleculargewichte  dieses  Kohlen- 
wasserstoffs vorhanden  sind,  hält  man  sich  durch  die  Dampfdichte  derselben  für 
berechtigt,  ihm  diese  Molecularformel  beizulegen. 

408.  Die  mitgetheilten  Beispiele  genügen,  um  zu  zeigen,  in  welcher  Weise 
aus  der  Dampfdichte  das  Moleculargewicht  hergeleitet  uüd  demnach,  wenn 
durch  die  Analyse  die  atomistische  Yerhältnissformel  bekannt  ist,  die  Mo- 
lecularformel festgestellt  werden  kann.  Dabei  wird  natürlich  stets  die 
Annahme  gemacht,  dass  für  die  betreffende  Substanz  das  Gesetz  der 
Dampfdichte  gültig  sei;  eine  Annahme,  die  indessen,  für  organische  Sub- 
stanzen wenigstens,  mit  sehr  grosser  Wahrscheinlichkeit  gemacht  werden 
kann,  da  von  allen  genauer  untersuchten  organischen  Verbindungen  kaum 
eine  einzige  dem  Volumgesetz  widerspricht. 

409.  ßs  ist  einleuchtend,  dass  eine  Bestimmung  der  Dampfdichte,  die 
nur  ausgeführt  wird,  um  als  Anhaltspunkt  zur  Feststellung  der  Molecular- 
formel zu  dienen,  nicht  mit  der  Genauigkeit  ausgeführt  zu  werden  braucht, 
die  zur  Feststellung  physikalischer  Eigenschaften  nöthig  wäre;  dass  viel- 
mehr eine  annähernde  Bestimmung  genügt.  Da  es  sich  nämlich  nur 
darum  handelt,  zu  entscheiden,  ob  das  eine  oder  das  andere  Multiplum 
der  der  Analyse  nach  möglichen  Verhältnissformeln  als  Molecu- 
larformel angenommen  werden  soll,  und  da  die  aus  diesen  verschie- 
denen Formeln  sich  herleitenden  Moleculargewichte  stets  stark  differirende 
Zahlen  sind,  so  genügt  es,  die  Dampfdichte  so  genau  zu  kennen,  dass 
sie  mit  Sicherheit  für  die  eine  oder  für  die  andere  Molecularformel  ent- 
scheidet. 

Ebendesshalb  ist  es  auch  bei  Bestimmung  der  Dampfdichte,  so  lange  es  sich 
nur  um  Feststellung  der  Molecularformel  handelt,  nicht  nöthig  alle  Versuchsfehler 
(vgl*  §•  78)  vollständig  auszuschliessen  und  alle  Correcturen  in  Rechnung  zu  brin- 
gen, man  kann  vielmehr  die  Bestimmung  nach  der  abgekürzten,  §.  76  mitgetheilten 


Specifisches  Gewicht  gasförmiger  Körper.  241 

Formel  ansführen  nnd  berechnen.  Ans  demselben  Grande  genügt  es  anch,  die 
spedfischen  Gewichte  (Luft  »1)  mit  der  abgekürzten  Zahl  28.9  (oder  selbst  29) 
zu  multipliciren ,  statt  die  genauere  28.94  in  Anwendung  zu  bringen.  Dagegen 
mnss  diese  genauere  Zahl  immer  dann  angewandt  werden,  wenn  man  aus  dem 
Molecolargewicht  das  specifische  Gewicht  des  Dampfes  herleitet,  um  diese  s.  g. 
theoretische  Dampfdichte  zu  irgend  physikalischen  Betrachtungen  zu  verwenden. 
Die  theoretische  Dampfdichte  kann  natürlich  nur  dann  mit  Genauigkeit  festgestellt 
werden,  wenn:  1)  die  Atomgewichte  der  in  der  betreffenden  Substanz  enthaltenen 
Elemente  genau  bekannt  sind,  wenn  2)  die  procentische  Zusammensetzung  durch 
den  Versuch  so  genau  ermittelt  worden  ist,  dass  daraus  eine  atomistische  Verhfilt- 
nissformel  mit  Sicherheit  hergeleitet  werden  kann  und  wenn  3)  die  Moleculargrösse 
durch  chemische  Betrachtung  oder  durch  eine  hinlänglich  annähernde  Bestimmung 
der  Dampfdichte  festgestellt  worden  Ist. 

Vortheile  der  atomistischen  Molecularformeln  bei  Volnm* 

betrachtungen. 

Es  ist  oben  (§.  396)  gezeigt  worden,  dass  die  chemischen  Mole-  410. 
culargewiohte  mit  den  speoifischen  Gewichten  der  Körper  in  Dampfform 
identisch  sind;  es  wurde  daraus  der  Schluss  gezogen:  bei  gasförmigen 
Körpern  erfüllt  eine  gleichgrosse  Anzahl  chemischer  Molecale  stets  den- 
selben Raum  (§.  398);  es  wurde  dort  erwähnt,  dass  man  dies  auch  so 
ausdrücken  kann:  die  einzelnen  MolecOle  der  verschiedenen  Oase  oder 
Dtopfe  erfüllen  denselben  Raum.  Es  ist  für  manche  Betrachtungen  von 
Vortheil,  sich  einer  etwas  bestimmteren  Form  des  Ausdrucks  zu  bedie- 
nen; also  etwa  zu  sagen:  ein  Molecül  eines  gasförmigen  Körpers  erfüllt 
1,  2  oder  4  etc.  Volume.  Welche  von  diesen  Zahlen  man  wählen  will, 
ist  einzig  Sache  der  Zweckmässigkeit;  denn  es  handelt  sich  weder  um 
bestimmte  Yolume,  noch  um  absolute  Gewichte  der  Molecüle. 

Aus  mehrfachen  Gründen  erscheint  es  zweckmässig,  ftir  diese  Vo-  411. 
lombetrachtungen  dieselbe  Einheit  zu  wählen,  die  fär  die  Gewichtsverhält- 
nisse  (Atomgewicht,  Moleculargewicht ,  Aequivalentgewicht)  dient.  Wir 
wählen  also  ein  Atom  Wasserstoff  als  Einheit  und  sagen  demnach,  ein 
Molecül  Wasserstoff  erfüllt,  da  es  2  Atome  enthält,  zwei  Vo- 
lume. Die  Molecularformeln  entsprechen  also  stets  zwei  Volumen 
Gas  oder  Dampf;  oder,  wie  man  sich  häufig  ausdrückt,  bei  gasförmigen 
Körpern  erfüllt  ein  Molecül  stets  2  Volume. 

Diese  Ausdrucksweise  bietet  den   wesentlichen  Vortheil  dar,  dass  412. 
die  chemischen  Formeln,  d.h.  die  atomistischen  Molecularformeln  (§.186) 
der  neueren  Theorie,  neben   den  Gewichtsverhältnissen  auch  gleichzeitig 
sämmtliche  Volumverhältnisse  ausdrücken. 

So  bezeichnet  z.  B.  die  Formel  der  Salzsäure:  HCl,  dass  2  Vol.  Salzsäure 
(=  1  Molecül),  1  Vol.  Wasserstoff  (=  1  Atom  =  »/a  Molecül)  und  1  Vol.  Chlor 
(s  1  Atom  =:  Va  Molecül)  enthalten. 

Ebenso  drückt  die  Formel   des  Wassers   (H3-O-)    aus,   dass   2  Vol.  Wasser- 
dampf,  2  Vol.  Wasserstoff  und  ein  Vol.  Sauerstoff  enthalten. 
KekaU,  orgao.  Chemie.  16 


242  PhysikaliBcher  Theil. 

Die  Fonnel  des  Ammoniaks  (NH,)  drückt  aus,  das»  2  Vol.  Ammoniak 
3  Vol.  Wafiserstoff  und  1  Vol.  Stickstoff  enthalten. 

Man  ersieht  aus  diesen  Formeln  direct,  dass  Wasserstoff  und  Chlor  sich  m 
gleichen  Volumen  vereinigen  und  dass  dabei  keine  Verdichtung  stattfindet;  dass 
bei  der  Elektrolyse  des  Wassers  das  Volum  des  freiwerdenden  Wasserstoffs  doppelt 
so  gross  ist  als  das  des  freiwerdenden  Sauerstoffs-,  dass  das  Ammoniak  bei  der 
Zersetzung,  die  es  dui'ch  elektrische  Funken  erleidet  sein  Volum  verdoppelt  etc. 

Die  Molecularformel  der  Kohlensäure  (602)  ^ig^  direct,  dass  die  Kohlen- 
säure ihr  gleiches  Volum  Sauerstoff  enthält,  dass  also  bei  der  Verbrennung  von 
Kohlenstoff  im  Sauerstoff  das  Volum  des  Sauerstoffs  nicht  geändert  wird. 

In  derselben  Weise  drücken  sämmtliche  Bildungs-  und  Zersetzungsformeln 
gleichzeitig  die  Volumverhältnisse  aus. 

Die  Bildungsformel  des  Phosgen's: 

UO  »^  Clj  ^  6ö"Clj 

zeigt  z.  B.,   dass  2  Vol.  Kohlenozyd   (=  1  Molecül)   sich   mit  2  Vol.  Chlor  (=  1 
Molecül)  vereinigen,  um  2  Vol.  (=  1  Molecül)  Phosgen  zu  erzeugen. 
Ebenso  zeigt  die  Gleichung: 

^O  -j-  O  ^S  \}(j'2 ". 
dass  2  Vol.  Kohlenoxyd   beim  Verbrennen   zu  Kohlensäure   1  Vol.  Sauerstoff  ver- 
zehren, ohne  ihr  Volum  zu  ändern. 

Man  sieht  leicht,  welche  Erleichterung  der  Gebrauch  dieser  Ausdrucksweisc 
bei  der  Gasanalyse  darbietet  Wenn  z.B.  die  Fragen  zu  beantworten  sind:  Wieviel 
Volumina  Sauerstoff  braucht  ein  Volum  Elayl,  um  vollständig  zu  Kohlensäure  und 
Wasser  zu  verbrennen,  wieviel  Volume  Kohlensäure  entstehen  dabel^  welche  Con- 
traction  findet  statt?  so  hat  man  nur  nöthig,  die  Verbrennung  des  Elayls  durch 
eine  Gleichung  in  atomistischen  Molecularformeln  auszudrücken. 

eaH4  +  aOa  =  200,  +  2Ha0. 

Da  jedes  Molecül  2  Volumen  entspricht,  so  drückt  die  Gleichung  aus:  2  Vol. 
Elayl  verbrauchen  6  Vol.  Sauerstoff,  es  bilden  sich  4  Vol.  Kohlensäure  und  eine 
Menge  Wasser,  die  in  Dampfform  4  Vol  erfüllen  würde.  1  Vol.  Elayl  braucht 
demnach  8  Vol.  Sauerstoff,  es  entstehen  2  Vol.  Kohlensäure.  Die  Contraction  ist 
mithin  s=  2  Vol. 

Ganz  in  derselben  Weise  zeigt  die  Verbrennungsgleichung  des  Methyl&thers: 

eafl.0  +  80,  =  260,  +  3H,0, 
dass  dem  Volum  nach: 

2  Vol.  4-  8.2  Vol.  =a  2.2  Vol.  +  3.2  Vol., 

dass  also  1  Vol.  Methyläther  8  Vol.  Sauerstoff  verbraucht,  um  zu  2  Vol.  Kohlen- 
säure und  zu  Wasser  (in  DampfTorm  8  Vol.)  zu  verbrennen,  dass  mithin  eine 
Contraction  auf  die  Hälfte  (d.  h.  um  2  Vol.)  stattfindet 

418.  Da  die  Volume  gasförmiger  Eöi-per  einzig  von  der  Anzahl  der  Mo- 

lecüle  abhängig  sind,  so  ist  es  einleuchtend,  dass  bei  allen  chemischen 
Metamorphosen,  bei  welchen  die  Anzahl  der  durch  die  Reaktion  erzeug- 
ten Molecüle  ebenso  gross  ist,  wie  die  Anzahl  der  vor  derselben  vorhan- 
denen, auch  das  Volum  nach  der  Reaction  ebenso  gross  ist  wie  vor 
derselben* 


SpecitischeB  Gewicht  gasförmiger  Körper.  243 

Da  z.  B.  1  Molecül  Wasseretoff  und  1  Molecfll  Chlor  (also  zusammen  zwei 
Mokcüle)  2  Molecüle  Salzsfture  erzeugen,  so  bleibt  das  Volum  des  Gases  nach  der 
Vereinigung  ebenso  gross  als  es  vorher  war. 

In  all   den  Fällen   dagegen,  in   welchen   die  Anzahl  der  Molecflle  ^1^- 
durch   die  Reaction    vermindert  wird,    vermindert  sich   auch   das  Volum 
and  zwar  in  demselben  Verhältniss. 

Zwei  Molecüle  Wasäert^tofT  geben  z.  B.  mit  einem  Molecül  Sauerstoff  2  Mo- 
lecüle Wasserdampf',  aus  8  Molecülen  entstehen  2;  mithin  auch  aus  3  Volumen  des 
Gemenges  von  Wasserstoff  und  Sauerstoff,  2  Volume  Wasserdampf. 

Wird    dagegen   durch   die   Reaction    die  Anzahl  der  Molecüle   ver-  *16- 
mehrt,  so  vermehrt  sich  auch  iu  demselben  Verhältniss  das  Volum. 

Da  z.  B.  2  Molecüle  Ammoniak  diurch  Wirkung  elektrischer  Funken  zu  1 
Molecül  Stickstoff  und  3  Molecülen  Wasserstoff  zerlegt  werden;  da  also  2  Molecüle 
lu  4  Molecülen  zersetzt  werden;  so  ist  auch  das  Volum  des  entstandenen  Gemenges 
von  Wasserstoff  und  Stickstoff  doppelt  so  gross,  wie  das  Volum  des  zersetzten 
Ammoniaks. 

Aus   den   atomistischen  Molecularformeln    lässt   sich  also  jedesmal  416. 
direct  ableiten ,   ob  bei  Verbindung  oder  bei  Zersetzung  gasförmiger  Kör- 
per das  Volum  dasselbe  bleibt,   ob  Volumvergrösserung  oder  Verminde- 
rung des  Volums  (Condensation)  stattfindet;   ebenso  ob  in  dem  letzteren 
Falle  eine  Condensation  auf  die  Hälfte,  oder  auf  2/3  etc.  stattfindet. 

Dadurch  werden  natürlich  alle  Condendationstabellen  *)  unnöthig  und  es  fal- 
len ferner  alle  die  müssigen  Speculationen  weg,  die  man  früher  vielfach  und  merk- 
würdiger Weise  sogar  noch  in  neuester  Zeit  bisweilen  anstellte  (es  ist  schwer  ein- 
zosehen ,  was  man  sich  dabei  eigentlich  vorstellte);  ob  nfimlich  bei  der  unter 
Verdichtung  erfolgenden  Vereinigung  zweier  Gase,  die  beiden  Gase  sich  zunächst 
vereinigen  und  das  Product  erst  die  Verdichtung  erleidet,  oder  ob  die  Verdichtung 
vor  der  Vereinigung  stattfindet  und  ob,  wenn  das  letztere  der  Fall,  beide  Gase 
gleichmässig  verdichtet  werden,  oder  ob  die  Verdichtung  sich  nur  auf  das  eine 
Gas  erstreckt,  während  das  andere  unverändert  bleibt  **). 

Aeltere  Anschauungsweise. 

Es  ist  in  den    vorhergehenden  Betrachtungen  mehrfach  darauf  aufmerksam  417. 
gemacht  worden,    dass    die  früher    gebräuchlichen  und  von  manchen  Chemikern 
noch  jetzt  gebrauchten  Formeln  nicht  Molecularformeln  sind,  dass  sie  vielmehr 
gewisse  mehr  oder  weniger   willkürlich   gewählte   oder  durch  Anwendung  willkür- 
lich gewählter  Principien  festgestellte  Mengen  bezeichnen. 

Da  die  specifischen  Gewichte  der  Dämpfe  stets  mit  den  Molecular- 
gewichten  identisch  sind,  die  früher  gebräuchlichen  Formeln  aber  nicht  immer 
mit  den  Molecularformeln  zusammenfallen ,  vielmehr  häufig  einfache  Submultipla 
dieser   sind^   so  ist   es    einleuchtend,    dass   die   relativen  Gewichte  der  durch  die 


•)  Vgl.  z.  B.  Gmelin.  Handbuch.  I.  62. 

^*)  Vgl.  z.  B.  Boedeker ,  die  gesetzmässigen  Beziehungen  zwischen  der  Zusam- 
mensetzung, Dichtigkeit  und  specifischen  Wärme  der  Gase.  Göttingen  1857.  — 
Seite  24,  25  —  auch  in:  Annal.  Chem.  Pharm.  —  CV.  215. 

16  • 


244  Physikalischer  Thell. 

früheren  Formeln  ausgedrückten  Mengen  (die  Aeqnivalentgewichte ,  wie  man  sie 
gewöhnlich  nannte)  nicht  mit  den  specifischen  Gewichten  der  durch  sie  ausge- 
drückten Körper  im  Gaszustand  geradezu  übereinstimmen. 

418.  Die  Vergleich ung  der  specifischen  Gewichte  der  Dämpfe  mit  den  s.  g.  Aequi- 
yalentgewichten  konnte  desshalb  früher  nur  zu  dem  Schluss  führen:  die  Zahlen, 
welche  die  specifischen  Gewichte,  bezogen  auf  das  des  Wasserstoffs  als  Einheit 
ausdrücken,  sind  entweder  den  Aequivalentgewichten  geradezu  gleich  oder  die  Zahl 
für  das  spedfische  Gewicht  steht  in  einem  einfachen  Verhältniss  zu  der  Aequiva- 
lentgewichtszahl  *).  Die  durch  die  älteren  Formeln  ausgedrücktenMengen  entspre- 
chen also  nicht  gleichen  Volumen  der  betreffenden  Substanzen  im  Gaszustand. 
Wenn  man  z.  B.  den  Sauerstoff  ss  0  als  Ausgangspunkt  nimmt  und  den  von  0 
erfüllten  Raum  1  Volum  nennt,  so  entspricht  ein  Aequivalent  Wasserstoff  s=  H 
2  Volumen^  1  Aequivalent  Wasser  =  HO  ebenfalls  2  Volumen;  1  Aequivalent  Salz- 
säure =  HCl  dagegen  4  Volumen  und  ebenso  1  Aequivalent  Alkohol  ss  C^H^O] 
4  Volumen  **).  Die  verschiedenen  Substanzen  (Elemente  und  Verbindungen)  zer- 
fallen also  in  Bezug  auf  die  RaumerfÜllung  der  Gase  oder  Dämpfe  in  mehrere 
Klassen;  die  durch  die  Formel  ausgedrückte  Menge  (das  s.  g.  Aequivalent)  ent- 
spricht entweder  1,  2  oder  4  Volumen;  die  Körper  sind  entweder  ein-,  zwei- 
oder  viervolumig. 

419.  Mit  andern  Worten:  Bei  Annahme  der  älteren  Formeln  ist  die  relative 
Raumerfüllung  nicht  für  alle  Körper  dieselbe.  Wenn  man  (mit  Kopp***)  die 
relative  Raumerfüllung  geradezu  durch  den  Quotienten  aus  dem  specifischen  Ge- 
wicht in  das  Aequivalentge wicht  ausdrückt,  so  ist  diese  relative  RaumerltlUung  ftir: 

Q 

Sauerstoff    .    .    0     =    r— n^    =    7.22 

1 .  ICIo 
WasserBtoff     .    H     =    ^  =    14.44 

SalzaSure    .    .    HCl  3=    ^^    =:    28.88. 
2 .4ÖO 

Die  Körper  zerfallen  also  in  Bezug  auf  die  relative  Raumerfüllung  ihrer  Gase  oder 
Dämpfe  in  drei  Klassen,  deren  relative  Raumerfüllung  entweder  =  7-22  oder  14.44 
oder  28.88  ist  f). 

420.  ^9  ist  einleuchtend,  dass  bei  dem  Gebrauch  der  älteren  Formeln  alle  die 
oben  für  die  atomistischen  Molecularformeln  der  neueren  Theorie  hervorgehobenen 
Vortheile  (§.  412)  wegfallen.  Alle  Volumbetrachtungeu  sind  ungemein  erschwert. 
Die  Volumverhältuldbe  ergeben  sich  nicht  mehr  dlrect  aus  den  Formeln;  es  ist 
vielmehr  nöthig ,  für  jedes  Element  zu  wissen ,  ob  die  durch  das  Symbol  ausge- 
drückte Menge  (das  Aequivalent  oder  das  Atom ,  wie  man  es  nannte ,  obgleich  es 
bald,  wie  für  den  Sauerstoff  das  eine,  bald,  wie  für  den  Stickstoff,  das  andere  ist) 
ein  oder  zwei  Volume  bezeichnet,  es  ist  nöthig,  ftlr  jede  einzelne  Verbindung  zu 
behalten,  ob  die  durch  die  Formel  ausgedrückte  Menge  1,  2  oder  4  Volume  erfüllt. 


•)  Vgl.  die  Tabelle  Seite  247  Spalte  7  und  8. 
••)  Vgl.  Tabelle  Seite  247  Spalte  10. 

***)  ^S^'  Lehrbuch  der  physikal.  und  theor.  Chemie  von  Buff,    Kopp  und  Zam- 
miner  S.  780. 
t)  Vgl.  TabeUe  Seite  247  Spalte  9. 


Spedfisches  Gewicht  gaaförmiger  Körper.  245 

—  Daher  die  Nothwendigkeit  von  Tabellen,  welche  die  relative  RanmerfHllang  der 
Elemente  und  Verbindungen  im  Gaszustand  und  die  bei  Vereinigung  gasförmiger 
Körper  erfolgende  Verdichtung  enthalten. 

Bei  Gebrauch  dieser  Formeln  ist  es  ebenso  unmöglich,  aus  der  Formel  die  421. 
Dampfdichte  herzuleiten.  Man  kann  wohl  die  durch  den  Versuch  annähernd  be- 
stimmte Dampfdichte  corrigiren,  aber  man  kann  nur  dann,  wenn  man  sich  nach 
Analogie  mit  anderen  Substanzen  für  berechtigt  hält,  für  den  betreffenden  Körper 
eine  RaomerfÜllung  von  1,  2  oder  4  Volum  anzunehmen,  das  specifische  Gewicht 
mit  Wahrscheinlichkeit  aus  der  Formel  herleiten. 

Ebenso  wird  die  Ableitung  der  Formel  aus  der  Dampfdichte  vollständig 
illusorisch.  Es  bleibt  immer  der  Willkür  überlassen,  welcher  Klasse  von  Gasen 
man  die  betreffende  Substanz  zuschreiben  will,  ob  man  die  Formel  so  wählen  will, 
dass  sie  4  oder  so,  dass  sie  2  Volumen  Dampf  entspricht 

Die  folgende  Tabelle  ist  vielleicht  geeignet  die  Vorzüge  hervortreten  zu  las-  422. 
sen,  welche  die  neueren  Formeln  (atomistlsche  Holecularformeln)  gegenüber  den 
ilteren  s.  g.  Aequivalentformeln ,  für  alle  Volumbetrachtungen  darbieten. 

Der  Inhalt  der  einzelnen  Columnen  ist  durch  die  Ueberschriften  verständlich. 

Man  ersieht  aus  der  Tabelle,  dass  aus  den  Aequivalentgewiditen  der  älteren 
Formeln  die  specifischra  Gewichte  der  Gase  und  Dämpfe  (bezogen  auf  Luft  =  1) 
erhalten  werden,  wenn  man  in  die  Aequivalentgewichte  bald  mit  7,22,  bald  mit 
14,44,  bald  mit  28,88  dividirt;  und  dass  die  spedfischen  Gewichte,  bezogen  auf 
Wasserstoff  =  1 ,  mit  den  Aequivalenfcgewichten  bald  übereinstimmen ,  dass  sie  in 
anderen  FäUen  dagegen  doppelt,  in  noch  anderen  halb  so  gross  sind. 

Die  Moleculargewichte  der  neueren  Formeln  dagegen  sind  stets  mit  den 
spedfischen  Gewichten,  bezogen  auf  Wasserstoff  =:  2,  identisch*,  man  erhält  also 
immer  das  specifische  Gewicht  (für  Luft  =  1),  wenn  man  in  das  Molecularge wicht 
mit  dner  und  dersdben  Zahl .  mit  28,94  dividirt 

Man  sieht  femer,  dass  alle  neueren  Molecularformeln  zwei  Volumen  Dampf 
entsprechen ,  während  die  Aequivalentformeln  der  älteren  Theorie  bald  1 ,  bald  2, 
bald  vier  4  Volumen  entsprechen.  Man  überzeugt  sich  leicht,  dass  die  Molecular- 
gewichte der  neueren  Theorie  mit  den  älteren  Aequivalentgewichten  in  all  den 
Fällen  zusammenfallen,  in  welchen  die  alte  Aequivalentformel  4  Volumen  entspricht; 
dass  dagegen  die  neuen  Molecularformeln  stets  doppdt  so  gross  sind,  wie  die 
dien  Aequivalentformeln ,  wenn  diese  letzteren  nur  2  Volumen  Dampf  entsprechen. 

Die  Spalte  11  enthält  die  Anzahl  der  Volume  der  einzelnen  Elemente,  die  in 
einem  Volum  der  Verbindung  enthalten  sind.  Für  die  neueren  Formeln  ist  dazu 
eine  Tabdle  nicht  nöthig,  weil  sich  die  Volumzusammensetzung  direct  aus  der 
Formd  ablesen  läset  (vgl  $.  416). 


246 


Fliysikalischer  Theil. 


Neuere   Ansicht 
(Atomistische  Molecularformeln.) 

1. 
Spec.  Ge- 
wicht 
Luft=:  1. 

2. 

Molecular- 
formel. 

3. 

Molecu- 

lar- 
gewicht 

4. 
Spec.  Ge- 
wicht H=:l;  1 
Ha=2;  Was- 
serstoff =2. 

5. 
1  MolecOl 
entspricht 
Volumen. 

Sauerstoff 

1,106 

e« 

32 

32 

2 

Wasserstoff 

0,069 

H, 

2 

2 

2 

Stickstoff 

0,969 

N, 

28 

28 

2 

Chlor 

2,453 

Gl, 

71 

71 

2 

Jod 

8,802 

J. 

264,2 

254,2 

2 

Cyaa 

1,800 

(ÖN), 

52 

52 

2 

Wasser 

0,622 

H,e 

18 

18 

2 

Eohlenoxyd 

0,967 

ee 

28 

28 

2 

Kohlensäure 

1,520 

UOj 

44 

44 

2 

Phosgen 

8,420 

eecij 

99 

99 

2 

Salzsäure 

1,261 

CIH 

36,5 

36,5 

2 

Blausäure 

0,982 

euH 

27 

27 

2 

0,589 

NH, 

17 

17 

2 

Elay] 

0,967 

e,H, 

28 

28 

2 

Grubengas 

0,558 

ÖH« 

16 

16 

2 

Rad.  Aethyl 

2,005 

(e»H,), 

58 

58 

2 

Aether 

2,565 

74 

74 

2 

Alkohol 

1,613 

«A(o 

46 

46 

2 

Chloräthyl 

2,219 

«jHbCI 

64,5 

64,5 

2 

Essigsäure 

2,073 

Wje 

60 

60 

2 

Wasserfreie 
Essigsäure 

3,524 

102 

102 

2 

Essigäther 

3,041 

%^,lth 

88 

88 

2 

Specifisches  Gewicht  gasfOnniger  Efirper. 


247 


Aeltere  Ansicht 
(8.  g.  Aequivalentformeln.) 


6. 

Aequi- 
▼alent- 
formel. 

7. 

Aeqni- 

valent- 

gewicht. 

8. 
Spec.  Ge- 
wicht 
Wasser- 
stoflf  =  1. 

9. 
Relative 
Raum- 
erfüllung. 

10. 

1  Atom 

entspricht 

Volumen. 

11. 

1  Volum  enthSlt 
Volume. 

0 

8 

16 

7,22 

1 

H 

1 

1 

14,44 

2 

K 

14 

14 

14,44 

2 

Cl 

35,6 

85,5 

14,44 

2 

J 

127,1 

127,1 

14,44 

2 

C^ 

26 

26 

14,44 

2 

IC  4- IN 

HO 

9 

9 

14,44 

2 

IH  +  »1,0 

CO 

14 

14 

14,44 

2 

•/,C  +  '/,0 

CO, 

22 

22 

14,44 

2 

»/,C+    10 

coa 

49,6 

49,5 

14,44 

2 

»/,C  +  >/aO+ia 

cm 

86,5 

18,2 

28,88 

4 

>/aCl  +  »/,H 

CaNH 

27 

18,5 

28.88 

4 

•/.C+V^  +  '/,H 

NH, 

17 

8,5 

28,88 

4 

1/^  4.  li/,H 

CA 

28 

14 

28,88 

4 

1C4-2H 

CA 

16 

8 

28,88 

4 

»/,C  +  2H 

CA 

29 

29 

14,44 

2 

2C  +  6H 

CAO 

37 

37 

14,44 

2 

2C  4.  6H  +  »/.O 

CAOa 

46 

23 

28,88 

4 

IC  4.  8H  +  VaO 

C4H5C1 

64,5 

82,2 

28,88 

4 

1C4.2>/,H4.»/,C1 

CA04 

60 

80 

28,88 

4 

IC  +  2H  4.  10 

CAO, 

61 

51 

14,44 

2 

2C  4.  8H  4-  l>/.0 

CgHjO^ 

88 

44 

28,88 

4 

2C  4-  4H  +  10 

248  Physikalischer  Theil. 

Aeltere  Berechnungsweise  des  specifischen  Gewichtes  der  Dämpfe 

aus  der  Ae.quivalentformel  und  Ableitung  der  Aequivalentformel 

aus  der  Dampfdichte. 

428.  Kopp  hat  vor  einiger  Zeit  eine  Berechnungsweise  vorgeschlagen*)^  die  mit 

der  oben  angegebenen  (§§.  405  —  407)  fast  vollständig  übereinstimmt  und  nur  da- 
durch von  derselben  abweicht,  dass  bei  Gebrauch  der  älteren  Formeln  die  relative 
Raumerftülung  nicht  fOr  alle  Körper  dieselbe  ist 

Man  erhält  nach  §.  405  das  specifische  Gewicht  eines  Körpers  in  Dampfibrm, 
wenn  man  in  sein  Moleculargewicht  mit  28.9  dividirt.  Da  für  die  älteren  Formeln 
(s.  g.  Aequivalentformeln),  die  relative  Raumerfüllung  entweder  28.88  oder  aber 
14.44  ist,  so  muss  man  das  Aequivalentgewicht,  je  nachdem  der  Körper  der  einen 
oder  der  anderen  Klasse  zugezählt  wird,  entweder  mit  der  einen  oder  der  anderen 
Zahl  dividiren,  um  das  specifische  Gewicht  des  Dampfes  zu  erhalten. 

Die  Formel  des  Essigäthers  ist  z.  B.:  CsHg04,  sie  führt  zum  Aequivalent- 
gewicht  =  88.  Nimmt  man  an,  dass  dem  Essigäther  die  relative  RaumerfÜllung 
28.88  zukomme,  so  erhält  man: 

-2^  =  8.047 
28.88 

als  theoretisches  specifisches  Gewicht.    Der  Versuch  gab:  8.067. 

Für  den  Aeüiyläther  nahm  man  früher  die  Formel  an  C^H^O ;  das  Aequiva- 
lentgewicht  ist  demnach  =  37.  Besässe  der  Aethyläther  die  relative  RaumerfÜl- 
lung: 28.88,  so  wäre  sein  theoretisches  specifisches  Gewicht: 

87 


28.88 


=  1.28. 


Der  Versuch  gab:  2.565,  also  genau  das  Doppelte.  Man  muss  also  annehmen, 
dem  Aethyläther  komme  die  relative  Raumerfüllung  14.44  zu;  bei  dieser  Annahme 
berechnet  sich  das  specifische  Gewicht  seines  Dampfes: 

87 


14.44 


2.56. 


um  aus  der  Formel  das  specifische  Gewicht  herleiten  zu  können,  muss  man  alfio 
erst  wissen,  ob  dem  betreffenden  Körper  die  eine  oder  die  andere  relative  Raum- 
erfÜllung beizulegen  ist  Hat  man  das  specifische  Gewicht  des  Dampfes  durch  den 
Versuch  auch  nur  annähernd  genau  bestimmt,  so  ergibt  sich  dies  leicht,  indem 
man  mit  dem  specifischen  Gewicht  in  das  Aequivalentgewicht  dividirt 

Für  das  Radical  Aethyl,  dem  der  älteren  Theorie  nach  die  Formel  C4HS  zu- 
kommt, die  zu  dem  Aequivalentgewicht  s=  29  führt,  fand  Frankland  die  Dampf- 
dichte SB  2.00894.    Man  hat  also: 


2.00394 


s  14.47 


eine  Zahl,  die  unverkennbar  darauf  hindeutet,  dass  dem  Radical  Aethyl  (bei  der 
Formel  C4H5)  die  relative  RaumerfüUnng  =  14.44  zukommt  Man  kann  darnach 
das  theoretische  specifische  Gewicht  berechnen;  man  findet: 


*)  Vgl.  Lehrbuch  der  physikal.  und  theor.  Chemie  von  Buff,  Kopp  und  Zam- 
wiuer.  8.  7340, 


Specififlches  Gewicht  gasförmiger  Körper.  249 

^-2.0088 

WM  mit  der  von  Frankland  gefundenen  Zahl  sehr  genau  übereinstimmt 

Bei  dieser  Betrachtungsweise  kann  natörlich  die  Grösse  der  Formel  nicht 
ans  dem  specifischen  Gewicht  des  Dampfes  hergeleitet  werden,  man  hat  immer 
noch  die  Wahl,  ob  man  den  betreffenden  Körper  der  Klasse  von  Substanzen  zu- 
zShlen  will,  deren  RaumerfOllung  s=  14.44  oder  aber  derjenigen,  bei  welcher  die 
relative  RanmerfÜllung  «28.88. 

Will  man  das  Radical  Aethyl  der  ersteren  Klasse  von  Verbindungen  zu- 
schreiben, 60  ist  seine  Formel  =  C^H^ ;  will  man  ihm  dagegen  die  relative  Raum- 
erfüllong  =  28.88  beilegen,  so  muss  diese  Formel  verdoppelt  werden.  Man  hat 
dann  CgHie,  entspricht  dem  Aequivalentgewicht  ==  58;  daraus  ergibt  sich  das 
AeovetiselM  apegfische  Gewicht: 

58 


28.88 


=  2.0083. 


Statt  dieser  einfachen  Berechnungsweise  ist  noch  jetzt  eine,  frtiher  allgemein  424. 
gebrauchte,  vielfach  in  Anwendung.  Diese  ftltere  Art  der  Berechnung,  mühsamer 
und  umständlicher  in  der  Ausführung,  wendet  zudem  für  viele  Subst-anzen  und 
namentlich  für  alle  kohlenstoffhaltige  Verbindungen  vollstfindig  unbewiesene  Hy- 
pothesen US  Grundlagen  der  Rechnung  an.  Weil  vielfach  noch  angewandt,  muss 
ue  hier  indessen  doch  erörtert  werden. 

Es  ist  einleuchtend,   dass    man   das   specifische  Gewicht   einer  gasförmigen  425. 
Verbindung  berechnen  kann,   wenn  man  die  specifischen  Gewichte  ihrer  Bestand- 
ÜieOe,  die  Volumverhßltnisse ,  nach   welchen  sich  dieselben  verbinden  und  ferner 
das  Verhältniss  kennt,   in   welchem  das  Volum  des  Productes  zu  dem  Volum  der 
sich  verbindenden  Substanzen  steht. 

Wenn  man  z.  B.  weiss:  1  Vol.  Chlor  verbindet  sich  mit  1  Vol.  Wasser- 
stoff zu  2  VoL  Salzsäure,  so  kann  man,  wenn  die  specifischen  Gewichte  des 
(älors  und  des  Wasserstoffs  bekannt  sind ,  das  specifische  Gewicht  der  Salzsäure 
berechnen.    Man  hat: 

1  Volum  Chlor  wiegt    .     .     .     2,458 

1  Volum  Wasserstoff  wiegt    .    0,069 

die  entstandene  Salzsäure  wiegt  demnach  =  2,522. 

Da  dies  zwei  Volume  sind,  so  wiegt  1  Volum  1,261,  das  specifische  Gewicht 
der  Salzsäure  ist  also  =  1,261. 

Dasselbe  kann  auch  aus  der  Formel  der  Salzsäure  hergeleitet  werden.  Da 
nämlich  die  Menge  Wasserstoff,  die  man  mit  H  bezeichnet,  zwei  Volumen  ent- 
spricht (wenn  0  =  1  Volum  angenommen  wird,  wie  dies  bei  dieser  älteren  An- 
ftchaunngsweise  geschieht),  da  femer  Ol  ebenfalls  zwei  Volumen  entspricht;  so 
hat  man: 

1  Aeq.  fl  =  2  Vol.  =  2  X  0,069  =  0,188 

1  Aeq.  Cl  =  2  Vol.  =  2  X  2.^53  =  4,906 

Summe  dieser  Gewichte  =  5,044. 

Das  entstehende  Product:  1  Aeq.  Salzsäure  =  HCl  entspricht  nun  4  Volu- 
men (die  Salzsäure  gehört  der  Klasse  von  Verbindungen  zu,  deren  Formeln  vier- 
volamig  sind,  sie  besitzt  die  relative  Raumerfüllung  28.88),   man  muss  also  die 


250  PhynkaliBfiher  Theü. 

Zahl:  6,044  mit  4  dividiren,   um   das  Gewicht  Ton  einem  Volom,    das  heisst  das 
specifische  Gewicht  der  Salzsäure  zu  erhalten.    Man  hat: 

^  =  1,261. 

Ebenso  berechnet  sich  aus  den  spedfischen  Gewichten  des  Wasserstoffs  und 
des  Sauerstoffs,  das  spedfischc  Gewicht  des  Wasserdampfs,  d.  h.  die  Dampfdichte 
des  Wassers.    Man  hat: 

1  Aeq.  H  entsprechend  2  Vol.  deren  Gewicht  =  2  X  0^069  =  0,138 

mit  1  Aeq.  0  „  1  Vol.  dessen      „        =  1   X  h^^  =  0^^ 

geben  1  Aeq.  HO  dessen  Gewicht  =  1,244.. 

Da  nun  1  Aeq.  Wasser  =  HO  zwei  Volume  Dampf  liefert;  da  das  Waaser 
der  Klasse  von  Körpern  zugehört,  deren  Formeln  zweivolnmig  sind,  so  muss  man 
diese  Zahl  mit  2  dividiren,  um  das  specifische  Gewicht  des  Wasserdampfes  zu  er- 
halten.   Man  hat: 

'-^  =  0,6«. 

426.  Diese  Berechnungsweise  setzt,  wie  man  sieht,  voraus,  dass  die  speciflschen 
Gewichte  der  die  Verbindung  zusammensetzenden  Elemente  in  dampfförmigem  Zu- 
stand bekannt  sind ;  sie  setzt  ferner  voraus ,  dass  man  weiss ,  welche  Verdichtung 
bei  der  Vereinigung  dieser  Elemente  stattgefunden  hat,  das  heisst,  wieviel  Volume 
die  durch  die  Formel  ausgedrückte  Menge  derselben  im  Damp&ufitand  erfüllt 

Auf  alle  diejenigen  Verbindungen,  in  welchen  Elemente  enthalten  sind,  die 
im  Dampfzustand  nicht  bekannt,  deren  Dampfdichten  also  nicht  ermittelt  sind,  ist 
die  Berechnung  nicht  anwendbar;  oder  wenigstens  nur  dann  anwendbar,  w^enn 
man,  statt  der  durch  den  Versuch  festgestellten  Dampfdichten,  hypothetische  aus 
Betrachtungen  hergeleitete  Dampfdichten  in  Anwendung  bringt.  In  diesem  Falle 
befinden  sich  alle  kohlenstoffhaltigen,  also  alle  organischen  Verbindungen. 

427.  Man  kann  nun,  gerade  60  wie  aus  den  specifischen  Gewichten  der  Bestand- 
theile  das  specifische  Gewicht  der  Verbindung  hergeleitet  werden  kann,  wenn  die 
Volumverhältnisse  nach  welchen  die  Verbindung  erfolgt  bekannt  sind,  auch  um- 
gekehrt das  specifische  Gewicht  eines  der  Bestandtheile  ableiten,  wenn  man  das 
specifische  Gewicht  des  anderen,  das  specifische  Gewicht  der  Verbindung  und  fer- 
ner die  Volumverhältnisse  kennt,  nach  welchen  die  beiden  Bestandtheile  sich 
verbinden  um  ein  bestimmtes  Volum  des  Productes  zu  erzeugen. 

So  ergibt  sich  z.  B.  das  specifische  Gewicht  des  Wasserstoffs  aus  den  speci- 
fischen Gewichten  des  Wasserdampfs  und  des  Sauerstoffs  in  folgender  Weise: 

2  Vol.  Wasserdampf  wiegen     .     .  2  X  0,622  =  1,244 

sie  enthalten:       1  Vol.  Sauerstoff,  welches  wiegt =  1,106 

Der  Rest 0,138 

ist  das  Gewicht  von  2  Vol.  Wasserstoff;  1  Vol.  Wasserstoff  wiegt  also  =  0,069. 

Dieselbe  Zahl  ergibt  sich  au»  dem  specifischen  Gewicht  der  Salzsäure. 
Man  hat: 

2  Vol.  Salzsäure  wiegen      .     .    2  X  ^^^^  =  2)^22 
sie  enthalten:       1  VoL  Chlor,  dessen  Gewicht .    .  =  2,458. 


Spedfisches  Gewicht  gasförmiger  Körper.  251 

Der  Reat  =  0,069  ist  das  Gewicht  von  einem  Volom.  d.  h.  das  specifische 
Gewicht  des  Wasserstoffs. 

Wenn  also  die  Volrnnverhältnisse  bekannt  wären,  nach  welchen  der  Kohlen-  428. 
Stoff  sich  mit  anderen  Elementen  verbindet,  so  könnte  aus  dem  specifischen  Ge- 
wicht dieser  Elemente  und  aus  dem  der  entstehenden  Verbindungen  das  spedfische 
Gewicht  des  Kohlenstoffdampfes  hergeleitet  werden.  Da  aber  der  Kohlenstoff  in 
gasförmigem  Zustand  unbekannt  ist,  so  ist  man  genöthigt,  zu  Hjrpothesen  seine 
Zuflucht  zu  nehmen.  Man  kann  entweder  annehmen:  die  Menge  Kohlenstoff,  die 
man  durch  das  Symbol:  C  ausdrückt  und  die  man  für  ein  Aequivalent  hält,  er- 
fülle, ebenso  wie  ein  Aequivalent  Sauerstoff  (=  0)  ein  Volum,  oder  aber  man 
kann  annehmen:  1  Aequivalent  Kohlenstoff  erfülle  ebenso  wie  1  Aequivalent  Was- 
serstoff zwei  Volume.  Die  meisten  Chemiker  haben  sich  für  die  erstere  Ansicht 
entschieden,  und  zwar,  gestützt  auf  folgende  Betrachtung.  Da  der  Erfahrung  nach 
gewöhnlich  bei  der  Vereinigung  gleicher  Volume  zweier  Gase  keine  Verdichtimg 
stattfindet,  das  Volum  der  Verbindung  vielmehr  gleich  ist  der  Summe  der  Volume 
der  Bestandtheile  (z.B.  Chlor -f- Wasserstoff  =  Salzsäure),  während  bei  der  Vereini- 
gung von  1  Vol.  eines  Gases  mit  2  Vol.  eines  andern,  die  Verbindung  meistens 
2  Volume  erfüllt  (z.  B.  2  Wasserstoff  +  1  Sauerstoff  =•  2  Wasser)^  da  femer  bei 
der  Verbindung  von  Sauerstoff  mit  Kohlenstoff  zu  Kohlensäure  das  Volum  des 
Prodnctes  gleich  ist  dem  des  angewandten  Sauerstoffs,  während  bei  der  Bildung 
von  Kohlenoxyd  aus  1  Volum  Sauerstoff  zwei  Volume  Kohlenoxyd  werden:  so 
muss  man  annehmen,  die  Menge  Kohlenstoff,  die  sich  mit  2  Vol.  Sauerstoff  ver- 
bindet, um  2  Vol.  Kohlensäure  zu  erzeugen  und  die  eich  mit  1  Vol.  Sauerstoff 
vereinigt,  um  2  Vol.  Kohlenoxyd  zu  erzeugen,  sei  =:  1  Volum,  denn  bei  dieser 
Annahme  erscheint  die  Bildung  der  Kohlensäure  in  Bezug  auf  Volumverhältnisse 
der  des  Wassers ,  die  Bildung  des  Kohlenoxyds  der  der  Salzsäure  analog. 

Mit  dieser  Annahme,  also  mit  der  Annahme,  dass  1  Aeq.  Kohlenstoff  =:  C,  429. 
ebenso  wie   1  Aeq.  Sauerstoff  ein  Volum   erfüllt,   berechnet  sich  aus  dem  specifi- 
schen Gewicht   der  Kohlensäure  und   aus   dem  specifischen  Gewicht   des  Kohlen- 
ozyds  das  specifische  Gewicht  des  Kohlenstoffdampfes  in  folgender  Weise: 

Aus  Kohlensäure. 

1  Aeq.  COa  =  2  Vol.  wiegt  ....     2  X  1.Ö20  =  3,040 

es  enthält:      2  Aeq.  O      =2  Vol.,  welche  wiegen    2  X  ^^^  =  2,212 

Der  Rest 0,828 

ist  das  Gewicht  von  einem  Volum  Koblenstoffdampf. 

Aus  Kohlenoxyd: 

1  Aeq.  CO  =  2  Vol.  wiegt       ...     2  X  0^967  =  1,984 

es  enthält:        1  Aeq.  0=1  \o\.  wiegt       .    .    .     1  X  1^106  =  1,106 

Der  Rest 0,828 

ist  das  Gewicht  von  einem  Volum  Kohlenstoffdampf. 

Beide  Rechnungen  führen  natürlich  zu  demselben  Resultat.  Man  nimmt  also 
0.828  als  spedfisches  Gewicht  des  Kohlenstoffdampfee  au.  mit  der  Voraussetzung, 
dass  1  Aeq.  C  auch  1  Vol.  Kohlenstoffdampf  sei. 

Mit  Benützung  dieses  hypothetischen  specifischen  Gewichtes  des  Kohlenstoff-  480. 
dampfes   können  die  specifischen  Gewichte  dampfförmiger  Kohlenstoffverbindungen 


252  Physikalischer  TheU. 

in  gleicher  Weise  aus  der  Formel  derselben  berechnet  werden ,  wie  oben  (§.  426) 
die  specifischen  Gewichte  der  Salzsäure  und  des  Wasserdampfes. 
Man  hat  z.  B.  fOr  das  Elayl,  dessen  Formel  =  G4H4  ist: 

4  Aeq.  C  entsprechend  4  Vol.  Dampf  wiegen    4  X  0,828  =  8,312 

4  Aeq.  H  „  8  VoL       „  „         8  X  0,069  =  0,552 

Die  Summe 8,864 

ist  das  Gewicht  von   1  Aeq.  Elayl;   da  nun   1   Aeq.  Elayl  =  4  Vol.,    so  wiegt 

1  Vol.: 

3,864        ^^^^ 
-2L-—  =  0,967. 
4 

Das  theoretische  specifische  Gewicht  des  Elayls  ist  also  =  0,967  (vgl.  §.  405). 

^1-  In  derselben  Weise  berechnet  sich  die  Dampfdichi^e  des  Alkohols  aus  der 

Formel  =  C4H,0j: 

4  Aeq.  C  entsprechen    4  Vol.;  diese  wiegen     4  X  0,828  =  8,812 
6  Aeq.  H  „  12  Vol.        „         „        12  X  0,069  =  0,828 

2  Aeq.  0  „  2  Vol.        „         „  2  X  I5IO6  =  2,212 

Die  Summe  =  6,352 

ist  das  Gewicht  von  einem  Aeq.  Alkohol.  Da  nun  der  Alkohol  bei  der  Formel 
=  C4H«02,  viervolumig  ist,  da,  wie  man  sich  ausdrückt,  eine  Verdichtung  auf 
4  Volume  stattgefunden  hat,  so  ist: 

6,852 

^^  =  1,688 

das  speciüsche  Gewicht  des  Alkoholdampfes. 
482.  Es  ist  einleuchtend,    dass  man  bei  dieser  Art  der  Berechnung  (wie  bei  der 

§.  423  mitgetheilten)  wissen  muss,  ob  die  durch  die  Formel  ausgedrückte  Menge 
zwei  oder  vier  Volumen  Danipt'  entspricht.  Ist  der  Körper  viervolumig,  so  muss 
man  die  Summe  der  specifischen  Gewichte  der  ihn  zusammensetzenden  Aequiva- 
lente  durch  4  dividiren,  um  die  Dampfdichte  zu  erhalten;  ist  er  dagegen  zweivolu- 
mig,  so  dividirt  man  statt  durch  4  nur  durch  2. 

Man  hat  z.  B.  fdr  den  Aether,  dessen  Formel  der  älteren  Theorie  nach  = 
C^H^O  ist: 

4  Aeq.  C  entsprechend    4  Vol.    wiegen      4  X  0.828  =:  3,812 
6  Aeq.  H  „  10  Vol.        „         10  X  0,069  ==  0,690 

1  Aeq.  0  „  1  Vol.        ,,  1  X  1,106  =  1,106 

Summe      =  5,108. 

Wären  diese  15  Volume  der  Bestandtheile  auf  1  Volum  verdichtet,  so  würde 
dieses  =  6,108  wiegen,  das  specifische  Gewicht  des  Aethers  wäre  also  =  5,108. 
Fände  wie  bei  dem  Alkohol  eine  Verdichtung  auf  4  Volume  statt,  so  hätte  man: 

^  =  1,277 
4 

als  Gewicht  von  einem  Volum,  d.  h.  als  specifisches  Gewicht  des  Aetherdampfes. 
Der  Versuch  gab  die  Dampfdichte  =  2,565,  also  annähernd  doppelt  so  gross, 
folglich   findet  bei  dem  Aether  eine    grössere  Verdichtung,   eine  Verdichtung  auf 

2  Volume  statt.    Man  findet  also  das  theoretische  specifische  Gewicht: 

'-^  =  2,554 


Spedflsches  Gewicht  flüssiger  Körper.  253 

was  mit  dem  durch  den  Versuch  gefunden  axmähemd  genug  übereinstimmt.  —  Es 
ist  einleuchtend,  dass,  wenn  man  die  Formel  des  Aethers  doppelt  so  gross  an- 
nimmt ^  CsHiqO],  die  Summe  der  speeifischen  Gewichte  der  den  Aetherdampf 
bildenden  Elemente  doppelt  so  gross  wird  (=  10,216);  man  erhält  dann  eine  mit 
der  durch  den  Versuch  gefundenen  Dampfdichte  nahezu  übereinstimmende  Dampf- 
dichte, indem  man  mit  4  dividirt: 

'-^  =  2m 
4 

Bei  der  Formel  CtHipOf  ist  der  Aether  also  vieryolumig,  es  findet  eine  Verdich- 
tung auf  4  Volume  statt,  die  durch  die  Formel  ausgedrückte  Menge  entspricht  vier 
Volumen. 


Specifisches  Gewicht  flüssiger  Körper. 

Beziehungeo  swisohen  dem   speeifischen  Volum  und  der 
chemischen  Zusammensetzung. 

Die  Untersuchungen,  die  man  bis  jetzt  über  die  speeifischen  6e-  488. 
Wichte  flüssiger  Verbindungen  angestellt  hat,  zeigen  deutlich,  dass  auch 
bei  flüssigen  Körpern  das  speciflsche  Gewicht  in  einer  gesetzmässigen 
Beziehung  steht  zum  Holeculargewicht  und  vielleicht  auch  zur  atomisti- 
schen  Zusammensetzung  der  Molecttle.  Das  Gesetz,  welches  diesen  Be- 
ziehongen  zu  Grunde  liegt,  ist  indessen  bis  jetzt  nicht  erkannt 

VPie  bei  gasförmigen  Körpern,  so  kann  man  auch  bei  Flüssigkeiten 
entweder  den  Raum  vergleichen,  den  eine  gleichgrosse  Anzahl  von  Ho- 
lecülen  erfallt,  also  die  relative  Raumerfüllung  oder  das  speci- 
fische  Volum;  oder  aber  man  kann  die  Anzahl  der  Holecüle  ver- 
gleichen,  die  in  gleichgrossen  Räumen  enthalten  sind,  also  die  s.  g. 
Atom  zahl  ($.  398).  Die  meisten  Chemiker  geben  der  ersteren  Betrach- 
tungsweise den  Vorzug;  Gmelin  dagegen  vergleicht,  wie  bei  den  gas- 
förmigen so  auch  bei  den  flüssigen  Körpern,  die  Atomzahl. 

Was  wir  über  die  speeifischen  Volume  flüssiger  organischer  Ver-  484. 
bindungen  wissen,  verdanken  Mir  fast  ausschliesslich  den  Untersuchungen 
von  H.  Kopp;  ausser  diesem  haben  sich  noch  besonders:  Schröder,  Lö- 
wig,  Gmelin,  J.  Pierre  und  W.  A.  Hiller   mit  diesem  Gegenstande  be- 
schäftigt 

Im  Nachfolgenden  werden  wesentlich  die  neueren  Resultate  und 
Ansichten  Kopp's  berücksichtigt  Die  Ghrenzen  dieses  Werks  gestatten 
nicht  auf  die  historische  Entwicklung  dieser  Ansichten  näher  einzugehen ; 
wir  verweisen  in  dieser  Beziehung  auf  eine  von  Kopp  selbst  gegebene 
Zusammenstellung  *)• 


*)  Annalen  der  Chemie  und  Pharmacie:    ZCVI.   S.  168.   —   Neuere  Abhand- 
lungen Kopp's   siehe  ebendaselbst:    XCVI.  803;  ZCVII.  874;   ZCVm.  367; 


254  Physikalischer  Theil. 

435,  Die  Abhängigkeit  des  specifischen  Gewichtes  von  der  chemiseheD 

Zusammensetzung  tritt  am  deutlichsten  hervor,  wenn  man  die  specifischen 
Volume  vergleicht. 

Das  specifische  Volum  ist  der  Quotient  aus  dem  specifischen  Ge- 
wicht in  das  Molecularge wicht. 

Da  nun  die  Flüssigkeiten,  weil  sie  durch  Temperaturverfinderungen  sich  aus- 
dehnen oder  zusammenziehen,  bei  ungleichen  Temperaturen  ungleiche  specifische 
Gewichte  zeigen;  so  ist  es  einleuchtend,  dass  auch  die  specifischen  Volume  der- 
selben Flüssigkeit  bei  verschiedenen  Temperaturen  verschieden  sein  werden.  Es 
ist  demnach  klar,  dass  man  nicht  die  specifischen  Volume  verschiedener  Substan- 
zen bei  beliebig  gewählten  Temperaturen  vergleichen  kann,  sondern  vielmehr  nur 
bei  Temperaturen,  bei  welchen  die  Flüssigkeiten  in  Bezug  auf  Raumerfüllung  sich 
in  entsprechenden  Bedingungen  befinden ,  also  bei  solchen  Temperaturen ,  bei  wel- 
chen die  Dämpfe  gleiche  Spannkraft  besitzen.  Da  aber  für  die  meisten  Flüssig- 
keiten die  Spaxinkrait  der  Dämpfe  bei  verschiedenen  Temperaturen  nicht  bekannt 
ist,  so  bleibt  nur  übrig  diejenigen  specifischen  Volume  zu  vergleichen,  welche 
die  verschiedenen  Flüssigkeiten  bei  ihren  Siedpunkten  —  d.  h.  den  Temperaturen, 
wo  die  Spannkraft  der  Dämpfe  dem  mittleren  Luftdruck  gleich  ist  —  besitzen-,  niirl 
da  femer  die  specifischen  Gewichte  ftir  die  Siedpunkte  selbst  nicht  wohl  durch 
den  Versuch  festgestellt  werden  können,  so  muss  man  die  specifischen  Gewichte, 
welche  die  Flüssigkeiten  bei  ihren  Siedpunkten  besitzen,  aus  den  für  andere  Tem- 
peraturen ermittelten  specifischen  Gewichten  und  aus  der  durch  den  Versuch  fest- 
gesteUten  Ausdehnung  berechnen.  Die  Feststellung  des  specifischen  Gewichts  einer 
Flüssigkeit  bei  ihrem  Siedpunkt  setzt  also  voraus  die  Kenntniss: 

1)  des  Siedpunktes, 

2)  des  specifischen  Gewichts  fiir  ii'gend  eine  Temperatur, 

3>  der  Ausdehnung,  welche  die  Flüssigkeit  von  der  Temperatur,  für  die 
das  specifische  Gewicht  durch  den  Versuch  festgestellt  wurde,  bis  zu  ihrem 
Siedpunkt  erfahrt 

Das  specifische  Volum  einer  Flüssigkeit  beim  Siedpnnkt  ist  also  gleich  dem 
Moleculargewicht,  dividirt  durch  das  specifische  Gewicht  der  Flüssigkeit  bei  ihrem 
Siedpnnkt. 

486.  Die  folgende  Tabelle  enthält  die  specifischen  Volume  aller  der  nur 

Eohlenstofi*,  Wasserstoff  und  Sauerstoff  enthaltenden  Verbindungen,  für 
welche  sich  das  specifische  Volum  für  den  Siedpunkt  aus  Beobachtungs- 
resultaten ableiten  lässt.  Die  Substanzen  sind  darin  nach  den  specifischen 
Volumen  geordnet. 

Es  enthält  die  Spalte: 

1.  die  rationellen  Formeln  ausgedrückt  durch  die  alten  S3rmbole  der  Ele- 
mente, 


C.  19.      Vgl.   femer:    Gmelin's  Lehrbuch:    I.   S.  61  u.  64 ff.  IV.  S.  42.    — 
C.  Löwig,  Lehrbuch  der  organischen  Verbindungen.  L  S.  91. 


SpecifiBcheB  Gewicht  fiflsnger  Körper. 


255 


2.  dieselben  Formeln  in  den   Symbolen    der   neueren   Theorie  (atomistische 
Molecularformeln) , 

8.  die  aus  den  Beobachtungsresultaten  hergeleiteten  specifischen  Volume, 

4.  die  nach  Eopp's  Regel  (§.  442)  berechneten  specifischen  Volume. 

5.  die  specifischen  Volume  ausgedrückt  durch  Zahlen .    die  auf  dieselbe  Ein- 
heit bezogen  sind  wie  die  Holeculargewi^ht«. 

6.  die  Moleculargewichte. 

Die  Formeln  der  Spalte  1  sind  gegeben,  um  die  von  Eopp's  Berechnung 
der  specifischen  Volume  der  Verbindung  aus  ihrer  Formel  verständlich  zu  machen 
und  dabei  direct  die  Werthe  beibehalten  zu  können,  die  Kopp  den  einzelne»  de- 
menten beilegt  (§.  442). 

Die  Spalten  5  und  6  sind  beigefügt,  um  ein  Vergleichen  des  specifischen 
Volums  mit  dem  Moleculargewicht  (§.  457)  zu  erleichtem.  Man  sieht  nftmlick 
leicht  ein,  dass  selbst  für  das  Wasser,  welches  als  Ausgangspunkt  des  Vergleichs 
für  die  specifischen  Volume  der  Flüssigkeiten  gewählt  ist,  das  specifische  Volum 
beim  Siedpunkt  nicht  mit  dem  Moleculargewicht  übereinstimmt,  weil  das  speci- 
fische Gewicht  des  Wassers  bei  0®  =  1  angenommen  wird,  so  dass  das  specifischa 
Volum  des  Wassei-s  bei  0^  gleich  dem  Moleculargewicht,  d.  h.  =  18  ist,  während 
der  Ausdehnung  des  Wassers  wegen  das  specifische  Volum  beim  Siedpunkt  = 
18.8  wird. 


Namen. 

1. 

Rationelle 

Formel 

(Kopp), 

2. 

Atomistische 

Molecular- 

formel. 

8. 

Spec.  Vol.  bei 

gefunden. 

4. 

im  Siedpunkt 

berechnet 

(Kopp). 

6. 
Spec.  Volum 

gefunden 
Wasser  =18. 

& 
Mole- 
culap> 

ge- 
wicht 

Wasser 

Jo, 

HU 

18,8 

18,8 

18 

18 

Holzgeist 

^^»0, 

«H^|e 

41,9-^42,2 

40,8 

40,1-41,8 

82 

Ameisensäure 

C.HO,^^ 

40,9—41,8 

42 

39,2—40,8 

46 

Aldehyd 

H 

56,0-66,9 

66,2 

63,6-54,6 

44 

Alkohol 

c^J»o, 

««H^je 

61,8—62,6 

62,8 

69,2-69,8 

46 

Est^igsäure 

^AOao, 

O2H3O    r\ 
Hf 

63,6-^68,8 

64,0 

60,8—61,1 

60 

Ameisensäure- 
Methyläther 

fÄ». 

68,4 

64,0 

60,7 

60 

Aceton 

CAOa 

CA 

€H,f 

77,8—77,6 

78,2 

74,0-74,8 

58 

256 


Physikaüfcher  Theil. 


Namen. 

1. 

Rationelle 

Formel 

(Kopp). 

2. 

Atomistische 

Molecular- 

formeL 

3. 

Spec.  Vol.  be 
gefunden. 

4. 

im  Siedpunkt 

berechnet 

(Kopp). 

5. 
Spec.  Volum 

gefunden 
Wasser  =18. 

6. 
Mole- 
cular- 
ge- 
wicht. 

Propionsäure 

C.H,0,o, 

e.H,|Je 

85,4 

86,0 

81,8 

74 

EBsiffsäure- 
Me&yläther 

'*?&''' 

83,7-86,6 

86,0 

80,1—81,9 

74 

Ameisensäure- 
Aethylftther 

'tk'^ 

»Ar 

84;9-86,7 

86,0 

81,3-82,1 

74 

BenMl 

CA 

6^ 

96,0—99,7 

99,0 

91,9—96,5 

78 

Phenol 

^»»J»o, 

«•"4* 

108,6-104,0 

106,8 

99,2—99,6 

94 

Aether 

Sä«. 

isl« 

106,6—106,4 

106,8 

101,1—101,9 

74 

C.B,0,^ 

eAOj^ 

106,4-107,8 

108,0 

101,9—103,2 

88 

Essigsfinre- 
Aethylfither 

"''oil«' 

^§k1l^ 

107,4-107,8 

108,0 

102,8-103,2 

88 

Wasserfreie 
Essigsäure 

8:SÄ». 

35:1h 

109,9—110,1 

109,2 

106,2—106,4 

102 

Oxalsänre- 
Meihyläther 

C«04    n 

dfit/J^» 

116,3 

117,0 

111,3 

118 

Valeraldid 

C„H,0, 
H 

eA5( 

117,3-120,3 

122,2 

112,3-116,2 

86 

Bittermandelöl 

C,«H,0, 

118,4 

122,2 

113,4 

106 

Amylalkohol 

Ciojiio, 

«.H„[d 

123,6—124,4 

128,8 

118,3—119,2 

88 

Benzylalkohol 

^>«5'0, 

«'«4^ 

123,7 

128,8 

118,4 

108 

Baldriansäure 

'C.AO.o. 

^*^*w}^ 

130,2-131,2 

130,0 

124,7-146,7 

102 

Buttersäure- 
Methyläther 

"•?&«. 

^^ekll^ 

126,7-127,3 

180,0 

120,4—121,9 

102 

Propionsäure- 
Aethyläther 

'•SÄo. 

^€^h 

126,8 

130,0 

120,5 

102 

Benzoesäure 

CiAO,^^ 

H 

126,9 

180,0 

121,6 

122 

Kohlensäure- 
Aethyläiher 

{?Ä).«« 

V/V/         /\ 

(eA)ir» 

138,8-139,4 

137,8 

132,9-138,5 

118 

Baldriansäure- 
Methyläther 

'"?Ä«- 

eH,r 

148,7-149,6 

152,0 

142,4-143,2 

116 

Speeitisches  Gewicht  flässiger  Körper. 


257 


1. 

RationeUe 

Formel 

(Kopp). 

2. 

AtomiBÜsche 

Moleculai-- 

fonuel. 

3. 

SpecVol.  bei 

gefunden. 

4. 

m  Siedpunkt 

berechnet 

(Kopp). 

5. 
Spec.  Volum 

gefunden 
Wasser  =  18. 

6. 
Mole- 
cular- 

g«- 
wicht 

Buitereäure- 
Aelbylülher 

"•SÄ". 

149,1-149,4 

152,0 

142,7-143,0 

116 

Estiigsfiure- 
Butyläther 

"•"cÄ«. 

€4^.r 

149,3 

152,0 

142,9 

116 

Ameisenstture- 
Amyläther 

r^y- 

149,4-150,2 

152,0 

143,0—143,8 

116 

Benzoesäure- 
Methyltither 

""SÄ"' 

^'Iti^ 

148,6—150,3 

152,0 

142,2-143,8 

186 

Naphtalin 

°~5' 

e..H,j 

149,2 

164,0 

142,8 

128 

Methylsalicyl. 
säure 

"tcSÄ"' 

Ä  ^' 

156,2—157,0 

159,8 

149,5-150,3 

152 

OvaUäure- 
Aethyläther 

0.0.  „ 
(OA).  ' 

166,8-167,1 

161,0 

159,7—160,0 

146 

Baldriansäuie- 
Aethylüther 

""?:h^ 

"&!(« 

173.5—173,6 

174,0 

160,3-166,4 

ISO 

Essigsäure- 
Amyläther 

"Ä«. 

173,3-175,5 

174,0 

166,1-168,3 

180 

Benzoesäurc- 
Aethylttther 

""SÄ". 

'm^ 

172,4—174,8 

174,0 

165,2—167,6 

130 

Butyl 

S5: 

184,5-186,6 

187,0 

176,7-178,8 

114 

Cymol 

0„Hu 
H 

^i«Hi» 

183,5—185,2 

187,0 

176,7—177,8 

184 

Cuminol 

Ci«H„Oj 

e„H,.oi 

169,2 

188,2 

181,2 

148 

Bemsteinsäure- 
Aethyläther 

äSSä*' 

209,0 

205,0 

200,1 

174 

Zimmts&urc- 
Aethyläther 

''"SÄ«. 

"^.if. « 

211,3 

207,0 

202,4 

176 

Baldrianstture- 
Amyläther 

^l*> 

w« 

244,1 

240,0 

233,7 

172 

Benzoesäure- 
Amyläther 

^Ä«» 

r^3« 

247,7 

240,0 

237,8 

192 

K  «kaUf  organ 

.  Cbeni«. 

17 

258  Physikalischer  Theil. 

437.  Vergleicht  man    die   aus   den  Beobachtangsresnltaten  hergeleiteten 

specifischen  Volume  (Spalte  3  der  Tabelle)  mit  den  Formeln,  so  findet 
man  zunächst: 

1)  Isomere  Flüssigkeiten  zeigen  gleiche  specifisohe  Volume  (also  auch 
gleiche  speciflsche  Gewichte). 

Z.  B.  Essigsäure  und  Ameisensäure -Methylfither;  Propionsfture ,  Essigsänie- 
Methyläther,  Ameisensäure -Aethylätber;  Buttersäure  und  Essigsäure -Aethylfithcr; 
Baldriansäure,  Buttersäure -Methyläther,  Propionsäure -Aethyläther;  Baldriansäore- 
Methyläthcr,  Buttersäure -Aethyläther,  Essigsäure -Butyläther,  Ameisensäure -Amyl- 
äther  und  endlich  Baldriansäure -Aethyläther  mit  Essigsäure -Amyläther. 

2)  Derselben  Zusammensetzungsdifferenz  entspricht  (bei  analogen  Ver- 
bindungen wenigstens)  auch  dieselbe  Differenz  der  specifischen 
Volume. 

So  ist  z.  B.  ftir  alle  die  Körper,  die  einer  und  derselben  homologen  Reihe 
zugehören,  die  Differenz  der  specifischen  Volume  dieselbe.  Einer  Zusammea- 
Setzungsdifferenz  von  nCaH^  (=  n6H2)  entspricht  eine  Differenz  der  specifischen 
Volume  von  22. 

Dies  zeigt  sich  z.  B.  bei  den  Alkoholen:  Holzgeist,  Aethylalkohol,  Amyl- 
alkohol-, bei  den  Säuren:  Ameisensäure,  Essigsäure,  Propionsäure,  Buttersäure  und 
Baldriansäure;  ebenso  bei  den  Aetherarten  dieser  Säuren;  bei  den  Aethem  der 
Benzoesäure;  bei  denen  der  Oxalsäure  und  Bernsteinsäure  u.  s.  f. 

Die  Benzoesäure  unterscheidet  sich  in  ihrer  Zusammensetzung  von  der  Pro- 
pionsäure ebenso  wie  das  Phenol  vom  Alkohol  (sie  enthalten  8  C  mehr);  die  Diffe- 
renz der  specifischen  Volume  ist  auch  annähernd  dieselbe  (^  42). 

Das  Bittermandelöl  steht  zum  Aldehyd  in  demselben  Verhältniss  wie  die 
Benzoesäure  zur  Essigsäure  (Mehrgehalt  von:  CioHj);  dieser  gleichen  Zusammen- 
setzungsdifferenz  entspricht  dieselbe  Differenz  der  specifischen  Volume  (;=  68)  etc. 

488.  Es  ist  eine  einfache  Folge  hiervon,  dass  häufig  zwischen  den  specifischen  Vo- 

lumen verschiedener  Körper  dieselben  Beziehungen  stattfinden,  wie  zwischen  ihren 
Formeln. 

So  ist  z.  B.  die  Formel  der  Propionsäure  gleich  der  Formel  der  Essigsäure  -^ 
der  der  Buttersäure  dividirt  durch  zwei;  das  specifische  Volum  der  Propionsäure 
ist  gleich  der  Hälfte  der  Summe  der  specifischen  Volume  der  Essigsäure  und  der 
Buttersäure. 

Die  Formel  der  E^opionsäure  ist  auch  gleich  der  verdopptiten  Formel  der 
Essigsäure  —  der  Formel  der  Ameisensäure  und  man  erhält  das  specifische  Volum 
der  Propionsäure,  wenn  man  von  dem  doppelten  specifischen  Volum  der  Essigsäure 
das  der  Ameisensäure  abzieht. 

,  Der  Essigäther  ist  gleich :  Essigsäure  +  Alkohol  —  Wasser;  das  specifische 

Volum  des  Essigäthei*s  wird  erhalten,  wenn  man  von  der  Summe  der  specifischen 
Volume  der  Essigsäure  und  des  Alkohols  das  specifische  Völum  des  Wassers  ab- 
zieht etc. 

Eine  Vergleichung  der  specifischen  Volume  mit  den>  Formeln  zeigt 
'femer: 


SpeciüBcbes  Gewicht  fltissiger  Körper.  259 

8)  Aeqtiivalefite  Mengen   Sauerstoff  und  Wasserstoff  können  sich  er-  439. 
setzen,   ohne  dass  das  speeiflsche  Volum  der  Verbindung  dadurch 
erheblich  geändert  wird. 

So  z.  B.  haben  Holzgeist  und  Ameiseus&ure,  Alkohol  und  Essigsäure, 
Amylalkohol  und  Baldriansäure,  Aether  und  Buttersäure,  Benzylalkohol  und  Ben- 
zoesäure, Cymol  und  Cuminol  etc.  annähernd  gleiches  specifisches  Volum. 

4)  Ebenso  kann  der  Kohlenstoff  den  Wasserstoff  ersetzen  (C  ersetzt  H,  440. 
6  also  2H),   ohne  dass   das  specifische  Volum  dadurch   wesent- 
lich geändert  wird. 

So  haben  s.  B.  annähernd  gleiche  specifische  Volume:  Benzoesäure  mit 
Baldrianaäure,  Benzoesäure* Methyläther  mit  Baldriansäure- Methyläther,  Phenol  mit 
Aether,  Benzylalkohol  mit  Amylalkohol,  Bittermandelöl  mit  Valeraldid,  Cymol  mit 
BntyL  etc. 

Wären  diese  beiden  Sätze  3  und  4  ($$.  439,  440)  genau  richtig,  so  441. 
wäre  das  specifische  Volum   einer  (nur  C,  H  und  0  haltenden)  Verbin- 
dung durchaus  nicht  Yon  ihrer  atomistischen  Zusammensetzung,    sondern 
nur  von  der  Anzahl  der  in  ihr  enthaltenen  Aequiyalente  abhängig. 

Es  müssten  sich  dann  (wie  dies  Schröder  früher  vermuthete)  die  spedfischen 
Volume  verschiedener  Flüssigkeiten  verhalten  wie  die  Summen  der  sie  zusammen- 
setzenden Elemente. 

Sp.  Vol.   C^HbOe  :  Sp.  VoL    C^^Oy  =  (a  +  b  +  c)  :  («  +  /J  +  y) 

z.  B.  die  specifischen  Volume  von  Wasser,  Alkohol  und  Aether  wie  4  :  12  :  20 
denn: 

H^Os  :  CfHgO,  :  CsHioO,  =:  4  :  12  :  20. 

Und  es  mtisste  sich  das  specifische  Volum  einer  Flüssigkeit:  CaHbOc  l^eim  Sied- 
punkt allgemein  aus  der  Formel: 

(a  +  b  +  c)  X  n 

herleiten  lassen ;  worin  n  (dessen  Werth  Schröder  =  5,19  setzt)  das  mittlere  speci« 
fische  Volum  der  Elemente  bezeichnet.  Man  findet  in  der  That,  dass  sich  der  Werth 
von  n'  aus  den  46  oben  aufgeführten  Substanzen  zu  5,1  —  5,6  herleitet*,  so  dass 
man  ibit  Annalime '  einer  Mittelzahl  für  das  specifische  Volum  der  Elemente ,  die 
innerhalb  dieser  Grenzen  liegt,  die  specifischen  Volume  der  Flüssigkeiten  mit  eini- 
ger iiinäherung  aus  obiger  Formel  herleiten  kann.  Die  Uebereinstimmung  ist  für 
viele  Körper  ziemlich  genügend,  für  andere  daigegen  schon  beträchtlich  verschieden  ^ 
ganz  abweichend  aber  ist  der  für  das  specifische  Volum  des  Wassers  sich  nach  die- 
ser Formel  berechnende  Werth  von  dem  durch  die' Beobachtung  festgestellten. 

Dies  hat  Kopp  veranlasst,  diese  an  sich  einflachere  Betrachtung  für  unzuläs-  442. 
sig  zi|  halten   und|  einer  anderen  Betrachtungsweise  den  Vorzug  zu  geben,  nach 
welcher  die  specifisichen  Volume   aller   genauer  untersuchten  Flüssigkeiten  sich  in 
grOSs^er  Uebejpeiiiqtimmung^  mit  den  Beobachtungsresultaten  wiedergeben  lassen. 

iDiese  Betrachtung  geht  von  der  Ansicht  aus,  dass  im  allgemeinen  den  ver- 
sehiedieneB  Elementen  in  den  Verbindungen  'verschiedene  specifische  Volume  zu- 
kommen; sie  nimmt  weiter  an,  dass  ein  und  dasselbe  Element  in  seinen  Verbin- 
dungen^ Je  nach  d^r  SteUe  die  es  einnimmt,  verschiedene  specifische  Volume  be- 
sHceu  ikOnne.    - 

17  ♦ 


260 


Physikalischer  Theil. 


Eine  Vergleichung  der  specifischen  Volume  der  einfacheren  Verbindungen, 
zusammengenommen  mit  den  §§.  437  —  440.  erwähnten  Regelmässigkeiten  führt 
zur  Annahme  der  folgenden  Werthe: 

Das  specifische  Volum  des  Kohlenstoffs  (=  C)  .  .  .  =  5,6 
Das  specifische  Volum  des  Wasserstoffs  (=  fi)  .  .  .  =  5,6 
Das  specifische  Volum  des  Sauerstoffs  (=  0),  der  sich 

innerhalb  des  Radicales  befindet =     6,1 

Das  specifische  Volum  des  Sauerstoffs  (=  €?),  der  sich 
ausserhalb  des  Radicales  befindet,  also  des  typi- 
schen Sauerstoffs =    3,2. 

Das  specifische  Volum  einer  flüssigen  Verbindung  von  der  Formel  =  CaHbOcOd 
ist  demnach  =  5,5  a  -f-  5,5  b  4-  6,1  c  -)-  B,2  d.  Die  aus  dieser  Formel  hergelei- 
teten Werthe  für  die  specifischen  Volume  flüssiger  Verbindungen  (Spalte  4  der 
Tabelle  S.  255)  stimmen  in  der  That  annähernd  mit  den  durch  den  Versuch  fest- 
gestellten überein. 

443.  Kopp  hat  auch  fiir  eine  Anzahl  Schwefel-,  Chlor-,  Brom-,  Jod-  und 

Siickstofihaltiger  Verbindungen  die  speciflschen  Volume .  durch  den  Yer- 
8uch  ermittelt  Die  bis  jetzt  bekannten  specifischen  Volume  solcher  Ver- 
bindungen sind  in  den  folgenden  Tabellen  zusammengestellt.  (Der  Inhalt 
der  einzelnen  Columnen  ist  derselbe  wie  S.  255.) 


1. 

Rationelle 
Foimel 
(Kopp). 

2. 

Atoniistische 

Molecular- 

formel. 

3. 

Spec  Vol.  be 

gefunden. 

4. 

m  Siedpunkt 

berecanet 

(Kopp). 

5. 
Spcc  Volum 

gefunden 
Wasser  =18. 

6. 
Mole- 
cular- 

wichL 

Schwel 

felverbindu 

ngen. 

Schweflige 
Säure 

SaOj^a 

43,9 

42,6 

42,0 

64 

Schwefelkoh- 
lenstoff 

C,S,  S^ 

es.  9 

62,2—62,4 

69,6-59,8 

76 

Mercaptan 

CAä, 

^»^jjU 

76,0-76,1 

77,6 

72,8-72,9 

62 

Schwefelmethyl 

eH,ig 

75,7 

77,6 

72,5 

62 

Zweifach 
Schwefelmethyl 

is:h. 

100,6—100,7 

100,2 

96,4-96,5 

94 

Schwefeläthyl 

^:^ 

ist» 

120,5-121,5 

121,6 

115,4-116,4 

W 

Amylmercap- 
tan 

C„H„^ 

6,H„j^ 

140,1-140,5 

148,6 

184,2-184,6 

104 

Schwefligsäure- 
Aethyläther 

Ä,''* 

(eA)J^> 

148,8-149,5 

149,4 

142,6-148,2 

188^ 

Specifisches  Gewicht  flüssiger  Körper. 


261 


1. 

Empirische 
Formel. 

2. 

Atomistische 

Molecolar- 

formel. 

8 

Spec  Vol.  be 
gefuiden. 

4. 

im  Siedpunkt 

berechnet 

(Kopp). 

6. 
Spec.  Volum 

gefanden 
Wasser =18. 

6. 

Hole- 
cular- 

Chlorverbindan 

gen. 

Monochlor- 
naethylchlorid 

CaHjC), 

eHjCl.Cl 

64,6 

67.6 

61,8 

B» 

Aethykhlorid 

CACl 

6aH5.Cl 

71,2-74,6 

72,8 

68,2-71,4 

64,6 

Acetylchlorid 

C^HsO^Cl 

eaH,0.Cl 

74,4—75,2 

78,6 

71,8-72,1 

78,6 

Bichlorelayl 

CACi, 

eÄci, 

79,9 

78,6 

.76,5 

97 

Chloroform 

.  CaHCl, 

en.ci. 

84,8-86,7 

84,9 

81,2-82,1 

119,5 

Monocblor- 
fithylchlorid 

C4H4Cla 

ejH^ci.ci 

86,9-89,9 

89,6 

88,2-86,1 

99 

Elaylchlorid 

C4H4CI, 

eaH^.Cla 

86,8—86,4 

89,6 

82,1-82,7 

99 

Chlorkohlen- 
stoff 

c,ci. 

e.cu 

104,3—107,0 

102,2 

100-108,7 

154 

Bichloräthyl- 
Chlorid 

C4fl,Cl, 

^Acij-Ci 

106,6—109,7 

106,9 

101,1-106,1 

188,5 

Monochlor- 
elaylchlorid 

CACla 

e,H,01.Cla 

106,4-107,2 

106,9 

100,9—102,7 

188,5 

Chloral 

CjHCljOj 

e,ClaO.H 

108,4—108,9 

108,1 

108,8-104,8 

147,5 

Chlorkohlen- 
stoff 

c,cu 

eaCl4 

115,4 

118,2 

110,5 

166 

Bichlorelayl- 
Chlorid 

C^HaCU 

eaHaClj.Cla 

120,7—121,4 

124,2 

116,6-116,a 

168 

Bntylenchlorid 

C,H,Clj 

64HS.CI, 

129,6-133,7 

133,6 

124,0-128,2 

127 

Amylchlorid 

C|*H„C1 

e^Hn.Cl 

186,4—137,0 

138,3 

129,6-131,2 

106,6 

Ben^oylchlorid 

Ci^H^OjCl 

e,Hj0.ci 

134,2-140,8 

139,6 

128,4-134,9 

140,5 

Trichlorelayl- 
chlorid 

C4HCI» 

6aHCl,.Cla 

148,0 

141,5 

136,9 

202,6 

Brom 

verbindanj 

jen. 

Brom 

Br 

Br, 

27,6-28,7 

27,8 

26,0—27,6 

160 

Methylbromid 

C,H,Br 

eHj.Br 

68,2 

66,8 

66,7 

96 

Aethylbromid 

C^HjBr 

6,H5.Br 

78,4 

77,8 

74,1 

109 

262 


Physikalischer  Theil. 


Elaylbromid 
Amylbromid 


Empirische 
Formel. 


C4H4Br, 
C|oHi|Br 


Atomistische 

Molecular- 

formel. 


€jH4.Br, 
e»H„.Br 


JodverbindnngeQ. 


Meihyljodid 
Aethyljodid 
Amyljodid 


C,H,J 


e,H,.j 


8  4. 

Spec.  Vol.  beim  Siedpmnkt 
gefiinden.    1    berechnet 
(Kopp). 


97,6—99,9 
149,2 


65,4—68,3 
85,9-86,4 


Ammoxiiak 
Aethylamin 

Anilin 


Stickstoff  Verbindungen. 
Ammoniakbasen. 
H,N 

C4H,N 


Amylamin 
Aefhylanilin 
Caprylamin 
Diäthylanilin 


Cl«H|gN 

CaoH,5N 


H}N 


11» 


162,6-168,8       163,0 


Ö.H, 


(- 


Cyanverbin  dangen. 


Cyan 
Blausäure 
Cyanmethyl 
Pyan&thyl 


CjN.H 
CaN.CjH, 
CaN.C^H» 


(€N), 

eisr.H 

eN.OaHj 


22,4-28,8 
65,8 

106,4—106,8 

125,0 

160,6 

190,0 

190,6 


28,9—80,8 
89,1 
54,8 
77,2 


99,6 
148,3 


65,0 
87,0 


18,8 


106,8 
128,8 
150,8 
194,8 
194,8 


28,0 
88,5 
55,5 
77,5 


5. 
Spec  Volum 

gefunden 
Wasser =18. 


6. 
Mole- 
cular- 

wicht 


98,4—95,7 
14i2,9 


62,6—65,5 

82,2—82,7 

146,1—152,4 


21,4—22,8 
62,6 

102,1—102,5 

119,9 

144,8 

18,2 

182,5 


188 
151 


142 
156 
198 


27,6—29,0 
87,4 
52,0 
74,0 


17 
45 

93 

87 

121 

129 

149 


53 
27 
41 
55 


SpedfiBches  Gewicht  flüBsiger  Körper. 


263 


1. 

Rationelle 
Formel 
(Kopp). 


2. 

Atomistische 

Molecular- 

formel. 


3.  4. 

Spec.  Vol.  beim  Siedpunkt 


gefunden. 


berechnet 
(Kopp). 


6. 
Spec  Volum 

gefunden 
Wasser =18. 


6. 
Mole- 
cular- 

wicht. 


Scfawefelcjan- 
methyl 

Cyansänre- 
Aethyläther 

Schwefelcyan- 
äthyl 


Senföl 
Cyanphenyl 


CA^ 


CA*» 

C  jN .  C13H5 


6N   »s 


eN.e.H5 


Nitroverbindungen. 


Dnteraalpeter- 
s&ure 


Salpetrigsäure- 
Hethyläther 

Salpetersäuro- 
Methyläther 

Salpetrigsünre- 
Aethyläther 

Salpetersäure- 
Aethyläther 

Nitrobenzol 

Salpetrigsäure- 
Amyläther 


NO4 


O4 


JK04 
IC4H, 

(C,0H,, 


NO, 

OH; 


N02(zi 

eHar 
e5Hnf 


76,2—78,2 

84,8—84,8 

99,1 

118,1—114,2 
121,6-121,9 

31,7—82,4 

61,6 

69,4 

79,2—84,6 

90,0—90,1 
122,6—124,91 
148,4 


78,1 

85,8 

100,1 

111,1 

121,6 

38,0 

60,5 

68,8 

82,6 

90,3 
126,5 
148,5 


72,0—75,0 
80,7-81,2 

94,9 
108,3-109,4 
116,5—116,8 

80,4-81,1 

59,2 

66,4 

75,8-81,2 

86,2—86,8 

117,4-119,6 

142,1 


73 


71 


87 


99 


108 


61 

77 

76 

91 
128 
117 


264  Phy8ikftliBcLer  Theil. 

444.  ^'ie  bei  den  nur  Kohlenstoff,  Wasserstoff  und  Sauerstoff  enthalten- 
den Verbindungen,  so  zeigt  sich  auch  bei  den  Substanzen,  die  in  den 
vorstehenden  Tabellen   enthalten   sind,  dass  für  viele  Falle  die  JJ.  437 

■  — 440  erwähnten  Regelmässigkeiten   statthaben.     Es  ist  leicht,  Beispiele 
dazu  in  den  Tabellen  aufzufinden. 

445.  '  Will  man  die  specißschen  Volunie  der  Verbindungen  aus  ihrer  Zasammen- 
Setzung,  also  aus  ihren  Formeln  herleiten,  so  muss  man  für  den  Schwefel,  wie  fBr 
den  Sauerstoff  (§.  442}  zwei  verschiedene  specifische  Volume  annehmen.  Kopp 
nimmt  an  es  sei: 

Das   specifische  Volum  des  Schwefeis  (=  S),  wenn  derselbe 

im  Radical  befindlich =     14,3 

Das  specifische  Vohim   des  Schwefels  (=  5),   wenn  er  sich 

ausserhalb  des  Radicals  befindet =     11,3 

Für  Chlor,  Brom  und  Jod  nimmt  man  an,  es  sei: 

Das  specifische  Volnm  des  Chlors  (=  Cl) =    22,8 

»^  «  w         ^t         n       (=  Br) =     ^'^'ß 

«  «  n         1^         V       (=J)       =     8^1*^ 

Für  den  Stickstoff  nimmt  man  an,  es  sei: 

Das  specifische  Volum  des  Stickstoffs  (=  N)  in  dem  Ammo- 
niak und  den  Ammoniakbasen =      2,3 

Das  specifische  Volum  des  Cyans  (=  CjN) =    28,0 

(folglich  das  specifische  Volum  des  Stickstoffs  in  den 

Cyanverbindungen  =  17) 

Das  specifische  Volum  der  Nitrogruppe  (=  NO4)      .    .    .    .     =    33,0 

(mithin  das  specifisclie  Volum  des  Stickstoffs  in  den 

Nitroverbindungen  =  8,6). 

Mit  Annahme  dieser  specißschen  Volume  der  Bestandtheile  kann  das  speci- 
fische Volum  der  sie  enthaltenden  Verbindungen  in  ziemlfcher  Uebereinstimmong 
mit  den  Ergebnissen  der  Versuche  aus  den  Formeln  hergeleitet  werden.  Vgl. 
Spalte  4  der  Tabellen. 

446.  ^i®  ™  Vorhergehenden  erörterten  Beziehungen  zwischen  dem  spe- 
cifischen  Volum  der  Flüssigkeiten  und  ihrer  chemischen  Zusammensetzung 
machen  es  möglich,  das  specifische  Volum  und  folglich  das  specifische 
Gewicht  (filr  den  Siedpunkt)  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  voraus  zu 
bestimmen. 

Man  kann  dabei  in  verschiedener  Weise  verfahren.  Man  kann  nach  der  von 
Kopp  gegebenen  Regel  (§.  442)  das  specifische  Volum  der  Verbindung  aus  den 
specifischen  Volumen  der  sie  zusammensetzenden  Elemente  herleiten.  Für  viele 
Fälle  gibt  auch  die  Regel  von  Schröder  (§.  441)  annähernd  stimmende  Resultate. 
Man  kann  auch  direct  die  §.  438  erwähnten  Anaiogieen  benutzen,  also  das  speci- 
fische Volum  einer  Substanz  aus  den  bekannten  specifischen  Volumen  anderer  Kör- 
per herleiten,  zu  welchen  die  Substanz  in  einfacher  Beziehung  steht  Eine  genaue 
Üebereinstimmung  des  berechneten  specifischen  Volums  mit  dem  durch  den  Ver- 
such gefimdenen  ist  indess,  wie  eine  Vergleichung  der  Spalten  8  und  4  der  Tabelle 
^ig^,  nur  in  den  wenigsten  Fällen  vn  erwarten. 


Specifisches  Gewicht  flüssiger  Körper.  265 

Die  Vorausbestimmung  des   speeifischeD  Volams   und   folglich  defi  447. 
epecifischen  Gewichts  bei  einer  anderen  Temperatur  als  dem  Siedpunkt^ 
setzt  natürlich  noch  die  Eenntniss  der  Ausdehnung  voraus. 

Wärde  die  von  Kopp  gegebene  Betrachtungsweise  (§.  442)  die  Beobachtao-  448. 
gen  mit  grösserer  Sehttrfe  wiedergeben,  so  wfiren,  wenn  die  Ausdehnung  einer 
Flüssigkeit  und  ihr  specifisches  Volum  bei  irgend  einer  Temperatur  bekannt  wären, 
Schlüsse  auf  ihren  Siedpunkt  und  ebenso,  wenn  das  specifische  Volum  bei  irgend 
einer  Temperatur  und  der  Siedpunkt  bekannt  wären,  Schlüsse  auf  ihre  Ausdehnung 
möglich.  Für  alle  diese  Schlussfolgerungen  müssten  indess,  wie  Kopp  selbst  her- 
vorhebt, die  Berechnungen  nach  jenem  Ausdruck  die  Beobachtungsresultate  genauer 
wiedergeben  und  der  Ausdruck  selbst  müsste  eine  sicherere  Grundlage  haben,  als 
dieses  der  Fall  ist 

In  umgekehrter  V^eise  aus  dem  durch  den  Versuch  festgestellten  449. 
specifischen  Volum  Anhaltspunkte  für  die  chemische  Zusammensetzung, 
also  die  chemische  Formel  herzuleiten,  ist  bis  jetzt  nicht  möglich  *)• 
Dass  die  Moleculargrösse  aus  dem  speciflschen  Volum  nicht  hergeleitet 
werden  kann,  ist  einleuchtend,  weil  das  specifische  Volum  die  Annahme 
einer  Formel  von  bestimmter  Grösse  voraussetzt,  indem  es  der  Quotient 
aus  dem  speciflschen  Gewicht  in  die  durch  die  Formel  ausgedrückte  Ge- 
wichtsmenge ist 

Zur  Berechnung  des  specifischen  Gewichts  aus  der  Formel  ist  also  nicht  die 
11  olecularformel ,  sondern  nur  eine  Verhältnissformel  nöthig;  für  den  Aether  z.  B. 
berechnet  sich  das  specifische  Gewicht  gleich  gross,  mag  man  die  Formel  =  C4H5O 
oder  =  CgHioO]  annehmen,  das  specifische  Volum  wird  für  die  zweite  Formel 
doppelt  so  gross,  vne  für  die  erste,  da  aber  die  durch  die  Formel  ausgedrückte 
Gevdchtsmenge  auch  doppelt  so  gross  ist,  so  bleibt  der  Quotient  (welcher  das 
specifische  Gewicht  ausdrückt)  derselbe. 

Erwähnung  verdient  es  endlich  noch,  dass  bisweilen  Körper  von  450. 
ganz  verschiedener  Zusammensetzung,  von  verschiedenem  Molecular- 
gewicht  und  verschiedenem  speciflschen  Gewicht  doch  gleiche  specifische 
Volume  zeigen.  So  dass  also  die  durch  die  Molecularformel  ausgedrückten 
Mengen,  welche  gleichzeitig  diejenigen  Mengen  sind,  die  in  DampfPorm 
gleichen  Raum  erfüllen,  auch  im  flüssigen  Zustand  gleiche  relative  Raum- 
erfüllung zeigen. 

So  ist  z.  B.  das  specifische  Volum  gleich  für:  Alkohol  {GjH.G),  Schwefel- 
kohlenstoff (GS3)  und  Salpetrigsäure -Methylttther  (GH,. NO,);  es  ist  gleich  für: 
Chloroform  (GHCI3),  Elaylchlorid  (62H4CI,),  Aethyljodid  (62H5J)  etc. 

Bei  Flüssigkeiten  kommt  es  also  auch  bisweilen  vor,  dass  gleiche 
Volume  eine  gleiche  Anzahl  von  Molecülen  enthalten.  Aber  was  bei  gas- 
förmigen Körpern  allgemeine  Regel  ist,  ist  bei  Flüssigkeiten  eine  verhält- 
nissmässig  selten   vorkommende  Ausnahme.     Ob  der  Uebereinstimmung 


*}  In  Betreff  der  Ableitung  der  Constitutionsformel  aus  dem  specißschen  Volum 
vgl.  S.  4()3. 


266  Physikalischer  Theil. 

der  speoifischen  Yolame  in  diesen  F&Ilen  ein  tieferliegendes  Gesetz  zu 
Grunde  liegt  oder  ob  sie  rein  zufallig  sind,  läs'st  sich  vorerst  nicht  ent^ 
scheiden. 

461.  Die  im  Vorhergehenden  mitgeiheilten  Eesultate  der  Aber  die  q)eoi- 

fischen  Volume  (also  die  speoifischen  Gewichte)  flüssiger  Verbindungen 
angestellten  Untersuchungen  lassen  einige,  namentlich  innerhalb  gewisser 
Gruppen  von  Verbindungen  stattfindenden  Regelmässigkeiten  mit 
Sicherheit  erkennen.  Sie  weisen  also  auf  das  Bestimmteste  darauf  hin^ 
dass  gesetzmässige  Beziehungen  zwischen  den  specifischen  Volu- 
men (also  specifischen  Gewichten)  und  der  chemischen  Zusammensetzung 
auch  bei  flüssigen  Verbindungen  stattfinden.  Welcher  Art  diese  Bezie- 
hungen aber  sind,  ist  bis  jetzt  nicht  ermittelt 

452.  Die  von  Kopp  gegebene  Betrachtungsweise  kann,  insofern  die  aus  ihr  her- 
geleiteten specifischen  Volume  mit  den  durch  den  Versuch  festgestellten  annähernd 
übereinstimmen,  als  ein  brauchbarer  Ausdruck  für  die  bis  jetzt  erkannten  Be~ 
sdehungen  zwischen  der  Zusammensetzung  und  dem  specifischen  Volum  angesehen 
werden;  aber  sie  ist  darum  nicht  als  richtig,  nicht  als  Ausdruck  der  den  that- 
sttchlichen  Beziehungen  *zu  Grunde  liegenden  Gesetze  zu  betrachten.  Man  kann 
sich  sogar  darüber  nicht  tauschen,  dass  diese  Betrachtungsweise,  wenn  man  sie 
als  Theorie  auffassen  woUte  (was  Kopp  selbst  nicht  ihut)  wenig  Wahrscheinlich- 
keit für  sich  hat,  insofern  sie  mit  den  Vorstellungen,  die  man  Über  die  Constitu- 
tion der  Materie  hat ,  nicht  in  Uebereinstimmung  steht.  Man  sieht  nämlich  leicht 
ein^  dass  das  specifische  Gewicht  eines  Körpers  abhängig  ist  von  dem  specifischen 
Gewicht  der  die  Molecüle  bildenden  Materie  und  ausserdem  noch  von  dem  Verhttltniss, 
in  welchem  der  von  den  Molecülen  vnrklich  erfüllte  Raum  zu  dem  ganzen  Raum 
steht,  welchen  der  Körper  einnimmt.  Das  specifische  Volum  setzt  sich  also  zusammen 
aus  den  relativen  Gewichten  der  Molecüle,  aus  den  specifischen  Gewichten  der  Mo- 
lecüle und  noch  aus  dem  Verhältniss,  welches  zwischen  der  räumlichen  Grösse 
der  Molecüle  und  der  Grösse  der  sie  trennenden  Räume  stattfindet  Wenn  es  mög- 
lich wäre  (wozu  bis  jetzt  keinerlei  Anhaltspunkte  vorhanden  sind)  die  Verhältnisse 
zu  ermitteln,  welche  zwischen  der  Grösse  der  Molecüle  und  ihren  Abständen  statt- 
finden, so  würde  sich  daraus  das  specifische  Gewicht  und  somit  das  specifische 
Volum  der  Molecüle  selbst  (das  wirkliche  Molecularvolum)  herleiten  lassen;  aus 
einer  Vergleichung  der  Molecularvolume  verschiedener  Körper  Hessen  sich  dann 
die  specifischen  Volume  der  die  Molecüle  zusammensetzenden  Atome  herleiten,  und 
es  wäre  möglich,  dass  man  so  selbst  aus  sehr  verschiedenen  Verbindungen  für 
dasselbe  Element  stets  dasselbe  specifische  Volum  der  Atome  fünde  und  dass  nur 
die  Abstände  der  Molecüle  relativ  verschieden  wären.  Die  von  Kopp  gegebene 
Betrachtung  schliesst  den  Gedanken  ein,  die  relativen  Abstände  der  Molecüle  seien 
stets  dieselben  und  sie  muss  so,  indem  sie  bei  der  Berechnung  der  specifischen 
Volume  der  Elemente  aus  denjenigen  der  Verbindungen  (wobei  sie  den  Zwischen- 
raum der  Molecüle  gleichmässig  auf  die  verschiedenen  Elemente  vertheilt),  zu  ver- 
schiedenen Werthen  fär  dasselbe  Element  führen,  wenn  für  verschiedene  Körper- 
gruppen  das  Verhältniss  zwischen  den  Abständen  der  Molecüle  und  ihrer  Grösse 
verschieden  ist 

453.  Diese  Betrachtungen  schienen  nöthig,  weil  man  versucht  sein  könnte,  aus 
Kopp's  Regel  zur  Berechnung  der  specifischen  Volume  Schlüsse  zu  ziehen,  die  nicht 


Specifisches  Gewicht  flfissiger  Körper.  267 

daraus  gezogen  werden  können,  so  lange  diese  Regel  nicht  auf  eine  richtige  oder 
wenigstens  wahrscheinliche  Vorstellung  begründet  ist 

Wftre  nämlich,  so  wie  dies  die  Kopp'scfae  Regel  annimmt,  das  spedfische 
Volum  eines  und  desselben  Elementes  in  verschiedenen  Verbindungen  yersehieden, 
sei  es,  veranlasst  durch  die  relative  Stellung,  sei  es,  weil  das  Element  in  den  ver- 
schiedenen Verbindungen  in  verschiedenen  Modificationen  (wie  man  sich  ausdrückt) 
enthalten  ist;  so  würde  diese  Verschiedenheit  des  spediischen  Volums  eine  wirk- 
liche Verschiedenheit  der  inneren  Constitution  der  Verbindung  andeuten.  Die  Be- 
stimmung^ der  spedfischen  Volume  würde  also  Anhaltspunkte  darbieten  zur  Fest- 
Btellung  von  wirklichen  Constitutionsfonneln,  d.  h.  von  Formeln,  die  eine  wirkUche 
Verschiedenheit  der  relativen  SteUung  der  Atome  ausdrücken. 

Wenn  man  z.  B.  das  spedfische  Volum  des  Sauerstoffs  aus  seinen  Verbin- 
dungen berechnet,  z.  B.  aus: 

AlkohoL  Aldehyd.  Essigsäure. 

mit  der  Annahme,  das  specifische  Volum  von  C  sei  =  6,5;  das  spedfische  Volum 
von  H  ebenfalls  =  5,6  —  eine  Annahme,  die  sich  daraus  ergibt,  dass  ($.  487) 
homologe  Körper  fllr  die  Zusammensetzungsdifferenz  von  C^H)  dne  Differenz  der 
spedfischen  Volume  von  22  zeigen  und  dass  (§.  440)  der  Kohlenstoff  den  Wasser- 
stoff ersetzen  kann,  ohne  Aenderung  des  spedfischen  Volums;   so  dass  demnach: 

22 
G  =  H  =  -7  =  6,6  —  so  findet  man  das  specifische  Volum  von  0  im  Alkohol 
4 

=  8,2;  das  specifische  Volum  von  O  im  Aldehyd  =  6,1.  Für  die  Essigsäure  muss 
man  für  die  Hälfte  des  Sauerstoffs  das  specifische  Volum  =  8,2,  für  die  andere 
Hälfte  das  spedfische  Volum  r=  6,1  annehmen.  Wollte  man  aus  der  Essigsäure 
das  specifische  Volum  von  O  zu  4,6  ableiten,  so  würden  die  berechneten  spedfi- 
schen Volume  weder  für  den  Alkohol ,  noch  für  den  Aldehyd  mit  den  Ergebnissen 
der  Versuche  übereinstimmen;  ebenso  wenig  gibt  das  aus  dem  Alkohol  hergelei- 
tete specifische  Volum  des  Sauerstoffs  für  den  Aldehyd,  oder  das  aus  dem  Aldehyd 
hergeldtete  für  den  Alkohol  stimmende  Zahlen.  Man  muss  also  für  den  Sauerstoff 
verschiedene  specifische  Volume  annehmen.  Diese  verschiedenen  spedfischen  Vo- 
lume stimmen  nun,  in  den  erwähnten  Beispielen  und  (wie  man  sich  aus  den  Ta- 
beUen  überzeugt)  in  nahezu  allen  Fällen  überein  mit  der  verschiedenen  Stellung, 
welche  man  in  den  gebräuchlichsten  typischen  Formeln  dem  Sauerstoff  gibt.  Der 
Sauerstoff  im  Radical  hat  ein  anderes  specifisches  Volum  wie  der  typische  Sauer- 
stoff. ICan  könnte  gendgt  sein ,  daraus  zu  schliessen ,  dass  die  typischen  Formeln 
nicht  nur  die  Beziehungen  und  die  Metamorphosen  der  Körper  ausdrücken,  son- 
dern vielmehr  eine  wirkliche  Verschiedenhdt  der  inneren  Constitution. 

Dann  wäre  natürlich  fOr  einen  und  densdben  Körper  nur  eine  Formd  zu-  454. 
lässig.    Der  Aldehyd  müsste  dem   spedfischen  Volum  nach  dem  Wasserstofftypus 
zugezählt  werden: 


Aldehyd 


268  Physikalischer  Theil: 

tnhn  könnte  ihm  nicht  die  Fonneln: 

^A|Oa   =  ^»*^je  oder  C^H^.O,  =  eX.O 

beilegen,  obgleich  diese  Fonneln  manche  Metamorphose  besser  ausdrücken*). 
Die  Essigsäure  müsste  durch  die  Formel: 
Essigsäure. 

ausgedrückt   werden,   die  die  H&lfte   des  Sauerstoffs  im  Radical   annimmt;    man 
dürfte  ihr  nicht  etwa  die  Formel : 


kjo.  =  ^»^^h» 


beilegen,   obgleich  diese  Formel   manche  Beziehungen  und  Metamorphosen  besser 
ausdrückt  wie  die  andere  (vgl.  §.  246)! 

455.  Man  könnte  vielleicht  den  Unterschied  zwischen  dem  Propionaldehyd ,  dem 
Aceton  und  dem  Allylalkohol  durch  die  Constitutionsformeln  ausdrücken: 

Propylaldehyd.  Aceton.  Allylalkohol. 

«A^        «-lig        «■■&!• 

und  ebenso  die  Verschiedenheit  des  Aldehyds  und  des  (von  Wurtz  in  neuester  Zeit 
entdeckten)  Glycoläthers  durch  die  Constitutionsformel : 

Aldehyd.  Glycolfither. 

456.  ^8  ist  möglich,  es  ist  sogar  wahrscheinlich,  dass  spätere  Forschungen 
Schlüsse  auf  die  innere  Constitution  der  Verbindungen  gestatten  und  das  Aufstellen 
wirklicher  Constitutionsformeln  ermöglichen  werden.  Bei  dem  Jetzigen  Stand  unse- 
rer Kenntnisse  muss  ein  solcher  Versuch  für  verfrüht  angesehen  werden  und  es 
scheint  geeigneter,  die  chemischen  Formeln  vorerst  —  bis  die  Zahl  der  Anhalts- 
punkte sich  vermehrt  hat  —  nur  für  rationelle  Formeln  (d.  h.  für  einen  Ausdruck 
der  Beziehungen  und  Metamorphosen),  nicht  aber  für  Constitutionsformeln 
gelten  zu  lassen.  Jedenfalls  aber  sind  theoretische  Schlüsse  auf  die  innere  Consti- 
tution der  Verbindungen  aus  ihrem  specifischen  Volum  —  bei  unseren  jetzigen 
Kenntnissen  über  diesen  Gegenstand  —  unzulässig,  weil  die  ganze  Betrachtung 
dieses  Gegenstandes  und  auch  die  der  Berechnungsregel  zu  Grunde  liegende  Idee 
nicht  auf  theoretische  Anschauung  begründet  ist  — 


Ö  H  i 
*)  Die  erstere:      '  4>0   z.  B.   die  in  neuester  Zeit  von  Hamitzki   beobachtete 

Zersetzung  des  Aldehyds  durch  Phosgen  (=  GOClj),  wobei  das  Chlorid: 
OaH^Cl  entsteht;  die  letztere  die  Bildung  von  Chloräthyliden  =  62H4.CI3, 
bei  Einwirkung  von  Phosphoroxychlorid  aal'  Aldehyd  etc.  — 


Specifisches  Gewicht  fltlBBiger  Körper.  269 

Fasst  man  Alles  zusammen ,  was  bis  jetzt  Ober  die  specifischen  Ge-  457. 
Wichte  flüssiger  Körper  bekannt  ist,   so  .sieht  man,  dass  zwar  thatsäch- 
liche  Beziehungen  nachgewiesen,  dass  aber  ein  Gesetz  noch  nicht 
erkannt  ist 

Eine  Yergleichung  der  Moleculargewichte  (Spalte  6  der  Tabellen) 
und  auch  der  atomistischen  Zusammensetzung  mit  den  specifischen  Vo- 
lumen gestattet  vielleicht  schon  jetzt  Schlüsse  auf  die  Natur  der  Materie 
im  flüssigen.  Zustand,  von  welchen  einige  hier  Platz  finden  mögen. 

Dazu  ist  es  geeignet,  die  specifischen  Volume  auf  dieselbe  Einheit  zu  bezie- 
hen, auf  welche  man  die  Moleculargewichte  bezieht,  also  auf  Wasser  =18*,  (vgl. 
Spalte  6  der  Tabellen.) 

Man  findet: 

1)  Die  specifischen  Volume  der  verschiedenen  Körper  sind  verschieden.  Gleiche 
Räume  flössiger  Körper  enthalten  also  niclit  gleich  viel  Molecttle. 

2)  Die  specifischen  Volume  sind  nicht  gleich  den  Moleculargewichten  *).  Man 
kann  also  nicht  annehmen,  das  specifische  Gewicht  der  Molecüle  selbst  sei 
gleich,  die  Verschiedenheit  der  Moleculargewichte  sei  nur  durch  die  verschie- 
dene Grösse  der  MolecÜle*  veranlasst  und  es  sei  gleichzeitig  das  Verhältniss 
der  Zwischenräume  der  Molec^e  zu  der  Grösse  der  MolecÜle  für  sJle  Körper 
dasselbe. 

8)  Die  specifischen  Volume  wachsen  im  Allgemeinen  mit  den  Moleculargewich- 
ten, wenn  auch  nicht  in  demselben  Verhältniss.  Man  kann  daraus  schlies- 
sen,  dass  der  von  den  Molecülen  vnrklich  eriüllte  Raum  schon  beträchtlich 
gross  ist  im  Verhältniss  zu  dem  ganzen  Raum,  den  die  Flüssigkeit  einnimmt 

4)  Für  isomere  Substanzen,  also  ftlr  Körper,  deren  Moleculargewicht  und  deren 
Zusammensetzung  gleich  ist,  sind  auch  die  specifischen  Volume  gleich  **)., 
Man  kann  demnach  annehmen;  für  isomere  Substanzen  sei  das  specifische 
Gewicht  der  MolecÜle  selbst  dasselbe;  die  Molecüle  seien  gleich  gross  und 
stünden  in  gleichen  Abständen. 

5)  Für  polymere  Körper  ist  das  specifische  Volum  desjenigen  Körpers,  dem  die 
doppelte  Molecularformel  zukommt,  doppelt  so  gross  als  das  specifische 
Volum  des  andern  ***).  (Z.  B.  Aldehyd  mit  Buttersäure  und  Essigsäure- 
Aethyläther,  Aceton  uhd  Buttersäure -Aethyläther,  Valeraldid  und  Baldrian- 
säure-Amyläther;  dasselbe  findet  auch  noch  annähernd  statt  bei  Körpern, 
die  nahezu  polj^mer  sind ;  z.  B.  bei :  Propionsäure  und  Oxalsäure- Aethyläther ; 
Buttersäure  und  Bemsteinsäure- Aethyläther).  Da  bei  diesen  Körpern  der 
gleichen  atomistischen  Zusammensetzung  der  Molecüle  wegen  ein  gleiches 
spedfisches  Gewicht  der  Molecüle  wahrscheinlich  ist,  so  scheint  es,  dass  in 
diesen  Fällen  wenigstens  der  Raum  zwischen  den  Molecülen  in  demselben 
Verhältniss  wächst  wie  der  vom  Molecfil  erfQUte  Raum,  so  dass  die  Molecüle 
bei  dem  einen  Körper  doppelt  so  gross  sind  als  die  Molecüle,  und  die  Zwi- 


*)  Dies  könnte  nur  der  Fall  sein ,  wenn  alle  Flüssigkeiten  bei  den  Siedpunkten 

dasselbe  specifische  Gewicht  besässen. 
**)  Also  auch  die  specifischen  Gewichte  bei  den  Siedpunkten« 
***)  Also  sind  die  specifischen  Gewichte  bei  den  Siedpunkten  gleich. 


270  Physikalischer  Theil. 

schenrftume  des  einen  doppelt  so  gross  als  die  Zwischeuräume  des  andern 
Körpers. 

6)  Da  für  homologe  Körper,  mögen  die  Moleculargewichte  klein  oder  gross 
sein,  die  Differenz  der  specifischen  Volume  fär  dieselbe  Differenz  der  Zu- 
sammensetzung dieselbe  bleibt,  so  scheint  es,  als  stünden  bei  den  derselben 
homologen  Reihe  zugehörigen  Körpern  die  Zwischenrfiunie  zwischen  den 
Holecfilen  in  einem  constanten  Verhältniss  zu  ihrer  Grösse. 

7)  Da  Körper  von  gleichem  Moleculargewicht  aber  verschiedenei'  Zusammen- 
Setzung  sehr  verschiedene  specifische  Volume  besitzen  und  da  meistens  daß 
specifiache  Volam.  dann  kleiner  ist,  wenn  die  Verbindung  Elemente  von  grös- 
serem Atomgewicht  enthält,  (z.  B.  Ameisensäure   <  Alkohol,  Propionsäure 

<  Aether,    wasserfreie   Essigsäure    <  Baldriansäure,    Bichloräthylchlorid 

<  Cymol,  etc.),  so  scheint  es,  als  ob  die  Elemente  von  schwererem  Atom- 
gewicht in  ihrer  Substanz  specifisch  schwerer  seien  und  so  das  speci tische 
Gewicht  des  Molecüls  grösser  machten  etc. 

Alle  diese  Betrachtungen  haben  bis  jetzt  noch  verhftltnissmässig  we- 
nig Werth,  weil  der  Boden,  auf  welchem  sie  stehen,  noch  zu  unsicher 
ist  Aber  gerade  das  Mangelhafte  und  Unsichere  der  Yorstellungen ,  die 
sich  aus  den  bis  jetzt  erforschten  Thatsachen  herleiten  lassen,  zeigt  deut- 
lich, wie  wichtig  und  wie  verdienstlich  alle  experimentellen  Forschungen 
auf  diesem  Gebiete  sind. 


Specifisches  Gewicht  fester  Körper. 

458.  Die  specifischen  Gewichte  fester  Körper  sind  yielfaeh  Gegen- 

stand der  Untersuchung  gewesen.  Wie  bei  den  flflssigen  Substanzen,  so 
hat  man  auch  bei  den  festen  durch  Yergleichung  der  specifischen  Vo- 
lume mit  den  Moleculargewichten  und  mit  der  chemischen  Zusammen- 
setzung eine  Anzahl  von  Beziehungen  mit  Sicherheit  aufgefunden.  Alle 
diese  Untersuchungen  erstrecken  sich  indessen  ausschliesslich  auf  unorga- 
nische Verbindungen;  über  die  specifischen  Volume  fester  organischer 
Substanzen  ist  noch  so  gut  wie  Nichts  bekannt 

Die  wichtigsten  Regelmässigkeiten,  die  für  die  specifischen  Volnmc  fester  un- 
organischer Körper  bis  jetzt  erkannt  worden  sind ,  sind  die  folgenden  *) : 

Die  specifischen  Volume  fester  Körper  sind  im  Allgemeinen  verschieden. 

Selbst  die  specifischen  Voiume  der  Elemente  sind  im  Allgemeinen  verschieden 
und  stehen  nicht  einmal  in  einfacher  Beziehung.  —  Indessen  finden  sich 
einige  Gruppen  von  stets  in  chemischer  Natur  ähnlichen  und  meist  in  ihren 
Verbindungen  isomorphen  Elementen,  für  welche  das  specifische  Volum  das- 
selbe ist. 


*)  Vgl.  Lehrbuch  der  physikalischen  und  tlkeoretJschen  Chemie  von  Büff,  Kopp 
und  Zamminer.  S.  742  fft  —  fitere  Untersuehiingen  von  H.  Schiff  in  Annälen 
der  Chan.  u.  Pharm.:  GVn.  64  und  CVm.  21^  -^ 


SpedfiBches  Gewicht  fester  Körper.  271 

Die  specifischen  Volame   der  Verbindungen  sind   ebenfalls  im  Allgemeinen  ver- 
schieden.   Auch  hier  finden  eich  Gruppen  von  Verbindungen,  die  annähernd 
gleiches   specifisches  Volum   zeigen.      Diese  Gruppen   schliessen  fast  immer 
chemisch   analoge  und  analog  zusammengesetzte,   meistens  auch  noch  iso- 
morphe Körper  ein. 
Für  diese  letzteren  findet  ausserdem  noch,   wie  Kopp*)  gezeigt  hat,  eine 
merkwürdige  Beziehung  zwischen  specifischem  Volum  und  Krystallform  statt.    Die 
geringen  Verschiedenheiten  der  annähernd  gleichen  specifischen  Volume  sind  stets 
von  einer  geringen  Verschiedenheit  in  den  Winkeln  der  sonst  isomorphen  Substan- 
zen begleitet. 

Endlich  entspricht  derselben  Zusammensetzungsdifferenz  häufig,  aber  nicht 
immer  dieselbe  Differenz  der  specifischen  Volume. 

Da  wie  bei  den  Flüssigkeiten,  so  auch  bei  den  festen  Körpern,  die  specifi- 
schen Gewichte  derselben  Substanz  bei  verschiedenen  Temperaturen  verschieden 
sind,  so  müssten  offenbar  (und  dadurch  werden  diese  Untersuchungen  wesentlich 
erschwert)  diejenigen  specifischen  Volume  verglichen  werden,  welche  die  verschie- 
denen Körper  bei  entsprechenden  Temperaturen,  etwa  bei  den  Schmelzpunkten 
zeigen. 


Specifische  Wärme. 

Gleiche  Mengen  yerschiedener  Körper  nehmen  bekannüich,  um  ihre  459. 
Temperatur  um  gleichviel  zu  erhöhen,  nicht  gleich  grosse  Wärmemengen 
auf  und  geben  umgekehrt,  um  ihre  Temperatur  um  eine  gleiche  Anzahl 
von  Graden  zu  erniedrigen,  nicht  gleiche  Wärmemengen  ab.  Man  be- 
zeichnet diejenigen  relativen  Wärmemengen,  die  fttr  verschiedene  Körper 
nötbig  sind,  um  eine  gleiche  Temperaturerhöhung  hervorzubringen,  als 
specifische  Wärme. 

Man  vergleicht  dabei  gewöhnlich  gleiche  Gewichtsmengen*  der  verschie- 
denen Körper  und  man  bezeichnet  mit  specifischer  Wärme  diejenigen  Wärmemen- 
gen, welche  nöthig  sind,  um  gleiche  Gewichtsmengen  verschiedener  Körper  um 
l^  Geis,  zu  erwärmen.  Man  drtickt  dabei  meistens  die  specifischen  Wärmen  durch 
Zahlen  aus,  welche  angeben,  wieviel  mal  grösser  die  zur  Erwärmung  eines  be- 
stimmten Körpers,  um  1®  Gels,  .verwendete  Wärmemenge  ist  als  diejenige,  die  das- 
selbe Gewicht  Wasser  um  1^  Gels,  erwärmt  Man  drückt  also  die  specifischen 
Wärmen  durch  Zahlen  aus,  für  welche  die  specifische  Wärme  des  Wassers  =  1 
angenommen  wird. 

Die  Anzahl  derjenigen  Körper,  deren  specifische  Wärmen  durch  den  460. 
Versuch  festgestellt  sind ,  ist  noch  verhältnissmässig  gering;  ganz  beson- 
ders sind  organische  Verbindungen  in  Bezug  auf  specifische  Wärme  noch 
scfhr  wenig  untersucht.  —  Die  Resultate  der  bis  jetzt  ausgeführten  Expe* 
rimentaluntersuchungen  deuten  mit  Sicherheit  darauf  hin,  dass  gesetz- 
mässige  Beziehungen  zwischen   der  specifischen  Wärme  der  Körper  und 


•)  Annalen  der  Chem.  u.  Pharm.  XXXVI.  1. 


272  Physikalischer  Theil. 

ihrer  chemischen  Zusammensetzung,   namentlich  ihrem  Moleculargewicht 
stattfindet.      Die   diesen  Beziehungen   zu  Grunde  liegenden  Gesetze   sind 
aber  noch  nicht  mit  Sicherheit  ermittelt. 
461.  Bei  den  Elementen  steht  häufig  die   specifische  Wärme  im   umge- 

kehrten Verhältniss  der  Moleculai-gewichte.  Diejenigen  Mengen  der  ver- 
schiedenen Elemente,  die  eine  gleichgrosse  Anzahl  von  Molecttlen  ent- 
halten, nehmen  also,  um  ihre  Temperatur  um  gleichviel  Grade  zu  erhöhen, 
häufig  gleichgrosse  Wärmemengen  auf.  —  Gesetz  von  Dulong  und  Petit.  — 
Aber  selbst  für  Elemente  findet  diese  Beziehung  nicht  durchgehends  statt; 
bei  Verbindungen  zeigt  sie  sich  nur  in  verhältnissmässig  wenig  Fällen 
und  dann  innerhalb  gewisser  Gruppen  von  Verbindungen,  die  in  chemi- 
scher Hinsicht  analoge  Körper  einschliessen  *). 

Specifische   Wärme  gasförmiger  Körper. 

402.  I^ie  folgende  Tabelle  entliält   die  specifischen  Wärmen   der  gasför- 

migen Körper  so  wie  sie  durch  die  Kxperimentaluntersuchungen  von 
Regnault  festgestellt  sind  **J. 

Der  Inhalt  der  einzelneu  Spalten  der  Tabelle  i»t  duich  die  Uebcrschrillen 
und  durch  die  nachfolgenden  Bemerkungen  verständlich. 

Man  vergleicht  gewöhnlich  die  speciüschen  Wäi'men  gleicher  Gewichtsmeugen 
der  verschiedenen  Gase.  Bisweilen  die  specüischen  Wftrmen  gleicher  Volume,  also 
derjenigen  Mengen  der  Gase,  die  eine  gleiche  Anzahl  von  MolectÜen  enthalten. 
Diese  letzteren  specifischen  Wärmen  werden  bisweilen  ab  relative  Wärmen  be- 
zeichnet 

Die  Zahlen,  durch  welche  man  die  specifiüchen  Wäi*men  gewöhnlich  aus- 
drückt, beziehen  sich  auf  diejenige  eines  gleichen  Gewichts  oder  eines  gleichen 
Volums  von  Wasser  =  1.  Für  manche  Betrachtungen  ist  es  zweckmässiger,  so 
wie  dies  in  neuerer  Zeit  öfter  vorgeschlagen  wurde,  die  speciUsche  Wärme  eines 
gleichen  Gewichtes  oder  eines  gleichen  Volums  Wasserstoff  als  £inheit  zu 
wählen. 


^)  Es  ist  hier  nicht  der  Oil,  auf  diese  ausschliesslich  für  unorganische  Ver- 
bindungen nachgewiesenen  Beziehungen  und  auf  die  vielen  störenden  Ein- 
flüsse, die  das  Studium  dieser  Beziehungen  wesentlich  erschweren,  n&her 
einzugehen.  Man  vgl.  darüber:  Buff,  Kopp  und  Zamminer,  Lehrbuch  der 
physikalischen  und  theoretischen  Chemie.  S.  766  ff. 
**)  Den  kohlenstoffhaltigen  Gasen  sind  eine  Anzahl  unorganischer  beigefügt,  so 
dass  die  Tabelle  alle  Gase  enthält,  deren  specifische  Wärme  bis  jetzt  bestimmt 
ist  mit  Ausnahme  des  Stickoxyds,  des  Stickozyduls  und  der  Chloride  des 
Phosphors,  Arsens,  Siliciums,  Zinns  und  Titans. 


SpedflBche  Witrme  gaofttrmigor  Kiirper. 


2fI3 


1. 
Mole- 
cular- 

wicht 

2. 

SpecWfirme - 
f 
gleiches 
Volum 

8. 

-  Wasser =1. 

ir 

gleiches 
Gewicht 

4. 
Pro- 
duct 
aus: 
1.8. 

Spec. 

Wassers 

fi 

gleiches 

Volum. 

Wärme 
toffsl 

ir 

gleiches 
Gewicht 

7. 
Quotient 
aus  2  und 

Holec 

Gew. 

Salzsäure 

86.6 

0.2302 

0.1845 

6.73 

0.9771 

0.0548 

0.0458 

Wasserstoff 

2 

0.2356 

8.4046 

6.81 

1.0000 

1.0000 

1.0000 

Stickstoff 

28 

0.2870 

0.2440 

6.88 

1.0057 

0.0717 

0.0714 

Kohlenozyd 

28 

0.2899 

0.2479 

6.94 

1.0182 

0.0656 

0.0714 

Sauerstoff 

82 

0.2412 

0.2182 

6.98 

1.0287 

0.0641 

0.0626 

Schwefelwasser- 
stoff 

84 

0.2886 

0.2428 

8.24 

1.2260 

0.0712 

0.0588 

Wasser 

18 

0^2950 

0.4750 

8.56 

1.2521 

0.1895 

0.1111 

Chlor 

71 

0.2962 

0.1214 

8.62 

1.2572 

0.0857 

0.0282 

Brom 

160 

0.2992 

0.0552 

8.88 

1.2700 

0.0162 

0.0128 

Ammoniak 

17 

0.2994 

0.5080 

8.64 

1.2708 

0.1492 

0.1471 

Sumpfgas 

16 

0.8277 

0.5929 

9.49 

1.8909 

0.1741 

0.1250 

Kohlensäure 

44 

0.8808 

0.2164 

9.62 

1.4041 

0.0636 

0.0465 

Elayl 

28 

0.8572 

0.8694 

10.34 

1.5161 

0.1085 

1.0714 

Schwefelkohlen- 
stoff 

76 

0.4146 

0.1575 

11.97 

1.7597 

0.0463 

0.0268 

Chloräthyl 

64.5 

0.6117 

0.2787 

17.65 

2.6965 

0.0804 

0.0810 

Bromäthyl 

109 

0.6777 

0.1816 

19.79 

2.8766 

0.0533 

0.0184 

Alkohol 

46 

0.7171 

0.4518 

20.76 

8.0487 

0.1825 

0.0484 

Elaylchlorid 

99 

0.7911 

0.2293 

22.70 

8.8580 

0.0674 

0.0202 

Cyanäthyl 

55 

0.8298 

0.4255 

23.40 

8.6201 

0.1249 

0.0364 

Chloroform 

119.6 

0.8810 

0.1568 

18.74 

3.5273 

0.0461 

0.0167 

Aceton 

68 

0.8841 

0.4126 

23.92 

8.6406 

0.1212 

0.0345 

Benzol 

78 

1.0114 

0.3754 

29.28 

4.2980 

0.1101 

0.0256 

Essigäther 

88 

1.2184 

0.4008 

85.27 

5.1717 

0.1177 

0.0227 

Aether 

74 

1.2296 

0.4810 

36.69 

6.2190 

0.1418 

0.0270 

Schwefeläthyl 

90 

1.2568 

0.4005 

86.05 

6.3847 

0.1176 

0.0222 

Terpentinöl 

186 

2.8776 

0.6061 

68.68 

10.0910 

0.1487 

0.0147 

Kek«U|  OT|U.  CliMü.. 


18 


274  Phy«ikaliÄcher  ThdlL 

4$^  Die  Tabelle  zeigt  deatMeh,    dsM  die  specifischen  Wannen  der  ▼erseliiedeiieii 

Qftse  nicht  gleich  gross  sind,  weder  wenn  man  auf  gleiches  Gewicht  bezieht  (Spec. 
Wärme  >  Spalte  3  und  6),  noch  wenn  man  auf  gleiche  Volume  bezieht  (Relative 
Wärme,  Spalte  2  und  5).  —  Sie  zeigt  ebenso,  dass  die  specifischen  Wärmen  nicht 
in  einfacher  Beziehung  stehen  zu  den  Moleculargewichten.  W&ren,  wie  dies  das 
Gesetz  von  Dulong  und  Petit  ^)  annimmt,  die  specifischen  Wärmen  gleich  für  die 
Mengen,  die  eine  gleiche  Anzahl  von  Ifolecülen  enthalten,  so  müsste  das  Product 
aus  dem  Moleculargewicht  in  die  specifische  Wärme  für  alle  Gase  gleich  sein  oder 
es  müssten,  da  bei  Gasen  eine  gleich  grosse  Anzahl  von  Molecülen  gleichen  Räu- 
men entspricht,  die  relativen  Wärmen  (specifische  Wärme  für  gleiche  Volume) 
gleich  sein.  -*  Die  Tabelle  zeigt,  dass  dies  nicht  oder  nur  ausnahmsweise  der 
FaU  ist  .  . 

Statt  die  specifischen  Wärmen  auszudrücken  durch  Zahlen,  für  welche  die 
specifische  Wärme'  des  Wassers  als  1  angenommen  ist,  kann  man  —  und  es  ist 
dies  für  manche  Betrachtungen  zweckmässiger  —  die  specifische  Wärme  des  Was- 
serstoffs als  Einheit  nehmen.     Die  Spalte  6   enthält  die  specifischen  Wärmen  glei- 

....  eher  Gewichte  bezogen  auf  die  des  Wasserstoffs  =  1 ;  die  Spalte  5  die  specifischen 
Wärmen  gleicher  Volume  (relative  Wärmen),  bezogen  auf  die  des  Wasserstoffes 
=  1.  Wäre  das  Gesetz  von  Dulong  und  Petit  auf  alle  Gase  anwendbar,  so  müss- 
ten die  Zahlen  der  Spalte  5  (die  relativen  Wärmen)  alle  gleich  gross,  alle  =  1 
sein  und  man  müsste  die  specifischen  Wärmen  (Spalte  6)  erhalten,  wenn  man  mit 
den  Moleculargewichten  in  2  dividirt;  die  Spalte  7  zeigt,  dass  dieser  Quotient  meist 
von  den  specifischen  Wärmen  (Spalte  7)  stark  abweicht. 

464.  Eine  einfache  Betrachtung  zeigt  indessen,   dass  so  allgemeine  Regelmässig- 

keiten nicht  wohl  stattfinden  können  und  dass  überhaupt  auch  nur  einigermassen 
einfache  Beziehungen  zwischen  specitischer  Wärme  und  Moleculargewicht  nicht 
■wohl  zu  erwarten  sind.  Bei  diesen  Beti'achtungen  wird  unter  specifischer  Wärme 
stets  die  specifische  Wärme  derjenigen  Volume  verstanden,  die  eine  gleich  grosse 
Anzahl  von  Molecülen  enthalten,  also  bei  gasförmigen  Körpern  die  specifische 
Wärme  gleicher  Volume. 

Die  specifische  Wärme  ist  die  Gesammtwärmemenge ,  die  der  Volumeinheit 
eines  Gases  zugeführt  werden  muss,  um  die  Temperatur  um  l^  zu  erhöhen.  .Von 
dieser  Gesammtwärmemenge  wird  aber  nur  ein  Theil  verwendet,  um  diejenige  Be- 
wegung der  Molecüle  (etwa  die  geradlinig  fortschreitende),  die  sich  als  Temperatur 
äussert,  zu  vergrössem;  also  um  eine  bestimmte  Temperaturerhöhung  hervorzu- 
bringen. Dieser  Theil  der  verwendeten  Wärmemenge  ist  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  für  alle  Gase  gleich  gross  und  völlig  unabhängig  vom  Moleculargewicht 
Gleichzeitig  wird  ein  anderer  Theil  der  zugeführten  Gesammtwärmemenge  von  den 
Molecülen  gewissermassen  verschluckt,  er  leistet  Arbeit*  innerhalb  der  Molecüle, 
aber  diese  kommt  nicht  als  Temperaturerhöhung  zur  Wirkung.  Dass  dies  der  Fall 
ist,  beweist  schon  der  Umstand,  dass  die  specifischen  Wärmen  für  verschiedene 
Gase  verschieden  sind;  aber  es  ergibt  sich  ausserdem  aus  der  Betrachtung.  Zu- 
nächst zeigt  eine  mechanische  Betrachtung,  dass  neben  der  fortschreitenden  Bewe- 
gung der  Molecüle  noch  eine  rotirende  stattfinden  muss ,  die  sich  mit  der  Vermeh- 
rung der  fortschreitenden  ebenfalls  vergrössert;   so  dass  also,  um  diese  Arbeit  zU 


*)  Dieses  Gesetz  bezieht  sich  eigentlich    nur   auf  die  specifische  Wärme  der 
Elemente  vgl.  §.  461. 


Specifische. Warnte  gfa»f5rmiger  Körper.  275 

verrichtieii,  ein  gewisser,  wenn  auch  geringer  Theil  der  zngeführten  Gesammt' 
Wärmemenge  verwendet  wird.  —  Man  muss  aber  ausserdem  noch  eine  (etwa 
schwingende)  Bewegung  der  Atome  im  Moleeül  annehmen,  die  ebenfalls  durch  die 
W^mezofuhr  vergrössert  wird  und  so  einen,  wie  es  scheint,  bei  vielen  Körpern 
beträchtlichen  Antheil  der  zugeführten  Wärmemenge  verzehrt.  Zur  Annahme  einer 
solchen  Bewegung  der  Atome  im  Moleeül  und  ihrer  Yergrösserung  durch  Wtfrme- 
xufuhr  führt  unter  anderem  auch  die  Thatsache,  dass  durch  Temperaturerhöhung 
chemische  Metamorphosen  eingeleitet  werden.  Indem  nämlich  die  Schwingungen 
der  Atome  im  Moleeül  durch  Wfirmezufuhr  fortwährend  grösser  werden,  über- 
schreiten sie  endlich  die  Grenze  der  chemischen  Anziehung  der  Atome;  das  Mole- 
eül befindet  sich  im  Zustand  chemischer  Zersetzung',  seine  Atome  treten  mit  Ato- 
men, die  einem  andern  Moleeül  angehört  hatten^  zu  neuen  Molecülen  zusammen, 
in  welchen  sich  die  Atome  wieder  in  gegenseitig  abhängiger  Bewegung  befinden; 
dabei  entstehen  natürlich  immer  Molecüle,  innerhalb  welcher  die  Schwingungen  d^ 
Atome  die  Grenze  ihrer  chemischen  Anziehung  nicht  überschreiten,  d.  h.  es  ent- 
stehen Körper,  die  in  den  gegebenen  Temperaturbedingungen  beständig  sind  *). 

Würde  alle  zugefülirte  Wärme  nur  zur  Beschleunigung  derjenigen  Moleeular- 
bewegung  verwendet,  die  sich  als  Temperatur  äussert,  so  müssten  für  alle  Gase 
jfleiche  Wärmemengen  gleichen  Effect  hervorbringen,  die  specifischen  Wärmen  müss- 
ten also  gleich  gross  und  ausserdem  verhältniäsmässig  klein  sein. 

Würde  umgekehrt  die  Gcsammtmenge  der  zugeführten  Wärme  zur  Vermeh- 
rung der  im  Moleeül  stattfindenden  Bewegungen  verwendet,  so  würden  die  Körper 
beliebig  viel  Wärme  verschlucken  können,  ohne  ihre  Temperatur  zu  erhöhen. 

Da  aber  die  zugeführte  Wärme  gleichzeitig  zu  verschiedenen  Zwecken  ver- 
wendet wird,  so  ist  es  einleuchtend,  dass  dieselbe  Wärmemenge,  bei  verschiede- 
nen Gasen  nur  dann  dieselbe  Temperaturerhöhung  hervorbringen  kann,  wenn  der 


*)  Man  vergleiche  die  §.  234  gegebene  Vorstellung  über  den  Vorgang  bei  che- 
mischen Metamorphosen,  die  von  den  Bewegungen  der  Atome  absieht  und, 
was  für  chemische  Zwecke  vorerst  genügend  ist,  diesen  Vorgang  statisch 
auffasst. 

Es  ist  eine  nothwendige  Folge  der  diesen  Betrachtungen  zu  Grunde  lie- 
genden Vorstellung,  dass  die  bei  solchen  Metamorphosen  innerhalb  der  neu 
entstehenden  Molecüle  thätige  Wärme  kleiner  ist,  als  der  im  Moment  der 
Zersetzung  innerhalb  der  vorhandenen  Molecüle  thätige  Wärmevorrath.  Bei 
allen  solchen  Metamorphosen  muss  also  Wärme  frei  werden,  d.  h.  es  muss 
Wärme,  die  vorher  die  Atome  innerhalb  der  Molecüle  in  Bewegung  setzte, 
auf  die  Bewegungen  der  Molecüle  selbst  beschleunigend  einwirken. 

Würde  eine  solche  Metamorphose  durch  die  ganze  Gaemasse  momentan  . 
eintreten,  so  würde  in  diesem  Moment  die  Gcsammtmenge  der  im  Gas  vor- 
handenen Wärme  als  freie  Wärme  zui*  Wirkung  kommen,  d.  h.  der  Ge- 
sammtwärmevorrath  würde  als  Tension  und  gleichzeitig  als  Temperatur- 
erhöhung messbar  werden.  Im  Moment  nach  der  Zersetzung  wird  ein  grosser 
Theil  der  Gesammtwärmemenge  wieder  auf  Bewegung  der  Atome  in  den  Molecülen 
verwendet,  die  Tension  und  die  Temperatur  also  momentan  wieder  vermin- 
dert. Bei  Explosion  von  Gasgemengen  wird  dies  annähernd  erreicht  und 
ihre  Wirkung  ist  daher  um  so  grösser,  je  mehr  sich  die  Zersetzung  einer 
ideal -momentanen  (einer  vollkommenen  Explosion)  nähert. 

18» 


276  PhjBikalisdier  TheiL 

ftlr  die  Bewegrang  innerhalb '  der  tfolecüle  verwendete  Antheil  gleich  gross  ist  Die 
spedfiflche  Wärme  kann  also  nur  dann  gleich  oder  annjihemd  gleich  sein,  wenn 
die  zur  Beschleunigung  der  Atombewegungen  im  Holecüle  verwendete  Wärme- 
menge gleich  gross  ist.  Eine  Gleichheit  dieses  gewissermassen  chemisch  wirken- 
den Wärmeantheils  ist  nun  wahrscheinlich:  bei  chemisch  ähnlichen  Körpern,  das 
heisst  bei  solchen,  deren  Molecüle  gleiche  atomistische  Zusammensetzung  zeigen. 
Unter  der  leider  noch  sehr  gelingen  Anzahl  von  Körpern,  deren  specifische  Wärme 
durch  den  Versuch  festgestellt  ist,  sind  einige,  die  dieser  Ansicht  als  Stütze  dienen 
können.  So  sind  z.  B.  die  specifischen  Wärmen  annähernd  gleich  für:  Wasser  und 
Schwefelwasserstoff,  für  Aetiier  und  Schwefeläthyl,  für  Chloräthyl  und  Bromfithyl, 
für  Chlor  und  Brom.  —  Für  diese  Körper  ist  also  das  Gesetz  von  Dulong  und 
Petit  gültig;  und  die  eben  gegebene  Vorstellung  drückt,  wenn  anders  die  ihr  zu 
Grunde  liegende  Vorstellung  über  die  Natur  der  Wärme  richtig  ist,  die  Bedingun- 
gen aus,  unter  welchen  dieses  Gesetz  überhaupt  stattfinden  kann. 

4^5^  '  Es  mag  jetzt  schon  beigefügt  werden,   dass  dies  nicht  nur  für  gasförmige, 

sondern  auch  für  flüssige  und  feste  Körper  die  Bedingungen  sind,  unter  welchen 
das  Dulong -Petit'sche  Gesetz  richtig  ist.  Nur  darf  man  dann  nicht  die  specifischen 
Wärmen  gleicher  Volume  vergleichen,  man  muss  vielmehr  die  specifischen  Mole- 
cularwärmen,  das  heisst  die  specifischen  Wärmen  derjenigen  relativen  Volume  ver- 
gleichen, die  eine  gleich  grosse  Anzahl  von  Molccülen  enthalten,  also  etwa  die 
Producte  aus  den  Moleculargewichten  in  die  specifischen  Wärmen  gleicher  Gewichte. 

466.  Kach  den  im  Vorhergehen  den  gegebenen  Betrachtungen  ist  es  klar, 

dass  die  verscfaiedeuen  Versuche,  gesetzmässige  Beziehungen  zwischen 
der  specifischen  Wärme  und  der  atomistischen  Zusammensetzung  aufzu- 
finden, selbst  für  gasförmige  Körper  zu  keinem  Resultat  führen  konnten. 

Die  von  Boedeker*)  auf  solche  Versuche  begründete  Regel  zur  Berechnung 
der  specifischen  Wärme  gasförmiger  Körper  aus  ihrer  liolecularformel  und  zur  Ab- 
leitung der  Molecularformel  aus  der  specifisdien  Wärme  kann  desshalb,  sammt  der 
von  H.  Schiff  •♦)  vorgeschlagenen  Modification  hier  übergangen  werden.  Um  so 
mehr  da  die  nach  beiden  Regeln  berechneten  specifischen  Wärmen,  selbst  für 
manche  der  genau  untersuchten  Substanzen  nur  wenig  mit  den  durch  den  Versuch 
festgestellten  übereinstimmen  und  da  beide  Regeln  auf  völlig  willkürliche  Grund- 
lagen basirt  sind. 


Specifische  Wärme  flüssiger  Körper. 

467.  Die  specifischen  Wärmen   flüssiger  organischer  Verbindungen   sind 

noch  wenig  Gegenstand  der  Untersuchungen  gewesen. 

Die  folgende  Tabelle  enthält  die  specifischen  Wärmen  der  bis  jetzt 
untersuchten  Verbindungen;  zum  grössten  Theil  nach  Bestimmungen  von 
Kopp. 


•)  vgl  liebig's  Jahresbericht  1867.  II.  47. 
*^)  Liebig's  Jahresbericht  1857.  U.  48, 


Spedfische  Wflnne  fiflssiger  Körper. 


2T7 


tfolecnlar- 
gewicht 

Spcc.  Wftrme 

gleicher  Ge- 

Wichte. 

Prodnct 

Wasser 

18 

1.000 

18.00 

HolzgeiBt 

82 

0.646 

20.64 

Ameisensfiitre 

46 

0.686 

24.66 

Alkohol 

46 

0.616 

28.29 

Essigsfture 

60 

0.609 

80.64 

Aceton 

68 

0.530 

80.74 

Benzol 

78 

0.460 

86.10 

Aether 

74 

0.467  •) 

87.22 

Essigsäore-Meäiylftther 

74 

0.607 

87.62 

äther 

74 

0.618 

87.96 

Senföl 

99 

0.482 

42.77 

Essigsäure-Aethjlftther 

88 

a496 

48.66 

Buttersfture 

88 

0.608 

44.26 

Amylalkohol 

88 

0.664 

49.68 

BatterBänre-Hethyläther 

102 

0.487 

49.67 

Baldriansänre  -  Hethyl- 
ftther 

116 

0.491 

66.96 

Terpentinöl 

186 

0.467  •) 

6861 

Ozals&nre-Aethyl&ther 

146 

0.467«) 

66.72 

AeÜial 

242 

0.606*) 

122.45 

Eine  VergleichuDg  der  Producte,  die  man  durch  Hultiplication  der 
specifischen  Wärmen  mit  den  Moleculargewichten  erhält  und  die  nichts 
anderes  ausdrücken  als  die  specifischen  Wärmen  derjenigen  relativen 
Mengen  der  verschiedenen  Flüssigkeiten,  die  eine  gleiche  Anzahl  von 
Holecülen  enthalten,  zeigt,  dass  die  specifischen  Wärmen  der  Molecüle 
(d.  h.  einer  gleich  grossen  Anzahl  von  Molecülen)  im  Allgemeinen  mit 
dem  Molecularge wicht  wachsen  ***),  wenn  auch  in  weniger  rasch  zuneh- 
mendem Vcrhähniss.  Man  sieht  ferner,  dass  die  specifischen  Wärmen 
der  Molecüle  annähernd  gleich  sind  für  metamere  Körper  und  bisweilen 


*)  Bestimmungen  von  Favre  und  Silbermaan. 
**)  Bestimmt  von  Andrews. 
***)  Für  gasförmige  Körper  ist  dies  nicht  der  Fall,  vgl  Seite  278. 


278  PhyBikaÜBdier  THieil.  -        ^ 

auch  für  Körper  die,   ohne  metamer  zu  sein,  gleiches  Moleenlargewicht 
besitzen. 

Die  Zahl  der  untersuchten  Substanzen,  unter  welchen  zudem  noch 
verhältnissmässig  viel  chemisch  ähnliche  Körper  sind,  ist  zu  gering,  um 
weitere  Schlüsse  zu  gestatten. 

Specifische  Wärme  fester  Körper. 

468.  üeber  die  specifischen  Wärmen  fester  organischer  Verbindungen 
liegen  bis  jetzt  keine  Experimentaluntersuchungen  vor  *). 

Ausdehnung  durch  Wärme. 

469.  Die  Versuche,  welche  bis  jetzt  über  die  Ausdehnung  kohlenstoff- 
haltiger Gase  angestellt  worden  sind,  haben  gezeigt,  dass  sich  diese 
organischen  Gase  im  Allgemeinen  ebenso  verhalten,  wie  die  unorgani- 
schen. Wie  für  diese,  so  ist  auch  bei  den  organischen  Gasen,  wenig- 
stens innerhalb  der  Temperaturgrenzen,  für  welche  Beobachtungen  vor- 
liegen, die  Ausdehnung  proportional  der  Temperaturerhöhung.  Der  Au s- 
dehnungscoefficient  ist  also  für  alle  Temperaturen  derselbe;  und 
man  erhält  mithin  das  Volum  (V),  welches  die  Volumeinheit  eines  Gases 
bei  t^  einnimmt,  aus  der  Formel: 

V  =  1  +  a  .  t» 

worin  a  den  ans  den  Versuchen  herzuleitenden  Ausdehnungscoefficienten 
bedeutet. 

Aus  den  Versuchen  von  Regnaalt  leiten  sich  die  folgenden  Ausdehnungs- 
coefficienten ab. 

Bei  constantem      Bei  constantem 
Volum.  Druck. 

Wasserstoff 0.3667  0.3661 

Luft 0.8665  0.3670 

Stickstoff 0.3668                         — 

Stickoxydul 0.3678  0.8719 

Schweflige  Säure    .     .     .  0.3845  0.3903 

Kohlenoxyd 0.3667  0.3669 

Kohlensäure 0.3688  08710 

Cyangas 0.3829  0  3877. 

Man  sieht  daraus^  dass  die  Ausdehnungscoefficienten  der  permanenten  Gase 
fast  vollständig  gleich  sind,  dass  dagegen  diejenigen  Gase^  welche  durch  Druck 
oder  Kälte  am  leichtesten  verdichtet  werden,  eine  stärkere  Ausdehnung  zeigen. 
Es  scheint  sehr  wahrscheinlich,  dass  diese  Verschiedenheit  daher  rührt,  dass  bei 
allen  Versuchen   die  innere  W^and  der  GetUsse   eine  gewisse  Gasmenge   an  ihrer 


^)  In  Betreff  der  specifischen  Wärmen  unorganischer  Verbindungen  vgl.  §.  461. 


Ausdehnung  durch  Wärme.  279 

Oberfläche  rerdiehtel,  die  um  so  grösser  ist,  Je  leichter  das  Gas  in  den  tröpfbar- 
flüssigen  Zustand  ttbergeftihrt  werden  kann  und  je  mehr  die  Versuchstemperatur 
sich  der  Temperatur  nähert,  bei  welcher  dieser  üebergang  stattfindet 

Die  Ausdehnung  der  Dämpfe,  d.  h.  deijenigen  Körper  im  Gaszustand,  die  470. 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  tropfbarflüssig  oder  fest  sind ,  ist  noch  nicht  Gegen- 
stand ausführlicher  Experimcntaluntersuchungen  gewesen.  Es  ist  höchst  wahr- 
scheinlich, dass  sich  die  Dämpfe,  wenigstens  bei  Temperaturen,  die  hinlänglich  weit 
vom  Siedpunkt  abstehen,  genau  so  verhalten  wie  die  Gase.  Dies  ergibt  sich  schon 
daraus,  dass  die  Dämpfe,  wenn  erst  eine  bestimmte  und  hinlänglich  weit  vom  Sied- 
punkt  abstehende  Temperatur  erreicht  ist,  ein  constantes  spedfisches  Gewicht  • 
zeigen  (§.  88). 

Dieses  einlache  Verhalten,  welches  die  Gase  in  Bezug  auf  Ausdehnung  durch  471. 
Wärme  zeigen,  ist  von  grosser  Wichtigkeit  fUr  die  gosometriscbe  Analyse  (§.  42); 
es  gestattet  die  Beobachtungen   bei  beliebigen  Temperaturen  auszuftlhren  und  die 
bei  den   verschiedenen  Temperataren  direct  gemessenen  Gasvolumina  ^   naeh  der 
Messung,  auf  eine  und  dieselbe  Temperatur  zu  redudren. 

,  Ebenso  erleichtert  die  gleichmässige  Ausdehnung  der  Dämpfe  wesentlich  die 

Bestimmung  der  Dampfdichten  und  die  Vergldchung  der  specifischen  Gewichte 
verschiedener  Dämpfe.  Man  kann  die  Bestimmung  der  Dampfdichte  bd  bdiebigen, 
wenn  nur  hinlänglich  hohen  Temperaturen  ($  82)  ausführen  und  dann  entweder 
mit  dem  gkichgrossen  und  auf  die  Temperatur  des  Dampfes  redudrten  Luftvolu- 
men vergleichen  oder  man  kann  umgekehrt  das  Volum  des  Dampfes  auf  Normal* 
temperatnr  reduciren  und  mit  Lull  von  dersdben  Temperatur  vergldchen. 

Bei  allen  diesen  Reductionen  macht  man  gewöhnlich  die,  mit  den  Versndwn 
annähernd,  wenn  auch  nicht  vollständig  übereinstimmende  Annahme,  alle  Gase 
und  Dämpfe  besässen  densdben  Ausdehnungscoeffident  (0,00866). 

Es  ist  einleuchtend,  dass  bei  allen  Betrachtungen  über  die  spedfischen  Ge- 
wichte gasförmiger  Körper  (§§  896  ff.)  die  relativen  Gewichte  gemeint  sind,  welche 
gleiche  Volume  der  verschiedenen  Gase  bei  derselben  Temperatur  besitzen. 
Wenn,  wie  man  dies  bei  Betrachtung  und  Berechnung  annimmt,  alle  Gase  sich 
gldchmässig  ausdehnen  und  wenn  diese  Ausdehnung  nach  demselben  Coeffidenten 
erfolgt,  so  sind  natürlich  die  spedfischen  Gewichte  bei  allen  Temperaturen  diese]^ 
ben ;  aber  man  darf  nicht  aus  dem  Auge  verlieren ,  dass  die  spedfischen  Gewichte 
die  Verhältnisse  sind ,  welche  zwischen  den  absoluten  Gewichten  gldcher  Volume 
bd  derselben  Temperatur  und  demselben  Druck  stattfinden. 

Für  Flüssigkeiten   und   namentlich  für   flüssige  organische  Yer-  472. 
bindungen  ist  die  Ausdehnang  durch  Wärme  vielfach  durch  Experimente 
bestimmt  worden*),   aber  es  ist  bis  jetzt  nicht  möglich  gewesen,  irgend 
ein  Gesetz  oder  irgend  welche  Beziehungen    zu  anderen  Eigenschaften 
aufzufinden. 

Man  kann  die  durch  den  Versuch  für  verschiedene  Temperaturen  geftmdef- 
nen  Volumina  einer  Flüssigkeit  durch  empirische  Interpolationsformeln  ausdrücken. 
Solche  Formeln  fassen  die  Resultate  der  Versuche  in  einem  kurzen  Ausdrude  zu- 
sammen;  und  man  kann  aus  ihnen  für  alle  Temperaturen,   wdche  innerhalb  der 


*)  V^.  besonders;  EL  Kopp.  Ann.  Chem.  Pharm.  XCIV.2Ö7;  XCV.807;  XCVIU. 
967  j  lieb.  Jahresber.  1855.  S.  88  j  1866.  S.  60,    . 


280  PhyBikalischer  TheQ. 

Grenzen  Hegen ^  für  welche  die  Yersnohe  angestellt  Bind,  das  zugehörige  Yolam 
herleiten;  aber  sie  sind  streng  genommen  nur  innerhalb  dieser  Grenzen  gültig. 
Sind  die  Bestimmungen  bis  zur  Temperaturen,  die  dem  Siedpunkt  nahe  liegen,  aus- 
geführt worden,  so  kann  man,  ohne  allzugrossen  Fehler,  die  Formel  über  die  Ver- 
suchsgrenzen hinaus,  also  zur  Berechnung  des  Volums  einer  Flüssigkeit  bei  ihrem 
Siedpunkt  anwenden.  Man  kann  also  für  alle  Flüssigkeiten,  für  welche  die  Aus- 
dehnung bis  zu  hinlänglich  hohen  Temperaturen  bestimmt  wurde,  das  Volum  und 
folglich  das  spedfische  Gewicht  beim  Siedpunkt  herleiten  und  dieses  dann  zur  Ab- 
leitung des  spedfischen  Volums  benutzen.  (§.  485.) 
478.  Der  Sinn  der  Formeln,   durch  welche  man  die  Ausdehnung  der  Flüssigkei- 

ten durch  Wärme  ausdrückt,  ist  leicht  verständlich. 

Wäre  für  die  Flüssigkeiten,  so  wie  dies  bei  den  Gasen  der  Fall  ist,  die  Aus- 
dehnung durch  die  Wärme  gleichmässig,  d.  h.,  wäre  die  Volumvergrösserung  der 
Temperaturerhöhung  proportional ,  so  würde  das  Volum  bei  irgend  einer  Tempe- 
ratur ausgedrückt  durch  die  Formel: 

V  =  1  +  a  .  t 

So  wird  z.  B.  die  Ausdehnung  des  Quecksilbers  innerhalb  der  Grenzen  0^  —  100* 
annähernd  ausgedrückt  durch  die  Formel: 

V  =  1  +  0,00018163  .  t 

Da  aber  in  den  meisten  Fällen  die  Volumvergrösserung  der  Temperatur- 
erhöhung nicht  proportional  ist,  da  vielmehr  die  Ausdehnung  mit  der  Temperatur 
wächst,  so  muss  man  noch  ein  weiteres  Glied  der  B«ihe  berücksichtigen.  Man 
findet  das  Volum  (V)  bei  t®  aus: 

V  =  1  +  a  .  t  +  b  .  t> 

wo  a  und  b  aus  den  Versuchen  abzuleitende  Coeffidenten  sind. 

So  wird  z.  B.  die  Ausdehnung  des  Quecksilbers  zwischen  0^  und  850*  aus- 
gedrückt durch  die  Formel: 

V  =  1  4-  0,000179007  .  t  4-  0,0000000252816  t^ 

In  den  meisten  Fällen  übt  auch  die  dritte  Potenz  von  t  noch  einen  bemerk- 
baren Sinfluss  aus  und  muss  in  die  Formel  aufgenommen  werden  *).    Man  hat: 

V=:l  +  a.t  +  b.t«  +  c.t». 

So  werden  z.  B.  die  für  den  Amylalkohol  zwischen  0*  und  128^,7  beobach- 
teten Volumina  ausgedrückt  durch  die  Formel: 

V  =  1  +  0,0009724  t  +  0,00000086661  t»  +  0,000000020218  t*. 

Ebenso  gestattet  die  Formel: 

V  =  1  4-  0,00106703  t  4-  0,00000018323  t»  4.  0,0000000096436  t^ 

das  Volum  der  Essigsäure  ftir  alle  Temperaturen  herzuleiten,   die  innerhalb  der 
Grenzen  liegen,  für  welche  die  Volume  durch  Versuche  bestimmt  sind  (17,^7 — 109,^). 


*)  Die  durch  Temperaturerhöhung  veranlassten  Volumzunahmen  organischer 
Flüssigkdten  können  also  nicht  durch  eine  grade  Linie  (V  =  1  4*  &  •  0> 
ebenso  wenig  durch  eine  Curve  zweiten  Grades  (V  =  1  4~  ^  •  ^  4*  ^  •  ^'} 
ausgedrückt  werden;  sie  werden  aber  hinlänglich  genau  durch  eine  Curve 
dritten  Grades  wiedergegeben. 


Ansdehnnng  durch  Wttnne.  281 

Setxt  man  in  die  Formel  des  AmylalkoliolB  t  =  1S1*,6  (Siedpunkt)  und  in 
die  der  Kssigsänre  t  =  117*,3;  so  erhält  man  dasVolam,  welches  diejenige  Menge 
der  betreffenden  Substanz,  die  bei  0^  die  Volumeinheit  erfüllt,  beim  Siedpunkt  ein- 
nimmt. Aus  dem  so  gefundenen  Volum  der  Flüssigkeit  beim  Siedpunkt  und  dem 
bei  irgend  einer  Temperatur  bestimmten  spedfischen  Gewicht  berechnet  sich  dann 
leicht  das  spedfische  Gewicht  der  Flüssigkeit  beim  Siedpunkt.  Der  Quotient  aus 
diesem  specifischen  Gewicht  in  das  Moleculargewicht  gibt  das  specifische  Volum. 
($.  485.) 

Fflr  feste  Körper  liegen  noch  verh&ItnisBmftssig  wenig  Experi-  474. 
mentalbestiminaDgen  vor;  organische  Körper  namentlich  sind  noch  so  gut 
wie  nicht  untersucht  Für  diese  wenigen  hat  man  gefunden  *) ,  dass,  wie 
bei  den  unorganischen,  die  Ausdehnung  mit  steigender  Temperatur  und 
ganz  besonders  in  der  Nähe  des  Schmelzpunktes  zunimmt,  abgesehen  von 
der  jähen  Yolumvergrösserung,  welche  die  meisten  Körper  im  Moment 
des  üebergangs  in  den  flüssigen  Zustand  erfahren. 


Physikalische  Erscheinimgen  bei  Veränderung  des  Aggregat- 

zustandes. 

Der  Uebergang  der  Körper  von  einem  Aggregatzustand  in  den  an-  476. 
dern  erfolgt  bekanntlich,  bei  sonst  gleichen  Bedingungen,  bei  für  die 
verschiedenen  Körper  yersohiedenen,  für  jede  Substanz  aber  gleichen  Tem- 
peraturen. Siedpunkt;  Schmelzpunkt.  ($$.  84,  87.)  Der  Druck, 
unter  welchem  sich  die  Substanz  befindet,  übt  sowohl  auf  Siedetempera- 
tur als  auf  Schmelzpunkt  einen  beträchtlichen  Einfiuss  aus. 

Wenn  durch  Wärmezufuhr  ein  fester  Körper  in  den  flüssigen  Zu- 
stand, oder  eine  Flüssigkeit  in  Dampf  übergeführt  wird,  so  bleibt  wäh- 
rend der  ganzen  Dauer  der  Aenderung  des  Aggregatzustandes  die  Tem- 
peratur constant 

Die  zugeführte  Wärme  wird  nicht  als  Temperaturerhöhung  messbar, 
sie  wird  zur  Veränderung  der  Molecularbeschaffenheit,  gewissermassen 
zur  Ueberwindung  eines  Widerstandes,  verwendet  (Latente  Wärme; 
Schmelzwärme,  Yerdampfungs wärme.) 


Die  Siedepunkte  organischer  Flüssigkeiten  stehen  in  vielen  Fällen,  476. 
namentlich  wenn  man  nur  chemisch  ähnliche  Körper  mit  einander  ver- 
gleicht, in  einfacher  Beziehung  zur  chemischen  Zusammensetzung.     Der- 
selben Zusammensetzungsdifferenz  entspricht  häufig  dieselbe  Differenz  der 
Siedpunkte. 


*)  H.  Kopp.  Ann.  Chem.  Pharm.  XCIII.  129.    lieb.  Jahresb.  1855.  S.  89. 


282  Physikalischer  Theil. 

H.  Kopp*)  machte  znerst  (1842)  darauf  anftnerksam ,   dass  die  Siedpnnkte 
einer  Anzahl  analoger  Verbindungen  in   einfacher  Beziehung   stehen.     Er  zeigte, 


1)  der  Siedpunkt  einer  Aethylverbindung  um  18*^  höher  liegt,   als  der  der  ent- 
sprechenden Methylverbindung-,  dass  femer: 

2)  der  Siedpunkt  eines  Säurehydrats  um  45®  höher  liegt,   als  der  der  entspre^ 
chenden  Aethylverbindung  imd  um  63*  höher  als  der  der  Hethylvffl'bindung. 

Schiel**)  dehnte  (1842)  diese  Betrachtung  zuerst  auf  Reihen  aus,  indem 
er  zeigte,  dass  innerhalb  der  ersten  von  ihm  gegebenen  homologen  Reihe  (§.  142) 
fär  die  Zusammensetzungsdifferenz  C3H2  eine  Siedepunktsdifferenz  von  18^  statt- 
habe. 

Kopp***)  stellte  dann  (1844)  die  Siedepunkte  einer  grossen  Anzahl  orga- 
nischer Substanzen  zusammen  und  wies  nach,  dass  bei  der  Hehrzahl  der  damals 
untersuchten  Substanzen  die  von  ihm  aufgefundene  Siedepnnktsregelmfissigkeit 
statthabe;  dass  sehr  häufig  bei  analogen  Substanzen  der  Zusammensetzungsdiffe- 
renz +  n.CQHa  eine  Differenz  von  +  n.l9^  im  Siedepunkt  entspreche. 

Da  sich  die  Beispiele  zu  dieser  Regelmässigkeit  stets  mehrten,  so  waren 
die  meisten  Chemiker  geneigt,  sie  für  ein  allgemein  gültiges  Gesetz  zu  halten. 
Indessen  mehrten  sich  auch  fortwährend  die  Ausnahmen  und  eine  Vergleichung 
der  zahlreichen  Siedepunktsbestimmungen,  die  in  den  letzten  Jahren  (zum  grossen 
Theil  nach  genaueren  Methoden  §§.  85.  86.)  ausgeffihrt  wurden ,  ftthrten  Kopp  f ) 
1855  zu  dem  Schluss: 

Bei  homologen  Verbindungen  zeigt  sich  im  Allgemeinen  die  Siedepunkta- 
differenz  der  Zusammensetzungsdifferenz  proportional. 

In   sehr  vielen  homologen  Reihen  entspricht   der  ZusammensetBungs- 
differenz  OH,  die  Siedepunktsdifferenz  19®.    —   In  andern  homologen  Krä- 
hen dagegen  ist  die  Siedepunktsdifferenz  bestimmt  grösser^  in  noch 
andern  bestimmt  kleiner. 
In  neuester  Zeit   hat  man  sogar  homologe  Substanzen  aufgefunden,   bei  welchen 
der  Siedpunkt  mit  dem  Wachsen  der  Formel  um  n.OH,  nicht  steigt,  sondern  viel- 
mehr sinkt  (S.  285.) 
477.  Im  Nachfolgenden  sind  als  Beispiele  die  Siedpunkte  einiger  Reihen  homolo- 

ger Substanzen  zusammengestellt 

Aus  den  von  Kopp  1844  gegebenen  Regeln: 

1)  die  homologen  Alkohole  OnHinO  zeigen  die  Siedepunktsdifferenz  n.l9*; 

2)  der  Siedepunkt  einer  Säure  6nH2n0i   liegt   um  40®  höher  als  der  des  ent- 
sprechenden Alkohols  OnH2n4-20; 

3)  Eine  Aetherart  O0H211O2   siedet   um  82®  niedriger    als   die  isomere  Säure 

berechnen  sich,   wenn  man  von  dem  Siedpunkt  des  Weingeistes  =  78*  aasgeht, 
die  folgenden  theoretischen  Siedpunkte: 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  XLI.  86. 
*•)  ibid.  XLllI.  107. 
*••)  ibid.  L  128. 
f)  ibid.  XCVI.  2.  (enthält  auch  historische  Notizen).    —   Neuere  Abhandlungen 
Kopp's   über   Siedepunkte:    Ann.  Chem.  Pharm.  XCVI.   380.    XCVIIL  267; 
367. 


Siedepnnktl 


283 


Alkohole. 

Theor. 
Siedpunkt. 

Säuren. 

Theor. 
Siedpunkt. 

Aetherarten. 

Theor. 
Siedpunkt. 

eH4  0 

69« 

eH,  Oa 

99« 

— 

e^H^e 

78« 

^a^4  ^2 

118« 

O2H4  O2 

36» 

eaHsO 

97« 

O3H,  ^2 

187® 

63H,  O2 

55« 

€4H,qO 

116» 

0,iHg  02 

156» 

64H,  Oj 

740 

O5H120 

l»ö« 

^5^10^2 

175<> 

Os^io^j 

93» 

6,H,40 

164* 

^•^12^2 

194« 

^6^12^2 

112« 

6,Hi,0 

173» 

0,H,402 

213« 

€,Hi|02 

131« 

^8^11^ 

192» 

6gHi^02 

232» 

^8^1402 

160« 

OjHjo^ 

211» 

^9^18^2 

251« 

6»Hn02 

169» 

Die  folgende  Tabelle  gestattet  die  durch  Beobachtung  gefundenen  SiedpHAkte 
mit  den  theoretischen  Siedpunkten  zu  vergleichen. 

Siedpnnkte 
von 


Alkohol. 

Aetherart  mit 

Säure. 

Methyl 

Aethyl 

Propyl 

Butyl 

Amyl 

e 

Methyl 

600 

Ameisens. 

1000 

330 

660 

gegen 

1000 

1140 

€2 

^4 

Aethyl 
Propyl 
Butyl 

780 

960 

1090 

Essigsäure 

Propionsäure 

Buttersäure 

1170 
1410 
1560 

660 
950 

740 

960 

1140 

900 
1300 

1140 

1330 
1660 
1730 

ö» 

Amyl 

1320 

BaldrianB. 

1760 

1160 

1380 

1880 

Caproyl 
Capryl 

1540 

Capronsäure 
Oenanthyls. 
Caprylsäure 
Pelargons. 

1980 
2120 
2360 
2600 

1620 
2160 

2110 

Die  Vergleichung  zeigt,  dass  die  beobachteten  Siedepunkte  annähernd  mit 
den  theoretischen  übereinstimmen;  dass  also  innerhalb  der  homologen  Reihe:  Al- 
kohole OnH2a-}-20,  innerhalb  der  Reihe:  S<^nren  =  GnU.2n^2  ^^^^  ebenso  für  die 
Aethef  dieser  S^iuren  und  Alkohole  die  Differenz  =;  190  statthat.  Daraus  er- 
gibt sich  natürlich:  dass  die  Differenz  des  Siedepunkts  einer  Säure  von  dem  des 
Alkohols  von  gleichviel  Kohlenstoff  stets  dieselbe  und  dass  ebenso  die  Differenz 
des  Siedepunkts  einer  Aetherart  vom  Siedpunkt  der  isomeren  Säure  immer  die- 
selbe ist.  (§.  477.  Nr.  8.) 

Man  sieht  femer,  dass  die  isomeren  Aetherarten  gleiche  Siedpunkte  besitzen. 
Da  aber  dieselben  Aether  andere  Siedpunkte  zeigen  wie  die  ihnen  isomeren  Säuren, 


284 


Physikalischer  Thdl. 


so  kann  man  nicht  allgemein  allen  isomeren  Verbindungen  gleiche  Siedponkte  zn- 
schrdben,  man  moss  yielmehr  die  Einschränknng  machen:  isomere  Verbindungen 
▼on  völlig  analoger  Constitation  zeigen  gleiche  Siedpunkte,  isomere  Verbindun- 
gen von  nicht  völlig  analoger  rationeller  Formel  dagegen  verschiedene  Siedpunkte. 
Aehnliche  Beziehungen  der  Siedpunkte,  wie  die  oben  erwfthnten  seigen 
sich  noch  in  mehren  Fällen;  z.  B.:  bei  Benzylalkohol ,  Benzoesfture  und  den 
Aethem  der  Benzoesäure;  bei  Zimmtsäure  und  ihren  Aethem;  anter  anderen  auch 
bei  den  Aethem  der  Salpetersäure: 


Salpeters.  Methyl 
Salpeters.  Aethyl 


Siedpunkt 

berechnet         beobachtet 

66*  66* 

Bö«  85« 


Salpeters.  Butyl .... 
Salpeters.  Amyl      .    .    . 

Femer  bei: 

Acetylchlorid    =  6aH,0a  —  66» 
Butyrylchlorid  =  6^001  —  96* 


128«        gegen  180* 
142*  137— 148* 


Aethylenchlorid  :=  ^Ji^Ci^  —  66* 
Propylenchlorid  =  e^H^a,  —  104* 
Butylenchlorid    =  O^HgCla  —  128*. 


In  vielen  Fällen   ist  die  Siedepunktsdifferenz  für  n.6H,  bestimmt  grösser 
als  n.l9*;  z.  B.: 


Benzol  ==  0,  H«  —  80*,8 
Toluol  =  6,  H,  —  103*,7 
Xylol  =  e,  Hio  —  126«,2 
Cumol  =  e.  Hia  —  148*,4 
Cymol  =  €,oHi4  —  170*,7 
Differenz  =  22^5 


Aethyl-Butyl  =  O,  Hj^  —  62* 
Methyl-Caproyl  =  O,  H,,  —  82* 
Aethyl-Amyl  =  0^  Hjg  —  88* 
Butyl  =  e,  H„  —  106* 

Butyl-Amyl  =  6,  H,o  —  182« 
Amyl  =  eioHjj  —  158* 

Butyl-Caproyl  =  OioHas  —  155* 
Caproyl  =  OnHa»  —  202* 

Differenz  =  20*  —  26* 


Eine  noch  grössere  Differenz  findet  sich  ftir  die  Chloride,  Bromide  und  Jodide 
der  Alkoholradicale: 


CWoride. 

Bromide. 

Jodide. 

Methyl 

eH,  Cl 

—  20* 

en,  Br 

13* 

6H,  J 

44» 

Aethyl 

eaH,  Cl 

+   110 

6aH5  Br 

41* 

eAJ 

71» 

Butyl 

€f4H,  Cl 

73* 

e^H,  Br 

89* 

eAJ 

121« 

Amyl 

eftHijCl 

102* 

OftHiiBr 

119* 

65H„J 

148» 

Caproyl 

esH„ci 

17Ö* 

e,H„Br 

190* 

e.H„j 

210» 

Differenz  =2^ 

l*-81* 

24*. 

-80* 

21* 

-27« 

Siedepunkt  285 

£beii80  ist  die  Differenz  grösser  als  19*  fttr  die  Schwefelyerbindungen  der 
Alkoholradicale  etc. 

Eine  entschieden  kleinere  Siedepunktsdifferenz  als  19*  findet  sich  dagegen 
bei  den  wasserfreien  Säuren: 

Wasserfreie  Essigsäure       =  6«  H«  0,  —  188* 
„  Propionsäure  =  6,  Hio^a  —  166* 

„         ButtersÄure     =  6,  Hj^e,  —  190* 
„  Baldriansäure  =  ^loHigO,  —  216* 

„  Caprylsäure     =  6i«Hao0a  —  290* 

Differenz     =  12*,6  für  6H,. 

Ebenso  findet  sich  eine  kleinere  Siedepunktsdifferenz  bei  den  Aethem  der 
Oxalsäure  und  der  Bernsteinsfinre  und  bei  den  Bromiden  der  zweiatomigen  Kohlen- 
wasserstofiradicale  (deren  Chloride  die  Differenz  ==  19*  zeigen) : 

Aethylenbromid  =  ^jH^Br,  —  130* 
Propylenbromid  =  OsH^Br,  —  146* 
Butyienbromid    =  e4HgBra  —  160* 


Differenz  =  16*. 

Eine   vollständige  Abweichung   endlich    yon    allen  Siedepunktsregelmässig- 
keiten  zeigen  die  zweiatomigen  Alkohole  (Glycole);  es  siedet: 

Glycol  =  62H,  Oa  bei  196* 

Propylglycol  =  6aH,  O,   „    192* 
Amylglycol    =  ^fiii^t   „    177*. 

Die  mitgetheilten  Beispiele  zeigen  zur  Genüge,  dass  der  Satz:  einer  gleichen  478. 
Zusammensetzungsdifferenz  entspricht  auch  eine  gleiche  Differenz  der  Siedpunkte, 
keineswegs  ein  allgemein  gültiges  Gesetz  ist.  Wenigstens  nicht,  wenn  man,  wie 
dies  seither  geschah,  die  Siedpunkte  für  den  gewöhnlichen  mittleren  Luftdruck 
▼ergleicht  Es  ist  möglich,  dass  sich  ein  allgemein  gültiges  Gesetz  wird  auffinden 
lassen,  wenn  man  erst  bei  den  Siedepunktsbestimmungen  alle  störenden  Einflüsse 
ausschliessen  und  die  Siedpunkte  für  wirklich  correspondirende  Bedingungen,  na- 
mentlich bei  correspondirendem  Druck  wird  yergleichen  können.  Es  ist  nämlich 
klar,  dass  die  Differenz  der  Siedpunkte  zweier  Substanzen  nicht  für  jeden  beliebi- 
gen Druck  dieselbe  sein  kann.  Wollte  man  annehmen,  die  Siedpunkte  zweier 
Flüssigkeiten  bei  gewöhnlichem  Luftdruck  (S  und  S^)  zeigten  dieselbe  Differenz  wie 
die  Siedpunkte  derselben  Flüssigkeiten  bei  irgend  anderem  Druck  (s  und  s^), 

S  —  Si  a=  s  —  Si 
so  würde  auch 

S  —  s  t=  Si  —  Sj 

sein,  das  heisst:   die  Siedpunkte  beider  Flüssigkeiten  müssten  sich  für  gleiche  Aen- 
derung  des  Druckes  um  genau  gleichviel  ändern,  was  keineswegs  der  FaU  ist 

Man  hat  sich  mehrfach  bemüht,  für  die  Abhängigkeit  des  Siedpunkts  von  479. 
der  chemischen  Zusammensetzung  in  ähnlicher  Weise  einen  allgemeinen  Ausdruck 
aufzufinden,  wie  dies  für  die  specifischen  Volume  der  Flüssigkeiten  geschehen  ist 
(S-  442.)     Man  hat  namentlich  den  Einfloss  zu  bestimmen  gesucht,  welchei»  das 


286  Physikidiselier  Theü. 

Zu-  oder  Austreten  eimea  bestimmten  ElementoB  auf  den  Siedpunkt  aut<lbe*).  Alle 
diese  Bestrebungen  haben  bis  jetzt  zu  keinem  genügendea  Resultate  geführt.  Mfto 
iflt  im  Stande  gewesen,  aus  den  Siedpunkten  einzelner  Gruppen  von  Verbindungen 
Regeln  abzuleiten,  deren  Anwendung  die  Siedpunkte  einer  gewissen.  Anzahl,  ande- 
rer Körper  in  ziemlicher  Uebereinstimmung  mit  den  beobachteten  Siedpunkten  zu 
berechnen  gestattet,  die  aber  Itir  eine  grosse  Anzahl  anderer  Körper  von  den  That- 
sachen  völlig  abweichende  Resultate  geben. 

So  können  (nacli  Kopp)  die  Siedpunkte  eiiler  grossen  Anzahl  von  Säuren, 
Aetherarten  u.  s.  w.  berechnet,  d  h.  aus  dem  Siedpunkt  einer  andern  analogen 
Verbindimg  abgeleitet  werden,  wenn  man  annimmt,  ein  Mehrgehalt  von  n.0  er- 
höhe, ein  Mindergehalt  von  n.6  erniedrige  den  Siedpunkt  um  n.29®;  ein  Mehr- 
gehalt von  n.H  erniedrige,  ein  Mindergehalt  von  n.H  erhöhe  den  Siedpunkt  um 
n-.6<>. 

Ebenso  können,  nach  Gerhardt,  die  Siedpunkte  der  Kohlenwasserstoffe  aus 
dem  Siedpunkt  eines  andern  Kohlenwasserstoffs  (des  Terpentinöls  z.  B.  =  0|oH|g 
Siedp.  160®)  hergeleitet,  werden,  wenn  man  für  ±  -G  die  Differenz  +  35®,  für 
+  H2  die  Siedpunktsdifferenz  4^  15®  annimmt. 

480.  Ueber  die  Abhängigkeit  des  Siedpunkts  vom  Druck  liegen 

Hoch  wenig  Experimentaluntersuchungen  vor.  Man  weiss,  dass  für  alle 
Flüssigkeiten  def  Siedpunkt  steigt  mit  wachsendem  Druck  und*  dass  das 
Sieden  im  luftverdünnten  Raum  bei  niedrigeren  Temperaturen  stattfindet 
als  unter  gewöhnlichem  Luftdruck.  Man  weiss  ferner,  dass  verschiedene 
Flüssigkeiten  bei  Temperaturen,  die  gleich  weit  von  ihrem  Siedpunkt  ab- 
stehen, nicht  gleiche  Dampfspannungen  zeigen,  wie  dies  von  Dalton  an- 
genommen wurde;  dass  also  für  verschiedene  Flüssigkeiten  für  gleiche 
Zunahme  des  Drucks  nicht  gleiche  Erhöhung  des  Siedpunktes  stattfindet 

So  sind  z.  B.  die  Dampfspannungen  (in  Millimetern  Quecksilber)  bei  24® 
über  dem  Siedpunkt: 


Aether. 

Alkohol. 

Schwefelkohlenstoff. 

Wasser. 

Terpenünöl. 

bei  60® 

bei  102® 

bei  71® 
1597»» 

bei  124® 

bei  181® 

1730,3»» 

1800»» 

1690,8»» 

1258»». 

Die  früher  (§.  86)  mitgetheilte  Correctur  des  Siedepunkts  auf  Normalbaro- 
meterstsnd  ist  dessholb  nur  annähernd  richtig  und  nin-  dann  anwendbar,  wenn 
der  Druck  nicht  stark  von  dem  mittleren  Atmosphärendruck  verschieden  isL 

431,  Die  Schmelzpunkte  analoger  Substanzen  scheinen  eine  ähnliche 

Abhängigkeit  von  der  Zusammensetzung  zu  zeigen,  wie  die  Siedpunkle. 
Wenigstens  hat  die  von  Dumas  1842  (vgl.  §.142)  gegebene  Regel,  „dass 
für  die  Reihe  der  fetten  Säuren  die  S^hmelzbarkeit  in  dem  Grade  zu- 
nimmt,  als  man  sich  mehr  der  Ameisensäure  nähert,'^   sich  bei  neueren 


®)  Gerhardt    Schröder.    Löwig.  .  Kopp. 


Schmelsponkt 


297 


Yersucken  bestätigt  und  man  hat  auch  für  andere  Reihen  homologer 
Körper  gefunden,  dass  der  Schmelzpunkt  .um  so  höher  liegt,  je  reicher 
die  Substanz  an  Kohlenstoff  und  Wasserstoff  ist.  —  Es  findet  also  wie 
bei  den  Siedepunkten,  so  auch  bei  den  Schmelzpunkten  eine  gewisse 
Homologie  statt;  aber  aus  den  wenigen  Schmelzpunkten,  die  bis  jetzt 
genauer  bestimmt  worden  sind,  haben  sich  noch  keine  allgemeinen  Re- 
gelmässigkeiten ableiten  lassen,  sogar  innerhalb  derselben  homologen 
Reihe  entspricht  derselben  Zusammensetzungsdifferenz  nicht  immer  die- 
selbe Differenz  der  Schmelzpunkte. 

Nach  Hanhart  zeigen  indess  die  entsprechenden  Aether  der  Hargarinsänre 
und  der  Stearinsäure  unter  einander  dieselbe  Schmelzpunktsdifferenz  und  diese 
Differenz  ist  ausserdem  noch  gleich  mit  der  Differenz  der  Schmelzpunkte  der  Säure-, 
hydrate.    Es  ist  nämlich  der  Schmelzpunkt: 


für  Margarinsäure. 

für  Stearinsäure. 

Differenz. 

Säure                        eo^ 

70<> 

10« 

»lethyläther              27»,5 

38» 

10<»,5 

Aethyläther               22<» 

33« 

11» 

Amyläther                14« 

25« 

11«. 

Auch  auf  den  Schmelzpunkt  übt  der  äussere  Druck  einen  nicht  un-  482. 
bedeutenden  Einfluss  aus.   Bei  höherem  Druck  erfolgt  die  Erstarrung  einer 
geschmolzenen  Substanz  schon  bei  höherer  Temperatur. 

So  fand  Bunsen: 


für  Wallrath. 

Druck  in  Atmosph. 

Erstarrungsp. 

1 

47«,7 

29 

48«,3 

96 

49«,7 

141 

500,5 

156 

60*,9 

Ebenso  fand 

Hopkins : 

Druck  in  Atmosph. 

W 

1 
520 

793 

für  Paraffin. 
Druck  in  Atm.      Erstarrungsp. 
1  46»,3 

86  480,9 

100  490,9. 


Schmelzpunkt  von 

Wallrath.         Wachs.        Stearin. 

510,6  640,7  670,2 

600,0  740,7  680,8 

800,2  80*,2  730,8. 


Volumveränderung  beim  Uebergang  von  einem  Aggre- 
gatzustand in  den  andern. 

Beim  Uebergang  von  einem  Aggregatzustand  in  den  andern  findet  488« 
stets  eine  plötzliche  Veränderung  des  Volums  statt. 


288  Physikalischer  TheiL 

Feste  Körper  erleiden  in  den  meisten  Fällen  bei  dem  üebergang 
aus  dem  starren  in  den  flüssigen  Zustand  eine  plötzliche  Ausdehnung. 
Diese  Ausdehnung  ist  bei  den  verschiedenen  Körpern  ungleich  stark* 

Sie  ist  z.  B.  ftir  Wachs  ==  0,4  p.  C;  für  Stearinsäure  =  11,0  p.  C. 

1  VoL  Wachs  bei  0«  erfüllt  fest  bei  64«— 1,161  Vol.;  flüssig  bei  64«-- 1,1 66  Vol. 

1  Vol.  Stearinsäure    „   0*      „       „     „  70«— 1,079    „  „        „    70*— 1,198  „ 

Von  den  freilich  nur  wenig  zahlreichen  organischen  Substanzen,  deren  Vo- 
lumveränderung  beim  Schmelzen  bis  jetzt  ermittelt  ist,  zeigt  keine  (so  wie  dies 
bei  dem  Wasser  der  Fall  ist)  in  festem  Zustand  ein  grösseres  Volum  als  in  flös- 
sigem; alle  dehnen  sich  im  Moment  des  Schmelzens  aus. 

484.  Flüssige   Körper    dehnen   sich    im  Moment  des  Uebergangs   in 

den  elastisch  -  flüssigen  Zustand  sehr  bedeutend  aus.     Auch  hier  ist  die 
Ausdehnung  für  die  verschiedenen  Körper  sehr  verschieden. 

Directe  Bestimmungen  dieser  Ausdehnung  sind  für  organische  Substanzen 
nicht  ausgeführt.  Für  alle  die  Substanzen,  deren  specifisches  Gewicht  in  flüssigem 
und  gasförmigem  Zustand  bei  der  Temperatur  des  Siedepunkts  bekannt  oder  aus 
andern  Eigenschaften  herleitbar  ist  (vgl.  §§.  472,  473),  lässt  sich  die  Ausdehnung 
leicht  berechnen.  Man  erhält  den  Ausdehnungsquotient,  wenn  man  mit  dem  Gewicht 
eines  Volumes  Dampf  beim  Siedpunkt  in  das  Gewicht  eines  gleichgrossen  Volumes 
Flüssigkeit  beim  Siedpunkt  dividirt;  oder  auch,  wenn  man  das  specifische  Volum 
des  Dampfes  beim  Siedpnnkt  dividirt  durch  das  speciflsche  Volum  der  Flüssigkeit 
beim  Siedpunkt.  Die  so  berechneten  Ausdehnungsquotienten  verschiedener  Sub- 
stanzen haben  bis  jetzt  keine  einfachen  Beziehungen  weder  unter  einander,  noch  mit 
dem  Moleculargewicht  etc.  erkennen  lassen;  es  ergibt  sich  nur,  in  Uebereinstim- 
mung  mit  der  Betrachtung,  dass  isomere  Körper  von  gleichem  Siedpunkt  (z.  B.  die 
isomeren  Aetherarten)  eine  gleich  grosse  Ausdehnung  erfahren. 

Latente  Wärme. 

^g  Die  latenteSchmelzwärme  ist  überhaupt  wenig,  für  organische 

Substanzen  noch  nicht  untersucht  worden. 

Die  latente  Dampfwärme  wurde  mehrfach,  namentlich  von 
Favre  und  Silbermann  und  von  Andrews  experimentell  bearbeitet.  Per- 
son hat  sich  bemüht  Regelmässigkeiten  in  den  Dampfwärmen  und  Bezie- 
hungen zu  andern  Eigenschaften  aufzufinden.  Er  glaubte  namentlich  (1843 
und  später),  dass  die  latente  Dampfwärme  der  Holecüle  für  Körper  von 
gleichem  Siedpunkt  gleich  sei  und  dass  sie  bei  den  übrigen  Substanzen 
im  Allgemeinen  mit  den  Siedpunkten  zunähme. 

Die  folgende  Tabelle,  in  welcher  die  von  den  genannten  Beobachtern  fUr 
einige  organische  Verbindungen  beobachteten  Dampfwärmen  zusammengestellt  sind, 
jbdgt  in  wie  weit  dies  der  Fall  ist. 


Latente  Wflnn«. 


289 


Latente  Wfirme  für: 

Sied- 
punkt. 

Gewichts- 

1  Volumen 

Molecular- 

einheit 

Dampf: 

gewicbt 

Aethyläther 

84« 

91,1 

268,2 

6784 

AmeisenB.  Methylfither 

86« 

117,1 

282,8 

7020 

Esngs.  Methylfither 

65* 

110,2 

803,6 

8140 

Ameisens.  Aethylftther 

65« 

105,8 

290,8 

7770 

Methylalkohol 

69* 

268,8 

818,5 

8441 

Jodfithyl 

710 

46,9 

264,7 

7382 

Essigs.  Aethylftther 

740 

106,8 

287,9 

9810 

Alkohol 

78» 

206,8 

824,2 

9568 

Bntters.  Methylfither 

93* 

87,8 

8904 

Ameisensfiore 

99* 

120,7 

6562 

Wasser 

lOO« 

686,0 

818,8 

9648 

Essigsfinre 

HS* 

101,9 

6120 

Amylalkohol 

186« 

121,4 

10688 

Battersfiure 

166« 

114,9 

10120 

Baldiiansfiure 

176* 

i    108,6 

10667 

186« 

72,7 

291,4 

10614 

Aethal 

860* 

68,6 

14167 

Keuerdmgs  hat  J.  Schiel  *)  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  ftir  die  homo- 
logen Alkohole  (Methyl,  Aethyl,  Amyl  und  Cetylalkohol)  die  latenten  Dampfwfir- 
men  gleicher  Gewichte  in  geradem  Verhfiltniss  zu  den  Ausdehnungsquotienten 
(S.  484)  stehen. 


Physikalische    Phänomene    beim    Zusammenbringen    verschiedener 
Körper,  die  keine  chemische  Wirkung  auf  einander  ausüben. 

Die   physikalischen    Erscheinungen ,   welche  beim    Mischen   zweier  486. 
Körper  von  gleichem   Aggregatzastande  eintreten,    (Dififusion  der  Oase, 
Mischbarkeit  und  Dififusion  der  Flüssigkeiten  etc.)    können   hier  nicht  im 
Zosammenhang  erörtert  werden ;  es  ist  nur  auf  einzelne  Punkte  hinzuwei- 
sen, die  für  die  organische  Chemie  Ton  Wichtigkeit  sind. 

Die  Diffusion  der  Gase  kann  bisweilen  als  gasometrische unter-  487. 
suchungsmethode  Anwendung  finden.     Sie  gestattet  zu  entscheiden,  ob 
ein  gegebenes  Gas  ein  einfaches  oder  ein  Gemenge  mehrerer  Gase  ist  **). 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CZ.  141. 

**)  Vgl.  R.  Bunsen:  Gasometrische  Methoden.  S.  207  u.  bes.  242. 
KekaU,  orgu.  Ch«ml«.  19 


290  PhydkaliBcher  Tbefl. 

Die  gewöhnliche  Methode  der  VerpuffiingBanalyse  kann  begreifficherweise 
diese  Frage  nicht  in  ali^n  Füllen  entscheiden,  weil  die  Verbrennungsproducte  zweier 
nach  gleichem  Volumen  gemischter  Gase  dieselben  sein  und  in  demselben  VerhlQt- 
nisB  stehen  kömien  wie  die  Verbrennangsprodacte  eines  einfachen  Gases  (z.  B.  Graben- 
gas =  Methyl  4- ^«^^^^ff;  2OH4  =  ÖaH,  4-  Ha).  Wenn  sich  in  einem  solchen 
Fall  die  etwa  gemischten  Gase  durch  Absorptionsmittel  nicht  trennen  lassen ,  wie 
dies  in  dem  erwähnten  Beispiel  der  Fall  ist,  so  reichen  die  gewöhnlichen  Metho- 
den der  gasometrischen  Untersuchung  nicht  aus.  Die  Frage  kann  aber  mit  Be- 
stimmtheit eptschieden  werden,  indem  man  das  Gas  durch  Verpaffung  analysirt, 
dann  mit  atmosphärischer  Luft  diffundirt  und  durch  eine  zweite  Analyse  ermittelt, 
ob  sich  in  Folge  der  Diffusion  das  relative  Verhältniss  der  Verbrennungsproducte 
geändert  hat.  Ist  dies  der  Fall,  so  war  das  Gas  ein  Gemenge;  tritt  dagegen  keine 
Aenderung  im  Volumverh^tniss  der  Verbrennungsproducte  ein,  so  kann  das  Gas 
kein  Gemisch  von  mehreren  sein. 

Auf  di/ese  Weise  hat  Bunsen  nachgewiesen,  dass  das  beim  Erhitzen  von  es- 
sigsaMren  Salzen  mit  einem  Alkalihydrat  entstehende  Gas  Methylwasserstoff  und 
nicht  etwa  e^i  Gemenge  von  Wasserstoffgas  mit  Methyl  ist 

488.  B^im    Mischen   von   Flügsigkeiten   tritt    häufig   CoDtraction   ein, 

d.  h.  ^  Volum  des  Qemi8Gh|äs  ist  kleiner  ^Ib  die  Summe  dej  Yolumina 
der  bei4^n  Flassigkeitep  vor  der  Mischung. 

Das  ]!|[aximum  der  Contraction  oder  aber  das  Maximum  des  speoifi- 
Bchen  Gewichtes  entspricht  dann  meist  einer  Verbindung  nach  bestimm- 
ten Verhältnissen. 

Es  ist  einleuchtend,  dass  bei  allen  sich  mit  Contraction  mischenden 
Flassigkeiten  aus  einer  Bestimmung  des  specifischen  Gewichtes  (mitteist 
des  Areometers  z.  B.)  nicht  direct  die  Verhältnisse  abgeleitet  werden 
können,  nach  welchen  die  beiden  Flüssigkeiten  gemischt  sind,  dass  es 
vielmehr  uöthig  ist,  vorher  durch  empirische  Bestimmungen  die  Relatio- 
nen zwischen  den  specifischen  Gewichten  und  dem  Procentgehalt  fest* 
^usteUen. 

Ein  Maximum  der  Contraction  findet  z.  B.  statt  bei  Mischungen  von  Alkohol 
mid  Wasser.  62,3  VoL  Alkohol  mit  47,7  Vol.  Wasser  bei  lö®  geben  96,36  VoL 
statt  100.    Es  entspricht  dies  der  Znsammensetzung:  O^H^'G'  *f-  SH^O. 

Ein  Maximum  des  specifischen  Gewichtes  zeigt  sich  bei  Gemischen  von  Essig- 
säure mit  Wasser.  Das  specifische  Gewicht  des  Essigsäurehydrats  bei  16^  ist:  1,068. 
Setat  man  zu  flsßigsäure  Wasser,  so  entstehen  Anfangs  Gemische  von  zunehmendem 
specifischen  Gewicht;  bei  77,2  VoL  Essigsäure  auf  22,8  Vol.  Wasser  hat  das  Ge- 
misch da^  Maximum  des  specifischen  Gewichtes:  1,0736;  bei  Zusatz  von  mehr 
Wasser  wird  es  wieder  specifisch  leichter.  Das  Maximum  des  specifischen  Gewichts 
entspricht  der  Zusammensetzung:  62H4O2  -}*  ^a*^- 

Fttr  mit  Wasser  verdünnten  Alkohol  und  ftlr  wasserhaltige  Essigsäure  sind 
also  Reductionstabellen  nöthig,  wenn  man  aus  dem  specifischen  Gewicht  den  Pro- 
centgehalt herleiten  will.  Für  Essigsäure  ist  es  weiter  nöthig,  dass  man  vorher 
weiss,  ob  das  Gemisch  verdünnter  oder  concentrirter  ist  als  dasjenige  von  der 
grössten  Dichte. 


Abforptioa.  291 

Die  Gemische  fester  Subslaosen  zeigen  häaflg  Sehmelzponkte,  489. 
die  nicht  zwischen  den  Schmelzpunkten   der  beiden  Oemengtheile  liegen, 
sondern    vielmehr   niedriger    sind   als    der   Schmelzpunkt    des   niedriger 
aohmelaendeii  Bestandtheiles. 

Dies  zeigt  sich  z.  B.  bei  vielen  MetaDlegirongen,  bei  Gemischen  von  salpeter- 
saarem  Kali  und  salpetersaurem  Natron  etc.;  aber  auch  bei  vielen  orgamschen 
Substanzen. 

So  liegt  z  6.  der  Erstarrungspunkt  des  essigsauren  Kalis  bei  292^,    der  des' 
essigsauren  Natrons  bei  819®.     Ein  Gemisch  beider  Salze   nach  gleichen  Aequiva- 
lenten  erstarrt  erst  bei  224®. 

Auch  die  Gemische  fetter  Sfturen  zeigen  diese  Emiedrigong  des  Schmelz- 
poMkts  .*). 

Stearinsäure  schmilzt  bei  69,2®,  Palmitmsäure  bei  62®*,  ein  Gemisch  von  80 
Theilen  der  ersteren  mit  70Theilen  der  letzteren  schmilzt  bei  55,1®.  Myristinsäure 
schmilzt  bei  58,8®;  ein  Gemisch  aus  20  Theilen  Stearinsäure  mit  80  Theilen  Mjnri- 
stinsäure  schmilzt  schon  bei  47,8®,  ein  Gemisch  aus  80  Theilen  Palmitinsäure  mit 
70  Theüen  Myristinsäure  schon  bei  46,2®  etc. 

Man  kann  also  ans  der  Schmelzpunktsbestimmnng  einer  fetten  Säure  keinen 
Sehloss  ziehen  auf  ihre  Stellung  in  der  homologen  Reihe,  d.  h.  auf  ihre  Zusammen- 
setzung. Man  kann  aber,  wenn  die  Zusammensetzung  und  der  Schmelzpunkt  ge- 
naq.  bestimmt  sind  mit  ziemlicher  Sicherheit  angeben,  ob  eine  fette  Säure  ein  Ge- 
menge ist  oder  nicht,  nicht  aber,  aus  welchen  Säuren  das  Gemenge  besteht. 

Absorption  von  Gasen  darch  FlQßsigkeiten. 

Die  Gesetzmässigkeiten,  welche  bei  der  Absorption  von  Oasen  durch  490. 
Flflssigkeiten  stattfinden,  sind  schon  seit  lange  von  Henrj,  Saussure,  Gay- 
Luseac,    Magnus  etc.  und  in  neuerer  Zeit,   nach  wesentlich  verbesserten 
Methoden,  von  Bunsen  erforscht  worden. 

Die  Menge  eines  von  einer  Flüssigkeit  absorbirten  Gases  ist  ab- 
hftngig: 

1)  Von  der  Natur  der  Flüssigkeit. 

2)  Von  der  Natur  des  Gases. 

3)  Vom  Druck. 

4)  Von  der  Temperatur. 

Die  Absorptions&higkeit  verschiedener  Flüssigkeiten  für  dasselbe 
Gas  ist  noch  wenig  erforscht;  in  neuerer  Zeit  hat  man  bis  jetzt  nur 
Wasser  und  Alkohol  als  Absorptionsmittel  angewandt.  Aus  den  Resul- 
taten der  alteren  Versuche  glaubte  man  den  Schluss  ziehen  zu  können, 
die  Flüssigkeiten  absorbirten  die  Gase  in  um  so  grösserer  Menge  je  ge- 
ringer ihr  specifisches  Gewicht  sei. 

Was  den  Einfluss  der  Natur  des  Gases  angeht,  so  hat  man  gefun- 
den, dass  im  Allgemeinen  diejenigen  Gase  in  grösster  Menge  absorbirt 


*)  Vgl.  Heintz:  lieb.  Jahresbericht  1854.  S.  458. 

19 


292  PhysSkaliflcher  TheiL 

werden,  welche  leicht  verdichtbar  sind,  sich  also  bei  gewöhnlichen  Tem- 
peratur- und  Druckverh&ltnissen  ihrem  Verdichtungspunkt  nahe  befinden. 
Es  kommt  übrigens  offenbar  einer  jeden  FlQssigkeit  in  Rezug  auf  jedes 
Gas  eine  bestimmte  Absorptionsfähigkeit  zu,  die  gleichzeitig  von  der 
Natur  der  Flüssigkeit  und  der  Natur  des  Gases  bedingt  ist 

Zwischen  dem  Druck  und  der  absorbirten  Gasmenge  besteht  ein  ein- 
facher gesetzmässiger  Zusammenhang.  Die  bis  jetzt  bekannten  Versuche 
haben  für  fast  alle  Gase  den  von  Henry  1803  aufgestellten  Satz  bestä- 
tigt: dass  bei  unveränderter  Temperatur  immer  gleichgrosse  Volumina 
eines  Gases  absorbirt  werden ,  welches  auch  der  auf  dem  Gase  lastende 
Druck  sei^  dass  also  die  Gewichtsmenge  des  absorbirten  Gases  dem 
Druck  proportional  sei*). 

Der  Einfluss  der  Temperatur  auf  die  absorbirte  Gasmenge  ist  weit 
weniger  einfach.  Ohne  Ausnahme  wird  die  Menge  des  absorbirten  Gases 
durch  Temperaturerhöhung  vermindert  Aber  Dalton's  durch  seine  Ein- 
fachheit ansprechender  Satz,  es  würden  bei  constantem  Druck  bei  allen 
Temperaturen  gleiche  Gasvolumina  aufgenommen,  hat  sich  nicht  bestätigt. 
Man  hat  vielmehr  gefunden,  dass  die  absorbirte  Gasmenge,  für  die  mei- 
sten Gase,  bei  steigender  Temperatur  rascher  abnimmt,  als  die  Dichte 
des  Gases  und  dass  diese  Abnahme  der  Absorptionsfähigkeit  nicht  für 
alle  Gase  gleich,  sondern  abhängig  ist  von  der  Natur  des  absorbirten 
Gases  und  der  absorbirenden  Flüssigkeit 

Eine  Ausnahme  von  dieser  rascheren  Abnahme  der  Löslichkeit  bei 
steigender  Temperatur  machen:  Wasserstoff  in  Wasser  und  Sauerstoff 
und  Kohlenoxyd  in  Alkohol,  bei  welchen  für  alle  Temperaturen  stets 
gleiche  Volumina  absorbirt  werden. 

491.  Mau  nennt  Absorptionscoefficient  das  auf  0®  und  760*°"  Queck- 

silberdruck reducirte  Gasvolum,  welches  von  der  Volumeinheit  einer  Flüs- 
sigkeit unter  dem  Quecksilberdruck  von  760°"»  absorbirt  wird. 

Der  Absorptionscoefficient  ist  z.  B.  für: 

Wasserstoff  in  Wasser  (0<>— 20®)  .  .  a  ~  0,0193  constant 
Sauerstoff  in  Alkohol  (0®— 25<>J  .  .  a  =  0,28397  constant. 
Kohlenoxyd  in  Alkohol  (0<>— 250)  .  .  a  =  0,20443  constant 

Für  die  übrigen  Gase,  bei  welchen  die  Absorptionsfähigkeit  mit  der 
Temperaturerhöhung  abnimmt,  kann  der  AbsörptionscoeiBcient  ausgedrückt 


*)  Eine  Ausnahme  von  diesem  Gesetz  zeigen  nach  den  Versuchen  von  Roscoe 
einzelne  leicht  verdichtbare  Gase,  namentlich  Salzsfiure  und  Ammoniak  in 
Wasser.  Es  scheint  also,  als  ob  das  Henry'sche  Gesetz  nur  innerhalb  ge- 
wisser Grenzen  von  Druck  und  Temperatur  richtig  sei. 


Ibflorpflon.  293 

werden  doreh  eine  aus  den  Versnohsresultaten  abgeleitete  Interpolations- 
formel  von  der  Form*): 

a  =  A  —  B.  t+C.t^ 
Er  ist  s.  B.  fllr  Kolüenozyd  in  Wasser  (O^-— 20^): 

a  s  0,032874  —  0,00081682  .  t  +  0,000016421  .  t^ 

das  hdsBt:    1  Vol.  Wasser  von  0^   absorbirt  0,082874  Vol.  Eohlenozyd;    1  VoL 
Wasser  von  14^  absorbirt: 

a  =  0,082874  -  0,00081682  .  14  4-  0,000016421  .  14« 

oder:  0,024664  Volumina  Kohlenozyd. 

Im  Folgenden  sind  die  die  Absorptionscoefficienten  für  verschiedene  Tempe» 
ratoren  ansdrackenden  Interpolationsformeln  für  einige  kohlenstoffhaltige  Gase  zu- 
sammengestellt Es  ist  dabei  noch  der  Absorptionscoefßcient  bei  16^  (gewöhnliche 
Lufttemperatur)  beigefügt 

Für  Wasser.  (O«— 20) 

Kohlensäure  a  =  1,7967    —  0,07761  .  t  4.  0,0016424  .  t> 

(bei  16*:  a  =  0,9768) 
Eiayl  a  s  0,26629  -  0,00918681  .  t  +  0,000188108  .  t>* 

(bei  16»:  a  =  0,1688) 
'      Grubengas  a  =  0,05449  —  0,0011807  .  t  -|-  0,000010278  .  t^ 

(bei  16«:  «  =  0,0882) 
Methyl  a  =  0,0871     —  0,0088242  .  t  4-  0,0000608  .  t> 

(bei  16«:  a  =  0,0498) 
Aethyl  n  =  0,031474  —  0,0010449  .  t  +  0,000026066  .  t> 

(bei  16«:  a  =  0,0212) 
Aethylwasserstoff  *•)   n  =  0,094656  -  0,0085824  .  t  +  0,00006278  .  t* 

(bd  leP:  a  =  0,0541) 

Für  Alkohol  (0*— 25«) 

Kohlensäure  a  =  4,82955  —  0,09395  .  t  +  0,00124  .  t« 

(bei  16<»:  a  =  3,1488) 

Elayl  a  =  3,594984  —  0,0577162  .  t  +  0,0006812  .  t> 

(bei  16«:  a  =  2,8459) 

Grubengas  a  =  0,622686  —  0,0028655  .  t  +  0,0000142  .  t> 

(bei  16»:  a  =:  0,4804) 


*)  Die  bei  verschiedenen   Temperaturen    absorbirten  Gasmengen  können  also 

durch  parabolische  Curven  dargestellt  werden. 
«•)  Schickendantz,  von  welchem  diese  Bestimmung  herrührt,  macht  noch  darauf 
aufmerksam,  dass  die  Absorptionscoefficienten  für  Aethylwasserstoff  und  das 
polymere  Methyl  nahezu  identisch  sind  und  dass  die  sie  darstellenden  Curven 
parallel  laufen  und  nur  wenig  von  einander  verschieden  sind. 


291  PhysikaUadi»  TheiL 

492.  .        Füv  die  Absorption  you  Gasgemengen  bat  sidi  die  Ton  Henry 

auf  Dalton's  Satz,  dass  sich  bei- Mischung  chemiseh  nickt  airfeinaader 
wirkender  Oase  jedes  Gas  in  den  von  dem  andern  erfüllten  Raum  wie 
in  einen  leeren  Raum  verbreite  und  dass  sich  die  Spannkräfte  der  sich 
mischenden  Gase  einfach  summiren,  begründete  Theorie  —  das  s.  g. 
Henry -Dalton'sche  Gesetz  —  für  nahezu  alle  Falle  bestätigt.  Man  hat 
gefunden,  dass  die  absorbirten  Mengen  der  Gemengtheile  proportional 
sind  dem  Druck,  welchen  jeder  dieser  Gemengtheile  für  sich  ausübt  Je» 
des  einzelne  Gas  eines  Gasgemenges  wird  also  nach  dem  ihm  bei  der 
betreffenden  Temperatur  zukommenden  AbsorptionscoefBcienten  absorbirt 
und  so  als  stünde  es  unter  einem  Druck,  welcher  gleich  ist  dem  ihm  zq- 
kommenden  Bruchtheil  des  Gesanimtdrucks  des  Gemenges;  ein  Druck- 
äntheil,  welcher  natürlich  dem  Bruchtheil  des  Gesammtvolumß,  welchen 
das  betreffende  Gas  einnimmt,  proportional  ist. 
498.  Diese  Gesetze  der  Absorption  einfacher  und  gemischter  Gase  machen 

es  möglich,  die  Absorption  als  Erkennungsmittel  der  Gase  und  selbst  als 
Mittel  der  qualitativen  und  quantitativen  Analyse  von  Gasmengen  anzu- 
wenden. 

Eine  Bestimmung  des  AbsorptionBCoefficientea  genügt  £.  B.  um  au  Migen, 
ob  ein  auf  irgend  eine  Art  erhaltenes  Gas  identisch  oder  nur  isomer  ist  mit  einem 
bekannten  Gas  von  gleicher  Zasammensetzong. 

Ebenso  kann  durch  absorptiometrische  Bestimmung  dargethan  werden,  ob 
ein  untersuchtes  Gas  ein  einfaches  oder  ein  Gemenge  mehrerer  ist.  So  wurde 
z.  B.  für  das  aus  essigsauren  Salzen  durch  Erhitzen  mit  einem  Alkalihydrat  ent- 
stehende Gas  durch  Absorptionsversuche  erwiesen,  dass  es  nicht  ein  Gemenge  von 
Wasserstoff  und  Methyl  zu  gleichen  Volumen,  sondern  ein  einfaches  Gas  ist  und 
es  wurde  gleichzeitig  dargethan,  dass  es  identisch  ist  mit  dem  in  der  Natur  vor- 
kommenden Grubengas. 

Absorptiometrische  Bestimmungen  sind  femer  in  vielen  Fäüen  eine  einfache 
und  genaue  Methode  der  quantitativen  Analyse  eines  Gasgemenges,  dessen  Gemeng- 
theile qualitativ  schon  bekannt  sind.  Sie  gestatten  aber  sogar  die  qualitative  und 
quantitative  Analyse  eines  Gemenges  von  unbekannter  Zusammensetzung.  Aus 
mehreren  Absorptionsversuchen  k6nnen  nämlich  die  AbsorptionscoefBcienten  der 
Gemengtheile  hergeleitet,  also  nachgevriesen  werden,  dass  das  Gemenge  aus  den 
Gasen  besteht,  welchen  die  gefundenen  CoeiBcienten  zukommen.  Dieselben  Bestim- 
mungen geben  gleichzeitig  das  quantitative  Verhfiltniss,  in  welchen  4ie  gefonde- 
nen  Gase  gemengt  sind. 

Die  Grenzen  dieses  Werkes  gestatten  nicht  auf  Methode  der  Ausführung  ab- 
sorptiometrischer  Versuche  und  auf  Berechnung  der  gefundenen  Resultate  weiter 
einzugehen;  man  vgl.~  Bunsen:  Gasometrische  Methoden.  S.  136  ff. 

494.  Destillation  von  Gaslösungen^und   von   gemischten  Fltlssig- 

keiten.  Die  Lösungen  von  Gasen  in  Flüssigkeiten  verlieren  bekanntlich  im  All- 
gemeinen mit  steigender  Temperatur  stets  mehr  des  gelösten  Gases.  Durch  laag- 
anhaltendes  Sieden  kann  in  den  meisten  Fällen  selbst  die  letzte  Spur  des  Gases 
ausgetrieben  werden.  Es  kommt  indessen  vor,  dass  Gaslösungen  unverändert 
flüchtig,  also  destiUirbar  sind;   dass  sie  einen  constanten  Siedpnnkt  und  eine  con- 


Destmatiim  gemiBditep  FHMgkeiteiL  295 

Staate  ZusammeiuietBimg  seigeik  So  nedet  bei  gewöimMcheia  Druck  eine  LOeottg 
von  Salzsäure  in  Wasser  (20,22  p.  C.  Salzs&ure)  bei  llO^j  die  Zusammensetzung 
dieser  Säure  entspricht  der  Formel  HCl  -|-  SHsG^.  Neuerdings  haben  Roscoe  und 
Dittmar  geieigt^  dass  durch  ^ränderten  Drucle  der  Sledt>unkt  ttkd  die  ZtidMnmen- 
Setzung  der  destillirenden  Salzsäurelösung  geändert  wi#d  und  dass  jedem  Druck 
ein  bestimmter  Siedpunkt  und  eine  bestimmte  Zusammensetzung  entspricht.  Nach 
diesen  Erfahrungen  kann  die  bei  gewöhnlichem  Druck  destiUirende  Salzsäure  nicht 
mehr  ftir  eine  wirkliche  chemische  Verbindung  angesehen  werden. 

Fttr  organische  Substanzen  ist  ein  solches  Verhaken  bei  wirklichenf  OaslÖsun- 
gen  bis  jetzt  ideht  beobachtet,  aber  man  hat  häufig  bei  DestUlatioii  von  Fltlssig^ 
keitogemischen  ähnliche  Erfahrungen  gemacht. 

Man  findet  zunächst  allgemein,  dass  bei  Destillation  gemischter  Fltlssigkeiteii 
ein  beträchtlicher  Antheil  bei  Temperaturen  überdestüHrt,  die  zwischen  den  Sied- 
punkten der  einzelnen  Flüssigkeiten  liegen.  Die  Menge  solcher  intermediären  De- 
stillate ist  einerseits  abhängig  von  der  Tension  der  Flüssigkeiten.  Man  weiss,  dass 
alle  Flüssigkeiten  bei  Temperaturen,  die  weit  unter  ihrem  Siedpunkt  liegen,  ver- 
dunsten ,  um  so  leichter  je  grösser  ihre  Tension  ist  und  je  rascher  die  über  der 
FLfissigkeit  befindliche  Atmosphäre  wechselt.  Bei  Destillationen  gemischter  Flüs- 
sigkeiten siiild  aber  die  Bedingungen  zur  Verdampfung  de^  scbwei'er  flüchtigen 
Gemengtheils  besonders  günstig,  denn  der  Dampf  der  leichter  flüchtigen  Substanz 
bildet  eine  sich  fortwährend  «meuernde  Atmosphäre  und  verhält  sieh  ausserdem 
noch  wie  ein  die  Flüssigkeit  durchstreichendes  Gas.  Ausser  der  Tension  scheint 
aber  noch  die  chemische  Natur  der  Flüssigkeiten  von  Einfluss  zu  sein. 

Diese  Erscheinung  erschwert  sehr  die  Reindarstellung  flüchtiger  organischer 
Verbindungen  und  macht  sie  in  vielen  FSllen  unmöglich.  Häufig  gelingt  es  durch* 
eine,  je  nach  der  Natur  der  Flüssigkeiten  mehr  oder  weniger  oft  wiederholte,  frac- 
tionirte  Destillation  der  einzelnen  Destillate,  allmälig  die  grösste  Menge  des  Gemi- 
sches in  die  verschiedenen  Gemengtheüe  zu  zerlegen.  In  andern  Fällen  dagegen 
gelingt  dies  nicht.  So  kann  z.  B  wasserhaltiger  Alkohol  durch  Destillation  allein 
nicht  wasserfrei  erhalten  werden.  Bisweilen  zeigen  solche  intermediäre  Destillate 
einen  constanten  oder  annähernd  constanten  Siedepunkt  und  dann  alich  eine  con- 
staute  Zusammensetzung.  So  erhält  man  z;  B.  bei  Destillation  memcher  Fuselöle 
eine  bei  110®  siedende  Flüssigkeit,  die  annähernd  die  Zusammensetzung  des  Butyl- 
alkohols  zeigt,  dessen  Siedpunkt  sie  besitzt*,  die  aber  nichts  anders  ist  als  ein  G^ 
menge  von  Aethylalkohol  mit  Amylalkohol. 

Man  hat  diesen  Erscheinungen  bis  jetzt  wenig  Aufmerksamkeit  geschenkt 
Es  ist  wahrscheinlich,  dass  sie  verhältnissmässig  of^  vorkommen  und  es  ist  sehr 
möglich,  dass  manche  der  Körper,  die  als  chemische  Verbindungen  beschrieben 
wurden,  nichts  anderes  sind  als  solche  destiUirende  Gemenge  in  einfachen  Ver- 
hältnissen. 

Es  ist  klar,  dass  die  Destillation  einer  gemischten  Flüesigkeit  bei  constan- 
tem  Siedepunkt  mit  der  eben  erwähnten  Destillation  einer  Gaslösung  im  Grund 
genommen  identisch  ist.  Denn  ein  Gemisch  zweier  Flüssigkeiten  von  ungleichem 
Siedepunkt,  dessen!  Temperatur  höher  gestiegen  ist  ab  der  Siedepunkt  deA  leichter 
flüchtigen  Gemengtheils  ist  nichts  anderes  als  eine  Lösung  dieses  leichter  flüchtigen 
Körpers  in  Dampfform  in  einer  Ftüssigkeit 


4Ku    Löslichkeit  flflssiger  and  fester  organiseher  Yerbin- 

dangeiL 

Die  Lösliehkeit  fiflsdger  und  fester  CHrgmnisdicr  Yerinadnigen  in 
Wasser  (und  anderen  Lösougsmitteln)  ist  noeh  nieht  GegensUnd  beson- 
derer Experimentaluntersuchongen  gewesen.  Es  sind  dalier  bis  jetit  nodi 
keine  Beziehungen  zwischen  den  LöslichkdtsYeriiiltDissen  and  der  die- 
mischen  Zusammensetzung  nachgewiesen;  es  ist  nodi  nidit  ermittelt,  ob 
bei  homologen  Substanzen  z.  B.  eine  gewisse  Homologie  der  LösKchkeit 
stattfindet.  Bei  einzelnen  Reihen  homologer  Substanzen  seheint  dies  der 
Fall  zu  sein.  So  sind  z.  B.  die  niederen  Glieder  der  homologen  Reihe 
der  Alkohole  mit  Wasser  in  allen  Verhältnissen  mischbar,  die  höheren 
sind  um  so  weniger  löslich,  je  weiter  sie  ron  den  Anlangsgliedem  ent- 
fernt sind;  dasselbe  Verhalten  zeigt  sich  bei  den  mit  der  Essigsäure  ho- 
mologen Säuren  und,  wie  es  scheint,  im  Allgemeinen  wenigstens  bei  den 
Baben  und  Aetherarten  dieser  Säuren. 

PhysikaUsche  Eiscli^iuigen  bei  chemischen  Hetamoiphoso. 

400.  Jede  chemische  Zersetzung  erzeugt  Wärme  (vg^  $.  ^64);  ist  die 

durch  die  freigewordene  Wärme  henrorgebraehte  Temperatur  hoch  genug, 
um  einen  der  im  Moment  der  Zersetzung  rorhandenen  Körper  auf  seine 
OlOhtemperatur  zu  erhitzen,  so  entsteht  Licht  Auch  elektrische 
Phänomene  sind  schon  als  Bereiter  der  Zersetzung  organischer  Sub- 
stanzen beobachtet  worden.  Die  meisten  dieser  Ersdieinungen  sind  bis 
jetzt  wenig  erforsdit  Nur  Ober  die  bei  chemischen  Metamorphosen  und 
ganz  besonders  Aber  die  bei  Verbrennung  mit  Sauerstoff  frei  werdende 
Wärme  liegen  ausführliche  Experimentaluntersuchungen  von  Favre  und 
Silbennann  vor*). 

4/ff^  Verbrennungswärme.     Im  Folgenden   sind  die  bei  der  Ver- 

hrcmnnig  einiger  organischer  Substanzen  mit  Sauerstoff  frei  werdenden 
Wännemengen  zusammengestellt 

Spalte  L    enhält  die  WKrmeeinhdten  **),  die  durch  einen  Gewichtstheil  der 
▼erbrannten  Substanz  in  Freiheit  geeetift  werden. 

Spalte  IL  CBthäh  dk  Wtaneeinheiten  für  1  Mdecäl  der  verbrannten  Sab- 


Spalte  HL   Die  durch  gleiche    Mengen   Sancntoff  fird  werdenden  Wärme- 


y 


^  Vg^  aoeh:  Baff,  Kopp  und  Zammiatt.  Ldirb.  der  phjaiksL  u.  tbeoret  Che- 
mie, a  774. 
^  WSmeefnhdt  irt  bekanntlich  die  Menge  Wime,  welche  die  Gewichtaeinhett 
(1  Oraani  z.  B.)  Waaaer  um  !•  Cela.  erwärmt 


Varbreniiiiiigswftrmeii 


297 


Sabstans. 

FormeL 

I. 

für  1  Gew. 

Th. 

n. 

f&r  iMolec 

m. 

fElr  gleich 
viel  0. 

Kohlenwasserstoffe. 

Elayl 

e,H4 

11867 

882024 

8458 

Amylen 

65  Hij^ 

11491 

804370 

8852 

Paramylcn 

^lo^ao 

11808 

1582420 

8291 

Ceten 

^i«Hii 

11065 

2476820 

8224 

Hetamylen 

^10^4« 

10928 

8059840 

8187 

Alkohole. 

Methylalkohol 

e  H^e 

6807 

169824 

8588 

Aethylalkohol 

OjE.  0 

7184 

880464 

8442 

Amylalkohol 

6»  Hi,0 

8959 

788892 

8285 

Cetylalkohol 

^1*^34^ 

10629 

2572218 

8849 

Sttaren. 

Essigsttnre 

6a  H4  02 

8505 

210800 

8286 

Buttersänre 

64  Hg  0j 

5647 

496986 

8106 

Baldriansfiure 

65  HjgOj 

6489 

656778 

8158 

Palmitinsftare  *) 

^lAa^a 

9816 

2884896 

8240 

Stearinsfiure*) 

^is^at^a 

9716 

2759844 

8817 

Aetherarten. 

Amdsens.  Methyläther 

6a  H4  Oa 

4197 

251820 

8985 

Essigs.  Methyläther 

6j  Hg  Oa 

5842 

895808 

8529 

Ameisens.  Aethyläther 

6a  Hg  6a 

5279 

890646 

8488 

Essigs.  Aethyläüier 

64  Hg  6a 

6298 

558784 

8461 

Butters.  Methyläther 

65  H|g6a 

6799 

698498 

8884 

Bntters.  Aethyläther 

6g  Hia6a 

7091 

822656 

8218 

Baldrians.  Methyläther 

6g  Hia6a 

7876 

855616 

8842 

Baldrians.  Aethyläther 

6^  Hi46a 

7885 

1018550 

8850 

Essigs.  Amyläther 

61  Hi46a 

7971 

1086280 

8408 

Baldrians.  Amyläther 

6igHag6a 

8544 

1469568 

8280 

Palmitins.  Cetyläther«) 

6gaHg46a 

10848 

4964160 

8801 

Die  Beziehungen  zwischen  der  Verbrennungswärme  und  der  Zusammen- 
setzung der  verbrannten  Substanz,  welche  sich  aus  diesen  Versuchsresultaten  her- 
leiten lassen,  sind  bis  jetzt  wenig  bedeutend.    Es  hat  dies  zum  Theil  vielleicht  sei- 


*)  In  festem  Zustand. 


296  FbjnkaÜMknr  TlMlL 

nen  Gnmd  in  der  durch  die  ongemeiDe  Schwierigkeil  qaantitaliTer  Wünnemessun- 

gen  veranlassten  geringen  Genauigkeit  der  Resultate. 

Man  sieht: 

1)  Für  die  homologen  Kohlenwasserstoffe  nimmt  die  Verbrennungswfirme 
(Spalte  I.)  ab  bei  wachsendem  Molecnlargewichi  Die  Differens  ist  nahesa 
gleich  für  dieselbe  Zusammensetzungsdifferenz;  etwa  87,6  W&rmeeinheiten 
für  eHj. 

2)  Für  die  Alkohole,  die  Säuren  und  die  Aetherarten  nimmt  die  Yerbrennungs- 
wärme  zu  mit  der  Zunahme  der  Moleculargewlchts,  aber  die  Differenz  ist 
ungleich  für  die  verschiedenen  Glieder  <f^r  Reihe  (sie  wird  kleiner  mit  stei- 
gendem Holeculargewicht)  und  sie  ist  verschieden  für  die  entsprechenden 
Gfiederpaare  der  verschiedenen  Eleiheo« 

8)  Die  Verbrennungswärme  isomerer  Aetherarten  ist,  in  manchen  Fällen  we- 
nigstens, annähernd  gleich  gpross,  aber  sie  ist  wesentlich  verschieden  von 
der  der  isomeren  Säuren  Isomere  Körper  haben  also  jedenfalls  nicht  im 
Allgemeinen  gleiche  Verbrennungswäime ,  höchstens  ist  dies  für  isomere 
Körper  von  völlig  analoger  Cottstitutf^n  der  Fall. 

499.  Vergleicht  man  die  durch  gleiche  Sauerstofimengen  erzeugte  Yer- 
brennuDgswänne,  so  findet  man^  daas  dieselbe  zwar  in  vielen  aber  kei- 
neswegs in  allen  Fällen  gleich  gross  ist.  Die  früher  vennuthete  Regel- 
m&ssigkeit,  dass  die  bei  Verbrennung  entwickelten  Wärmemengen  pro- 
portional seien  der  Menge  des  verzehrten  Sauerstoffs ,  findet  also  jeden- 
falls  nicht  allgemein  statt 

Man  findet  femer,  dass  bei  ähnlichen  Verbindungen,  welche  Kohlenstoff  und 
Wasserstoff  in  demselben  Verhältniss,  aber  in  verschiedener  Menge  im  Vergleich 
zu  dem  vorhandenen  Sauerstoff  enthalten  (Säuren,  Aetherarten),  die  Verbrennungs- 
wärme um  so  kleiner  ist,  um  je  vorwaltender  im  Verhältniss  zu  c(en  anderen  Be- 
standtheilen  der  Sauerstoffgehalt  ist  Der  Einfluss  des  Sauerstoffs  madit  sich  um 
so  weniger  bemerklich ,  je  mehr  seine  Menge  gegen  die  der  anderen  Bestandtfaefle 
zurücktritt  Je  grösser  die  Menge  der  brennbaren  Bestandtheile  im  Vergleich  zu 
der  des  Sauerstoffs  ist,  um  so  mehr  nähert  sich  die  Verbrennungswärme  derjeni- 
gen der  Kohlenwasserstoffe,  welche  eine  gleiche  Anzahl  von  Kohlenstoff-  und  von 
Wasserstoffatomen  enthalten. 

500.  Bei  manchen  Verbindungen  ist  die  Verbrennungswärme  annähernd  gerade 
so  gross,  wie  die  Summe  der  Verbrennungswärmen,  welche  die  Bestandtheile  ein- 
zeln verbrannt  entwickelt  haben  würden. 

Die  Verbrennungswärme  von  1  Gew.  Th.  Kohlenstoff  ist  =    8080 
„  „  „         „    1  Gew.  Th.  Wasserstoff  ist  =  S4462 

Die  Verbrennungswärme  von  Elayl  =  ^2^4  is*-  ^r  1  Gew.  Th.  =  11857, 
für  1  Molec  =  882024  und  man  hat  in  der  That:  24  X  ^^  +  ^  X  ^^^^  = 
881768.  Ebenso  ist  die  Verbrennungswärme  für  Grubengas  =  6H4:  für  1  Gew. 
Th.  =  18068,  für  1  Molec  =  209008;  die  Rechnung  gibt:  12  X  60Ö0  +  4  X 
84462  =  284806. 


Ist  eine  Verbindung  bereite  sanerstoißialtig,  so  eiittHek«!^  sie  im  Allgemei- 
nen weniger  Wärme  als  die  darin  enthaltenen  brennbaren  Bestandtheile  für  sich 
verbrannt  gegeben  haben  würden.  In  manchen  Fällen  ist  die  Verbrennungswärme 
eines  solchen  ssuers^n^aüägen  Körpers  gleich  d«ij^geit  der  brennbaren  Bestand- 
theile, welche  übrig  bleiben,  wenn  man  so  viel  brennbare  Elemente  abadeht  als 
durch  den  in  der  Verbindung  enthaltenen  Sauerstoff  verbrannt  werden  können.  So 
ist  die  Verbrennungswärme  von  1  Molecül  Alkohol:  O^H^'G-  annähemd  gleieU  der 
von  Elayl  =s  '69H4;  man  hat: 

"öjHg^  —  H}"^  SS  O2H4 

Ebenso  ist  die  Verbrennungswärme  von  1  Molec  =  60  Gew.  Th.  Essigsäure 
annähernd  gleich  derjenigen  von  24  Gew.  Th.  Kohlenstoff:  O2H403  —  2H2O  =  G»; 
und  ebenso  annähernd  gleich  gross  der  von  1  Moleo.  Grubengas:  ^Ji^ß^  — 
ÖO2  ^^  "GH^. 

AUe  diese  Regeln  haben  indess  keine  allgemeine  Gültigkeit,  sie  treffen  in 
manchen  FäUen  annähernd  zu,  in  andern  dagegen  nicht 

Beziehungen  zwie^ehen  den  phyaikalischen  Eigensehaften 
der  vor  einer  chemischen  Metamorphose  vorhandenen,  zo 
den  physikalischen  Eigenschaften  der  dnfcii  sie  erzeugten 

K6rper. 

Man  hat  sich  mehrfach  bemüht,  Beziehungen  zwischen  dem  physikalischen  501. 
Eigenschaften  der  durch  eine  chemische  Metamorphose  erzeugten  Producte  zu  den 
Eigenschaften  der  Körper,  aus  welchen  sie  entstanden,  nachzuweisen  *).  Gerade 
80  wie  die  absi^uten  Gewichte  der  Körper  vor  und  nach  der  Metamcnrphoae  diesel- 
ben bleiben;  in  ähnlicher  Weise  wde  die  früheren  Basicitätsgesetze  (vgl.  §.  859) 
die  Basidtät  eines  gepaarten  Productes  aus  einer  Paarungsgleichung  herleiten 
wollten ,  so  hat  naan  viele  physikalische  Eigenschaften  der  bei  einer  Metamorphose 
thätigen  Körper  in  eine  Gleichung  setzen  zu  können  geglaubt 

A  4-B  =  C  +  D 

Man  hat  dieser  Gleichung,  weil  man  wesentlich  die  Eigenschafteiii  eines» 
der  Producte  vergleichen  wollte  mit  den  Eigenschaften  der  Körper,  aus  welchen 
es  entstanden,  meistens  die  Form  gegeben. 

A  +  B  -  C  =  X 

Obgleich  alle  diese  Regeln  keinerlei  theoretische  Grundlage  haben;  obgleich 
sie  als  empirische  Regeln  betrachtet  nicht  einmal  allgemeine  Gültigkeit  haben, 
vielmehr  nur  in  manchen  Fällen  zutreffen,  oder  wenigstens  annähernd  zutreffen; 
obgleich  sie  endlich  in  allen  den  Fällen,  in  welchen  sie  zutreffen,  sich  direct  aus 
den  im  Früheren  besprochenen  Regelmässigkeiten  und  Gesetzmässigkeiten  herleiten 
lassen,  so  mögen  sie  doch  hier  kurz  erwähnt  werden. 

Specifisches  Volum.    Das  specifische Volum  einer  Flüssigkeit)  die  durch  502. 
Vereinigung  zweier  Flüssigkeiten  unter  Austritt  von  n  Molecülen  einer  dritten  eatr 
steht,  wird  häufig  ausgedrückt  durch: 

A  +  B  -  nC  =  X 


*)  Vgl.  besonders:  Berthelot,  Annales  de  ohim.  et  de  phys.  ZLVIIL  822. 


Alkohol. 

Wasser.           Essigäther. 

e^e    . 

—         Hj^       :—       ^4^s'^t 

68,5 

18,8       =        106,9 

300  Fhyaikafisdier  DieO. 

8o  ist  für  Essigftäier: 
Essigsäure. 
6Ae,    + 
Das  spec  VoL:    62,2        4- 

Der  Versuch  gab  107,4. 
Es  ist  fHiher  (§.  488)  schon  darauf  anfinerksam  gemacht  worden,  daas  die- 
ser Satz  eine  einfache  Conseqnenz  der  §.  487  erörterten  Regehnfissigkeiten  ist 

W8.  Speci fische  Wärme.     Für  die   specifische  Wärme  verrnnthet  Berthelot 

eine  ähnliche  Beziehung.  Er  stützt  sich  dabei  auf  zwei  Beispiele:  Essigäther  ver- 
glichen mit  Essigsäure ,  Alkohol  und  Wasser  und  Aether  verglichen  mit  Alkohol 
und  Wasser. 

In  Betreff  der  Wahrscheinlichkeit  dieser  Beziehung  vgl.  §.  464. 

604.  Verbrennungswärme.    Die  Verbrennungswärme  kann  in  manchen  Fäl- 

len aus  derselben  Gleichung  annäherungsweise  hergeleitet  werden.  (vgL  auch 
S.  600.) 

Sie  ist  z.  B.  flir  Essigäther: 

Verbrennungswärme  von  1  MoL  Essigsäure  210800 

„  „         „    „     „     Alkohol  880464 

Demnach  die  von  Essigäther        berechnet:  540764 

gefunden:  558784. 

606.  Brechungscoeffient     Dieselbe  Gleichung  hat  Berthelot  auch  auf  die 

lichtbrechende  Kraft  angewandt  Man  findet  z.  B.  den  spedfischen  Brechungscoef- 
fident  eines  Molecüls  (vgL  §.  518)  einer  Aetherart,  aus  denjenigen  der  betreffenden 
Säure,  des  betreffenden  Alkohols  und  des  Wassers  nach  der  Gldchung: 

A+  B  ~  C  =  X 

Z.  B.  der  specifische  Brechungscoeffident  von  1  Holec  Essigäther  berech- 
net flieh: 

Spec.  Brechungscoef&dent  von  1  MoL  Essigsäure    60,8 
„  „  „  „     „    „     Alkohol        49,6 

Summe      99,9 
Spec  Brechungscoeffident  von  1  Mol.  Wasser  14,0 

Spec  Brechungscoeffident  von  1  Mol.  Essigäther  85,9 

Der  Versuch  gab        88,0. 

606.  Siedpunkt    Für  die  Siedpunkte  hat  Kopp,  gelegentlich  seiner  ausführlichen 

Experimentaluntersuchungen,  schon  auf  mancherld  Beziehungen  zwischen  den  Sied« 
punkten  der  durch  eine  Metamorphose  erzeugten  Körper  zu  denjenigen  der  Kör- 
per, aus  welchen  sie  entstanden,  aufknerksam  gemacht;  andere  solche  Beziehungen 
lassen  sich  direct  aus  den  von  Kopp  mitgetheUten  Regeln  ableiten. 

Schröder  hatte  schon  darauf  hingewiesen,  dass  durch  Austritt  von  Wasser 
(Hj0)  der  Siedpunkt  um  drca  110®  — 120®  erniedrigt  werde.  Berthdot  hat  die- 
sen Gegenstand  ausführlicher  besprochen  und  gibt  unter  anderen  die  folgenden 
Regeln: 

1)  Directer  Austritt  von  Wasser  (n .  H,0)  erniedrigt  den  Siedpuakt  um  100*  — 


Kxystallfom.  301 

110*  etwa.  Z.  B.  Amylalkohol  und  Amylezu  (Die  toh  Berthelot  gewfthlten 
Beispiele  geben  eine  Differenz  von  97*  — 112^,5.) 

2)  Directe  Aufnahme  von  Salzsäure  erhöht  den  Siedepunkt  um  44*  etwa.  Z.  B. 
Amylen  und  Amylchlorid.    (Seine  Beispiele  zeigen  die  Differenz:  45* — 67*.) 

S)  Directe  Aufiiahme  von  Bromwasserstoff  erhöht  den  Siedepunkt  um  etwas  73^. 
Z.  B.  Allylbromid  (e,H5Br)  zu  Propylenbromid  (e^H^Br,).  (Berthelot's  Bei- 
spiele geben  eine  Differenz  von  65* — 84*.) 

4)  Eintritt  von  Salzsäure  bei  Austritt  von  Wasser  erniedrigt  den  Siedepunkt 
um  etwa  66*.    Z.  B.: 

Alkohol.  Aethylchlorid 

Alkohol  siedet  78*;  Aethylchlorid  :  11*.  -  (Berthelot's  Beispiele  differiren 
von  52*-  68*.) 

5)  Für  die  Aetherarten  findet  man  annähernd  den  Siedepunkt,  wenn  man  von 
der  Summe  der  Siedepunkte  des  Alkohols  und  der  Säure  120*  abzieht  für 
das  austretende  Wasser.    Also  allgemein: 

A  +  B  —  120*  =  X 
Für  Essigäther  z.  B.: 

Essigsäure  siedet  bei      119* 

Alkohol  siedet  bei  78* 

197* 

Davon  ab       120* 

berechneter  Siedepunkt       77* 

beobachteter         „  74* 

6)  Berthelot  schlägt  endlich  die  allgemeine  Formel  vor: 

A+B  —  C  =  x±a 

worin  a  die  Differenz  zwischen  Rechnung  und  Beobachtung  bedeutet;  eine 
Differenz,  die  innerhalb  gewisser  Reihen  von  Verbindungen  mehr  oder  we- 
niger constant  ist,  und  dann  in  Rechnung  gebracht  werden  kann.  Berthelot 
sagt  selbst,  die  von  ihm  gegebenen  Regeln  drücken  nur  empirische  Bezie- 
hungen aus,  es  seien  keine  Gesetze;  die  Uebereinstimmung  sei  daher  nur 
annähernd.  Man  überzeugt  sich  in  der  That  hinlänglich,  selbst  aus  den  von 
ihm  gewählten  Beispielen,  dass  in  den  meisten  Fällen  eine  Annäherung  von 
so  etwas  wie  20*  stattfindet;  wie  dies  nach  den  im  Früheren  besprochenen 
Regelmässigkeiten  nicht  anders  erwartet  werden  kann,  weil  (§.  478)  derselben 
Zttsammensetzungsdifferenz  durchaus  nicht  in  allen  Fällen  dieselbe  Siede- 
punktsdifferenz entspricht 


Formverhältiiisse  fester  organischer  VerbindimgeiL 

Die  Erystallformen  organischer  Verbindungen  sind  noch  weit  weni-  507« 
ger  studirt  de  die  der  unorganischen  Substanzen.    Es  hat  dies  zum  Theil 
seinen  Grund  darin,   dass  eine  grosse  Anzahl  organischer  Verbindungen 


302  Physikallidier  TheU. 

nur  schwer  in  deutlich  ausgebildeten  Krjstallen  und  von  für  genaue  Mes- 
sungen geeigneter  Flächenbeschaffenheit  erhalten  werden  kann. 

508.  Selbst  die  Frage,  ob  homologen  Verbindungen  im  Allgemeinen,  oder 

wenigstens  öfter,  dieselbe  Krjstallform  zukomme,  ist  nur  in  wenigen  Fäl- 
len durch  Beobi^chtungen  gepräft  worden.  Die  bis  jetst  ausgeführten 
Erjstalhnessungen  homologer  Substanzen  zeigen,  dass  in  manchen  Fällen 
homologe  Substanzen  allerdings  isomorph  sind,  dass  aber  der  Isomorphis- 
mus homologer  Körper  durchaus  nicht  eine  allgemeine  Regel  ist. 
EsZsind  z.  B.  isomorph: 

Aeihylschwefelsaurer  Baryt 
und     Methyl  schwefelsaurer  Baxyt. 

Femer : 


Schwefelsaures  Thonerde 

-  Methylamin 

« 

^t 

Aethylamin 

1? 

n 

Amylamin 

^1 

yt 

Trimethylamin. 

Diese  Salze  krystallisiren  in  Formen  des  regulären  Systems  und  gehören  in 
die  Reihe  der  Alaune. 

Das  Trimethylaminplatipchlorid  ist  isoifiorpb  mit  Platinsalmiak ;  aber  die  ent- 
sprechend zusammengesetzten  Salze  anderer  homologer  Basen  zeigen  verschiedene 
Form.  Aethylaminplatinchlorid  kiystallisirt  in  RhomboSdem,  Diäth3'laminplatin- 
chlorid  monoklinometrisch ,  für  das  Tetrfithylammoniiunplatinchlorid  ist  es  noch 
zweifelhaft,  ob  seine  Erystalle  dem  regulären  oder  dem  quadratischen  Systeme 
angehören. 

509.  FUr  Substitutionspro ducte   ist  in   manchen   Fällen   Isomor- 

phismus nachgewiesen;  aber  auch  der  Isomorphismus  der  Substitutions- 
producte  kann  bis  jetzt  wenigstens  nicht  als  allgemeine  Regel  angesehen 
werden. 

Isomorph  sind  z.  B.  nach  Laurent: 


femer: 


ebenso: 


Dinitro  -  Carbolsliure 

=  eeH^CNOa),^ 

Trinitro-        „ 

=  e,H,(N0j),e 

Trichlor-        „ 

=  Bfi^Ci^^ 

Pentachlor-    „ 

=  e,H  ciftO 

Tribrom-        „ 

=  e,HaBr,0 

Isatin 

=  'GgH5N'0'2 

Chlorisatin 

=  egH^ClNOa 

Phtalsäureanhydrid  =  6,1140, 

Nitrophtalsäureanhydrid  =  6aH,(N02)0, 

und   endlich  die  chlorwasserstoffiBauren  und  bromwasserstofsauren  Salze  von  Cin- 
ehonia,  Bromdnchoiiin,  BibromdnchomB  und  Bichlordnchonin. 


Opttoohe  BIgeiiBdialten.  303 

Dimorphismus  ist  bei  yerschiedenen  organischen  Verbindungen  610. 
beobachtet   worden,    es  wird  darauf  bei  den  einzelnen  Substanzen  auf- 
merksam gemacht  werden. 

Nicht  congruente  Hemiedrie  ist  bei  organischen  Verbindnn-  611. 
gen  ebenfalls  und  zwar  verhältnissmftssig  h&ufig  beobaditet  worden.    Es 
wird  nadiher  (§.  516)  noch  auf  den  merkwürdigen  Zusammenhang  dieser 
unsymmetrischen   Krystallbildung   mit  einzelnen   optischen  Eigenschaften 
aufmerksam  gemacht  werden. 


Optische  Eigenschaften  organischer  Yerbindiingen. 

Von  den  optischen  Eigenschaften  organischer  Verbindungen  ist  nur  612. 
das  Brechungsvermögen  Gegenstand  ausfilhrlicher  Experimentaluntersuchun- 
gen  gewesen.  Die  von  Gahours,  Deville,  Becquerel  und  Delffs  bestimmten 
Brechungscoefficienten  zeigen  deutlich,  dass  zwischen  dem  Brechungs- 
vermögen  und  der  chemischen  Zusammensetzung  gewisse  Beziehungen 
stattfinden  *). 

Man  bezeichnet  mit  n  den  Brechungscoefficient;  der  Ausdruck:  n^  —  1  518. 

ist  die  brechende  Kraft;    — -3 —  das  specifischeBrechungsvermögen 

Mfn^— 1) 
(wp  d  =  spec  Gewicht);  d^  Ausdrock:    ^ — ^^  oder  was  dasselbe  ist  y(n'-^l) 

(worin  M  das  Moleculargewicht,  V  das  specTolom)  ist  das  spedfische  Brechungs- 
vermögen  der  Molecüle. 

FQr  Gase  ist  die  Brechung  des  lichtes  im  Allgemeinen  gering;  die  bre- 
chende Kraft  ist  proportional  der  Dichte,  das  spec  Brechungsvermögen  also  für 
alle  Gase  eine  constante  Grösse. 

Für  Flüssigkeiten  ist  das  spec.  Brechungs vermögen  stets  etwas  grösser 
als  das  derselben  Körper  in  Dampfform.    Es  ist  z.  B.: 

Spedfisches  Brechungsvermögen. 

Wasser.      Aether.      Schwefelkohlenstoff.      Cjran. 

gasförmig    .    .    .        0,782         0,912  0,876  0,708 

flüssig      ....        0,786         1,148  1,828  0,846 

Die  folgende  Tabelle  enthält  den  Brechungscoefficienten  (n)  und  das  speci- 
fischeBrechungsvermögen der  Molecüle  (  "^^ )   f^r  einige  flüssige  organische 

Verbindungen. 


*)  Vgl.  Buff,  Kopp  ujad  Z^mmiaer,   Ldirbnch  der  phys.  und  llieor.  Chemie« 
S.  864. 


304 


n^atkaliMhar  TheU. 


Substanfl. 

FormeL 

n 

M(n»-1) 

d. 

Methylalkohol 

eH^e 

use 

31.1 

Aethylalkohol 

OaH,  0 

U68 

49^ 

Amylalkohol 

O^Hij^ 

1.402 

108.9 

Aether 

O4H10O 

1.866 

87. 

Essigsftare 

62H4  02 

1.376 

60.8 

Baldriansäure 

6jHiQ02 

1.396 

103.2 

Ameisens.  Aethyl&ther 

6,H^  02 

1.867 

69.4 

Essigs.  Methyläther 

OjH^  0a 

1.868 

68.8 

Essigs.  Aethyläther 

04H,  02 

1.367 

88.0 

Butters.  Aethyläther 

^fHia0a 

1.378 

Baldrians.  Aethyläther 

07H,402 

U90 

189.4 

Essigs.  Amyl&ther 

0|Hi402 

090 

189.4 

Man  sieht  daraus: 

Die  Brechungscoeffidenten  (n)  der  isomeren  Aetherarten  scheinen  gldch  gross 
sn  sein. 

Die  Brechungscoeffidenten  der  homologen  Aetherarten  nnd  ebenso  die  der  homo- 
logen Säuren  und  der  homologen  Alkohole  wachsen  mit  dem  Molecular- 
gewicht 

Das  specifische  Brechungsvermögen  der  Molecüle  r  -^  ist  gleich  für  Al- 
kohol und  Essigsäure  und  ebenso  für  Amylalkohol  und  Baldriansäure  (wie 
dies  für  die  spedfischen  Volume  derselben  Körper  der  Fall  ist.  §.  489.) 

Innerhalb  derselben  homologen  Reihe  scheint  derselben  Znsammenaetzungsdüfe- 
renz  dieselbe  Differenz  des  spedfischen  Brechungsvermögens  der  Molecüle  zu 
entsprechen;  sie  ist  für  0H2  annähernd  =r  18.    (Berthdot) 

Für  feste  Körper  scheint  das  specifische  Brechungsvermögen  ebenso  gross 
zu  sein,  wie  das  derselben  Körper  in  flüssigem  Zustand.    Es  ist  z.  B.: 


t 

Spedfisches  Brechungsvermögen 
Wasser.             Wachs. 

flüssig  .    . 
fest.    .    . 

.    0,7847               1,3138 
.    0,7856               1,8131 

514.  F^  Gemische  von  Qasen  ist  der  Brechungscoeffident  des  Gemisches  gleich 

der  Summe  des  Brechungscoeffidenten  der  Bestandtheile.  Dasselbe  scheint  auch 
ffir  Gemische  von  Flüssigkeiten  der  Fall  zu  sein  (Berthelot),  wenigstens  stimmen 
die  für  Gemenge  von  Alkohol  mit  Wasser  berechneten  Brechungscoeffidenten  sehr 
nahe  mit  den  durch  den  Versuch  bestimmten  überein. 


Optische  Eigenschaften.  305 

Brechnngscoeffident 

gefunden,  berechnet 
Absoluter  Alkohol  .    .    f    .    1.868 

Alkohol  von  10  pC.  Wasser     1.866  1.866 

20    „         „         1.866  1.868 

30    „          „         1.866  1.867 

40    „          „         1.868  1.866 


1»  Vi 


60    „  „  1.862  1.864 

60    ,,         „  1.869  1.869 

70    „         ,,  1.864  1.864 

80    „         „  1.847  1.847 

90    „  „  1.341  1.840 

Wasser 1.838 

Für  chemische  Verbindungen  Iftsst  sich  nach  Berthelot  das  spedfische 
Brechnngsvermögen  der  MolectÜe  aus  der  Formd: 

A  +  B  —  C  =  X 

berechnen,  (vgl.  §•  ß06.) 

Andere  optische  Eigenschaften  sind  bei  yielen  organischen  Substan-  515. 
zen  beobachtet  und  sogar  in  besonders  hervortretendem  Orade  beobach- 
tet worden.  80  zeigt  z.  B.  das  Chinin  die  Erscheinung  der  inneren 
Dispersion  in  aufifallendem  Maasse;  Pleochroismus  findet  sich  bei 
einer  grossen  Anzahl  organischer  Verbindungen,  besonders  schön  bei  den 
Platincyanyerbindungen,  bei  Piperin,  Murexid,  Hjdrochinin,  Chrysammin- 
sauren  Salzen,  bei  Tetr&thjlammoniumtrijodid,  bei  schwefelsaurem  Jod- 
cbinin  etc.  Die  letztere  Verbindung  (Herapathit)  besitzt  unter  anderm 
80  starkes  Polarisationsvermögen,  dass  sie  statt  des  Turmalins  angewandt 
werden  kann.  Alle  diese  Erscheinungen  stehen  indessen  zu  vereinzelt 
da  und  lassen  namentlich  noch  keinerlei  Zusammenhang  mit  chemischen 
Eigenschaften  erkennen,  als  dass  sie  hier  ausführlich  erörtert  werden 
können. 

Circularpolarisation.  Viele  organische  Verbindungen  besitzen  sie. 
in  hohem  Grade  das  Vermögen,  die  Polarisationsebene  zu  drehen.  Es 
wird  sp&ter  gelegentlich  einzelner  Subsstanzen,  welchen  diese  Eigenschaft 
zukommt,  darauf  besonders  aufmerksam  gemacht  werden  (vgl.  Wein- 
säure, Aepfels&ure,  Asparagin,  Camphorsfture,  Cbinabasen  etc.) ;  auch  die 
Verwendung  dieser  optischen  Eigenschaft  als  analytische  Methode  wird 
später  gelegentlich  des  Zuckers  (optische  Sacharimetrie)  besprochen  wer- 
den. Hier  muss  nur  im  Allgemeinen  darauf  hingewiesen  werden,  dass 
zwischen  dem  optischen  Drehungsvermögen  und  der  Erystallform  ein 
merkwürdiger  Zusammenhang  stattzufinden  scheint.  Man  hat  nämlich  ge- 
funden ,  dass  nahezu  alle  optisch  wirksamen  Substanzen  in  hemiedrischen 
Formen  krystallisiren  und  dass  in  den  Fällen,  in  welchen  zwei  optisch 
wirksameModificationen  existiren,  eine  rechts-  und  eine  linksdrehende, 
die  Krystalle  meistens  nicht  oongruente  Hemiedrie  zeigen.   Indessen  scheint 

Kckpl^,  orgaa.  Chenic.  20 


30Q  Physikaliücher  Theil. 

diese  Regel  keia  allgemein  galtiges  Gesetz,  wenigstens  hat  man  bei  deai 
amjlschwefelsauren  Baryt,  obgleich  er  Drehongsvermögen  besitzt,  bis  jetzt 
keine  hemiedrischen  Formen  nachweisen  können  und  man  hat  umgekehrt 
beobachtet,  dass  der  ameieensaure  Strontian  Erjstalle  liefert,  welche  so* 
gar  nicht  congruente  Hemiedrie  zeigen,  während  er  auf  die  Polarisations- 
ebene nicht  drehend  wirkt. 

617.  Merkwürdig  ist  noch,  dass  Körper  von  gleicher  chemischer  Zusam- 
mensetzung und  gleichen  chemischen  Eigenschaften  in  optisch  verschie- 
denen Modificationen  exisüren.  So  gibt  es  eine  optisch  wirksame  und 
eine  optisch  unwirksame  Aepfelsäure«  Für  die  Weinsäure  existiren  sogar 
ausser  der  optisch  unwirksamen  Modiflcation  zwei  optisch  verschiedene 
wirksame  Modificationen,  von  welchen  die  eine  eben  so  weit  nach  rechts 
ablenkt  als  die  andere  nach  links  dreht  Diesen  beiden  wirksamen  Mo- 
dificationen entspricht  dann  bei  den  Krjstallep  eine  ungleiche  SteUung 
der  nicht  congruent  hemiedrisdien  Flächen.  Es  ist  früher  schon  auf  diese 
eigenthümliche  Verschiedenheit  der  physikalischen  Eigenschaften  bei  völ- 
liger oder  wenigstens  fast  vollständiger  Gleichheit  der  chemischen  Eigen- 
schaften aufmerksam  gemacht  worden  (§.  321).  In  manchen  Fällen  ist 
es  gelungen,  die  eine  dieser  Modificationen  durch  chemische  Metamorpho- 
sen in  die  andere  überzuführen. 

618.  Alle  diese  Körper  zeigen  die  Eigenschaft  der  Ciroularpolarisation 
nicht  nur  in  festem  Zustand  (wie  dies  bei  dem  Quarze  der  Fall  ist),  sie 
behalten  sie  auch  bei  in  ihren  Lösungen.  Man  kennt  sogar  Flüssigkeiten, 
die  optisches  Drehungsvermögen  besitzen,  z.  B.  Terpentinöl  und  andere 
ätherische  Oele,  Nicotin,  Amylalkohol  etc.;  ja  man  hat  bei  dampfförmi- 
gen Körpern,  bei  dem  Dampf  des  Terpertinöls,  noch  eine  merkliche  Wir- 
kung auf  das  polarisirte  Licht  beobachtet  Man  kennt  endlich  Flüssig- 
keiten in  optisch  wirksamen  und  optisch  unwirksamen  Modificationen; 
man  erhält  z.  B.  nach  Wurtz  aus  dem  optisch  wirksamen  Amylalkohol 
eine  optisch  wirksame  Gapronsäure,  welche  chemisch  identisch  ist  mit  der 
optisch  unwirksamen  Gapronsäure  aus  Gocosnussöl. 

619.  Man  ist  bis  jetzt  nicht  im  Stande  sich  über  die  Ursache  dieses  Phänomens  die 
geringste  Rechenschaft  zu  geben.  Fände  sich  das  Drehungsvermögen  nur  bei  festen 
Körpern,  so  könnte  man  die  Ursache  in  der  Art  der  Krystallisation,  etwa  in  hemie- 
drischer  Form  der  Krystallmolecüle  suchen,  da  aber  Lösungen,  Flüssigkeiten  und 
selbst  Gase  dasselbe  Verhalten  zeigen,  so  muss  man  das  Drehongsvermögen  für 
eine  den  Molecülen  selbst  inhärirende  Eigenschaft  halten-,  dafür  spricht  unter  an- 
deren auch  noch  die  Erfalimng,  dass  optisch  wirksame  Körper  diese  Eigenschaft 
durch  ganze  Reihen  von  chemischen  Umwandlangsproducten  beibehalten;  dass 
z.  B.  das  Drehungsvermögen  des  Camphers  sich  in  der  Gamphorsänre  und  selbst 
in  der  Aethyl-  und  Methylcamphorsäure  wiederfindet,  dass  der  Traabenzncker  sein 
Drehungsvermögen  in  der  Verbindung  mit  Kochsalz  beibehält  etc.  — 

620.  Es  ist  oben  erwähnt  worden,  dass  die  optisch  und  in  SteUung  der  hemiedii* 
sehen  Flächen  entgegengesetzten  Modificationen   derselben  Substanz  sich  chemisdi 


optische  Eigenschaften.  307 

gleich  oder  fast  gleich  verhalten.  Es  muss  noch  zngefttgt  werden,  dass  nach  Un- 
tersuchungen von  Pasteur,  dem  die  Wissenschaft  fast  alle  Thatsachen  verdankt, 
die  über  diese  merkwürdigen  Eigenthümklichkeiten  bekannt  sind,  die  optische  Ver- 
schiedenheit doch  in  manchen  Fftllen  auch  andere  Verschiedenheiten  zur  Folge 
hat,  die  sich  wunderbarerweise  nur  in  dem  Verhalten  zu  andern  optisch  wirksamen 
Körpern  zeigen.  So  verhalten  sich  z.  B.  die  optischen  und  krystallographischen 
Gegensätze  der  Weinsäure  gegen  optisch  unwirksame  Körper  völlig  gleich.  Bei 
Verbindungen  mit  optisch  wirksamen  i^örpem  dagegen  zeigt  sich  eine  geringe  Ver- 
schiedenheit der  Löslichkeit,  eine  Verschiedenheit  des  Krystallwassergehalts  etc. 
Bisweilen  bildet  die  eine  Modification  eine  Verbindung,  die  die  andere  nicht  zu 
bilden  im  Stande  ist  So  verbindet  sich  das  rechtsdrehende  saure  weinsaure  Am- 
moniak mit  dem  optisch  wirksamen  sauren  äpfelsauren  Ammoniak  zu  einem  kry- 
atallisirenden  Doppelsalze,  wShrend  das  linksdrehende  saure  weinsaure  Ammoniak 
diese  Verbindung  nicht  bildet  Das  Asparagin  bildet  mit  der  entsprechenden  Wein- 
säure eine  schöne  krystallisirende  Verbindung,  mit  der  linksdrehenden  eine  syrup- 
artige  nicht  krystallisirende  Flüssigkeit 


Specieller  Theil. 


Cyanverbindungen. 

Radical:  Cyan  =  eN  =  Cy. 

621.  Es  ist  schon  wiederholt  darauf  aufmerksam  gemacht  worden  ($$.  248, 

392,  300),  dass  in  den  Cyanverbindungen  je  nach  den  Metamorphosen, 
die  man  gerade  betrachtet,  verschiedene  Radicale  angenommen  werden 
können.  In  vielen  Metamorphosen  bleibt  die  Gruppe:  6N  unzersefzt  und 
wird  durch  doppelten  Austausch  in  andere  Verbindungen  übertragen.  In 
andern  Reactionen  dagegen,  namentlich  dann,  wenn  günstige  Bedingun- 
gen zur  Bildung  von  Ammoniak  vorhanden  sind,  erleidet  diese  Atom- 
^uppe  Zersetzung,  indem  der  Stickstoff  in  Form  von  Ammoniak  aus- 
tritt, während  der  Kohlenstoff  in  Verbindungen  anderer  Radicale  Aber- 
geführt  wird.  Die  erste  Gruppe  von  Metamorphosen  findet  ihren  Ausdruck 
in  der  Annahme  des  Radicals  Cyan;  nach  den  andern  erscheinen  die 
Cyanverbindungen  als  amidartige  Verbindungen  der  Ameisen- 
säure, Kohlensäure,  Oxalsäure  etc. 

Im   Folgenden    sind   die  Cyanverbindungen  aus  früher  (§.  392)  er- 
örterten Gründen  nach  der  ersten  Betrachtungsweise  zusammengestellt 


Typische  Uebersickt  der  einfacheren  Cyanverbindungen. 
Wasserst  off  typ.  Wasser  typ.  Ammoniak  typ. 


€N.H 

Cyanwasserstoff. 

(Blaus&ure.) 

Cyans&nre. 

GN 
H  N 

Cyanamid. 

eN.eN 

GUla 

• 

Cyan. 

Solfocjans&ure. 

«N.Cl 

Cyanchlorid. 
(Chloroyan.) 

OyttnverbmdimgeiL  309 

Die  Zahl  der  Cjanverbindungen  wird  noch  dadurch  vermehrt ,  dass 
ÜOr  Verbindungen  der  verschiedenen  Typen  polymere  Modiflcationen 
ezistiren  (§.  313).  Man  kennt  namentlich  Körper  von  dreifacher  Mole- 
colargrösse,  in  welchen  gewissermassen  die  Gruppe:  36N  =  €9^3  die 
Rolle  eines  dreiatomigen  Radicales  spielt. 

Cjanurchlorid.  Cyanurs&ure«  Gyanuramid. 

(Festes  Chlorcyan.)  (Meiamin.) 

Geschichtliche  Notizen.  Die  erste  Cyanverbindung,  das  Berlinerblau,  622. 
wurde,  nach  Stahl's  lüttheüung  (1781)  etwa  1704  von  Diesbach  und  Dippel 
durch  Zufall  entdeckt,  als  ersterer  Cochenille-Lack  mittelst  eines  Kalis,  welches 
Dippel  zur  Reinigung  des  nach  ihm  benannten  Thieröls  gedient  hatte,  darstellen 
wollte.  Die  Methode  der  Darstellung  wurde  1724  von  Woodward  veröffentlicht* 
Mac  quer  entdeckte  1752  das  Bludaugeusalz;  der  Eisengehalt  dieses  Salzes  wurde 
von  Baum^  1778  nachgewiesen  und  von  Berthe  11  et  1787  als  wesentlich  erkannt. 
Die  Blausfture  wurde  1782  von  Scheele  entdeckt,  ihre  Zusammensetzung  von 
Berthollet  ermittelt  Sie  wurde  von  Prout,  Porret  und  Ittner  genauer  un- 
tersucht, der  letztere  erhielt  sie  1809  in  reinem  Zustand  als  Gas.  Gay-Lussac 
erhielt  sie  1811  flüssig;  1814  entdeckte  er  das  Cyan,  welches  er  schon  fttr  das 
Radical  der  Cyanverbindungen  ansah  und  mit  dem  Namen  Cyanog^ne  be- 
zeichnete. 

Vorkommen  von  Cyanverbindungen.  Cyanverbindungen  finden  sich  523. 
nur  sehr  wenig  fertig  gebildet  in  der  Natur.  Salze  der  Sulfocyansäure  hat  man 
im  Speichel  des  Menschen,  des  Schafes  etc.  nachgewiesen  (Gmelin).  Die  bitteren 
Ifandeln,  die  Kerne  der  Pfirsiche,  Kirschen  etc.,  die  Blüthen  der  Schlehe,  die  Blät^ 
ter  des  Kirschlorbeers  und  überhaupt  Kerne,  Blüthen,  Blfttter  und  sonstige  Theile 
der  Pflanzen  aus  der  Familie  der  Amygdaleen,  liefern  bei  Destillation  mit  Wasser 
neben  andern  Producten  Bl^tusäure.  Für  die  meisten  dieser  Pflanzentheile  ist  es 
nachgewiesen,  für  die  andern  wenigstens  wahrscheinlich,  dass  sie  die  Blausäure 
nicht  als  solche  enthalten,  dass  diese  vielmehr  ein  Zersetzungsproduct  des  in  den 
Pflanzen  vorkommenden  Amygdalin's  ist  Das  ätherische  Senfl)]  enthält  den  Sulfo- 
C3raiisäureftther  des  Allylalkohols. 

Bildung  von  Cyanverbindungen.  1)  Der  freie  Stickstoff  (der  Luft  524. 
z.  B.)  ist  föhig,  wenn  er  mit  einem  stark  glühenden  Gemenge  von  Kalium  und 
Kohle  oder  mit  einem  bis  zur  Weissgluth  erhitzten  Gemenge  von  Kali  oder  koh- 
lensaurem Kali  und  Kohle  zusammenkommt,  CyankaHum  zu  bilden.  2)  Die  Sauer- 
stoffverbindnngen  des  Stickstoffs  liefern  unter  ähnlichen  Bedingungen  weit  leichter 
Cyanverbindungen.  So  entsteht  z.  B.  beim  Verpaffen  eines  Gemenges  von  Salpeter 
mit  Weinstein  oder  essigsaurem  Kali  Cyankalium.  Viele,  selbst  stickstofffreie  or- 
ganische Verbindungen  liefern  bei  Destillation  mit  Salpetersäure  Cyanwasserstoff. 
8)  Ammoniak  über  glühende  Kohle  geleitet  bildet  Cyanammonium,  ebenso  ein  Ge- 
menge von  Kohlenozyd  und  Ammoniak  in  Berührung  mit  glühendem  Platin- 
Bchwamm.  Wird  Ammoniak  über  ein  glühendes  Gemenge  von  kohlensaurem  Kali 
und  Kohle  geleitet,   oder  wird  Salmiak  mit  kohlensaurem  Kali  und  Kohle  oder 


'3-10  CyanverbindungeB. 

auch  mit  weinsaurem  Kali  geglüht,  so  entsteht  Gyankalinm.  4)  Der  Stickstoff 
stickstoffhaltiger  organischer  Substanzen  bildet  Gyankalinm,  wenn  man  diese  mit 
Kalium  erhitzt  (vgl.  §.  Id.  Reaction  auf  Stickstoff)  oder  wenn  man  diese  Substan- 
zen oder  die  aus  ihnen  bereitete  stiskstoffhaltige  Kohle  mit  kohlensaurem  Kali 
glüht.  6)  Die  Ammoniaksalze  der  Ameisenstture  und  der  Oxalsäure  and  ebenso 
die  Amide  der  Oxals&ure  und  der  Kohlensäure  liefem  beim  Erhitzen  fttr  sieh  odtt 
mit  wasserentziehenden  Substanzen  unter  Verlust  von  Wasser:  Cyanwasserstoff) 
Cyan  oder  CyansSure. 

Zur  Darstellung  der  Cyanverbindungen  im  Grossen  wird  durch  Glühen  stick- 
stoffhaltiger Thiersubstanzen  (Hom,  Wolle,  Leder  etc.)  oder  der  aus  solchen  Sub- 
stanzen erhaltenen  Kohle  mit  kohlensaurem  Kali  zunächst  Cyankalium  (=  6NK) 
dargestellt  und  dieses  dann,  durch  Behandeln  mit  Bisen  oder  einer  Eiseäverbin- 
düng  in  Blutlaugensalz  (Ferrocyankalium  =  O^NjFeK^)  übergeführt ,  aus  welchem 
dann  die  Übrigen  Cyanverbindungen  dargestellt  werden. 

Die  Bildung  des  Cyankaliums  aus  dem  Stickstoff  der  Luft  ist  im  fabrik- 
mässigen  Betrieb  versucht,  aber  als  nicht  rentabel  wieder  aufgegeben  werden. 

Cyanverbindungen  des  Wasserstoflftyps. 

Cyanwasserstoff  (Cjanwasserstoffsäure,  Blaus&nre)  =  6NH  =  CjH. 

625.  Der  CyaDwasserstoff  wird   durch  doppelte  SSersetsung   ans   Cyan- 

metallen  erhalten.  Freies  Cyan  mit  freiem  Wasserstoff  gibt  keinen  Cyan- 
wasserstoff. 

Von  theoretischem  Interesse  ist  die  Bildung  von  Cyanwasserstoff 
beim  Eriiitzen  von  ameisensaurem  Ammonium  auf  200^: 

€H(NH4)0,  =  eflN  +  2H,0 

Trockne  Cyanwasserstoffs fture  kann  direct  durch  Zersetsong  von 
trocknem  Cyanquecksüber  mit  trockner  Salzsäure  (Gay-Lussac)  oder  mit  Schwe- 
felwasserstoff (Vau  quelin)  erhalten  werden;  wässriger  Blausäure  kann  man  durdi 
Chlorcaldum  das  Wasser  entziehen. 

Wä'ssrige  Blausäure  kann  durch  Destillation  von  Cyankalium  mit 
Schwefelsäure  dargestellt  werden,  oder  auch  durch  Zusatz  von  Weinsäure  zu  Cyan- 
kalium (4  Th.  Cyankalium,  9  Th.  Weinsäure,  60  Th.  AqO,  dabei  scheidet  sich 
das  weinsaure  Kali  fast  vollständig  aus,  so  dass  die  Blausäure  abgegossen  werden 
kann  (Clarke).  Gewöhnlich  bereitet  man  die  Blausäure  durch  Destillation  von 
BluÜaugensalz  (vgl.  §.  542)  mit  verdünnter  Schwefelsäure.  Dabei  wird  etwa  die 
Hälfte  des  im  BluÜaugensalz  enthaltenen  Cyans  ab  Blausäure  gewonnen. 

2  Cy^FeA  4.  8  SO^  =  6  CyH  +  Cy,Fe4K,  +  8  B^JL^ 

Die  andere  Hälfte  des  Cyans  bleibt,  neben  schwefelsaurem  Kali,  in  Verbindung 
mit  allem  Eisen  und  einem  Theil  des  Kaliums  als  weisser,  an  der  Luft  rasch 
blauwerdender  pulverförmiger  Rückstand  (Ferrocyaneisenkalium  $.  644)  surflck. 
Bei  lang  fortgesetztem  Kochen  wird  dieses  Pulver  theilweise  zersetzt  und  dadaroh 
etwas  mehr  aber  weniger  reine  Blausäure  erhalten.  Die  Ausscheidung  dieses  Pul- 
vers veranlasst  heftiges  Stossen  und   stossweises  Ueberdestilliren;   da  dabei  die 


CyanwasserstofiP. 


311 


Dämpfe  sdiwer  verdichtet  werden,  ist  es  zweckmässig,  das  Ende  des  Kfihlrohrs 
durch  Eintauchen  in  Wasser  oder  die  schon  überdestillirte  Blausäure  abzuschlies- 
sen.    Die  ersten  Theile  des  Destillats  sind  reine  und  sehr  concentrirte  Blausäure. 


Zweckmässige  Verhältnisse:  1)  Für  concentrirte  Säure:  10  Th.  grob  gepul- 
vertes Blutlaugensalz,  6  Th.  englische  Schwefelsäure,  14  Th.  Wasser  (Wo  hl  er). 
2)  Für  verdünntere  Säure:  10  Th.  Blutlaugensalz,  6  Th.  Schwefelsäure,  30 — 40 
Th.  Wasser  (Gmelin).  Die  direct  erhaltene  Blausäure  enthält  stets  etwas  Schwe- 
felsäure und  meist  etwas  Ameisensäure;  beide  können  durch  Rectification  über 
Hagnesia  entzogen  werden.  Dies  geschieht  jedoch  selten,  weil  die  reine  Blausäure 
sich  in  wässriger  Lösung  sehr  rasch  zersetzt,  während  sie  durch  eine  Spur  einer 
anderen  Säure  haltbarer  wird. 

Eigenschaften*  Die  trockne  Blausäure  ist  eine  farblose  Flüssig- 
keit; spec.  Gew.  0,7058  bei  -}-  7®;  sie  siedet  bei  26®,5  und  erstarrt  bei 
—  15®;  lässt  man  einen  Tropfen  an  einem  Olasstab  rasch  verdunsten,  so 
erstarrt  ein  Theil.  Sie  löst  sich  in  Wasser  in  jedem  Verhältniss,  die  Lö- 
sung ist  leichter  als  Wasser;  auch  mit  Alkohol  ist  sie  mischbar. 

Die  trockne  Blausäure  sowie  die  concentrirte  wässrige  Lösung  brennt 
mit  schwach  violett  gefärbter  Flamme.  Die  Blausäure  riecht  eigenthüm- 
lich,  an  bittere  Mandeln  erinnernd.  In  geringer  Menge  eingeathmet  er- 
zeugt sie  ein  eigenthQmliches  Kratzen  im  Schlünde,  in  grösserer  Schwin- 
del.    Sie  ist  äusserst  giftig  *) ,   das  Einathmen   der  Dämpfe  von  wasser- 


*)  Scheele,  der  Entdecker  der  Blausäure,  übersah  die  giftige  Eigenschaft  der- 
selben. Er  stellte  die  Blausäure  dar,  indem  er  Cyanquecksilber  mit  Schwe- 
felsäure und  Eisenfeile  schüttelte,  bis  die  Flüssigkeit  nicht  mehr  metallisch 
Bchmeekt  ete. 


312  Cyanverbindangen. 

freier  oder    von    sehr   conceDtrirter   w&ssriger  BlaoBtare   tödtet  aagen* 
blioklicb. 

Die  reine  Blausäure  ist  nicht  haltbar.  Selbst  in  troeknem  Zustand 
zersetzt  sie  sich  bald  unter  Bildung  von  Ammoniak  und  einer  braunen 
Bubstanz  (§.575).  Die  wässrige  Lösung  erleidet  dieselbe  Zersetzung,  um 
so  rascher,  je  concentrirter  und  reiner  sie  ist;  Gegenwart  einer  geringen 
Menge  einer  anderen  Säure  macht  sie  haltbarer,  Gegenwart  von  Alkali 
beschleunigt  die  Zersetzung.  Dabei  geht  ein  Theil  der  Blausäure  durch 
Aufnahme  von  Wasser  in  ameisensaures  Ammoniak  über: 

GHN  +  2H,e  =  GH(NH4)e, 

Kocht  man  Blausäure  mit  einem  Alkali,  so  erfolgt  diese  Umwand- 
lung in  Ameisensäure  und  Ammoniak  sehr  rasch..  Setzt  man  zu  trockner 
Blausäure  concentrirte  wässrige  Salzsäure,  so  wird  alle  Blausäure  momen- 
tan in  Ameisensäure  und  Salmiak  zerlegt 

Kalium  verbrennt  beim  Erhitzen  in  Cyanwasserstoffdampf  unter  Frei- 
werden von  Wasserstoff  zu  Cyankalium.  Chlor  und  Brom  zersetzen  die 
Blausäure  unter  Bildung  von  Chlor-  oder  Bromcjan  ($$.  566,  570). 

Nachweis  und  quantitative  Bestimmung  der  Blausäure. 

526.  Qualitative  Reactionen:    1)  Man  macht  die  zu  prüfende  Flüssig- 

keit mit  Kalilauge  alkalisch,  setzt  an  der  Luft  oxydirte  Eisenvitriollösung 
zu  und  dann  so  viel  Salzsäure  bis  das  vom  Kali  gefüllte  Eisenoxydozydul 
gelöst  ist  War  Cyanwasserstoff  vorhanden,  so  bleibt  Berlinerblau  (§.  563) 
ungelöst  oder  man  erhält  eine  blaugrüne,  bisweilen  sogar  nur  gelbgrüne 
Lösung,  aus  welcher  sich  beim  Stehen,  selbst  bei  sehr  geringen  Mengen 
von  Cyanwasserstoff,  blaue  Flocken  absetzen.  2)  Man  dampft  die  blau- 
säurehaltige Flüssigkeit  mit  etwas  mehrfach  Schwefelammonium  zur 
Trockne,  löst  in  Wasser  und  setzt  Eisenchloridlösung  zu.  Die  geringste 
Spur  von  Blausäure  gibt  hinlänglich  Sulfocyanammonium,  um  mit  dem 
Eisensalz  eine  intensiv  rothe  Färbung  hervorzubringen  (§.  684).  3)  Weni- 
ger charakteristisch  (weil  Jodwasserstoff  dieselbe  Reaction  zeigt),  ist  die 
folgende  Reaction  (Lasseigne).  Man  macht  mit  Kalilauge  alkalisch, 
setzt  EupfervitrioUösung  zu  und  dann  etwas  Salzsäure.  Das  Eupferoxyd 
wird  gelöst;  war  Blausäure  vorhanden,  so  bleibt  ein  weisses  Pulver  von 
Kupfercyanür  (§.  537). 

Bei  gerichtlichen  Untersuchungen  hat  man  erst  durch  Destillation  der 
zu  prüfenden  Substanz  mit  sehr  verdünnter  Schwefelsäure  die  Cyanwasser- 
stoffsäure  abzuscheiden.  Nimmt  man  diese  Destillation  im  Wasserbad  vor, 
so  hat  man  nicht  zu  fürchten ,  dass  die  überdestüUrte  Blausäure  aus  Blut- 
laugensalz oder  einem  andern  nicht  giftigen  Cyanmetall  herrühre,  weil 
diese  Salze  unter  diesen  Umständen  nicht  zersetzt  werden  (Thaulow). 

Quantitative  Bestimmung.  1)  Man  fällt  die  mit  Salpetersäure 
angesäuerte  Flüssigkeit  mit  salpetersaurem  Silber  und  wägt  den  getrock- 


Cyanide.  313 

neten  Kiederschlag  von  Cyansüber  (§.  586).  2)  Hau  schüttelt  die  Cyan- 
wasserstoff enthaltende  Flüssigkeit  mit  einer  gewogenen  Menge  von  Queck- 
silberoxyd und  wägt  das  ungelöste  Quecksilberoxyd  zurück  (Ure).  Die 
Methode  ist  ungenau,  weil  das  Cyanquecksilber  einen  Ueberschuss  von 
Quecksilberoxyd  auflöst  (§.  588).  8)  Sehr  genau  und  in  der  Ausführung 
einfach  ist  die  Titrirmethode  von  Lieb  ig.  Sie  beruht  darauf,  dass  beim 
Zufügen  von  salpetersaurem  Silber  zu  einer  Lösung  von  Cyankalium  zu- 
nächst lösliches  Cyansüberkalium  entsteht,  aus  welchem  durch  weiteren 
Zusatz  der  Silberlösung  weisses  Cyansüber  gefällt  wird: 

2KCy    +  AgNO,  =  AgKCya'+  KNe, 
AgKQy  +  AgNO,  =     2AgCy  +  KNO, 

Man  macht  demnach  die  blausäurehaltige  Flüssigkeit  mit  Ealüauge  alka- 
lisch und  setzt  von  der  titrirten  Silberlösung  zu,  bis  bleibende  Trübung 
entsteht.  Die  Probeflüssigkeit  enthält  6,8  Gramm  geschmolzenes  salpeter- 
saures Silberoxyd  in  100  C.  C.  m. ;  1  C.  C.  m.  entspricht  demnach  0,002 
Gramm  Cyanwasserstoff  (L  i  e  b  i  g)  •). 

Verbindungen   des  Cyanwasserstoffs  mit   Chloriden.   (Wöhler  527. 
1847).    Der  Cyanwasserstoff  vereinigt  sich  direct  mit  einigen  Chloriden,   z.  B.  mit 
Titanchlorid,  Eisenchlorid,  Antimonchlorid  zu  krystallisirbaren  Verbindungen. 

piCla  +  CyH;      Fe^a,  +  2CyH;      Sba»  +  3CyH]. 

Cyanmetalle. 
8yn.    Cyanide)  blausaurö  Salze. 

Der  Wasserstofif  der  Blausäure  kann  durch  Metalle  ersetzt  werden;  528. 
aber  die  Blausäure  besitzt  nieht  eigentlich  den  Charakter  einer  Säure,  es 
sind  z.  B.   gerade  die  Cyanide  der  sonst  stärksten  Basen  am  wenigsten 
beständig    und  schon    durch   die  schwächsten  Säuren  z.  B.  Kohlensäure 
zersetzbar,  während  andere  Cyanide  eine  grosse  Beständigkeit  zeigen. 

Die  Bildung  einzelner  Cyanide  ist  schon  oben  (§.  525)  besprochen. 
Maoehe  können  durch  Einwirkung  des  Metalls  (E,  Na  etc.)  auf  Cyan- 
wasserstoff, andere  durch  Einwirkung  wässriger  Blausäure  auf  das  Metall- 
oxyd (HgO,  AgjO)  oder  das  Hydrat  (KHO)  erhalten  werden ;  die  meisten 
hat  man  durch  doppelte  Zersetzung  aus  andern  Cyaniden  dargestellt. 

Die  Cyanmetalle  entsprechen  in  ihrer  Zusammensetzung  im  Allge- 
meinen den  Chloriden.  Aber  ausser  den  einfachen  Cyaniden,  d.  h. 
denjenigen,  die  nur  ein  Metall  enthalten,  existirt  noch  eine  grosse  Anzahl 
▼on  Doppelcyaniden,  d.h.  von  Cyanmetallen,  die  gleichzeitig  mehrere 
Metalle  enthalten. 


*)  VergL  auch:    Hohr,  Lehrbuch  der  chemisch -analytischen  Titrismethode.  II. 
S.  2.  - 


314 


CyanverbiiidBtigen. 


Die  iölgende  Tabelle  gibt  die  Formeln  der  ^ehtigsien  Cyanide  and  Doppel- 
cyanide.  Die  Spalte  1  enthält  die  einfachen  Cyanide,  in  Spalte  2  sind  die  Doppel- 
cyanide  als  Doppelsalze,  d.  h.  als  additioneile  Verbindungen  verschiedener  einfacher 
Cyanide  geschrieben;  Spalte  8  gibt  die  empirischen  Formehi  der  Doppelcyanide. 


L 

IL 

m. 

Cyanide. 

Doppel 

Cyanide. 

K  Cy 



Zn  Cy 

2n  Cy    +  KCy 
CdCy    +KCy 

K  Zn,  Cy, 

Cd  Qy 

KOd,  Cy, 

NiCy 

Ni  Cy    +  KCy 

KFi,  Cy, 

AgCy 

AgCy    +KCy 

K  Ag,  Cy, 

Hg  Cy,+) 

— 

— 

Au  Cy 

Au  Cy    +  KQy 

K  Au,  Cy, 

— 

Au  Cy,  +  KCy 

— 

CuaCy 

Cua  Cy  4-  KCy 

K  cu,  Cy,  •> 

— 

Ou,  Cy  +  ZKQy 

— 

— 

Pt  Cy     +KCy 

K,  Pt  Cy, 

— 

Pt,  Ou  +  MOy 

K,Pt  Pti  Cy,  ••) 

Fe  Cy 

Fe  Cy     +  2KCy 

K4,  Fe,  Cy, 

— 

Fe,  Qy«  +  SKCy 

K,;fe,  Cy,»«) 

CoCy 

Co,  Cy,  4-  8KCy 

K„  CO,  Cy, 

— 

Cr,  Cy,  +  3KCy 

K„  er,  Cy, 

- 

Mn,  Cy,  +  8KCy 

K,  nm„  Cy, 

Allgemeine  Charakteristik  der  Cyanide. 

Einfache  Cyanide.  Die  Gyanalkalien  sind  iii  Wasser  sehr  lös- 
lich, sogar  zerfiiesslich;  die  wlkssrige  Lösung  zersetzt  sich  selbst  in  der 
Kalte,  rasch  beim  Erhitzen  anter  Bildung  Ton  Ameisensaure  und  Ammo- 
niak. Sie  riedien  stets  nach  Blaus&ure,  die  schon  durch  die  Kohlens&ure 
der  Luft  ausgetrieben  wird.  In  trocknem  Zustand  können  sie  ohne  Zer- 
setzung erhitzt  werden;  sie  sind  leicht  schmelzbar  und  in  starker  Glüh- 
hitze UDzersetzt  flüchtig.  Bei  Gegenwart  von  Sauerstoff  oder  von  Metall- 
oxyden geglüht  gehen  sie  in  cyansaure  Salze  über. 


:200. 


+)  Hg  -^  ^. 

•)  cu  =  Vj  Cu. 
••)  pt  =  ^/t  Pt 
•••)  fe  =  >/,  Fe;  co  =  »/,  Co;  er  =  »/,  Cr;  mn  =  «/,  Mn. 


Die  Cyanide  der  alkiJJBoben  Erden  niid  noüh  wenig  untersucht*). 
Sie  sind  weniger  löslidi  als  die  Cjanalkalien ;  von  Kohlensäure  leicht 
eersetzbar. 

Die  Cyanide  der  schweren  Metalle  sind,  mit  Ausnahme  des  Cyan- 
quecksilbers ,  in  Wasser  unlöslich.  Li  trocknem  Zustand  erhitzt  erleiden 
sie  s&mmtlich  Zersetzung  meist  unter  Entwicklung  von  Cyan ;  dabei  bleibt 
entweder  Metall  (z.  B.  Hg)  oder  ein  Gemenge  von  Metall  mit  ParaCyan- 
metall  (z.  B.  Ag,  Zn,  Cu);  h&uflg  Eohlenstoffmetall  (z.  B.  Fe).  —  Erhitzt 
man  die  Cyanmetalle  mit  Wasser  auf  280®,  so  werden  sie  zersetzt  unter 
Bildung  von  fietalloxyd  neben  ameisensaurem  und  kohlensaurem  Ammo^ 
niak;  bei  Cyandiber  und  Cyanqueduilber  entsteht  Metall,  neben  kohlen- 
saurem  Ammoniak**). 

Gegen  Säuren  yerhalten  sich  die  Cyanide  sehr  verschieden.  Wäh- 
rend die  CyanalkaUen  durch  verdünnte  Säuren  und  selbst  durch  Kohlen- 
säure zersetzt  werden,  zeigen  die  Cyanide  der  schweren  Metalle  häufig 
eine  grössere  Beständigkeit.  Einzelne,  z.  B.  Gyanblei,  Cyanzink  etc.  wer- 
den von  den  stärkeren  Mineralsäuren  selbst  in  verdünntem  Zustand  zer- 
legt unter  Freiwerden  von  Blausäure;  andere,  wie  Cyansilber  und  Cyan- 
queoksilber  werden  von  den  s.  g.  SauerstoflEsäuren  (Salpetersäure,  Schwe- 
felsäure) in  verdünntem  Zustand  nicht  angegriffen,  von  Salzsäure  und  von 
Schwefelwasserstoff  dagegen  leicht  zersetzt;  noch  andere  (Cyaneisen, 
Cyangold)  widerstehen  selbst  den  stärkeren  Säuren  (Salpetersäure,  Schwe- 
felsäure, Salzsäure;  wenn  diese  nicht  allzu  oonoentrirt,  sogar  m  der 
Siedehitze). 

Doppelcyanide.    Die  unlöslichen  Cyanide  der  schweren  Metalle  580. 
lösen  sich,  zum  Theil  mit  grosser  Leichtigkeit,  in  den  Lösungen  der  Cyan- 
alkaUen.   Aus  diesen  Lösungen  werden  dann  durch  Krystallisation  Dop- 
pelverbindungen der  betreffenden  Cyanide,  s.  g.  Doppelcyanide  erhalten« 

Die  Eigenschaften  dieser  Doppelcyanide  sind  sehr  verschieden.  Bis 
zu  einem  gewissen  Grade  finden  sich  in  ihnen  die  Eigenschaften  der  sie 
zusammensetzenden  einfachen  Cyanide  wieder. 

Beim  Erhitzen  zerfallen  sie  meist  wie  Gemenge  der  beiden  einfachen 
Cyanide  es  thun  würden.  So  gibt  z.  B.  das  Ferrocyankalium  unter  Ent- 
wicklung von  Stickstoff  Cyankalium  und  Kohleneisen,  das  Ferrocyan- 
kupfer  gibt  ein  Gemenge  von  Kupfer,  Paracyankupfer  und  Kohlenstoff- 
eisen etc. 

Mit  Wasser  auf  280®  erhitzt  zeigen  sie  ein  entsprecheDdes  Verhal- 
ten. Ferrocyankalium  und  Ferricyaukalium  z.  B.  zersetzen  sich  vollstän- 
dig zu  ameisensaurem  Kali,  kohlensaurem  Ammoniak  und  oxydirtem 
Eisen.    (Reynoso). 


•)  Vgl.  C.  Schulz,  Jahresbericht  1856.  486. 
•*)  Vgl.  Itoynoso,  Aul  Ghem.  Pharm.  LXXXm.108.  —  Jahresbericht.  1852.820. 


316  Cyaaverbindiuigen. 

681.  Gegen  Säuren  zeigen  die  Doppeloyanide   sehr  ungleiche  Beständig- 

keit. Das  Alkalimetall  wird  stets  mit  Leichtigkeit  entzogen  und  durch 
Wasserstoff  ersetzt.  Bei  vielen  Doppelcjaniden  geschieht  dies,  ohne  dass 
dadurch  das  Molecül  zerstört  wird;  z.  B.: 

CyeFe2K4  +  4HC1  =  Cj«Pe2H4  +  4KC1 

bei  andern  dagegen  entweicht  Cyanwasserstoff,  während  sich  Cyanid  des 
schweren  Metalls  ausscheidet;  z.  B.: 

CyjAgK  +  HNO3  =  CyAg  +  CyH  +  KNO, 
oder 

Cy,AgK  +  HCl      =  CyAg  +  CyH  +  KCL 

Ist  das  sich  ausscheidende  Cyanid  des  schweren  Metalls  durch  die 
angewandte  Säure  zersetzbar,  so  wird  diese  Zersetzung  durch  den  Ueber- 
schuss  der  Säure  hervorgebracht: 

Cy,AgK  +  2HC1       =  2CyH  +  AgCl      +  KCl 

2CyjZnK  +  2H2Se4  =  2CyH  +  Zn^SO*  +  Kj&e4 

im  andern  Fall  dagegen  bleibt  der  Ueberschuss  -  der  Säure  ohne  Wir- 
kung; z.  B.: 

CyjAgK  4-  2HNe3  =  CyAg  +  CyH  +  KNO,  +  HNO, 

Diese  ungleiche  Beständigheit  dlBr  Doppelcyanide  (die  in  der  üeber* 
Sichtstabelle  §.  528  Spalte  EI.  durch  die  Stellung  des  Komma's  angedeutet 
istj,  hat  die  Veranlassung  gegeben,  zwei  verschiedene  Arten  von  Dop- 
pelcyaniden  anzunehmen.  Die  leicht  zersetzbaren  Doppelcyanide, 
d«  h.  diejenigen,  welche  auf  Zusatz  einer  Säure  schon  in  der  Kälte  Cyan- 
wasserstoff abgeben ,  betrachtet  man  als  wirkliche  Doppelsalze ,  d.  h.  als 
additionelle  Verbindung  der  beiden  einfachen  Cyanide.  In  den  schwer 
zersetzbaren  Doppelcyaniden  dagegen,  also  in  denjenigen,  welche 
auf  Säurezusatz  keinen  Cyanwasserstoff  entwickeln ,  bei  denen  vielmehr 
alles  Cyan  mit  dem  schweren  Metall  vereinigt  bleibt,  während  nur  das 
Alkalimetall  gegen  Wasserstoff  ausgetauscht  wird ,  nimmt  man  häufig  zu- 
sammengesetzte metallhaltige  Radicale  an.  Man  nimmt  also  an,  das 
schwere  Metall  sei  mit  dem  Cyan  enger  verbunden  und  dieses  so  gebil- 
dete Radical  habe,  wie  das  Chlor,  die  Fähigkeit,  sich  mit  Alkalimetallen 
zu  Salzen  zu  vereinigen,  aus  welchen  durch  stärkere  Säuren  die  Wasser- 
.  stoffverbindung  des  zusammengesetzten  Radicals  abgeschieden  werde. 
Nach  dieser  Ansicht  erscheint  z.  B.  das  Blutlaugensalz,  dessen  empirische 
Formel:  CyjFeK,  ist,  als  die  Kaliumverbindung  des  zusammengesetzten 
Radicals  *)  Ferrocyan  =  Cy,Fe  =:  ©jNaFe,  welches  man  häufig  mit  Cfy 


*)  Die  Annahme  der  metallhaltigen  Radicale,   des  Ferrocyans  z»  B.  rührt  von 


Doppelcyanide.  317 

bezeichnet  Dasselbe  Salz  wird  yoD  der  anderea  Ansieht  als  eine  Dop- 
pelverbindung  von  Eisencyanar  (=  CjFe)  mit  Gyankalinm  betrachtet 
Es  ist  also: 

empirisch.  als  Doppelsalz.       mit  zusammenges.  RadicaL 

e,N,FeEa  =  Cy,FeK,;        FeCy  +  2KCy;        CjJ^efi^  oder  Cfy.2K. 

Ebenso  nimmt  man  häufig  im  rothen  Blutlaugensalz  das  Radical:  Ferri- 
cyan  =  Cy^Fca  =  Cfdy  =  2Cfy  an;  während  die  andere  Ansicht  dieses 
Salz  als  Doppelverbindung  von  Eisencyanid  und  Cyankalium  betrachtet: 

OeNeFejK,  =  Cy«Fe^Kg;    Fe^Cy,  +  3KCy;    CyeFej,K3  oder  Cfdy.SK. 

Man  überzeugt  sich  zunächst  leicht,   dass   die  Einwirkung  der  Sau-  582. 
ren  auf  die  verschiedenen  Doppelcyanide  in  der  ersten  Phase  der  Zer- 
setzung dieselbe  ist;    das  Alkalimetall   wird    durch  Wasserstoff  ersetzt 
Aber  die  so  gebildete  Gy  an  wasserstoffsäure  bleibt  in  manchen  Fällen  mit 
dem  Metallcyanid  vereinigt,  während  sie  sich  in  andern  von  ihm  loslöst: 

CyNiK     +  HNO,  =  NiCy  +  HCy    +  KNO, 
CyjFeK,  +  2HC1    =  FeCy  +  2HCy  +  2KC1 

Betrachtet  man  nun  die  Doppelzersetzungen,  welche  die  verschie- 
denen Doppelcyanide  erleiden,  wenn  man  statt  der  Wasserstoffverbin- 
dungen (Säuren)  Metallverbindungen  (d.  h.  Salze)  auf  sie  einwirken  lässt 
z.  B.  die  folgenden: 

CyjFeKj  +  Cu2Se4  =  CysFeCuj  +  K^&O^ 
2Cy,NiK  +  Cuj&e4  =  2Cy2NiCu  +  K^m^ 
CyaCdK  +  PbeaHjO,  =  CyjCdPb   +  Ke,H,0j 

so  sieht  man,  dass  das  Zerfallen  oder  Vereinigtbleiben  nicht  eine  charak- 
teristische durch  Verschiedenheit  der  Constitution  veranlasste  Verschie- 
denheit der  Doppelcyanide  ist;  insofern  dasselbe  Doppelcyanid  zerfällt, 
wenn  man  das  Kalium  durch  Wasserstoff  ersetzt,  während  die  entstehen- 
den Cyanide  vereinigt  bleiben,  wenn  statt  des  Wasserstoffs  ein  Metall 
eingeführt  wird. 

Dass  die  so   entstehenden  Metalldoppelcyanide  den  Säuren  gegen* 
über  wieder  ungleiche  Beständigkeit  zeigen,  insofern  das  Nickelkupfer-  ^ 
Cyanid  z.  B*  durch  Säuren  zersetzt  wird,  die  das  Eisenkupfercyanid  nicht 


Gay-LuBsac  her  und  ist  später  von  Liebig  weiter  ausgebildet  worden« 
Berzelius  betrachtete  alle  Doppelcyanide  als  additioneile Doppelverbindun- 
gen  verschiedener  einfacher  Cyanide»  Graham  schlag  vor,  in  vielen  Dop« 
pelcyaniden  das  Badical  Pnusian  s=  8  Cyan  s  ^«Ns  anzunehmen. 


318  CyaijTygWBdnngftp. 

• 
angveifen,  b^weiäi  wle<kr«in  nieht  filr  yeraoliiedeae  Coaititutia»,  i«(  viel» 

mehr  nur  bedjogt  d«4roh  dio  versdiiedene  Natur  der  betreffepd^a  Metdle» 
Dies  zeigt  unter  anderem  der  Umstand,  dass  das  aus  FerrQej(^ka|iuiai 
und  Eisenehlorid  entstehende  Ferrocyaneisen  (Berliner blau)  von  Säuren 
gar  nicht  angegriffen  wird,  wäJirend  es  einen  Theil  seines  Eisens  verlie- 
ren und  nur  den  zurüekhalten  mttsste,  der  im  Radieal  Ferrooyan  mit  dem 
Cyan  enger  verbunden  ist 

Auch  der  Umstand,  dass  in  den  schwer  zersetzbarep  Doppelcyani- 
den  das  schwere  Metall  nicht  durch  die  gewöhnlichen  ßeagentien  nach- 
weisbar ist,  beweist  nicht  für  Verschiedenheit  der  Constitution  der  Dop- 
pelcjanide.  Bs  ist  dies  nur  ein  speoieller  Fsdl  der  ungleichen  Beständig- 
keit, in  welcher  alle  Arten  vdn  Uebergängen  stattfinden.  So  wird  aus 
den  Doppelcjaniden  durch  Schwefelwasserstoff  das  Cadmium,  Quecksilber 
und  Silber  leicht  gefällt,  das  Eisen  und  Kobalt  nicht,  das  Nickel,  Kupfer, 
Zink  und  Mangan  langsam  und  sehr  unvollständig. 
688.  Gegen  Alkalien    zeigen   die  verschiedenen  Doppelcjanide  im  Allge- 

meinen dasselbe  Verhalten.  Diejenigen,  welche  neben  dem  schweren^ 
Metall  ein  Alkalimetall  enthalten,  werden  von  Alkalien  selbst  beim  Kochen 
nicht  zersetzt;  die  leicht  zersetzbarea  so  wenig  wie  die  schwer  zersetz- 
baren. So  wird  z.  B.  aus  Cjansilberkalium  durch  Kalilauge  kein  Silber- 
oxyd gef&llt.  Diejenigen  Doppelcyanide,  die  nur  schwere  Metalle  od^r 
mehrere  schwere  Metalle  enthalten,  werden  durch  Alkalien  so  zersetzt, 
dass  ein  Theil  des  schweren  Metalls  entzogen  und  durch  Alkalimetall  er- 
setzt wird,  so  dass  neben  dem  sich  ausscheidenden  Metalloxyd  ein  lös- 
liches Doppelcyanid  entsteht.  Aber  diese  Zersetzungen  zeigen  gerade, 
dass  nicht  ein  bestimmter  Theil  des  Metalls  mit  dem  Oyan  enger  gebun- 
den ist  So  gibt  z.  B.  Ferricyaneisen  mit  Aetzkali  nicht  Ferricyankalium 
und  Eisenoxydul,  sondern  Ferrocyankalium  und  Eisenoxydoxydul. 

Gegen  Queeksilberoxyd  und  schwefelsaures  Queeksilberoxyd  zeigen 
die  Doppjelcyanide,  selbst  die  sonst  beständigen,  sehr  geringe  Beständig- 
keit Selbst  Blutlaugensalz  und  Berlinerblau  werden,  unter  Bildung  von 
Oxyden  oder  schwefelsauren  Salzen  des  Eisens,  vollständig  in  Cyanqueck- 
silber  übergeftlhrt 

Es  verdient  noch  besonders  hervorgehoben  zu  werden,  dass  das 
von  Säuren  leicht  zersetzbare  Mangankaliumcyanid  mit  dem  schwer  zer- 
setzbaren Ferricyankalium  nicht  nur  völlig  analoge  Zusammensetzung 
zeigt,  sondern  dass  beide  Salze  sogar  isomorph  sind. 

Aus  den  angegebenen  Beispielen  geht  deutlich  genug  hervor,  dass 
die  verschiedene  Zersetzbarkeit  der  Doppelcyanide  nicht  durch  verschie- 
dene Constitution  dieser  Verbindungen,  sondern  nur  durch  die  individuelle 
Natur  der  in  ihnen  enthaltenen  Metalle  veranlasst  i^t  Nichtsdestoweniger 
ist  es  geeignet,  durch  die  Wahl  der  Namen  an  die  mehr  oder  weniger 
^esse  Beständigkeit  s^u  erinnern  and  die  schwer  «ersetzbaren  Poppel- 
Cyanide  mit  den  der  ßadioaltbeorie  entleluiten  Nanens  Ffirroayankalium, 


FerrioyankiJiiiin  u.  ^.  w.  ^  baneiobum,  fllr  ^  teieb^  «»netobaren  im- 
gegen  die  Namen :  SUberkaliuincyanid  oder  GyaqeilberltaUai»  m  gebrf^Ur 
eben.  Ebenso  ist  es  iin  ftebreiben  4ßr  Fome]iD  innerbalb  gewisser  ße- 
traehiungen,  namentlich  wenn  es  siph  um  einlache  Satesersetsungen  bän- 
delt^ bisweilen  von  Vortheil  die  abgekOrzAen  l^eioben  (Cfy,  Gfdy  eto.)  in 
die  Formeln  einsufbhren. 

Endlieb  mnss  noch  darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  dass  alle 
diejenigen  Cyanide,  die  mit  verdünnten  Säuren  Cjanwasserstoff  ent- 
wickeln, giftig  sind,  wie  die  Blausäure  s^bst;  während  die  beständigeren 
Cyanide,  d.  h.  diejenigen,  die  mit  verdünnten  Säuren  keine  Blausäure  ge- 
ben, nicht  giftig  sind. 

Einzelbeschreibuog  der  wichtigsten  Cyanide. 

Ammonium  Cyanid.    Cyanammonium.     Der  Cyanwasserstoff  ver-  584. 
einigt  sich  direct  mit  Ammoniak.     Die  Bildung   von   Ammoniumcyanid 
durch  Ueberleiten  von  Ammoniakgas  über  glühende  Kohle  ist  schon  $.  525 
erwähnt,  sie  findet  vielleicht  nach  der  Zersetzungsgleichung: 

e  +  2NH,  =  eN(NH4)  +  H, 

statt,  oder  wahrscheinlicher: 

36  +  4NH,  =  2GN(NH4)  +  GH4 

wenigstens  ist  von  Kühl  mann  das  Auftreten  von  Grubengas  nachge- 
wiesen. Auch  wenn  man  ein  Gemenge  von  Kohlenoxyd  und  Ammoniak 
durch  eine  glühende  Röhre  leitet,  entsteht  Ammoniumcyanid: 

ee  +  2NH,  =  eNtNH4)  +  H,e 

Zur  Darstellung  erhitzt  man  ein  Gemenge  von  Kaliumcyanid,  Quecksilber- 
cyanid  oder  von  getrocknetem  BluÜaugenBalz  (8  Tb.)  mit  Sabniak  (2  Tb.)  im  Was- 
aerbad  bei  gut  gekühlter  Vorlage.  Das  Ammomumcyaidd  krystalüsirl  in  ftu>blo0«n 
Würfeln,  es  siedet  bei  -f*  3^^-  Es  ist  in  Wasser  und  Alkohol  sehr  löslich  und 
zersetzt  sich  leicht  unter  Bildung  einer  braunen  Materie. 

Das  Ammoniumcyanid  zeigt  eine  Ausnahme  vom  Volumgesetz  (§.  396). 
1  Molecül  entspricht  nicht  2,  sondern  4  Volumina  Dampf  (§.  411).  Da  sich  Cyan- 
wasserstoff direct  mit  Ammoniak  verbindet,  so  kann  man  annehmen,  dass  der 
Dampf  des  Ammoninmoyanids  ein  Qemenge  dieser  beiden  Körper  ist  und  daas  die 
Verbindung  nur  in  fester  Form  ezistirt  Der  sogenannte  Siedepunkt  ist  dapn  ^ 
Zersetzungstemperatur  der  Verbindung  (vgl.  $.  404). 

Kaliumcyanid.    Gyankalium. 

Die  Bildung  von  Gyankalium  aus  Stickstoff,  aus  Ammoniak,  aus  den  Ö86. 
Oxyden  des  Stickstofis  und  aus  sticks^ffbaltigen  organischen  Substanzen 
ist  oben  besprochen  ($.  524).     Aus   dem   Stickstoff  der  Luft  erzeugtes 
Cyi^nkalium  findet  sich  häufig  in  Gisenhohöfen,  bisweilen  in  beträchtlicher 


320  « CyaikTerbindimgen. 

Menge.  Kaliumcyanid  entsteht  ferner  durch  Verbrennen  ron  Kalium  in 
Cyanwasserstoff  oder  in  Gjangas.  In  Lösung  erhält  man  es  durch  Sätti» 
gen  wftssriger  Blausäure  mit  Kalilauge  (so  bereitet  man  reine  Cyankalium* 
lösung  zu  analytischen  Zwecken).  Leitet  man  Cyanwasserstoff  in  eine 
alkoholische  Lösung  von  Kalihydrat,  so  scheidet  sich  krystallisirtes  Ka- 
liumcyanid  aus.  Reines  Kaliumcyanid  wird  ferner  erhalten,  wenn  man 
entwässertes  Blutlaugensalz  im  Eisen tiegel  bis  zur  Kirsehrothgluth  erhitzt: 

CyeFe,K4  =  4KCy  +  2eFe  +  Nj 

und  die  geschmolzene  Masse  (Gemenge  von  Kaliumcyanid  und  Kohlen- 
eisen) mit  heissem  Alkohol  auszieht.  Abgiessen  des  geschmolzenen  Cyan- 
kaliums  gelingt  nur  schwer,  weil  das  Kohlen  eisen  so  leicht  ist,  dass  es 
sich  nur  sehr  langsam  absetzt.  Ausziehen  mit  Wasser  ist  nicht  zulässig, 
weil  dabei  Blutlaugensalz  regenerirt  wird.  Ein  mit  cyansaurem  Kali  ver- 
unreinigtes, aber  für  die  meisten  Zwecke  verwendbares  Cyankalium  (s.  g. 
Liebig'sches  Cyankalium)  wird  durch  Schmelzen  von  entwässertem  Blut- 
laugensalz  (8  Th.)  mit  kohlensaurem  Kali  (3  Th.)  erhalten  (vgl.  §•  542) : 

CyeFejK4  +  K,ee3  =  ÖKCy  +  KCyO,  +  Fe,  +  60, 

Das  metallische  Eisen  setzt  sich  leicht  zu  Boden,  so  dass  das  geschmol- 
zene Cyankalium  abgegossen  werden  kann. 

Das  Kaliumcyanid  krystallisirt  aus  alkoholischer  Lösung  oder  bei 
langsamen  Erkalten  der  geschmolzenen  Masse  in  farblosen  Würfeln.  Es 
ist  sehr  löslich  in  Wasser,  sogar  zerfliesslich.  In  heissem  ^Ikohol  löst 
es  sich  in  weit  grösserer  Menge  als  in  kaltem.  Es  kann  bei  Luftabschluss 
erhitzt  werden,  ohne  Zersetzung  zu  erleiden;  es  schmilzt  leicht  und  ver- 
flüchtigt sich  bei  hohen  Temperaturen.  Schmilzt  man  es  bei  Luftzutritt, 
so  geht  es  durch  Sauerstoffaufnahme  in  cy ansaures  Kali  über;  ebenso 
beim  Erhitzen  mit  Metalloxyden.  (Es  wird  desshalb  häufig,  u.  a.  bei 
Löthrohrreactionen  als  Reductionsmittel  angewandt.)  Bei  Gegenwart  von 
Wasser  zersetzt  es  sich  schnell,  besonders  beim  ^Erhitzen: 

€NK  +  2H,e  —  eHKO,  4-  NH, 
ameisens.  Kali. 

Durch  Säuren,  selbst  Kohlensäure  wird  es  leicht  zersetzt  unter  Entweichen 
von  Cyanwasserstoff.    (Es  riecht  desshalb  stets  nach  Blausäure.) 

Die  wässrige  Lösung  des  Kaliumcyanids  gibt  mit  den  Lösungen  der 
meisten  Metallsalze  Niederschläge  von  Metallcyaniden  (weiss:  Zn,  Cd,  Ag; 
grün:  Ni;  fleischroth:  Co;  rothgelb:  Eisenozydul),  die  sich  in  einem 
Ueberschuss  von  Cyankaliumlösung,  unter  Bildung  löslicher  Doppelcyanide, 
mit  mehr  oder  wenig  grosser  Leichtigkeit  auflösen. 

MQ^  Sibercyanid.      Weisser,    dem  Silberchlorid  sehr  filmlicher  Niederschlag*, 

onlöslich    in  Salpetersäure,   löslich   in  Ammoniak,    durch    Salzsäure    zersetsbar. 


QueckBilbercyanid.  321 

ZerfKUt  beim  Erhitzen  zu  Cyan  und  Silber  (mit  Paracyansilber).  —  Das  Silber- 
cyanid  löst  sich  leicht  in  Kaliomcyanid  und  bildet  krystallisirbares  Kalium silb er- 
cyanid  AgKCy^  (Cyansilber-Cyankalium).  Aus  der  Lösung  dieses  Doppelcyanids 
wird  das  Silber  weder  durch  Alkalien  noch  durch  Chlormetalle  geföllL  Die  Lö- 
sung dient  zur  galvanischen  Versilberung. 

Cyanide  des  Kupfers.  In  Kupfervitriollösung  erzeugt  Kaliumcyanid  537. 
einen  rothen  Niederschlag  von  Kupfercyanid  (CuCy);  beim  Kochen  der  Flüs- 
sigkeit geht  dieser  unter  Entwicklung  von  Cyan  in  weisses  Kupfercyanür 
(Cu^Cy)  über.  Dieses  weisse  Salz  entsteht  auch,  wenn  man  Kupferchlorür  mit 
Cyanwasserstoff  oder  mit  Kaliumcyanid  fällt;  oder  wenn  man  zu  Blausäure  erst 
Kali,  dann  Kupfervitriollösung  zusetzt  und  nachher  mit  Salzsäure  ansäuert  (Las- 
seigne's  Reaction  auf  Blausäure  §.  526).  Das  Kupfercyanür  bildet  mit  Kaliumcyanid 
awei  krystalUsirbare  Doppelcyanide  (A  =  CujCy  -J-  ^Cy;  B  =  CujCy  -j-  8KCy). 

QuecksilberoyaDid.    Cjanquecksilber  HgCy^*). 

Qaecksilberoxyd  wird  von  kalter  wässriger  Blausäure  leicht  gelöst;  588. 
bei  aberschüBsigem  Qaecksilberoxyd  entsteht,  besonders  leicht  beim  Erwär* 
men,  ein  basisches  Cyanid  (HgO  -^  HgCjj).  Man  bereitet  das  Queck- 
sübercyanid  gewöhnlich  durch  Kochen  von  Blutlaugensalz  (l  Tb.)  mit 
schwefelsaurem  Quecksilberoxyd  (2  Th.)  und  Wasser  (8  Th.) ;  oder  durch 
Kochen  von  Berlinerblau  (4  Th.)  mit  Quecksilberoxyd  (3  Th.)  und  Was- 
ser (40  Th.).  Das  Quecksilbercyanid  krystallisirt  in  farblosen  quadrati- 
schen Prismen,  die  sich  in  8  Th.  kaltem,  leichter  in  heissem  Wasser  lö- 
sen und  in  Alkohol  unlöslich  sind.  Beim  Erhitzen  zerfällt  es  in  Cyan, 
Quecksilber  und  Paracyan.  Von  Salzsäure  und  von  Schwefelwasserstoff 
wird  es  leicht  zersetzt;  verdünnte  oder  kalte  Salpetersäure  und  Schwefel- 
säure sind  ohne  Wirkung;  concentrirte  Schwefelsäure  zersetzt  es  beim 
Kochen. 

Das  Quecksilbercyanid  verbindet  sich  mit  Chloriden,  Bromiden,  Jodiden,  mit 
salpetersauren  Salzen  etc.  unter  Bildung  von  meistens  krystallisirbaren  Doppel- 
salzen,  die  beispielsweise  die  folgende  Zusammensetzung  zeigen: 

HgCya  +  KCy  HgCyj  +  KBr  HgCy,  +  KJ 

HgCya  -f  NaCy  HgCy,  -f  NaBr  HgCy^  +  NaJ  +  2^^^^ 

HgCya  +  MgCl  +  iHaO  HgCya  +  BaBr  4.  SEje  HgCy^  +  BaJ  +  oU^B 

HgCya  +  BaCl  +  2Hae  HgCyj  +  SrBr  +  SHaO  HgCyj  +  SrJ  +  SHaO 

HgCya  4-  SrCl  -f  SHa^  HgCya  +  CaJ  +  SHje 

HgCya  +  CaCl  +  SHae-  HgCyj  +  AgNe,-|-2Hae  HgCya  +  KCrOa 
HgCya  +  NiCl  +  SHaO 

Cyanide  des  Eisens. 

Eisencyantlr,   FeCy.     Kaliumcyanid  erzeugt  in  Eisenoxydulsalzen   einen  539. 
gelbrothen  Niederschlag  von  Eisencyanür,  welches  stets  eine  gewisse  Menge  von 


•)  Hg  Ä  200,  wenn  H  =  l;  O  =  16. 
KekaUy  oreaa.  Chenic.  21 


322  Cyanverbindungen. 

Kaliomcyaiüd  znrfickhSlt  (Fresenius).  Das  Eisencyanür  löst  sich  leichi  in  Ealinm« 
Cyanid  unter  Bildung  von  Ferrocyankalium. 

Setzt  man  eine  Lösung  von  Kaliumcyanid  zu  Eisencblorid,  so  entsteht  an- 
fangs kein  Niederschlag,  aber  bald  entwickelt  sich  Blausäure  und  es  scheidet  eich 
Eisenoxydhydrat  aus.  Das  Eisencyanid  (Fe^Cys)  scheint  demnach  nicht  sn 
existiren. 

640.  Kaliumferrocyanid.    Ferrocyankalium.    Gelbes  Blutlaugen- 

salz.    Ealiumeisencyanür  etc.  —  Cy«Fe2K4. 

(Man  gibt  diesem  Salz  häufig  die  Formel  Cy^FeE^;  die  Zusammensetzung 
einiger  Ferrocyanide  (vgl.  $.  543)  macht  es  wahrscheinlich,  dass  das  Molecfil  durch 
die  verdoppelte  Formel  =  Cy9Fe2K4  ausgedrückt  werden  muss,  welche  auch  viele 
Jfctamorphosen  des  Ealiumferrocyanlds  in  einfacherer  Weise  ausdrückt) 

Bildung.  Das  Ealiumferrocyanid  entsteht,  wie  oben  erwähnt, 
durch  Einwirkung  von  gelöstem  Ealiumcyanid  auf  Eisencyanür.  Es  ent- 
steht auch,  wenn  wässriges  Ealiumcyanid  auf  Eisenoxydul,  kohlensaures 
Eisenoxydul,  Schwefeleisen  oder  Schwefeleisenkalium  (EFeS)  einwirkt 
Z.  B.: 

FcjS  4-  6ECy  =  E^Fe^Cje  +  E^S 

Selbst  metallisches  Eisen  wird  von  Cyankaliumlösung  unter  Bildung  von 
Ferrocyankalium  gelöst,  indem  entweder  Sauerstoff  aus  der  Luft  aufge- 
nommen oder,  bei  Luilabschluss,  Wasserstoff  ausgeschieden  wird: 

Fe,  +  6ECy  +    H,e  +  O  =  E4FejCye  +  2EHe 

Fe,  +  6ECy  +  2Hje  =  E^PcjOye  +  2EHe  +  E, 

Das  Ealiumferrocyanid  entsteht  auch  durch  Eochen  von  Berlinerblaa 
mit  einer  Lösung  von  Eali  oder  kohlensaurem  Eali. 

641.  Darstellung*).  Das  Blatlaugensalz  wird  fabrikmffssig  dargestellt,  indem 
man  slickstofflialtige  Tkiersubslanzcn  oder  die  aus  solchen  Substanzen  dargestellte 
Eohle  unter  Zusatz  von  Eisen  in  schmelzende  Potasche  einträgt,  die  geschmolzene 
Masse  mit  Wasser  auslaugt  und  die  Lösung  krystallirt  Das  Schmelzen  geschieht 
biswcOen  in  s.  g.  Birnen,  häufiger  in  schalenförmigen  Flammöfen.  Als  Material 
dienen  wesentlich  Hom,  Lederabfölle ,  wollene  Lumpen,  getrocknetes  Blut  etc.  — 
Die  Theorie  der  Fabrikation  ist  folgende.  Beim  Eintragen  der  stickstoffhaltigen 
Substanzen  in  die  geschmolzene  Potasche  findet  zunächst  Verkohlung  statt;  ein 
Theil  des  Sückstoffs  entweicht  in  Form  von  Ammoniak  und  resp.  kohlensaurem 
Ammoniak,  während  ein  anderer  Theil  und  vielleicht  auch  Stickstoff  des  schon 


*)  Ueber  Fabrikation  des  Blutlaugensalzes  vgl.  bes.  Handwörterbuch  der  Che- 
mie, 2te  Aufl.  U.  184.  —  Femer:  R.  Ho  ff  mann,  Ann.  Chem.  Pharm. 
CXm.  81.  — 


Ferrocyankalium.  323 

gebildeteten  Ammomaks  Cyankalium  eraeugt  (§.  524).  Gleichzeitig  wird  durch  den 
Schwefel  der  Thiersubstanzen  (vielleicht  unter  Verwendung  eines  Theiles  von  dem 
Schwefel,  der  sich  in  Form  von  schwefelsaurem  Kali  in  der  unreinen  Potasche  fin- 
det) Schwefelcyankalium  (§.  584)  SchwefelkaÜum,  Schwefeleisen  und  Schwefeleisen- 
kalium gebildet  Beim  Auflösen  der  Schmelze  wirkt  dann  das  Kaliumcyanid  auf 
das  Schwefelcisen  und  das  Schwefelelsenkalium  zersetzend  ein  und  es  entsteht  Blut- 
laugensalz. Durch  Eindampfen  und  Erkaltenlassen  der  von  dem  Auslaugerückstand 
(Schwärze)  getrennten  Lauge  erhält  man  eine  Erystallisation  von  Roh  salz, 
aus  welcher  durch  Umkrystallisiren  Rein  salz  erhalten  wird.  Die  letzten  Mutter- 
laugen werden  eingetrocknet  (Blaukali,  Blausalz)  und,  mit  Zusatz  von  Potasche, 
zu  anderen  Schmelzen  verarbeitet. 

Dass  die  Schmelze  kein  fertig  gebildetes  Blutlaugensalz,  vielmehr  Cyankalium 
enthält  und  dass  das  Blutlaugensalz  erst  während  des  Auslaugens  gebildet  werde, 
ist  zuerst  von  Liebig  behauptet,  später  mehrfach  widersprochen  worden,  jetzt  aber 
mit  Sicherheit  nachgewiesen.  Es  ist  schon  an  sich  einleuchtend,  dass  das  Blut- 
laugensalz nicht  in  Temperaturverhältnissen  entstehen  kann,  bei  welchen  es  sich 
zersetzen  würde,  wenn  es  vorhanden  wäre.  Man  kann  femer  ans  fiischer  Schmelze 
durch  verdünnten  Alkohol  das  Cyankalium  so  vollständig  ausziehen,  dass  der  un- 
gelöste Theil  mit  Wasser  kein  Blutlaugensalz  mehr  bildet  (Lieb ig).  Endlich  ver- 
hält sich  die  Schmelze,  wenn  man  sie  mit  Alkohol  und  Essigsäure  behandelt,  genau 
wie  ein  Gemenge  von  Cyankalium  und  Eisen,  d.  h.  sie  wird  unter  Entweichen  von 
Blausäure  so  vollständig  zersetzt,  dass  der  Rückstand  beim  Behandeln  mit  Wasser 
kein  Blutlaugensalz  mehr  erzeugt;  reines  Blutlaugensalz  wird  in  denselben  Ver- 
hältnissen nicht  angegriffen  (Ho  ff  mann). 

Dass  beim  fabrikmässigen  Betrieb  nur  ein  verhältnissmässig  kleiner  Theil 
des  Stickstoffs  der  Thiersubstanzen  (^/g,  im  günstigsten  Fall  i/,)  in  Form  von  Blut- 
laugensalz gewonnen  vnrd,  ist  durch  mehrlache  Ursachen  veranlasst.  Zunächst 
entweicht  während  des  Eintragens  der  Thierstoffe  in  die  geschmolzene  Potasche 
ein  beträchtlicher  Theil  des  Stickstoffs  in  Form  von  Ammoniaksalzen.  Dann  wirkt 
das  Wasser,  welches  in  den  Tlüersubstanzen  enthalten  ist  und  bei  ihrer  Verkohlung 
erzeugt  wird,  und  auch  der  Wasserdampf  der  Ofengase  auf  schon  gebildetes  Cyan- 
kalium zersetzend  ein.  Ferner  kann  der  Sauerstoff  der  Ofengase  und  auch  wohl 
der  Sauerstoff  des  im  angewandten  Eisen  (z.  B.  Hammerschlag)  enthaltenen  Oxyds 
schon  gebildetes  Cyankalium  zu  cyansaurem  Kali  verbrennen,  welches  in  den  Be- 
dingungen des  Ofens  wenigstens  nur  zum  kleinen  Theil  durch  Kohle  wieder  zu 
Cyankalium  reducirt  wird,  während  der  grössere  Theil  schon  im  Ofen  oder  beim 
Auslaugen  der  Schmelze  zu  kohlensaurem  Kali  und  Ammoniak  zerfUllt.  Einen  be- 
trächtlichen Verlust  an  Stickstoff  veranlasst  endlich  die  wesentlich  durch  den  Schwe- 
felgehalt der  Thiersubstanzen  veranlasste  Bildung  von  Schwefelcyankalium.  Das 
einmal  gebildete  Schwefelcyankalium  wird  zwar  bei  Versuchen  im  Kleinen,  nicht 
aber  oder  wenigstens  nur  höchst  unvollständig  im  Schmelzofen  durch  Eisen  oder 
Kohle  in  Cyankalium  übergeführt.  Fast  sämmtliches  Schwefelcyankalium  der 
Schmelze  geht  in  die  letzten  Mutterlaugen  Über  und  wird  beim  Eindampfen  und 
Einschmelzen  derselben  vollständig  zersetzt,  ohne  Cyankalium  zu  bilden. 

Das  Kaliumferrocyanid  krjstallisirt  aus  wässriger  Lösung  in  grossen  542. 
Quadratoktaedern,   meist  mit  vorherrschender  Endfläche.    Diese  sind,  je 
nach  der  Reinheit  oder  je  nach  der  Zeit  des  Krystallisirens,   orangegelb 
and  durchsichtig  oder  citronengelb  und  nur  durchscheinend. 

21  • 


324  Cyanverbindungen. 

Es  löst  sich  in  2  Th.  siedendem  und  in  4  Th.  kaltem  Wasser  und 
ist  in  Alkohol  völlig  unlöslich.  Das  krjstallisirte  Salz :  Cy0Fe2K4  +  SHj^, 
ist  lullbeständig,  es  verliert  bei  100*  sein  Krjstallwasser.  Das  wasserfreie 
Salz  ist  ein  weisses  sehr  hygroskopisches  Pulver. 

Es  schmilzt  kurz  vor  der  Glühhitze  und  zersetzt  sich  dabei  in  Stick-' 
stofif,  Ealiumcyanid  und  Kohleneisen 

CjeFe2K4  =  4KCj  +  2eFe  +  N, 

Beim  Zutritt  des  Sauerstoffs  der  Luft  oder  beim  Schmelzen  mit  Hetallozyden  geht 
das  Cyankalium  in  cyansaures  Kali  Über.  Schmilzt  man  Blutlaugensalz  mit  koh- 
lensaarem  Kali,  so  wird  kein  Stickstoff  entwickelt  und  man  erhält  ein  Gemenge 
von  Cyankalium  und  cyansaurem  Kali  (Liebig'sches  Cyankalium  §.  535).  Man 
kann  sich  von  dieser  Rcaction  Rechenschaft  geben,  indem  man  annimmt,  das  Blut- 
laugensalz zerfalle  zunächst  in  Cyankalium,  Cyan  und  Eisen: 

CyeFe2K4  =  4KCy  +  Cyj  +  Fe, 

das  Cyan,  statt  frei  zu  werden,  wirkt  wie  freies  Cyan  auf  kohlensaures  Kali  ein, 
indem  es  Cyankalium  und  cyansaures  Kali  erzeugt  (§.  572),  so  dass  also  schliess- 
lich 5KCy  auf  lCyK0  entstehen: 

Cy^FcaK^  +  ee^Ka  =  öKCy  +  IKCyO  +  Fe,  +  eOa- 

Kocht  man  Blutlaugensalz  mit  verdünnter  Schwefelsäure  so  entweicht 
Blausäure  (§.  525);  erwärmt  man  es  dagegen  mit  concentrirter  Schwefel- 
säure (dem  8 — lOfachen  Gewicht),  so  entweicht  Kohlenoxyd  durch  wenig 
Kohlensäure  und  schweflige  Säure  verunreinigt. 

Die  Zersetzung  kann  durch  die  Gleichung  ausgedrückt  werden: 

CyeFcaK^  -f  eHjO  +  eSO^Hj  =  Se.iFca  -f  250.1^2  +  SSOiCNKJa  +  660. 

Sie  ist  leicht  verständlich,  wenn  man  sich  daran  erinnert,  dass  verdünnte 
Schwefelsäure  aus  Blutlaugensalz  Cyanwasserstoff  erzeugt,  dass  dieser  durch  Auf- 
nahme von  2H20  in  amcisensaures  Ammoniak  übergehen  kann  und  dass  Ameisen- 
säure von  conc.  Schwefelsäure  unter  Wasseraustritt  zu  Kohlenoxyd  wird.  Bei  Ge- 
genwart der  conc.  Schwefelsäure  nimmt  die  Blausäure,  im  Moment  des  Freiwerdens 
nur  halb  so  viel  Wasser  auf  als  zur  Bildung  von  ameisensaurem  Ammoniak  nöthig 
ist  und  zerfällt  direct  zu  Kohlenoxyd  und  Ammoniak: 

€SE  +  HaO  =  00  +  NH3. 

Gleichzeitig  wird  ein  Theil  der  Schwefelsäure  zu  schwefliger  Säure  reducirtj  dabei 
geht  etwas  Kolüenoxyd  in  Kohlensäure  und  ein  Theil  des  Eisenoxydulsalzes  in 
Eisenoxydsalz  über. 

Durch  Einwirkung  oxydirender  Substanzen  (Chlor,  Ozon  etc.)  ent- 
steht  aus  Kaliumferrocjanid  das  Kaliumferricjanid  (§.  548);  durch  Sal- 
petersäure Nitroprussidverbindungen  (§.  537). 

648.  Perrocjanwasserstoffsäure.    €6N6Fe2H4  =  CyeFe2H4.  (Por- 

ret  1814}.     Stärkere  Mineralsäuren   z,  B.  Salzsäure  zeigen   in  der  Kälte 


Ferrocyanwasserstoil  325 

mit  Ealiamferrocyanid   doppelte  Zersetzung)   durch   welche   das  Kalium 
gegen  Wasserstoff  ausgetauscht  wird. 

Setzt  man  tu  kalt  gesättigter  Ferrocyankaliomlösung  starke  Salzsäure,  so 
scheidet  sich  die  Ferrocy  an  wasserstoffsäure  als  weisses,  rasch  blau  werdendes  kry- 
stallinisches  Pulver  aus.  Schüttelt  man  die  Ferrocjankaliumlösung  erst  mit  Aether, 
so  fällt  die  Säure  völlig  farblos  und  färbt  sich  weit  langsamer.  Durch  Auflösen 
des  ausgepressten  Niederschlags  in  Alkohol  und  Fällen  mit  Aether  kann  sie  gerei- 
nigt, durch  üeberschichten  der  alkoholischen  Lösung  mit  Aether  in  grossen  &y- 
stallen  erhalten  werden.  Die  Ferrocyanwasserstoff säure  nimmt  schon  bei  gewöhn- 
licher Temperatur,  rascher  beim  Erhitzen,  Sauerstoff  auf,  entwickelt  Cyanwasserstoff 
und  erzeugt  ein  blaues  Pulver,  welches  mit  gewöhnlichem  Berlinerblau  (§.  545) 
^entisch  ist  (Reimann  und  Carins  *). 

Die  Ferrocyanwasserstoffsäure  ist  eine  starke  Säure,  sie  zersetzt 
kohlensaure  und  essigsaure  Salze.  Sie  ist  vierbasisch.  Man  kennt  Salze, 
die  vier  Atome  eines  und  desselben  Metalls,  andere,  die  ausser  detä 
Eisen  der  Säure  zwei  verschiedene  Metalle  enthalten  und  zwar  entweder 
zwei  Atome  des  einen  auf  zwei  Atome  des  andern,  oder  drei  Atome  des 
einen  auf  ein  Atom  des  andern.    Z.  B.: 


1. 

Cy,  Fe,  K4 

+ 

8H,^ 

2. 

Cy,  Fe,  Na« 

+ 

6H,e 

8. 

Cy,  Fe,(NH04 

+ 

sHje 

4a. 

Cy,  Foj  Ba, 

+ 

eH,e 

4b. 

Cu  Fe,  Ba^K, 

+ 

8Hj© 

5a. 

Cy,  Fe,  Co, 

+ 

12Hae 

5b. 

Cy,  Fe,  Ca,K, 

+ 

8H,0 

6a. 

Cy,  Fej  Cu, 

+ 

4H,0 

6b. 

Cy,  Fe,  CnjK, 

+ 

2H,0 

7. 

Cy,  Fej  Fe,Ka 

8. 

Cy,  Fe,  K,N8 

+ 

8H,e 

9.      Cy,  Fea  KjCNH,)  +    SHa^ 

Das  Natrium-  und  das  Ammoniumferrocyanld  (Kr.  2  und  S)  sind 
wie  das  Ealiumferrocyanid  (Nr.  1)  in  Wasser  löslich  und  leicht  krystallisir- 
bar.  Man  erhSlt  sie  durch  Sättigen  der  Säure  mit  der  betr.  Base,  durch  Kochen 
von  Berlinerblau  mit  der  Base,  durch  Auflösen  von  EisencyanÜr  in  Cyannatrium 
oder  Cyanammonium  etc.  Das  Natriumferrocyanid  kann  auch  direct,  wie  das  Blut- 
lougensalz  dargestellt  werden,  indem  man  die  Potasche  durch  Soda  ersetzt,  dabei 
wird  jedoch  ein  bei  weitem  geringerer  Theil  des  Stickstoffs  der  Thiersubstanzen  in 
die  Cyanverbindung  übergeführt.  Die  Salze  4a.  und  5a.  werden  durch  Kochen  von 
Berlinerblau  mitBarytwasser  oder  mit  Kalkmilch  und  Erkaltenlassen  des  Filtrats 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXm.  89. 


326  Cyanverbindttiigen. 

erhalten.  Die  übrigen  k(^nnen  meist  durch  doppelte  Zersetsning  ans  Kalinmferro* 
cjanid  und  einem  Salz  des  betreffenden  Metalls  erhalten  w^den.  So  entstehen 
z.  B.  die  Salze  4b.  und  5b.  als  krystallinische  Niederschläge,  wenn  man  zu  Ferro- 
cyankaliumlösung  eine  Lösung  von  Chlorbaryum  oder  von  Chlorcalcium  zufügt. 
Giesst  man  Ferrocyankaliumlösung  zu  Überschüssigem  Kupfervitriol,  so  entsteht 
ein  rother  Niederschlag  (6a.);  setzt  man  umgekehrt  Eupfervitriollösung  zu  Ferro- 
cyankalium  im  Ueberschuss,  so  entsteht  ein  brauner  Niederschlag  (6b.). 

Die  Salze  8  und  9  sind  von  Reindel  durch  Eeduction  von  Ealiumferro- 
cyanid  mittelst  Traubenzucker  in  einer  durch  Natron  oder  Ammoniak  alkalischen 
Lösung  dargestellt  (vgL  S-  647). 

Aehnlich  wie  die  Eupfersalze  so  geben  die  meisten  Metallsalze  mit  Ferri- 
cyankaliumlösung  einen  Niederschlag,  der  für  Zink,  Blei,  Silber,  Mangan  und  Wis* 
mnth  weiss,  für  Nickel  grünlich,  für  Kobalt  grünlichgelb  ist 

544.  Ealiumeisen  ferro  Cyanid.    FerrocjaneiseDkalium  CjJ?eJS,^  ist 

der  weisse  Rückstand  von  der  Darstellung  der  Blausäure  (Willi  am  so n 
Tgl.  §.  525).  Mit  diesem  in  seiner  Zusammensetzung  dem  Eapfersalz 
(Nr.  6b.)  entsprechenden  Doppelcjanid  (Nr.  7.)  ist  wahrscheinlich  der 
weisse  Niederschlag  identisch,  den  Eisenoxydulsalze  mit  Ferrocyankalium- 
lösung hervorbringen.    Beide  werden  durch  Oxydation  rasch  blau  (§.  551). 

646.  Perriferrocyanid,  Eisenferrocyanid.    Ferrocyaneisen ,  Ber- 

Unerblau.  Eisenoxydsalze,  z.  B.  Eisenchlorid,  geben  mit  Ealiumferro- 
Cyanid  einen  intensiv  blauen  Niederschlag,  der  auf  9  Cyan  7  Eisen  ent- 
hält, also  durch  die  empirische  Formel  CygFe^  ausgedrückt  werden  kann. 

Die  Bildung  dieses  Niederschlags  ist  derselbe  Austausch  Äquivalenter  Mengen 
zweier  Metalle,  der  bei  allen  andern  Salzzersetzungen  stattfindet.  Die  Stelle  der 
4  Atome  Kalium  des  Kaliumferrocyanids  wird  durch  4  Aequivalente  Eisen  des  Ei- 
senchlorids eingenommen.  Die  Zersetzung  kann  also,  wenn  man  die  Formeln, 
ohne  auf  Atom-  und  Moleculargrösse  Rücksicht  zu  nehmen,  in  Aequival ent- 
zeich en  schreibt  (vgl  $•  1S7),  ausgedrückt  werden  durch: 


Cy>Fe,fi;         >s,<         fe^la^ 

oder: 

Cy^Fe^K«  +  4feCl  =:  Cj^Feafe«  +  4ECL 

Will  man  statt  in  Aequivalentzeichen  in  atomistischen  Symbolen  schreiben, 
so  hat  man,  weil  die  2  Atome  Eisen  des  Eisenchlorids  gleich  drei  Aequiva- 
lenten  sind: 

80y«Fe3|K4  *{-  4Fe2a,  =  CyisFe^Feg  +  12Ea. 

Schreibt  man  die  Zersetzungsgleichung  mit  Annahme  des  Radicals  Ferro- 
cyan  =  Cfy  =  Cy^Fe,  so  wird  sie: 

8(Cfy,  2K)  4-  2Feaa,  =  (8Cfy,  4Fe)  +  6Ka 

Das  Perriferrocyanid  CygFeafe«  4-  6Ha0  =  Cy^Fe,  -|-  SH^O  = 
(8Cfy  4Fe)  4-  9Ha0  =r  SFeCy  -j-  2Fe2Cy,  4-  9Hae  ist,  wenn  man  es  durch 
Eingi^ssen  von  Ferrocyankalium  in  Überschüssiges  Eisenchlorid  oder  wenn  man  es 


BerlinerblaiL  327 

dahA  FSUen  von  Ferrocyanwasserstoff  mit  Eisencfalorid  dargestellt  bat,  ein  intensiv 
blaues  in  Wasser  völlig  nnlösliches  Pulver.  Nach  hinlänglichem  Auswaschen  ist  es 
völlig  frei  von  Kalium.  Getrocknet  stellt  es  eine  tief  dunkelblaue  Masse  dar  von 
starkem  Kupferglanz  und  muschlichem  Bruch.  Es  zersetzt  sich  beim  Erwärmen 
unter  Entwicklung  von  Blausäure  und  Bildung  von  Eisenozyd.  Bei  Luftzutritt  er- 
hitzt entzündet  es  sich  und  verglimmt  wie  Zunder. 

Von  verdünnten  Mineralsfluren  wird  es  nicht  gelöst  und  nicht  zersetzt  In 
weinsaurem  Ammoniak  ist  es  mit  violetter,  in  Oxalsäure  mit  blauer  Farbe  löslich 
(blaue  Tinte).  Beim  Kochen  mit  Alkalien  wii*d  es  zersetzt  zu  Eisenoxyd  und  Ka- 
liumferroc>anid: 


oder: 

(SFcCy  4-  2FcaCy3)  +  6KHe  =  SCFeCy  +  2KCy)  +  2(Ye2E^Bi') 

Dabei  werden  die  4  Atome  Kalium  wieder  gegen  4  Acquivalente  fe  ausge- 
tauscht; die  Zersetzung  ist  genau  das  Umgekehrte  von  der  oben  erwähnten  Bil- 
dung aus  Eisenchloiid  und  filuilaugensalz.  Beim  Kochen  mit  Quecksilberoxyd  wird 
alles  Eisen  entzogen  und  gegen  die  äquivalente  Menge  Quecksilber  ausgetauscht, 
es  entsteht  Quecksilbercyanid  und  Eisenoxydoxydul: 

Cy>[Fe^  fe4jX^      ^g»]^s 
oder: 

2(3FeCy  +  2Fe2Cy3)  +  9Hge  =  SHgCyj  +  2(8FeO,  2FejOa). 

Lösliches  Berliner  blau.  Wenn  man  zu  überschüssiger  Ferroeyan-  546. 
kaliumlösung  Eisenchlorid  zufügt,  so  entsteht  ebenfalls  ein  blauer  Niederschlag, 
der  in  der  Salzlösung  unlöslich  ist,  beim  Auswaschen  aber  allmälig  löslich  wird. 
Hat  man  solange  mit  Wasser  gewaschen,  bis  sich  der  Niederschlag  in  beträcht- 
licher Menge  löst,  so  enthält  die  Lösung  und  der  noch  ungelöste  Theil  Kalium. 
Man  betrachtet  diesen  Niederschlag  gewöhnlich  als  mit  dem  oben  beschriebenen 
Ferriferrocyanid  identisch,  indem  man  annimmt,  dass  dieses  Blutlaugensalz  zurück- 
hält, durch  dessen  Vermittlung  er  in  Wasser  löslich  wird.  Es  ist  indess  nicht 
wohl  einzusehen,  wie  dieser  Körper  durch  VermiUlung  von  etwas  Blutlangensalz 
in  Wasser  löslich  werden  kann,  während  er  durch  mehr  Blutlangensalz  wieder 
unlöslich  wird.  Es  ist  vielmehr  wahrscheinlicher,  dass  die  Verbindung  dem  Kupfer- 
kaliumferrocyanid  (§.  543.  Nr.  6b.)  analog  zusammengesetzt  ist*,  etwa:  Cy^Fesfe^K 
=  Cy,Fc.iK.  — 

Ausser  den  Ferrocyanverbindungen,  in  welchen  der  Wasserstoff  der  Ferro- 
eyanwasserstoffsäuro  durch  einfache  Metalle  vertreten  ist,  existiren  noch  einige,  bei 
welchen  dieser  Wasserstoff  gleichzeitig  durch  Ammoniak  und  ein  Metall  vertreten 
ist,  also  durch  Ammonium,  in  welchem  Wasserstoff  durch  Metall  ersetzt  ist    Z.  B. : 

1.  Cy^  Fej  (NHaCu)^     +      EjO 

2.  Cye  Fea  (NHjNi).!      +    nHje 
8.    Cye  Fea  fe^  (NHafe)^ 

Das  Salz  1  entsteht  z.  B.  als  gelber  krystallinischer  Niederschlag,  wenn  man 
eine  ammoniakalische  Lösung  eines  Kupfersalzes  mit  Ferrocyankalium  fällt.    Das 


328  CyanverbindrmgciL 

Salz  8  ist  das  sog.  ammoniakalisclie  Berlinerblan,  eine  sehr  bestSndige  blaue  Ver« 
bindung,  die  in  weinsaurem  Ammoniak  unlöslich  ist  und  die  man  in  unreinem 
Zustand  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  gewöhnliches  Berlinerblau  erhlOt. 

Perricyanverbindungen,    (Gmelin  1822.) 

647.  Durch  Einwirkung  oxydirender  Substanzen  wird  dem  Ferrocyan- 

kalium  ein  Atom  Kalium  entzogen  und  Ferricyankalium  gebildet: 

CyeFe2K4  —  K  =  Cy^PejE, 

Ebenso  verliert  das  Ealiumeisenferrocyanid  (weisser  Racketand 
von  der  Darstellung  der  Blausäure)  durch  Oxydation  ein  Atom  Kalium 
und  gibt  Kaliumeisenferricyanid  (Williamson). 

CyeFe4K3|  —  K  =  Cy«Fe4K. 

Derüebergang  der  Ferrocyanverbindungen  in  Ferricyanverbin- 
düngen  ist  also  eine  Oxydation,  d.  h.  eine  Metalientziehung;  er  ist  für 
diese  complicirter  zusammengesetzten  Verbindungen  genau  dassdbe  wie 
der  üebergang  von  Eisenchlorür  in  Eisenchlorid.  Dabei  wird,  wie  bei 
den  andern  Oxydationen,  die  Natur  des  Eisens  in  der  Weise  geändert, 
dass  die  2  Atome  Eisen,  die  vorher  (in  der  Ferroverbindung)  zwei  Ato- 
men Wasserstoff  oder  Kalium  äquivalent  waren,  jetzt  (in  der  Ferriverbm- 
düng)  drei  Atomen  Wasserstoff  oder  Kalium  oder  auch  drei  Atomen  Eisen 
einer  Ferroverbindung  äquivalent  sind  (vgl.  §.  187). 

Die  Beziehungen  der  F  er  ricy  an  Verbindungen  zu  denFerrocyan- 
verbindungen  treten  am  deutlichsten  hei-vor,  wenn  man  statt  der  atomi- 
atischen  Formeln,  Aequivalentformeln  schreibt: 

Ferrocyankalium  Cy^  Fcj  K4 

Ferricyankalium  Cy^  te^  K, 

Kaliumeisenferrocyanid  Cy^  Fe^  Fe^  K^ 

Kaliumeisenferricyanid  Gy^  Fe^  (e^  K« 

Umgekehrt  gehen  die  Ferricyanverbindungen  durch  Reduc» 
tion,  d.  h.  durch  Metallaufnahme,  in  Ferrocyanverbindungen  über. 
So  wird  Ferricyankalium  bei  Gegenwart  von  Kali  durch  reducirende 
Bubstanzen  zu  Ferrocyankalium;  oder,  wenn  man  bei  der  Redaction 
Natron  oder  Ammoniak  statt  des  Kalis  anwendet,  zu  Ferrocyan- 
kaliumnatrium  und  Ferrocyankaliumammonium  (vgl.  $.  543. 
Salze  Nr.  8  und  9). 

CysfeaKa  +  K      =  CyeFe,K4 
Cy^feaKa  +  Na    =  CyeFejKjNa 
CjsfeaKa  +  NH4  =  CyeFe2K3(NH4). 

Will  man  das  Ferricyankalium  als  Doppelsalz,  d.  h.  als  additioneile 
Verbindung   zweier  Cyanide  betrachten,   so  erscheint  es  als:  Kalium- 


Ferricyankalium.  329 

eisenoyanid,   w&hrend   das  Ferroeyankaliam  =  Ealiumeisenoya- 
nflr  ist 

Ealiumferroeyanid      FeCy     +  2KCy 

Ealiumfemcyanid       Fe^Cy,  -j-  3ECy. 

Man  kann  endlich,  ähnlich  wie  man  in  den  Ferrocyanverbindungen 
das  Radical:  Ferrooyan  =  Cfy  =  CyjFe  annimmt,  in  den  Ferricyan- 
verbindungen  ein  eisenhaltiges  Radical  annehmen,  das:  Ferrioyan  =r 
Cfdy  zr  2Cfy  ==  Gy^Fe,.    Die  beiden  Salze  sind  dann: 

Ealiumferrocyanid    Cfy    .  2E 
Ealiumferricyanid     Cfdy  .  SE  oder  2Cfy  .  3E. 

Kalla mferricyanid,  Ferricyankalium,  Ealiumeisencyanid,  rothes  Blut-  648. 
laugensalz  =  Cy^YeJK.^  =  Cy^fesE,. 

Das  Ealiumferrocyanid  wird  durch  viele  oxydirende  Substanzen,  z.  B. 
durch  Chlor,  Ozon,  Chlorkalk,  chlorsaures  Eali  und  Salzsäure  etc.  und 
auch  durch  elektrolytische  Oxydation  in  Ealiumferricyanid  abergeführt 

Darstellung.  Man  behandelt  gepulvertes  Blutlaugensalz  oder  eine 
Lösung  dieses  Salzes  mit  Chlor  bis  eine  Probe  verdünnte  Eisenchlorid- 
lösuug  nicht  mehr  blau  fällt,  sondern  nur  braun  färbt  und  trennt  von  dem 
gleichzeitig  gebildeten  Chlorkalium  durch  Erystallisation. 

Eigenschaften.  Das  rothe  Blutlaugensalz  des  Handels  stellt 
häufig  mehrere  Zoll  grosse  Erystalle  von  tief  dunkelrother  Farbe  dar, 
kleinere  Erystalle  sind  hyacinthroth ,  feine  Nadeln  oder  gepulvertes  Salz 
goldgelb.  (Erystallform  nach  Schabus  rhombisch,  nach  Eopp  monoklino- 
metrisch.)  Die  Erystalle  sind  wasserfrei,  sie  lösen  sich  in  2,5  Th.  Was- 
ser von  16^  in  1,3  Th.  von  100^  und  sind  unlöslich  in  Alkohol.  Sie 
Tcrknistern  beim  Erhitzen  und  verbrennen  in  der  Eerzenfiamme  mit  Fun- 
kensprühen. 

Das  Ealiumferricyanid  wird  durch  reducirende  Substanzen,  beson- 
ders leicht  in  alkalischer  Lösung,  in  Ealiumferrocyanid  übergeführt. 

Durch  die  Leichtigkeit,  mit  welcher  diese  Reduction  stattfindet,  wirkt  es 
hftnfig  als  kräftiges  Oxydationsmittel.  Es  scheidet  aus  Schwefelwasserstoff  Schwe- 
fel, aas  Jodkalium  Jod  ab,  oxydirt  in  alkalischer  Lösung  Chromoxyd,  Bieiozyd, 
Manganozydul,  Zinnoxyd  zu  Cbromsfiure,  Bleihyperoxyd,  Manganhyperoxyd  und 
Zinnsfture,  ebenso'  Oxalsäure  zu  Koblensfture,  Cyankalinm  zu  cyansaurem  Eali. 
Es  oxydirt  leicht  phosphorige  Säure,  schweflige  Säure  und  Stickoxyd;  in  alkali- 
scher Lösung  sogar  Phosphor,  Schwefel  und  Jod  zu  Phosphorsäure,  Schwefelsäure 
und  Jodsäure  etc. 

Von  Chlor,  conoentrirter  Salpetersäure  und  concentrirter  Schwefel- 
afture  wird  es  zerstört.  Verdünnte  Mineralsäuren  geben  Ferricyanwasser- 
stoff.  Die  wässrige  Lösung  gibt  mit  den  meisten  Metallsalzen  doppelte 
Zersetzung  unter  Bildung  unlöslicher  Ferricyanmetalle. 


330  CyanverbindungeiL 

649.  Ferricyahwasserstoffsäare  wird  am  besten  aus  Ferrieyanblä 

durch  Zusatz  von  Schwefelsäure  erhalten  und  krjstallisirt  beim  Yerdansten 
der  Lösung  in  bräunlichen  leicht  zerfliesslichen  Erystallen. 

Ferricyan  metalle.  Einige  können  direct  aus  den  entsprechen- 
den Ferrocjanverbindungen  durch  Oxydation  erhalten  werden;  andere  hat 
man  aus  Ferricyanwasserstoffsäure  dargestellt,  die  meisten  erhält  man 
durch  doppelte  Zersetzung  aus  Ealiumferricyanid. 

Die  folgenden  Formeln  einiger  Ferricyanmetalle  zeigen,  dass  die  Ferricyan- 
wasserstoiTsäare  mindestens  drei  Atome  durch  Metalle  vertretbaren  Wassentoff 
enthält: 


Ealiumferricyanid 

Cy,fe,K, 

Katriamferricyanid 

CysfejNa, 

+ 

E,0 

Calciamfeiric}'  anid 

Cy,fe,Ca, 

+ 

6H,d 

Bariamkaliamferricyanid 

Cy.fejBaaE 

+ 

8H,0 

Kickelammoniiunferricyaiiid 

Cy,fe,Ni(NH,Ni),  + 

nH,e 

Ferroferricyanid 

Cy,fe,Fe, 

dabei  muss  jedoch  erwähnt  werden,  dass  man  (nach  Laurent)  durch  Verdunsten 
einer  gemischten  Lösung  von  Kaliumferricyanid  und  Natriumferricyanid  wohl  aas- 
gebildete Erystalle  erhält,  von  der  Zusammensetzung: 

Ealiumnatriumferricy anid    Cy^fegEi  i/jNai  >/«. 

Ö60.  Ferroferricyanid,  Ferricyaneisen,  Sechs-fünflel  Cyaneisen,  Tum- 

buirs-Blau:  Cy^Ye^  =  Cy^fe^Fe^  ist  der  blaue  Niederschlag,  welchen 
Ealiumferricyanid  mit  Eisenoxydulsalzen  erzeugt.  Er  ist  wasserhaltig  und 
gleicht  in  Farbe  und  Bruch  dem  Ferriferrocyanid  (§.  545).  Durch  kochende 
Ealilauge  wird  er  zersetzt  zu  Ferrocyaokalium  und  EisenoxydoxyduL 

Cje^aFea  +  4EHe  =  CyöFe2E4  +  fe3FeH4e4  (=  Fe^Oj,  FeO,  4H0) 

dabei  werden  also  4  Atome  Ealium  gegen  4  Aequivalente  Eisen,  und 
zwar  gegen  dfe  -f-  Fe,  also  gegen  3  Atome  Eisen  (Fe)  ausgetauscht. 

Anwendung  des  Ferro-  und  Ferricyankaliums  in  der 
qualitativen  Analyse. 

Das  Verhalten  des  Ferrocyankaliums  und  des  FerricyankallDms  zu  Eä- 
senozydul-  und  zu  Eisenoxydsalzen,  macht  die  Lösungen  beider  Doppel- 
cyanide  als  Reagentien  wichtig.  Da  nämlich  Ferrocyankalium  mit  Eisen- 
oxydulsalzen einen  weissen,  mit  Eisenoxydsalzen  einen  blauen  Niederschlag 
hervorbringt  und  da  Ferricyankalium  mit  Eisenoxydulsalzen  eine  blaue 
Fällung  gibt,  während  es  Eisenoxyd  salze  nicht  fällt;  so  gestattet  die  An- 
wendung beider  Lösungen  zu  entscheiden,  ob  eine  Eisenlösung  ein  Oxyd- 
salz oder  ein  Oxydulsalz  oder  ob  sie  beide  enthält.  Gibt  eine  Eisenlösung 
mit  Ferrocyankalium  einen  weissen  Niederschlag,  so  enthält  sie  nur  Oxydul, 
gibt  sie  mit  Ferricyankalium  keinen  Niederschlag,  so  enthält  sie  nur  Oxyd; 
gibt  sie  mit  beiden  eine  blaue  Fällung,  so  enthält  sie  beide  Oxyde. 


BerHnerblau.  331 

Zu  den  Ferricyanverbindungen  gehört  offenbar  auch  ♦),  wenn  man  651. 
Oberhaupt  die  Trennung  in  Ferro-  und  Ferricyanverbindungen  beibehalten 
will,  das 

Kaliumeisenferricyanid,  Ferricyaneisenkalium  =  CyefejFe2K 
+  2H20;  ein  blaues,  dem  Ferriferrocyanid  (§.  645)  ähnliches  Pulver, 
welches  durch  Oxydation  und  zwar  schon  durch  Einwirkung  des  Sauer- 
stoffs der  Luft,  leichter  durch  verdünnte  Salpetersäure  aus  Kaliumeisen- 
ferrocyanid  ($.544)  entsteht  (Williamson).  —  Es  wird  durch  kochende 
Kalilauge  zersetzt  zu  Ealiumferrocyanid  und  Eisenoxyd: 

Cyefe,FeaK  +  8KHO  =  CyePeaK4  +  fe^E^^^. 

Kocht  man  diese  blaue  Verbindung  mit  Ealiumferrocyanid,  so  entsteht  -^ 
durch  Austausch  von  K3  gegen  Fe2  ~  Kaliumferricyanid  und  Kaliumeisenferro- 
4ryanid  (%.  644): 

Cy^feaFeaK  +  CyeFcaKaKa  =  CygfejKa  -1-  Cy,FejFeaKa. 

Eine  Ferncyanverbindung  ist  endlich   das    s.  g.  Berliner  GrUn   (grünes  652. 
Cyaneisen)  =  Cy^fe^Fe,    von  Pelouze   durch  Einwirkung   stark  überschüssigen 
Chlors  auf  Kaliumferricyanid  und  Auskochen  des  Products  mit  Salzsäure  erhalten. 
Es  liefert  beim  Kochen  mit  Kahlauge  Eisenoxyd  und  ein  Gemenge  von  Kalium- 
ferrocyanid  und  Kaliumferricyanid. 

Berlinerblau.  Mjt  dem  Namen  Berlinerblau,  Pariserblau  oder  668. 
(in  unreinerem  Zustand)  Mineralblau  bezeichnet  man  eisen-  und  zum  Thcil 
auch  kaliumhaltige  Cyanverbindungen  die  fabrikmässig  dargestellt  und  als 
blaue  Farbe  verwendet  oder  auch  beim  Kattundruck  auf  den  Zeugen 
selbst  erzeugt  werden.  Die  Zusammensetzung  dieser  blauen  Pulver  ist 
je  nach  der  Art  der  Darstellung  offenbar  verschieden. 

FäUt  man,  wie  dies  bisweilen  geschieht,  Eisenoxydsalz  durch  gelbes  Blnt- 
laugensalz  oder  die  bei  der  Reinigung  dieses  Salzes  erhaltenen  Mutterlaugen,  so 
ist  das  erhaltene  Berlinerblau  Ferriferrocyanid  (§.545).  FsUt  man  Eisenvitriol 
mit  rothem  BlnÜaugensalz ,  so  ist  der  blaue  Kiederschlag:  Tumbuirs  Blau  = 
Ferro ferri Cyanid  (§.  650).  Gewöhnlich  wird  das  Berlinerblau  des  Handels  so 
dargestellt,  dass  man  Eisenvitriol  oder  an  der  Luft  theil weise  oxydirten  Eisenvitriol 
mit  gelbem  Blutlaugensalz  oder  mit  einer  dieses  Salz  enthaltenden  Mutterlauge 
fällt  und  den  entstandenen  blaugranen  Niederschlag  entweder  durch  Einwirkung 
des  Sauerstoffs  der  Luft  oder  gewöhnlicher  durch  Salpetersäure,  Chlor  oder  Bleich- 
kalk oxydirt.  Wenn,  wie  dies  §.  544  als  wahrscheinlich  angenommen  wurde,  der 
weisse  Niederschlag,  welchen  Eisenoxydulsalze  mit  gelbem  Blutlaugensalz  hervor- 
bringen identisch  ist  mit  dem  weissen  Rückstand  von  der  Darstellung  der  Blau- 
säure,  so  ist  dfrs  auf  gewöhnliche  Art  dargestellte  Berlinerblau   wahrscheinlich 


^)  Gerhardt  führt  diese  Verbindung  auf  (L  835)  als:  ' 

Ferrocyanure  de  fer  (ferricum)  et  de  potassium  =  2FeCy<  Sq^    1    - 


332 


Cjanyerbindnngen. 


Ferricyaneieenkalinm  (§.  551),  welches  um  so  mehr  Ferrocyaneisen 
(§.  545)  beigemengt  enthiüt,  je  mehr  Eisenozydsalz  in  dem  angewandten  Eisen- 
vitriol enthalten  war. 

Das  beim  Zeugdruck  auf  der  Faser  selbst  erzeugte  Blau  wird  meistens  durch 
Aufdrücken  eines  Gemenges  von  Blutlaugensalz  mit  Weinsäure  oder  mit  Schwefel- 
säure und  Alaun  und  Einwirkung  von  erhitztem  Dampf  auf  das  gedruckte  Zeug 
hervorgebracht.  Es  ist  also  ein  Zcrsetzimgsproduct  des  anfangs  erzeugten  Ferro- 
cyanwasserstoffs ,  mithin  Ferriferrocyanid  (§.  543). 


654. 


Im  Folgenden  sind  der  Uebersichtlichkeit  wegen  die  Cyanide   des 
Eisens  und  die  kaliumhaltenden  Eisencyanide  nochmals  zusammengestellt: 

Nur  Eisen  enthaltend:  Eisen  und  Kalium  enthaltend: 


Eisencyanür  (§.  539.) 

Cy    Fe 

Cy,  Fe, 

E.  gelbes  Blntlaugensals 
(§.  540.) 

Turnbull's  Blau  (§.  559.) 

Cy«  Fea  fe. 

Cy.  fe. 

E,  roüies  Blntlaugensals 
(S.  548.) 

Ferrocyaneisen  (§.  545.) 

Cy.  Fe,  fe^ 

Cy.  Fe^ 

E,  Ferroc>aneisenkaliuiii 
(S.  544.) 

Berlinergrün  (§.  552.) 

Cy.  Fe    fe» 

Cy.  fe. 

Fe,  K  Ferricyaneisenkalium 
(S.  551.) 

Man  sieht  leicht,  dass  die  eisen-  und  kaliumhaltigen  Cyanide  in 
Bezug  auf  den  Kaliumgehalt  eine  fortlaufende  Reihe  bilden  und  dass  far 
den  gegebenen  Kaliumgehalt  stets  der  einfachst- mögliche  Fall  des  Eisen- 
gehaltes stattfindet.  So  zwar,  dass  die  mit  den  6  Cjan  verbundene  Menge 
Metall  stets  6  Aequivalente  repräsentirt  und  dass  dabei  eine  einfache  An- 
zahl von  Eisenatomen  in  der  Verbindung  enthalten  sind. 

Die  Formeln,  welche  diesen  verschiedenen  Verbindungen  vom  Stand- 
punkt der  verschiedenen  Theorien  beigelegt  werden,  sind  die  folgenden: 


Doppelsalze. 
(BerzeliuB.) 

Radical 
Ferrocyan. 
Cfy  =  CyaFe 

theorie. 

Ferricyan. 
Cfdy  =  2Cfy 

=  Cy.Fe, 

Empirische 

Formeln  in 

Aequivalent- 

zeichen. 

Gelb.  Blutlaugensalz 

FeCy      +  2KCy 

Cfy,  2K 

Cy.  Fe,  K. 

Ferrocyaneisen 

SFeCy      -j-  2FeaCy3 

3Cfy,  4Fe 

Cy.  Fe,  fe. 

Ferrocyaneisen- 
kalium 

2FeCy      +  KCy 

Cfy,  FeK 

Cy.  Fe,  Fe,K, 

Roth.  Blutlaugensalz 

FcaCy,  4-  8KCy 

2Cfy,  3K 

Cfdy,  3K 

Cy.fe,   E, 

Tumbuirs  Blau 

FeaCy,  +  SFeCy 

2Cfy,  3Fe 

Cfdy,  3Fe 

Cy.  fc,   Fe, 

Ferricyaneisen- 
kalium 

FcaCya  +  SFeCy  +  KCy 

2Cfy,  KFe, 

Cfdy,  KFea 

Cy.  fe,   Fe,E 

Berlinergrtln 

öFcaCy,  +  SFeCy 

6Cfy,  7Fe 

3Cfdy,  7Fe 

Cy.  fe,   fc,K 

Nitroprussidverbindungen.  333 

NitroprussidverbiD düngen,    Nitroferricyanverbin- 

dungen. 

Durch  Einwirkung  von  Salpetersäure  auf  Kaliumferroeyanid  oder  655. 
Kaliumferricyanid  und  auch  durch  Einwirkung  von  Stickoxydgas  aufFerro- 
cyanwasserstoff  oder  Ferricyanwasserstoff  entsteht  eine  Gruppe  eigenthüm- 
licher  Verbindungen,  deren  Zusammensetzung  noch  nicht  mit  Sicherheit 
festgestellt  ist.  Man  nimmt  für  diese  Körper  gewöhnlich  die  von  Ger- 
hardt vorgeschlagene,  mit  den  Analysen  übereinstimmende  Formel  an: 

CysFe^CNO)]»!  +  nH^O  =  Fe^Cya  +  2MCy  +  NO 

welche  von  der  unwahrscheinlichen  Annahme  ausgeht,  dass  das  Stickozyd 
einen  Theil  des  Cyanwasserstoffs  der  Ferricyanwasserstoflfsäure  ersetze: 

CyefeaHa  +  NO  =  Cy5fe3(Ne)H,  +  CyH. 

Den  Aasgangspnnkt  zur  Darstellung  dieser  von  Play  fair  1849  entdeckten 
Verbindungen  bildet  das: 

Nitroprussidnatrium  =  Cy5Fea(NO)Na2  +  SH^^.  Zur  Darstellung 
dieses  Salzes  setzt  man  zu  Ferrocyankalium  (1  Th.)  käufliche  Salpetersäure  (l*/a 
—  2'/2  Th.),  die  mit  dem  gleichen  Volum  Wasser  verdümit  ist  Man  erhält  eine 
kaffeebraune  Lösung,  die  bald  Cyan,  CyanwasserstoflF,  Stickstoff  und  Koiilensäure 
entwickelt  Man  erwärmt  im  Wasserbad  bis  eine  Probe  Eiscnoxydukalze  nicht 
mehr  blau,  sondern  schieferfarben  lallt,  trennt  die  Flüssigkeit  von  dem  beim 
Erkalten  auskr>stallisirenden  Salpeter,  neutralisirt  mit  kohlensaurem  Natron, 
filtrirt  die  rothe  Flüssigkeit  ab  und  trennt  durch  Krvstallisation  das  Nitroprussid- 
natrium YOn  Salpeter  und  salpetersaurem  Natron.  Oder  man  fäUt  die  rothe  Lösung 
mit  Kupfervitriol,  zersetzt  den  ausgewaschenen  blassgrünen  Niederschlag  mit  nicht 
Überschüssigem  Aetznatron  und  krystallisirt 

Rubinrothe,  wohlausgebildete  Krystalle  des  rhombischen  Systems;  luftbestän- 
dig; löslich  in  2^/2  Th.  Wasser  von  16*^,  leichter  bei  Siedhitze. 

Nitroprussidkalium,  ammonium-,    calcium-  und  baryum  sind  in 
Wasser  löslich  und  können,   wiewohl   schwieriger  als  das  Kalisalz  in  rubinrothen 
^Krystallen  erhalten  werden. 

Nitroprussidkupfer  ist  ein  grüner,  Nitroprnssidsilber  ein  röthlich- 
weisser,  Nitroprussidzink  ein  blassrother  Niederschlag.  Eisenoxydulsalze  ge- 
ben mit  löslichen  Nitroprussidverbindungen  einen  lachsfarbigen  Niederschlag  *,  Eisen- 
oxydsalze werden  nicht  gefallt. 

Nitroprussidwasserstoff  wird  durch  Zersetzen  von  Nitroprnssidsilber 
mit  Salzsäure  oder  von  Nitroprussidbarium  mit  Schwefelsäure  und  Verdunsten  der 
Lösung  in  dunkelrothen,  sehr  zerfliesslichen  und  leicht  zersetzbaren  Krystallen  er- 
halten. 

Die  löslichen  Niti-oprussidverbindungen  geben  mit  löslichen  Schwefelmetallen 
eine  intensiv  purpurroth  oder  blau  geförbte  Flüssigkeit,  die  bald  unter  weitergehen- 
der Zersetzung  die  Farbe  verliert  Die  Zusammensetzung  der  gefärbten  Verbin- 
dung ist  unbekannt  Eine  Lösung  von  Nitroprussidnatrium  dient  als  empfindliches 
Eeagens  auf  gelöste  Schwefelmetalle ;  freier  Schwefelwasserstoff  gibt  keine  Färbung. 


334  CyMiyerbindungen. 

556.  Cyanide  des  Kobalts.  Wässrige  CyankaHamlösaiig^  eraeogt  in 
Eobaltoxjdulsalzen ,  Cjanwasserstoflf  nur  in  essigsaurem  Eobaltoxydal 
einen  fleischrothen  oder  zimmtbraunen  Niederschlag  von  EobaltcjanQr 
=  CoCy. 

Dieser  Niederschlag  löst  sich  in  kalter  Cyankaliumlösung  leicht  auf 
nnd  erzeugt  damit  ein  von  Säuren  leicht  zersetzbares  Doppelcjaoid 
(CoKCyj)*  Kocht  man  die  Lösung,  so  wird  entweder  Wasserstoff  ent- 
wickelt  oder  Sauerstoff  aufgenommen  und  es  entsteht  ein  schwer  zersets- 
bares  Doppelcjanid,  welches  in  Zusammensetzung  und  Eigenschaften  dem 
Ealiumferricjanid  entspricht. 

557.  Kaliumkobalticyanid,  Eobaltidcyankalium,  Anderthalbcyankobaltkaliain 
CyeCOaKj  •)  =  Cyfio^K^  =  CoaCy,  +  8KCy.  Man  erhält  dieses  Salz  durch  Auf- 
lösen Ton  Kobaltcyanfir,  Kobaltozydul  oder  kohlensaurem  Kobaltoxydol  in  Cyan- 
kaliumlösung^ (oder  in  Blausäure,  der  man  Kali  zusetzt),  Kochen  und  Krystallisiren 
der  Lösung  in  blassgelben  Krystallen  von  der  Form  des  rothen  Blutlaugensalzes. 
Aus  der  wftssrigen  Lösung  dieses  Salzes  wird  durch  conc  Schwefelsäure  oder  Sal« 
petersäure  die  Eobaltidcyanwasserstoffsäure  niedergeschlagen.  Aus  dieser 
oder  aus  dem  Kalisalz  können  die  andern  Kobaltidcyanverbindungen  dargestellt 
werden.  Das  Natrium,  Ammonium  und  Baryumsalz  sind  löslich  und  krystallisir- 
bar.  Die  Kupferverbindung  ist  ein  hellblauer,  die  Silberverbindung  ein  weisser 
Niederschlag.  In  Eisenozydulsalzen  entsteht  weisses  Kobaltidcyaneisen,  in 
Nickeloxydulsalzen  grünlichblaues  Kobaltidcyannickel  =  Cy^co^Nia -{-  GH^-O^ \ 
in  Kobaltoxydulsalzen  hellrothes  Kobaltidcyankobalt  =  Cy^co^Cos  ^  7E^B^y  wel- 
ches bei  200<^  sein  Wasser  verliert  und  blaues  Koboltcyanürcyanid  =  Cy^cofio^ 
=  Cy^COft  liefert 

558.  Cyanide  des  Nickels.  Der  apfelgrüne  Niederschlag,  welchen 
Cyankaliumlösung  in  Nickeloxydulsalzen  hervorbringt,  istNickelcyanQr 
=  NiCy.  Er  löst  sich  leicht  in  überschüssigem  Cyaukalium  unter  Bildung 
eines  krystallisirbaren  Doppelsalzes:  Kaliumnickelcyanid  =  NiCjr 
-J-  KCy  =  NiKCyj,  dessen  wässrige  Lösung  selbst  Yon  verdünnten 
Säuren  unter  Entwicklung  von  Cyanwasserstoff  und  Abscheidung  von 
Nickelcyanür  zersetzt  wird. 

Trennung  von  Nickel  und  Kobalt  Das  völlig  verschiedene 
Verhalten,  welches  die  sonst  so  ähnlichen  Metalle  Kobalt  und  Nickel  in 
ihren  Cyanverbindungen  zeigen,  ist  mit  Vortheil  als  qualitative  und  quan- 
titative Scheidungsmethode  beider  Metalle  verwendbar.  Die  Theorie  dieser 
verschiedenen  analytischen  Metboden  ist  folgende: 

1)  Fügt  man  zu  einer  Lösung  von  Nickcloxydul  und  Kobaltoxydol 
Cyaukalium  und  kocht,  so  entsteht  Kaliumnickelcyanür  und  Kobaltidcyan- 
kallum.  Säuert  man  schwach  mit  Salzsäure  an,  so  wird  das  erstere  zer> 
setzt,  das  letztere  nicht  oder  vielmehr  nur  unter  Bildung  von  löslicher 
KobaltidcyanwasserstofTsäure.    Gibt  Salzsäure  also  keinen  Niederschlag,  so 


•)  CO  =  «/,  Co. 


Cyanide  von  Chrom,  Mangan,  Gold.  335 

iBt  nnr  Kobalt  vorhanden;  entsteht  dagegen  ein  Kiedenachlag,  so  ist  Nickel 
anwesend.  Dieser  Niederschlag  ist,  wenn  nur  Nickel  in  Lösung  war,  Nickel- 
cyanür;  war  dagegen  gleichzeitig  Kobalt  und  Nickel  vorhanden,  so  ist  er 
Kobaltidcyannickel,  oder,  wenn  weniger  Kobalt  als  2Co  auf  8Ni  vorhan- 
den, ein  Gemenge  von  Kobaltidcyannickel  mit  Nickelcyanür;  iu  diesem 
Fall  wird  also  gleichzeitig  alles  Kobalt  geiWL 

Zur  quantitativen  Scheidung  setzt  man  zu  der  das  Kobaltidcyankalium 
und  das  Kaliumnickelcyanür  enthaltenden  Lösung  frisch  gefälltes  Queck- 
silberozyd.  Das  Kaliumnickelcyanür  wird  zersetzt  und  alles  Nickel  als 
Nickeloxydulhydrat  und  Nickelcyanür  geföllt;  das  Kobalt  bleibt  als  Kobaltid- 
cyankalium in  Lösung  und  kann  durch  salpetersaures  Quecksilberoxydul 
als  Kobaltidcyanquecksilber  geiäUt  werden. 

2)  Wenn  man  eine  alkalische  Lösung  von  KaliumnickelcyanOr  und 
Kobaltidcyankalium  in  der  Kälte  mit  Chlor  übersättigt,  so  wird  das  Nickel- 
salz  zersetzt  und  alles  Nickel  als  schwarzes  Hyperoxyd  gefällt;  alles  Ko- 
balt bleibt  in  Lösung,  weil  das  Kobaltidcyankalium  nicht  angegriffen  wird. 

Cyanide  des  Chroms.  Das  Chrom  bildet  ausser  dem  Chrom*  659. 
cyanür  CrCy  (weisser  Kiederschlag)  und  dem  Chromcjanid  (weisses, 
blauwerdendes  in  Cyankalium  lösliches  Pulver)  eine  dem  Ferricyankalium 
entsprechende  Doppel  Verbindung,  das  Ealiumchromi  Cyanid  oder 
Chromidcyankalium=  Cy^cr^K^  *)  =  Cy^CrjKa ;  aus  welcher  durch 
Schwefelsäure  die  Chromicyanwasserstoffsäure  abgeschieden  werden  kann* 

Cyanide  des  Mangans.  Auch  das  Hangan  bildet  ein  dem  Fern-  560. 
cyankalium  entsprechendes  Doppelcyanid.  Es  wird  wie  das  analoge  Eo- 
baltsalz  erhalten,  indem  man  Manganoxydulsalz  mit  Cyankalium  fällt,  den 
röthlichweissen ,  rasch  braun  werdenden  Niederschlag  in  Cyankalium  löst 
and  die  Lösung  kocht.  Das  Ealiummangancyanid  =  Cy^mu^K^**) 
=  Cy0Mn2K3  =  Mn2  Cy3  +  3ECy  ist  mit  dem  Ealiumferricyanid  iso- 
morph, es  gibt  mit  Metallsalzen  Niederschläge,  die  alles  Cyan  und 
beide  Metalle  enthalten,  aber  es  zeigt  Säuren  gegenüber  eine  weit  gerin- 
gere Beständigkeit  als  die  entsprechende  Eisen-,  Kobalt-  oder  Chrom- 
verbindung; schon  verdünnte  Säuren  zersetzen  es  unter  Entwicklung  von 
Blausäure. 

Cyanide  des  Golds.     Goldoxydul  oder  auch  Enallgold  (Gold-  561. 
Oxydammoniak)  werden  von  Cyankalium  mit  Leichtigkeit  aufgelöst;  auch 
durch  Eisenvitriol  gefälltes  metallisches  Gold  löst  sich  in  Cyankalium  un- 
ter Aufnahme   des  Sauerstoffs   der  Luft.      Die  Lösung   enthält  Ealium- 
gold cyanür  AuCy  +  ECy  =  AuKCy2. 

Diese  Lösung  dient  zur  galvanischen  Vergoldung.  [7  Th.  Gold  in  Königs- 
wasser gelöst,  mit  überschüssigem  Ammoniak  gef&llt.  Der  ausgewaschene  Kieder- 
schlag in  heisse  Lösung  von  6  Th.  Cyankalium  eingetragen.]    Zur  Reindarstellung 


•)  er  =  a/a  Cr.  . 
••)  mn  =  2/,  Mn. 


336  Cyanverbindungen. 

des  Ealinmgoldcyantirs  zersetzt  •man  diese  Lösung  durch  Eindampfen  mit  Salzsäure, 
wascht  das  rückständige  gelbe  Krystallpulver  von  Golde y an ür  =  AnCy,  löst  in 
Cyankalium  und  krystallirt;  man  erhält  farblose  in  Wasser  lösliche  Erystalle. 

Ausser  diesem  Kaliamgoldcyanür  existirt  noch  ein  anderes  Doppelsalz,  daa 
Kaliumgoldcyanid  =  Cy4AuK  =  Cy4au,K  •)  =  AuCy,  -^KCy]  welches 
durch  Eintragen  von  Goldchlorid  in  Cyankalium  erhalten  wird,  und  aus  welchem 
durch  Säuren  die  Goldcy  an  wasserstoffsäure  =  Cy4au,II  abgeschieden  wird. 

562.  Cyanide   des  Platins.     Durch  Glühen  von  Platinschwamm  mit 

Ferrocyankalium  und  Auslaugen  mit  Wasser  (L.  Gmelin)  oder  durch 
Eintragen  von  Platinchlorür  in  überschüssiges  Cyankalium  (Enop, 
Quadrat)  erhält  man  Ealiumplatincyanür.  Reibt  man  Platinchlo- 
rür mit  kohlensaurem  Baryt  und  leitet  durch  das  in  kochendem  Wasser 
Tertheilte  Gemenge  Blausäure,  so  lange  als  sich  Kohlensäure  entwickelt, 
so  krystallisirt  beim  Erkalten  Baryumplatincyanür  (Weselsky). 
Durch  doppelte  Zersetzung  können  die  übrigen  Platincyanverbindungen  er- 
halten werden. 

Platincyanwasserstoff  erhält  man  aus  dem  Bar) tsalz  mittelst  Schwefel- 
säure, oder  aus  Kupferplatincyanür  mit  Schwefelwasserstoff. 

Die  Platincyanverbindungen  zeigen  beispielsweise  die  folgende  Zusammen- 
setzung: 

Platincyanwasserstoff       Cy^  Pt  H  =  Pt  Cy  4-  HCy 
Kaliumplatincyanür  Cya  Pt  K    +  l^/aH,e 

Natriumplaüncjanür         Cvj  Pt  Na  +  P/aHaO 
Baryumplatincyanür         Cy,  Pt  Ba  +  2H20 
Calciumplatincyanür         Cyj  Pt  Ca  +  2*/2Ha0 
Magnesiomplatincyanür     Cy^  Pt  Mg  «4-  S^/aHa^^ 
Kupferplatincyanür  Cy^  Pt  Cu 

Das  Kupferplatincyanür  ist  ein  grüner  Niederschlag;  die  Silber-,  Blei- 
nnd  Quecksilberverbindungen  sind  weisse  Niederschläge. 

Die  löslichen  und  krystallisirbaren  Platindoppelcyanide  sind  ihrer  optischen 
Eigenschaften  wegen  von  Interesse.  So  zeigt  z.  B.  ein  mit  der  Lösung  von  Ka- 
liumplatincyanür  bestrichenes  Papier  besonders  starke  Fluorescenz.  Das  Am- 
moniumplatincyanür  ist  ein  gelbes  krystallisirtes  Salz,  mit  blauem  Flächen- 
schiller. Das  Baryumplatincyanür  krystallisirt  in  grossen  monoklinometri- 
schen  Kry stallen;  gew.  Combination:  ooP,  ooPoo,  [qdPgo],  [Poo];  in  der  Richtung 
der  Hauptaze  betrachtet  sind  die  Kr y stalle  zeisiggrün,  senkrecht  darauf  schwefel- 
gelb, auf  den  Prismenflächen  zeigen  sie  violettblaues  Schillern.  Das  Calcium  sali 
zeigt  denselben Trichroismus.  Das  Magnesiumplatincyanür  krystalHsirt  aus 
heiss  gesättigter  wftssriger  Lösung^  in  blutrothen  Krystallen;  aus  Alkohol  beim  Er- 
kalten in  weissen  atlasglänzenden  Fasern,  die  bei  Luftzutritt  gelb  werden  und  sich 
zuletzt  zu  carminrothen  goldglänzenden  Krystallkrusten  zusammenziehen;  beim  Ver- 
dunsten der  alkoholischen  Lösung  erhält  man   citronengelbe   rektanguläre  Tafeln 


•)  au  =  Vj  Au. 


Cyanide  des  Plaüns  etc.  337 

mit  blauem  Flftchenschiller,  deren  Krystallgruppen  oft  alle  Farbenntlancen  von  roth, 
grtln  und  blau  zeigen. 

Aus  diesen  Platin doppelcyaniden  wird  durch  Oxydation  mit- 
telst Chlor  (Enop  1842)  oder  mittelst  Salpetersäure  (Weselsky)  eine 
Reihe  anderer  Platindoppelcjanide  erhalten,  welche  durch  die  allgemeine 
Formel:  CysPt^M,  =  PtaCy,  +  2MCy  =  CyjPtpt^M,*)  ausgedrückt 
werden.    Ihre  Entstehung  wird  ausgedrückt  durch  die  Gleichung: 

3Cy,PtM  4-  2Ne,H  =  Cy,Pt^Mj  +  PtCy  +  NOjM  +  NO,  +  H,e 

Das  Ealiumplatincyanid  oder  Ealinmplatinsesquicyanfir  := 
Cy5pt2E2  -|-  8H2O  krystallisirt  aus  Wasser  in  feinen  Nadeln  von  kupferartigem 
Hetallglanz,  es  .ist  in  durchfallendem  Licht  grün,  wird  bei  180®  dunkelgrün  und  bei 
200®  gelb.  In  Alkohol  ist  es  unlöslich.  Seine  wässrige  Lösung  ist  farblos.  Das 
Ammoniumplatinsesquicyanür:  Cy5pt2(KH4)2  bildet  dünne  Kadeln  von 
goldgelbem  Metallglanz,  die  bei  150®  stahlgrün,  bei  180®  citronengelb  werden. 

Cyanide  des  Palladiums,  Osmiums,  Rutheniums,  Iri-  568. 
diums  und  Rhodiums.  Nach  Untersuchungen  von  Claus  bilden  die 
selteneren  Platinmetalle  Doppeicyanide  von  verschiedener  Zusammen- 
setzung. Die  Palladiumverbindung  entspricht  dem  Kaliumplatincyanflr ; 
die  Osmium-  und  Rutheniumverbindung  sind  dem  Ealiumferrocyanid ;  die 
Rhodium-  und  Iridiumverbindung  dem  Ealiumferricyanid  analog  zusam. 
roengesetzt: 

CyjPtE  CyeRu2E4  CyelrjEj 

Cy^PdE         Cy^OsmaE^      ,  CyeRhojE, 

Die  Palladiumverbindung  wird  durch  Auflösen  von  Palladcyanflr  in 
Cyankalium,  die  übrigen  werden  leichter  durch  Zusammenschmelzen  des 
betreffenden  Ammoniumdoppelchlorids  mit  Cyankalium  erhalten. 

Cyanstickstofftitan.  Das  Titan  bildet  eine  höchst  eigenthüm-  564. 
liehe  cyanhaltende  Verbindung,  das  Cyanstickstofftitan  =  TiCy  -f-  STisN. 
Es  sind  dies  die  in  Hohöfen  bisweilen  sich  bildenden  kupferfarbenen  Würfel, 
die  man  früher  für  metallisches  Titan  hielt,  bis  W  ö  h  1  e  r  1849  ihre  Zusammen- 
setzung nachwies.  Seitdem  haben  Wo  hl  er  und  Deville  gezeigt,  dass 
sie  auch  künstlich  erhalten  werden  können  durch  Erhitzen  von  Titansäure 
mit  Blutlaugensalz  oder  durch  Erhitzen  von  Titansäure  mit  Eohle  und 
Stickstoff.  Von  Chlor  werden  die  Erystalle  zersetzt  in  flüssiges  Titan- 
chlorid und  eine  sublimirbare  gelbe  Verbindung  von  Chlorcyan  mit  Chlor- 
titan. Mit  Wasserdampf  erhitzt  liefern  sie  Ammoniak,  Cyanwasserstoff 
und  Titans&ure. 


•)  Pt  =  Vi  Pt 

HfkiiU,  orian.  Cbealc.  '  22 


338  CyanverbindungeB. 

Verbindungen  von  Gyan  mit  Chlor. 

665.  Wenn  Chlor  auf  Cyanwasserstoff  oder  auf  Cyanmetalle  (z.  B.  Queck- 

silbercyanid)  einwirkt,  so  entsteht,  indem  der  Wasserstoff  oder  das  Metall 
durch  Chlor  ersetzt  wird,  ein  Chlorid  des  Cyans. 


Cy[H  ,^v^  ClJCl  =  CyCl  +  HCl. 

Je  nach  den  Bedingungen,  unter  welchen  diese  Einwirkung  vorgeht 
und  ohne  dass  man  sich  über  die  Ursache  Rechenschaft  zu  geben  ver- 
mag, erhält  man  drei  in  ihren  Eigenschaften  verschiedene  Körper  von 
gleicher  Zusammensetzung.  Man  unterscheidet  diese  drei  polymeren 
Cyanchloride  als: 

Siedpunkt    Schmelzpunkt 
Gasförmiges  Chlorcyan     Cy  Cl      —     12«        —     15«> 
Flüssiges  Chlorcyan  CyjClj    +     1Ö<>,5  0«  etwa 

Festes  Chlorcyan  CyjCla    +     l^^«       -f     140® 

Das  gasförmige  Chlorcyanid  entspricht  der  Cjansäure 
(S.  559)  und  liefert  mit  Ealihydrat  Chlomatrium  und  cyansaures  Kali  (oder 
dessen  Zersetzungsproducte).  Das  feste  Chlorcyan  entspricht  der 
Cyanursäure  (§.  561),  es  zerf&llt  mit  Ealihydrat  zu  Chlorkalium  und 
oyanursaurem  Eali. 

Das  gasförmige  und  das  flüssige  Chlorcyan  gehen  von  selbst  in 
festes  Chlorcyan  über. 

566.  Gasförmiges    Chlorcyan.      Cyanohlorid  =   CyCl.     (Gay- 

Lussac  1815.)  Man  erhält  es  durch  Einwirkung  von  Chlor  auf  ver- 
dünnte Blausäure  oder  reiner,  indem  man  in  gesättigte  Quecksilbercyanid- 
lösung,  welcher  man  noch  überschüssiges  Quecksilbercyanid  zusetzt,  Chlor 
bis  zum  Deberschuss  einleitet,  das  freie  Chlor  durch  etwas  Cyanqueck- 
Silber  oder  Quecksilber  wegnimmt  und  das  Gas  durch  Erwärmen  austreibt 
(Wo  hl  er.) 

Farbloses  Gas,  von  durchdringendem  Geruch,  heftig  zu  Thränen  rei- 
zend, giftig.  Es  erstarrt  bei  —  18<>  zu  langen  Nadeln,  die  bei  —  15^ 
schmelzen  und  bei  —  12^  sieden.  In  flüssigem  Zustand  in  einer  zuge- 
schmolzenen Röhre  aufbewahrt,  setzt  es  mit  der  Zeit  Erystalle  von  festem 
Chlorcyan  ab.  Wasser  löst  25,  Aether  50,  Alkohol  100  Volume.  Die 
letztere  Lösung  zersetzt  sich  nach  einigen  Tagen  unter  Bildung  von  Am- 
moniak und  Urethan. 

Ealium  in  Chlorcyangas  erhitzt,  verbrennt  zu  einem  Gemenge  von 
Chlorkalium  und  Cyankalium.  Erhitztes  Antimon  gibt  Antimoncblorid 
(SbClj)  und  Cyan.  Ealilösung  zersetzt  das  Cyanchlorid  zu  Chlorkalium 
und  cyansaurem  Eali  (resp.  dessen  Zersetzungsproducte :  Eohlensäure  und 
Ammoniak).  Ammoniak  gibt  mit  Cyanchlorid  Salmiak  und  Cyanamid 
(S.  590). 


Chlor<^an.  339 

Verbindangen  von  Cyanehlorid  mit  Chloriden.  Das  Cyanchlorid 
verbindet  sich  direct  mit  andern  Chloriden.  Cyanchlorid-Titanchlorid  CjrCl  -f-  Tidg 
ist  eine  flüchtige  krystaUisirbare  Verbindung  (Wühler);  ebenso:  Cyanchlorid-Bor- 
chlorid  CyCl  -f-  B0CI9  (Martins).  Auch  Antimonchlorid  und  Eisenchlorid  geben 
ähnliche  Verbindungen. 

FUssiges  Ghlorcyan  =  Gj^Cl)  (Wurtz  1848).  Entsteht  ne-  567. 
ben  dem  gasförmigen  durch  Einwirkung  von  Chlor  auf  Queeksilbercyanid 
in  der  Kälte  (—  7^)  und  kann  durch  Verdichten  in  abgekühlten  Röhren 
von  diesem  getrennt  werden  (Henke*).  Man  erhält  es  nach  V^urtz, 
indem  man  Ghlorcyan  Wasserstoff  ($.  569)  durch  Oberschüssiges 
Quecksilberoxyd  zersetzt. 

Farblose,  sehr  bewegliche  Flüssigkeit,  von  stark  reizendem  Geruch; 
schwerer  als  Wasser,  darin  wenig  löslich ;  siedet  bei  15^,5  und  wird  bei 
—  5^  bis  —  6^  fest.  In  reinem  Zustand  ist  es  Jahre  lang  haltbar,  in  unrei« 
nem  geht  es  rasch  in  festes  Ghlorcyan  über.  Es  liefert  mit  Ammoniak 
Cjanamid  (Henke). 

Festes  Ghlorcjan.  Gyanurchlorid  =  Gj^Gl)  (Sernllas  668. 
1827).  Entsteht  durch  Einwirkung  von  Ghlor  auf  trockenen  Gjanwasser- 
atoflf  im  Sonnenlicht;  durch  Einwirkung  von  Ghlor  auf  Sulfocjankalium 
($•  584)  oder  auf  Ghloreyanwasserstoff  ($.  569);  durch  spontane  Um- 
wandlung des  in  zugeschmolzenen  Röhren  aufbewahrten  Gjanchlorids 
($*  566)  oder  auch  der  Flassigkeit,  die  bei  Einwirkung  von  Ghlor  auf 
Queeksilbercyanid  im  Sonnenlicht  entsteht  (Persoz). 

Glänzende  Nadeln  oder  Blättchen,  die  bei  140®  schmelzen  und  bei 
l^QP  sieden;  wenig  löslich  in  kaltem  Wasser,  sehr  giftig. 

Das  Gyanurchlorid  löst  sich  leicht  in  Alkohol.  Die  Lösung  in  wäss- 
rigem  Alkohol  zersetzt  sich  bald  und  setzt  unter  Entweichen  von  Salz- 
säure Krystalle  von  Gyanursäure  ab: 


GyaGl,  +  3H,e  =  ^^'JO,  +  3HG1 


Dieselbe  Zersetzung  erleidet  die  wässrige  Lösung  beim  Kochen,  und 
bei  Gegenwart  eines  Alkalis  in  der  Kälte.  Kalium  mit  Gyanchlorid  erhitzt 
liefert  Ghlorkalium  und  Gyankalium.  Ammoniak  gibt  Salmiak  und  G  h  1 0  r  o- 
oyanamid  ($.  598). 

Ghlorcyanwasserstoff  =  Gy^GljH  =  Gy,Gl,  -^  GyH  (Wurtz  569. 
1848)  **)  (kann  betrachtet   werden   als   eine  Verbindung  von  flüssigem 
Ghlorcyan  mit  Gyanwasserstofif,   oder  als  festes  Ghlorcyan,  in  welchem 
1  At  Gl  durch  1  At  H  ersetzt  ist).  .^  Wenn  man  in  auf  0®  abgekflhlte 


•)  lieb.  Jahresb.  1858.  287. 
*•)  Lieb.  Jahresb.  1851.  87a 

82 


340  Cyanverbrndongeii. 

Blausäure  von  mittlerer  CoDceotration  Chlorgas  leitet,  so  scheidet  sich 
der  Chlorcyanwasserstoff  als  eine  auf  dem  Wasser  schwimmende  Flflssig- 
keitsschicht  ab,  während  ein  Theil  bei  raschem  Ghlorstrom  abergerissen 
und  in  der  Vorlage  verdichtet  wird.  Man  wäscht  das  Product  mit  eiskal- 
tem Wasser,  trocknet  mit  Chlorcaicium  und  rectificirt  Farblose  Flüssig- 
keit, die  bei  20<^  siedet  und  bei  starker  Abkühlung  erstarrt«  In  reinem 
Zustand  haltbar.  Qnecksilberozjd  nimmt  Blausäure  weg  und  gibt  flOs- 
siges  Ghlorcyan  (§.  567).  Chlor  substituirt  den  W^asserstoff  und  bil- 
det festes  Chlorcyan  (§.  568). 

570.  Cyanbromid,  Bromcyan  (Serullas  1827).  Entsteht  bei  Ein- 
wirkung von  Brom  auf  wässrige  Blausäure  oder  auf  Quecksilbercyanid. 
Es  schmilzt  bei  +  4®  und  verflüchtigt  si6h  bei  -|-  15®.  Der  Dampf  ver- 
dichtet sich  zu  feinen  Nadeln,  die  bald  zu  Würfeln  werden;  es  riecht 
stechend.  Das  Bromcyan  ist  in  Alkohol  leicht,  auch  in  Wasser  ziemlieh 
löslich.  Es  zerfällt  mit  Kali  zu  Cyankalium,  Bromkalium  und  bromsau- 
rem Kali.    Gegen  Ammoniak  verhält  es  sich  wie  Cyanchlorid. 

571.  Cyanjodid.  Jodcyan  (H.  Davy  1816.)  Findet  sich  im  käuf- 
lichen Jod.  Es  entsteht  durch  Einwirkung  von  Jod  auf  Cyankalium  oder 
auf  Cyanquecksilber.  Man  löst  Jod  in  concentrirter  Cyankaliumlösung 
auf  und  treibt  aus  der  zu  einem  Erystallbrei  erstarrten  Masse  das  Cyan- 
jodid durch  Sublimation  aus  (Liebig).  Man  erwärmt  ein  Gemenge  von 
Jod  (iTh.)  und  Quechsilbercyanid  (2Th.).  Die  Einwirkung  erfolgt  schon 
bei  gewöhnlicher  Temperatur;  überlässt  man  das  Gemenge  von  Jod  mit 
Cyanquecksilber  in  einer  verschlossenen  Flasche  sich  selbst,  so  erfüllt 
sich  der  obere  Theil  derselben  mit  schönen  Erystallen  von  Jodcyan. 

Feine  weisse  Nadeln,  schwerer  als  Schwefelsäure,  von  durchdrin- 
gendem Geruch,  giilig.  Sie  verflüchtigen  sich  bei  45®  und  sind  in  Was- 
ser, Alkohol  und  Aether  löslich.  Mit  Kali  liefert  das  Cyanjodid:  Cyan- 
kalium ,  Jodkalium  und  jodsaures  Eali. 

Gegen  Ammoniak  verhält  es  sich  wie  Cyanchlorid. 

Cyan  =:  G^Nj  =  Cy, 

572.  (Gay-Lussac  1815).  —  Das  Cyan  muss  nach  Eigenschaften  und 
Metamorphosen  durch  die  Molecularformel :  G2N2  =  Cy2  ausgedrückt 
werden;  es  erscheint  als  Cyanid  des  Cyans,  dem  Cyanchloird  ent- 
sprechend. 

Das  Cyan  findet  sich  nach  Bunsen  und  Playfair  häufig,  aber 
in  geringer  Menge  (z.B.  1,34%)  in  den  Hohofengasen.  Es  entsteht  beim 
Erhitzen  von  Silbercyanid ,  Quecksilbercyanid  und  Goldcyanid: 


Ag[Cy        jX^        ^]0y    =    Ag,    +    Cy, 


CyaiL  341 

Ferner  beim  Erhitzen  von  oxalsaurem  Ammoniak  oder  Ton  Oxamid. 
Oxalsaures  Ammoniak. 

Ozamid. 

H,[n,  —  2Hje  =  6,Na 

eine  Bildung,  die  theoretisch  interessant  ist,  insofern  sie  das  Gyan  als 
einen  Rest  des  Oxalsäuren  Ammoniaks  —  als  Nitril  der  Oxalsäure 
erseheinen  lässt 

Darstellung.  Man  erhitzt  trockenes  Cyanquecksilber  in  einer  kleinen  Re- 
torte, das  Cyan  entweicht  in  Gasform.  Erhitzt  man  das  Cyanquecksilber  in  dem 
einen  Schenkel  einer  zugeschmolzenen  Glasröhre,  so  verdichtet  sich  im  anderen 
abgekühlten  Schenkel  flüssiges  Cyan. 

Eigenschaften.  Farbloses  Gas,  von  eigenthflmlichem  der  Oxal- 
sfture  ähnlichem  Geruch;  brennt  mit  violetter  Flamme.  Das  Cyan  ver- 
dichtet sich  unter  gewöhnlichem  Luftdruck  bei  —  25^  zu  einer  farblosen 
Flüssigkeit,   die  bei  grösserer  EäJte   fest  wird.     Schmelzpunkt:  —  34^-, 

Siedepunkt:  200,7. 

Tension  des  Dampfs  (Bunsen). 

Temperatur.  in  Atmosphären. 

—  20«,7  1 

'     —  10«  1,86 

0®  2,70 

+  10«  3,8 

4-  15®  4,4 

-I-  20*  6,0. 

Kalium  verbrennt  in  Gyangas  zu  Cyankalium: 


K(k  jX^^         Cy]Cy    =    KCy    +    KCy 

Kohlensaures  Kali  in  Cyangas  erhitzt  gibt  unter  Entweichen  von 
Kohlensäure  ein  Gemenge  von  Cyankalium  und  cjansaurem  Kali  (vgl. 
8.  578). 

Cy[Cy        jX^        ^^L.^,    =    CyK    +    ^^[0  +  GO, 

Eisen  in  Cyangas  erhitzt  überdeckt  sich  mit  Kohle  und  wird  brüchig, 
während  Stickstofif  entweicht. 

Das  Cyan  lost  sich  in  Wasser  (1  Vol.  Aq.  löst  41/2  Vol.  Cy)  und 
in  Alkohol  (1  Vol.  löst  23  Vol.  Gyan).  —  Die  wässrige  Lösung  zersetzt 
sich  bald  unter  Abscheidung  eines  braunen  Pulvers  von  noch  unbekann- 
ter Natur  (Amlmsäore  §.  676) ,  während  in  der  Lösung  wesentlich  oxal- 


342  CyBnyeMnäfmgOL 

saures  Ammoniak*),  neben  kohlensaurem  Ammoniak,  Blansftiire  and 
Harnstoff  enthalten  ist  (Wöhler).  Diese  Zersetzung  erklärt  sich  leicht 
in  folgender  Weise.  Ein  Theil  des  Cjans  wird  durch  Au&ahme  tod 
Wasser  zu  oxalsaurem  Ammoniak: 

e,N,  +  4H,0  =  «jOj  (NH4)ae, 

wobei  genau  das  Umgekehrte  von  der  Beaction  stattfindet,  durch  welche 
beim  Erhitzen  von  oxalsaurem  Ammoniak  Gyan  entsteht  Ein  anderer 
Theil  des  Cyans  wirkt  durch  doppelten  Austausch  auf  Wasser  (&hnlidi 
wie  beim  Erhitzen  mit  kohlensaurem  Kali)  und  liefert  so  Cyanwasserstoff 
und  Cjansfture: 

Diese  letztere  bildet  dann  bei  Gegenwart  von  Wasser  (vgl.  §•  577) 
zum  Theil  kohlensaures  Ammoniak,  zum  andern  Theil  Harnstoff! 

W&ssriges  Kali  bewirkt  dieselbe  Zersetzung;  die  Lösung  entlüüt  aus- 
ser oxalsaurem  Kali,  Cyankalium  und  cyansaures  Kali. 

Bei  Gegenwart  von  Aldehyd  nimmt  das  in  Wasser  gelöste  Gyangas 
weniger  Wasser  auf  als  zur  Bildung  von  oxalsaurem  Ammoniak  nöthig 
ist,  es  wird  vollständig  in  Oxamid  abergeführt  (Liebig  1860): 

GjN,  +  2Hi0  =  G,eaN,H4 

678.  Verbindungen  des  Cyans  mit  Schwefelwasserstoff.    Das 

Cyan  verbindet  sich  direct  mit  Schwefelwasserstoff  und  erzeugt  so  zwei 
verschiedene  Verbindungen: 

Cyansulfhydrat      GjNjHjS    =  GjN,  +  H,S 
Cyanbisulfhydrat   G2N2H492  =  ©iN,  +  2H,S 
Beide  Verbindungen  zerfallen  beim  Kochen  mit  verdannten  wäsaii- 
gen  Alkalien  unter  Aufnahme  von  Wasser  in  Oxalsäure,  Ammoniak  ond 
Schwefelwasserstoff  •*) : 

GjNAÖ    +  4H,e  =  €,0,.H,.e,  +  2NH,  4-  H,& 
G,N,H4Sa  +  4H,e  =  e^B^E^.^^  +  2NH,  +  2H,S 


^)  VgL  Gianelli,  Lieb.  Jahresber.  1856.  485. 

^*)  Das  Cyanbisnllhydrat  kann  als  Ozamid  betrachtet  werden,  dessen  Sauerstoff 
durch  Schwefel  ersetzt  ist  (Laurent.): 

Ozamid.  Cyanbisalfhydrat 


Das  Cjransalfhydrat  kann  betrachtet  werden   als  eine  Sulfoverbindnng,    die 
einem  noch  unbekannten  Amid  der  Ozalsfture  entspricht,  welches  in  der 


Qyan.  343 

Beim  Koehen  mit  coneentrirteo  wässrigen  AlkaÜea  sserfalien  beide 
in  Cyanwasserstoff  and  Sulfocyansäure  (§.  582);  das  Cyanbisulfhydrat 
unter  gleiehzeitiger  Bildung  von  Schwefelwasserstoff*): 

e^jHaS   =  eSS  +  GSMS 
©jNASa  =  eN.H  +  eN.H9  +  HjS 

Cyansnlfhydrat  (FlaveanwasBerstolfsfiare.)  (Gay-Lussac  1816.)  Gelbe, 
in  Wasser,  Alkohol  und  Aetlier  lösliche  Ery  stalle,  die  beim  Zusammentreten  yon 
Cyangas  und  Schwefelwasserstoffgas  bei  Gegenwart  von  Feuchtigkeit  entstehen. 
Zersetzt  sich  mit  salpetersaurem  Silberozyd  sogleich,  mit  Bleizucker  erst  nach  eini- 
ger Zeit  unter  Bildung  von  Schwefelmetall  und  Entweichen  von  Cyan. 

Cyanbisulfhydrat.  (Rubeanwasserstoffsäure.)  (Wöhler  1885.)  Entsteht 
wenn  Cyan  und  überschüssiger  Schwefelwasserstoff  in  Alkohol  zusammengeleitet 
werden.  Orangerothe  Erystalle;  wenig  in  kaltem,  leicht  in  heissem  Wasser,  in 
Alkohol  und  in  Aether  löslich.  Fällt  aus  Blei-  und  Silbersalzen  eigenthümliche 
Verbindimgen,  die  erst  beim  Erhitzen  Schwefelmetall  liefern. 

Paracyan.  Wenn  man  durch  Erhitzen  Ton  GyanquecksUber  Cyan  574. 
darstellt,  so  bleibt  ein  braunes  Pulyer,  aus  welchem  man  durch  Salpeter- 
sänre  alles  Quecksilber  ausziehen  kann.  Das  so  erhaltene  Paracyan 
ist  ein  braunes  Pulver,  welches  dieselbe  Zusammensetzung  zeigt  wie  das 
Cyan  und  bei  längerem  Erhitzen  vollständig  in  Cyan  übergeht  —  Beim 
Erhitzen  von  Gyansilber  bleibt  ein  grauer  Rückstand,  der  an  metallisches 
Quecksilber  nur  einen  Theil  seines  Silbers  abgibt  Auch  beim  Behandeln 
mit  Salpetersäure  wird  das  Silber  nur  zum  Theil  entzogen,  es  bleibt  eine 
braune  Masse,  die  noch  über  40%  Silber  enthält  und  die  man  filr  Para- 
cyan silber  ansieht 


Mitte  liegt  zwischen  Oxamid  und  Cyan  (d.  h.  Nitril  der  Oxalsäure).    Man 
hätte 

Oxamid.  Oxalenid.  OxalonitriL 

(unbekannt)  (Cjan) 

IV  VI 

Das  Cyansulfhydrat  wäre  geschwefeltes  Oxalenid  (Sulfoxalenid)  =:    ^[^^ 
*)  Man  kann  darnach  beide  als  amidartige  Verbindungen  ansehen,  die  das  Ra- 

m 

dical  (CH)  der  als  Kitril  der  Ameisensäure  betrachteten  Cyanwasserstoffsäure, 

und  das  Radical  (0S)  der  als  Imid  der  Sulfocarbonsäure  betrachteten  Sulfo- 
cyansäure enthalten: 

m)  ei) 


eö[N,  GS>J» 


r)  hJ 


344  Qyanyfsrbiiidimgen. 

575.  Asalmsäure.  Man  bezeichnet  mit  diesem  Namen  das  sehwarae  oder 
schwarzbraune  Pulver,  welches  bei  freiwilliger  Zersetzung  einer  wftssrigea 
oder  alkoholischen  Lösung  von  Cyan  (vgl.  §.  572)  oder  bei  freiwilliger 
Zersetzung  der  Blausäure  (vgl.  §.  525)  entsteht.  Die  s.  g.  Azulmsäure 
ist  unlöslich  in  Wasser  und  Alkohol,  löslich  in  Alkalien  und  concentrirten 
Säuren«  Ihre  chemische  Natur  ist  noch  nicht  ermittelt;  selbst  ihre  Zu- 
sammensetzung nicht  mit  Sicherheit  festgestellt  (Pelouze  und  Richard- 
son  fanden:  e^lS^E4^2  =  4Cy  +  2Hje). 

Cyanverbindungen  des  Wassertjpas. 

576.  Man  kennt  zwei  dem  Typus  Wasser  zugehörige  Cyanverbindungen  *3: 

Cyansäure.  Gyanursäure. 

%\^  %\0' 

Die  Cyansäure  entspricht  dem  Cyanchlorid  (§.566),  die  Cyan u r- 
sänre  dem  Cyanurchlorid  (§.  568}.  —  Ausser  diesen  zwei  polymeren 
Verbindungen,  deren  Hoieeulargrösse  aus  den  Beziehungen  zu  den  bei- 
den Chloriden  und  aus  der  Zusammensetzung  ihrer  Salze  hervorgeht, 
existirt  noch  eine  dritte  mit  beiden  isomere  Substanz  von  unbekannter 
Moleculargrösse:  das  Cyamelid  =  CynHnOn. 

Diese  drei  polymeren  Körper  zeigen  unter  geeigneten  Verhältnissen 
die  merkwürdigsten  Uebergänge  aus  dem  einen  in  den  andern  Zustand- 
So  wird  ein  oy ansaures  Salz,  wenn  Essigsäure  in  zu  völliger  Zersetzung 
ungenügender  Menge  zugesetzt  wird,  zu  cyanursaurem  Salz.  Die  Cyannr- 
säure  verwandelt  sich  beim  Erhitzen  in  Cyansäure;  diese  geht  von  selbst 
in  Cyamelid  üben  Das  Cyamelid  seinerseits  wird  durch  Hitze  in  Cyan- 
säure, durch  Alkalien  in  Cyanursäure  übergeführt. 

Ein  vierter  Körper  von  ebenfalls  gleicher  Zusammensetzung  ist  die 
Cyanilsäure,  die  fast  in  allen  Eigenschaften  mit  der  Cyanursäure  über- 
einstimmt (§.  581). 


*)  Man  hielt  früher  auch  die  EnaUsäure  für  eine  Säure  des  Cyans  und  steDte 
sie  zwischen  die  Cyans&ure  und  die  Cyanursäure: 

Cyansäure         6NH0    =  CjRB 
Enallsäure        G^NaHae,  =  Cy2^i^t 
Cyanursäure     6,N,H,03  =  CvaHjO, 

Neuere  Untersuchungen  haben  gezeigt,  dass  die  Knallsäure  oder  vielmehr  die 
als  Salze  dieser  hypothetischen  Säure  betrachteten  Körper  (z.  B.  das  Knalle 
quecksilber)  eine  völlig  verschiedene  Constitution  haben  und  dureh  ihre  Me- 
tamorphosen sich  nicht  an  die  Cyansäure,  sondern  an  das  Acetonitril  an- 
Bchliessen. 

Ausser  der  hypothetischen  Knallsäure  ist  noch  die  Fulminursänre  mit 
der  Cyansäure,  der  Cyanursäure  und  dem  Cyamelid  isomer. 


CyaDBänre.  345 

CyansÄure  =  GSEO  —  CjHe  (Wöhler  1822). 

Gy  ansäure  Salze  entstehen  mit  grosser  Leichtigkeit  durch  directe  577. 
Oxydation  von  Cyaniden  (vgl.  §§.529.  535);  durch  Einwirkung  von  Cyan 
auf  Kali  oder  kohlensaures  Kali  (§.  572).     Beim   Eindampfen  von  Harn- 
stofflösung   mit    salpetersaurem    Silberoxyd    entsteht    cyansaures    Silber- 
oxyd etc. 

Die  Cyans&ure  kann  aus  ihren  Salzen  nicht  abgeschieden  wer- 
den. Sie  verwandelt  sich  stets  im  Moment  des  Freiwerdens  in  Cyanur- 
säure  oder  in  Gyamelid;  oder  sie  zerfä,llt  durch  Aufnahme  von  Wasser 
in  Kohlensäure  und  Ammoniak.  So  scheidet  z.  B.  trockene  Salzsäure 
aus  cyansaurem  Kali  eine  Verbindung  von  Cyansäure  mit  Salzsäure  ab, 
welcher  die  Salzsäure  nicht  entzogen  werden  kann,  ohne  dass  die  Cyan- 
säure in  Cyanursäure  abergeht.  Reibt  man  krystallisirte  Oxalsäure  mit 
cyansaurem  Kali  zusammen,  so  entsteht  Cyamelid.  Setzt  man  Essigsäure 
oder  Mineralsäuren  in  ungenügender  Menge  zu  einer  Lösung  von  cyansaurem 
Kali,  so  fällt  saures  cyanursaures  Kali.  Setzt  man  endlich  zu  cyansaurem 
Kali  Schwefelsäure  oder  Salzsäure  von  mittlerer  Concentration ,  so  ent- 
steht ein  lebhaftes  Aufbrausen ;  man  bemerkt  wohl  den  charakteristischen 
Geruch  der  Cyansäure,  aber  die  grösste  Menge  dieser  Säure  zerfallt  durch 
Aufnahme  von  Wasser  in  Kohlensäure  und  Ammoniak. 
ONOH  -f  Hj0  =  eOa  -f-  NH, 

Die  einzige  Methode  freie  Cyansäure  darzustellen  gründet  sich  auf 
die  moleculare  Umwandlung  der  Cyanursäure  durch  Hitze  (Wohl er  und 
Liebig). 

Darstellung.  Man  erhitzt  getrocknete  Cyanursäure  in  einer  kleinen  Retorte 
oder  besser  in  einer  in  einem  rechten  Winkel  gebogenen  Verbrennungsröhre^  deren  « 
leerer  Schenkel  durch  ein  im  Boden  des  Verbrennungsofens  angebrachtes  Loch 
durchgesteckt  ist.  Die  Dämpfe  werden  in  einem  mit  Eis  oder  einem  Kältegemisch 
abgekühlten  Gefäss  verdichtet.  —  Auch  durch  Erhitzen  von  Harnstoff  mit  Phosphor- 
sänreanhydrid  erhält  man  Cyansäure  (Weltzien). 

Die  Cyansäure  ist  eine  farblose,  leicht  bewegliche  Flüssigkeit,  ihr 
Dampf  riecht  stechend,  der  Essigsäure  ähnlich  und  greift  die  Augen  stark 
an.  Sobald  man  das  die  Cyansäure  enthaltende  Gefäss  aus  dem  Kälte- 
gemisch herausnimmt,  trübt  sich  die  Flüssigkeit  und  verwandelt  sich  bald 
in  eine  weisse  porzellanai-tige  Masse  (Cyamelid  §.  580).  Diese  moleculare 
Umwandlung  ist  stets  von  einem  knisternden  Geräusch  und  von  Wärme- 
entwicklung, bei  grösseren  Mengen  von  explosionsartigen  Erschütterungen 
begleitet. 

Die  Cyansäure  löst  sich  in  Wasser  zu  einer  sauer  reagirenden  Flüs- 
sigkeit;   diese  Lösung  zersetzt  sich  bald  in  kohlensaures  Ammoniak  und 

in  Harnsto£f: 

GNOH  +  H,e  =  60,  +  NH3 

eK0H  +  NH,  =  eeNaH4 
Harnstoff. 


346  GTttDTQfbindniijfen. 

Beide  Zersetmngen  seigen  dass  die  Cyansftare  ein  Rest  des  koh- 
lensauren Ammoniaks,  das  Imid  der  Kohlensäure  ist*). 

Die  fttherische  Lösung  der  Cjans&ure  kann  längere  Zeit  aufbewahrt 
werden  ohne  2Sersetzung  zn  erleiden. 

578.  Cjansaure  Salze.      Die  Cyansäure  ist  eine  einbasische  S&ure. 

Die  Bildung  der  cjansauren  Salze  ist  oben  besprochen. 

Cy  an  saures  Ammoniak.  LSsst  man  die  Dämpfe  von  Cyansäure  zu 
trockenem  Ammoniak  treten,  so  entsteht  eine  weisse  feste  Substanz,  die  sich  in 
Wasser  leicht  löst.  Diese  Lösung  zeigt  frisch  bereitet  alle  Eigenschaften  des  Am- 
moniaksalzes  der  Cyansäure.  Sie  entwickelt  mit  Alkalien  Ammoniak,  mit  Sfturen 
Eohlensfiure  und  den  Geruch  nach  Cyansäure.  Aber  das  gelöste  cyansäure  Am- 
moniak verwandelt  sich  selbst  in  der  Kälte  nach  einigen  Tagen,  beim  Kochen  mo- 
mentan in  Harnstoff*).  Dieselbe  Umwimdlung  erleidet  die  trockene  Verbindung 
beim  Erhitzen.  Auch  durch  Zersetzen  von  cyansaurem  KaU  mit  schwefebanrem 
Ammoniak  wird  nicht  cyansaures  Ammoniak,  sondern  dessen  Umwandlungsproduct 
Hamstoflf  erhalten.  Zersetzt  man  bei  gelinder  Wärme  cyansaures  Blei  mit  Ammo- 
niaklösung oder  cyansaures  Silber  mit  einer  Lösung  von  Salmiak,  so  erhält  man 
eine  Lösung  von  cyansaurem  Ammoniak,  welches  bald  in  Harnstoff  übergeht 

Cyansaures  Kali.  Man  trägt  in  geschmolzenes  Cyankalium  Bleiozyd 
(am  besten  Mennige)  ein.  Das  Metall  wird  augenblicklich  reducirt,  bleibt  anfangs 
als  Pulver  in  der  Masse  suspendirt,  setzt  sich  aber  bei  genügender  Hitze  leicht 
zu  Boden,  so  dass  man  das  cyansäure  Kali  abgiessen  kann.  Es  erstarrt  beim 
Erkalten  zu  einer  völlig  weissen  Masse  (Liebig).  ^  Man  setzt  zu  der  geschmolzenen 
und  etwas  erkalteten  aber  noch  flüssigen  Masse  von  8  Th.  BluÜaugensalz ,  und 
8  Th.  kohlensaurem  Kali  unter  Umrühren  16  Th.  Mennige;  schmilzt  nochmals  und 
giesst  das  cyansäure  Kali  ab  (Clemm).  —  Man  erhitzt  auf  einem  Eisenblech  ein 
Gemenge  von  2  Th.  getrocknetem  Blutlaugensalz  mit  1  Th.  Braunstein  unter  üm- 
« rühren  und  zieht  die  erkaltete  Masse  mit  heissem  Alkohol  aus  (Li e  big).  Selbst 
beim  Erhitzen  von  Blutlaugensalz  für  sich  geht  das  anfangs  gebildete  Cyankalium 
durch  Aufnahme  von  Sauerstoff  aus  der  Luft  in  cyansaures  Kali  über. 

Das  cyansäure  Kali  krystallisirt  beim  Erkalten  der  alkoholischen  Lösung  in 
weissen  dem  chlorsauren  Kali  ähnlichen  Blättchen.  Es  zerfliesst  an  der  Luft,  ist 
in  Wasser  leicht  löslich  und  zersetzt  sich  leicht  durch  Aufnahme  von  Wasser  in 
kohlensaures  Kali  und  Ammoniak.  In  trockenem  Zustand  kann  es  geschmolzen 
werden  ohne  Zersetzung  zu  erleiden;  beim  Schmelzen  mit  Kohle,  mit  Eisen  oder 
im  Wasserstoffstrom  wird  es  zu  Cyankalium  reducirt;  trägt  man  Kalium  in  ge- 
schmolzenes cyansaures  Kali,  so  entsteht  Cyankalium  und  Kali. 

Das  cyansäure  Blei  ist  ein  weisser  Niederschlag,  der  sich  bald  in  weisse 
Nadeln  umwandelt.    Das  cyansäure  Silber  ist  ein  weisser  Niederschlag,  löslich 


*)  Diese  Betrachtungsweise  lässt,  wie  später  (Amide  der  Kohlensäure)  gezeigt 
werden  wird,  die  Beziehungen  zum  Harnstoff  etc.  besonders  deutlich  hervor- 
treten. 
**)  Der  Harnstoff  hat  dieselbe  Zusammensetzung  wie  das  cyansäure  Ammoniak 
aber  völlig  verschiedene  Eigenschaften;  er  wird  ab  Amid  der  Kohlensäure 
beschrieben  werden. 


Oyanunftiure.  347 

in  AnunoDiak  und  In  verdünnter  SalpetersKore  ^  es  sersetzt  sich  beim  Erhiteen  mit 
einer  Art  Explosion. 

Cyanurs&ure  =  e^NjHaO,  =  CyjHjO,. 

Entdeckt  von  Scheele  als  Zersetzungsproduct  der  Harns&are.      679. 

Man  erhält  die  Gjanursäure  aus  Harnstoff.  Der  Harnstoff,  der, 
wie  oben  (§.  578)  erwähnt,  durch  moleculare  Umwandlung  aus  cjansau- 
rem  Ammoniak  entsteht,  verhält  sich  dabei  wie  das  Ammoniaksalz  der 
mit  der  Gyansäure  poIymeren  Cjanursäure. 

Darstellung.  Man  erhitzt  Harnstoff  bis  die  anfangs  geschmolzene  Masse 
wieder  trocken  und  grauweiss  geworden  ist;  man  löst  den  Rückstand  in  concen- 
trirter  Schwefelsäure,  setzt  zur  Enterbung  ein  paar  Tropfen  Salpetersäure  zu  und 
verdünnt  mit  Wasser;  beim  Erkalten  scheidet  sich  die  Gyanursfiure  aus  (Wo hier). 

Man  erhitzt  salzsauren  Harnstoff  (durch  Sättigen  von  Harnstoff  mit 
Salzsäuregas  erhalten)  auf  145®;  es  tritt  eine  lebhafte  Reaction  ein,  bei 
welcher  die  Temperatur  auf  200®  steigt,  während  viel  Salmiak  entweicht. 
Man  entfernt  aus  dem  Rückstand  den  Salmiak  durch  kaltes  Wasser  und 
krystallisirt  die  ungelöst  bleibende  Cjanursäure  aus  siedendem  Wasser 
um  (De  Vry)*). 

Am  zweckmfissigsten  ist  die  Methode  von  Wurtz.  Man  leitet  über  geschmol- 
zenen Harnstoff  trockenes  Ohlorgas,  es  entweicht  Salzsäure,  Stickstoff  und  Salmiak; 
dem  Rückstand  entzieht  man  durch  kaltes  Wasser  den  Salmiak  und  krystallisirt 
aus  heissem  Wasser  die  Gyanursäure  ^*). 

Die  Cjanursäure  krystallisirt  aus  wässriger  Lösung  in  monokli- 
nometrifichen  Prismen  Gj^B.^^^  4~  SH^O,  die  leicht  yerwittem:  aus 
der  Lösung  in  heisser  Salpetersäure  oder  Salzsäure  erhält  man  kleine 
Quadratoktaeder,  die  kein  Erystallwasser  enthalten.  Sie  löst  sich  in 
40  Th.  kaltem  Wasser,  leichter  in  heissem.  Sie  ist  weit  beständiger  als 
die  Cyansäure  und  zerfällt  erst  bei  lang  anhaltendem  Kochen  mit  starken 
Säuren  in  Kohlensäure  und  Ammoniak.  Beim  Erhitzen  sublimirt  ein  Theil 
unzersetzt;  die  grösste  Menge  verwandelt  sich  in  Dämpfe  von  Cyansäure ; 
gleichzeitig  bildet  sich  an  der  Oefosswand  eine  zähe  Flüssigkeit^  die  unter 
Gasentwicklung  zu  weissen  Krusten  von  Cyamelid  wird. 

Cyanursaure  Salze.  Die  Cyanursäure  ist  eine  dreibasische  Säure 
(Liebig),  sie  bildet  drei  Reihen  von  Salzen: 

•Ä:!».   §}j».   H*ä:(<».   "ä:!«. 

Ein  saures  Kalisalz  =  Cy,Hj|K-&9  erhftlt  man  durch  Zusatz  von  wenig 
Kali  zu  einer  heissen  Lösung  von  Cyanursäure,  oder  indem  man  eine  Lösung  von 
cyansaurem  Kali  mit  Essigsäure  oder  mit  einer  zur  völligen  Zersetzung  ungenügen- 


«)  Lieb.  Jahresb.  1847  u.  48.  S.  488. 

**)  Aus  diesen  Lösungen  krystallisirt  der  Salmiak  leicht  in  farblosen,  wohlausge- 
bildeten Würfek. 


348  GyaiiTerbindim^eiL 

den  Menge  einer  Hineralsfiare  versetzt,  als  weisses,  aas  kleinen  Wttrfeln  bestehen- 
des Pulver.  Die  Lösung  dieses  Salzes  in  Kalilauge  scheidet  auf  Zusatz  von  Al- 
kohol feine  Nadeln  des  Salzes:    CyaHEjO^  ab.  —    Man  kennt  zwei  diesen  beiden 

Kalisalzen  entsprechende  Baryt  salze. Das  neutrale  Bleisalz:  Cy^Pb^O^  -|- 

1^2  H30  wird  am  zweckmfissigsten  durch  Eingiessen  von  basisch-essigsaurem  Blei- 
ozyd  (Bleiessig)  in  einen  üeberschuss  von  heisaer  Cyanurs&urelösung  als  weisser 
krystallinischer  Niederschlag  erhalten.  Das  neutrale  Silbers  alz:  Cy,Ag30« 
4-  ^/i  HjO  entsteht,  wenn  man  salpetersaures  Silberozyd  zu  einer  heissen  Lösung 
von  cyanursaurem  Ammoniak,  die  einen  Üeberschuss  von  Ammoniak  enthält,  ein- 
giesst.  Das  saure  Silbersalz:  CysEAg^Oj  wird  am  reinsten  erhalten  durch 
F&llen  von  essigsaurem  Silberozyd  mit  Cyanursfiure  in  der  Hitze.  Ein  Doppel- 
salz: Cy3AgPb203  4~  H20  entsteht  durch  Kochen  des  neutralen  Bleisalzes  mit 
salpetersaurem  Silberozyd.  Cyanur saures  Cuprammonium:  CyaHCNH^Cu)]^^ 
-|-  H2O  erhält  man  in  schön  violetten  Krystallen,  wenn  man  zu  einer  heissen  Lösung 
von  Cyanursäure  in  Ammoniak  eine  verdünnte  Lösung  von  ammoniakalischem  Kupfer- 
vitriol zufägt.  Ein  anderes  Cuprammoniumsalz:  CyaHsCNHsCu}^)  entsteht 
als  violetter  Niederschlag,  wenn  eine  Lösung  von  Cyanursäure  zu  einer  anunonia- 
kalischen  Lösung  von  Kupfervitriol  gegossen  wird;  dieses  Salz  ist  unlöslich  in 
Wasser  und  in  Ammoniak ,  seine  Bildung  wird  desshalb  als  Reaction  auf  Cyanur- 
säure benutzt 

680.  Gjamelid,  unlösliche  Cjanursäure,  ist  die  weisse,  amorphe,  in 
Wasser  unlösliche  Hasse,  in  welche  sich  die  Cyansäure  yon  selbst  um- 
wandelt. Es  entsteht  auch,  wenn  cjansaures  Eali  mit  rauchender  Schwe- 
felsäure, mit  Salpetersäure,  mit  Oxalsäure  oder  Weinsäure  zusammenge- 
rieben  wird.  Beim  Erhitzen  verwandelt  es  sich  zum  Theil  in  Cjansäure. 
Es  löst  sich  in  Eali  unter  Bildung  von  cjanursaurem  EalL  Beim  Eochen 
mit  Schwefelsäure  zerfollt  es  zu  Eohlensäure  und  Ammoniak. 

681.  Cyanilsäure.  Durch  Eochen  von  Mellon  ($.  599)  mit  Salpeter- 
säure erhielt  Liebig  grosse,  perlmutterglänzende  Blättchen  oder  prisma- 
tische Erjstalle,  die  in  Wasser  weit  löslicher  sind  als  Cyanursäure,  aber 
sonst  in  allen  Eigenschaften  mit  dieser  abereinstimmen  und  leicht  z.  B. 
durch  Auflösen  in  Schwefelsäure  und  Zusatz  von  Wasser,  in  gewöhnliche 
Cyanursäure  übergehen. 

Schwefelverbindungen  des  Cyans. 

532.  Sulfocyansä.ure,    Schwefelcyanwasserstoffsäure ,   Rhodanwasser- 

stoffsäure  =  eNHÖ  =  CyHö  (Winterl  1790;  Porret  1808;  1814; 
Berzelius  1820). 

[Von   der  Radicaltheorie   als  Wasserstoflfverbindung  des  Badicals: 
Rhodan  =  CyS^  angesehen.] 

Die  Salfocyansäure  steht  zur  Cyansäure  in  derselben  Beziehung  wie 
der  Schwefelwasserstoff  zum  Wasser: 

Wasser.  Schwefelwasserstofil 


i!«  i! 


9 


Sttlfocyansäure.  349 

Gyansänre.  Sulfocyansfture. 

Die  Analogie  beider  zeigt  sich  z.  B.  in  der  Bildung.  Gerade  so  wie 
Gyanmetalle  durch  directe  Aufnahme  von  Sauerstoff  in  Gjansäuresalze 
abergehen,  so  verbinden  sie  sich  direct  mit  Schwefel  zu  Sulfocyansäure- 
salzen.  Gerade  so  wie  Cyan  mit  glühendem  Kali  oder  kohlensaurem  Kali 
ein  Gemenge  von  Cyankalium  und  cyansaurem  Kali  gibt,  so  liefert  es  mit 
einfach  Schwefelkalium  ein  Gemenge  von  Cyankalium  und  Sulfocyan- 
kalium : 

Cyf^;        ^nJ         g]L    =    CyK    4-   %s 

Auch  die  Zersetzungen  sind  völlig  analog.  Die  Cyansäure  zerfällt 
unter  Aufnahme  von  Wasser  in  Kohlensäure  und  Ammoniak: 

eHHO  +  HjO  =  602  +  NH„ 

die  Sulfocyansäure  unter  Aufnahme  von  Schwefelwasserstoff  in  Schwefel- 
kohlenstoff-und  Ammoniak: 

eNHS  +  HjS  =  GSj  +  NH3 

Sulfocyansäure.  Sie  kann  aus  Sulfocyansäuresalzen  durch  stär-  533^ 
kere  Säuren  abgeschieden  werden.  Man  erhält  sie  in  trockenem  Zustand 
durch  Erhitzen  des  trockenen  Sulfocyanquecksilbers  mit  Schwefelwasser- 
stoff oder  Salzsäure;  in  wässriger  Lösung  aus  denselben  Substanzen  oder 
indem  man  Sulfocyanbaryum  mit  der  genau  hinreichenden  Menge  Schwe- 
felsäure fällt. 

Die  trockene  Sulfocyansäure   ist  eine  farblose  Flüssigkeit,   der  Es- 
sigsäure   ähnlich   riechend;   sie  wird   bei  —   12^,5   fest  und    siedet   bei 
.85®  (Artus),    bei   102<'5  (Vogel).      Die   trockene  Säure  zersetzt  sich 
rasch: 

Sulfocyansäure.  Persulfocyansäure.  Cyanwasserstoff. 

seNHS         =         GjNjHjSj  +  €NH 

Die  wässrige  Lösung  zersetzt  sich  langsam  in  der  Kälte,  rasch  beim 
Erhitzen.    Ein  Theil  der  Säure  zerfällt: 

2eNHs  +  2H2G  =  ee,  +  es,  +  2Nh, 

ein  anderer: 

GNHS  +  2H,e  =  ee,  +  HjS  +  NH3; 

gleichzeitig  zerfallt  ein  Theil  wie  die  trockene  Säure  und  scheidet  unter 
Elntwicklung  von  Blausäure  Persulfocyansäure  aus.    Setzt  man  zur  wäss- 


350  CyftQTerbmdangen. 

rigen  Lösung  Salzsäure,    so  serfl&llt  ein  grösserer  Theil  in  dieser  Weise. 
Sättigt  man  die  wässrige  Lösung  mit  Schwefelwasserstoff,  so  zerfällt  die 
Sulfoejan säure  rasch  zu  Schwefelkohlenstoff  und  Ammoniak. 
684.  Sulfocyansaure  Salze.    Die  Sulfocjansäure  ist  eine  einbasische 

Säure.  Sulfocyansaure  Salze  finden  sich  in  geringer  Menge  im  Speichel 
(§.  523).  Sie  bilden  sich,  wie  oben  erwähnt,  durch  directe  Vereinigung 
von  Schwefel  mit  Cjanmetallen  und  entstehen  daher  in  sehr  vielen  Reac- 
tionen  unter  anderm  auch  bei  der  Fabrikation  des  Blutlaugensalzes  (§.541). 
Sie  werden  von  starken  Säuren  zerlegt  unter  Freiwerden  von  Sulfocyan- 
saure, die  sich  dann  weiter  zersetzt  Setzt  man  z.  B.  zur  Lösung  von 
Sulfocyankalium  concentrirte  Salzsäure,  so  bemerkt  man  den  Geruch  der 
Sulfocyansaure  und  ein  übergedecktes  Papier  färbt  sich  roth  durch  Ein- 
wirkung der  Sulfocyausäuredämpfe  auf  das  Eisen  des  Papiers,  aber  die 
freigewordene  Sulfocyansaure  zersetzt  sich  rasch  unter  Bildung  von  Per- 
sulfocyansäure  (§.587).  Salpetersäure  oder  Chlor  zersetzen  die  Lö- 
sung von  Sulfocyankalium  unter  Bildung  von  Pseudoschwefelcyan 
($.588).  Glüht  man  Sulfocyankalium  mit  Eisen,  so  entsteht  Gyankalium 
und  Schwefeleisen. 

Snlfocyanammoniam.  Man  damplt  Cyanwasserstoff  mit  mehrfachem 
Schwefelammonium  zur  Trockne  ein  und  trennt  das  Sulfocyanammonium  vom  aus- 
geschiedenen Schwefel  durch  Wasser  oder  Alkohol.  (Diese  Bildung  wird  benützt 
bei  der  §.  526  besprochenen  Reaction  auf  Blausäure.)  Man  digerirt  die  ans  180  Th. 
Bluüaugensalz  mit  90  Th.  Schwefelsäurehydrat  und  40  Th.  Wasser  dargestellte 
Blausäure  mit  dem  durch  Sättigen  von  60  Th.  Ammoniaklösung  (von  0,96  spec 
Gew.)  mit  Schwefelwasserstoff,  Zusatz  von  180  Th.  Ammoniaklösung  und  60  Th. 
Schwefel  erhaltenen  Schwefelammonium,  kocht  bis  aUes  Schwefelammonium  unter 
Absatz  von  Schwefel  zersetzt  ist,  filtrirt  und  dampft  ein  (Lieb ig). 

Farblose,  zerfüessliche,  in  Wasser  und  Alkohol  sehr  lösliche  Tafeln,  die  bei 
1470  schmelzen  und  sich  bei  weiterem  Erhitzen  zersetzen  unter  Entweicheu  von 
Schwefelkohlenstoff,  Schwefelwasserstoff  und  Ammoniak,  während  Melam  (S*  693) 
zurückbleibt,  welches  schliesslich  in  Mellon  (§.  699)  übergeht 

Sulfocyankalium.  Man  schmilzt  Gyankalium  mit  SchwefeL 
Oder  man  schmilzt  Ferrocyankalium  (2  Th.)  mit  Schwefel  (1  Th.)  oder 
man  schmilzt  kohlensaures  Kali  (17  Th.)  mit  Schwefel  (32  Th.)  zu 
Schwefelleber  und  trägt  trocknes  Blutlaugensalz  (46  Th.)  ein  (Henne* 
berg).  Man  zieht  am  zweckmässigsten  mit  heissem  Alkohol  aus.  Daa 
Sulfocyankalium  krystallisirt  in  wasserhellen  Nadeln  oder  Säulen,  die  dem 
Salpeter  ähnlich  sind;  es  ist  zerfliesslich ,  sehr  löslich  in  Wasser,  löslich 
in  kaltem,  weit  reichlicher  in  heissem  Alkohol.  Es  schmilzt  bei  Luft- 
abschluss  ohne  Zersetzung,  dabei  wird  es  zunächst  braun,  dann  grfin,  zu- 
letzt schön  indigblau,  beim  Erkalten  aber  wieder  farblos  (Nöilner). 

Von  den  übrigen  Sulfocyansäuresalzen  sind  die  tou  Natrium,  Calcium, 
Magnesium,  Baryum  und  Strontium  leicht  löslich,  sie  geben  mit  Queck- 
silbercyanid  krystallisirbare  Doppelverbindungen.  Sulfocyansink  ist  ebttifiUls 
löslich,  Sulfocyankadmium  weniger;  beide  sind  krystaUisirbar.    Daa  Sulfo- 


Solfoeyanstoie.  351 

cyansilber  ist  ein  weisser  käsiger  Niederschlag,  unlöslich  in  Wasser  nnd  in  ver- 
dflnnten  Säuren*,  es  löst  sich  in  Ammoniak  und  krystallisirt  beim  Verdunsten  des 
Ammoniaks;  es  löst  sich  in  Sulfocyankalium  und  in  Sulfocyanammonium  nnd  er- 
sengt damit  Doppelsalze,  z.  B.:  CyAgB  4"  CyE$,  aus  deren  Lösung  durch  Zusatz  .; 
von  Wasser  oder  Salzsäure  kömiges,  auf  Zusatz  von  Ammoniak  krystallisirtes  Sulfo- 
cyansilber  ausfällt  —  Setzt  man  zu  einer  Lösung  von  Kupfervitriol  Sulfocyankalium, 
so  entsteht  ein  schwarzer  krystallinischer  Niederschlag  von  Sulfocyankupfer 
=  CyCuÖ,  das  durch  längeres  Waschen  oder  auch  beim  Stehen  in  der  Flüssigkeit 
zu  weissem  Halbsulfocyankupfer  CycuS  (dem  Eupferozydul  entsprechend) 
wird.  Dieses  weisse  Salz  wird  direct  erhalten,  wenn  man  ein  Gemenge  von  Kupfer- 
vitriol und  Eisenvitriol  mit  Sulfocyankaliumlösung  versetzt.  —  Durch  Auflösen  von 
metallischem  Eisen  in  Sulfocyansäure  wird  eine  grflne  Lösung  von  Eisensulfocyandr 
erhalten,  die  im  Vacuum  Krystalle  liefert.  Eisenoxyd  löst  sich  in  Sulfocyansäure 
mit  intensiv  rother  Farbe,  die  Lösimg  liefert  im  Vacuum  eine  krystallinische,  fast 
schwarze  Masse  von  Eisensulfo Cyanid  (Claus).  Dieses  intensiv  rothe  Salz 
entsteht  auch  in  wässriger  Lösung  durch  doppelte  Zersetzung  von  Eisen chlorid  und 
Solfocyankalin m  oder  Sulfocyananmionium.  Es  wird  seiner  intensiven  und  charak- 
teristischen Farbe  wegen  als  Reaction  auf  Eisenozydsalze  und  umgekehrt  aaf  Sulfo- 
cjransäure  und  auf  Blausäure  benutzt  (vgL  §.  626). 

PlatinsulfocyanTerbindungen  (Backton  1854)*).  Setzt  535. 
man  zu  kalter  Lösung  von  Sulfocyankalium  eine  Lösung  von  Platinclilo- 
rid,  80  entsteht  der  gewöhnliche  Niederschlag  von  Kaliumplatinchlorid 
(EPtCls).  Werden  die  beiden  Lösungen  warm  gemischt,  so  setzt  die  in- 
tensiv weinrothe  Flüssigkeit  nach  und  nach  gl&nzend  rothe  goldfarbige 
Blätter  von  Platinsulfocyankalium  ab.  Man  erhält  dieses  Salz  am 
besten,  indem  man  in  eine  Lösung  von  Sulfocyankalium  (5  Th.)  unter 
Erwärmen  Ealiumplatin chlorid  (4  Th.)  einträgt;  aus  der  heiss  filtrirten 
Lösung  krystallisirt  das  Salz  in  dunkelcarminrothen  grossen  sechsseitigen 
Tafeln.  Die  Bildung  dieses  Salzes  kann  als  doppelter  Austausch  der  Me- 
talle des  Kaliumplatinchlorids  gegen  die  äquivalente  Menge  Kalium  des 
Sulfocyankaliums  aufgefasst  werden: 


Cl,  h^       1^.^/         Ka]  Cy,ö,  =  8KC1  +  PtKCyaS, 

Das  Salz  ist  also  für  die  Sulfocyansäure  dasselbe,  was  das  Eatiumplatin- 
chlorid  für  die  Salzsäure  ist.  Es  kann  auch  als  Doppelsalz  von  Sulfocyankalium 
mit  Sulfocyanplatin  angesehen  werden:  KCyß  4*  PtOy^S).  Aus  dem  Kaliomsalz 
werden  durch  doppelte  Zersetzung  andere  Platinsulfo Cyanide  erhalten;  aus 
der  Bleiverbindung  kann  durch  Schwefelsäure  die  Platin  sulfocyansäure  abge- 
schieden werden. 

Platinchlorür  oder  KaliomplatinchlorOr  gibt  mit  Sulfocyankalium 
ein    ähnliches   Salz,     daa   Platinsnlfocyanürkalium   =   KPtCy^Bs 


•)  Ueb.  Jahresb.  1864.  880. 


352  Cyanverblndungen. 

(=KCyö  +  PtCySj,  welches  aus  der  orangerothen  Lösung  m  rothen 
mikroskopischen  Säulen  krjstaliisirt. 

586.  Selenocyansäure,  Selencyanwaseerstoffsäure  CyHSe. 

(Berzelius:  1820,  Crookes:  1851)*).  Das  Selen  bildet  Verbindungen, 
die  den  Sulfocyansäuresalzen  vollständig  analog  sind. 

687.  Persulfocyansaure.      Uebersch wefelblausäure;    Xanthanwasser- 

stoflfsäure  =  CyjHjSs  (Wo  hl  er  1821).  —  [Nach  der  Radicaltheorie 
WasserstofiverbinduDg  des  Radicals:  Xanthan  =  CyS}.] 

Ein  Zersetzungsproduot  der  Sulfocjansäure  (vgl.  §.  584).  Wird  am 
besten  erhalten,  indem  man  eine  concentrirte  Lösung  von  Sulfocyankaliuoi 
mit  Salzsäuregas  sättigt  oder  mit  concentrirter  wässriger  Salzsäure  mischt 
Es  entsteht  anfangs  ein  weisser  Niederschlag,  der  sich  bald  in  gelbe 
Krystallnadeln  verwandelt. 

Die  Persulfocyansaure  ist  in  kaltem  Wasser  unlöslich;  auch  in  sie- 
dendem Wasser  löst  sie  sich  nur  wenig  und  krystallisirt  beim  Erkalten 
in  langen  goldgelben  Nadeln.  Die  heisse  wässrige  Lösung  gibt  mit  essig- 
saurem Bleioxyd  ein  gelbes  Bleisalz:  CyjPb^Sj^  —  Die  Persulfocyansaure 
löst  sich  in  kalter  Schwefelsäure  ohne  Zersetzung  und  wird  durch  Was- 
ser gefällt.  Heisse  Schwefelsäure  und  heisse  Salzsäure  zerstören  sie  unter 
Bildung  von  Kohlensäure,  Ammoniak,  Schwefelwasserstoff  und  Schwefel. 
Durch  Alkalien  wird  sie  zerlegt  in  Sulfocyansäuresalz  und  Schwefel: 

CyjHjöa  =  2CyHS  +  & 

Beim  Erhitzen  zerßlllt  sie  unter  Entweichen  von  Schwefelkohlenstoff 
und  etwas  NHj,  dabei  entsteht  wahrscheinlich  Melam  ($.  593)  und  zu- 
letzt Mellon  (§.  599). 

088.  Pseudoschwefelcyan,  Persulfocyan,  sogenanntes  Seh wefelcy an, 

hat  man  das  orangegelbe  Pulver  genannt,  welches  durch  Chlor 
oder  Salpetersäure  aus  einer  Lösung  von  Sulfocyankalium  gefällt  wird 
(S.  584).  Man  hielt  diesen  Körper  anfangs  für  das  Radical  der  Sulfo- 
cyanverbindungen,  d.  h.  für  Schwefelcyan  CySj  =:  CyS.  Spätere  Ver- 
suche haben  gezeigt,  dass  er  stets  Wasserstoff  enthält;  seine  Zusammen- 
setzung ist  wahrscheinlich:  CysHSs  (Laurent  u.  Gerhardt);  er  kann 
dann  als  Persulfocyansaure  betrachtet  werden,  in  welcher  1  H  durch  Cy 
ersetzt  ist. 

Das  Pseudoschwefelcyan  ist  ein  amorphes  Pulver,  unlöslich 
in  Wasser,  Alkohol  und  Aether;  löslich  in  Schwefelsäure,  durch  Wasser 
daraus  f&llbar.    Beim  Kochen  mit  Alkalien  liefert  es  Sulfoeyansäuresalse; 


•)  Ueb.  Jahresb.  1851.  879. 


Amide  des  Cyans. 


353 


beim  Kochen  mit  Sehwefelwasserstofikalium  neben  andern  Produkten 
Sulfomellonkalium  (§.  597).  —  Beim  Erhitzen  KerfaUt  es  in  Schwe- 
felkohlenstoff, Schwefel  und  Mellon  (§.  599). 

Cyanverbindungen  des  Aofimoniaktyps. 

Wenn  man  annimmt,  das  Radical  Cjan  ersetze  nach  und  nach  den  589. 
Wasserstoff  des   Ammoniaks ,    so  hätte  man   die  folgenden   drei  Amide 
des  Cjans: 

Dicjanamid.        Tricyanamid. 

Cy)  Cy) 

CyVN  Cy^N 

=  ejNjH         =  e3N4 

Von  diesen  drei  Amiden  ist  nur  das  erste  mit  Sicherheit  bekannt 

Aber  gerade  so  wie  eine  mit  der  Cyansäure  polymere  Cyanur- 
s&ure,  ein  mit  dem  gasförmigen  Chlorcyan  polymeres  festes 
Chlorcyan  von  dreifacher  Moleculargrösse  existirt,  so  kennt  man  eine 
Verbindung  die  mit  dem  Cyanamid  polymer  ist  und  die  dreifache  Mo- 
leculargrösse besitzt,  das  Melamin: 

Gyanchlorid.  Gyansäure. 


Cyanamid. 

1t» 

=  eN,H, 


CyCl 

Cjanurchlorid. 
Cj,Cl, 


■st» 

Gyanursäure. 


Cyanamid. 
Cy) 

h(n 

Cyanuramid. 
(Melamin») 

H,i 


Das  Melamin  steht  demnach  zur  Gyanursäure  in  derselben  Beziehung  wie 
das  Gyanamid  zur  Gyansäure;  es  ist  das  Amid  der  Gyanursäure. 

Gerade  so  wie  gasförmiges  Ghlorcyan  von  selbst  in  festes  Ghlor- 
cyan,  wie  Gyansäure  in  Gyanursäure  übergeht,  so  verwandelt  sich  das 
Cyanamid  in  höherer  Temperatur  in  Melamin. 

An  das  Melamin  reihen  sich  noch  an  das  Ammeiin  und  die 
Melanurensäure,  zwei  Körper,  die  als  intermediär  zwischen  dem 
Melamin  und  der  Gyanursäure  angesehen  werden  können: 

Gyanursäure.  Melanurensäure.  Ammeiin.         Melamin. 

GaNaOjH,  ©aNi^iH«  e^NjOH«  e^^^E^ 


der: 

(ONOH 
eNGH 
eNOH 

eNOH 
€NeH 
eNNH, 

leNOH 
(©NNH, 

leNNH, 
{eNNH, 
^eNNH, 

Ktkal«,  orgu.  Cheml.. 

23 

354  Cyanyerbindimgpen. 

Die  Cjanursäure  kann  als  eine  VereiDigung  von  3  Molecfllen  Cjan- 
säure ,  das  Melamin  als  eine  Vereinigung  von  3  Molecflien  Gjanamid  zu 
einem  Molecül  angesehen  werden.  Ebenso  bilden  2  Mol.  Cyansänre  mit 
1  Mol.  Gjanamid  die  Melanurensäure ;  1  Mol.  Cyansäure  mit  2  MoL  Gjan- 
amid das  Ammeiin.  Daraus  erklärt  sich  die  Leichtigkeit,  mit  welcher 
das  Melamin  in  Ammeiin,  in  Melanurensäure  und  schliesslich  in  Gjanur- 
säure  übergeht  (§.  579). 

An  diese  Körper  schliessen  sich  ferner  an :  Melam ,  Ammelid ,  Hj- 
drothiomellon ,  Ghlorocjanamid ,  Gjamelursäure  und  Mellon. 

690.  Gjanamid.     Lässt  man  gasförmiges  Ghlorcjan  mit  trocknem  Am- 

moniakgas zusammentreten,  so  entsteht  eine  weisse  feste  Masse,  die  von 
B i n e a u  entdeckt  und  i^r  eine  directe  Verbindung,  fürGhlorcjanammo- 
niak  gehalten  wurde.  Gloßz  und  Gannizzaro  zeigten  (1861)  *),  dass 
sie  ein  Gemenge  von  Salmiak  und  Gjanamid  ist.  Lässt  man  die  beiden  Oase 
in  trocknem  Aether  zusammentreten,  so  scheidet  sich  Salmiak  aus  und 
die  Lösung  hinterlässt  beim  Verdunsten  krjstallisirtes  Gjanamid: 


)[E          jX^         CyjCl  (Gy 

N<^rj: '     ^^ ^  =       nJh      +      HCl. 

(5  ?H 

Flüssiges  Ghlorcjan  erzeugt  unter  gleichen  Bedingungen  dieselbe  Ver- 
bindung (Henke). 

Das  Gjanamid  schmilzt  bei  40®  und  krjstallisirt  beim  Erkalten.  Es 
ist  löslich  in  Alkohol  und  Aether,  an  feuchter  Luft,  zerflieaslich.  Es  löst 
sich  leicht  in  Wasser,  geht  aber  beim  Abdampfen  der  Lösung  in  Melamin 
über.  Durch  Aufnahme  von  Wasser,  z.  B.  bei  Zusatz  eines  Tropfens  Sal- 
petersäure zur  wässrigen  Lösung,  wird  es  zu  Harnstoff**): 

Gjanamid.  Harnstoff. 

eNjHj      +    HjO    =     G0N,H4 

Erhitzt  man  Gjanamid  auf  150®,  so  wird  es  plötzlich  unter  Wärme- 
entwicklung fest,  indem  es  in  das  poljmere  Melamin  übergeht  (Cloez 
und  Gannizzaro). 

691.  Melamin  —  OsN^H^.    Wird  ausser  durch  die  eben  erwähnte  Um- 

wandlung des  Gjanamids  noch  erhalten  durch  Einwirkung  siedender  ver- 
dünnter Kalilauge  auf  Melam  (§.  593)  (Lieb ig  1834)  und  langsames 
Eindampfen  der  Lösung.  Grosse  stark  glänzende  rhombische  Octa€der; 
löslich  in  Wasser,  unlöslich  in  Alkohol  und  Aether.  —  Es  gibt  mit  Säu- 


•)  Lieb.  Jabresb.  1851.  382. 

**)  Das  Gjanamid  ist  cjansaures  Ammoniak    minus  Wasser;    der  Harnstoff  ist 
mit  cyansaurem  Ammoniak  isomer  §.  578. 


Amide  des  CyaiiB.  355 

ren  krystallisirbare  Salze;    z.  B.:   G^'^fi^^  HCl   und   mit  salpetersaurem 
Silberoxyd  einen  krystallinischen  Niederschlag:  OsN^H«  -|*  AgOjN. 

Pollen  —  OjK^Hg  (isomer  mit  Melamin)  ist  nach  Völkel  das  weisse  oder  692. 
gelb  weisse  Pulver,   welches   bei  längerem  Erhitzen  von  Sulfocyanammonium   auf 
300*  entsteht.    Lieb  ig  hftlt  es  für  identisch  mit: 

Melam  >-  6«NiiH,  (Liebig  1884).  Man  erhftlt  diesen  Körper  durch  Er-  598. 
hitzen  eines  Gemenges  von  Sullbcyankalium  (1  Th.)  mit  Salmiak  (2  Th.).  Man 
wäscht  den  Rückstand  mit  Wasser  und  kohlensaurem  Kali  und  löst  durch  Kochen 
in  massig  concentrirter  Kalilauge.  Beim  Erkalten  scheidet  sich  das  Melam  als 
weisses  kömiges  Pulver  aus.  Durch  längeres  Kochen  mit  Alkalien  wird  es  zu 
Melamin.  Es  zerfällt  beim  Erhitzen  in  Ammoniak  und  MeUon  (§.  699).  Beim 
Kochen  mit  verdünnter  Salzsäure  oder  Schwefelsäure,  sowie  beim  Behandeln  mit 
Salpetersäure  liefert  es  Ammeiin  (§.  594).  Dabei  entsteht  gleichzeitig,  bei  Ein- 
wirkung von  concentrirter  Schwefelsäure  wesentlich,  Ammelid  (§.  595).  Durch 
Kochen  mit  conc.  Salpetersäure  entsteht  Cyanursäure,  beim  Schmelzen  mit  Kali- 
hydrat cyansaures  Kali. 

Ammeiin  —  6SN5H50  (Lieb ig  1834).  Entsteht  beim  Kochen  von  Melam  594. 
mit  verdünnter  Schwefelsäure  oder  Kalilauge  oder  beim  Kochen  von  Melamin  mit 
verdünnter  Salpetersäure.  Es  wird  aus  den  Lösungen  in  Säuren  durch  Ammoniak 
oder  kohlensaures  Kali  als  weisses  voluminöses  Pulver  gefällt.  Es  verhält  sich 
gegen  Säuren  wie  eine  schwache  Base.  Mit  Salpetersäure  gibl  es  grosse  Krystalle : 
^sN^H^O,  N03H',  mit  salpetersaurem  Silberoxyd  einen  krystallinischen  Nieder- 
schlag: 61N5H50  4"  NOsAg.  —  Beim  Erhitzen  entwickelt  es  Ammoniak  und  lässt 
MeUon.  Von  concentrirter  Schwefelsäure  wird  es  zu  Ammelid,  von  schmelzendem 
Kalihydrat  zu  cyansaurem  Kali. 

Ammelid  —  6,NgHg0,  (Liebig  1884).  Wird  erhalten  durch  Lösen  von  596. 
Melam,  Melamin  oder  Ammeiin  in  Salpetersäure  oder  besser  in  concentrirter  Schwe- 
felsäure und  Fällen  mit  Alkohol  oder  kohlensaurem  Kali.  Weisses  in  Wasser  un- 
lösliches Pulver;  löslich  in  Säuren,  ohne  bestimmte  Salze  zu  bilden.  Es  gibt  mit 
salpetersaurem  Silberoxyd  eine  krystallisirte  Verbindung:  O^NgH^O,  +  2N03Ag. 
Bei  anhaltendem  Kochen  mit  Säuren  oder  Alkalien  geht  es  in  Cyanursäure,  beim 
Schmelzen  mit  Kalihydrat  in  cyansaures  Kali  über. 

Melanurensäure  —  €,N4H40a  (Wöhler  und  Liebig  1845).  Bei  an-  596. 
haltendem  Erhitzen  von  Harnstoff  bleibt  neben  Cyanursäure,  die  man  mit  lieissem 
Wasser  auszieht,  ein  weisses  kreideähnliches  Pulver,  unlöslich  in  Wasser,  löslich 
in  Alkalien  und  Säuren,  daraus  durch  Neutralisation  fällbar.  Beim  Erhitzen  gibt 
es  Ammoniak  und  Mellon,  beim  Kochen  mit  Alkalien  oder  Säuren  unter  Abgabe 
von  Ammoniak  Cyanursäure. 

Sulfomelanurensäure,    Sulfomellonsäure ,    Hydrothiomellon,   Schwefel-  597. 
mellonwasserstoffsäure  03N4H4$3  (Jamieson  1846).    Weisse  in  feinen  Nadeln  kry- 
stallisirende  Säure,  die  durch  Kochen  von  Pseudoschwefelcyan  (§.  588)  mit  Schwe- 
fel wasserstoffkalium   erhalten  wird.     Gibt  beim  Erhitzen  Schwefelwasserstoff  und 
Mellon-,  beim  Kochen  mit  Säuren  Cyanursäure. 

Chlorocyanamid  —  e,N5H,Cl  (Liebig  1884).    Entsteht  bei  Einwirkung  598. 
von  Ammoniak  auf  festes  Chlorcyan  ($.  568).    Weisses  Pulver,  selbst  in  siedendem 
Wasser  wenig  löslich.    Liefert  beim  Erhitzen   Mellon,    beim  Erwärmen  mit  Kali- 
laage  Ammelin  (§.  594). 

23  • 


356 


Cyanverbindüngen. 


ß9«.  Mellon.    Mit  dem  Namen:   Mellon  oder  rohes  Mellon  hat  man 

das  an  Kohlenstoff  und  Stickstoff  reiche  hellgelbe  Pulver  bezeichnet,  wel- 
ches bei  anhaltendem  Erhitzen  von  sulfocyansaurem  Ammoniak  oder 
Quecksilber,  von  Persulfocyansäure,  Pseudoschwefelcyan ,  Melam,  Mela- 
min,  Ammeiin,  Ammelid,  Melanurensäure,  Sulfomellons&ure  oder  Chlore- 
cjanamid  zurückbleibt  Die  zahlreichen  Analysen  dieses  Körpers  (von 
Liebig,  Völkel,  Laurent  und  Gerhardt  etc.)  gaben  wenig  überein- 
stimmende Resultate;  bei  den  meisten  wurde  ein  wenn  gleich  geringer 
Gehalt  an  Wasserstoff  gefunden. 

Es  scheint  als  ob  dieses  rohe  Mellon,  wenn  man  die  Zersetzung 
im  geeigneten  Moment  unterbricht,  aus  Dicyannramid  (Dreifach - Di- 
cyanaroid)  bestehe;  wenigstens  stimmen  einzelne  Analyst  genau  mit 
dieser  Formel  überein  *).  Durch  weiteres  Erhitzen  wird  der  Rückstand 
unter  Verlust  von  Ammoniak  stets  reicher  an  Kohlenstoff. 

Ob  es  gelingt  durch  langes  Erhitzen  allen  Wasserstoff  in  Form  von 
Ammoniak  auszutreiben  und  so  einen  Körper  von  der  Zusammensetzung 
des  Tricyanuramid's  (Dreifach -Tricyanamid's)  zu  erhalten  ist  noch 
nicht  mit  Sicherheit  festgestellt  •♦).  Bei  fortgesetztem  Erhitzen  verflüch- 
tigt sich  alles  und  es  entweicht  ein  Gemenge  von  Gyan  und  Stickstoff. 

Diese  Uebergänge  erscheinen  wahrscheinlich;  wenigstens  zeigen  die 
folgenden  Formeln,  dass  das  Cyanuramid  (Melamin)  durch  fortwährenden 
Verlust  von  Ammoniak  in  Melam,  Dicyannramid,  Mellonwas8er8toff(§.600) 
und  zuletzt  in  Tricyanuramid  übergehen  kann: 

Cyanuramid.  Melam. 

2G3NeHe      -      NH,    =       G«NnHg 


Cyanuramid. 

Dicyannramid. 

2G3NeHe      - 

-     3NH3 

=             G^NgHg 

♦)  Z.  B.  die  folgenden: 

Dicyanamid 

berechnet: 

gefanden: 

a. 

b.                c. 

VölkeL 

Laurent  u.  Gerhardt. 

e,      24      85.82 

86.57 

85.78           85.8 

N,       42      62.69 

62.85 

62.50          62.4 

H          1        1.49 

1.58 

1.77             Iß 

67     100.00 
a)  ans  Snlfocyanammoninm,  b)  ans  Pseudoschwefelcyan,  c)  aus  A  mm  Alm 

*)  Die  beim  Erhitzen  von  Qaecksilbersulfocyanfir  oder  Snlfocyanid  bleibenden 
Rückstände  können,  wenn  die  Salze  völlig  rein  sind,  nicht  wohl  Wasserstoff 
enthalten.  Beim  Erhitzen  von  Mellonquecksilber  bis  die  entweichenden  Gase 
auf  S  Vol.  Cyan  ein  VoL  Stickstoff  enthalten,  wird  nach  früheren  Angaben 
Liebig's  (Ann.  Chem.  Pharm.  L.  855.)  das  Mellon  reiner  erhalten  als  bei 
anderen  Darstellongsweisen. 


MeDonyerbindtmgen.  357 

Diojanmumid.  Hellonwasserstofl 

SGeNgH,        —      NH,    =         2GgNi,Ha 

HelloDwasserstoff.  Tricjanuramid. 

e^„H,      -    NH3  =       e^x. 

Das  rohe  Mellon  ist  eio  gelbes,  sehr  leichtes  und  stark  abfärben* 
des  Pulver,  unlöslich  in  Wasser.  Mit  kochender  Salpetersäure  gibt  es 
Cyanils&ure  ($.  681)  mit  Kalilauge  in  der  E&lte  Mellonkalium,  beim  Eo« 
eben  Cjamelursäure  ($.  601).  Beim  Erhitzen  mit  Kalium,  mit  Jodkalium, 
Bromkalium,  Sulfocjankalium  etc.  liefert  es  Mellonkalium. 

Mellonverbindungen  69N13M3*). 

Das  Mellonkalium  entsteht  ausser  durch  die  eben  angegebenen  Beac*  600. 
tionen  noch  bei  vielen  Zersetzungen ;  so  stets  durch  Einwirkung  einer  amid- 
artigen  Verbindung  des  Gyans  auf  Kalisalze,  durch  Einwirkung  einer 
Sulfocyanverbindung  auf  Kalisalze  oder  durch  Zersetzung  des  Sulfocjan- 
kaliums  unter  geeigneten  Bedingungen.  Trägt  man  z.  B.  rohes  Mellon  (oder 
calcinirtes  Melam  etc.)  in  schmelzendes  Sulfocjankalium,  so  wird  unter 
Entweichen  von  Schwefelkohlenstoff,  nicht  nur  aus  dem  angewandten 
Mellon,  sondern  mit  gleichzeitiger  Verwendung  der  Elemente  des  Sulfo« 
cyankaliums  Mellonkalium  gebildet  Trägt  man  Sulfocyankupfer  in  schmel- 
zendes Sulfocjankalium,  so  entweicht  Schwefelkohlenstoff  und  es  bleibt 
Bchwefelmetall  und  Mellonkalium.  Auch  durch  Erhitzen  von  Schwefel 
und  Blutlaugensalz  (z.  B.  bei  zu  starkem  Erhitzen  des  zur  Darstellung  von 
Sulfocjankalium  dienenden  Gemenges  (§.  584)  wird,  offenbar  durch  ge* 
genseitige  Zersetzung  des  anfangs  gebildeten  Sulfocjankaliums  und  Sulfo» 
cjaneisens,  Mellonkalium  gebildet.  Alle  diese  Bildungen  aus  Sulfocjan- 
metall  sind  verständlich,  wenn  man  sich  erinnert,  dass  ein  Sulfocyan- 
metall  die  Elemente  von  Schwefelkohlenstoff,  Schwefelmetall  und  Mellon- 
metall  enthält: 

Sulfocjanmetall.  Mellonmetall. 

13GNSM         =  G,N„M,    +    öM^S    +    4GS, 

Lieb  ig  empfiehlt  zur  Darstellung  von  Mellonkalium:  Eintragen  von 
Antimonchlorür  (3  Th.)  in  schmelzendes  Sulfocjankalium  (7  Th.).  Das 
Antimon  bindet  dabei  einen  Theil  des  Schwefels  während  ein  anderer 
Theil  als  Schwefelkohlenstoff  entweicht  Das  so  erhaltene  Mellon- 
kalium ==  G0N13K3  +  5H2O  stellt  weisse  sehr  feine  Nadeln  dar,  die 
in  heissem  Wasser  sehr  löslich  sind,  in  kaltem  weniger  (100 Th.  Wasser 


*)  VgL  Liebig's  Untersuchungen  über  Hellonverbindungen.  Ann.  Cbem.  Pharm. 
X.  8;  L.  337;  LVH.  111  j  LXI.  262;  XCV.  257. 


358  Cyanverblndongen^ 

—  2,67  Th.)  und  in  Alkohol  unlöslich  sind.  Aus  diesem  neutralem  Salz 
erhält  man  ein  saures  Salz:  OgN^HEj  -f-  3H2O  in  glänzenden  Erystall- 
blättchen,  wenn  man  die  heisse  wässrige  Lösung  mit  Essigsäure  versetzt 
Ein  anderes  saures  Salz  =  6QN13H2K,  entsteht  als  weisser  Niederschlag, 
wenn  man  die  Lösung  des  neutralen  Salzes  inSalzsAure  giesst.  Mellon- 
silber  und  Mellonquecksilber  sind  weisse  Niederschläge;  aus  letz- 
terem erhält  man  durch  Schwefelwasserstoff  die  Mellonwasserstoffsäure 
in  wässriger  Lösung.  Das  Mellonquecksilber  zerßbllt  beim  Olflhen  in  ein 
Gemenge  von  4  Vol.  Stickgas  und  9  Vol.  Gjan;  das  Mellonsilber  hinter- 
lässt  dabei  Paracjansilber. 

Kocht  man  Mellonkalium  mit  Salzsäure,  so  entsteht  Salmiak,  Chlor- 
kalium  und  Cyanursäure;  durch  Kochen  mit  Salpetersäure  entsteht  Cjanil- 
säure  (§.  581);  durch  anhaltendes  Kochen  mit  Kalilauge  entsteht  unter 
Entweichen  yon  Ammoniak  Ammelid  und  Gyamelnrsäure  ($.601);  später 
Melanurensäure  und  endlich  Cyanursäure. 

601.  Cyamelursäure  O^N^HsOj  (Henneberg  1860).    Beim  Kochen  von  Mel- 

lonkalium  oder  rohem  Mellon  mit  Kalilauge  entsteht  das  Kalisalz  dieser  S&ure,  aus 
dem  durch  doppelte  Zersetzung  die  anderen  Salze  und  d^e  Säure  selbst  dargestellt 
werden. 


602.  Die  folgende  Tabelle  ist  vielleicht  geeignet  die  Beziehungen  der  im 

Vorhergehenden  beschriebenen  amidartigen  Verbindungen  des  Cyans  un- 
tereinander und  zu  der  Cyanursäure  klarer  hervortreten  zu  lassen: 

In  der  ersten  Spalte  sind  die  einfacheren  dieser  Verbindungen  in  empiri- 
schen Formeln  dargestellt  Man  sieht,  dass  Ammeiin  und  Melanurensftur e 
intermediär  sind  zwischen  Cy an ur am id  (Melamin)  und  Cyanursäure.  Jedes 
niedere  Glied  unterscheidet  sich  von  dem  höheren  dadurch,  dass  NH^  durch  HO 
ersetzt  ist,  (Verhältniss  einer  Säure  zu  ihrem  Amid).  —  Die  Sulfomelanuren- 
säure  (Hydrothiomellon  §.  597)  ist  Melanurensäure,  deren  Sauerstoff  durch 
Schwefel  ersetzt  ist. 

Die  zweite  Spalte  enthält  die  Formeln  derselben  Körper  verdoppelt  um 
die  Yergleichung  mit  Melam  und  Ammelid  zu  erleichtem.  Das  Melam  ist  Mela- 
min minus  Ammoniak.  Das  Ammelid  steht  zwischen  dem  Ammei  in  und  der 
Melanurensäure  in  derselben  Weise  in  der  Mitte,  wie  das  Ammeiin  zwischen 
Melamin  und  Melanurensäure  und  wie  die  Melanurensäure  zwischen 
Ammei  in  und  Cyanursäure.  Ammeiin,  Ammelid  und  Melanurensäure  sind 
also  Uebergänge  des  Cyanuramid's  (Melamin's)  in  Cyanursäure;  Uebergänge,  die 
in  der  That  durch  Säuren  und  durch  Alkalien  verwirklicht  werden  können.  Dabei 
entsteht  durch  Aufiiahme  von  Wasser  and  Austreten  von  Ammoniak  stets  ein  der 
Säure  näher  stehender  Körper  und  schliesslich  die  Säure  selbst    Man  hat: 


Amide  des  Cyans.  359 

Melamin.  Ammeiin. 

Ammeiin.  Ammelid. 

S^aN^H^e    +    Hje    —    NH,     =    egN,H,0a 

Ammelid.  MelanurenBäore. 

e,N,H,0,    +    HjO    —    NH,    =    2€,N4H4ea 

Melanurenaämre.  Cyanarsäure. 

e,N4H40a    +    HjO    -    NH,    =    e,N,H,^, 

In  der  dritten  Spalte  sind  die  Formeln  so  geschrieben,  dass  die  Körper 
als  Additionen  von  einem  Amid  des  Cyans  mit  Cyansfture,  einer  andern  Oyan- 
▼erbindnng  oder  mit  Ammoniak  betrachtet  werden  können.  Das  Melamin  ist  dreimal 
Cyanamid;  Ammelin,  Ammelid  and Melanurensäure  enthalten  2  oder  1  Cyanamid 
mit  1  oder  2  Cyansäure.  Die  Sulfomelanurensäore  ist:  Cyanamid  4-  2  Sulfocyan- 
säore,  das  Chlorocyanamid  ist  2  Cyanamid  ^  Chlorcyan.  —  Mellonwasserstoff 
erscheint  als  STricyanamid  4*  Ammoniak  (oder  auch  als  3  Dicyanamid  4*  ^ 
Tricyanamid).  Melam  als  2  Tricyanamid  »f-  ^  Ammoniak  (oder  auch  als  3  Cyan- 
amid -f-  2  Dicyanamid).    Die  Cyamelurstture  ist:  Tricyanamid  4-  Cyanarsäure. 

In  der  vierten  Spalte  endlich  sind  die  Formeln  typisch  geschrieben,  mit 

Annahme  des  dreiatomigen  Radicals:  BJS^  (Radical  der  Cyanursäare  und  des 
festen  Chlorcyan's).  Man  sieht,  dass  alle  diese  Körper  noch  durch  verhältnissmäs- 
sig  einfache  Formeln  dargestellt  werden  können.  Das  Melamin  ist  das  Amid  dieses 
Radical's.  Ammeiin  und  Melanurensäure  sind  die  beiden  Aminsäuren  Das  Am- 
melid und  die  Cyamelursäure  sind  Aminsäuren  von  compUcirterem  Typus.  Das 
Melam  und  die  Mellonwasserstoffsäure  sind  complicirter  zusammengesetzte  Amide; 
das  Melam  steht  zwischen  dem  Cynuramid  und  dem  Diacyanuramid;  die  Mellon- 
wasserstoffsäure nähert  sich  dem  Tricyanuramid  *). 


*)  Gerhardt  hält  das  Melam  für  isomer  mit  dem  Melamin;  das  Ammelid  für 
identisch  mit  Melanurensäure.  Für  die  Mellonverbindungen  hatte  Lieb  ig 
früher  die  Formel:  OjNfM  oder  O^NgM,  gegeben.  Gerhardt  schlug  die 
Formel:  O^N^HM)  vor,  um  die  Mellonwasserstoffsäure  als  Amid  des  Cyans 
betrachten  zu  können.  Für  die  Cyamelursäure ,  deren  Formel  Henneberg 
unentschieden  gelassen  hatte  (G^N^OaHa  oder  6iN^03H4)  gebraucht  Ger- 
hardt die  Formel:  6eN803H4.  In  neuerer  Zeit  hat  Lieb  ig  für  die  Mellon- 
verbindungen die  Formel:  G^NuM,,  für  die  Cyamelorsäure  die  Formel: 
GaN^O^Ha  festgestellt.  Er  hat  dabei  mit  Recht  hervorgehoben,  dass  die  Re- 
sultate experimenteller  Arbeiten  wohl  durch  neue  Versuche  widerlegt,  nicht 
aber  durch  Interpretation  bei  Seite  geschoben  werden  können.  Wir  ziehen 
es  desshalb  vor,  die  Versuchsresultate  vorerst  als  solche  gelten  zu  lassen 
und  die  Beziehungen  dieser  merkwürdigen  Körper  so  weit  hervorzuheben, 
als  dies  bei  dem  jetzigen  Stand  unserer  thatsächlichen  Kenntnisse  und  un- 
serer theoretischen  Ansichten  möglich  ist. 


360 


Cjaaycrbindmigen. 


Kamen. 
Melam 
llelamin 

Axnmelin 

Ammelid 

Mdannrenaänre 
CyanoTBäure 

SoUbmelanarensftare 
Chlorocyanamid 

Cyameliirsäiire 
Mellonwassentoffsänre 


6jN«H« 


Gj^aga^'O^ 


eaNjH^Cl 


IL 


öfNiA 


6fN|3Hi3 


OfNjoHi^O, 


^•^AOj 


6gNgH,04 


G^N^H^O« 


€,N,H,0, 


^•NijH, 


m. 


2Cy,N) 

8HaNi 


SCyHaN 


2CyHaN) 
CyHOi 


CyH,N| 


CyHaN) 
2CyHol 


8CyH0 

CyHaNi 
2CyH  BS 

2CyHaNi 
CyCl    i 


Cy,N  { 


3CyjN 


IV. 


•e,N. 


H.) 


H, 


^. 


e: 


H.^ 


FetOcOrper.  361 


Erste  Klasse. 
Fettkörper. 


Die  Oruppe  der  Fettkörper  amfasst  alle  die  Substanzen,  in  welchen  i 
man    die  Eohlenstoffatome   als  in   einfachster  Weise  aneinandergelagert 
annehmen  kann  (vgl.  §.  273). 

Die  folgende  Tabelle  ist  vielleicht  geeignet  die  Beziehungen  der  die- 
ser Eörperklasse  angebörigen  Substanzen  und  der  von  der  Tjpentheorie 
in  ihnen  angenommenen  Radicale  hervortreten  zu  lassen.  Die  Tabelle 
enthält  ausser  den  allgemeinen  Formeln  noch  als  Beispiele  die  Formeln 
einzelner,  den  verschiedenen  Gruppen  zugehörigen  Verbindungen.  Es  sind 
dabei  die  dem  Wassertjp  zugehörigen  Verbindungen  gewählt,  weil  diese 
in  den  meisten  Fällen  besonders  wichtig  sind  und  weil  sie  häufig  den 
Ausgangspunkt  für  die  Darstellung  anderer  Verbindungen  derselben  Radi- 
cale darbieten. 

Die  leitenden  Ideen  dieser  Klassifikation  sind  §.  383  entwickelt^  es 
ist  dort  und  §§•  296  ff.  gezeigt  worden,  dass  dieBasicität  eines  Radicäles 
durch  Austritt  von  je  1  Atom  H  stets  um  eine  Einheit  erhöht  wird,  so 
dass  aus  einatomigen  Radicalen  durch  Austritt  von  1  At  H  zweiatomige, 
aus  diesen  durch  Austritt  von  1  At.  H  dreiatomige  Radicale  entstehen 
u.  s.  f.  —  Es  mag  jetzt  zugefügt  werden ,  dass  die  dem  Wassertjp  zu- 
gehörigen Verbindungen  der  nur  Kohlenstoff  und  Wasserstoff  enthaltenden 
Radicale  (Kohlenwasserstoffradicale)  die  sog.  Alkohole  sind,  während 
die  dem  Wassertjp  zugehörigen  Verbindungen  der  sauerstoffhaltigen  Ra- 
dicale den  Charakter  von  Säuren  besitzen.  Es  zeigt  sich  femer,  dass 
diejenigen  Säuren,  deren  Radicale  1  At.  0  enthalten  einbasisch  sind, 
d.  h.  1  At.  des  tjpischen  Wasserstoffs  besonders  leicht  gegen  Metalle 
austauschen  (selbst  wenn  2  oder  3  Atome  tjpischen  Wasserstoffs  vorhan- 
den sind);  dass  die  Säuren  der  2  At.  O  enthaltenden  Radicale  zwei- 
basisch und  die  drei  At.  0  im  Radical  enthaltenden  Säuren  drei- 
basisch sind.  Die  Basicität  einer  Säure,  d.  h.  die  Anzahl  der 
Wasserstoffatome,  die  besonders  leicht  gegen  Metalle  ausgetauscht  wer- 
den, ist  also  unabhängig  von  der  Atomigkeit  des  Radicals  und  von 
der  Gesammtzahl  der  tjpischen  Wasserstoffatome  aber  abhängig  von  der 
Anzahl  der  im  Radical  enthalten  Sauerstoffatome  (vgl.  §§.215,  216,  293). 
Man  muss  demnach  Basicität  von  Atomigkeit  unterscheiden.  So 
sind  z.  B.  die  Gljcolsäure  und  die  Milchsäure  zweiatomig  aber  ein- 
basisch; die  Gljcerinsäure  ist  dreiatomig  und  einbasisch. 


362 


Fettkdrper. 


604. 


Alkohole. 


einbasisch. 


Säuren 
sweibasisch.       dreibasisch. 


einatomig. 


Gruppe  L 


©.Hj.  4-^1^ 


Aethylalkohol. 


Propylalkohol. 


Gruppe  IL 


Essigsfture. 


Hl 
PropionsKure. 


zweiatomig. 


Gruppe  in. 


©nHini 


'^«. 


Gruppe  IV. 

1«. 


enHto_iei 


e,a 


GlycoL 


GAeu 

Glycolstture. 


6jHe 

H. 


PropylglycoL 


IS«. 


Milchsäure. 


Gruppe  V. 

e«©.U 

Ozais&nTe. 


Bernsteinsäure. 


ii«. 


dreiatomig. 


Gruppe  VI. 

GnH2n-lirv 

H,      f^» 
Glycerin. 


Gruppe  VII. 

e„H2„-3eu 

Haf^» 
Glycerinsäure. 


Gruppe  VIII. 
Aepfelsäure. 


Angemrane  Keactionen, 


363 


Alkohole. 

einbasisch. 

Säuren 
zweibasisch. 

dreibasisch. 

vicratomig. 

GnH2n-2U 

e„H2n>4eu^ 

Mannitan.  (?) 

Gruppe  IX. 

IV 

Weinsäure. 

Gruppe  X. 

IV 

GiiHln-sOjl^ 

IV 

atronens.  (?)  ♦) 

einatomig. 

Gruppe  XI. 
H       f^ 

Er 

AUylalkohol. 

Gruppe  XII. 
AcrylflÄure. 

Besonderes  Interesse  bieten  diejenigen  Metamorphosen  dar,  bei  wel- 
chen aus  Substanzen,  die  ein  bestimmtes  Radical  enthalten,  Verbindungen 
▼on  anderem  Radical  erzeugt  werden.     Die  wichtigsten  dieser  Metamor- 
phosen sind  im  Folgenden  zusammengestellt. 
I.  Uebergang  eines  Radioais  in  ein  anderes  von  gleichem 
Kohlenstoffgehait    und   gleicher  Basicität    —    Vertretung 
von  Wasserstoff  durch  Sauerstoff. 

Durch  oxjdirende  Einflüsse  gehen   die  Alkohole  (Gruppe  I.)  in  Al- 
dehyde und  in  Säuren  (Gruppe  II.)  über  (§§.  212.  285  und  620).    Z.  B.; 
Aethylalkohol.  Aldehyd.  Essigsäure. 

G,H,Gj  ©AGj^ 

Die  Glycole  (Gr.  III.)   liefern  Säuren  der  Milchsäurereihe  (Gr.  IV.), 
die  ihrerseits  wieder  in  Säuren  der  Oxalsäurereihe  (Gr.V.)  übergehen**): 
Glycol.  Glycolaäure.  Oxalsäure. 


^^o 


e^i 


ii«. 


©aH-Ol 

H, 


% 


e.»i». 


H, 


♦•)  Wurti.  1866. 


ri 

e.H, 


5:h' 


ri 
GiH40; 


605. 


*)  Die  Citronensäure  und  das  Mannitan  sind  in  der  Tabelle  aufgeführt,  obgleich 
ihre  typischen  Formeln  noch  nicht  mit  Sicherheit  festgestellt  sind.  Wahr- 
scheinlich werden,  nach  genauerer  Untersuchung,  sich  noch  eine  Anzahl  an- 
derer Substanzen  dieser  Tabelle  einordnen  lassen;  z.  B.: 

Zucker.  Mannit.  Zuckersäure. 


364  FetOcOrper. 

Ebenso  geht  Glycerin  (Gr.  VI.)  in  Glycerins&ure  (Gr.  Vn.)  über^): 
Gljcerin.  Glycerins&ure. 

und  AUylalkohol  (Gr.  XI.)  wird  zu  Acrolein  und  Acrylsäure  (Gr.  XIL)  ••) : 
AUylalkohoI.  Acrolein.  Acrylsäure. 

«»H|je  ^»H,ej  e.H,0j^ 

In  umgekehrter  Weise  den  8auersto£f  eines  Badicales  wieder  dnroh 
Wasserstoff  zu  ersetzen,  ist  bis  jetzt  nicht  gelungen. 
606.     IL  Uebergang  eines  Radicals  in  ein  anderes  von  gleichem 
Eohlenstoffgehalt  aber  von  veränderter  Basicität: 
A.  Durch  Austritt  von  Wasserstoff  und  umgekehrt    Die 
Verbindungen  der  einatomigen  Radicale  (Gr.  L)  gehen  durch  Verlust 
von  1  At.  H  in  zweiatomige  Radicale  (Gr.  IIL)  aber: 

Aethylalkohol.  Aelhylen.  Carbylsulfat         Isäthionsäure. 

I  »  n  «IT    • 

Die  zweiatomigen  Radicale  (Gr.  III.)  gehen  durch  Verlust  von 
1  At.  H,  die  einatomigen  Radicale  (Gr.  I.)  durch  Verlust  von  2 
At.  H  über  in  dreiatomige  Radicale  (Gr.  VI.).     Z.  B.: 

Methylchlorid.  Chloroform.  s.  g.  dreibasischer 

Ameisensäureäther. 

GBa.Cl  GH.a,  GHU 

Ebenso  gehen  die  einatomigen  Radicale  der  einbasischen  Säu- 
ren (Gr.  II.)  durch  Verlust  von  1  At  H  über  in  Verbindungen  der  zwei- 
atomigen Radicale  (Gr.  IV.).    Z.  B.  ♦*♦): 

Iure.  Glycolsäure.  Glycocoll.  Sulfoessigsäure. 


Ö2H3O1 


^'^*^je  ^^^^ 


•)  Debus  1857    (Ann.  Chem.  Pharm.  CVI.   79).      Socoloff  1868   (Ann.  (3hem. 

Pharm.  CVI.  95). 
**)  Cahours  und  Hofmann  1866.  (Ann.  Chem.  Pharm.  C.  866;  CIL  285). 
*<*)  R.  Hofmann  1857.  Ann.  Chem.  Pharm.  CII,  12;   Eekul^  1858.  Ann.  Chem. 
Pharm.  CV.  286;  Perkin  und  Duppa  1868.  Ann.  Chem.  Pharm.  CVIIL  106. 


Allgemeine  Reactionen. 


365 


Endlich  kann  die  Bernsteinsäure  (Or.V.),  indem  ihr  Radical  2  AtH 
verliert,  in  Weinsäure  (Gr.  IX.)  umgewandelt  werden  •): 


Bemsteinsäure. 


Weinsäure. 

IV 

©4H2O. 


2ä«- 


Solche  Metamorphosen  sind  bis  jetzt  durch  drei  Reactionen  ausgeiTihrt: 

1)  Die  dem  Wassertyp  zugehörige  Verbindung  des  Radicals  verliert  unter 
dem  Einfluss  wasserentziehender  Substanzen  Wasser,  indem  der  typische 
Sauerstoff  mit  dem  typischen  Wasserstoff  und  1  At.  H  des  ^Radicals  aus- 
tritt, z.  B.  Alkohol  zu  Aethylen. 

2)  Durch  Einwirkung  von  Schwefelsäureanhydrid  (vgl.  §.  355) ,  z.  B.  Bildung 
von  Carbylsulfat  und  von  Isäthionsäure  aus  Alkohol,  Bildung  von  Sulfo- 
essigsäure  aus  Essigsäure. 

8)  Durch  vorhergehende  Vertretung  des  Wasserstoffs  im  Radical  durch  Chlor 
oder  Brom.  So  stellfc  man  z.B.  aus  Essigsäure  zunächst  Monochlor-  oder 
Monobromessigsäure  dar,  die  sich  dann  mit  Wasser  oder  mit  Ammoniak 
zu  Glycolsäure  oder  zu  Glycocoll  umsetzen  (vgl.  §.  802).  Ebenso  bereitet 
man  aus  Bemsteinsäure  zunächst  Bibrombemsteinsäure,  deren  Silbersab 
dann  mit  Wasser  sich  zersetzt  unter  Bildung  von  Weinsäure. 

In  umgekehrter  Weise   gehen   die   Radicale   durch  Aufnahme  von  607. 
Wasserstoff,  ohne  weitere  Veränderung,  in   andere  Radicale  von  gerin- 
gerer Basicität  über  *♦).    Bo  wird : 

Aus  Aethylen  durch  Einwirkung  von  Balzsäure  oder  von  Schwefel- 
sftnre: 

Aethylen.      Aethylchlorid.      Aethylschwefelsäure.      Alkohol. 

GaH4         eA.ci  eX)  6Au 


Ebenso  entsteht   ans   Koblenozyd  (Or.  lY.)    durch  Ealihydrat  die 
Ameisensäure  (Gr.  IL)  *♦♦). 


Eohlenozyd. 

ee 


Ameisensäure. 


'S« 


Ans  Glycerin  entsteht  durch  Einwirkung  von  Jodphosphor  (P2J4) 
erst  Jodpropylen,  welches  durch  umgekehrte  Substitution  za  Propylen 
wird  f  ) : 


*)  Perkin  und  Dnppa  1860. 
••)  Berthelot  1855.  Ann.  Chem.  Pharm.  XCIV.  78. 
•••)  Berthelot  1866.  Ann.  Chem.  Pharm.  XCVU.  126. 
f)  Berthelot  u.  Luca  1854.  Ann.  Ohem.  Pharm.  XdL  806.  Jahresb.  1864.  46L 


366 


Fetdcörper. 


Glycerin. 


H. 


Propylen. 


In  ganz  ähnlicher  Weise  kann  die  Milchs&ure  (Gr.  IV.)  durch  Ein- 
wirkung von  Jodwasserstoff  (oder  auch  durch  Einwirkung  von  Phosphor- 
superchlorid und  weitere  Metamorphose  des  Productes)  zu  Propionsäure 
(Gr.  II )  reducirt  werden  *) : 

Milchsäure.  Propionsäure. 


'1^1*. 


«A»}e 


Und  ebenso  (gleichfalls  durch  Jodwasserstoff)  die  Weinsäure  (Gr.  IX.) 
und  die  Aepfelsäure  (Gr.  VIII.)  zu  Bemsteinsäure  (Gr.  V.)  **) : 


Aepfelsäure. 

Bernsteinsäure, 

w^«. 

Weinsäure. 

Bernsteinsäure, 

e«H,e,u 

W.U 

608.      B.  Durch  Austritt  von  Sauerstoff  und  umgekehrt 

Hierher  gehört  die  Bildung  der  Nitrile  (Radical  von  Gr.  VI.)  aas 
den  Säuren  und  Amiden  der  Gruppe  IL;  und  umgekehrt  die  Wieder- 
erzeugung dieser  Amide  und  Säuren  aus  den  !Nitrilen ;  femer  die  Bildung 
von  Ameisensäure  aus  Chloroform  etc. 


Essigsäure.  Acetamid. 


Chloroform. 
GH.Cl, 


O2H3O 


HJN 


Acetonitril. 
eaH,N 


Acetdiamid 


s:|n. 


Cyanwasserstoff. 

eH.N 


Ameisensäure. 


'S!» 


Die  Bildung  der  Nitrile  ans  den  Amiden  und  den  Ammoniakaalzen  der  ein- 
basischen Säuren  zeigt  eine  gewisse  Analogie  mit  der  Bildung  der  zweiatomigen 
Kohlenwasserstoffe  (Gr.  lU.)   aus  den  Alkoholen  (Gr.  L).      In  beiden  FttUen  wird 


*)  Ulrich  1859.  Ann   Chem.  Pharm.  CIX.  266;  —  Lautemann  I86O.  Ann.  Chem. 

Pharm.  CXUL  217. 
^^)  Schmitt  1860.  Ann.  Chem.  Pharm.  CZIV.  106. 


Allgemeine  Reactionen.  367 

durch  Einwirkung  wasserentziehender  Substanzen  der  organischen  Verbindungen 
Wasser  entzogen.  Aber  bei  Bildung  der  Kohlenwasserstoffe  verliert  das  organische 
Radical  Wasserstoff;  bei  Bildung  der  Nitrile  gibt  das  organische  Radical  Sauerstoff 
ab,  der  mit  dem  Wasserstoff  des  unorganischen  Radicals  Ammonium  zu  Nasser 
zusammentritt 

Aethylalkohol.  Essigsaures  Ammoniak. 

Aethylen. 


Wasser. 


e^,    0 

e 

N       Ha 

H, 

nitril.  iWasser. 

Wasser. 

Äeetamid. 

m.  Uebergang    elDes    Radicals    in    ein     anderes,     weiches 
1  At  6   mehr  oder  weniger  enthalt*). 

A.  Aufnahme  von  1  At.  €. 

Die  einatomigen  Radicale  (Gr.  I.)  sind  Ahig  durch  Aufnahme  von  ^^• 
1  At.  €  einatomige  Radicale  der  Gruppe  U. ,    und  dreiatomige  Ra- 
dicale der  Gruppe  VI.  zu  erzeugen.    Man  hat  z.  B.: 

Hethyljodid.  Gyankalium.  Cyanmethjl.  Acetonitril 

e^Ha.J         4-  KGN        =    Ei    +      G.Hy.GN  identisch  mit  GtH,.» 

Dieses,  das  Acetonitril,  gibt  dann  durch  Aufnahme  von  Wasser  Essig- 
säure : 

Cyanmetyl.  Acetonitril.  Essigsäure. 

GHj.GN     identisch  mit      GjHg.N    +  2Hae  =   G,HjOj^    ,    jjg 

Man  hat  ferner  ♦♦): 

Natriumäthyl.  Kohlensäure.  Propionsaures  Natron. 

GjHj.Na        +  GGa  =  ©jHs^U 

Naf^ 


*)  Alle  diese  Metamorphosen  können  auch  in  anderer  Weise  aufgefasst  werden. 
Man  kann  nämlich  die  sauerstoffhaltigen  Radicale  weiter  auflösen,  d.  h.  als 
aus  zwei  Radicalen  bestehend  betrachten.    Z.  B.: 


Easigsfture. 

MUchsilare. 

Olycerinsänre 

Diese  Anschauungsweise  wird  spfiter  genauer  erörtert  werden. 
«*)  Wanklyn  1867.  Ann.  Ghem.  Pharm.  CVU.  126. 


368  Fettkörper. 

In  ähnlicher  Weise  gibt  Aldehyd  (Gr.  II.)  mit  Blausäure  das  Ala- 
nin ,  aus  welchem  dann  Milchsäure  erhalten  werden  kann  (6r.  IV.)  *) : 

«  Aldehyd.  Cyanwasserstoff.  Alanin.        llilchsäure. 

631140^* 

610.       B.  Verlust  von  1  At.  G.  (vgl.  §.  287). 

Reactionen  der  Art  sind  sehr  häufig,  die  meisten  sind  indess  nur 
bei  einzelnen  Gliedern  der  betreffenden  Gruppen  ausgeführt. 

Allgemein  für  alle  Glieder  der  Gruppe  ist  die  folgende  Reaction. 
Jede  Säure  der  Gruppe  IL  gibt  bei  elektrolytischer  Zersetzung  ihrer  Salze 
das  um  1  At.  G  ärmere  Radical  der  Gruppe  1.  ♦*).   Z.  B. : 

Essigsäure.  Methyl.  Kohlensäure.  Eohlens.  Kali. 

262H3ej^  +  H,e  =  GHa.GHa  +      ee^         +       ee,Ka      +  H, 

Ferner:   GlycocoU  zerfällt  zu  Methylamin  und  Kohlensäure,    ebenso 
geben  Alanin  und  Leucin  Aethylamin  und  Amylamin  ***),    Z.  B. : 

GlycocolL  Methylamin« 


G2II2G 


H  €H,. 

HJN         ^  HJN     +     ee. 


Si 


G 


611.  Hierher  gehört  auch  die  unter  Austritt  von  Kohlensäure  erfolgende 

Bildung  von  Disulfometholsäure  (und  ähnlichen  Säuren)  (Gr.  III.)  aus 
Sulfoessigsäure  (Gr.  IV. j,  aus  Acetamid  (Gr.  II.)  und  aus  Acetonitril 
(Gr.  VI.)t): 


Acetamid. 

Acetonitril. 

Sulfoessigsäure. 

Disulfomethoh 

eX.H 

Ha) 

GH, 
ßGa) 

H,) 

•)  Strecker  1850.  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXV.  27. 
••)  Kolbe  1849.  Ann.  Chem.  Pharm.  LXIX.  259. 
••♦)  Limpricht  und  Schwanert  1857.  Ann.  Chem.  Pharm.  CL  296;  dl.  221. 
t)  Hofinann  and  Backton  1856.  Ann.  Chem.  Pharm.  C.  129. 


Allgemeine  Reactionen. 


369 


Hierher  gehören  unter  anderen   auch  noch  die  folgenden  Metamorphosen,  611. 
die  vieleicht  unter  geeigneten  Bedingungen  auch  für  andere  Glieder  der  betreffen- 
den Gruppen  ausführbar  sind. 

Essigsaures  Kali  MethylwasserstoU  Kohlens«  Kali. 

Oxalsäure.  Ameisensäure. 


H. 


l\^*        = 


Glycerinsäure. 
öaH, 


Tartronsfiore. 


e.     = 


Essigsäure. 


+ 


Kohlensäure. 
Ameisensäure. 


Glycolid. 


Malonsäure. 


Aepfelsäure. 

Weinsäure.  Tartronsäure. 


Erste  Gruppe. 

Verbindungen  der  einatomigen  Kohlenwasserstofifradicale:  G„H2„+i. 

[Verbindungen  der  Alkohoiradicale.] 

Die  ÄDDahme  eiDatomiger  Radicale  von  der  allgemeinen  Zusammen-  612. 
Setzung:  GnHan  +  i  macht  es  möglich,  eine  grosse  Anzahl  von  Eohlenstoff- 
verbindungen  durch  Formeln  darzustellen,  welche  durch  Analogie  der 
Schreibweise  alle  die  Analogien  hervortreten  lassen,  die  diese  Körper, 
hinsichtlich  ihrer  Zusammensetzung  und  ihres  Verhaltens,  mit  den  ein- 
facheren unorganischen  Verbindungen  zeigen*). 


^)  d.  h.  mit  denjenigen  unorganischen  Verbindungen,  welche  statt  der  einatomi- 
gen Radicale:  GoH^n-f  i,  einatomige  unorganische  Radicale,  also  namentlich 
einatomige  Elemente  wie  Wasserstoff  oder  Kalium  enthalten. 

KekaU,  orgao.  Cbenle,  24 


370 


Einatomige  Alkoholradicale. 


Die  folgende  Tabelle  soll  diese  Analogieen  an  einzelnen  Beispielen  zeigen. 
Statt  des  allgemeinen  Schema's:  OnH^n  4.1  ist  das  Radical  Aethyl:  ^^H^  benutst, 
um  gleichzeitig  die  gebräuchlichste  Nomenclatur  mittheilen  zu  können.  Aus  dem- 
selben Grunde  sind  auch,  statt  allgemeiner  Schemata,  Verbindungen  mit  speciel- 
len  unorganischen  Elementen  oder  Atomgruppen  aufgeführt. 


618. 

Kaliumverbin- 
dungen. 

Aethylverbin- 
dungen. 

Typus  Wasserstoff:       HH 
Typus  Wasser:           Äo 

Typus  Ammoniak :    H   N 
H 

KH 
Kaliumwasserstoff. 

KK 
Kalium. 

Ealihydrat. 

Kr 

Kaliumoxyd. 

H  N 
H 
Kaliumamid. 

eaHft.H 
Aethylwasserstoff. 

O3H5 .  O3H9 
Aethyl. 

Aethylalkohol. 

Aethyläther. 

H   N 
H 
Aethylamin. 

Diäthylamin. 

eaH»  /  N 
Triäthylamin. 

Verbindungen  mit  Säuren: 

Salze. 

Aetherarten. 

Einbasische  Sfiuren:  H.R  z.  B.:     HCl 

Salzsäure. 

H.N0, 
Salpetersäure. 

H                H 
Zweibasiache  Säuren:  ^  R  z.  B.  g  &O4 

Schwefelsäure. 

KCl 
Kaliumchlorid. 

K.N03 

Salpetersäurekali. 

Kaliumschwefel- 
säure. 

OjHa.Cl 
Aethylchlorid. 

^^H^ .  NO3 
Salpetersäure- 
Aethyläther. 

Aethylschwefelsäure. 

Allgemeine  Betrachtangen. 


371 


Verbindungen  nut  Säuren: 


Dreibasische  Säuren 


:  H(R  z.B.  H/PO4 
Phosphors&ure. 


Salze. 


^a 


Aetherarten. 


Schwefelsäure-Kali. 


H   ] 


Monokaliumphos- 
phorsäure. 

.K  pe^ 

RS 
Bikaliumphosphor- 
sfture. 

IjPe. 

Phosphorsäure-Kali 


Schwcfelsäure- 
Aethyläther. 

O2H5 

Monoäthylphosphor* 
säure. 


O^Hi 


m 


P^4 


Biäthjlphosphor- 
säure. 

6,HJpe, 

e2H5i 

Phosphorsäure- 
Aethyläther. 


Für  die  Vergleichang  der  Aetherarten  der  Alkoholradicale  614» 
mit  den  Balzen  gentlgt  es  die  Säuren,  so  wie  dies  in  der  zweiten  Hälfte 
der  Tabelle  geschehen  ist,  durch  Formeln  auszudrücken,  in  welchen  nur 
die  basischen  Wasserstoffatome  von  dem  Rest  der  in  der  Säure  enthalte- 
nen Elemente  getrennt  sind.  Man  sieht  dann  deutlich,  dass  eine  ein- 
basische Säure  nur  eine  Aetherart  bildet,  ebenso  wie  sie  nur  ein  Salz 
gibt;  dass  eine  zweibasische  Säure  zwei  Aetherarten  erzeugt,  von 
welchen  die  eine  dem  sauren,  die  andere  dem  neutralen  Salz  entspricht 
und  dass  endlich  eine  dreibasische  Säure  drei  Aetherarten  zu  erzeu- 
gen im  Stande  ist,  von  welchen  zwei  den  beiden  sauren  Salzen,  die 
dritte  dem  neutralen  Salze  entpricht.  So  geschriebene  Formeln  lassen 
auch  noch  deutlich  die  Analogie  hervortreten,  welche  die  aus  dem  Was- 
ser direct  sich  herleitenden  Verbindungen  mit  den  Verbindungen  der  zwei- 
basischen Säuren  und  ebenso  die  Analogie,  welche  die  dem  Ammoniak- 
tjpus  zugehörigen  Verbindungen  mit  den  Verbindungen  der  dreibasischen 
Säuren  zeigen. 

Will  man  die  Aetherarten  durch  Formeln  darstellen,  in  welchen  616. 
gleichzeitig  das  Verhalten  der  unorganischen  Elemente  oder  Atomgruppen 
näher  angedeutet  ist,  so  muss  man  den  mit  dem  Wasserstoff  der  Säure 
yerburndenen  Rest,   von  dessen  Zusammengesetztsein  man  in  den  obigen 
Fofmeln  absah,  weiter  auflösen.    Man  hat  dann  typische  Formeha: 

24  • 


372 


Einatomige  Alkoholradicale. 


Einbasische  Säuren 
vom  Typus:      HH 


z.  B. 


oder: 


Einbasische  Säure 
vom  Typus:     HjO 


z.  ß. 


Zweibasische  Säuren 

vom  Typus:  HjO  +  H,  z.  ß.: 


Zweibasische  Säuren 

vom  Typus :    2H,0  =  H^Oj  ^'  B. 


Dreibasische  Säure 

vom  Typus:     3H,e  =  HeO,  z.  B. 


HCl 

Salzsäure. 

Aethylchlorid. 

H.NOj 

Salpetrige 
Säure. 

Salpetrigsäure- 
Aethyläther. 

Salpeter- 
säure. 

Salpetersäure- 
Aethyläther. 

H 

Schweflige 
Säure. 

Aethyl. 
schweflige 
Säure. 

s 

Schwefligsäure- 
Aethyläther. 

Schwefel- 
säure. 

Aethyl- 
schwefelsänre. 

^3« 

eAr 

Aethyläther. 

PO» 

H  r» 

Phosphor- 
säure. 

PO 

Monoäthyl- 
phosphorsäure. 

Allgemeine  Betrachtangen.  373 


POl 


Di&thylphosphorsfture. 


pei 

Phosphorsäure  -  Aethjläther. 


«. 


Die   im  Vorhergehenden   mitgetheilten  Formeln    drücken    das  che-  616. 
mische  Verhalten  der  Verbindungen  der  Alkohol radicale  in  einfacher  und 
möglichst  vollständiger  Weise  aus;  sie  zeigen  z.  B. : 

1)  Der  vom  Typus  noch  vorhandene  Wasserstoff  ist  stets  durch  an- 
dere Radicale  ersetzbar. 

So  kann  z.  B.  der  Wasserstoff  des  Alkohols  durch  Metalle  vertreten  werden: 


Alkohol.                Ealinmaikoholat. 

Zinkalkoholat 

OAj^                   6^1^ 

^\» 

durch  saure  Radicale  vertretbar: 

Alkohol.                         Salpetersäureäther. 

H  r               NO, 

1» 

Die  Thatsache ,  dass  die  Vertretung  dieses  Wasserstoffs  durch  Metalle  schwe- 
rer erfolgt  als  die  durch  Säureradieale,  zeigt,  dass  das  Radical  Aethyl,  (und  allge- 
mein die  einbasischen  Alkoholradicale  BnR2n  +  0  i"  ihrer  chemischen  Natur  sich 
den  Metallen  nähern  •). 

Der  Wasserstoff  des  Alkohols  ist  femer  ersetzbar  durch  die  Alkoholradicale 
selbst,  z.  B.: 

Aethylalkohol.  Aethyläther.  Aethylmethyläther. 

^jBji^  ^2ß5tfi  ^aBsIrv 

Der  Aethyläther  ist  also  eine  Aetherart  des  Alkohols  in  demselben  Sinn,  in 
welchem  der  Salpetersäureäther  die  Aetherart  der  Salpetersäure  ist. 

Auch  der  Wasserstoff  des  Aethylwasserstoffs  ist  durch  andere  Radicale  ersetz- 
bar.   Man  hat: 


Aethylwasserstoff.  Zinkäthyl.  Aethylchiorid.  Rad.  Aethyl. 

■S!         IS! 


«»%l  e,Ha  e,H,(  f^( 


*)  Vgl.  §§.  209  ff.  bes.  212. 


374  Einatomige  Alkoholradicale. 

Das  isolirte  Radical  Aethyl  steht  also  zum  Aethylwasserstoff  in  derselben 
Beziehung  wie  der  AeÜiyläther  zum  AethylaJkohol  und  auch  wie  das  Aethylchlohd 
zur  Salzsäure. 

In  den  Aetherarten  mehrbasischer  Säuren  ist  ebenfalls  der  vom  Typus  noch 
erhaltene  Wasserstoff  durch  Radicale  und  zwar  durch  Metalle  oder  durch  die  Al- 
koholradicale selbst  ersetzbar. 

Die  von  der  zweibasischen  Schwefelsäure  sich  ableitende  Aethylschwefelsäure 
ist  also  eine  einbasische  Säure  (wie  das  ihr  entsprechende  saure  schwefelsaure  Kali 
auch).    Sie  gibt  Salze  und  Aetherarten: 

Schwefelsäure.        Aethylschwefel-        Aethylschwefel-        Schwefelsäure- 
säure, saures  Kali.  Aethyläther. 

-  gse.  «»H^jse,         «»H^jee,         «^»[se. 

Der  Schwefelsäure -Aethyläther  ist  also  ebensowohl  der  Aether  der  ein- 
basischen Aethylschwefelsäure  als  der  neutrale  Aether  der  zweibasischen  Schwefel- 
säure. 

Die  von  dreibasischen  Säuren  sich  herleitenden  Aetherarten  (z.  B.  die  Aether- 
säuren  der  Phosphorsäure)  sind,  wenn  nur  eines  von  den  drei  typischen  Wasser- 
stoffatomen der  Phosphorsäure  durch  ein  Alkohohradical  ersetzt  ist,  zweibasische, 
wenn  zwei  lypische  Wasserstoffatome  durch  Alkoholradicale  vertreten  sind  ein- 
basische Säuren: 

Phosphorsäure.      Zweibasische  Aethyl-      Einbasische  Aetyl-      Neutraler  Phosphor- 
phosphorsäure, phosphorsäure.  säure -Aethyläther. 

H  PO4'  H  po^  ^  OjK»  pe^  ejHJpo* 

H^  H^  h'  eji^S 

Die  dreibasische  Aethylphosphorsäure  bildet  zwei  Salze  und  zwei  Aether- 
arten, während  die  einbasische  Aethylphosphorsäure  nur  ein  Salz  und  einen  Aether 
zu  bilden  im  Stande  ist.  Die  einbasische  Biäthylphosphorsäure  ist  ebensowohl  die 
saure  Aetherart  der  zweibasischen  Monoäthylphosphorsäure  als  die  Biäthylsäure  der 
dreibasischen  Phosphorsäure  j  ebenso  kann  der  neutrale  Phosphorsäure-Aethyläther 
als  Aether  der  Biäthylphosphorsäure,  als  neutraler  Aether  der  zweibasischen  Mono- 
äthylphosphorsäure,  oder  als  neutraler  Aether  der  dreibasischen  Phosphorsäure 
betrachtet  werden. 

617.  2)   Die   Alkoholradicale   selbst  können    durch   wechselseitigen 

Austausch  in  andere  Verbindungen  übergeführt  werden. 

So  entsteht  z.  B.  durch  Einwirkung  von  Salzsäure  auf  Alkohol  Aethyl- 
chlorid: 

Salzsäure.  Alkohol.  Aethylchlorid.     Wasser. 

ebenso    durch  Einwirkung    von   Schwefelsäure    auf  Alkohol   die  Aethylschwefel- 
säure: 


Schwefelsfture. 


Allgememe  Betrachtungen.  375 

AlkohoL  AethylBchwefebäore.        Wasser. 


*ff=^"^i*  =  «^il«-  +  > 


Ferner : 


etc. 


Aethylchlorid. 


Cl[€aH5 


Schwefelwaeser- 
stoffkalium. 


n 


\r  = 


Kalium- 
chlorid. 

CIK 


Hercaptan. 


3)  Die  Verbindungen  der  Alkoholradicale  zeigen  alle  charakteristiBche  618. 
Reactionen  für  den  Typus  selbst  und  für  die  neben  den  Alkoholradicalen 
in   der   Verbindung   enthaltenen  unorganischen   Elemente   oder  Radicale 
(vgl.  §5.  208  ffi). 

So  wirkt  z.B.  Phosphorsuperchlorid  auf  Alkohol  ebenso  ein  wie  auf  Wasser: 


Wasser. 


?! 


Phosphorsuper- 
chlorid. 


2  Hol.  Salz- 
säure. 


:^^«^  -  w  + 


Phosphor- 
ozychlorid. 

POCl, 


Alkohol. 


Phosphorsuper- 
chlorid. 


Aethylchlorid 
u.  Salzsäure. 


(^Phosphor- 
oxychlorid. 


'4CEZ?\^Z^«'^    =  -^  +    p^. 


Ebenso  ist  die  Wirkung  des  Phosphoroxychlorids  auf  Alkohol  ganz  entspre- 
chend der  Wirkung  des  Phosphoroxychlorids  auf  Wasser: 


etc. 


3  Hol.  Wasser. 


e  H 

B  H 


\  r 
J  V- 


3  Hol.  Alkohol. 


e  H 
OH 
e  H 


^K    J 


Phosphor- 
oxychlorid. 


Pö 


Cl 
Cl 
Cl 


Phosphor- 
oxychlorid. 


PO 


Cl 
Cl 
Cl 


Phosphor- 
Säure. 


3  Hol. 
Salzsäure. 


=         PO 


?^jo,  +  m 


HCl 
HCl 
HCl 


Phosphorsäure-         3  Hol. 
Aethyläther.  Salzsäure. 


=  PO 

(^jH,); 


,!*• 


HCl 

+    HCl 

HCl 


Aus  dem  Mitgetheiltem  ergibt  sich  unter  anderm,  dass  alle  Verbin-  619. 
düngen  der  Alkoholradicale,  unter  den  zur  Zersetzung  geeigneten  Bedingun- 


376  Einatomige  Alkoholradicale. 

gen     alle    die    für    ihre    uDorganischen    Bestandtheile    oharakteristisehe 
Reactionen  zeigen. 

So  föllen  z.  B.  die  Chloride,  Bromide  und  Jodide  der  Alkoholradicale  aiiB 
Silbersalzen  Chlor-.,  Brom-  oder  Jodsilber;  ebenso  sind  die  neutralen  und  die  sau- 
ren Schwefelsfiureäther  föhig  schwefelsauren  Baryt  zu  erzeugen ;  diese  Zersetzungen 
erfolgen  aber,  wie  früher  schon  erwähnt  wurde  (§.  212)  nicht  mit  der  Leichtigkeit, 
welche  die  meisten  Doppelzersetzungen  unorganischer  Verbindungen  charakterisiri, 
sie  treten  meist  erst  bei  höheren  Temperaturen  ein,  häufig  sogar  erst  bei  Tem- 
peraturen, die  höher  sind  als  der  Siedepunkt  der  angewandten  Substanz. 

620.  Von  denjenigen  Metamorphosen  der  Verbindungen   der  einatomigen 

Alkoholradicale,  bei   welchen  die  Radicale  selbst  Veränderung  erleiden, 
sind  die  folgenden  besonders  wichtig. 

1)  Der  Wasserstoff  der  Alkoholradicale  kann  häufig  durch  Chlor, 
Brom  oder  Jod  vertreten  werden ;  so  entstehen  wahre  Substitutions- 
producte  (vgl.  §§.128.  284).  Nitrosubstitutionsproducte  der  Alkohol- 
radicale sind  bis  jetzt  nicht  bekannt. 

2)  Bei  Einwirkung  oxydirender  Substanzen  werden  die  einatomigen 
Alkoholradicale  —  indem  2  At.  H  durch  1  At.  O  ersetzt  werden  —  in 
einatomige  Säureradieale  übergeführt  (vgl.  §§.  285,  605).    Z.  B.: 

Aethyl.  Aoetyl. 

wjHf     —     Hu  -{"  ^     c:zr     O3H3O 

Jedem  einatomigen  Alkohol  entspricht  eine  einatomige  Säure, 
die  dieselbe  Anzahl  von  Kohlenstofiatomen  enthält  und  durch  Oxydation 
aus  dem  Alkohol  erhalten  werden  kann.    Z,  B.: 

Methylalkohol.  Ameisensäure. 


Aethylalkohol. 

Diese  Oxydation  kann  entweder  durch  Einwirkung  von  schmelzen- 
dem Ealihydrat  auf  den  Alkohol  ausgeführt  werden: 

Aethylalkohol.  Essigsaures  Kali. 

e^HeO       +    KHO    =       ejHaKO,    +    H, 

oder  auch  durch  Einwirkung  oxydirender  Substanzen. 

Im  letzteren  Falle  geht  der  Bildung  dieser  Säure  meist  die  Bildung 
eines  Aldehyds  voraus;  die  Aldehyde  (oder  Aldide)  stehen,  wenn  man 
sie  als  Oxydationsproducte  der  Alkohole  betrachtet,  in  der  Mitte  zwi- 
schen den  Alkoholen  und  den  aus  ihnen  entstehenden  Säuren.  Man 
hat  z.  B«: 


Allgemeine  Betrachtungen.  377 

Aethylalkohol.  Aldehyd.  Essigsäure. 

O^H^O  ©JH4O  O2H4OJ 

Amylalkohol.  Valeraldid.  Baldriansäure. 

©5Hi2^  ÖjHjqO  ^ftHjo^i 

3)  Darch  Verlust  von  1  At.  H  entstehen  aus  den  einatomigen  Al- 
koholradicalen  Kohlenwasserstoffe  von  der  Zusammensetzung  €nH2n,  die 
sich  bei  geeigneten  Reactionen  wie  zweiatomige  Radicale  verhalten 
(§§.  289.  299.  606).     Z.  B.: 

Aethyl.  Aethylen. 

Diese  Kohlen  Wasserstoffe  entstehen  z.  B.  aus  den  Alkoholen  durch 
Austritt  von  Wasser,  bei  Einwirkung  von  Schwefelsäure  etc.: 

Aethylalkohol.  Aethylen. 

Amylalkohol.  Amylen. 

n 

Die  letztgenannten  Reactionen  (Nr.  2  und  3)  werden  als  ganz  be- 
sonders charakteristisch  für  die  einatomigen  Alkohole  angesehen. 

Von  besonderem  Interesse  sind  noch  diejenigen  Metamorphosen,  bei  ^21. 
welchen    aus    den   Verbindungen   der  Alkoholradicale  Körper   entstehen, 
deren  Verhalten  zur  Annahme   eines  Radicales  berechtigt,    welches  eine 
grössere  Anzahl    von   Kohlenstoffatomen   enthält    als  das  Alkoholradical 
selbst.    Hierher  gehören  die  §§.287  u.  609  besprochenen  Reactionen*): 

Cyanäthyl.  Propionsaures  Ammoniak. 

eN.OjHj  +  2Hje  =        e3H5(NH4)e, 

NatriumäthyL  Kohlensäure.  Propions   Natron. 

©jHj.Na      +  ee,  =         ejHjNaO, 


Da  die  Alkohole  den  Ausgangspunkt  für  die  Darstellung  der  mei-  622. 
sten  Verbindungen    der  Alkoholradicale  bilden,   so  geben    wir  zunächst 
eine  Uebersichtstabelle  der  bis  jetzt  bekannten  Alkohole. 


^)  Vgl  auch  §§.  260,  846. 


378 


Einatomige  Alkoholradicale. 
EiDatomige  Alkohole    GuRu+iIq^ 


A  1  k  0  h  0  1  ( 

B. 

R  a  d  i  c  a  1. 

Namen. 

Empirische 
Formel. 

Typische 
FormeL 

Methyl  =  6H, 

Methylalkohol 
(Holzgeist). 

6H4O 

«H^e 

1812  Taylor. 

Aethyl  =  OaHj 

Aethylalkohol 
(Weingeist). 

eaHeO 

eA|e 

um    Amoldus. 
1300  Villanovanus. 

Propyl  =  6,H, 

Propyl- 
alkohol. 

ejHgO 

«.Hjje 

1853  Chancel. 

Butyl  =  ejd^ 

Butylalkohol. 

64H100 

e.H^je 

1852  Wurtz. 

Amyl  =  OftH,, 

Amylalkohol 
(Fuselöl). 

^sßiiO^ 

e»H„U 

1785  Scheele. 

Caproyl  =  e.Hj, 

Caproyl- 
alkohol. 

^fiiiß 

e,Hgj^ 

1853  Faget. 

Oenanthyl  =  B^E^^ 

Oenanthyl- 
alkohol. 

6,Hie^ 

e,H„j^ 

—  ?  — 

Capryl  =  ß^ü,. 

Capryl- 
alkohol. 

^8^18^ 

«sHnU 

1851  Bouis. 

Cetyl  =  6ieH„ 

Getylalkohol 
(Aethal). 

^16^84^ 

1828  Chevreul. 

Ceryl  =  Oa^Hw 

Cerylalkohol. 

^aiHöa^ 

A„H„  ^ 

1848  Brodie. 

Myricyl  =  e,oH„ 

Myricyl- 
alkohol. 

^jo^aa^ 

ö»cH„J^ 

1848  Brodie. 

628.  Mehrere  Alkohole  finden  sich  fertig  gebildet  in  der  Natur,  der  He* 

thjlalkohol  z.  B.  (in  Verbindung  mit  Salicylsäure)  im  ätherischen 
Oel  der  Oaultheria  procumbens,  der  Getylalkohol  (als  Palmitinsäure- 
Cetyläther)  im  Wallrath,  der  Cerylalkohol  und  Myricylalkohol 
im  Bienenwachs  und  im  chinesischen  Wachs.  Der  Aethyl-,  Propyl-, 
Butyl-,  Amyl-  und  Gapronylalkohol  sind  Producte  der  Gährung 
der  Zuckerarten;  in  reichlichster  Menge  entsteht  dabei  Aeihylalkohol, 
nächst  diesem  der  Amylalkohol,  der  den  Hauptbestand theil  des  gewöhn- 
lichen Fuselöls  ausmacht;  die  übrigen  finden  sich  in  geringer  Menge  in 
einzelnen  Fuselölen  von  besonderer  Herkunft.  Der  Methylalkohol 
bildet  sich  bei  der  trocknen  Destillation  des  Holzes  und  anderer  Substan- 
zen.    Der  Caprylalkohol   wird  als  Product  der  Zersetzung  des  Rici- 


Allgemeine  Betrachtangeii.  379 

Dusöls  mit  Kalihydrat  erhalten.    Die  Existenz  des  Oenanthylalkohols 
ist  noch  nicht  mit  Sicherheit  festgestellt. 

Alle  Alkohole  sind  flüchtig;  die  zwei  kohlenstofireichsten  unter  theil- 
weiser  Zersetzung.  Die  Siedepunkte  steigen  mit  wachsendem  Molecular- 
gewicht;  die  Siedepunktsdifferenz  beträgt  19^  für  OH,  (§.477).  Die  drei 
kohlenstofifreichsten  Alkohole:  Cetyl-,  Cerjl-  und  Mjrricjlalkohol,  sind 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  fest,  ihre  Schmelzpunkte  liegen  um  so  höher 
je  grösser  das  Moleculargewicht;  die  übrigen  Alkohole  sind  flüssig.  Der 
Methylalkohol  und  der  Aethylalkohol  sind  mit  Wasser  in  jedem  Yerhält- 
niss  mischbar,  der  Propylalkohol  ist  noch  sehr  löslich,  die  andern  sind 
in  Wasser  um  so  weniger  löslich ,  je  weiter  sie  von  den  Anfangsgliedem 
der  Reihe  abstehen. 

Eine  ähnliche  Homologie  der  physikalischen  Eigenschaften  findet 
sich  innerhalb  aller  übrigen  homologen  Reihen  der  Verbindungen  der 
Alkoholradicale. 

Wie  oben  erwähnt  (§.  622)   können  die  meisten  Verbindungen  der  624. 
Alkoholradicale  aus   den  Alkoholen   erhalten  werden.     Einige  derselben 
finden   sich  indessen   fertig  gebildet  in  der  Natur,   andere  entstehen   als 
Zersetzungsproducte  oder  als  Producte  einfacher  Metamorphosen  anderer 
Kohlenstoffverbindungen. 

So  findet  sich  z.  B.  der  MethylwasBerstoff  als  Sumpfgas  und  als  Gru- 
bengas *,  andere  Hydriire  einatomiger  Alkoholradicale  und  auch  freie  Alkoholradi- 
cale scheinen  den  Hauptbestandtheil  mancher  Steinöle  auszumachen.  Der  Methyl- 
wasserstoff ist  ein  sehr  häufig  auftretendes  Zerstörungsproduct  vieler  organischer 
Substanzen ,  er  entsteht  z.  B.  bei  trockner  Destillation  etc.  — 

Von  den  einfachen  Metamorphosen,  bei  welchen  Verbindungen  der 
Alkoholradicale  aus  Verbindungen  anderer  Radicale  erhalten  werden, 
sind  die  folgenden  von  besonderem  Interesse: 

1)  Die  Salze  der  fetten  Säuren  (OnHinO))  liefern  bei  elektrolytischer 
Zersetzung,  neben  Kohlensäure  und  Wasserstoff,  ein  freies  Alkoholradical 
(vgl.  §.  610).    Z.  B.: 

Essigsaures  Kali.  Methyl. 

2GaH3KO,    +    HjO  =  (GH,),  +  OO^E^  +  ©0^  +  Hj 

2)  Ein  essigsaures  Salz  mit  einem  Alkalihydrat  erhitzt  gibt  Methyl- 
wasserstoff neben  kohlensaurem  Salz: 

Essigsaures  Kali.  Methylwasserstoff. 

e^HaKOj  +    KHO,    =        GH3.H  +    eOaK, 

3)  Die  zweiatomigen  Eohlenwasserstoffiradicale  (OnH^n)  verbinden 
sich  häufig  direct  mit  Säuren  und  erzeugen  Substanzen,  die  sich  wie  Ver- 
bindungen der  Alkoholradicale  verhalten  (vgl.  §§.  307,  607).    Z.  B. : 


380  Einatomige  Alkoholradicale. 

Elajl.  Schwefelsäure.  Aethjlschwefelsäure. 


e,a 


2"4 


Propjlen.  Salzsäure.  Propylchlorid. 

OaHe     +  HCl  =  e,'H^.CL 

625.  In  welcher  Weise  aus  den  Alkoholen  andere  Verbindungen   der  Alkoholradi- 

cale erhalten  werden  können,  ist  aus  dem  früher  Mitgetheilten  (§§.  616—618)  ver- 
ständlicb.  —  Einige  der  Aetherarten  können  durch  directe  Einwirkung  der  betref- 
fenden Säure  auf  einen  Alkohol  gewonnen  werden  j  so  liefert  z.  B.  Schwefelsäure 
mit  Aethylalkohol  die  Aethylschwefelsäure ,  Salzsäure  mit  Amylalkohol  das  Amyl- 
Chlorid  etc.  Andere  können  dui'ch  einfache  typische  Doppelzersetzung  zwischen 
einem  Alkohol  und  einer  unorganischen  Verbindung  erhalten  werden  ^  so  gibt 
Phosphorchlorür  mit  Methylalkohol  Metliylchlorid  und  Aether  der  phosphorigen 
Säure.  Statt  dabei  eine  fertig  gebildete  Verbindung  auf  den  Alkohol  einwirken  zu 
lassen,  bringt  man  häufig  zwei  Körper,  welche  sich  bei  Abwesenheit  des  Alkohols 
zu  der  betreffenden  Verbindung  vereinigen  würden  mit  dem  Alkohol  zusammen; 
so  bereitet  man  z.  B.  Aethyljodid  indem  man  Jod  und  Phosphor  auf  Aethylalkohol 
einwirken  lässt. 

Eine  grosse  Anzahl  von  Verbindungen  der  Alkoholradicale  können  entweder 
nicht  direct  aus  den  Alkoholen  gewonnen  werden  oder  werden  wenigstens  zweck- 
mässiger auf  andere  Weise  dargestellt.  Man  bereitet  dann  zunächst  eine  direct 
aus  dem  Alkohol  darstellbare  Aetherart,  die,  veranlasst  durch  die  chemische  Natur 
der  mit  dem  Alkoholradical  verbundenen  Elemente,  leicht  doppelte  Zersetzung 
zeigt,  und  lässt  dann  diese  Aetherart  auf  ein  Salz  der  Säure  einwu'ken,  deren  Aether 
man  darstellen  will.  Die  sauren  Aetherarten  der  Schwefelsäure,  die  Chloride,  Bro- 
mide und  Jodide  der  Alkoholradicale  sind  dazu  besonders  geeignet;  die  beiden 
letzteren  zeigen  mit  Silbersalzen  ganz  besonders  nette  Reactionen  und  ermöglichen 
so  die  Darstellung  mancher. 

In  vielen  Fällen  kann  man  die  Reindarstellung  solcher  Zwischenglieder  um- 
gehen und  direct  ein  Gemenge  von  Schwefelsäure  mit  dem  betreffenden  Alkohol 
(rohe  Aethylschwefelsäure  z.  B.)  auf  ein  Salz  einwirken  lassen  oder  man  kann 
(statt  die  Chloride  oder  Bromide  der  Alkoholradicale  zu  verwenden)  in  ein  Ge- 
menge des  Alkohols  mit  der  Säure  oder  einem  Salz  dieser  Säure  Salzsäuregas  ein- 
leiten etc.    —    Auch   die  Metallverbindungen  der  Alkoholradicale  (z.  B.  Zinkäthyl) 

oder  die  s.  g.  Alkoholate  (Natriumalkoholat  =  ^^^>0)    sind    zur  Darstellung 

mancher  Verbindungen  sehr  geeignet 


Methylverbindungen. 

[Radical:  Methyl  =  BE^.] 

626.  Methylwasserstoff,  leichter  KohlenwasserstoflF,  Sumpfgas,  Gru- 

bengas: 6H4  =  6H3.H.     Der  Methylwasserstoff  wurde  1778  von  Volta 


Methylverbindangen.  381 

als  Bumpflnft  beobachtet,  tod  Persoz  und  Dumas  aus  Essigsäure,  von 
Franklaud  1849  zuerst  durch  eine  einfache  Metamorphose  aus  Methyl- 
verbindungen erhalten. 

Der  Methylwasserstoff  ist  die  einfachste  Wasserstoffverbindung  des 
Kohlenstoffs.  Er  entsteht  in  der  That  als  Zerstörungsproduct  fast  aller 
organischer  Substanzen,  wenn  die  Zersetzungen  bei  mangelndem  Sauer- 
stoff stattfinden. 

Das  aus  dem  Schlamm  der  Sümpfe  aufsteigende,  durch  Fäulniss  der  organi- 
schen Substanzen  erzeugte  Sumpfgas  enthält  meistens  neben  Methylwasserstoff 
Kohlensäure  und  Stickstoff,  häufig  Schwefelwasserstoff.  Das  in  Steinkohlenlagern 
entstehende  Grubengas  enthält  ebenfalls  meist  Kohlensäure  und  Stickstoff  und 
entsteht  offenbar  durch  eine  der  Fäulniss  ähnliche  langsame  Zersetzung  der  Stein- 
kohlen. 

Aehnlichen  Ursprung  haben  wahrscheinlich  die  an  vielen  Stellen  aus  dem 
Boden  hervordringenden  brennbaren  Gase,  die  s.  g.  Salzen,  Schlammvulkane  und 
Feuerquellen.  Das  Gas  des  Schlammvulkans  bei  Bulganak  in  der  Erimm  ist  fast 
reiner  Methylwasserstoff  (Bunsen)  *,  das  in  der  Nähe  von  Glasgow  hervordringende 
Gas  enthält  etwa  88  ®/o  (Thomson). 

Bei  der  trocknen  Destillation  sehr  vieler  organischer  Substanzen  z.  B.  Holz, 
Torf,  Steinkohle,  selbst  bei  Zersetzung  des  Weingeists  beim  Durchleiten  seines  Dam- 
pfes durch  glühende  Röhren,  entsteht  Methylwasserstoff,  der  darum  ein  Bestand- 
theil  aller  Leuchtgase  ist.  Methylwasserstoff  entsteht  femer,  wenn  man  Schwefel- 
kohlenstoff mit  Schwefelwasserstoff  oder  auch  mit  Wasserdampf  Über  glühende 
Metalle  leitet  ^). 

Der  Methylwasserstoff  wird  in  annähernd  reinem  Zustande  erhalten, 
wenn  man  Essigsäure  oder  ein  essigsaures  Salz  mit  überschüssigem  Al- 
kalihydrat erhitzt  (z.  B.  2  Th.  essigsaures  Natron,  2  Th.  Ealihydrat, 
3  Th.  Aetzkalk,  oder  1  Th.  essigsaures  Natron  mit  2  Th.  Natronkalk). 
Man  hat: 

Essigsäure.  Kohlensäure.  Sumpfgas. 

e^B^e^      =602  +  eH4 

Völlig  reiner  Methylwasserstoff  entsteht  bei  Zersetzung  von  Zinkmethyl 
mit  Wasser: 

Zinkmethyl.  Methylwasserstoff. 

=        eHa.H       + 


Auch  durch  Reduction  von  Ghlorkohlenstoff:  6CI4  oder  von  Chloroform: 
GHCI3  wird  Methylwasserstoff  erhalten  (vgl.  §.  639). 

Der  Methylwasserstoff  ist   ein  farbloses  und  geruchloses  Gas, 
welches  mit   gelblicher  Flamme   brennt   und   mit  Luft  ein  explodirendes 


•)  Vgl.  Berthelot,  Annales  de  Chimie  et  Phys.  Uli.  [3]. 


382  Hethylverbindimgen. 

Gemenge  bildet  (Schlagende  Wetter).  Er  ist  in  Wasser  wenig,  in  Al- 
kohol etwas  mehr  löslich  (vgl.  §.  491)  und  bis  jetzt  nicht  verdichtet 
Der  Methylwasserstoff  widersteht  der  Einwirkung  der  meisten  Agentien, 
selbst  ein  kochendes  Gemenge  von  Salpetersäure  und  Schwefelsäure  greift 
ihn  nicht  an.  Chlor  wirkt  im  Dunkeln  langsam  auf  Methylwasserstoff  ein, 
im  zerstreuten  Tageslicht  erfolgt  die  Einwirkung  häufig,  bei  directer  Ein- 
wirkung der  Sonnenstrahlen  immer  mit  Explosion.  Mässigt  man  die 
Heftigkeit  der  Einwirkung  durch  Zusatz  eines  indifferenten  Gases,  z.  B. 
Kohlensäure,  so  entsteht  als  Endproduct  Chlorkohlenstoff:  OCI4,  und  vor- 
her Chloroform:  OHCI3  (Dumas).  Setzt  man  1  Vol.  Methylwasserstoff 
und  1  Vol.  Chlor  dem  zerstreuten  Tageslichte  aus,  so  entsteht  ein  dem 
Methylchlorid  isomeres  Gas,  welches  aber  in  Wasser  und  Alkohol  weni- 
ger löslich  ist  als  dieses  (Kolbe  und  Varrentrap,  Baeyer)  *);  nach  Ber- 
thelot **)  bildet  dasselbe  Gemenge  bei  Einwirkung  des  reflectirten  Son- 
nenlichtes wirkliches  Methylchlorid:  6H3CI  (vgl.  §§.  635,  639). 

627.  Methyl:  6,0«=  q^H.    Das  Methyl  wurde  1849  von  Kolbe«**) 

durch  elektrolytische  Zersetzung  des  essigsauren  Eali's  erhalten;  Frank- 
land f)  erhielt  es  1849  durch  Einwirkung  von  Methyljodid  auf  Zink. 

Darstellung  aus  essigsaurem  Kali.  Das  essigsaure  Kali  zerfUlt  im- 
ter  dem  Einfluss  des  galvanischen  Stroms  in:  Methyl,  Kohlensäure,  kohlensaures 
Kali  und  Wasserstoff  (vgl.  bqi  Essigsäure) : 

Essigsaures  Kali.  Methyl. 

2eaH,K0,      4.    H,e    =    (BH,),    +    60^    +    ee,Ka    +    H, 

Der  Wasserstoff  wii*d  am  —  Pol,  das  Methyl  und  die  Kohlensäure  am  -f-  Pol 
•  in  Freiheit  gesetzt  Man  stellt  daher  den  Apparat  so  auf,  dass  die  an  den  beiden 
Polen  entwickelten  Gase  getrennt  aufgefangen  werden  können.  Der  4-  P^l  ist  ein 
Platinblech,  welches  sich  im  Inneren  eines  porösen  Thoncylinders  befindet  Diese 
Thonzelle  ist  durch  Kautschuk  an  ein  gleich  weites  Glasrohr  angesetzt  und  steht, 
von  einem  Kupferblech,  welches  als  —  Pol  dient,  umgeben,  in  einem  weiteren 
Glascylinder.  Das  im  inneren  Cylinder  frei  werdende  Methylgas  geht  zunächst 
durch  eine  Reihe  mit  Kalilauge  gefüllter  Kugeln,  dann  durch  drei  Kugelapparate 
von  denen  der  erste  rauchende  Schwefelsäure,  der  zweite  Kalilauge,  der  dritte 
Schwefelsäurehydrat  enthält  und  wird  endlich  in  einem  Quecksilbergasometer  auf- 
gefangen. 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  Olli.  183. 
••)  ibid.  CV.  242. 
•••)  ibid.  LXIX.  259. 

t)  ibid.  LXXI.  213. 


Methyl. 


383 


Darstellung  aufe  Methyljodid  und  Zink.  Man  erhitzt  Jodmethyl  und 
metallisches  Zink  in  einer  zugeschmolzenen  Glasröhre  auf  150^.  Es  entsteht  Jod- 
zink, Zinkmethyl  imd  Methyl,  welches  letztere  beim  Oeffnen  der  Röhre  in  Gasform 
entweicht. 

Das  Methyl  ist  dabei  das  Product  zweier  aufeinander 
folgenden  Zersetzungen.  Bei  der  ersten  entsteht  Zinkmethyl, 
welches    dann    mit  Jodmethyl    eine    zweite   doppelte    Zer- 


1 


Setzung  zeigt: 
Zink. 


.  [zi] 


Zn.    Zu 


Methyljodid.      Zinkmethyl. 

.      6H3  J 


=    Mml    +    2^'nJa 


Zinkmethyl. 


Methyljodid. 


Methyl. 


26H3.€H,  +  ZnJa 


Da  bei  dieser  und  bei  ähnlichen  Reactionen  die  Glas- 
röhre während  der  Operation  einen  bedeutenden  Druck  und 
im  Moment  des  Oefifnens  einen  Stoss  auszuhalten  hat,  so 
muss  sie  mit  besonderer  Sorgfalt  zugeschmolzen  werden. 
Man  zieht,  nachdem  das  Zink  in  die  Röhre  eingefüllt  ist, 
das  offene  Ende  zu  einer  dickwandigen  Haarröhre  aus  (cb), 
füllt  durch  Saugen  das  Jodmethyl  ein  und  schmilzt,  nach- 
dem die  Luft  durch  Erwärmen  des  Jodmethyls  oder  durch 
Auspumpen  entfernt  worden  ist,  bei  b  zu. 

Das  Methyl  ist  ein  färb-  und  geruchloses  Gas,  es  brennt  mit  bläu- 
licher kaum  leuchtender  Flamme.  Es  ist  in  Alkohol  etwas  löslich,  weni- 
ger in  Wasser  (vgl.  §.  491).  Es  verhält  sich  den  meisten  Reagentien 
gegenüber  völlig  indifferent.  Von  Chlor  wird  es  im  zerstreuten  Lichte 
angegriffen ;  dabei  entsteht  jedoch  nicht  Methylchlorid ,  sondern  Substitu- 
tionsproducte,    die  bis  jetzt  nicht  näher  untersucht  sind.     Es  ist  bis  jetzt 


384  Methylverbindungen. 

nicht  gelungen,  aus  dem  Methyl  eine  andere  Methylverbindung  darzu- 
stellen. 

628.  Methylalkohol.     Holzgeist  =  61140  =  ^^M^-     Von  Phi- 

lipps Taylor  1812  unter  den  Producten  der  trocknen  Destillation  des 
Holzes  aufgeftinden;  von  Dumas  und  Peligot*)  1835  genauer  unter- 
sucht und  als  ein  Alkohol  erkannt. 

Der  Holzgeist  entsteht  bei  der  trocknen  Destillation  des  Holzes  und 
findet  sich  zu  etwa  1  p.  G.  in  den  wässrigen  Destillationsproducten.  Er 
bildet  in  Verbindung  mit  Salicylsäure  (als  Methylsalicylsäure)  den  Haupt- 
bestandtheil  des  ätherischen  Oels  der  Gaultheria  procumbens  (Winter- 
greenöl).  Er  kann,  wie  Berthelot**)  fand,  aus  Sumpfgas  künstlich 
dargestellt  werden  (vgl.  §§.  626,  635)  und  da  dieses  aus  den  Elementen 
erhalten  werden  kann,  so  ist  auch  eine  wahre  Synthese  des  Holzgeist's 
möglich. 

Darstellung.  Die  von  dem  Holztheer  abgegossenen  wässrigen 
Destillationsproducte  (roher  Holzessig)  werden  destillirt;  das  zuerst  über- 
destillirende  ^/^o  wii*d  ein  oder  mehrmal  über  gelöschten  Kalk  rectificirt,  wobei 
viel  Ammoniak  entweicht;  man  setzt  dann  Schwefelsäure  zu,  wodurch  das 
Ammoniak  gebunden  wird  und  etwas  Theer  niederfällt,  destillirt  wieder 
ab  und  rectificirt  endlich  ein  oder  mehrmal  über  gebrannten  Kalk.  Der 
so  dargestellte  Holzgeist  riecht  noch  stark  empyreumatisch  und  bräunt 
sich  beim  Aufbewahren.  Er  enthält  noch  beträchtliche  Mengen  von  Ace- 
ton und  Essigsäure-Methyläther. 

Der  rohe  Holzgeist  enthält  ausserdem  noch  eine  Anzahl  von  Körpern,  deren 
Katui'  bis  jetzt  nicht  näher  bekannt  ist;  Xylit,  Lignon,  brenzliche  Oele  etc.  Ein 
Theil  dieser  Substanzen  scheidet  sich  durch  Wasserzusatz  aus  dem  rohen  Holzgeist 
ab ;  ein  anderer  findet  sich  in  dem  bei  der  Reinigung  des  Holzgeistes  mittelst 
Chlorcalcium  tibergehenden  Destillate.  —  (Vgl.  Gmelin,  liebig,  Löwig,  Weidmann 
und  Schweizer,  Kane  etc.  bes.  in  Gmelin's  Handbuch  IV.  808  und  ferner:  Völckel, 
Ann.  Chem.  Pharm.  LXXX.  309;  LXXXVl.  85.) 

Um  aus  käuflichem  Holzgeist  nahezu  reinen  Methylalkohol  darzu- 
stellen, benutzt  man  die  Eigenschaft  des  Methylalkohols  mit  Chlorcalcium 
eine  Verbindung  zu  bilden,  die  bei  100®  nicht  zersetzt  wird,  aber  bei 
Destillation  mit  Wasser  allen  Holzgeist  abgibt.  Man  sättigt  also  den 
käuflichen  Holzgeist  mit  geschmolzenem  Chlorcalcium,  erhitzt  im  Wasser- 
bade solange  noch  etwas  flüchtiges  entweicht,  destillirt  den  Rückstand 
mit  Wasser  und  rectificirt  den  so  erhaltenen  wässrigen  Methylalkohol  über 
gebrannten  Kalk  (Kane)  ***).  Nach  Gould  ist  es  zweckmässig,  den 
Holzgeist  erst  mit  gleichem  Volum   concentrirter  Kali-  oder  Natronlauge 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  XV.  1. 
•♦)  ibid.  CV.  241. 
♦♦•)  ibid.  XIX.  164. 


Methylalkohol  385 

zu  destilliren,  um  den  im  rohen  Holzgeist  bisweilen  in  sehr  grosser  Menge 
enthaltenen  Essigsäure-Metbjläther  zu  zersetzen,  das  Destillat  mit  kohlen- 
saurem Kali  zu  entwässern  und  dann  erst  mit  Chlorcalcium  zu  sättigen. 

Zur  Darstellung  von  völlig  reinem  Methylalkohol  ist  es  nöthig,  erst 
eine  Aetherart  des  Methylalkohols  darzustellen  und  aus  dieser  durch  Zer- 
setzung den  Alkohol  abzuscheiden.  Man  bereitet  entweder,  nach  Wöh- 
1er*),  Oxalsäure  -  Methyläther  (durch  Destillation  von  1  Th.  Holzgeist, 
1  Th.  Schwefelsäure  und  2Th.  oxalsaurem  Kali),  zersetzt  die  durch  Aus- 
pressen gereinigten  Erystalle  dieses  Aethers  durch  Destillation  mit  Was- 
ser und  entwässert  das  Destillat  durch  Rectification  über  gebrannten  Kalk. 
Oder  man  stellt,  nach  Garius**),  Benzoesäure  -  Methyläther  dar  (indem 
man  in  Holzgeist  Benzoesäure  auflöst.  Salzsäuregas  einleitet,  abdestillirt 
und  den  tiber  100®  flberdestiilirenden  Theil  mit  Wasser  f^Ut),  zersetzt 
diesen  durch  mehrstündiges  Erhitzen  mit  Natronlauge,  destillirt  und  rec- 
tifioirt  über  gebrannten  Kalk. 

Eigenschaften.  Der  Methylalkohol  ist  eine  farblose,  leicht  be- 
wegliche Flüssigkeit  von  rein  geistigem,  dem  Alkohol  ähnlichem  Geruch 
(der  empyreumatische  Geruch  des  rohen  Holzgeistes  rührt  von  den  bei- 
gemengten Substanzen  her).  Spec.  Gew.  =  0,8142  bei  0®.  Er  siedet 
je  nach  der  Natur  der  Ge&sswand  bei  60®  —  66^,5  und  zeigt  dabei  hef- 
tiges Stossen.  Er  brennt  mit  nicht  leuchtender  Flamme;  mischt  sich  mit 
Wasser,  Alkohol  und  Aether;  er  löst  fette  und  flüchtige  Oele  und  die 
meisten  Harze  auf  und  kann  desshalb  in  vielen  Fällen,  z.  B.  als  Heizmaterial 
und  namentlich  als  Lösungsmittel  statt  des  Alkohols  angewandt  werden. 

Da  das  specifische  Gewicht  des  Methylalkohols  nahezu  dasselbe  ist  wie 
das  des  Aethylalkohols  und  da  beim  Mischen  von  Methylalkohol  mit  Wasser 
dieselbe  Contraction  stattfindet,  wie  beim  Mischen  von  Aethylalkohol  mit  Wasser, 
so  zeigen  die  Lösungen  der  beiden  Alkohole  in  Wasser  für  gleichen  Procentgehalt 
gleiche  oder  wenigstens  fast  gleiche  specifische  Gewichte.  Die  §.  646  für  den  Aethyl- 
alkohol gegebene  TabelUe  kann  desshalb  auch  für  den  Methylalkohol  benutzt 
werden. 

Der  Holzgeist  verbindet  sich  mit  einigen  Substanzen  direct,  indem 
er  eine  dem  Erystallwasser  ähnliche  Rolle  spielt.  Die  Lösung  des  was- 
serfreien Baryt's  in  Holzgeist  hinterlässt  beim  Verdunsten  Erystalle: 
BajO  +  26H4O;  Chlorcalcium  wird  in  reichlicher  Menge  und  unter 
starker  Erwärmung  von  Holzgeist  aufgelöst,  beim  Erkalten  scheiden  sich 
grosse  sechsseitige  Tafeln  der  Verbindung:  CaCl  -f-  26H40  aus;  diese 
kann  für  sich  über  100®  erhitzt  werden,  ohne  sich  zu  zersetzen,  lässt 
aber  in  wässriger  Lösung  schon  unter  100®  Methylalkohol  abdestilliren« 

Kalium   und  Natrium   lösen   sich   in  Methylalkohol   auf,    unter 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  T.XXXT  376. 
••)  ibid.  CX.  210. 

KeknU,  organ.  Chemie.  26 


386  Methylverbmdungen. 

EntwicklaDg  von  Wasserstoff;  es  entstehen  krystallisiibare  Verbindungen, 
das  Kalium-  und  Natriummethylat: 

680.  Durch  Oxydation  geht  der  Methylalkohol  in  Ameisensäure  Ober 

(der  Aldehyd  der  Ameisensäure  konnte  bis  jetzt  unter  den  Oxydations- 
producten  nicht  nachgewiesen  werden).  Diese  Oxydation  kann  durch  die 
gewöhnlichen  Oxydationsmittel  hervorgebracht  werden ;  unter  Vermittlung 
von  Platinmohr  findet  sie  auch  auf  Kosten  der  Sauerstoffs  der  Luft  statt. 
Bei  den  meisten  Oxydationen  entsteht  neben  der  Ameisensäure  auch  Amei- 
sensäure-Methyläther. —  DestUlirt  man  gleiche  Theile  Holzgeist  und  Braun- 
stein mit  1^/3  Th.  Schwefelsäure,  so  entsteht  ausserdem  eine  bei  40*  siedende 
Flüssigkeit  (Formal  von  Kane  *J  und  Dumas  **),  die  wesentlich  aus  Melhylal 
=  0,H,ea  besteht  (Malaguti)  *•*). 

Wird  Holzgeist  mit  Natronkalk  gelinde  erhitzt,  so  entweicht  Was- 
serstoff und  es  entsteht  ameisensaures  Salz.  Kalihydrat  allein  erzeugt 
statt  der  Ameisensäure  Oxalsäure. 

Holzgeist.  Ameisens.  Kali. 

eH4e    +     KHO    =    OHjKO    +    H, 

Oxalsaur.  Kali. 

2eH40  +  2Kiie  =  e^Qfit  +  öh. 

Die  Ameisensäure  ist  ein  Product  einer  einfachen  Metamorphose: 

die  Oxalsäure  ein  Zersetzungsproduct  der  Ameisensäure. 

Chlor  wird  von  trocknem  Methylalkohol  rasch  aufgenommen  unter  Erwär- 
mung und  Entwicklung  von  Salzsäure.  Es  entstehen  zunächst  chlorhaltige  Flüssig- 
keiten und  als  Endproduct  eine  krystallisirbare  Substanz  das  Parachloralid 
(=  e,HCl,0?)  t).  Brom  wirkt  ähnlich  und  bildet  Par  abr om alid  (=  e,HBr,0). 
Durch  Erwirkung  des  in  einem  Gemisch  von  Holzgeist  und  Salzsäure  durch 
den  galvanischen  Strom  freiwerdenden  Chlors  erhielt  Riebe  ff)  eine  chlorhaltige 
Flfissigkeit:  OsH^ClO. 

Bei  Destillation  mit  Chlorkalk  liefert  der  Methylalkokol  Chloroform;  durch 
Einwirkung  von  Brom  oder  Jod  auf  eine  Lösung  von  Ealihydrat  in  Methylalkohol 
entsteht  Bromoform  oder  Jodoform. 


*)  Ana.  Chem.  Pharm.  XJX.  176. 
••)  ibid.  XXVIL  136. 
•••)  ibid.  XXXIL  66. 

f)  VgL  Bouis,  Ann.  Chem.  Pharm.  LSIV.  816;   Cloez,  Ann.  Chem.  Phann. 

CXI.  180;  Städeler  ibid.  CXL  808. 
ff)  Ann.  Chem.  Phann.  CXIL  828. 


Methylftther.  387 

Salpetenäme  oxydirt  den  HokgeiBt  und  erzeugt  gleichzeitig  Salpetersäure- 
Methyläther. 

Schwefelsäurehydrat  mischt  sieh  mit  Holzgeist  unter  starkem  681. 
Enii'ännen;    das  Gemisch    enthält  Hethylschwe feisäure  und  liefert 
beim  Erhitzen  je  nach  den  Verhältnissen ,   in  welchen  die  beiden  Körper 
angewandt    wurden     Methyläther    oder    Schwefelsäuremethy^  . 
äther. 

Die  Bildung  der  Methylschwefelsäure  ist: 


Bei  Bildung  des  Methyl&thers  und  des  Schwefelsäure-Methyläthers  wirkt  die 
anfangs  gebildete  Methylschwefelsäure  auf  ein  zweites  MolecÜl  Methylalkohol  ein. 
Man  hat  entweder: 


1«  ml 


oder: 


H 


In  beiden  Metamorphosen  wird  Wasserstoif  gegen  Methyl  ausgetauscht,  aber 
in  umgekehrtem  Sinn. 

Die  erste  Zersetzung  erfolgt  bei  grossem  üeberschuss  von  Schwefelsäure, 
die  zweite  wenn  nicht  mehr  als  4  Th.  Schwefelsäure  auf  1  Th.  Holzgeist  einwirken. 

Methyläther.     (Methyloxyd)  =  B^E^B  =   ^h'I^'     (^««aaß  682. 

and  Peligot  1835.) 

Man  erhitzt  ein  Gemenge  von  Holzgeist  (1  Th.)  und  Schwefelsäure- 
faydrat  (2  Th.)  uud  wäscht  das  Product  mit  Kalilauge.  Bei  gewöhnlicher 
Temperatur  gasförmig ,  von  angenehm  ätherartigem  Geruch ,  sehr  löslich 
in  Alkohol,  Aether  und  Schwefelsäure,  weniger  in  Wasser  (bei  18®, 
37  Vol.);  durch  starkes  Abkühlen  zu  einer  bei  —  21®  siedenden  Flüssig- 
keit verdichtbar. 

Der  Methyläther  verbindet  sich  direct  mit  Schwefelsäureanhydrid  za 
Schwefelsäure  -  Methyläther. 

Methylschwefelsäure.    SOJ     .      Man    mischt    Methylalkohol  688. 

(1  Th.)  mit  Schwefelsäurehydrat  (2  Th.),    sättigt  das  Gemisch   mit  einer 
Base,  deren  schwefelsaures  Salz  unlöslich  ist  (z.  B.  BleiweiBs,  kohlen- 

26  ♦ 


388  Methylverbindungen. 

saurer  Baryt),  zersetzt  das  im  Fiitrat  enthalteae  Methylschwefels&uresalz 
mit  Schwefelsäure  oder  bei  Blei  mit  Schwefelwassersto£f  und  verdunstet 
im  Vacuum.  Die  Methjlschwefelsäure  und  ihre  Salze  sind  krjstallisirbar 
und  sehr  zerfiiesslich. 

684,  Schwefelsäure-Methvläther.      SoJ^  .    Wird  erhalten  dureh 

Destillation  von  Holzgeist  mit  8 — 10  Th.  Schwefelsäorehjdrat  oder  indem 
man  Methyläther  von  Schwefelsäureanhydrid  absorbiren  lässt  Farblose, 
bei  188^  siedende  FlQssigkeit  von  knoblauchartigem  Geruch,  die  sich  in 
Wasser  nicht  löst,  beim  Erwärmen  mit  Wasser  aber  rasch  zu  Methyl- 
alkohol und  Methylschwefelsäure  zersetzt  wird. 

Wässriges  Ammoniak  zersetzt  den  Schwefelsäure  -  Methyläther  und  bildet 
Sulfamethylan  (Methyläther  der Sulfaminsäure),  das  bei  Verdunsten  der  Lösung 
im  Vacuum  krystallisirt: 

Schwefelsäure  -  Methyläther. 

eH,U  H. 

686.  Methyl  chlorid  (Chormethyl)  =  GH,,  Cl.  —  Es  entsteht  nach  B  er- 

thelot  neben  andern  Producten,  bei  Einwirkung  von  Chlor  auf  Sumpfgas 
(§.  626).  Man  erhält  es  durch  Erhitzen  eines  Gemenges  von  Holzgeist 
(1  Th.)  und  Schwefelsäure  (3  Th.)  mit  Kochsalz  (2  Th.).  Es  ist  ein 
farbloses  angenehm  riechendes  Gas,  durch  starkes  Abkühlen  zu  einer  bei 
—  22®  siedenden  Flüssigkeit  verdichtbar. 

Das  Methylchlorid  bildet  mit  Wasser  ein  krystallisirbares,  bei  -|~  ^^ 
festes  Hydrat  (Baeyer).  Es  wird  von  Wasser  absorbirt  (bei  14® — 4,17 
Vol.)  reichlicher  von  Alkohol. 

Durch  anhaltendes  Erhitzen  mit  wfissrigem  Kali  bei  100^  wird  es  zu  Methyl- 
alkohol, durch  Erhitzen  mit  Schwefelsäure  und  schwefelsaurem  Silber  -  oder  Queck- 
silberoxyd  bei  IOC®  zu  Methylschwefelsäure,  durch  Erhitzen  mit  essigsaurem  Na^ 
tron  und  Essigsäure  auf  200®  zu  Essigsäure-Methyläther  (Berthelot)  *). 

Chlor  wirkt  nur  im  Sonnenlicht  auf  Methylchlorid  und  erzeugt  Substitutions- 
producte  (§.  639).  —  Leitet  man  Methylchlorid  durch  eine  glühende  Röhre,  so  setzt 
sich  Kohle  ab  und  es  entsteht  Salzsäure,  Methylwasserstoff,  Elayl,  Eohlenoxyd, 
Naphthalin  und  ausserdem  eine  Substanz,  die  mit  Brom  eine  krystoUisirte  Verbin- 
dung liefert,  welche  bei  40*  schmilzt  und  bei  220®  siedet  (Perrot)**). 

Methylbromid  (Brommethyl)  =  6H,,  ßr.  Entsteht  bei  Einwirkung  von 
Brom  und  Phosphor  auf  Holzgeist.    Siedet  bei  18®.  —  Spec.  Gew.:  1,6644  bei  0*. 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CV,  241. 
•*)  ibid.  CL  376. 


Aeiherarten  des  Methyls.  389 

Methyljbdid  (Jodmethyl),  €H,,  J.  Wird  durch  gleichzeitige  Einwirkung 
von  Phosphor  nnd  Jod  auf  Methylalkohol  erhalten.  Farblose,  angenehm  riechende 
Flüssigkeit,  die  sich  beim  Aufbewahren  unter  Freiwerden  \on  Jod  zersetzt  -^ied- 
punkt:  48^    Spec.  Gew.:  2,1992  bei  0^. 

Methyl fluorür  (Fluormethyl),  62H,,  Fl  wird  nach  Dumas  und  Pcligot 
durch  Destillation  einer  Mischung  von  Fluorcalcium  und  Schwefeleäure-Methyläther 
als  farbloses  Gas  erhalten. 

Methylcyanid  (Cyanmethyl,  Acetonitril)  GjHjN  =:  GH3.GN.  686. 
Durch  Destillation  von  Cyankalium  mit  methylschwefelsaurem  Kali  kann 
Methylcyanid  erhalten  werden;  man  gewinnt  es  leichler  durch  Destillation 
von  Acetamid  mit  Phosphorsäureanhydrid.  Nach  der  ersteren  Bildungs- 
weise erscheint  dieser  Körper  als  die  Cyanverbindung  des  Radicals  Me- 
thyl, nach  der  letzteren  und  nach  seinen  Zersetzungen  als  ein  Rest  des 
essigsauren  Ammoniaks  oder  als   eine   dem  Ammoniaktypus  zugehörige 

Verbindung  des  Radicals:  O^H,.  Aus  dem  Acetonitril  durch  einfache 
Metamorphose  wieder  eine  Methylverbindung  darzustellen,  ist  bis  jetzt 
nicht  gelungen. 

(Das  Methylcyanid  wird  später  als  Verbindung  des  Radicals  QJRz 
beschrieben  vgl.  auch  $§.  609,  621). 

Methylmercaptan  (Methylsulfhydrat, Schwefelwasserstoff-Schwefelmethyl) :  687. 
4>S.     Wird  durch  Destillation  von  methylschwefelsaurem  Kalk  mit  Kaliumsulf- 
hydrat  oder  durch  Einwirkung  von  Methylchlorid  auf  eine  Lösung  von  Kalium- 
Bulfhydrat  in  Holzgeist  (oder  Alkohol)  erhalten.     Farblose,  übelriechende  Flüssig- 
keit, die  bei  21®  siedet  und  mit  Quecksilberoxyd  eine  krystallisirbare  Verbindung: 

^J||S  liefert 

OH  \ 

Methylsulfid  (Schwefelmethyl)   pii'/^r.      Man    sättigt    eine   weingeistige 

Lösung  von  Schwefelkalium  mit  Methylchlorid  und  destillirt.  Farblose,  übelriechende 
Flüssigkeit,  die  bei  41®  siedet. 

Wendet  man  statt  einfach  Schwefelkalium  Zweifach  -  Schwefelkalium  an, 
so  erhält  man  Methylbisulfid  =  (^Ha),^^  als  gelbliche  bei  140®  siedende 
Flüssigkeit,  von  zwiebelartigem  Geruch.  Destillirt  man  Fünffach- Schwefelkalium 
mit  methylschwefelsaurem  Kali,  so  entsteht  neben  Methylbisulfid  auch  Methyl- 
trisulfid:  (8H3)aS„  welches  über  200®  destillirt. 

Methyläther  der  schwefligen  Säure.  Die  schweflige  Säure  bildet 
wie   alle   zweibasischen  Säuren    zwei  Methyläther.     Die   methylschweflige  Säure: 

ee,|S^»  =  ^^»,        und  den  Schwefelsäure -Methyläther:  60,  |^S»  =  ^?« 

'     ^i|o  '*"•  Sil«. 

Der  Schwefligsäure -Methyläther  entsteht  bei  Einwirkung  von  Halbchlor- 
schwefel und  auch  von  Chlorthionyl  (öOClj)  auf  Methylalkohol*),  er  ist  eine  an- 


*)  Carius,  Ann.  Chem.  Pharm.  CX.  219.  und  CXI.  97. 


390  Hethylverbindungen. 

genehm  riechende  FlüsBigkeit,  die  bei  121^,5  siedet  (vgl.  die  entsprechende  Aeihyl- 
verbindung).  Die  methylschweflige  Säure  entsteht  in  geringer  Menge  bei 
derselben  Reaction,  sie  entsteht  femer  durch  Einwirkung  einer  alkoholischen  Eali- 
lösung  auf  methylschweflige  Säure,  durch  Oxydation  des  Methylmercaptan's ,  Me- 
thylbisulfid's  und  des  Sulfocyanmethyls  mittelst  Salpetersäure  und  endlich  durch 
Redaction  ihrer  Substltutionsproducte  mittelst  Ealiumamalgam  oder  durch  den  gal- 
vanischen Strom  (vgL  §.  641). 

Salpetersäure  -Methyläther:  ^n^}^  destillirt  aus  dem  Gemisch  von 
Methylalkohol,  Schwefelsäure  und  Salpeter-,  siedet  bei  66^. 

Salpetrigsäure-Methyläther,  Methylnitrit:  GH,. NO,.  VonStrecker 
durch  Destillation  von  Methylalkohol  mit  Salpetersäure  und  metallischem  Kupfer 
(oder  arseniger  Säure)  dargestellt  Entsteht  auch  bei  Einwirkung  concentrirter  Sal- 
petersäure auf  Brucin.    Siedet  bei  —  12*. 

Methyläther  der  phosphorigen  Säure.  Von  den  drei  Methyläthem 
der  phosphorigen  Säure  ist  bis  jetzt  nur  die  monomethylphosphorige  Säure: 

€IHt>0t  bekannt;    sie  entsteht  bei  Einwirkung  von  PiiosphorehlorOr  anf  Hethyl- 

alkohol  (vgL  die  entsprechenden  Aethylverbindungen). 

Methyl  äther  der  Phosphor  säure.  Der  neutrale  Methyläther  der  Phos- 
phorsäure ist  noch  unbekannt  Die  zweibasische Monomethylphosphorsft are 
und  die  einbasische  B im ethylp ho sp hör  säure  entstehen  durch  Einwirkung  von 
Phosphoroxy Chlorid  auf  Methylalkohol  (SchifQ*). 

m 

Borsäure- Methyläther:     .^^  .  >0^  ist  von  Ebelmen  durch  Einwirkung 

von  CSilorborgas  auf  Methylalkohol  dargestellt;  siedet  bei  70®.   Dampfdichte  8,66.) 

Cyansäure-Methyläther:  ^^>0  und  Oyanursäure-Methyläther: 

"G  N  ) 

^^J  \^\^9   werden  wie  die  entsprechenden  Aethyläther  erhalten  und  zeigen  ganz 

entsprechende  Metamorphosen.      Der  Cyansäure-Methyläther   ist  sehr  flfich- 
,Üg\  der  Cyanursäure-Methyläther  krystallislrt ,  schmilzt  bei  140*,  und  ver- 
flüchtigt sich  bei  29b^. 

Sulfocyanmethyl:  ^  \B  siedet  bei  188®  und  wird,  wie  die  entsprechende 

Aethylverbindung  durch  Destillation  vom  Sulfocyankalium  mit  methylschwefelean- 
rem  Kali  erhalten. 

Substitutionsproducte  der  Methylverbindungen« 

533.  Es   ist   früher   erw&hnt  worden,   dass  bei  Einwirkung  von  Chlor, 

Brom  oder  Jod  auf  organische  Substanzen  häufig  eine  eigenthümliche,  als 
Substitution  bezeichnete  Reaction  stattfindet,  durch  welche  der  oi^ 
nisohen  Substanz   eine   gewisse  Anzahl  von  Wasserstofiatomen  entsogen 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CU.  884. 


Substitationsprodacte. 


391 


f' 


31- 
de: 


und  durch  eine  gleich  grosse  Anzahl  von  CSilor-,  Brom-  oder  Jodatomen 
ersetzt  werden. 

Für  die  Hethylverbindungen  sind  bis  jetzt  nur  chlorhaltige  Substitu. 
tionsproduete  n&her  untersucht. 

Durch  Einwirkung  von  Chlor  auf  Methylftther  (Begnault)*) 
und  auf  Methjlsulfid  (Riebe)  **)  sind  die  folgenden  Chlorsubstitn- 
tionsproduete  erhalten  worden: 


Methylftther 
Monochlormethylftther 

Bichlormethylftther 

Perchlormethylftther 


(GH,),e 
(eHaCi),e 

(sied.  106«) 

(«HClOa^ 
(sied.  180^) 

(eci,),e 


[ß^t\    S  MethylBolfid. 
(eH,GI),&  Monochlormethylsulfid. 

(eHCl,),^  Bichlormethylsulfid. 

(601,),  &  PerchlonnethylBulfid. 


Die  Einwirkung  des  Chlors  auf  Methylftther  ist  sehr  heftig,  ein  Gemenge  bei- 
der Gase  zeigt  nach  wenigen  Minuten  Explosion;  lässt  man  beide  Gase  in  einem 
BaUon  zusammentreten,  so  geht  die  Einwirkung  ruhig  vor  sich.  Auch  bei  Methyl- 
snlfid  ist  die  Einwirkung  so  lebhaft,  dass  jeder  Tropfen  Methylsulfid  sich  in  Chlor- 
gas entzündet  und  umgekehrt  jede  Blase  Chlorgas  im  Schwefelmethyl  Entzündung 
hervorbringt;  man  Ifisst  desshalb  das  Chlor  nur  auf  die  Oberflftche  des  Schwefel- 
methyls zutreten. 

Die  Dampfdichte  des  Perchlormethylftthers  wurde  =  4,67  gefunden,  wfthrend 
sie  nach  dem  für  die  meisten  Kohlenstoffverbindangen  gültigen  Volnmgesetz  (vgL 
SS.  896 ff.)  =  8,76  sein  sollte.  Es  ist  danach  wahrscheinlich,  dass  der  Perchlor- 
methylftther sich  beim  Erhitzen  zersetzt,  nach  der  Gleichung: 

Perchlormethylftther.        Chlorkohlenstoff.         Phosgen. 

(eci,),e        =        eci«         +  eeci, 

und  dass  der  Dampf  ein  Gemisch  der  Dfimpfe  der  entstandenen  Zersetzungsproducte 
ist  (S.  404). 

Auch  auf  Methylwasserstoff  und  auf  Methjlchlorid   wirkt« 
das  Chlor  substitnirend  ein.    Man  könnte  die  folgenden  zwei  Reihen  von 
Producten  erhalten : 


aus  Methylwasserstoff. 
eH,    .H 
eH^Cl.H 

eci,  .H 
ea,  .ci 


aus  Methylchlorid. 

eH,     .01  (sied.  21»). 
eHjCl.Cl  (sied.  81<^)  Monomethylchlorid.| 
enClj.Cl  (sied.  61»)  Chloroform. 
eCl,    .01  (sied.  78<^)  Chlorkohlenstoff. 


Die  Verbindungen   der  ersten  Reibe    könnten   sich   (mit  Ausnahme 
des  letzten  Gliedes j  wie  Hydrflre  chlorhaltiger  Radicale  verhalten;  die  der 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  XXXiV.  29.  (1889). 
••)  ibid.  XCIL  868.  —  Jahresb.  1854.  668. 


392  Hethylyeii)indangen. 

zweiten  Reihe  wie  GhloricLe.  Es  ist  indessen  vonDamas  nachgewiesen, 
da?8  nicht  nor  das  Endproduct,  sondern  auch  das  vorhergehende  Glied 
der  durch  Einwirkung  Yon  Chlor  auf  Methylwasserstoff  entstehenden  Kör- 
per identisch  ist  mit  den  zwei  letzten  Substitutionsproducten,  die  Regnaolt 
aus  dem  Methjichlorid  dargestellt  hat.  Das  Endproduct  ist  in  beiden 
Fällen  Chlorkohlenstoff:  GC\^^  das  vorletzte  Substitutionsprodnet: 
Chloroform.  Der  Körper  6HCI2.H  der  Methjlwasserstoflreihe  ist  noch 
nicht  bekannt  Das  erste  Product:  6H2CI.H  der  Einwirkung  von  Chlor 
auf  Methylwasserstoff  soll  nach  Kolbe,  Varrentrapp  und  Baeyer 
verschieden  von  Methylchlorid  sein  (vgl  5.  626),  während  Berthelol 
wirkliches  Methylchlorid  erhielt  (§.  635). 

Durch  Einwirkung  von  Kaliumamalgam  auf  in  Weingeist  gelösten 
Chlorkohlenstoff  kann  nach  Regnault*)  eine  umgekehrte  Substi- 
tution hervorgebracht  werden.  Der  Chlorkohlenstoff  verwandelt  sich 
in  Chloroform,  Monomethylchlorid,  Methylchlorid  und  in  Methylwasser- 
stoff. Auch  Zink  und  verdünnte  Schwefelsäure  bewirkt  diese  Umwand- 
lung des  Chlorkohlenstoffs  zu  Chloroform  (Oeutherj  **). 

Das  Chloroform  wird  später  als  Chlorid  des  Radicals:  €H 
beschrieben. 

640.  Chlorkohlenstoff,  Doppelchlorkohlenstoff,  Zweifach  Chlor- 
kohlenstoff, Perchlormethylchlorflr :  6C14.  Entsteht,  ausser  durch  die  er- 
wähnten Reactionen,  auch  durch  Einwirkung  von  Chlor  auf  Schwefel- 
kohlenstofi,  namentlich  wenn  man  ein  Gemenge  beider  Körper  durch  eine 
glühende  Röhre  leitet.  Zu  seiner  Darstellung  leitet  man  im  Sonnenlicht 
und  unter  Erwärmen  Chlorgas  durch  Chloroform. 

Der  Chlorkohlenstoff  ist  eine  farblose  in  Wasser  unlösliche  Flüssig- 
keit von  angenehmen  Geruch.  Er  siedet  bei  77®.  —  Durch  weingeisti- 
ges Kali  zeriUlit  der  Chlorkohlenstoff  zu  Chlorkalium  und  kohlensaurem 
Kali;  bei  längerem  Erhitzen  auf  100®  entsteht  dabei  auch  Elayl:  BJä^ 
(Berthelot).  Erhitzt  man  mit  Kalihydrat  auf  200®,  so  entsteht:  oxal- 
saures  Kali,  Chlorkalium,  Wasser  und  Wasserstoff  (Gent her)  ♦**). 
Leitet  man  seinen  Dampf  durch  eine  glühende  Röhre,  so  zerfällt  er  zum 
Theil  in  freies  Chlor,  einfach  Chlorkohlenstoff  und  Anderthalb- 
ohlorko  bleust  off. 

2eCl4    =    €,Cle    +    Cl, 
GjCle     =    €,04    +    Cl, 

641.  Besonderes  Interesse  bieten  die  Chlorsubstitutionsproducte 
der  methylschwefligen  Säure  und  des  Chlorids  dieser  Säure: 


•)  Vgl.  Regnault,   Cours  elementairc  de  Chimie  (1861)  IV.  274.    —    Gerhardt, 

Trait6.  I.  608. 
••)  Ann.  Chem.  Pharm.  CVH  214. 
•••)  ibid.  CXL  17Ö. 


Snbstitationsprodaete. 


393 


Methjlschweffige 
Säure 


Säuren« 
GH, 


Chloride« 


Mooochlormethjl- 
schweflige  S&ure 


Bichlormethjl- 
schweflige  Säure 


Percblormethjl- 
schweflige  Säure 


©HjCl 
©HCl, 


"M' 


GCl, 
Hl 


e 


GHCa, 

se^.ci 


ecia 
öea.ci 


Chlorid  derBichlor- 

methjlschwefligen 

Säure. 

Chlorid  der  Perohlor- 

methjlschwefligen 

Säure. 


Diese  Körper  sind  bis  jetzt  nicht  als  Substitutionsproducte  der  me- 
thylschwefligen Säure,  sondern  von  Kolbe  *)  auf  umgekehrtem  Wege 
aus  dem  an  Chlor  reichsten  Product  dem  Chlorid  der  perchlorme- 
thylschwefligen  Säure  erhalten  worden.  Dieses  Chlorid  ist  der  von 
Berzelius  und  Marcet  1813  beobachtete  „campherartige  Körper,^^ 
häufig  als  schwefligsaurer  Chlorkohlenstoff  bezeichnet,  der  durch 
Einwirkung  von  feuchtem  Chlorgas  auf  Schwefelkohlenstoff  entsteht: 

es^  +  6CLj  +  2H,e  =  eCl4.se,  +  SCI4  +  4HC1. 

Man  erhält  diesen  Körper,  indem  man  Schwefelkohlenstoff  mit  einem  Ge- 
menge von  Salzsäure  und  Braunstein  (unter  Zusatz  von  etwas  Salpeter- 
säure) mehrere  Tage  stehen  lässt  und  dann  abdestiilirt  Er  ist  eine  weisse 
krjstallisirte  Substanz,  unlöslich  in  Wasser,  löslich  in  Alkohol,  Aether 
und  Schwefelkohlenstoff.  Cr  schmilzt  bei  135^,  siedet  bei  170®  und  subli- 
mirt  wie  Campher.  Durch  Destillation  mit  concentrirter  Schwefelsäure 
zerfällt  er  in  schweflige  Säure,  Salzsäure  und  Phosgen: 

eci4se,  +  H,e  =  se,  +  2Hci  +  eeci,. 

Durch  Wasser  wird  er  ebenfalls  zersetzt,  statt  des  Phosgens  entsteht  dann 
Kohlensäure  und  Salzsäure. 

Durch  Einwirkung  von  Kalilauge  zerfällt  das  Chlorid  der  per- 
chlormethy Ischwefligen  Säure  zu  Chlorkalium  und  perchlor- 
methylschwefligsauremKali.  Durch  reducirende  Substanzen  (schwef- 
lige Säure,  Schwefelwasserstoff)  wird  es  zu  dem  Chlorid  der  bichlor- 
methylschwefl  igen  Säure.  Diese  zerfällt  mit  Kalilauge  zu  Cblorkalium 
und  bichlormethylschwefligsauremKali.    Dieselbe  bichlormethyl- 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  UV.  146.  (1846). 


394  .Aethylverbindungen. 

sehweflige  Säure,  oder  vielmehr  ihr  Zinksalz  wird  auch  erhalten,  wenn 
man  Zink  in  perchlormethylschwefliger  Bäure  auflöst  Setzt  man 
dagegen  per-  oder  auch  bichlormetbjischweflige  Säure  der  reducirenden 
Wirkung  des  galvanischen  Stromes  aus,  indem  man  eine  amalgamirte 
Zinkptatte  als  Elektrode  verwendet,  so  wird  von  neuem  Chlor  durch 
Wasserstoff  ersetzt  und  es  entsteht  monochlormethylsohweflige 
Säure  und  schliesslich  methylschweflige  Säure. 


Aethylverbindungen. 

Radical:  Aethyl  =  Gfi^. 

642.  Die  Aethyl  Verbindungen  zeigen  in  Zusammensetzung,  in  physika- 

lischen und   in   chemischen  Eigenschaften   die   grösste  Analogie  mit  den 
Methyl  Verbindungen. 

Den  Ausgangspunkt  zur  Darstellung  aller  Aethylverbindungen  bildet 
der  Aethylalkohol,  der  zugleich  durch  seine  vielfache  Verwendung 
das  wichtigste  Glied  der  ganzen  Gruppe  ist 

Aethylalkohol.    (Alkohol.    Weingeist    Aethyloxy  dhydrat)  : 


®*^^je  =  e,Hee. 


Alkoholhftlüge  gegohrene  Flüssigkeiten  waren  schon  in  den  ältesten  Zeiten, 
die  Destillirbarkeit  des  Weingeistes  im  8.  Jahrhundert  (Marcus  Grftcus)  bekannt 
Als  die  eigentlichen  Entdecker  des  Alkohols  werden  gewöhnlich  Amoidus  Villano- 
vanns  oder  Raymund  Lall  genannt  (13.  Jahrhundert).  Seine  Zusammensetzang 
wurde  erst  von  Th.  Saussore  ermittelt 

642.  Der  Aethylalkohol   ist  ein  Product  der  geistigen  Gfthrung  des 

Zuckers;  d.  h.  der  Zersetzung,  welche  der  Zucker  in  w&ssriger  Lösung 
durch  Vermittelung  der  Hefe  als  Ferment  erleidet  Die  grösste  Menge 
des  Zuckers.  zer&Ut  bei  dieser  Zersetzung  gerade  auf  in  Alkohol  und 
Kohlensäure : 

Traubenzucker.  Alkohol. 

GeHijOe        =         2e,H«0        +        2€0, 

Gleichzeitig  entstehen  in  untergeordneter,  aber  doch  nicht  ganz  unerheb- 
licher Menge:  Glycerin,  Bernsteinsäure  etc.  (Pasteur).  Der  Trauben- 
zucker wird  direct  durch  Hefe  in  Gährung  versetzt;  die  meisten  andern 
Zuckerarten  (z.B.  Rohrzucker)  gehen  zunächst  in  Traubenzucker  aber. 
Ueberhaupt  sind  alle  diejenigen  Körper,  welche  sich  in  Traubenzucker 
umwandeln  können,  &hig,  durch  geistige  Gährung  Alkohol  zu  erzeugen. 
So  gährt  z.  B.  ein  Aufguss  von  Gerste,  indem  durch  Vermittelung  der 
beim  Keimprocess  entstehenden  Dias tase  das  Stärkemehl  des  Getrei- 
des in  Dextrin  und  Traubenzucker  übergeht  (Die  Gährung  wird 
gelegentlich  des  Zuckers  ausfbhrlicher  besprochen  werden.) 


Alkohol.  395 

Alkohol  entsteht  ferner,  wenn  auch  in  nur  geringer  Menge  (neben 
viel  Buttersfture,  Milchsäure  etc.)  durch  die  Gfthrung,  welche: 
Mannit,  Dulcit,  Glycerin,  Sorbin,  Rohrzucker,  Milchzucker, 
Stärke  und  Gummi  bei  Gegenwart  von  Wasser,  Kreide  und  Käse 
(als  Ferment)  erleiden  (Berthelot  1856)  ♦). 

Einzelne  dieaer  Substanzen  entwickeln  dabei  neben  Eohlensfture  auch  Was- 
serstoff.   Die  Zersetzung  erfolgt  vielleicht  nach  den  Formeln : 

Glycerin.  Alkohol. 

GjHeGa      =    GaH^G    +■    GGa    +    H, 

Mannit. 

Interessant  ist  die  Bildung  des  Alkohols  aus  Aethylen :  G2H4.  Dieser 
Kohlenwasserstoff  verbindet  sich  nämlich  direct  mit  Schwefelsäurehydrat, 
mit  Jodwasserstoff,  Bromwasserstoff  und  selbst  mit  Chlorwasserstoff  unter 
Bildung  von  Aethylschwefelsäure  von  Jodäthyl,  Bromäthyl  und  Chloräthyl, 
die  dann  beim  Kochen  mit  Wasser  oder  beim  Erhitzen  mit  Kalilauge 
Alkohol  erzeugen  (Berthelot)  **). 

Darstellung  des  Alkohols.  Man  gewinnt  in  fabrikmässigem  644. 
Betrieb  durch  Destillation  gegohrener  Flüssigkeiten  den  Weingeist  oder 
Spiritus.  Derselbe  enthält  ausser  Alkohol  noch  eine  je  nach  der  Con- 
struction  der  Destillirapparate  mehr  oder  weniger  grosse  Menge  von 
Wasser  und  ausserdem,  namentlich  wenn  Kartoffelstärke  oder  Getreide 
als  Gährungsmaterial  angewandt  wurden,  Fuselöl  (Amylalkohol).  Das 
Fuselöl  kann  durch  Kohle,  am  besten  Holzkohle  entzogen  werden  (Ent- 
fuselung).  Bei  zweckmässig  construirten  Destillationsapparaten  wird 
ein  Weingeist  erhalten,  der  85  — 90 0/0  und  selbst  92%  Alkohol  enthält; 
er  wird  häufig  im  Destillationsapparat  selbst  entfiiselt 

Durch  Rectification  allein  kann  der  Alkohol  nicht  vollständig  ent- 
wässert werden;  man  ist  vielmehr  genöthigt  Substanzen  zuzusetzen,  welche 
das  Wasser  binden.  Es  sind  dazu  nahezu  alle  hygroskopischen  Körper 
verwendbar.  Am  zweckmässigsten  stellt  man  starken  Alkohol  (90%)  einige 
Stunden  mit  kleinen  Stücken  von  gebranntem  Kalk  zusammen  und  destil- 
lirt  dann  ab.  Der  so  gewonnene  Alkohol,  absoluter  Alkohol,  ist 
fast  wasserfrei  und  verliert  bei  einer  zweiten  Destillation  Aber  Kalk  noch- 
mals etwas  Wasser. 

Trägt  man  in  starken  Weingeist  darch  Schmelzen  entwässertes  kohlensaures 
Kali  ein,  so  scheidet  sich  eine  wässrige  Lösung  dieses  Salzes  unter  dem  Alkohol 
ab;   durch  Rectification  über  neue  Mengen  von  kohlensaurem  Kali  erhält  man  ab- 


•)  Jahresbericht  1867.  609. 
••)  Ann.  Chem.  Pharm.  XCIV.  78-,  CIV.  186. 


396  Aethylverbindnngen. 

solaten  Alkohol.  —  Anch  geschmolzenes  Chlorcalcimn  ist  zum  Entwttssem  des 
Alkohols  verwendbar,  wenn  gleich  nicht  geeignet,  weil  es  mit  Alkohol  eine  Ver- 
bindung eingeht 

Um  dem  absoluten  Alkohol  die  letzten  Sparen  von  Wasser  zu  entziehen, 
sind  mehrere  Methoden  anwendbar.  Man  stellt  denselben  entweder  l&ngere  Zeit 
mit  völlig  entwässertem  Kupfervitriol  oder  mit  entwässertem  BluÜangensalz  zusam- 
men, oder,  zweckmässiger,  man  destillirt  Über  wasserfreien  Baryt;  oder  man  trägt 
in  den  über  gebrannten  Kalk  rectificirten  Alkohol  etwas  Natrium  ein  und  destillirt 
im  Wasserbade  ab. 

Wird  wasserhaltiger  Alkohol  in  eine  thierische  Blase  eingebunden  und  diese 
an  einem  warmen  Ort  aufgehängt,  so  verdunstet  wesentlich  Wasser,  während 
nahezu  absoluter  Alkohol  in  der  Blase  zurückbleibt  (Sömmering). 

646.  -  Eigenschaften.  Der  Alkohol  ist  eine  farblose,  leicht  bewegliche 
Flüssigkeit,  von  angenehm  geistigem  Geruch  und  brennendem  Geschmack. 
In  reinem  Zustand  genossen,  wirkt  er  giftig,  und  in  die  Venen  einge- 
spritzt bringt  er  raschen  Tod. 

Spec.  Gew.  0,8096  bei  0«;  0,7939  bei  15^6;  0,792  bei  20«.  (Kopp.) 
Siedepunkt:  78^^,4  bei  760  M.  m.  —  Selbst  durch  die  grösste  künstliche 
Kälte  (—  100®)  wird  er  nicht  fest,  sondern  nur  dickflüssiger.  Er  brennt 
mit  schwach  leuchtender  Flamme. 

Der  Alkohol  ist  sehr  hygroskopisch.  Er  zieht  aus  der  Luft  rasdi 
Wasser  an  und  entzieht  einigen  Salzen  (z.  B.  Soda,  Glaubersalz)  einen 
Theil  ihres  Krystallwassers.  Er  mischt  sich  mit  Wasser  in  jedem  Ver- 
hältniss;  dabei  findet  W^ärmeentwicklung  und  Contraction  statt  Das 
Maximum  der  Contraction  tritt  ein,  wenn  62,3  Vol.  Alkohol  mit  47,7 
Vol.  Wasser  bei  15®  gemischt  werden;  statt  100  Vol.  entstehen  nur  96,36. 
Die  erwähnten  Mengen  entsprechen  nahezu  dem  Verhältniss:  G^H^O  -f" 
SHjG  (vgl.  §.  488). 

646.  Alkohole metrie  •).    Da  der  Werth  alkoholhaltiger  Flüflsigkeiten  wesent- 

lich durch  ihren  Alkoholgehalt  bedingt  wird,  so  ist  es  von  Wichtigkeit  Methoden 
zu  besitzen,  durch  welche  dieser  Alkoholgehalt  rasch  und  möglichst  genau  ermit- 
telt werden  kann.  Da  eine  chemische  Analyse  nicht  wohl  ausftlhrbar  ist,  hat  man 
die  Bestimmung  verschiedener  physikalischer  Eigenschaften  als  alkoholometrische 
Methoden  benutzt.  Die  Bestimmungen  der  spec  Wärme  und  des  lichtbrechnngs- 
vermögens  sind  bis  jetzt  zu  diesem  Zweck  nicht  versucht  worden,  obgleich  na- 
mentlich die  letztere  Eigenschaft  vielleicht  nutzbar  wäre  (vgl.  §.  614).  Die  Bestim- 
mung des  Siedepunktes  wird  von  Gröning  und  Pohl  und  bei  den  Ebullioskopen 
von  Brossard-Vidal  und  Conaty  in  Anwendung  gebracht.  Auf  die  Spann- 
kraft des  Dampfes  ist  das  auf  PI  ück  er 's  Vorschlag  von  Geissler  construirte 
Vaporimeter  begründet.  Die  Ausdehnung  durch  Wärme  wird  in  Silbermann's 
Dilatometer  verwendet.  Gegenwärtig  wird  fast  ausschliesslich  die  Bestimmung 
des  spec.  Gewichtes  als  alkoholometrische  Methode  in  Anwendung  gebracht.  Man 
bestimmt  also  das  spec.  Gewicht  eines  Weingeistes   vermittelst  des  Aräometers. 


*)  Vgl  liebig  u.  Pogg.  Handwörterbuch.  2.  Aufl.  I.  493. 


Alkoholometrie. 


397 


Da  nun  Alkohol  und  Wasser  beim  Vermischen  eine  Contraction  erfahren  und 
zwar  nach  mit  der  Temperatur  veränderlichen  und  bis  jetzt  nicht  ermittelten  Ge- 
setzen, so  ist  es  einleuchtend,  dass  nur  durch  experimentelle  Bestimmungen  die 
Beziehungen  zwischen  dem  spec.  Gewichte  und  dem  Alkoholgehalte  eines  Wein- 
geistes festgestellt  werden  konnten.  Solche  Bestimmungen  sind  von  Gilpin  (1794), 
Tralles  (1811),  Gay-Lussac  und  Kopp  ausgeführt  worden.  Aus  diesen  Bestimmun- 
gen hat  man  Tabellen  zusammengestellt,  welche  die  spec.  Gewichte,  die  Volum- 
procente  und  die  Gewichtsprocente  der  Gemische  von  Alkohol  und  Wasser  an- 
geben. 


lOOVoluniinall 

enthalten     1 

Vol.  Alkohol.ll 

ii 

lOOVoluminJI 

enthalten     1 

Vol.  Alkohol.! 

11 

CO*" 

lOOVolumina 

enthalten 
Vol.  Alkohol. 

li 

O  P4 

0 

0 

0,9991 

84 

28,18 

0,9596 

67 

59,82 

0,8966 

1 

0,80 

0,9976 

85 

28,99 

0,9583 

68 

60,38 

0,8941 

2 

1,60 

0,9961 

86 

29,86 

0,9570 

69 

61,42 

0,8917 

8 

2,40 

0,9947 

87 

80,74 

0,9556 

70 

62,50 

0,8892 

4 

8,20 

0,9938 

88 

31,62 

0,9541 

71 

68,58 

0,8867 

5 

4,00 

0,9919 

89 

32,50 

0,9526 

72 

64,66 

0,8842 

6 

4,81 

0,9906 

40 

33,39 

0,9510 

78 

65,74 

0,8817 

7 

5.S2 

0,9893 

41 

84,28 

0,9494 

74 

66,88 

0,8791 

8 

t;.4a 

0,9881 

42 

85,18 

0,9478 

75 

67,98 

0,8765 

9 

724 

0,9869 

48 

36,08 

0,9461 

76. 

69,05 

0,8739 

10 

Km 

0,9857 

44 

36,99 

0,9444 

77 

70,18 

0,8712 

11 

K87 

0,9845 

45 

37,90 

0,9427 

78 

71,81 

0,8685 

12 

u.m 

0,9834 

46 

88,82 

0,9409 

79 

72,45 

0,8658 

13 

10.51 

0,9823 

47 

39,74 

0,9391 

80 

73,59 

0,8631 

14 

11,33 

0,9812 

48 

40,66 

0,9373 

81 

74,74 

0,8603 

15 

12.15 

0,9802 

49 

41,59 

0,9354 

82 

75,91 

0,8675 

16 

12.!>8 

0,9791 

50 

42,52 

0,9335 

88 

77,09 

0,8547 

17 

1S.8Ü 

0,9781 

51 

43,47 

0,9315 

84 

78,29 

0,8518 

18 

14,63 

0,9771 

52 

44,42 

0,9295 

85 

79,50 

0,8488 

19 

16.16 

0,9761 

53 

45,36 

0,9275 

86 

80,71 

0,8458 

20 

ie.28 

0,9751 

54 

46,32 

0,9254 

87 

81,94 

0,8428 

21 

17.11 

0,9741 

55 

47,29 

0,9234 

88 

83,19 

0,8397 

22 

17,96 

0,9731 

56 

48,26 

0,9213 

89 

84,46 

0,8366 

28 

18,78 

0,9720 

57 

49,23 

0,9192 

90 

85,75 

9,8332 

24 

19,62 

0,9710 

58 

50,21 

0,9170 

91 

87,09 

0,8299 

25 

20,46 

0,9700 

59 

51,20 

0,9148 

92 

88,37 

0,8265 

26 

21,30 

0,9689 

60 

52,20 

0,9126 

93 

89,71 

0,8230 

27 

22,14 

0,9679 

61 

53,20 

0,9104 

94 

91,07 

0,8194 

28 

22,99 

0,9668 

62 

54,21 

0,9082 

95 

92,46 

0,8157 

29 

23,84 

0,9657 

63 

55,21 

0,9059 

96 

93,89 

0,8118 

30 

24,69 

0,9646 

64 

56,22 

0,9036 

97 

95,34 

0,8077 

81 

25,55 

0,9634 

65 

57,24 

0,9018 

98 

96,84 

0,8084 

32 

26,41 

0,9622 

66 

58,27 

0,8989 

99 

98,39 

0,7988 

88 

27,27 

0,9609 

100 

100,00 

0,7939 

Da  die  Angaben  der  Tabelle  sich  auf  15^/g®  C.  beziehen,  so  muss,  wenn  die 
Bestinunung  des  spec  Gewichtes  bei  einer  anderen  Temperatur  ausgeführt  wurde, 
eine  Correktur  angebracht  werden.  Statt  der  zu  diesem  Zweck  entworfenen  Ta- 
bellen dient  einfach  die  folgende  Regel.  Man  mulüplicire  die  Temperaturdifferenz 
mit  0,4  und  ziehe  das  Product  von  den  in  der  Tabelle  angegebenen  Volumprocen- 


398  Aethylverbindungen. 

ten  ab,  wenn  die  Yersachsteniperatar  höher  war  als  16*/«*;  oder  addire  es  za, 
wenn  sie  niedriger  war.  —  Statt  der  gewöhnlichen  Aräometer,  welche  die  spec 
Gewichte  angeben,  verwendet  man  häufig  die  s.  g.  Alkoholometer,  welche  entwe- 
der, nach  Tralles  die  Volumprocente  (s.  g.  Grade)  oder  nach  Richter  die  Ge- 
wichtsprocente  angeben. 

Soll  der  Alkoholgehalt  einer  Flüssigkeit  bestimmt  werden,  die  ausser  Wasser 
und  Alkohol  noch  andere  Substanzen  enthält,  so  muss  durch  Destillation  (wenn 
flüchtige  Säuren  z.  B.  Essigsäure  zugegen  sind  mit  Zusatz  von  ätzendem  oder  koh- 
lensaurem Alkali)  der  Alkohol  abgeschieden  werden. 

Der  Alkohol  löst  viele  Oase,  die  meistexi  in  grösserer  Menge  als 
das  Wasser  (vgl.  §.491);  er  löst  viele  Flüssigkeit  ganz  besonders  kohlen- 
stoffhaltige (flüchtige  Oele  z.  B.  etc.)  und  ebenso  sehr  viele  feste  Substan- 
zen unter  anderen  auch  Jod,  Brom,  etwas  Schwefel  und  Phosphor,  Fette, 
Harze,  Alkaloide  etc.  Die  kohlensauren  und  schwefelsauren  Salze  sind 
fast  alle  in  Alkohol  unlöslich. 

647.  Zersetzungen.      Der   Alkohol  zer&Ut   beim   Durchleiten    seines 

Dampfes  durch  eine  glühende  Röhre  in  Wasser,  Wasserstoff",  Kohle,  Koh- 
lenoxjd,  Sumpfgas,  Elajl,  Benzol,  Phenyl,  Naphthalin  etc«  Bei  schwa- 
cher Glühhitze  entsteht  wesentlich:  Methylwasserstoff,  Eohlenoxjd 
und  Wasserstoff:  ejHgO  =  eH4  +  H,  +  60.  —  Durch  Oxydation 
wird  er  meistens  zu  Aldehyd  und  Essigs&ure  umgewandelt  (vgl.  §§.  605, 
620).  Der  Sauerstoff  der  Luft  allein  wirkt  bei  gewöhnlicher  Temperatur 
nicht  oxydirend  auf  ihn  ein,  aber  unter  Vermittelung  einiger  Fermente 
(vgl.  bei  Essig),  unter  Mitwirkung  poröser  Substanzen  und  überhaupt 
derjenigen  Körper,  welche,  wie  das  Platin  Gase  auf  ihrer  Oberfläche  ver- 
dichten, führt  er  den  Alkohol  durch  langsame  Verbrennung  in  Aldehyd 
und  in  Essigs &ure  über;  die  durch  diese  langsame  Verbrennung  er- 
zeugte Wftrme  ist  häuflg  so  gross,  dass  sich  der  Alkoholdampf  bis  auf 
seine  Entzündungstemperatur  erhitzt.  (Platinmohr,  Platindraht,  Döberei- 
ner*s  Glühlämpchen ,  Chromoxyd,  Eisenoxyd  etc.).  Chromsäure  bringt 
den  Alkohol  zur  Entflammung.  Destillation  mit  chromsaurem  Kali  oder 
mit  Braunstein   und   Schwefelsäure    liefert  Aldehyd,    Essigsäure,    Essig- 

ftther,  Acetal  (roV^^  (Ojj?  Ameisensäure  etc.    Bei  Einwirkung  von 

Salpetersäure  entstehen  ausser  diesen  Oxydationsproducten  noch:  Stick- 
oxydul, Stickoxyd,  Blausäure  und  Salpetrigsäure-Aether.  Lässt 
man  die  Einwirkung  bei  gemässigter  Temperatur  stattfinden,  so  entstehen 
noch:  Glyoxal,  Glyoxylsäure,  Glycolsäure  und  Oxalsäure*). 
Beim  Vermischen  von^lkohol  mit  Königswasser  tritt  (wie  bei  concen- 
trirter  Salpetersäure)  von  selbst  Sieden  ein;  ausser  den  durch  Salpeter- 
säure allein  entstehenden  Oxydationsproducten  wird  noch  Chloroform 


*)  Debus,  Ann.  Chem.  Pharm.  0.  1;  CH.  20. 


Alkohol.  399 

und  Ghloral  gebildet.  Auch  ein  Oemisch  von  Weingeist,  Salpetersäure 
und  Kochsalz  kommt  von  selbst  ins  Sieden  und  es  wird  ausser  den  ge- 
nannten Producten  noch  Chlorpik rin  erzeugt  Chlor  wird  von  Alkohol 
in  reichlicher  Menge  absorbirt  (im  Sonnenlicht  kann  Entflammung  ein- 
treten). Es  wirkt  zunächst  oxjdirend  und  erzeugt  Aldehyd  und  bei  was- 
serhaltigem Weingeist  Essigsäure;  die  dabei  entstehende  Salzsäure  erzeugt 
dann  Aethylchlorid  und  vermittelt  die  Bildung  von  Essigäther  und 
Acetal;  auf  alle  diese  Producte  wirkt  das  Chlor  dann  substituirend  ein, 
man  erhält  gechlorte  Essigäther,  gechlorte  Acetale,  Chlorsubstitutions- 
producte  des  Aethylchlorids  und  als  hauptsächliches  Endproduct:  Trichlor- 
aldehyd  =  Chi  oral:  €,HClje. 

Durch  Destillation  mit  Chlorkalk  oder  durch  Einwirkung  von  Chlor 
auf  eine  alkoholische  Ealilösung  entsteht  Chloroform.  Brom  und  Jod 
erzeugen  in  ähnlichen  Verhältnissen  Bromoform  und  Jodoform.  —  Eine 
Lösung  von  Silber  oder  Quecksilber  in  starker  Salpetersäure  erzeugt  mit 
Alkohol  Enallsilber  oder  Knallquecksilber.  Durch  Einwirkung  von 
Platinchlorid  hat  Zeise*)  1830  eine  Anzahl  merkwürdiger,  zum  Theil 
schön  krystallisirender  Verbindungen  erhalten,  deren  Natur  noch  nicht 
festgestellt  ist 

Mischt  man  Alkohol  mit  Schwefelsäurehydrat,  so  entsteht  Aethjl-  648. 
schwefelsaure  (S-  677);  erhitzt  man  das  Gemisch,  so  wird,  bei  nicht 
2U  grossem  Ueberschuss  von  Schwefelsäure,  Aether  gebildet  (§§•  651); 
wird  endlich  Alkohol  mit  viel  Schwefelsäure  erhitzt,  so  entsteht  Aethy- 
len  :=  G^^^»  Bei  Einwirkung  von  Schwefelsäureanhydrid  auf  Alkohol 
entstehen  Verbindungen  dieses  zweiatomigen  Radicals  (Aethjlen)  mit 
Schwefelsäure:  Carbylsulfat,  Aethionsäure,  Isäthionsäure. 

Bei  Einwirkung  sehr  vieler  Substanzen  auf  Alkohol  bleibt  das  Ra- 
dical  Aethyl  unverändert ;  alle  diese  Metamorphosen  des  Alkohols  werden 
gelegentlich  der  im  Folgenden  beschriebenen  Aethjlverbindungen  erwähnt 
werden. 

Alkoholate.  Der  Alkohol  verbindet  sich  mit  einigen  Salzen  etc., 
indem  er  gewissermaassen  das  Krjstallwasser  vertritt  (Krystallalkohol). 
Man  kennt  die  folgenden  Verbindungen: 


♦)  Vgl.  Gmelin,  Handbuch  IV.  700 ff.;  Gerhardt,  Trait6  IL  816. 

verpuffendes  Chlorplatin       ^2^^^^^!        Adde  6thyl-chloroplatimqae. 
Ammoniakyerbindimg  62H3(NH4)Pt]0l2      ^thyl-chloroplatinate  d'am- 

moniaque. 
entzündlicher  Flatinsahniak  eaH^Pt^Cla,  KH4CI      ^thyl-chloroplatinate  de 

chlomre  d'ammonimn. 
entzündliches  Platinkalisalz  eaH^PtaCI,,  KCl  ^thyl-chloroplatinate  de 

Chlomre  de  potasBiun. 


400  Aeihyl  Verbindungen. 

ZnCl,       +  2e,Hee 

CaCl      +  2e,H,e 

CajO       +  2e2Hee 
MgNe,   +  SGjHeO 

Die  Verbindungen  mit  ZnCl^,  CaCl  und  NOjMg  werden  durch  Auflösen  des 
betreffenden  Salzes  in  Alkohol  und  Abkühlen  krystallisirt  erhalten;  die  weniger 
leicht  zersetzbare  Chlorcalciumverbindung  kann  auch  durch  Verdampfen  dargestellt 
werden. 

Aethjlate.  Der  typische  Wasserstoff  des  Alkohols  ist  durch  Me* 
talle  ersetzbar  (§.  616),  der  Alkohol  verhält  sich  also  gewissermaassen 
wie  eine  Säure.    Die  Verbindungen  mit  Kalium  und  Natrium: 

OH/ 
Alkoholkalium  oder  Kaliumäthyiat  '  E  \  ^ 

OH/ 

Alkoholnatrium  oder  Natriumäthylat       ^Jof^ 

werden  durch  Eintragen  von  Kalium  oder  Natrium  in  völlig  wasserfreien 
Alkohol  dargestellt.  Sie  sind  beide  krystallisirbar,  die  Ealiumverbindung 
am  leichtesten,  und  zerfallen  mit  Wasser  zu  Alkohol  und  Alkalihydrat 
Eine  entsprechende  Zinkverbindung: 


Zinkäthylat    ^^gn!^ 


ist  von  Frankland  durch  Einwirkung  von  Sauerstoff  auf  Zinkäthyl  er- 
halten werden. 

Aethyläthen     (Aether,  Schwefeläther,  Aethyloxyd)  =  ^*h*|^ 

=  ©4H10O. 

Der  Aether  wurde  1640  von  Yalerius  Cordus  entdeckt  und  als  Oleum  vitrioli 
dulce  beschrieben.  Frobenius  nannte  ihn  zuerst  Aether.  Später  wurde  der  mit 
Vitriolöl  dargestellte  Aether  als  Schwefelftther  bezeichnet,  um  ihn  von  andern  Aether- 
arten  zu  unterscheiden.  Val.  Rose  zeigte  1800,  dass  er  keinen  Schwefel  enthält 
Fourcroy  und  Vauquelin  vermutheten,  der  Aether  entstehe  aus  dem  Alkohol  durch 
Verlust  von  Wasser;  sie  zeigten  1797,  dass  bei  Destillation  von  Schwefelsäure  und 
Alkohol  neben  Aether  auch  Wasser  auftrete.  Die  Analysen  von  Saussure  1807 
und  von  Gay-Lussac  1816  bestätigten  diese  Vermuthung;  beide  hielten  den  Aether 
und  den  Alkohol  für  Verbindungen  von  ölbildendem  Gas  mit  Wasser,  eine  Ansicht, 
die  dann  von  Dumas  und  Boullay  und  von  Mitscherlich  weiter  ausgedehnt  wurde 
(vgL  §.  102).  liebig  nahm  zuerst  1884  *)  in  beiden  das  Radical  Aethyl  an  und 
betrachtete  den  Aether  als  das  Oxyd  dieses  Radicals,  den  Alkohol  als  Hydrat  die- 
ses Oxyds. 


•}  Ann.  Chem.  Pharm.  DL  1. 


Aethylftther.  401 

Bildung  des  Aetbers.     Der  Aethjlftfher  entsteht  aus  Alkohol  652. 
oder   andern  Aethylverbindungen   durch    eine  grosse  Anzahl  chemischer 
Reactionen.    Die  für  die  Erklärung  des  Vorgangs  der  Aetherbildung  wich- 
tigsten und  gleichzeitig  die    best  untersuchten  Bildungsweisen    sind    die 
folgenden : 

I.  Lftsst  man  Aethyljodid  (Bromid  oder  Chlorid)  auf  Alkoholkalium 
einwirken,  so  entsteht  Jodkalium  und  Aether*): 

Aethyljodid.      Alkoholkalium.  Aether.  Jodkalium. 

n.  Beim  Erhitzen  eines  Gemenges  von  Alkohol  und  Schwefeisäure- 
hydrat  wird,  bei  einer  Temperatur  von  etwa  140®,  Aether  gebildet  Der 
Aether  ist  dabei  das  Product  zweier  aufeinander  folgenden  doppelten  Zer- 
setzungen. Bei  der  ersten  entsteht  durch  Einwirkung  des  Schwefelsäure- 
hydrats auf  Alkohol  Aethylschwefelsäure  und  Wasser: 

Schwefelsäure.  Alkohol.        Aethylschwefelsäure.    Wasser. 

Bei  der  zweiten  wirkt  die  Aethylschwefelsäure  auf  ein  weiteres  Mo- 
lecfll  des  in  der  Mischung  noch  unangegriffen  vorhandenen  Alkohols,  ein 
und  erzeugt  Aether,  während  Schwefelsäurehydrat  regenerirt  wird: 

Aethylschwefelsäure.        Alkohol.        Schwefelsäurehydrat.      Aether. 
H  e^H, 


2) 


^-jri;5r>s.r-4i(^   =   ^.g     +   ^go 


Da  nach  Verlauf  dieser  beiden  Reactionen  die  ursprtingliche  Schwe- 
felsäure wieder  regenerirt  worden  ist,  so  ist  es  einleuchtend,  dass  der 
Process  continuirlich  sein  kann.  Lässt  man  nämlich  zu  dem  erhitzten  Ge- 
misch von  Alkohol  und  Schwefelsäure  fortwährend  neuen  Alkohol  zuflies- 
sen,  so  wird  dieser  zum  Theil  von  der  vorhandenen  Schwefelsäure  in 
Aethylschwefelsäure  übergefahrt,  zum  anderen  Theil  von  der  vorhandenen 
Aethylschwefelsäure  in  Aether  umgewandelt.  Bei  dieser  letzteren  Reac- 
tion  wird  aus  der  Aethylschwefelsäure  wieder  Schwefelsäurehydrat  erzeugt, 
welches  von  Neuem  mit  dem  zufliessenden  Alkohol  Aethylschwefelsäure 
bildet  u.  s,  f.  —  Man  kann  also  mit  einer  verhältnissmässig  geringen 
Menge  Schwefelsäurehydrat  eine  grosse  (der  Theorie  nach  unbeschränkte) 


*)  Williamson,  Jahresb.  1860.  469.  —  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXVIL  87. 
K«kaU,  orfM.  Gheal«.  26 


402  Aethyl  Verbindungen. 

Menge  von  Alkohol  in  Aether  umwandeln.  Wesentlich  ist  nur,  dass  das 
in  Zersetzung  begri£fene  Gemisch  fortwährend  die  for  den  Verlauf  der 
beiden  Reactionen  nöthige  Temperatur  habe,  d.  h.  dass  es  auf  140® — 
145®  erhitzt  wird;  denn  erst  bei  dieser  Temperatur  wirkt  die  Aethjl- 
Schwefelsäure  auf  Alkohol  ein.  Da  das  bei  der  Reactlon  1)  erzeugte 
Wasser  zusammen  mit  dem  durch  die  Reactlon  2)  gebildeten  Aether  ab- 
destillirt,  so  behält  das  Gemisch  stets  dieselbe  Zusammensetzung,  wenn 
man  genau  so  viel  Alkohol  zufliessen  lässt,  als  Aether  und  Wasser  ab- 
destilliren.  Die  für  die  Zersetzung  nöthige  Temperatur  wird  einfach  in 
der  Welse  hergestellt,  dass  man  ein  Gemenge  von  Alkohol  und  Schwefel- 
säure in  solchen  Verhältnissen  anwendet,  dass  sein  Siedepunkt  bei  140® 
—  145®  Hegt 

d58.  Theorie   der   Aetherbildung.      Die  eben  mitgetheilte  Erklärong  des 

Vorgangs  bei  der  Bildung  des  Aethers  ist  zuerst  von  Williamson  gegeben  und 
durch  eine  Reihe  sorgföltiger  Yereache  gestützt  worden,  die  gleich  näher  bespro- 
chen werden  sollen.  Die  Aetherbildung  gehört  jetzt  zu  den  am  besten  gekannten 
chemischen  Metamorphosen;  ihre  Erkenntniss  hat  es  möglich  gemacht,  eine  grosse 
Anzahl  anderer  Reactionen  in  ähnlicher  Weise  zu  erklären  und  hat  wesentlich  sa 
den  raschen  Fortschritten,  welche  die  organische  Chemie  in  den  letzten  Jahren 
gemacht  hat  und  ganz  besonders  zur  Entwicklung  der  jetzt  herrschenden  theoreti- 
schen Ansichten  beigetragen. 

Man  war  firüher  der  Ansicht,  die  Schwefelsäure  wirke  durch  ihre  Verwandt- 
schaft zum  Wasser;  sie  entziehe  dem  Alkohol  die  Elemente  des  Wassers  oder 
auch  das  Wasser,  welches  man  fertig  gebildet  im  Alkohol  annahm.  (Alkohol  = 
C4H4.2HO;  Aether  =  64H4.HO  oder  Alkohol  =  C4H5.O  +  HO).  Nachdem 
man  gefunden  hatte,  dass  mit  dem  Aether  auch  Wasser  abdestillirt  und  zwar  eben- 
soviel als  bei  der  Zersetzung  des  Alkohols  zu  Aether  und  Wasser  frei  wird  *), 
gab  man  diese  Erklärung  als  unhaltbar  auf,  weü  man  nicht  annehmen  konnte, 
dass  die  Schwefelsäure  Hihig  sei  dem  Alkohol  Wasser  zu  entziehen  unter  Bedin- 
gungen, unter  welchen  sie  dieses  Wasser  nicht  einmal  zurückzuhalten  im  Stande 
ist.  Indem  man  dann  auf  eine  eigentliche  Erklärung  vollständig  Versucht  leistete, 
nahm  man  an,  die  Schwefelsäure  wirke  nur  durch  Contact  oder,  wie  man  sich 
auch  ausdrückte,  durch  katalytische  Kraft  (Mitscherlich ,  Berzelius),  der  Al- 
kohol spalte  sich  durch  die  Wirkung  der  katalytischen  Kraft  in  Aether  und  Was- 
ser. Die  Bildung  der  Aethylschwefelsäure  wurde  von  diesem  Erklärungsversuch 
(wenn  man  den  Gebrauch  eines  Wortes  so  nennen  kann)  entweder  vollständig  un- 
berücksichtigt gelassen  oder  man  nahm  an,  diese  Säure  zerfalle  zu  Schwefelsäure 
und  Alkohol,  der  sich  dann  weiter  spalte. 

Der  erste  Versuch  einer  chemischen  Erklärung  der  Aetherbildung  wurde  von 
liebig  ••)  gemacht.  Nach  seiner  Auffassung  geht  der  Bildung  von  Aether  bei  Ein- 
wirkung von  Schwefelsäure  auf  Alkohol  die  Bildung  von  Aethylschwefelsäure  vor- 
aus.   Die  Aethylschwefelsäure  =  C4H5,  O.SO,  +  HO.  SO,  zerfällt  bei  126«— 140* 


*)  HitscherUch  erhielt  z.  B.   auf  80  Th.  Aether  20,9  Th.  Wasser;   die  Theorie 
verlangt  19,5  Th.  Wasser. 
••)  Ann.  Chem.  Pharm.  (1884)  IX.  Sl;  femer:  ibid.  ^yni   89-,  ^^^  129. 


Aeiherbildong.  403 

in  Aether,  Schwefelsäiirehydrat  und  wasserfreie  Schwefelsäure.  Bei  dem  Process 
der  continuirlidien  Aetherdarstellung  bildet  das  freigewordene  Schwefdsäureliydrat 
und  ebenso  die  wasserfreie  Schwefelsäure,  indem  sie  sich  vorher  mit  Wasser  ver- 
bindet, mit  dem  zuüiessenden  Alkohol  von  neuem  Aethylschwefelsäure,  die  in  der- 
selben Weise  zerföllt.  Zwei  später  wirklich  vorgebrachte  Einwände  hatte  diese 
Theorie  gleich  von  Anfang  zurückgewiesen.  Dass  nämlich  aus  einem  und  dem- 
selben Gemisch  einerseits  Wasser  entweicht,  während  andererseits  wasserfreie 
Schwefelsäure  frei  wird,  lässt  sich  so  erklären,  dass  die  freiwerdende  wasser- 
freie Schwefelsäure  sich  direct  mit  in  der  Nähe  befindlichem  Wasser  verbindet, 
während  an  anderen  Stellen  der  die  Flüssigkeit  durchstreichende  Aetherdampf 
Wasserdampf  mit  fortreisst.  Dass  aber  in  einer  und  derselben  Flüssigkeit  gleich- 
zeitig Aethylschwefelsäure  entsteht  und  zersetzt  wird ,  hat ,  worauf  H.  Rose  noch 
besonders  aufmerksam  machte,  seinen  Grund  darin,  dass  durch  den  zuüiessenden 
Alkohol  nothwendig  eine  Abkühlung  hervorgebracht  wird,  so  dass  die  Aethyl- 
schwefelsäure an  den  kälteren  Stellen  entsteht,  um  dann  an  den  heisseren  zu  zer- 
fiedlen  *).  Nachdem  dann  Mitscherlich  gezeigt  hatte,  dass  der  Process  der  Aether- 
bildung  auch  continuirlich  ist  wenn  man  statt  Alkohol  zufliessen  zu  lassen  Alko- 
holdampf einleitet,  wodurch  in  keiner  Weise  Temperaturemiedrigung  hervorgebracht 
werden  könne,  wies  L.  Gmelin  darauf  hin,  dass  da,  wo  der  Weingeist  eintrete, 
derselbe  im  Ueberschuss  einwirke  und  so  durch  eine  Art  von  Massenwirkung  die 
Bildung  der  Aethylschwefelsäure  erleichtem  könne. 

Dass  bei  Temperaturen  die  niedriger  sind  als  126®,  und  namentlich  bei  einer 
so  verdünnten  Aethermischung ,  dass  ihr  Siedepunkt  unter  127®  liegt,  statt  des 
Aethers  nur  Alkohol  abdestillirt,  wurde  dadurch  erklärt,  dass  man  annahm,  in  der 
verdünnteren  Flüssigkeit  finde  der  freiwerdende  Aether  hinlänglich  viel  Wasser  vor, 
um  sich  im  Entstehungsmoment  (Statu  nascenti)  mit  ihm  zu  Alkohol  zu  verbin- 
den. In  der  concentrirteren  Flüssigkeit  fände  er  das  dazu  nöthige  Wasser  nicht 
vor,  insofern  er  an  den  Stellen,  wo  er  frei  werde,  mit  concentrirter  Schwefelsäure 
in  Berührung  sei,  während  an  andern  Stellen  Wasser  frei  werde,  mit  welchem  sich 
der  Aether  jetzt,  weil  nicht  mehr  im  Status  nascens,  nicht  mehr  verbinden  könne. 
In  neuerer  Zeit  ist  gegen  diese  Theorie  der  Aetherbildung  noch  eingewendet  wor- 
den ♦•),  dass  die  Aethylschwefelsäure  weder  für  sich  noch  mit  Wasser  auf  140® 
erhitzt  Aether  gebe;  beim  Erhitzen  mit  Wasser  entstehe  Alkohol  und  nur  beim 
Erhitzen  von  Aethylschwefelsäure  mit  Alkohol  werde  Aether  gebildet.  (Es  muss 
beigefügt  werden,  dass  diese  Versuche  in  keiner  Weise  Beweiskraft  besitzen;  denn 
wenn  beim  Erhitzen  von  Aethylschwefelsäure  mit  Wasser  Alkohol  und  beim  Er- 
hitzen mit  Alkohol  Aether  entsteht,  so  muss  auch  beim  Erhitzen  mit  wenig  Was- 
ser Aether  gebildet  werden,  indem  erst  Alkohol  entsteht,  der  dann  seinerseits  auf 
Aethylschwefelsäure  einwirkt  In  der  That  erhielten  auch  Sertürner  und  Hennel 
beim  Erhitzen  der  concentrirten  Säure  Aether.) 

Da  die  Theorie  der  Aetherbildung  einer  der  Grundpfeiler  der  jetzigen  ^54, 
theoretischen  Ansichten  ist,  so  ist  es  geeignet,  die  Gründe  etwas  näher  zu  erörtern, 
welche  zu  Gunsten  der  von  Williamson  gegebenen  Erklärung  sprechen. 

Nach  der  älteren  Ansicht  und  nach  der  von  liebig  gegebenen  Theorie  der 


*)  Vgl.  auch:  Ann.  C9iem.  XC.  50. 

**)  Vgl  Jahresber.  1860.  456  und  458  (Graham,  Lhermite,  Buignet,  Personne). 

26  ♦ 


404  Aethylverbindangen. 

Aetherbildung  ist  der  Aether  =  C4H5O,  d.  h.  er  ist  Alkohol,  von  welchem  sich 
Wasser  (HO)  abgelöst  hat;  nach  Williamson's  Ansicht  ist  der  Aether  Alkohol,  in 
welchem  1  At  Wasserstoff  durch  Aethyl  ersetzt  worden  ist  Beide  Ansichten  un- 
terscheiden sich  wesentlich  dadurch,  dass  die  erste  im  Aether  einmal  das  Radical 
Aethyl  annimmt;  während  nach  der  zweiten  das  Molecül  des  Aethers  zweimal 
das  Radical  Aethyl  enthält.    Man  hat: 

Aether  =CA.O    oder    C«H..O        ^        ög^^ 

Es  ist  einleuchtend,  dass  die  erste  dieser  drei  Formeln  nur  dann  möglich  ist,  wenn 
man  dem  Sauerstoff  =  0  das  Atomgewicht  8  beilegt;  wenn  man  dagegen  durch 
Betrachtung  der  sftmmtlichen  Sauerstoifverbindungen  zu  der  Ansicht  gekommen  ist, 
dass  der  Sauerstoff  ein  zweiatomiges  Element  ist,  d.  h.  dass  0  :=  20  =  16  die 
geringste  und  untheilbare  Menge  von  Sauerstoff  ist  ($$.  163  ff.) ,  so  ist  diese  For- 
mel an  sich  unmöglich  und  man  muss  den  Aether  durch  eine  doppelt  so  grosse 
Formel  ausdrücken. 

Zu  Gunsten  dieser  grösseren  Molecularformel  spricht  auch  die  Dampfdichte 
des  Aethers.  Wäre  das  Molecül  Aether  =  C4H5O,  so  wäre  der  Dampf  einvoln- 
mig  (vgl.  §§.418 ff.),  der  Aether  würde  eine  Ausnahme  vomVolumgesetz  (S§.396ff.) 

büden;  ist  das  Molecül  Aether  dagegen  ^'j^*!^  ("oder  c*H**o)'  "^  ^^  ^^ 
Dampf,  wie  die  bei  weitem  grösste  Anzahl  von  Dämpfen  zweivolumig. 

Man  weiss,  dass  im  Allgemeinen  die  Aethylätherart  einer  einbasischen  Säure 
um  149  niedriger  siedet  als  das  betreffende  Säurehydrat  (vgl.  §§.  476 ff.)-    Z.  B.: 

Essigsäure.  Essigäther. 

^^»h|o    Siedepunkt  =  118«;    ^^*^|e    Siedepunkt  =  74* 

Vergleicht  man  die  Siedepunkte  des  Alkohols  und  des  Aethers: 
Alkohol.  Aether. 

^^^je     Siedepunkt  =  78«;     |*h»|o    Siedepunkt  =  34« 

so  findet  man  dieselbe  Differenz  von  44^.  Man  muss  demnach  annehmen,  dass 
der  Aether  zum  Alkohol  in  derselben  Beziehung  steht,  wie  der  Essigäther  zur 
Essigsäure,  d.  h.  dass  er  Alkohol  ist,  in  welchem  1  At  H  durch  das  Radical  Aethyl 
ersetzt  ist  *)  (gewissermassen  die  Aethylätherart  des  Alkohols). 

In  der  That  ist  auch  die  Bildung  des  gewöhnlichen  Aethers  der  Bildung 
dieser  Aetherarten  völlig  analog.    Man  hat  z.  B.: 

Aetliyljodid.       Essigsaures  Kali.  Essigäther. 

jri;5r7x^i^  =  ^  +  ^§Ct^  . 

Aethyljodid.         Alkoholkalium.  Aether. 


•)  Will,  Ann.  Ctem.  Pharm.  XCL  273.    Kopp,  Ann.  Chem.  Pharm.  XCVL  14. 


Aediertxfldiiiig. 


405 


Besonders  beweisend  sind  die  von  l^lliamson  *)  %wc  Begründung  seiner  An- 
sicht ingeBtellten  Versuche.  Lftsst  man  nftmlich  Jodäthyl  auf  Kaliammethylat  oder 
Ifisst  man  Jodmethyl  auf  Kaliumfithylat  einwirken,  so  entsteht  in  beiden  Fällen 
neben  Jodkalium  ein  Aether,  welcher  gleichzeitig  die  beiden  Alkoholradicale  ent- 
hält, der  Aethyhnetfayläther. 


Aethyljodid. 


.(mZ 


Kaliammethylat 

Z5i^  = 


Aethylmethyläther. 


=    KJ    4- 


666. 


Methy^odid. 


>. 


Kaliumäthylat 

'      ^1 


Aethylmethylttther. 


Kl   e      =    KJ    + 


S:l< 


Da  nun  der  gewöhnliche  Aether  durch  eine  vollständig  analoge  Reaction 
entsteht  (siehe  oben),  so  muss  man  annehmen,  dass  er  auch  analog  zusammenge- 
setzt ist,  das  heisst,  dass  er  zwei  Radicale  enthält,  die  nur  in  diesem  Falle 
gleichartig  sind,  während  sie  bei  den  zwei  zuletzt  erwähnten  Reactionen  verschie- 
den sind. 

Wollte  man  annehmen,  der  gewöhnliche  Aether  sei:  C4H5O  und  das  Product 
der  ersten  der  folgenden  drei  Reactionen: 


CAJ   4-  °*"ioi   =  ^  +  ^: 


iH,0 


C4H»0 
C.H.J    +    ^*^^8(     =    KJ    +    gg.g( 

CAJ    +    ^^i^    =    KJ    +    g^jg} 

seien  zwei  Molecöle  Aether,  so  wäre  nicht  einzusehen,  warum  in  den  beiden  an- 
dern nicht  ein  Gemenge  von  zwei  Aethem  entsteht  (Methyläther  und  Aethyläther), 
sondern  vielmehr  eine  Verbindung  beider,  d.  h.  ein  gemischter  Aether  oder  Dop- 
peläther (der  Aethylmethyläther).  Da  aber  in  den  beiden  letzten  Reactionen  ein 
Doppeläther  entsteht,  der  die  beiden  Alkoholradicale  enthält,  so  muss  man  anneh- 
men, dass  auch  bei  der  ersten  ein  einziges  Molecül  gebildet  wird,  welches  die  bei- 
den Alkoholradicale  (2  Aethyl)  enthält 

Abgesehen  von  dieser  Analogie  der  Bildungsweise  der  einfachen  Aether  und  666. 
der  Doppeläther,  spricht  schon  die  Existenz  der  Doppeläther  und  ein  verglei- 
chendes Studium  der  physikalischen  Eigenschaften  der  einfachen  Aether  und  der 
Doppeläther  für  die  Ansicht,  dass  alle  Aether  zwei  Alkoholradicale  enthalten,  die 
ftlr  die  einfachen  Aether  gleichzeitig,  für  die  Doppeläther  verschieden  sind.  Man 
hat  eine  fortlaufende  Reihe  von  Aethern: 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXVÜ.  87. 


406  Aetiiylverbindungen. 

Siedepnnkt 
MethylÄther  ^»  H«  0    =    |  gj  |o       —  21« 

Methylfithylfither  6,  H,  O  =  ^J»  |e  +  !!• 

Acthyl&ther  ^4  HioO  =  0^*}^  84« 

Methylamyläther  6.  Hi40  =  e  H*  1^  ^ 

Aethylbutyläther  6«  H^^e  =  ^^^  }^  80«? 

Aethylamyläther  0,  H,g0  =  ^»^  |o  112« 

Butyläther  6»  Hig0  =  ^«^  je  104« 

Amylfither  eioHjaO  =  9^"}^  176« 

Die  Doppeläther  sind  intermediär  zwischen  den  einfachen  Aethem  (vg^L 
§.  176) ,  alle  Aether  entsprechen  2  Vol.  Dampf,  die  Siedepunkte  wachsen  für  n€H, 
nm  annähernd  26®. 

Will  man  dagegen  die  einfachen  Aether  mit  der  halben  Formel  darstellen, 
so  hat  man  zwei  parallel  laufende  Reihen. 

Einfache  Aether.  Siedepunkte.  Doppeläther.  Siedepunkte. 

Methyläther        Cj  H,0      —  21®    ;    Methyläthyläther      ^>  j^«  ^|     +  11« 

Aethyläther        C4  H»  0      +  84»    ;    Methylamyläther     ^>  §»  ^|  92* 

Butyläther         C,  H,  0  104«    ;    Aethylbutyläther    ^*  ^»  ^|  80«  ? 

Amyläther         CioHnO  176«    ;    Aethylamyläthcr    ^4  j^»  ^|         112« 

Die  einfachen  Aether  enthalten  1  0,  die  Doppeläther  2  0;  die  ersteren  ent^ 
sprechen  1  Vol.  Dampf,  die  letzteren  2;  fär  die  ersteren  wäre  die  Siedepunkts- 
differenz für  nBHg  doppelt  so  gross  wie  far  die  letzteren. 

657.  Besonders  beweisend  ist  noch  ein  quantitativer  Versuch  von  Berthelot"**). 

Erhitzt  man  nämlich  Aethylbromid  mit  weingeistiger  Kalilösung,  so  entsteht  Brom- 
kalium und  Aether.    Wäre  dieser  =  C4H5O,  so  könnte  der  Weingeist  offenbar  nur 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  XCn.  861. 


Aetherbildung.  407 

als  Lösungsmittel  wirken,    die  Zersetzung    würde  nach  der   Gleichung   erfolgen 
müssen: 

C4H5Br    4-    KO    =    C4H5O    -}-    KBr 

Damach  entstünde  aus  1  Hol.  Aethylbromid ,  1  MoL  Aether;  die  von  Ber- 
thelot angewandten  22  Grm.  hätten  also  7,5  Grm.  Aether  geben  müssen.  Statt 
dessen  erhielt  Berthelot  12  Grm.  Aether,  was  bei  den  durch  die  Art  des  Versuchs 
nothwendigem  Verluste   hinlänglich  beweist,  dass   der  Alkohol  zur  Bildung   des 

Aethers  mitgewirkt  hat  und  dass  dieser  p*ü*X}     =    <^*H*i^  ^^*'   "^^^^  welcher 
Formel  15  Grm.  Aether  hätten  erhalten  werden  müssen. 

Dass  die  Bildung  des  Aethers  durch  Schwefelsäure  so  verlauft  wie  oben  658. 
(§.  652)  angegeben  wurde,  —  d.  h.  dass  zunächst  Aethylschwefelsäure  entsteht, 
die  dann  mit  einem  zweiten  Molecül  Alkohol  von  neuem  doppelte  Zersetzung  zeigt 
u.  s.  w.  —  ist  von  Wilüamson  •)  durch  den  folgenden  Versuch  festgestellt  worden. 
Lässt  man  zu  Amylschwefelsäure 'oder  auch  zu  dem  erhitzten  Gemisch  von  Amyl- 
alkohol und  Schwefelsäure  gewöhnlichen  Alkohol  (Aethylalkohol)  zufüessen,  ge- 
rade so  virie  dies  bei  der  Darstellung  des  gewöhnlichen  Aethers  geschieht,  so  ent- 
steht ein  Doppeläther  (der  Amyläthyläther)  und  der  Rückstand  enthält,  wenn  man 
die  Destillation  so  weit  fortsetzt,  dass  nur  noch  Aethyläther  überdestillirt,  keine 
Amylschwefelsäure  mehr,  sondern  nur  Aethylschwefelsäure.    Man  hat: 

Amylalkohol.  Amylschwefelsäure. 

Alkohol.  Amylschwefelsäure.     Amyläthyläther. 


Alkohol  Aethylschwefelsäure. 


8) 


ejCpr>Nr_|)jse.    =    ?)e   +  ^^^m. 


Andere  Bildungsweisen   des   Aethers.     Wie  oben  er^rähnt  669« 
entsteht  der  Aether  durch  eine  grosse  Anzahl   von  Reactionen  (§.  652); 
alle  diese  Reactionen  können  in  derselben  Weise  erklärt  werden,  wie  die 
beiden  dort  näher  besprochenen  Bildungsweisen. 

Im  folgenden  sind  die  wichtigsten  dieser  Bildungen  zusammengestellt: 
1)  Aethyljodid  wirkt  unter  starker  Wärmeentwicklung  auf  trockenes  Silberozyd 

ein,  es  entsteht  Jodsilber  und  Aether: 

Aethyljodid.  Silberoxyd.  Aether. 


*)  Asa.  Chem.  Phann.  LXZXI.  78.  —  Jahresber.  1861.  611. 


408  Aethylverbindungeii. 

Methy^odid  wirkt  ebenso,  es   entsteht  Methylfither.     Wendet  man  ein  Ge- 
menge von  Aethyljodid  und  Methyljodid  an,   so  erhält  man  Aethylmethyl- 
äther  (Wurtz)  •). 
2)  Durch  Erhitzen  von  Aethy^odid  oder  Bromid  mit  Alkohol  anf  200*  entsteht 
Aether  (Reynoso). 


Aethylbromid.  Alkohol.  Bromwasserstoff.        Aether. 


8)  Erhitzt  man  Aethyljodid  oder  Bromid  mit  Wasser  auf  160* — 200*,  so  ent- 
steht Aether  (Frankland,  Reynoso).  Dabei  wird  zuerst  Alkohol  gebildet 
nach  der  Gleichung: 

Aethylbromid.  Wasser.  AlkohoL 


Br.f^HTTNj;         Hjjft        =        HBr       +       «»=^0 

die  Bildung  des  Aethers  erfolgt  dann  nach  2). 

4)  Erhitzt  man  Chlorwasserstoff,  Bromwasserstoff  oder  Jodwasser- 
stoff mit  Alkohol  auf  200*  — 240*,  so  wird  Aether  gebildet,  indem  zuerst 
Aethylchlorid,  Bromid  oder  Jodid  entstehen,  die  dann  nach  2)  auf  Alkohol 
einwirken  (Reynoso)  ••). 

6)  Wie  diese  Wasserstoffsäuren,  so  liefern  auch  viele  Hetallchloride  (oder 
Bromide)  wenn  man  sie  mit  Alkohol  destillirt  oder  zweckmässiger  in  zuge- 
schmolzenen Röhren  erhitzt  Aether.  Z.  B.:  Chlorzink  (Hasson);  Zinnchlorid 
(Euhlmann);  Chlormangan,  Chlorkobalt,  Chlomickel,  Chlorkadmium,  Eisen- 
chlorür,  Quecksilberchlorid  etc.  (Reynoso).  Selbst  Chlorcalciam  und  Chlor- 
strontium geben,  wenn  man  sie  mit  Alkohol  auf  300*  erhitzt,  Aether 
(Berthelot)  •••). 

6)  Auch  viele  Schwefelsäuresalze  geben,  wenn  man  sie  mit  Alkohol  auf 
200*  — 240*  erhitzt  Aether.  Z.  B.  die  schwefelsauren  Salze  von:  Magnesia, 
Manganoxydul,  Eisenozydul,  Zinkozyd,  Cadmiumozyd,  Eobaltozydul  und 
Uranozyd;  femer:  Schwefelsaure  Thonerde,  Alaun,  Ammoniakalaun,  Eisen- 
alaun, Chromalaun  etc.  (Reynoso). 

7)  Auch  Phosphorsäure  und  Arsensäure  führen  den  Alkohol  in  Aether; 
über-,  ihre  Wirkung  ist  der  der  Schwefelsäure  völlig  analog  (Boullay). 

660.  Darstellung  des  Aethers.      Zur  DarstelluDg  des   Aethers  ver- 

fährt man  gewöhnlich  nach  der  von  Boullay  angegebenen  Methode  der 
continuirlichen  Aetherbereitung.  Man  erhitzt  ein  Gemisch  von 
9  Tb.  englischer  Schwefelsäure  und  5  Th.  Alkohol  (von  90®)  [etwa  gleiche 
Volume]  in  einem  geeigneten  Destillirapparat  —  im  Grossen  in  einer 
Blase  mit  gut  gekühlter  Vorlage  —  sobald  ein  in  die  Flflssigkeit  eintan- 


«)  Jahresber.  1856.  686. 

••)  ibid.  1857.  564.  —  Ann.  Chem.  Pharm.  CI.  100. 
*•*)  ibid.  1852.  6U.  —  Ann.  Chem.  Pharm.  LXZXUI.  104. 


Aetiiyläthe 


409 


chendes  Thermometer  140^  zeigt,  l&sst  man  durch  ein  unter  dem  FltLssig- 
keitsniveau  ausmündendes  Rohr  fortwährend  Alkohol  zufliessen,  so  dass 
das  Niveau  der  Flüssigkeit  stets  dasselbe  bleibt  und  die  Temperatur  des 
erhitzten  Gemisches  zwischen  140^—145®  schwankt. 


Das  Destillat  trennt  sich  bei  gut  geleiteter  Operation  in  zwei  Schich- 
ten, es  wird  zur  Entfernung  der  schwefligen  Säure  mit  Kalkmilch  oder 
Kalilauge  geschüttelt  und  im  Wasserbad  rectificirt  Zur  weiteren  Reini- 
gung, namentlich  zur  Entfernung  des  Alkohols,  wird  noch  wiederholt  mit 
Wasser  gewaschen,  über  Chlorcalcium  getrocknet  und  rectificirt. 

Eigenschaften.  Der  Aether  ist  eine  farblose,  leicht  bewegliche  661. 
Flüssigkeit,  von  eigenthümlichem  (ätherartigem)  Geruch  und  brennendem 
Geschmack.  Er  ist  leichter  als  Wasser  (spec.  Gew.  =  0,736)  und  mit 
demselben  nur  wenig  mischbar.  9  Th.  Wasser  lösen  1  Th.  Aether,  36 
Th.  Aether  Idsen  1  Th.  Wasser.  Er  mischt  sich  mit  Alkohol  und  Holz- 
geist in  allen  Verhältnissen.    Er  brennt  mit  leuchtender  Flamme. 

Der  Aether  siedet  bei  34,5®  und  verdunstet  daher  rasch  und  unter 
starker  Kälteerzeugung.  Sein  Dampf  ist  sehr  schwer,  spec.  Gew.  =  2,586 
(Gaj-Lussac)  und  fliesst  daher  nodi  leichter  als  Kohlensäure  an  den 
Wänden  der  Gefässe  und  am  Boden  hin.  Da  der  Dampf,  wie  der  flüs- 
sige Aether,  sehr  brennbar  und  sehr  leicht  entzündlich  ist  und  sogar  mit 
Luft  ein  ezplodirendes  Gemenge  bildet,  so  ist  bei  Handhabung  nament- 
lich grösserer  Mengen  besondere  Vorsicht  nöthig. 


410  Aethylverbindtingen. 

Der  Aether  löst  in  geringer  Menge  Schwefel  und  Phosphor;  er  löst 
Brom,  Jod,  Ooldchlorid,  Platinchlorid,  Eisenchlorid,  Quecksilberchlorid  etc., 
ferner  sehr  viele  organische  Stoflfe:  Oele,  Fette,  Harze  u.  s.  w. 

Der  Aether  oxjdirt  sich  leicht,  schon  durch  den  Sauerstoff  der  Luft. 
In  Berührung  mit  Platinschwamm  oder  feinem  Platindraht  zeigt  er  die- 
selben Erscheinungen  wie  der  Alkohol  und  liefert,  wie  es  scheint,  diesel- 
ben Producte.  Salpetersäure  oxjdirt  ihn  leicht  unter  Bildung  von  Koh- 
lensäure, Essigsäure,  Oxalsäure,  Salpetrigäther  etc.,  auch  Chlorsäure  und 
Bromsäure  wirken  oxydirend.  —  Chlor  wirkt  so  lebhaft  ein,  dass  jede 
zutretende  Blase  unter  Feuererscheinung  und  Schwärzung  verschwindet 
Mässigt  man  die  Einwirkung,  so  entstehen  Substitutionsproducte  (§§.  686). 
Schwefelsäureanhydrid  vereinigt  sich  mit  Aether  zu  Schwefelsäureäthyl- 
äther; Schwefelsäurehydrat  gibt  Aethylschwefelsäure  etc.  Beim  Erhitzen 
von  Aether  mit  Salzsäure  entsteht  Aethylchlorid ;  PhosphorchlorOr  wirkt 
erst  bei  180®  auf  Aether  ein  unter  Bildung  von  Aethylchlorid. 

662.  Aethylwasserstoff:  öjHj . H.  Der Aethylwasserstoff wurde  1 848 

von  Frankland  und  Eolbe  *)  durch  Einwirkung  von  Kalium  auf  Cyan- 
äthyl  (§.  667)  zuerst  dargestellt,  damals  aber  ftir  Methyl  gehalten.  1850 
zeigte  Frankland ,  dass  es  durch  Einwirkung  von  Wasser  auf  Zinkätbjl 
entsteht  und  dass  es  folglich  auch  dargestellt  werden  kann,  wenn  Aethyl- 
jodid  mit  Zink  und  etwas  Wasser  in  einer  zugeschmolzenen  Röhre  (vgl. 
8.  627)  einige  Stunden  lang  über  150®  erhitzt  wird  **). 

Der  Aethylwasserstoff  ist  ein  färb-  und  geruchloses  Gas,  bis  jetzt 
nicht  zu  einer  Flüssigkeit  verdichtet.  Es  löst  sich  sehr  wenig  in  Wasser 
(§.  491),  mehr  in  Alkohol  (1  VoK  Alkohol  absorbirt  bei  9®  und  665,5 
M.  m.  1,22  Vol.  Gas).    Es  brennt  mit  bläulicher  nicht  leuchtender  Flamme. 

Chlor  wirkt  auf  Aethylwasserstoff  ein  und  erzeugt  wie  es  scheint  Substita- 
tionsprodacte.  Bei  Einwirkung  gleicher  Volume  im  zerstreuten  Tageslicht  ent- 
steht ein  Gas:  62H5CI,  welches  von  Aetliylchlorid  (§.  664)  verschieden  zu  sein 
scheint,  indem  es  bei  — 18^  noch  gasförmig  und  in  Wasser  weit  löslicher  ist  als 
Aethylchlorid.  —  2  Vol.  Chlor  mit  1  Vol.  Aethylwasserstoff  geben  ein  flüssiges 
Product,  wahrscheinlich  63H4CI3. 

662.  Aethyl:    62^6. 62H5.    Von  Frankland  1849   entdeckt.     Löwig 

hatte  schon  früher  versucht,  das  Aethyl  durch  Einwirkung  von  Kalium 
auf  Aethylchlorid  und  Aethylbromid  darzustellen.  Pogg.  Ann.  XLV.  346. 
Man  erhält  es,  indem  man  Jodäthyl  mit  metallischem  Zink  in  einer  zuge- 
schmolzenen Röhre  auf  150  erhitzt  Es  entsteht  dabei  zunächst  Zinkäthyl, 
welches  dann  von  Jodäthyl  weiter  angegriffen  wird  (vgl  Zinkäthyl)« 
Nach  beendigter  Reaction  enthält  die  Röhre  eine  leicht  bewegliche  Flas- 
sigkeit  (durch  Druck  verdichtetes  Aethyl).   Beim  Oeffnen  entweicht  zuerst 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXV.  269. 
•«)  ibid.  LXXL  208. 


Aethyl.  411 

Aetbylwasserstoff  and  Aethylen,  später,  wenn  die  Gasentwicklung  ruhiger 
geworden  ist,  reines  Aethyl  ♦). 

Das  Aethyl  entsteht  auch  durch  Einwirkung  von  Quecksilber  auf 
Jodäthyl  im  Sonnenlicht  **).  Wenn  man  in  mit  Quecksilber  gelullte  und 
umgestfirzte  Ballons  einige  Tropfen  Jodäthyl  bringt,  und  sie  dem  Sonnen- 
licht aussetzt,  so  entwickelt  sich  rasch  ein  Gas,  welches  Frankland  aus 
Aethyl:  67,76%,  Aethylwasserstoflf:  17,90  »/o  und  Aethylen:  14,34 % 
bestehend  fand. 

Das  Aethyl  ist  ein  farbloses,  schwach  ätherartig  riechendes  Gas, 
welches  bei  4~  ^^  unter  einem  Druck  von  2^/2  Atmosphären  flüssig  wird 
und  bei  etwa  —  23®  siedet.  Es  ist  in  Wasser  wenig  löslich  (§.  491), 
leicht  löslich  in  Alkohol  (1  Vol.  absorbirt  bei  14®  und  745  M«  m.  Druck 
18  Volumina). 

Das  Aethyl  verhält  sich  den  meisten  Reagentien  gegenüber  völlig  indifferent 
Es  ist  bis  jetzt  nicht  gelungen,  eine  andere  Aethylverbindung  aus  ihm  darzustellen. 
Ton  Chlor  wird  es  im  zeiBtrenten  Tageslicht  angegriffen;  das  flüssige  Prodact 
scheint  nicht  Aethylchlorid,  sondern  ein  Substitationsproduct  zu  sein. 

Aethylderivate  einbasischer  Säuren. 

Aethylchlorid.  Chloräthyl.  Salzsäureäther:  62H5.CI.  Es  ent-  664. 
steht  bei  Einwirkung  von  Salzsäure  auf  Alkohol  oder  Aether,  ferner  wenn 
die  Chlorverbindungen  des  Phosphors  bei  gewöhnlicher  Temperatur  auf 
Alkohol  oder  bei  erhöhter  Temperatur  auf  Aether  einwirken.  Auch  beim 
Erhitzen  von  Alkohol  mit  Chlorschwefel,  Chlorantimon,  Chlorzinn,  Chlor- 
zink etc.  wird  Aethylchlorid  gebildet. 

Zur  Darstellung  sättigt  man  entweder  Alkohol  mit  Salzsäoregas,  lässt  es 
einige  Zeit  stehen  und  destUürt  dann,  oder  man  erhitzt  ein  Gemenge  von  Alkohol 
(6  Th.)  und  Schwefelsfiure  (5  Th.)  mit  Kochsalz  (12  Th.).  Die  entweichenden 
Dämpfe  werden  mit  Wasser  von  20®  gewaschen,  über  Chlorcalciam  getrocknet 
und  in  stark  abgekühlter  Vorlage  verdichtet 

Das  Aethylchlorid  ist  eine  leicht  bewegliche  Flüssigkeit  von  äther- 
artig durchdringendem  Oeruch.  Es  siedet  bei  4"  11<^,  löst  sich  wenig  in 
Wasser,  in  allen  Verhältnissen  in  Alkohol  und  Aether.  Es  brennt,  wie 
die  meisten  organischen  Chlorverbindungen,  mit  grüngefärbter  Flamme. 

Das  Aethylchlorid  zeigt  mit  anderen  Substanzen  leicht  doppelte  Zer- 
setzung, in  alkoholischer  Lösung  häufig  bei  gewöhnlicher  Temperatur,  in 
vielen  Fällen  nur  beim  Erhitzen.  Dabei  entsteht  Chlorwasserstofifsäure 
oder  Chlormetali,  während  das  Radical  Aethyl  an  die  Stelle  des  Wasser- 
stoffs oder  Metalls  tritt.  Das  Aethylchlorid  kann  desshalb  zur  Darstellung 
vieler  anderer  Aethylverbindungen  verwendet  werden. 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXL  174. 
••)  ibid.  LXXVn.  221. 


412  AeChylverbindimgen. 

Leitet  man  Aethjlohlorid  durch  eine  glühende  Röhre,  oder  zweck- 
mässiger aber  erhitzten  Natronkalk,  so  zerf&llt  es  zu  Salzs&nre  und 
Aethylen: 

Aethylchlorid.  Aethylen. 

©A.Cl  e,H4        +        HCL 

Chlor  wirkt  im  zerstreuten  lichte  langsam,  im  Sonnenlichte  rasch  ein 
und  bildet  Substitutionsproducte  ($.  690). 

665.  Aethylbromid.  BromäÜiyl:  OsHs.Br.  —  (Serullas  1827.)  Man 
bereitet  es  durch  gleichzeitige  Einwirkung  von  Brom  und  Phosphor  auf 
Alkohol. 

40  Th.  Brom  und  8,2  Th.  Phosphor  werden  in  kleinen  Uengen  in  abgekfibl- 
ten  Alkohol  (32  TL)  eingetragen,  direct  deatillirt,  das  Product  mit  Wasser  geföllt, 
mit  Wasser  und  etwas  Kali  oder  Soda  gewaschen,  über  Chlorcalciiim  getrocknet 
and  rectifidrt  (Beynoso). 

Das  Aethylbromid  ist  eine  farblose,  ätherartig  riechende  Flüssigkeit, 
die  bei  40,7^  siedet  Es  verhält  sich  im  Allgemeinen  wie  Aethylchlorid, 
zeigt  aber  noch  leichter  doppelte  Zersetzung. 

666.  Aethyljodid.  Jodäthyl:  OjH^.J.  (6ay-Lussao  1815.)  Es  wird, 
wie  das  Bromid,  durch  gleichzeitige  Einwirkung  yon  Jod  und  Phosphor 
auch  Alkohol  erhalten. 

Man  trägt  entweder  das  Jod  und  den  Phosphor  portionenweise  in  den  Alko- 
hol ein  (Frankland  empfiehlt:  7  Th.  Phosphor,  28  Th.  Jod,  35  Th.  Alkohol;  Bey- 
noso: 16  Th.  Phosphor,  30  Th.  Alkohol,  60  Th.  Jod).  Oder  man  übergiesst  10  Th. 
Jod  mit  10  Th.  Alkohol,  und  trägt  unter  Abkühlen  1  Th.  Phosphor  aUmShüg  ein 
(Lautmann).  Oder  man  operirt  in  2  Kolben,  indem  man  in  dem  einen  Jod  in  Al- 
kohol löst  und  die  klare  abgegossene  Lösung  im  anderen  Kolben  auf  Phosphor 
einwirken  lässt  Die  Wirkung  des  Phosphors  muss  das  erstemal  durch  Erwärmen 
eingeleitet  werden*,  sobald  die  Flüssigkeit  entfärbt  ist,  giesst  man  in  den  andern 
Kolben  und  löst  von  neuem  Jod;  man  giesst  dann  wieder  in  den  den  Phosphor 
enthaltenden  Kolben  und  unterstützt  die  Wirkung,  die  jetzt  ohne  weitere  Erhitzung 
erfolgt  durch  Umschütteln.  Man  kann  endlich  den  Phosphor  mit  Alkohol  über- 
giessen  und  das  Jod  y ermittelst  eines  leinenen  Tuches  an  der  Oberfläche  der  Flüs- 
sigkeit aufhängen.  Man  destillirt  dann,  fällt  das  Destillat  mit  Wasser,  setzt  dem 
ausgefüllten  Aethyljodid  zur  Entfernung  von  freiem  Phosphor  etwas  Jod  zu,  bis  es 
selbst  bei  längerem  Stehen  gefärbt  bleibt,  entzieht  das  überschüssige  Jod  durch 
Schütteln  mit  Quecksilber,  beigemengte  Säuren  mit  Bleiozyd,  entwässert  Über  Chlor- 
caldum  und  rectificirt. 

Das  Aethyljodid  ist  frisch  bereitet  farblos,  es  riecht  eigenthttm- 
lich  ätherartig,  etwas  an  Knoblauch  erinnernd.  Siedepunkt  72,2^  (Frank- 
land). Spec.  Gew.  1,946  bei  16®.  —  Es  ist  unlöslich  in  Wasser,  mit  Al- 
kohol mischbar.  Es  zeigt  noch  leichter  doppelte  Zersetzung  als  das 
Aethylbromid  und  bildet  z.  B.  beim  Erhitzen  mit  Wasser  auf  150®  Jod- 
wasserstoffs&ure  und  Aether.  Es  bräunt  sich  bei  längerem  Stehen,  be- 
sonders rasch  bei  Einwirkung  des  Lichtes  unter  Freiwerden  von  Jod. 


Aethylderiyate  einbasischer  Säuren.  413 

Aethylflnorür  soll  nach  Reinsch  durch  Einwirkung  von  Flasssttare  auf 
Alkohol  entstehen.    Es  ist  noch  nicht  nfther  nntersncht 

Aethyl Cyanid.  Cyanäthyl.  Propionitril:  «jHjN  =  GjH^.eN  667. 
(Pelouze  1834).  Destillirt  man  äthylschwefelsaures  Kali  (iVs  — ^  Th.) 
mit  Cyankallum  (1  Th.),  oder  erhitzt  man  längere  Zeit  Jodftthyl  (2  Th.) 
mit  Cyankalium  (1  Th.)  unter  Zusatz  von  Alkohol  und  destillirt  dann 
(Willi am 8 od),  so  erhält  man  Aethylcyanid  als  bei  88^  siedende  Flüs- 
sigkeit. Nach  diesen  Bildungs weisen  erscheint  dieser  Körper  als  Cyan- 
Verbindung  des  Radicals  A e t h y L  Nach  seinen  Zersetzungen,  nament- 
lich insofern  er  beim  Behandeln  mit  Kalilauge  Propionsäure  und  Ammo- 
niak gibt: 

Aethylcyanid.  Propionsäure. 

ejHj.ON  +  2H,0  =  e^e,  +  nh, 

kann  er  betrachtet  werden  als  ein  Rest  des  Propionsäuren  Ammoniaks, 
als  Propionitril.  Man  erhält  in  derThat  dieselbe  Substanz,  wenn  man 
propionsaures  Ammoniak  oder  P^opionamid  mit  Phosphorsäureanhydrid 
erhitzt 

Das  Cyanäthyl  wird  später  als  dem  Ammoniaktypus  zugehörige  Ver- 
bindung des  Radicals:  OJ^^  näher  beschrieben,  hier  muss  nur  erwähnt 
werden ,  dass  bei  Einwirkung  von  Kalium  auf  wasserhaltiges  Cyanäthyl 
(neben  Kyanäthin)  Cyankalium  und  Aethylwasserstoff  erzeugt  wird.  (Kolbe 
und  Frankland)  *)  vgl.  $.  662. 

Aethylcyanid.  Aethylwasserstoff. 

GjHj.eN  +  H,e  -f  K,  =  OA-H  +  eN.K  4-  KHO 

Aethyl nitrit,  Salpetrigäther,  Salpeteräther:   O^Hs.NO^.   (Kunkel  668. 
1681;  Dumas  und  Boullay).    Wie  oben  erwähnt  ($.  647)  wirkt  Salpeter- 
säure  auf  Alkohol  sehr  heftig  ein;  während  ein  Theil  des  Alkohols  oxy- 
dirt  wird,    gibt  ein  anderer  mit  der  aus  der  Salpetersäure  entstehenden 
salpetrigen  Säure  Salpetrigsäureäther. 

Destillirt  man  ein  Gemenge  von  Alkohol  und  Salpetersäure  (gleiche  Theüe 
Alhohol  von  35^  und  Salpetersäure  von  82^,  Thenard),  indem  man  bis  zum  Ein- 
treten der  Reaction  erwärmt  und  dann  das  Feuer  entfernt,  so  verdichtet  sich  in 
den  als  Vorlage  dienenden  WoalfTschen  Flaschen,  die  zur  Hälfte  mit  Salzwasser 
gefüllt  sind,  eine  leichtere  Flüssigkeitsschicht,  die  man  ftlr  sich  rectificirt  und  dann 
noch  über  etwas  gebrannten  Kalk  stellt.  Berzelius  empfiehlt  nach  Black's  Vor- 
schrift Alkohol  (9  Th.),  Wasser  (4  Th.)  und  rauchende  Salpetersäure  (8  Th.)  in 
einem  Glascylinder  zu  schichten,  2--3Tage  stehen  zu  lassen  und  die  obere  Schicht 
durch  Destillation  zu  reinigen. 

Zweckmässiger  ist  es,  nach  Liebig,  die  aus  Stärkemehl  und  Salpetersäure 
entwickelte  salpetrige  Säure  durch  verdünnten  und  abgekühlten  Alkohol  zu  leiten 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXV. 


414  Aethylverbindnngen. 

and  die  entweichenden  Dftmpfe  zu  verdichten.  Oder  man  destillirt  direct  (nach 
Grant)  gleiche  Volume  Alkohol  mit  Salpeters&ure^  St&rkemehl  oder  auch  Zucker, 
oder  (nach  E.  Kopp)  mit  Eupferspänen. 

Das  Aethylnitrit  ist  eine  gelbliche,  nach  Aepfeln  riechende  Flüssigkeit,  die 
sich  mit  Alkohol  in  allen  Verhältnissen  mischt,  in  Wasser  aber  wenig  löslich  ist 
(48  Th.  Wasser).  Es  siedet  bei  ^  18®.  Beim  Aufbewahren  zersetzt  es  sich,  nsr 
mentlich  bei  Gegenwart  von  Wasser,  unter  Freiwerden  von  Stickoxyd  und  häufig 
mit  Zersprengen  der  Gefösse.  Von  Schwefelwasserstoff  (oder  Schwcfelammonium) 
wird  das  Aethylnitrit  reducirt  nach  der  Gleichung: 

Aethylnitrit  Alkohol.  - 

OaHj.Ne,    +    8HaS    =    Bfi.^    +    NH,    +    EjO    +    SB, 

Der  Salpeteräther  der  Fharmacopöen,  (Spiritus  nitrico-aethereus  oder 
nitri  dulcis)  ist  eine  Auflösung  von  Aethylnitrit  in  Alkohol  oder  auch  das  (durch 
Schütteln  mit  Potasche  von  fireier  Säure  befreite)  Product  der  Destillation  eines  Ge- 
menges von  Schwefelsäure  mit  viel  Alkohol. 

Salpetersäure-Aethyläther:  ^^  |o  (Miilon  1843).  —  Naefa 

dem  was  eben  über  die  Einwirkung  der  Salpetersäure  auf  Alkohol  ge- 
sagt wurde,  ist  es. klar,  dass  durch  Destillation  eines  Gemenges  beider 
Substanzen  kein  Aether  der  Salpetersäure  erhalten  wird;  setzt  man  aber 
dem  Gemisch  etwas  Harnstoff  zu,  der,  wie  die  meisten  Amide,  alle  etwa 
freiwerdende  salpetrige  Säure  augenblicklich  wegnimmt,  so  wird  Salpeter- 
Bäureäther  erhalten. 

Man  destillirt,  zweckmässig  nicht  mehr  als  150  Grm.,  einer  Mischung  von 
1  Vol.  Salpetersäure  und  2  Vol.  Alkohol  unter  Zusatz  einiger  Gramme  Harnstoff 
oder  salpetersauren  Harnstoff;  füllt  das  Product  mit  Wasser,  trocknet  mit  Ohlor- 
calcium  und  rectificirt. 

Der  Salpetersäureäthjläther  siedet  bei  86®,  riecht  angenehm  ätherisch 
und  schmeckt  süss.  Er  brennt  mit  weisser  Flamme;  sein  Dampf  über 
den  Siedepunkt  erhitzt,  explodirt  beim  Entzünden.  Durch  Erhitzen  mit 
alkoholischer  Ammoniaklösung  auf  100<^  gibt  er  salpetersaures  Aetlijl- 
amin : 


Salpetersänreäther.  Aethylamin. 

[H  jX^     e^H,]  ^  j  e^H» 

H 
H 


^^  H  Ne. 


l\o     =     »11*  +  ""^' 


Ton  Sohwefelammonium  wird  er  leicht  reducirt,  nach  der  Gleichung: 

Salpetersäureäther.  Mercaptan. 

6A(Nea)0    +    6H,e    =    ejH^S    +    NH,    +    8H,0    +    39, 


Aethylderivate  einbaBiBcher  Sftnren. 


415 


Ueberchlorsfture&thylftther:  62H5.CIO4.  (Clarke,  Hase  u.  Boyle  1841). 
Die  einzige  bekannte  Aetherart  einer  Sauerstoffsäure  des  Chlors,  wird  durch  Destillation 
von  überchlorsanrem  Barjrt  und  äthylschwefelsaurem  Baryt  (in  Mengen  von  höchstens 
6  Gr.)  erhalten^  indem  man  die  Temperatur*  nur  über  170^  steigen  lässt.  —  Dieser 
Aether  ist  eine  angenehm  riechende,  in  Wasser  unlösliche  Flüssigkeit.  Er  kann 
mit  Wasser  bis  zum  Sieden  erhitzt  werden.  In  reinem  Zustande  ist  er  leicht  zer- 
setzbar und  ezplodirt  beim  Entzünden,  Erhitzen,  Reiben  oder  Stossen,  bisweilen 
sogar  ohne  sichtbare  Veranlassung. 

Durch  Destillation  von  Ueberchlorsäure  mit  Alkohol  wird  kein  üeberchlor- 
säureäther,   sondern  nur  gewöhnlicher  Aether  erhalten. 

Cyans&ureftthyläther:  ^^|o.     Von  Wurtz  1848  ♦)  entdeckt.» 670. 

Er  entsteht,  neben  Cjanursänreäthyläther  (§.  682),  bei  Destillation  von 
cyansaurem  Kali  mit  äthylschwefelsaurem  Kali.  Farblose  Flüssigkeit,  von 
stechendem  Geruch,  stark  zu  Thränen  reizend,  Siedepunkt  60®. 

Der  Cyansäureäthyläther  verhält  sich  den  meisten  Reagentien  ge- 
genüber der  Cyansäure  völlig  analog ,  mit  dem  Unterschied,  dass  das  ent- 
stehende Product  an  der  Stelle  von  Wasserstoff  das  Radical  Aethyl  ent- 
hält. Es  gibt  so  ein  Mittel  eine  grosse  Anzahl  äthylhaltiger  Verbindungen 
darzustellen. 

Alle  diese  Zersetzungen  werden  später  ausführlicher  besprochen  werden  (siehe : 
Amide  der  Kohlensäure).  Wir  stellen  hier  die  wichtigsten  zusammen,  um  die  Ana- 
logie im  Verhalten  der  Cyansäure  und  des  Cyansäureäthers  zu  zeigen: 

Cyansäure.  Harnstoff. 

1.  eN.OH    +    NH,    =    eNaOH« 


II. 


Cyansäure- 
fithylfither. 

+ 

Aethylhamstoff. 
NH,    =    eNaOHaCejH») 

Cyansäure. 
GN.OH 

+ 

HaO    =    NH,               + 

■©Oj 

Cyansfture&ther. 
6N.e(e^,) 

+ 

Aethylamin. 
H,e    =    NHaCeA)    + 

V/t/j 

und  da   das  entstehende  Aethylamin  sich   (wie  das  Ammoniak  Nr.  I.)   mit  Qyan- 
säureäther  verbindet,  so  hat  man  femer: 

Cyansäureäther.  Aethylamin.  Diäthylhamstoff. 

eNe(eaH5)      +    NHa(eaH^    =    6NaeHj(eaH»), 


m. 


Cyansäure. 
eNOH 


+       2KHe 


Kohlens.  Kali. 
=    NH,    -p    OG',Kj 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  TiXXT.  827. 


416  Aethylverbindongen. 

Cyansäureäther.  Aethylamin. 

6Ne(eA)      +         2KHe  =      NHjCeaHj)      +      e0,Ka 

Cyansäareäther.  Alkoholnatriam.  Triäthylamin. 

vgl.  Stickstoffbasen  der  Alkoholradicale ,  §§.  709  ff.  und  ferner :  Aethylacetamid, 
Aethyldiacetamid. 

Der  Gjansäure&thyläther  Terbindet  sich  direet  mit  Salzs&ure  zu  einer 
bei  95®  siedenden  Verbindung  p  h  (^  "^  HCl*)  die  von  Wasaer  raach 
sersetzt  wird  zu  Eohlens&ure  und  aalzsaurem  Aethjlamin. 

672.  Sulfooyansäure&thyläther.    Sulfocyan&thjl:  ^  ^  > 9;  entsteht 

durch  doppelte  Zersetzung  aus  Sulfoejankalium  und  Athylschwefelsaurem 
Kali  oder  auch  Aethylchlorid.  Lauchartig  riechende  Flflssigkeit^  die  bei 
146®  siedet.  Von  starker  Salpetersäure  wird  es  zu  &thylschwefliger  Säure 
(S*  076)  oxydirt  Kalilösung  (namentlich  alkohoUsche)  und  eine  alkoho- 
lische Lösung  von  Schwefelkalium  wirken  zersetzend;  man  hat: 

SiüfocyanäthyL       Kalihydrat       Aethylsolfid.       Cyankaliam.       Cyansaores 

KalL 
2  6N.6(6,H»)  +     2KHe    =    (ß^E^^S    +      6N.K     +      6N0K   +   H,e 

SulfocyanäÜiyl.      Kaliumsnlfld.    Aethylsulfid.    Sulfocyankaliom. 
2eN.Ö(ejHj)  +     K,S        =     (ejH^aS    +     2eNßK. 

Aethylderivate  zweibasischer  Säuren. 

678.  Aethjlsulfhydrat.    Aethylmercaptan.    Mercaptan*^),  Schwefel- 

6  H  / 
alkohol:     'q|B;   von  Zeise  ***)  1833  entdeckt     Das  Aethylmercaptan 

^tsteht  aus  Kaliumsulfhydrat  durch  Austausch  des  Kaliums  gegen  AethyL 
Es  entsteht  auch  durch  Einwirkung  von  Schwefelphosphor  auf  Alkohol. 

Man  sättigt  alkoholische  Kalilösung  mit  Schwefelwasserstoff,  leitet  in  das  so 
erhaltene  KaÜamsulfhydrat  Aethylchlorid  bis  zur  Sättigung  und  destillirt  unter  fort- 
währendem Einleiten  von  Aethylchlorid.  Oder  man  destillirt  eine  wässrige  Lösung 
▼on  Kaliumsulfhydrat  von  1,8  spec.  Gew.  mit  dem  gleichen  Volum  einer  Lösung 
YOn  äthylschwefelsaurem  Kalk  von  demselben  spec  Gew.  (Liebig).  Das  Destillat 
wird  mit  Wasser  gefallt,  die  aufschwimmende  Schicht  mit  Chlorcalcium  entwässert 
und  rectifidrt.  * 


^)  Habich  u.  limpricht,  Ann.  Chem.  Pharm.  dX.  107. 
*^)  Der  Name  Mercaptan  ist  dem  Aethylsulfhydrat  von  Zeise  gegeben  worden, 
um  die  grosse  Verwandtschaft  dieses  Körpers  zu  Quecksilber  auszudrücken 
(Ifercurlo  aptum). 
**^}  Ann.  Chem.  Pharm.  XL  1. 


Aethylmercaptan.  417 

Das  Aethylsalfbydrat  ist  eine  farblose  Flüssigkeit  von  ausnehmend 
unangenehmen  zwiebelartigem  Geruch.  Spec.  Gew.:  0,835;  Siedep.:  36^ 
—  Es  brennt  mit  blauer  Flamme  und  erstarrt  durch  die  bei  raschem  Ver- 
dunsten (an  einem  Glasstab  z.  B.)  erzeugte  Kälte  zu  einer  weissen  blättri- 
gen Masse. 

Das  Aethylmercaptan  kann  den  typischen  Wasserstoff  gegen  Me- 
talle austauschen  (vgl.  §.  209),  es  erzeugt  so  salzartige  Verbindungen:  ' 
die  Mercaptide.  Die  Kalium-  und  Natriumverbindung  werden  durch 
Auflösen  des  Metalls  in  Mercaptan  erhalten.  Viele  Metallsalze,  nament- 
lich Bleizucker  und  Quecksilberchlorid,  geben  mit  alkoholischer  Lösung 
von  Mercaptan  Niederschläge.  Die,  für  das  Mercaptan  charakteristische, 
Quecksilberverbindung  wird  auch  durch  Auflösen  von  Quecksilber- 
oxyd in  alkoholischer  Mercaptanlösung  und  Erkalten  oder  Verdunsten  der 
Flüssigkeit  in  weissen  glänzenden  Krystallen  erhalten,  sie  schmilzt  bei  85®. 
Die  Zinkverbindung  ist  von  Frankland  durch  directe  Vereinigung  von 
Schwefel  mit  Zinkäthyl  erhalten  worden. 

Von  Salpetersäure  wird  das  Mercaptan  zu  äthylschwefliger  Säure 
oxydirt 

Aethylsulfid.    Schwefeläihyl:  ^  jj^js.    (Döbereiner,  Regnault)  674. 

Wird  erhalten,  indem  man  in  alkoholische  Lösung  von  Kaliumsulfid  (al- 
koholische Kalilösung,  die  zur  Hälfte  mit  Schwefelwasserstoff  gesättigt  ist) 
Aethylchlorid  einleitet  und  bei  fortwährendem  Durchleiten  von  Aethyl- 
chlorid  destillirt.  Es  ist  eine  farblose,  unangenehm  knoblauchartig  rie- 
chende Flüssigkeit,  die  bei  91^  siedet. 

Das  Aethylsulfid  gibt  mit  einigen  Metallchloriden  krystallisirbare 
Verbindungen.  Man  erhält  sie  durch  Fällen  der  wässrigen  oder  besser 
alkoholischen  Lösungen.  Z.  B. :  Aethylsulfid-Quecksilberchlorid :  (62^5)2^^ 
-f-  HgS;  Aethylsulfid-Platinchlorid:  (e2H5)2S  +  PtClj. 

Salpetersäure  oxydirt  das  Aethylsulfid  unter  Bildung  von  äthyl- 
schwefliger  Säure.  Chlor  wirkt  substituirend  (vgl.  §.  686),  die  Einwir- 
kung ist  so  heftig,  dass  sich  das  Aethylsulfid  beim  Eintropfen  in  eine 
Ghloratmosphäre  entflammt. 

Aethylbisnlfid.  (Zweifach  Schwefelmethyl.  Thialöl.):  (ß2^5h^i  (Zeise 
18S4),  entsteht  bei  Destillation  von  mehrfach  Schwefclkaliam  mit  äthylschwefel 
saurem  Kali.  Es  siedet  bei  151*^.  Gleichzeitig  entsteht  eine  höher  siedende  und 
schwefelreichere  Flüssigkeit,  wahrscheinlich  Aethyltrisulßd  =  (62H5)aSr,.  —  Durch 
Oxydation  mit  Salpetersäure  gibt  das  Aethylbisnlfid  fithylschweflige  Säure. 

Selenverbindungen    des     Aethyls.    —      Das     Selenmercaptan:  675. 

Hi^®  ist  von  Siemens*)  erhalten  worden,  es  ist  dem  Mercaptan  sehr  ähnlich. 


^)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXL  860. 

Kck«U,  orgao.  Chemie.  27 


418  Aethyl  Verbindungen. 

Das  Selen äthyl:   ^'u*JSe    haben   Löwig    und  Joy*)    untersucht;    es    weicht 

von  dem  analog  zusammengesetzten  Aethylsulfid  in  seinen  Eigenschaften  in  bemer- 
kenswerther  Weise  ab,  insofern  es,  ähnlich  wie  ein  Metall,  sich  mit  Sauerstoff, 
Chlor  etc.  zu  verbinden  vermag. 

Tellur  äthyl:  (6jH^)aTe.  Von  Wöhler**)  durch  Destillation  von  Tellur- 
kaliura  mit  äthylschwefelsaurem  Kali  erhalten,  zeigt  diese  basischen  Eigenschaften 
in  noch  hervortretenderem  Maasse.  (Beide  Verbindungen  werden  später  beschrie- 
ben werden.) 

676.  Aethyläther  der  schwefligen  Säure.     Die  schweflige  Säure 

bildet  zwei  Aether  und  ausserdem  ein  Aetherchlorid  (vgl.  §.  353). 


Aethylschweflige 

Schwefligsäure- 

Aethylsulfurjl- 

Säare. 

äthyläther. 

Chlorid. 

e^H. 

eA 

e,H, 

^^:o 

90J.CL 

Aethylschweflige  Säure.  (Aethyldithionsäure.)  Entsteht  durch 
Oxydation  von  Aethj  Isulfhydrat  ***) ,  Aethylbisulfid  und  Sulfocyanäthyl 
mit  Salpetersäure.  Zur  Reinigung  stellt  man  das  aus  Wasser  und  Alko- 
hol leicht  krystallisirbare  Bleisalz  dar  und  zersetzt  mit  Schwefelwasser- 
stoff. Beim  Eindampfen  im  Wasserhad  erhält  man  einen  Syrup,  der  bei 
längerem  Stehen  krystallisirt.  Die  Säure  ist  sehr  zerfliesslich  und  auch 
in  Alkohol  löslich.  Die  Salze  sind  löslich  und  meist  krystallisirbar;  bei 
Einwirkung  von  Phosphoroxychlorid  geben  sie  Aethylsulfurylchlorid. 

Schwefligsäure  -  Aethyläther.  Von  Elelmen  und  Bouquet 
1845  durch  Einwirkung  von  Halbchlorschwefel  auf  Alkohol  erhalten.  Es 
entsteht  auch  durch  Einwirkung  von  Chlorthionyl  f )  auf  Alkohol.  (Carius.) 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXXVI.  851. 

••)  ibid.  LXXXIV.  69.  Löwig  u.  Weidmann  1836;  H.  Kopp,  Ann.  Chem.  Pharm. 
XXXV.  846;  Muspratt,  ibid.  LXV.  251. 

^**)  Das  nach  Löwig  und  Weidmann  bei  dieser  Oxydation  des  Mercaptans  zuerst 
entstehende,  bei  180<^  — 140®  siedende  Oel,  dessen  Zusammensetzung  von  die- 
sen Chemikern  =  O^H  10^2^2  gefunden  wurde,  ist  wohl  Schwefligsäure- 
Aethyläther,  in  welchem  1  At.  0  durch  S  ersetzt  ist: 

Es  entspräche  dann  den  Aethem  der  Sulfophosphorsäure  (§.  661). 

f )  Das  Chlorthionyl  wird  zweckmässig  durch  Erhitzen  von  trocknem  schweflig- 
saurem Kalk  mit  Phosphoroxychlorid  auf  150®,  oder  noch  besser  durch  Ein- 
wirkung von  schwefliger  Säure  auf  Phorphorsuperchlorid  erhalten.  Es  sie- 
det bei  80®.    (Carius,  Ann.  Chem.  Pharm.  CXI.  94.) 


Aethylfither  der  schwefligen  Säure.  419 

Zur  Darstellung  lässt  man  zweckmässig  absoluten  Alkohol  im  Ueberschuss 
tropfenweise  zu  abgekühltem  Chlorthionyl  oder  zu  Halbchlorschwefel  fliessen  und 
destillirt 

Die  Einwirkung  erfolgt  bei  Chlorthionyl  nach  der  Gleichung: 

Chlorthionyl.  Alkohol.  Schwefligsäure- 

Aether. 

cijse     +     2^a^^|e  =    (eaH^),.se3    +    2hci. 

Da  das  Chlorthionxl  als  Chlorid  des  Radicals:  SO  betrachtet  werden  kann, 
so  kann  man  die  Zersetzung  auffassen  als: 


C], 


&e 


«»H, 


und  demgemäss  den  Schweiligsäure-Aethylätfaer  durch  eine  vom  doppelten  Wasser- 
typ sich  herleitende  Formel  darstellen. 

Bei  Einwirkung  von  Halbchlorschwefel  auf  Alkohol  wird,  wie  es  scheint, 
erst  Chlorthionyl  gebildet,  welches  dann  auf  Alkohol  und  wahrscheinlich  auch  auf 
das  entstandene  Mercaptan  einwirkt: 

Halbchlorschwefel.  Alkohol.  Chlorthionyl.  Mercaptan. 

1)  SjCl,  +    ^2^J0    =      SOCl,        +     ^a^^js 

Chlorthionyl.      Mercaptan.        Schwefligsäure-    Aethylchlorid. 

Aethyläther. 

2)  3  &eaa    +    4  e^H^S  003.(6^)2  +  2  e^HjCl  +  4  HCl  +  8  6j 

Nach  dieser  Reaction  kann  der  Halbchlorschwefel  als  geschwefeltes  Chlor- 
thionyl betrachtet  werden  (Carius)  ♦). 

Der  Schwefligsäure- Aethyläther  ist  eine  nach  Pfeffer oiünzöl  riechende 
Flüssigkeit,  die  bei  160"  siedet.     Er  wird  von  Wasser  alimählig  zersetzt. 

Aethylsulfurylchlorid,  Chlorid  der  iithylsch welligen  Säure. 
Von  Gerhardt  und  Chancel  durch  Einwirkung  von  Phospboroxychlorid 
auf  äthylschwefligsaures  Natron  erhalten.  Es  siedet  bei  17]<)  und  ist  in 
Wasser  nicht  löslich.  Durch  Einwirkung  dieses  Chlorides  auf  Ealium- 
methylat  oder  Ealiumamylat  entstehen  Doppeläther  der  schwefligen  Säure. 
(Carius.) 

Schwefligsäure-  Schwefligsäure- 

Aethylmethylätber.  Aethyiamyläther. 

Ö2H5  G2H5 


GH. 


31  ÖfiHiii 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CVI.  291. 


27 


420  Aethylverbindongen. 

SO  ) 
677.  Äethylschwefelsäure.     Schwefelweinsäure :    g  0CT*(^i«(Von 

Dabit  1800  entdeckt,  von  Sertürner  1819  und  seitdem  noch  von  vielen 
Chemikern  untersucht).  Sie  entsteht  beim  Mischen  von  Alkohol  mit 
Schwefelsäurehydrat  und  zwar  in  um  so  grösserer  Menge  je  concentrirter 
der  Alkohol  und  je  grösser  die  durch  die  Reaction  selbst  erzeugte  Wärme. 
Durch  längeres  Stehen  oder  durch  Erwärmen  der  Mischung  wird  die  Bil- 
dung der  Äethylschwefelsäure  begünstigt,  aber  niemals  wird  aller  Alkohol 
oder  alle  Schwefelsäure  in  Äethylschwefelsäure  verwandelt.  Auch  ver- 
dünnte Schwefelsäure  gibt  mit  Alkohol  Äethylschwefelsäure,  jedoch  erst 
beim  Erwärmen. 

Aethylen  wird  bei  anhaltendem  Schütteln  (mit  Quecksilber)  von 
Schwefelsäurebydrat  absorbirt  (1  Vol.  Schwefelsäure  absorbirt  120  Yol. 
Aethylen)  unter  Bildung  von  Äethylschwefelsäure  (Faradaj,  Hennel,  Ber- 
thelot *). 

Zur  Darstellung  der  Äethylschwefelsäure  verdünnt  man  das  Gemisch  von 
gleichen  Volumen  Alkohol  und  Schwefelsäure,  zweckmässig  nach  längerem  Stehen 
und  Erwärmen  im  Wasserbad,  mit  Wasser,  sättigt  zur  Entfernung  der  überschüssig 
gen  Schwefelsäure  mit  kohlensaurem  Barjrt  oder  Bldozyd  und  zersetzt  das  Filtrat 
mit  der  genau  nöthigen  Menge  Schwefelsäure  oder  mit  Schwefelwasserstoff. 

Die  Äethylschwefelsäure  stellt  nach  dem  Verdunsten  im  Yacuum 
eine  syrupdicke  Flüssigkeit  dar,  die  sich  in  Wasser  und  in  Alkohol  löst 
Sie  zersetzt  sich  bei  längerem  Stehen,  rasch  beim  Kochen  mit  Wasser 
unter  Bildung  von  Schwefelsäure  und  Alkohol.  Sie  zeigt  sehr  leicht  dop- 
pelte Zersetzung  und  dient  dieser  Eigenschaft  wegen  zur  Darstellung  des 
Aethers  und  vieler  Aetherarten  (vgl.  §.  652). 

Die  äthjlschwefelsauren  Salze  sind  sämmtlich  in  Wasser 
ICslich  und  krystallisirbar;  sie  zersetzen  sich  beim  Kochen  mit  Wasser, 
viele  schon  beim  Eindampfen  ihrer  Lösung,  in  Alkohol  und  schwefelsau- 
res Salz.  Beim  trocknem  Erhitzen  mit  einem  anderen  Salz,  bisweilen  auch 
beim  Kochen  wässriger  Lösungen,  zeigen  sie  meistens  doppelte  Zersetzung 
und  bilden  den  Aethyläther  der  Säure  deren  Salz  angewandt  wurde. 

Als  parathionsaurenBaryt  hat  Gerhardt  **)  eine  Modification  des  äthyl- 
schwefelsauren Baryts  beschrieben,  deren  wässrige  Lösung  sich  beim  Kochen  nicht 
zersetzt  Man  erhält  dieses  Salz  durch  längeres  Kochen  einer  Lösung  von  äthyl- 
schwefelsaurem Baryt,  Filtriren  von  dem  ausgefallenen  schwefelsauren  Baryt  und 
Sättigen  der  frei  gewordenen  Säure  mit  kohlensaurem  Baryt  Dieselbe  beständige 
Varietät  des  äthylschwefelsauren  Baryts  entsteht  auch  nach  Berthelot  ^**)  aus  der 
durch  Aetylen  und  Schwefelsäurehydrat  erhaltenen  Äethylschwefelsäure;  femer 
wenn  man  Alkohol  mit  S — 4  Vol.  Schwefelsäure  längere  Zeit  erhitzt,  bis  viel  Aethy- 
len ausgetrieben  ist;  demnach  scheinen  die  von  Regnault  auf  dieselbe  Art  erhalte- 
nen äthionsauren  Salze  mit  den  parathionsauren  identisch  zu  sein. 


^)  Jahresber.  1865.  602.  —  Ann.  Chem.  Pharm.  XCIV.  78. 
••)  Trait6.  IL  296. 
•••)  Jahresber.  1865.  602. 


Aethylftther  der  Schwefelsäure. 


421 


Bchwcfelßftnre-Aethyläther:  feH^*!^»-  ~  Wetherill  1848.  678. 
Er  kann  nicht  dnrch  Destillation  von  Alkohol  mit  Schwefelsäure  erhalten 
werden,  wie  es  für  die  entsprechende  Methylverbindung  der  Fall  ist. 
Er  wird  durch  Zuleiten  von  Schwefelsäureanhjdrid  zu  abgekühltem  Aether 
erhalten.  Der  Schwefelsäure- Aethjl&ther  kann  nicht  destillirt  werden;  er 
zersetzt  sich  bei  150^  —  Mit  Wasser  zerftUt  er  schon  in  der  Kälte, 
rascher  beim  Erhitzen  in  Weingeist  und  Aethjlschwefelsäure.  Mit  Am- 
moniak gibt  er  sulfäthaminsaures  Ammonium  (Strecker). 

Schwefelsäure*  Sulfäthaminsaures 

Aethjläther.  Ammonium. 

2(e,H5),.&e4    +    2NH,    =    N(e2H5)4HjS,Os.NH4 

Als  schweres  Weinöl  hat  man  den  Ölartigen  Körper  bezeichnet,  der  bei 
Destillation  äthylschwefelsaurer  Salze  oder  auch  bei  Destillation  von  Weingeist  mit 
Schwefelsäure  auftritt  Es  scheint  Schwefelsäurettthyläther  zu  enthalten.  Wasser 
scheidet  daraus  eine  bei  280^  siedende  Flüssigkeit  ab  (leichtes  Weinöl),  die 
mit  dem  Aethylen  gleich  zusammengesetzt  ist  (OnHsn). 

Von  den  Aethyläthern  der  phosphorigen  Säure  kennt  man  679. 
bis  jetzt: 

Aethjlphosphorige  Phosphorigsäure- 

Säure  **).  Aethyläther  «"*). 

m  m 

P 


H,.e,HJ^» 


(«A),! 


e. 


Beide  entstehen  durch  Einwirkung  von  Phosphorchlorür  auf  Alkohol ;  die 
äthylphosphorige  Säure,  wenn  verdünnter  Weingeist;  der  Phosphorigsäure- Aethyl- 
äther, wenn  absoluter  Alkohol  oder  Natriumäthylat  angewandt  werden, 
hat  z.  B. : 


Phosphorchlorör. 


Alkoholnatrium 
(S  Molecüle). 


Phosphorigsäure- 
Aethyläther. 


Cla 


Na 
Na 
Na 


III    =    '"^'^^    +    (Wi^» 


Phosphorchlorür. 


Alkohol  und 
Wasser. 


Aethylphosphorige 
Säure. 


€A:e  =  2Hci  +  eaH,ci  +  eAle, 


♦)  Ann.  de  Chim.  Phys.  LXV.  98. 
♦•)  Wurtz,  Ann.  Chem.  Pharm.  LVIII.  74, 
•••)  Raüton,  ibid.  XCH.  848. 


422 


Aethylverbindimgen. 


Der  Phosphorigsfture-Aethyläther  ist  eine  unangenehm  riechende  Flüfisigkeit) 
die  bei  191®  siedet;  die  äthylphosphorige  Säure  zersetzt  sich  leicht,  man  kennt  bis 
jetzt  nur  saure  Salze,  von  denen  nur  das  Bleisalz  krjstallisirt 


680. 


Aethyläther  der  Phosphorsäure. 
Aethjlphosphor-  Biäthylphosphor- 


säure. 

PO; 
«2H5  e. 


säure. 
PO) 


Phosphorsäure- 
Aethyläther. 


(6: 


pe> 


e. 


Durch  Erwärmen  von  glasiger  Pbosphorsäure  mit  starkem  Alkohol*), 
beim  Schütteln  von  syrupdicker  Phosphorsäure  mit  Aether  oder  durch 
Einwirkung  von  Phosphoroxychlorid  auf  wasserhaltigen  Weingeist**) 
entsteht  Aethylphosphorsäure  (Phosphorweinsäure).  Phosphorsäure- 
anhydrid mit  absolutem  Alkohol  oder  mit  Aether  gibt  Diäthjl phos- 
phorsäure. Der  Phosphorsäure  -  Aethyläther  ist  von  Cler- 
mont  ♦**)  durch  Erhitzen  von  phosphorsaurem  Silberoxyd  mit  Jodäthyl 
erhalten  worden;  Vögeli  erhielt  ihn  durch  Erhitzen  von  biäthylphosphor- 
saurem  Blei  auf  200®: 


Biäthylphosphor- 
saures  Blei. 


Aethylphosphor- 
saures  Blei. 


Phosphorsäure- 
Aethyläther. 


^pb(e,H5)j^3  -  Pb,(e,H5)t^'  +    (e,H5),j^» 

er  entsteht  auch  (nach  Schifif)  durch  Einwirkung  von  Phosphoroxychlorid 
auf  absoluten  Alkohol.    Mit  Wasser  wird  er  rasch  sauer. 
681«  Man   kennt   noch    eine   Anzahl    schwefelhaltiger  Phosphor- 

säureäther,   deren  Beziehungen   zur  gewöhnlichen  Phosphorsäure  and 
ihren  Aethern  aus  der  folgenden  Zusammenstellung  ersichtlich  ist: 


Phosphor- 

Aethylphos- 

Diäthylphos- 

Phosphorsäure- 

Säure. 

phorsäure. 

phorsäure. 

Aethyläther. 

PO4H, 

P«.JH 

P^4  ^A 
fH 

^•Üil 

Sulfophofl- 

Aethylsulfophos- 

Diäthylsulfophos- 

phorsäure. 

phorsäure. 

phorsäure. 

P^jSHa 

POaö   H 

— 

♦)  Vögeli,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXIX.  180. 
••)  H.  Schiff. 
••♦)  Clermont,  Ann.  CJhem.  Pharm.  XCI.  876. 


Aefhyl&ther  der  Phosphors&ure. 


423 


DiBulfophosphor- 
Bftiire  (unbekannt). 

PeaSjH, 

Trisnlfophosphorsäure 
(unbekannt). 

POojHj 

Tetrasulfophosphorsänre 
(unbekannt). 

PS4H, 


Diäthyldisulfo- 
phosphorsäore. 

tu 


Disnlfophosphor- 
säureäther. 


Diäthyltre  trasulfo- 
phosphorsäure. 


Tetrasnlfophofi- 
phorsftiireftther. 

PS4 )  62H5 


AethylsulfophoBphorsaures  Kali  oder  Natron  hat  CloSz  darch  Ein- 
wirkung von  Phosphorsullbcblorid  (PSCla)  auf  alkoholische  Kali-  oder  Natron^ 
lösung  erhalten.  Die  übrigen  Verbindungen  sind  von  Carius  **)  entdeckt  Durch 
Einwirkung  von  Phosphorsulfid  (P2S5)  auf  Alkohol  entsteht  Diftthylsulfophos- 
phorsänre  und  Disuliophosphorsäure-Aethyläther;  aus  letzterem  ent- 
steht durch  Einwirkung  einer  alkoholischen  Lösung  von  Kaliumsulfhydrat  das  Kali- 
salz der  Diäthyldisulfophosp  hör  säure.  Durch  Einwirkung  von  Mercaptan 
auf  Disulfophosphorsäureäther  wird  Diäthylsulfophosphorsaure  erhalten;  gleichzeitig 
entsteht  Aethylsulfid: 


Disulfophosphor- 
sfture. 


Mercaptan. 


€,H, 


%< 


Diäthylsulfo- 
phosphorsaure. 

H 


Aethylsulfid. 


ö 


Lässt  man  statt  des  Mercaptans  das  Methylmercaptan  oder  Amylmercaptan 
einwirken,  so  erhält  man  intermediäre  Sulfide:  das  Methyläthylsulfid  und 
das  Aethylamylsulfid ,  z.  B. : 


Disulfophosphor- 
säureäther. 

i^a^s 


+ 


Methyl- 
mercaptan. 


Diäthyldisulfo- 
phosphorsäure. 


%^  = 


pe,s, 


Methylilthyl- 
solfld. 


Der  Tetrasulfophosphorsänre- Aethyläther  entsteht  durch  Einwir- 
kung von  Phosphorsulfid  auf  Mercaptan  oder  Quecksilbermercaptid ;  er  gibt  mit 
alkoholischem  Kaliumsulfhydrat  das  diäthyltetrasulfophosphorsaure  Kali 
und  ein  neues  Kalisalz,  das  wahrscheinlich  diäthyltrisulfophosphorsaures 
EaUist. 


•)  1847.  Compt.  rend.  XXIV.  888. 
••)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXII.  190. 


424  Aetbylverbindungeti. 

Pyrophosphorsfture-Aethyl&ther:     PO     \^t  «t  von  Qer- 

mont  durch  Einwirkung  von  Jodäthyl  auf  pyrophosphorsaures  Silberoxyd 
erhalten  worden. 
682.  Aethyläther  der  Gyanursäure.   Die  Gyanursäure  ist  eine  drei- 

basische Säure   (vgl.  §.  579).     Man    kennt  indessen  bis  jetzt  nur  zwei 
Aether: 

Biäthylcjanursäure.  Gyanursäure  -  Aethyläther. 

DerCyanursäureäthyläther  wurde  von  Wurtz  1848  *)  entdeckt  Er  ent- 
steht als  Nebenproduct  bei  Darstellung  des  Cyansäureäthyläthers  (§*671);  in  grös- 
serer Menge  bei  Destillation  von  cyanursaurem  Kali  mit  äüiylschwefelsaurem  Kali 
(gleiche  Gewichtsmengen)  oder  auch  bei  Einwirkung  von  Aethyljodid  auf  cyanor- 
saures  Silberoxyd.    Man  reinigt  das  Product  durch  Umkrystallisiren  aus  Weingeist. 

Der  Cyanursäureäther  krystallisirt  in  farblosen,  rhombischen  Krystallen,  die 
bei  86^  schmelzen  und  bei  276^  sieden.  Er  ist  in  Alkohol,  Aether  und  auch  in 
siedendem  Wasser  löslich  und  mit  Wasserdämpfen  flüchtig.  Beim  Kochen  mit  Kali- 
lauge wird  er  zersetzt  in  Kohlensäure  und  Aethylamin;  beim  Kochen  mit  Baryt- 
wasser entsteht  ein  ölartiges  Zwischenproduct:  •0gH„N302  (siehe:  Amide  der  Koh- 
lensäure), welches  beim  Erhitzen  zu  Cyansäureäther  und  Aethylharnstoff 
zerfällt  ♦♦).  Chlor  wirkt  über  100®  auf  Cyanursäureäther  ein  und  gibt  ein  Sub- 
stitutionsproduct:  69H,iCl4Nj03. 

B iäth ylcy an ur säure  wird  am  zweckmässigsten  aus  den  Mutterlaugen 
vor  der  KrystaUisation  des  Cyanursäureäthyläthers  durch  Kochen  mit  Baryt,  Zusatz 
von  Schwefelsäure  und  Eindampfen  des  Filtrats  erhalten.  Die  Biäthylcyanursäure 
krystallisirt  in  Rhomboedem,  sie  löst  sich  in  Weingeist,  Aether  und  heissem  Wasser, 
schmilzt  bei  173®  und  ist  in  höherer  Temperatur  unzersetzt  flüchHg.  Bei  Destilla- 
tion mit  Kali  liefert  sie  Ammoniak  und  Aethylamin. 

688,  Aethjläther  der  Borsäure.    Durch  Einwirkung  von  Borchlorid 

auf  absoluten  Alkohol  haben  Ebelmen  und  Bouquet  ***)  neutralen  B  o  r- 
säureäthjläther  erhalten.  Er  ist  eine  farblose,  leicht  bewegliche 
Flüssigkeit,   die  bei  119^  siedet  und  mit   schön  grüner  Flamme  brennt 

Spec.  Gew.:  0,8849,  Dampfdichte:  5,14.    Er  ist:  ^^  g  ^  JO,  f). 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXL  327. 
••)  Habich  u.  limpricht,  Ann.  Chem.  Pharm.  CIX.  101. 
•••)  Ann.  Chem.  Pharm.  LVIL  827.  —  Ann.  de  Chim.  Phys.  [8]  XVÜ.  55. 
f)  Die  Verbindungen  des  Bors  sind  noch  nicht  hinlänglich  untersucht,  um  mit 
einiger  Sicherheit  durch  typische  Formeln  ausgedrückt  zu  werden.  Es  scheint 


AethylUther  der  KieselBäure.  425 

Durch  Einwirkung  von  Bors&nre  auf  Alkohol  entstehen  noch  an- 
dere Aether  der  Borsäure,  als  glasartige  oder  syrupartige  Massen,  weder 
krystallisirbar  noch  ohne  Zersetzung  flüchtig. 

Aethjläther  der  Eiesels&ure.     Durch  Einwirkung  von   Sili-  684. 
ciumchlorid  auf  Alkohol  sind  von  Ebelmen  *)  1844  zwei  flüchtige  Eiesel- 
säureäther  erhalten  worden  : 


Der  erste  siedet  bei  165^  und  ist  eine  farblose  brennbare  Flüssigkeit,  die 
von  Wasser  allmählig  zersetzt  wird  unter  Abscheidung  von  Kieselsäure« 
Der  zweite  siedet  bei  etwa  360®;  er  entsteht  auch,  wenn  der  flüchtigere 
Eieselsäureäther  mit  etwas  wasserhaltigem  Alkohol  destillirt  wird,  indem 
das  Wasser  des  Alkohols  die  Elemente  des  Aethjläthers  entzieht,  um 
Alkohol  zu  bilden.  Bei  dieser  Destillation  bleibt  in  der  Retorte  eine 
durchsichtige  glasartige  Masse,  deren  Zusammenhang  der  Formel  entspricht: 

jr    /r  iF 

rO  H  1  [O^;   bei  weiterem  Erhitzen   destillirt  der  Aether  r^  g  ^  (^3  ^ 

ir 

und  es  bleibt  Kieselsäure:  Si.Oj**). 


wahrscheinlich,  dass  das  Bor  dreiatomig  ist.  Der  oben  beschriebene 
Aethyläther  und  die  entsprechenden  Methyl-  und  Amyläther  sind  dann  die 
neutralen  Aether  einer  dreibasischen  Borsäure,  die  sich  vom  Typus 
SHjO  herleitet,  in  welchem  8H  durch  das  dreiatomige  Radical  Bor  ersetzt 
sind.  Das  Chlorbor  ist  das  Chlorid  dieses  Radicals.  Die  Dampfdichten 
sprechen  zu  Gunsten  dieser  Formeln.    Man  hat: 


gefunden. 

berechnet 

Borchlorid                        8.942 

4.06 

Borsäuremethyläther        8.66 

8.58 

Borsäureäthyläther           6.14 

5.08 

Borsäureamyläther         10.56 

9.4 

♦)  Ann.  Chem.  Pharm.  LVn.  881. 

**)  Das  Silidum  ist  vieratomig;    Atomgew.  =  28.      Die  beiden  flüchtigen 
Aether  entsprechen  den  zwei  einfachst- möglichen  Hydraten: 

Typus.  T3rpus. 

MF  tr 

4Ha0         ^He^     und      m^^         ^Ho, 

von  welchen  auch  die  einfacheren  und  wohl  krystaUisirten  Silicate  abgeleitet 


426 


Aethylyerbindimgen. 


685.  Substitutionsproducte  der  Aethylverbindungen. 

Bei  Einwirkung  von  Chlor  auf  Aethjlverbindungen  findet  häufig, 
namentlich  bei  Gegenwart  von  Wasser  oder  auch  bei  den  dem  Wasser- 
tjp  zugehörigen  Substanzen,  die  noch  typischen  Wasserstoff  enthalten, 
eine  Oxydation  statt.  So  wirkt  z.  B.  Chlor  auf  Alkohol  oxydirend 
(▼gl.  §•  647);  ebenso  wird  Aether  bei  Gegenwart  von  Wasser  durch  Chlor 
oxydirt,  indem  dieselben  Producte  wie  aus  Alkohol  gebildet  werden. 
Wirkt  dagegen  Chlor  auf  eine  trockne  Aethylverbindung  ein,  die  keinen 
dem  Wassertyp  zugehörigen  typischen  Wasserstoff  enthält,  so  findet  Sub- 
stitution statt.  Man  kennt  bis  jetzt  namentlich  die  Chlorsubstitu- 
tionsproducte  des  Aethers,  des  Aethylsulfid's  und  des  Aethyl- 
chlorids. 

686.  Aus  Aether   und  aus  Aethylsulfid    hat  man   bis  jetzt  die  folgenden 
Chlorsubstitutionsproducte  erhalten : 


Aethyläthcr  (^2^5)7      ^ 

Monochloräthyläther    (GaH^ClJa  0 
Bichloräthyläther        (ß2^9^hh^ 


Perchloräthyläther      (B^Cl^')^     0 


CG^n^h      ö    Aethylsulfid. 


(eaH3Cla)ae 
(6aHjCl,),S 

(e^HCU),  e 


Bichloräthylsolfid. 
Trichlor&thylsulfid. 
Tetrachloräihylsulfid. 
Perchloräthylsulfid 


Von  den  Substitutionsproducten  des  Aethylsulfid's  ist  das  Tetra- 
chloräthylsulfid von  Regnault*)  1839  erhalten  worden;  die  übrigen 
hat  Riche**J  1854  dargestellt  Findet  die  Einwirkung  des  Chlors  im 
zerstreuten  Tageslicht  statt,  so  entstehen  die  weniger  Chlor  enthaltenden 
Producte;  bei  Einwirkung  im  Sonnenlicht  wird  neben  Perchloräthyl- 
sulfid (welches  indessen  noch  nicht  rein  dargestellt  ist)  noch  Chlor- 
kohlenstoff =:  G^Cl^  erhalten. 

Die  Substitutionsproducte  des  Aethyläthers  sind  beson- 
ders von  Regnault,  Malaguti  und  Lieben  untersucht  worden;  einige  der- 
selben zeigen  ein  höchst  merkwürdiges  Verhalten. 


werden  können.   —    Die  Dampfdichten  der  flüchtigen  Siliciumyerbindungen 
unterstützen  diese  Formeln.    Man  hat: 


gefunden. 
6,989 
7,82 


ir 

SUidumchlorid  Si .  CI4 

tr 
Kieselsäure-Aethyläther    Si .  OiCOaHj)^ 

ir 
Eieselsänre-^myläther      Si .  ^«(OsHii)«     1 1,7 

*)  Ann.  Chem.  Pharm.  XXXIV.  84. 

••)  ibid.  XCn.  358. 


berechnet. 
5,88 
7,19 
18,0 


Subetitationsprodacta.  427 

Der  Monochlorftthylftther  wurde  zaerst  1887  von  d'Arcet •)  durch  Ein-  687.' 
Wirkung  von  Chlor  auf  Olbildendcs  Gas  erhalten  (Chlorätheral);  Regnault  ver> 
muthete  schon,  dass  das  Chlorätheral  aus  dem  dem  ölbildenden  Gas  beigemischten 
Aetherdampf  entstanden.  Seitdem  bat  Lieben  **)  gezeigt,  dass  bei  Einwirkung  von 
Chlor  auf  Aether  bei  Temperaturen,  die  20<> — 30®  nicht  Übersteigen,  wesentlich 
Monochloräthyläther  entsteht  Er  siedet  bei  140^  —  147®  und  zersetzt  sich 
durch  Wasser,  indem  vermuthlich  ein  dem  Aldehyd  und  Essigäther  isomerer  Kör- 
per entsteht;  mit  KaUlaoge  liefert  er  Alkohol  und  Essigsäure. 

Honochlor-  Alkohol.  Essigsaures 

Aethyläther.  KalL 

e^a!^  +  »K^  =  ^'l?)^  +  ^'^'|(^  +  2KC1  +  H,^ 

Bichloräthyläther  entsteht  (Malaguti  ***)  1889),  wenn  man  Aether  im  688. 
zerstreuten  Tageslicht,  anfangs  unter  Abkühlen,  später  unter  Erhitzen  bis  100®,  mit 
Chlor  sättigt  Es  entsteht  dabei  gleichzeitig  neben  viel  Salzsäure  noch  Aethyl- 
chlorid  und  Chloral;  die  Bildung  dieser  Producte  ist  leicht  verständlich,  wenn  man 
sich  erinnert,  dass  die  durch  die  Substitution  frei  werdende  Salzsäure  mit  Aether 
doppelte  Zersetzung  zeigt  (§.  661) ;  dabei  entsteht  neben  Aethylchlorid  Wasser, 
durch  dessen  Gegenwart  das  Chlor  dann  oxydirend  auf  den  Aether  einwirkt 

Der  Bichloräthyläther  ist  eine  neutrale  Flüssigkeit  von  an  Fenchel  erinnern- 
dem Geruch.  Er  zersetzt  sich  schon  unter  dem  Siedepunkt  und  wird  langsam  von 
Wasser  und  wässriger  Kalilauge,  rasch  von  alkoholischer  KaUlösung  zersetzt: 

Bichlor-  Essigsaures 

Aethyläther.  Kali. 

t$S'}^    +   «K^    =   2^'°*tj^    +    4Ka    4-    3H,e 

Durch  Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  werden  aus  Bichloräthyläther, 
unter  Entwicklung  von  Chlorwasserstoff,  zwei  flüchtige  und  aus  Alkohol  krystalli- 
sirbare  Verbindungen  erhalten,  deren  Bildung  offenbar  so  erfolgt,  dass  2  At  Cl 
durch  1  At  S  oder  dass  4  At  Cl  durch  2  At  S  ersetzt  werden.  Beide  geben  mit 
Kalilauge  neben  Schwefelkalium  (und  resp.  Chlorkahum)  essigsaures  Kali.  Sie 
bilden  gewissermassen  Uebergänge  von  dem  Aethyläther  zum  Essigsäureanhydrid: 

Aethyl-        Bichloräthyl-     Chlorsulfäthyl-      Sulfäthyl-         Essigsäure- 
äther, äther.  ätherf).  äther.  anhydrid. 

^a^slrL         O^HjClalyv         Ö2H3CI2I/V         ^a^a^lrk         ^2^3^)^ 

Man  kann  ^ie  einerseits  als  Aethyläther  betrachten,  in  welchem  Wasserstoff 
durch  Chlor  oder  Schwefel  ersetzt  ist,  andererseits  als  Essigsäureanhydrid  in  dem 
der  Sauerstoff  des  Radicals  durch  Schwefel  oder  Chlor  vertreten  ist 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  XXVIII.  82. 
••)  ibid.  CXI.  121. 
•••)  ibid.  XXXn.  17. 
f)  Malaguti,   Ann.  Chem.  Pharm.  XXXn.   81.   (6ther   chlorosulftir^    und  kther 
8ulfiir6). 


428  AeÖiylyerbindangen. 

Perchlorftthyläther  entsteht  durch  Emwirkimg  von  Chlor  im  Sonnen- 
licht  anf  Bichloräthyläther.  (Regnault  1889  *);  Malagfuti  1845  **).  —  Er  kiystalli. 
sirt  in  quadratischen  Oktaedern,  schmilzt  bei  69^  und  beginnt  bei  SOO®  zu  sieden, 
zersetzt  sich  aber  dabei  in: 

PerchlorÄthyl-  Chlorkohlen-  Trichloracetyl- 

äüier.  Stoff.  chlorid. 

|ag*|e        =        ie,a.       +       e,a,e.ci. 

Auch  beim  Erhitzen  mit  Schwefelsäurehydrat  gibt  der  Perchlorftthylftther 
Trichloracetylchlorid.  Da  dieses  mit  Wasser  oder  Kali  zu  Trichloressigsänre  wird, 
so  ist  es  einleuchtend,  dass  bei  vielen  Zersetzungen  des  Perchlorftthyläthers  die 
Trichloressigsänre  auftaritt. 

Erhitzt  man  Perchloräthyläther  mit  einer  alkoholischen  Lösung  von  Schwefel- 
kalium,  so  erhält  man  eine  durch  Wasser  fällbare,  bei  210^  siedende  Fltissigkeit 

=  Chloroxethose  =  e4Cl,e  =  [^^q*!^?] 

Perchloräthyläther.  Chloroxethose. 

tSi^  +  2|j&  =  säK  +  *^C1  +  S, 

Die  Chloroxethose  verbindet  sich  im  Sonnenlicht  direct  mit  Chlor,  indem  Perchlor- 
äthyläther ***)  regenerirt  wird;   sie  verbindet  sich  ebenso  mit  Brom  und  erzeugt 

dann:  Perchlorobromäthyläther  (Oxethosebronüd)  =  3*q}'bJ*|^. 

Lässt  man  Chlor  bei  Gegenwart  von  Wasser  auf  Chloroxethose  einwirken, 
so  entsteht  Trichloressigsänre: 

Chloroxethose.  Trichloressigsänre. 

e^Cl'}^    +   8H,e    +   2Clj    =   2^a^^»^|e    +  4  HCl. 

Der  Perchloräthyläther  und  der  Perchlorobromäthyläther  zei- 
gen dieselben  merkwürdigen  Beziehungen  zum  Essigsäureanhydrid,  auf  welche 
oben  beim  Bichloräthyläther  und  seinen  schwefelhaltigen  Abkömmlingen  aufinerk- 
sam  gemacht  wurde.    Man  hat: 

Aethyläther.      Bichloräthyl-      Perchloräthyl-     Perchlorobrom-     Essigsäure- 
äther, äther.  äthyläther.  anhydrid. 

€aH,HjU        eAClaU        OaCljClaU        öaCl.BrJ^        «aHa^Jz^ 
6,H,Hi|^        eAClar         eaCljClJ^        eaCl,BrJ^    •    e,H,Or 


♦)  Ann.  Chem.  Pharm.  XXXIV.  27. 
••)  ibid.  LVI.  268. 

***)  Die  Chloroxethose  zeigt  in  Entstehung  und  Verhalten  eine  bemerkenswerthe 
Analogie  mit  dem  Chlorkohlenstoff:  O3CI4.  Dieser  entsteht  durch  Einwir- 
kung von  Schwefelkalium  auf  den  Chlorkohlenstoff:  O3CI«  (§.  690)  und  ver- 
bindet sich  vrieder  direct  mit  Chlor  oder  Brom. 


Substitationsprodiicte.  429 

Diese  Bezieliimgen  gewinnen  an  Interesse  durch  die  Leichtigkeit,  mit  welcher 
ans  dem  Perchloräthyläther  Verbindungen  der  Essigsäurereihe  (Trichloracetylchlo- 
rid,  Trichloressigsäure)  entstehen.  Die  grosse  Verschiedenheit,  welche  diese  aus 
dem  Aethylftther  sich  durch  Substitution  ableitenden  Verbindungen  in  ihrem  chemi- 
schen Verhalten  von  der  Muttersubstanz  zeigen,  lässt  deutlich  hervortreten,  wie 
durch  den  Einfluss  der  individuellen  Natur  der  in  eine  Verbindung  eintretenden 
Elemente  der  chemische  Charakter  der  Verbindung  geändert  werden  kann  (§§.  211, 
219  etc.). 

ChlorsubstUutionsprodttcte  des  Aethyl Chlorids,  sind 
von  Laurent  *)  und  Regnault  **)  untersucht.    Man  kennt  die  folgenden  : 

Aethylchlorid  62H5.CI    Siedep.:    +12» 

MonochlorÄthylchlorid  e2H4Cl.Cl  64» 

Bichoräthylchlorid  GJä^Cl^.Cl  75« 

Trichlor&thylchlorid  e^HjClj^Cl  102» 

Tetrachlor&Oiylchlorid  esHC^-Cl  1460 

Perchlorftthylohlorid  e^Cl^.Cl  182» 
(anderthalb  Chlorkohlenstoff). 

Man  erhält  diese  Verbindungen  durch  Einwirkung  von  Chlor  auf  Aethylchlo- 
rid in  einem  Glasballon  (zweckmässig  ist  der  bei  Aethylenchlorid  angegebene  Ap- 
parat). Beim  Beginn  der  Operation  ist  es  zweckmässig,  um  die  Reaction  einzu- 
leiten, die  Gase  der  Wirkung  der  Sonnenstrahlen  auszusetzen;  wenn  die  Reaction 
einmal  begonnen  hat,  geht  sie  auch  im  Schatten  weiter.  Leitet  man  die  Operation 
so,  dass  das  Aethylchlorid  im  üeberschuss  ist,  so  entstehen  wesentlich  die  an  Chlor 
ärmeren  Substitutionsproducte;  durch  Einleiten  von  Chlor  in  die  so  erhaltene  Flüs- 
sigkeit erhält  man  die  an  Chlor  reicheren.  Die  Producte  werden  durch  fractionirte 
Destillation  getrennt. 

Ein  Gemenge  dieser  verschiedenen  Substitutionsproducte  (der  über  110®  sie- 
dende Theil)  findet  in  neuerer  Zeit  unter  dem  Namen  Aether  anaestheticus  als  lo- 
cales  Schmerzstillungsmittel  Anwendung. 

Mit  diesen  Chlorsubstitutionsproducten   des  Aethylchlorids  sind  das 

Aethylenchlorid  (62H4.CI2)  und  die  aus  diesem  erhaltenen  Substitutions- 
producte isomer,  aber  in  den  Eigenschaften  verschieden.  Das  Endpro- 
duct:  62^16  ^B^  i^  beiden  Fällen  identisch  (vgl.  Aethylenchlorid). 

Ob  die  aus  dem  Aethylwasserstoff  durch  Chlor  entstehenden  Pro- 
ducte mit  dem  Aethylchlorid  und  seinen  Substitutionsproducten  identisch 
oder  nur  isomer  sind,  ist  noch  nicht  mit  Sicherheit  dargethan  (vgl. 
§.  662). 


*)  Ann.  de  Chim.  Phys.  LUV.  828. 
*•)  Ann.  Chem.  Pharm.  XXXUL  810. 


430  Propyl-,  Butyl-,  Amyl-,  Caproylverbindungen. 

Propyl-,  Butyl-,  Amyl-  und  Caproylverbindungen. 

691.  Mit  dem  Namen  Fuselöl   bezeichnet   man   im  Allgemeinen  die  bei 

der  geistigen  GähruDg  zuckerhaltiger  Flüssigkeiten  neben  dem  gewöhn- 
lichen Alkohol  entstehenden  flüchtigen  Flüssigkeiten,  die  bei  der  Destilla- 
tion des  Weingeistes  mit  diesem  und  besonders  gegen  Ende  der  Opera- 
tion in  mehr  oder  weniger  grosser  Menge  übergehen.  In  den  meisten 
Fällen  bestehen  die  Fuselöle  aus  mit  dem  Aetbylalkohol  homologen  Al- 
koholen *).  Viele  bestehen  ausschliesslich  aus  Amylalkohol;  andere 
enthalten  denselben  wenigstens  in  bei  weitem  überwiegender  Menge.  Erst 
in  neuerer  Zeit  ist  in  dem  Fuselöl  aus  Rübenzuckermelasse  der  Butyl- 
alkohol  und  in  dem  Fuselöl  aus  Weintrebern  der  Propyl-  und  der 
Gaproy lalkohol  aufgefunden  worden. 

Diese  Alkohole  bilden  die  Ausgangspunkte  zur  Darstellung  der  mei- 
sten Verbindungen  der  betreffenden  Alkoholradicale.  Einige  dieser  Ver- 
bindungen sind  indessen  auch  auf  andere  Weise  erhalten  worden.  So 
erhält  man  die  isolirten  Alkoholradicale  durch  elektrolytische  Zer- 
setzung derjenigen  fetten  Säuren,  die  1  At.  6  mehr  enthalten;  z«B.:  Butyl 
aus  Baldriansäure,  Amyl  aus  Capronsäure,  Caproyl  aus  Oenanthylsäure. 

Dieselben  Alkoholradicale  sind,  nach  William's  **) ,  in  den  Destilla- 
tionsproducten  der  Boghead -Oaunelkohle  enthalten  und  werden  aus  dem 
unter  143®  siedenden  Theil  durch  Behandeln  mit  rauchender  Salpetersäure, 
Aetzkali  und  Rectification  des  nicht  zerstörten  Oeles  über  Natrium  dar- 
gestellt.    Man  erhält  so: 


*)  Neben  den  Alkoholen  sind  in  den  meisten  bis  jetzt  untersuchten  Faselölen 
Säuren  der  Fettsäurereihe  und  Aetherarten  dieser  Säuren  enthalten. 
Im  Fuselöl  von  Gerstenbranntwein  aus  schottischen  Whisky brennereien  fand 
Rowney  [Jahresber.  1851.  442,  1862.  499J  Caprylsaure  und  Caprinsfture 
(wahrscheinlich  als  Amyläther);  im  Fuselöl  eines  au^  Korn  und  l^s  er- 
haltenen Weingeistes  fand  Wetherill  [Jahresb.  1853.  441]  Essigsäure,  Capryl- 
saure und  wahrscheinlich  Capronsäure  und  Oenanthylsäure  j  das  Fuselöl  aus 
Kornbranntwein  enthält  nach  Kolben.  A.  Oenanthylsäure  und  Margarinsäure; 
das  Fuselöl  aus  Runkelrübenmelasse  enthält  nach  Müller  [Jalircsb.  1852,  498] 
und  Fehling  [Jahresb.  1852.  441]  Capronsäure,  Caprinsäure  und  Caprylsaure, 
nach  Perrot  [Jahresb.  1857.  852]  Aetherarten  von  Capiyl  -  und  Pelargonsäure 
vielleicht  auch  Valeriansäure,  Capronsäure  und  Oenanthylsäure  •,  im  Kartoffel- 
fuselöl hat  Johnson  [Jahresb.  1854.  445]  Caprinsäure  nachgewiesen^  Suri- 
nam'sches  Rumfuselöl  enthält  nach  Mulder  [Jahresb.  1858.  802]  Oenanthyl- 
säure und  Palmitinsäure;  das  Weinfuselöl  enthält  wesentlich  Oenanthäther, 
andere  Aetherarten  fetter  Säuren  und  freie  Säuren  der  Essigsäurereihe. 

Im  Fuselöl  aus  Krappweinstein  ist  ein  Kohlenwasserstoff  von  der  Formel 
des  Terpentinöls  und  eine  campherartige  Substanz  von  der  Zusammensetzung 
des  Borneocampher's  enthalten  (Jeanjean,  Jahresb.  1856.  526).  —  Das  Fu- 
selöl aus  Kombranntwein  enthält  ausser  den  oben  genannten  Säuren  noch 
ein  eigenthümliches  Oel  von  unbekannter  Natur,,  das  s.  g.  Eomöl.  -^ 
••)  Ann.  Chem-  Pharm.  CIL  126. 


Propylverbmdungen. 

Siedepunkt. 

Propyl 

(esH,), 

68» 

Butjl 

(e4H.)3 

119» 

Ainyl 

(esHu), 

169» 

Caproyl 

(eeHn)a 

202». 

431 


Auch  in  dem  Steinöl  von  Schade  (Hannover)  scheinen,  nach  Eisen- 
stuck *)  Kohlenwasserstoffe  von  der  Zusammensetzung  der  Alkoholradi- 
cale  enthalten  zu  sein  (besonders:  Propyl,  Butyl  etc.j. 

s  DieCyanide  der  Alkobolradicale  sind,  wie §. 609  erwähnt,  mit 
den  Nitrilen  der  fetten  Säuren  identisch  und  können  aus  den  Ammoniak- 
salzen der  um  1  At.  6  reicheren  fetten  Säure  oder  aus  den  Amiden  die- 
ser Säuren  dargestellt  werden. 

Endlich  können  einzelne  Verbindungen  .der  betreffenden  Alkobol- 
radicale aus  den  Kohlenwasserstoffen :  6,iH2n  erhalten  werden  (vgl.  §.  624). 
So  gibt  Propylen  mit  Schwefelsäurehydrat  die  Propylschwefelsäure  **), 
mit  Chlor-,  Brom-  oder  Jodwasserstoff  Propyl-chlorid ,  -bromid  oder  -Jo- 
did***); ebenso  gibt  Amylen  das  Amyl-chlorid  und  -  bromid  f). 

Da  alle  Verbindungen  dieser  Alkobolradicale  mit  den  entsprechenden  Aethyl- 
verbindungen  in  Bezug  auf  Bildung,  Darstellung  und  Eigenschaften  die  grösste 
Analogie  darbieten,  so  kann  eine  ausführliche  Beschreibung  umgangen  werden. 
Wir  beschränken  uns  darauf  anzugeben ,  welche  Verbindungen  bis  jetzt  dargestellt 
sind  und  theiien  von  einigen  die  wichtigsten  Eigenschaften  mit. 

Pro  pylv  er  bin  dun  gen. 

Der  Propylalkohol:   ^^|o  wurde  1853  von  Chanoelff)  im  692. 

Fuselöl  aus  Weintrebernbranntwein  aufgefunden.     Er  siedet  bei  96®,  löst 
sich   reichlich,  jedoch   nicht   in    allen    Verhältnissen,    in    Wasser.     Mit 

/l    TT       i 

Schwefelsäure  gilft  er  Propylschwefelsäure:      ^  |j|S*^4. 

Die  Propylschwefelsäure  entsteht  auch  durch  directe  Vereini- 
gung  von  Propylen  mit  Schwefelsäurehydrat,  welches  sein  200fache8 
Volum  von  Propylen  absorbirt.  Der  Propylchlorid ,  Propylbromid  und 
Propyljodid  können  durch  directe  Vereinigung  von  Propylen  mit  den  be- 
treffenden Wasserstoffsäuren  erhallen  werden  (Berthelot). 

Butyl  verbin  dun  gen. 
Das  Radical  Butyl:    (ßjiP^')2^    wurde  1849  von  Kolbefft)  durch 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXm.  162- 
••)  Jahresber..l855.  611. 
•♦♦)  ibid.  1856.  423;  1867.  425. 
t)  ibid.  1857.  426. 
•H-)  ibid.  1853.  503;  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXXVH.  127. 
ftt)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXIX  259. 


432 


Butylverbindungen. 


elektroljtische  Zersetzung  des  valeriansauren  Eali's  erhalten;  man  erhält 
es  auch  durch  Einwirkung  von  Kalium  auf  Butjljodid.   Es  siedet  bei  108^ 

Der  Butylalkohol:    ^*^|o  wurde  1852  von  Wurtz  *)  in  dem 

Fuselöl  aus  Rübenzuckermelasse  aufgefunden.  Man  kocht  den  bei  wie- 
derholten Destillationen  zwischen  105®  — 115®  siedenden  Theil  längere 
Zeit  mit  concentrirter  Kalilauge  und  gewinnt  aus  dem  bei  der  schliess- 
lichen  Destillation  übergehenden  Oele,  den  Butylalkohol  durch  fractionirte 
Destillation. 

Zu  diesen  fractionirten  Destillationen  bedient  man  sich  zweckmässig  eines 
Apparates,  in  welchem  die  Dämpfe  durch  eine  senkrechte  Röhre  aufsteigen  müs- 
sen, so  dass  stets  nur  der  flüchtigere  Theil  abdestillirt.  —  Ein  Thermometer,  des- 
sen Engel  in  dem  Dampf  unterhalb  des  seitlich  angelötheten  Abflossrohres  steht, 
gibt  den  Siedepunkt  des  gerade  überdestillirenden  Theiles  an. 


Der  Butylalkohol  siedet  bei  109®;  spec.  Gew.  0,8032  bei  18®,5. 
Er  dreht  die  Polarisationsebene  des  Lichtes  nicht.  Er  löst  sich  in  10,5 
Vol.  Wasser  bei  18®.  —  In  seinem  chemischen  Verhalten  zeigt  er  mit 
dem  Aethylalkohol  die  grösste  Analogie,  wie  dies  die  zahlreichen  von 
Wurtz  dargestellten  Abkömmlinge  darthun. 

Er  gibt  mit  Chlorcalcinm  eine  krystallisirbare  Verbindung;  löst  EaHum  unter 
Wasserstoffentwicklong  auf  unter  Bildung  von  krystallisirbarem  Ealinmbutylat. 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  XCHIL  107. 


Butylverbmdungen.  433 

Beim  Mischen    mit   Schwefelsaure    gibt  er  Butylschwefelsäure:      *  h}^^*' 

beim  Erhitzen  mit  viel  Schwefelsäm-ehydrat :  Butylen  (Tetrylen):  BJBl^  und  da- 
mit poljrmere  Kohlenwasserstoffe.  Beim  Erhitzen  mit  Chlorzink  entsteht  Butylen, 
neben  Butyl  Wasserstoff;  beim  Auftropfen  auf  bis  250®  erhitzten  Natronkalk 
Buttersäure. 

Durch  Einwirkung  von  Salzsäure  oder  Phosphorsuperchlorid  wird  Butyl- 
chlorid:  ^^H^Cl  (Siedep.  70®);  durch  Brom  und  Phosphor  Butylbromid  (sied. 
89®),  durch  Jodphosphor  oder  gleichzeitige  Einwirkung  von  Jod  und  Phosphor 
Butyljodid   (sied.  121®)  erhalten.     Letzteres    gibt   mit  Ealiumbutylat  oder  mit 

trockenem  Silberoxyd  den  Buthyläther:  2  h  }^5  mit  salpetersaurem  Silberoxyd 
Salpetersäure-Butyläther:  J^g  1^  (sie«^-  ISO®);  mit  schwefelsaurem  Silber- 
oxyd Schwefelsäure-Butyläther:  ^'*o®}ö^4-  Durch  Einwirkung  von  Ka- 
lium oder  Natrium  auf  Butyljodid  erhält  man  das  Radical  Butyl:  2  h  |  (Sie- 
dep.  106®);  durch  Einwirkung  von  Natrium  auf  ein  Gemenge  von  Butyljodid  und 
Aethyljodid  das  intermediäre  Radical:  Aethyl-Butyl:  ^*§*|  (sied. 62®).  Aethyl- 

jodid  mit  Kaliumbutylat  gibt  den  intermediären  Aethyl-Butyläther:  0*2*|^ 
(sied.  78  — 80)i 

Amyl  Verbindungen. 

Amylalkohol.    Fuselöl.  Amyloxydhydrat :  ^*^J||e. 

Der  Amylalkohol  war  in  unreinem  Zustand  schon  Scheele  bekannt;   Du?.  694. 
mas*)    lehrte  1884   seine  Zusammensetzung  kennen;    Cahours  **)    zeigte  1887 
seine  Analogie  mit  dem  Aethylalkohol ,  die  dann  durch  die  Arbeiten  von  Dumas 
und  Stas***),  Balardf)  weiter  nachgewiesen  wurde. 

Der  Amylalkohol  bildet  den  Hauptbestandtheil  der  meisten  Fuselöle; 
man  gewinnt  ihn  aus  dem  Kartoffelfuselöl  oder  dem  Fuselöl  von  ROben- 
Zuckermelasse  durch  Waschen  mit  Wasser  und  fractionirte  Destillation 
des  in  Wasser  unlöslichen  Theiles. 

Der  Amylalkohol   ist  eine   farblose  Flüssigkeit  von    unangenehmen' 
Geruch,  er  krystallisirt  bei  —  20«  und  siedet  bei  132«.    8p.  Gew.  0,8184 
bei  15^     Er  ist  in  Wasser  nur  wenig  löslich,   mit  Alkohol  und  Aether 
mischbar. 

Der  Amylalkohol  lenkt,  wie  Biot  zuerst  beobachtete,  die  Ebene  des  pola- 
risirten  Lichtes  nach  links   ab;    alle  Abkömmlinge   des  Amylalkohols  zeigen  das- 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  XIIL  80. 
•♦)  ibid.  XXi  288. 
•♦♦)  ibid.  XXXV.  143. 

t)  ibid.  XUL  111. 

KekiiU,   or^Ao.  Cbenle,  28 


431  Amylverbindongen. 

selbe  optische  Verhalten.  Nach  Pasteur  *}  ist  das  Drehangsvermögen  des  Amyl- 
alkohols von  versdüedenem  Ursprung  und  von  verschiedenen  Darstellnngen  un- 
gleich, und  es  gelingt,  durch  Darstellung  von  amylschwelelsaurem  Baryt  and 
Trennung  des  löslicheren  Salzes  von  dem  unlöslicheren,  den  gewöhnlichen  Amyl- 
alkohol in  zwei  Bestandtheile  zu  zerlegen,  von  welchen  der  eine  optisch  wirk- 
sam, der  andere  optisch  indifferent  ist. 

In  seinem  chemischen  Verhalten  zeigt  der  Amylalkohol  die  gröaste 
Aehnlichkeit  mit  dem  Aelhylalkohol. 

Er  oxydirt  sich  leicht,  schon  durch  den  Sauerstoff  der  Luft,  rasch  unter  Ver- 
mittlung von  fein  zertheiltem  Platin  unter  Bildung  von  Baldriansäure.  Durch 
Destillation  mit  oxydirenden  Substanzen  gibt  er  Valeraldid,  Baldrianafiure 
und  Baldriansftureamyläther;  durch  schmelzendes  Kalihydrat  wird  unter 
Wasserstoffentwicklung  Baldriansäure  ei*zeugt. 

Amylalkohol.  Baldriansau- 

res KalL 

^*W^    +    h}^    =    ^*^*k\^    +  2  H. 

Durch  Einwirkung  von  Chlor  entstehen  Substitutionsproducte  des  Valeraldids. 
Beim  Erhitzen  mit  viel  Schwefelsäure  oder  mit  Chlorzink  liefert  der  Amylalkohol 
unter  Verlust  von  Wasser  Amylen:  O^Hj^  und  mit  diesem  polymere  Kohlen- 
wasserstoffe. 

Amylalkohol.      AmyleiL 


eftH; 


Uje  =  e,H„  +  g|e 


Lässt  man  den  Dampf  des  Amylalkohols  durch  eine  glühende  Röhre  gehen,  so 
tritt  neben  andern  Zersetzungsproducten  Propylen:  63H9  auf. 

Kalium  oder  Natrium   erzeugen  unter  Wasserstoffentwicklung  krystallisirba- 
res  Kaliumamylat   und  Natriumamylat:  J^JO-. 

695.  Amyläther,  Amyloxyd:  ^^o^^/^)    entsteht  durch  Destillation  von  Amyl- 

alkohol mit  Schwefelsäure  oder  (neben  Amylen)  bei  trockner  Destillation  von 
amylschwefclsaurem  Kalk.     Williamson   erhielt  Um  durch  Einwirkung   von  Amyl- 

jodid   auf  Natriumamylat.      Siedp.    176*.    —     Amyl-Methyläther:    90*}^' 

Siedep.  92,  ist  von  Williamson  **)  dargestellt,  ebenso: 

Amyl-Aethyläther:  ^^jj*  JO,   siedet  112«.     Der  letztere  entsteht  durch 

Einwirkung  von  Aethyljodid  auf  Natiiumamylat  oder  durch  Amyljodid  und  Na^ 
triumäthylat,  (vgl.  auch  §.  658);  er  wurde  schon  früher  von  Baiard  •••)  durch  Er- 
hitzen von  Amylchlorid  mit  alkoholischer  Kalilauge  erhalten,  aber  für  Amyläther 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  XCVI.  265. 
••)  ibid.  LXXXL  79. 
••♦)  Ann.  de  Chim.  phys.  [8]  XU.  802. 


Amylverbindongen.  435 

angesehen.     Die   von  Halaguti  *)   dargesteUten  ChlorsubstitationBproducte   zeigen 
dentlich,  dass  der  von  Baiard  untersuchte  Aether  Amyläthyläther  war. 

,  Amylwasserstoff:  65H11.H.  Entsteht  durch  Einwirkung  von  Zinkamyl 
auf  Wasser  und  ist  von  Frankland  ^*)  186(f  durch  Erhitzen  von  Amyljodid  mit 
Zink  und  Wasser  dargestellt  worden.    Siedep.  30^. 

Amyl:  (OftHn.OjHn).  Wurde  von  Brazier  und  Gossleth  durch  elektroly- 
tische Zersetzung  der  Capronsäure,  von  Frankland  durch  Erhitzen  von  Amyljodid 
mit  Zinkamalgam ,  von  Wurtz  *^^)  durch  Einwirkung  von  Natrium  auf  Amyljodid 
dargestellt.  Es  siedet  bei  155®  (Frankland),  156<^  (Wurtz).  Phosphorsuperchlorid 
greift  es  beim  Erhitzen  an  und  bildet  chlorhaltige  Producte  61OH20CI2  und  BioHigCl«, 
deren  Natur  noch  nicht  festgestellt  ist. 

Das  Amyl  findet  sich  auch,  nach  Williams,  xmter  den  bei  Destillation  der 
Boghead-Cannelkohle  auftretenden  Kohlenwasserstoffen  vgl.  §.  691. 

Amylchlorid:  ^sHu.Cl.  Wird  durch  Destillation  von  Amylalkohol  mit 
Phosphorsuperchlorid  (Cahours),  durch  Destillation  von  Amylalkohol  mit  concen- 
trirter  Salzsäure  oder  auch  von  mit  Salzsäuregas  gesättigtem  Amylalkohol  (Baiard) 
und  durch  Einwirkung  von  braunem  Chlorschwefel  auf  Amylalkohol  (Carius  und 
Fries)  f)  erhalten.  Siedep.  102.  Durch  Einwirkung  von  Chlor  im  Sonnenlicht  ent- 
steht ein  Substitutionsproduct:  ^^H^Clg.Cl  (Cahours).  Beim  Erhitzen  mit  Natron- 
kalk entsteht  Amylen: 

Amylchlorid.  Amylen. 

e^Hii.Cl    +    NaHO    =    e^Hio    +    NaCl    +    Ha0 

Das  Amylchlorid  zeigt  sehr  leicht  doppelte  Zersetzung   und  wird  mit  Vortheil  zur 
Darstellung  anderer  Amylverbindungen  angewandt 

Amylbromid  und  Amyljodid  werden  durch  Einwirkung  von  Brom  oder 
Jod  und  Phosphor  auf  Amylalkohol  erhalten. 

Amyl  Cyanid.  Cyanamyl.  Capronitril.  65Hii.€N  =  OgHu.N.  Wird 
durch  Destillation  von  Cyankalium  mit  Amyljodid,  Amylchlorid  oder  amylschwe- 
ielsaurem  Kali  erhalten.  Es  ist  eine  farblose,  widerlich  riechende  Flüssigkeit,  die 
bei  146®  siedet  und  beim  Erhitzen  mit  Kalilauge,  (besonders  mit  alkoholischer) 
capronsaures  Kali  liefert.  Durch  Einwirkung  von  Kalium  entsteht  eine  dem 
Kyanäthin  entsprechende  Base. 

Amylnitrit  Salpetrigsäure  -  Amyläther.  ^sHu.NO]*,  entsteht  beim  Er- 
wärmen von  Amylalkohol  mit  Salpetersäure  als  gelbliche  äpfelartig  riechende  Flüs- 
sigkeit, die  bei  99®  siedet  Chlor  bildet  Substitutionsproducte,  Phosphor  eine  eigen- 
thümliche  Phosphor  und  Stickstoff  enthaltende  Säure  (Biamylnitrophosphorige  Säure: 
eioH2aNPe4.  Guthrie)  ++). 

NO  l 

Salpeter  säure- Amyläther:  ^  h  }^?  ^^^^  Wanzen  riechende  Flüssig- 
keit, die  bei  148®  siedet  und  durch  Destillation  von  Amylalkohol  mit  Salpetersäure 
und  Harnstoff  gewonnen  wird. 


•)  Ann.  de  Chim.  phys.  [8]  XXVII.  417. 
••)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXIV.  48. 
•••)  ibid.  XCIV.  867.     * 
/  +)  ibid.  CIX.  3.       - 
tt)  ibid.  CXI.  82, 

28 


436  Amylverbindungen. 

Cyanaäure-Amyläther  siedet  bei  etwa  lOO*;  Sulfocyaneäure-Amyl- 
ät her  bei  197«. 

Amylmercaptan  (Sied.  120®),  Amylsulf^d  (Sied.  216*)  und  AmyL 
bisulfid  werden  wie  die  entsprechenden  Aethylverbindungen  erhalten.  Sie  wer- 
den von  Salpetersäure  zu  amylschwefliger  Säure  oxydirt. 

Selen-  und  Tellur  Verbindungen  des  Amyls  sind  noch  nicht  näher  unter- 
sucht •). 

Schwefligsäure-Amyläther  **)  (651111)2603  entsteht  durch  Einwirkung 
von  Chlorthyonyl  oder  von  Halbchlorschwefel  auf  Amylalkohol  als  zwischen  220^ 
und  250^  siedende  Flüssigkeit  erhalten. 

Schwefligsäure-Amyläthyläther  ^*H"|&6a  entsteht  bei  Einwirkung 

von  Aethylsulfurylchlorid   (§.  676)    auf  Amylalkohol,   er  siedet  zwischen  210®  — 
226«. 

Amylschwe feisäure  *  U>S64,  entsteht  beim  Vermischen  von  Amyl- 
alkohol mit  Schwefelsäure ,  es  findet  dabei  starke  Erhitzung  statt  und  die  Mischung 
färbt  sich  roth  oder  braun.  Man  lässt  das  Gemisch,  zweckmässig  unter  öfterem 
Erwärmen,  längere  Zeit  stehen  und  reinigt  die  gebildete  Säure  nach  der  bei  Aethyl- 
scliwefelsäure  angegebenen  Metliode. 

Die  Amylätherarten  der  phosphorigen  Säure  sind  sämmtlich  dar- 
gestellt: 

Amylphosphorige  Biamylphosphorige  Phosphorigsäure- 

Säure.  Säure.  Amyläther. 

w  mm 

^»Hi!  je,  (e^Hn)!  j  e,  (e^Hn),)^» 

Ha)  h( 

Man  erhält  diese  drei  Verbindungen  bei  Einwirkung  von  Phosphorchlorflr 
auf  Amylalkohol,  den  neutralen  Aether  zweckmässiger,  indem  man  statt  des  Amyl- 
alkohols Natriumamylat  anwendet 

Von  den  Amylvcrbindungen  der  Phosphorsäure  sind  nur  die  beiden  sau- 
ren Aetherarten  bekannt: 

A  my  Iphosphorsäure.  Biamylphosphorsäure. 

PO]  POi 


^»Hj  i  \  Oj  (65^1  i)a  (  ^s 

H\ 


Die  Am y Iphosphorsäure  entsteht  beim  Mischen  von  Phosphorsäure- 
hydrat mit  Am\  lalkohol ,  sie  ist  zweibasisch  (Guthrie)  *,  die  Biamylphosphor- 
säure wird  als  Hauptproduct  bei  Einwirkung  von  Phosphorsuperchlorid  auf  Amyl- 
alkohol gebildet  (Fehling). 


•)  Vgl.  Wöhler  u.  Dean,  Ann.  Chem.  Pharm.  XCVH.  1.  . 

^*)  VgL  Carius,   Ann.  Chem.  Pharm.  CXI.  98,  103   und  Carius  und  Fries,  Ann. 
Chem.  Pharm.  CUL  5. 


Caproylverbindnngen.  437 

m 

Der  BorBftare-Amyläther:   irx^  ^  \^z  '^^"^  Ebelmen  wie  die  entepre- 

chende  Aethylverbindung  erhalten,  siedet  bei  270*— 275*. 

ir 
Der  KieselBäure-Amyläther:     .^^    .  \b^  siedet  bei  822«  — 826^ 

Caproylverbindungen. 

OH    ) 
Das   Radioal  Caprojl:    ^^g^^j    wurde   1850  von  Brazier   und  696. 

Gossleth  durch  elektrolylisohe  Zersetzung  der  Oenanthyls&ure  erhalten. 
Nach  Williams  findet  es  sich  unter  den  Destillationsproducten  der  Bog- 
head-Gannelkohle  (vgl.  $.  691).    Es  siedet  bei  202<>. 

Zwei  intermediäre  Radicale ,   das   Hethyl-Caproyl:    ^n^/i   (siedet  bei 

etwa  85<>)  und  das  Butyl-Capro  yl:  ^«|^*  (    (siedet  bei  1550)  hat  Wurtz  1855 

durch  Elektrolyse  eines  Gemenges  von  Önanthylsaorem  Kali  mit  essigsaurem  Kali 
und  resp.  mit  baldriansaurem  Kali  erhalten. 

Der  Caprojlalkohol  wurde  1853  von  Paget*)  in  dem  Fuselöl 
des  aus  Weintrebern  bereiteten  Branntweins  aufgefunden.  Er  findet  sich, 
nachdem  der  Butjlalkohol  und  der  Amylalkohol  abdestillirt  sind,  in  dem 
schwerer  flüchtigen  Antheil  und  wird  durch  Destillation  und  getrenntes 
Auffangen  des  bei  148®— 154<^  übergehenden  Theiles  gewonnen.  Er  wird 
durch  erhitztes  Kali  unter  Wasserstoffen twicklong  in  Gapron  s&ure  um- 
gewandelt und  gibt  mit  Schwefelsäure  Caproylschwefelsäure. 

In  dem  bei  höherer  Temperatur  siedenden  Antheil  desselben  Fuselöls  ver- 
muthet  Faget  noch  den  Oenanthylalkohol:    ^^   u|o     und     den     Capryl- 

alkohol:     ^•"gjo. 

Capryl Verbindungen  (Oenanthylverbindungen). 

Bouis**)    entdeckte    1851    indem   er  Ricinusöl   odor  Ricinöl-  697. 

säure   mit  Kalihydrat   destillirte  eine  neue  Alkoholart,    von  welcher  er 

GH    ) 
es  anfangs  unentschieden  Hess,  obsieCaprylalkohol:      *   U>Ooder 

Oenanthylalkohol:     ^   J|>0  sei,    die  er  aber  später  bei  genauerer 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXXVIH  826. 

«'•)  Literatur:  Bouis:  Jahresber.  1851.  445;  1854.  581;  1855.  512,  525.  — 
Moschnin:  Jahrb.  1853.  505.  —  Railton:  1863.  507.  —  Wills:  1853. 
508.  —  Cahours:  1854.  484.  —  Squire:  1864.  486,  683.  —  Limpricht: 
1865.  511.  -  Malaguti:  1866,  579.  —  Städeler;  1867.  869,  - 
Dachauer:  1858.  805. 


438  CaprylverbindimgeiL 

UntersuchaDg  des  im  Orossen  dargestellten  Productes  bestimmt  als  Ga- 
prylalkohol  erkannte. 

Die  Untersuchungen  von  Moschnin,  Cahours,  Squire  und  Dachauer 
führten  ebenfalls  zu  dem  Resultat,  dass  der  neue  Alkohol  Caprylalkohol  sei; 
dagegen  kamen  R  all  ton,  Wills  und  Stadel  er  zu  dem  Resultat,  die  Substanz 
sei  Oenanthylalkohol. 

Es  muss  auffallen,  dass  die  Untersuchungen  verschiedener  Chemiker  über 
ein  auf  dieselbe  Weise  dargestelltes  Product  zu  so  verschiedenen  Resultaten  führten 
und  es  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  aas  Ricinusölen  von  verschiedenem  Ur- 
sprung oder  auch,  dass  aus  demselben  Ricinusöl  bei  verschiedener  Behandlung 
bald  der  eine,  bald  der  andere  Alkohol  erhalten  werde.  Indessen  erhielt  Bouis 
bei  zahlreichen  Versuchen,  die  mit  dem  im  Grossen  dargestellten  Product  aus  Ri- 
cinusöl von  Frankreich,  Amerika  und  Deutschland  angestellt  wurden,  stets  nur 
Caprylalkohol  und  niemals  Oenanthylalkohol,  und  es  spricht  femer  der  Umstand, 
dass  die  von  den  verschiedenen  Chemikern  untersuchten  Substanzen  einen  gleichen 
oder  sehr  nahe  gleichen  Siedepunkt  zeigten,  dafür,  dass  stets  eine  und  dieselbe  Al- 
koholart bearbeitet  wurde.  Bemerkenswcrth  ist  dabei  noch,  dass  die  Siedepunkte 
des  Alkohols  und  seiner  verschiedenen  Derivate  sämmtlich  niedriger  beobachtet 
wurden,  als  man  es  bei  den  innerhalb  der  Alhoholgruppe  stattfindenden  Siede- 
punktsregelmässigkeiten  für  die  Capryl  Verbindungen  erwarten  soUte. 

Im  Nachiolgenden  sind  diese  Verbindungen  als  Caprylverbindungen  be- 
schrieben. 

Caprylalkohol:     ^*^gje.      Der   Caprylalkohol    entsteht    bei 

Zersetzung  der  Rioinölsäure  mit  Kalihydrat;  diese  spaltet  sich  unter  Was* 
serstoffentwicklung  in  Fettsäure  und  Caprylalkohol. 

^18^34^8    +    2KH0    =:    0ioHieK2O4    -|-    ©gHijO    +    Hj 
Ricinöl-  Fettsaures  Capryl- 

säure.  Kali.  alkohol. 

Darstellung.  Man  destillirt  Ricinusöl  (2  Th.)  mit  festem  Ealihydrat  oder 
man  erhitzt  das  aus  dem  Ricinusöl  durch  Verseifen  gewonnene  ricinölsaure  Kali  in 
einer  kupfernen  Retorte.  Aus  dem  Destillat  wird,  zweckmässig  nach  wiederholter 
Rectification  über  festes  Ealihydrat,  der  Caprylalkohol  durch  fractionirte  Destillation 
abgeschieden.  Man  erhält  */,  ~  ^/^  vom  Gewicht  des  Ricinusöls.  Bei  rasch  gelei- 
teter Destillation  bestehen  die  flüchtigen  Zersetzungsproducte  fast  ausschliesslich 
aus  Caprylalkohol,  wird  langsam  erhitzt,  so  entsteht  neben  diesem  und  bisweilen 
&st  ausschliesslich  ein  Körper,  den  man  anfangs  für  Capiylaldehyd  (S^HigO)  hielt, 
später  für  Methyl -Oenanthon:  6,Hi,(€H,)0  erkannte. 

Der  Caprylalkohol  ist  eine  farblose  Flüssigkeit  von  angenehm 
ätherartigem  Geruch.  Er  siedet  bei  178<^,  ist  unlöslich  in  Wasser,  mit 
Alkohol  und  Aether  mischbar.  Er  löst  Kalium  und  Natrium  unter  Was- 
serstoffentwicklung  auf;  gibt  beim  Erhitzen  mit  Schwefelsäure  oder  ge- 
schmolzenem Chlorzink  Caprylen:  CgHi^;  und  wird  von  Salpetersäure 
beim  Kochen  oxydirt,  unter  Bildung  weitergehender  Oxydationsproducte 
(Buttersäure,  Pimelinsäure,  Lipinsäure,  Bernsteinsäure  eto.). 


Cetylveri>indangeiL  439 

BeimlGselidii  des  Caprylalkohols  mit  Schwefelsftare  entsteht  Caprylschwe» 

felstture:      •   U>S04i    bei  Einwirkung  von  Phosphorsupercblorid   entsteht  Ca- 

prylchlorid:  GsHi^Cl  (Sied.  176®);  durch  Einwirkung  von  Brom  oder  Jod  und 
Phosphor  wird  Gaprylbromid  und  Capryljodid  erhalten,  welches  bei  etwa 
200®  unter  theilweiser  Zersetzung  ins  Sieden  kommt  Durch  Einwii-kung  des  Jodids 
auf  Schwefelkalium  wird  Caprylsulfid,  durch  Einwirkung  auf  salpctersaures 
Silberoxyd  der  Salpetersfture-Capry läther  erhalten,  der  bei  80®  unter 
theilweiser  Zersetzung  siedet.  Durch  Einwirkung  von  Natrium  auf  Caprylcblorid 
entsteht  in  der  Kälte  Capryl  (OgH,,)^,  beim  Erhitzen  Caprylen-,  vorher  wird 
eine  blaue  Verbindung  erzeugt,  die  Bouis  für  GgHjjNa,  NaCl  hält.  Der  Capryl- 
äther  entsteht  durch  Einwirkung  von  Caprylcblorid  auf  die  Natriumverbindung 
des  Oapr\  lalkohols ,  er  ist  bis  jetzt  nicht  rein  erhalten  worden. 

Durch  Einwirkung  von  Methyljodid,  Aethyljodid  und  Amylgodid  auf  die  Na- 
triumverbindung des  Caprylalkohols  hat  Wills  drei  intermediäre  Aether  erhalten 
(als  Oenanthylverbindungen  beschrieben). 

Hethyl-Capryläther.  Aethyl-Capryläther.  Amyl-Capryläther. 

sied.  161®.  sied.  177®.  sied.  220®. 

^•Hnf  ÖgH„|  ^t^iiV 

Cetyl  verbin  dun  gen. 

Cetylalkohol    Aetbal.  Cetyloxydhydrat:    ^^«^gja  ^^^• 

Der  Cetylalkohol  wurde   1823   von   Chevreul  entdeckt;    Dumas 

und  Peligot*)  zeigten  1836  seine  Analogie  mit  dem  Aethylalkohol ;   in 

neuerer   Zeit    wurden    seine   Derivate   noch    wesentlich   von   Fridau  **) 

untersucht.     Der  Cetylalkohol  findet   sich   in  Verbindung  mit  Palmitin- 

G   H   O/ 
säure,  als  Palmitinsäure-Cetyl&ther:     a   fj    (^     (Cetin)    im 

Wallrath,  dem  festen  Beslandtheil  des  die  Höhlen  der  Schädelknochen 
einiger  Wale  (Physeter,  DeJphinus  etc)  erfüllenden  Fettes.  Zur  Darstel- 
lung des  Cetylalkohols  muss  das  Cetin  des  Wallraths  durch  ein  Alkali 
zersetzt  (verseift)  und  der  freigewordene  Alkohol  von  der  Palmitinsäure 
getrennt  werden. 

Man  trägt  in  geschmolzenen  Wallrath  (2  Th.)  festes  Kalihydrat  ein,  oder 
man  erhitzt  den  durch  Waschen  mit  Alkohol  von  anhängendem  Fett  befreiten  Wall- 
rath längere  Zeit  mit  höchst  concentrirter  Kalilauge  auf  110® — 120.  Man  zersetzt 
die  Masse  direcf ,  oder  besser  die  durch  Kochsalz  aus  der  mit  Wasser  aufgeschlämm- 
ten Masse,  ausgeschiedene  Seife,  mit  Salzsäure  oder  Schwefelsäure.  Das  ausge- 
schiedene Fett  (ein  Gemenge  von  Cetylalkohol  und  Palmitinsäure)  wird  dann  mit 
Kalkmilch  gekocht,   die  gebildete  Kalkselfe   getrocknet  und  mit  Alkohol  ausgezo- 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  XIX  290. 
^*)  ibid.  LXXSUL  1. 


440  Cet^lyerbinduiigen. 

gen.  Der  Cetylükahol  wird  gelöst,  paJmitinsaarer  Kalk  bleibt  zurüok  (Damas  und 
Peligot,  Frldau).  Zur  Reinigung  krystallißirt  man  den  Cetylalkohol  aus  Aether  um. 
Heintz  zieht  vor,  denWallrath  durch  längeres  Kochen  mit  alkoholischer  Kali- 
lÖBung  zu  verseifen,  dann  mit  Chlorbarium  zu  f&Uen  und  zu  filtriren.  Die  gröfiste 
Menge  des  Palmitinsäuren  Baryts  bleibt  auf  dem  Filter;  die  Lösung  wird  einge- 
dampft und  der  Rückstand  mit  Aether  ausgezogen.  Durch  Verdunsten  erhält  man 
rohen  Cetylalkohol,  den  man  durch  ümkrystallisiren  aus  Aether  reinigt 

Der  Cetylalkohol  ist  eine  weisse  feste  krystallinische  Masse,  er  ist 
geruch-  und  geschmacklos.  Er  schmilzt  bei  49® — 50®  und  erstarrt  bei 
langsamen  Erkalten  in  grossen  Erjstallblättern.  Er  kann  ohne  Zersetzung 
zu  erleiden  destillirt  werden  und  verflüchtigt  sich  in  geringer  Menge  beim 
Sieden  mit  Wasser.  Er  ist  unlöslich  in  Wasser,  löslich  in  Alkohol  und 
Aether.    Er  brennt  mit  stark  leuchtender  Flamme. 

Der  Cetylalkohol  ist,  durch  sein  chemisches  Verhalten  vollständig 
als  Alkohol  charakterisirt.  Er  gibt  beim  Erhitzen  mit  Ealihydrat,  oder 
zweckmässiger  mit  Kalikalk  (220®  —  275®)  unter  Wasserstoffentwicklung 
palmitinsaures  Kali: 

Cetylalkohol.  Palmitinsau- 

res Kali. 
Ö16H34O    +    KHO    =    OieHaiKOa    +    2H, 

Durch  Einwirkung  wasserentziehender  Substanzen,  am  besten  bei 
Destillation  mit  Phosphorsäureanhydrid  entsteht  Ceten: 

Cetylalkohol.  Ceten. 

Ö16H34O      =      ©leHj,      +      HjO 

Kalium  und  Natrium  wirken  beim  Erwärmen  auf  Cetylalkohol  ein, 
unter  Wasserstoffentwicklung  entsteht  Kalium  -  oder  Natriumcetylat 
(Aethalnatrium). 

700.  Durch  Einwirkung  von  Schwefelsäure   auf  Cetylalkohol   (bei  Erwärmen  im 

Wasserbad)  entsteht  Cetylschwefelsäure,  die  in  freiem  Zustande  nicht  unter- 
sucht ist,  aber  ein  leicht  krystallisirendes  Kalisalz  bildet:  ^i»   y|S04.     Das   Ce- 

tyl  Chlorid:  €|gH,3.Cl,  durch  Destillation  von  Cetylalkohol  mit  Phosphorsuper- 
chlorid erhalten,  ist  eine  in  Wasser  unlösliche  Flüssigkeit,  die  fast  ohne  Zersetzung 
zu  erleiden  destillirt  werden  kann.  Cetylbromid,  durch  Erwärmen  von  Cetyl- 
alkohol mit  Brom  und  Phosphor  im  Wasserbad  erhalten ,  ist  eine  feste  weisse  Sub- 
stanz, die  bei  15*  schmilzt.  Das  Cetyljodid  erhält  man  durch  Eintragen  von 
Jod  und  Phosphor  in  geschmolzenen  Cetylalkohol  (bei  100^  —  120®),  es  ist  ein 
weisser,  fester  Körper,  der  bei  22®  schmilzt,  nicht  destillirt  werden  kann  und  sich, 
besonders  leicht  bei  Einwirkung  des  lichtes  unter  Freiwerden  von  Jod  zeraetzt. 
Es  wird  beim  Erhitzen  mit  Quecksilberoxyd  und  leichter  noch  mit  feuchtem  Silber- 
ozyd  (schon  unter  100®)  angegriffen  und  in  Cetylalkohol  übergeführt.    Cetyloxyd, 

Cetylftther:    3**o*'}o,  durch  Erhitzen  von  Aethalnatrium  mit  Cetyljodid  auf  100® 

erhalten,  krystaUiAirl  aud  Alkohol  oder  Aether  in  glänzenden  Blättcken;  es  schmilzt 


Cerylverbindongex».  441 

bei  64«  und  siedet  bei  etwa  800^  —  Cetylsulfid:  0"g''}s  wird  durch  länge- 
res Kochen  von  Cetylchlorid  mit  einer  alkoholischen  Lösung  von  Ealiumsulfid  dar- 
gesteUt;   es   krystallisirt,   schmilzt  bei   57^   und  erstarrt  bei  54®  krystallinisch.  — 

Cety^lsulfhydrat,  Cetylmercaptan:     "    w^'   ^°  derselben  Weise  aus  Kaliuin- 

sulfhydrat  und  Cetyljodid  gewonnen,  schmilzt  bei  50^,5  und  erstarrt  bei  44®,  es  ist 
ebenfalls  krystallisirbar. 

Durch  Einwirkung  von  Cetyljodür  auf  Ammoniak  hat  Fridau  Tricetyl- 
amin  (vgl.  §.  711),  und  die  Einwirkung  auf  Anilin  auch  Oetylderivate  des 
Anilins  erhalten.     (Siehe  Anilin.) 

Nach  Untersuchungen  von  Heintz  *)  entsteht,  wenn  man  rohen  Cetylalko-  70X. 
hol  oder  auch,  wenn  man  den  in  Alkohol  löslicheren  Theil  des  Cetylalkohpls  (d.  h. 
das,  was  bei  wiederholtem  Umkrystallisiren  in  den  Mutterlaugen  bleibt)  mit  Eali- 
kalk  auf  275® — 280®  erhitzt  nicht  reine  Palmitinsäure,  sondern  ein  Gemenge  von: 
Laurostearinsäure:  6iaH2403,  Myristinsäure:  ^iJ^2s^2t  Palmitin- 
säure: 'Oi«H3a02  und  Stearinsäure:  OisHj^-Oa.  Heintz  nimmt  an,  jede  dieser 
Säuren  entstünde  aus  einem  entsprechenden  Alkohol  von  gleichviel  Eoblenstoff- 
atomen  und  der  Wallrath  enthielte  ausser  Getylalkohol  (Aethal)  noch  drei  andere 
Alkoholarten : 

Lethal      ^12^9^ 

Methai     OiAoO 

Aethal     OieH^^O 

Stethai     SigHjge 

Ceryl  Verbindungen. 

Cerylalkohol,  Cerotin:  ^»^^glo.   Von  Brodle**)  1848  entdeckt.  702. 

Der  Cerylalkohol  bildet  in  Verbindung  mit  Cerotinsäure  als 
Cerotinsäure-Ceryläther  das  Chinesische  Wachs;  eineWacbs- 
art,  die  von  China  aus  als  feste,  grosskrystallinische,  dem  Wallrath  sehr 
ähnliche,  aber  etwas  festere  und  schwach  gelb  gefärbte  Masse,  in  den 
Handel  gebracht  wird  und  wahrscheinlich  wie  das  Bienenwachs  das  Werk 
eines  Insektes  ist. 

Zur  Darstellung  des  Cerylalkohols  wird  das  chinesische  Wachs  mit  festem 
Ealihydrat  verseift,  die  Seife  in  heissem  Wasser  gelöst  und  mit  Chlorbari  um  ge- 
flLllt  Der  Niederschlag,  ein  Gemenge  von  Cerylalkohol  und  cerotinsaurem  Baryt, 
wird  abfiltrirt,  getrocknet  und  mit  Alkohol  ausgezogen.  Der  alkoholische  Auszug 
lässt  beim  Verdampfen  Cerylalkohol,  der  durch  Umkrystallisiren  aus  heissem  Al- 
kohol und  Aether  gereinigt  wird. 

Der  Cerylalkohol  ist  eine  weisse  krystallinische  Substanz,  die  bei 
79^  schmilzt  Beim  Destilliren  geht  ein  Theil  unverändert  über,  ein  an- 
derer Theil  liefert  unter  Austritt  von  Wasser  Ceroten: 


^)  Ann.  Chem.  Pharm.  XCII.  299. 
••)  ibid.  LXVn.  199. 


442  MTricylyerbindangen. 

Ceiylalkohol.  Ceroten. 

627H50O      =      627H54      +      HjO 

Erhitzt  man  Cerjlalkohol  mit  Ealikalk,  so  wird  unter  Entwicklang 
▼on  Wasserstoff  Gerotins&ure  gebildet 

Cerjlalkohol.  Gerotinsaares  Kali. 

627H541O       -p       KHO       z:z       627H51KO2       -}-       2H2 

Durch  Einwirkung  von  Schwelelsäurebydrat  auf  Cerylalkohol  entsteht  eine 
weisse  aus  Aether  krystallisirbare,  in  Wasser  löslichen  Substanz,  deren  Analyse 
(O  und  H)  der  Formel  entspricht:  (ß^-i^M^i^y  SO4H,.  —  Durch  Einwirkung  von 
Chlor  auf  Cerylalkohol  entsteht  ein  harzartiger  Körper  (dem  Chloral  analog), 
CaiH^aCljO. 

Myricyl verbin  dangen. 

704.  M y  r  i  cy  1  a  1  k  o  h  0 1  •j.    Melissin.  Melylalkohol :  ^»<^g 1 0. 

Wenn  man  aus  Bienenwachs  durch  wiederholtes  Auskochen  mit 
Wasser  alle  Gerotins&ure  aaszieht,  so  bleibt  ein  bei  64®  schmelzender 
Rackstand.  Durch  Lösen  in  Aether  erhftlt  man  daraus  krystallisirtes  und 
bei  72<^  schmelzendes  Myricin.     Dieses  ist  Palmitinsäure -Myricyl&ther: 

^   H    1 0.     Man  kann  aus  ihm  den  Myricylalkohol  bereiten,  indem  man 

mit  festem  Ealihydrat  verseift,  einen  Barjtniederschlag  darstellt  und  dann 
mit  Aether  auszieht.  Zweckmässiger  verseift  man  mit  alkoholischer 
Kalilauge,  zersetzt  die  Seife,  nach  Abdampfen  des  Alkohols,  durch  Kochen 
mit  Salzsäure  und  Wasser  und  löst  das  sich  ausscheidende  Fett  in  einer 
grossen  Menge  heissen  Alkohols.  Beim  Erkalten  fällt  der  Myricylalkohol 
aus,  während  Palmitinsäure  in  Lösung  bleibt.  Man  reinigt  durch  Um- 
krystallisiren  aus  Aether  oder  Benzin. 

Der  Myricylalkohol  ist  eine  feste  Substanz  von  seideartigem 
Glanz.  Er  schmilzt  bei  85®  und  erstarrt  krystallinisch.  Beim  Erhitzen 
verflüchtigt  sich  ein  Theil  unzersetzt,  ein  anderer  zerfällt  in  Wasser  und 
einen  festen  Kohlenwasserstoff,  wahrscheinlich  Melen:  G^ffl^^  Durch 
Einwirkung  von  Kalikalk  auf  Myricjlalkohol  entsteht  Melissinsäure : 

Myricyl-  Melissinsaores 

alkohol.  Kali. 

«soHeiö      +      KH0      =      e3oH5tK0,      +      2H, 
Schwefelsäure  und  Chlor  wirken  ähnlich  wie  auf  Cerylalkohol. 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  LZXI.  147. 


Verbindimgen  mit  dreiatomigen  Elementen. 


443 


Verbindimgeii  der  Alkoholradicale  mit  den  Elementen  der  Stickstoff- 
gruppe. 

LN    .    p    .    As    .    Sb    ,    Bi    .] 
Atomgewicht:    14;       31;       75;       120;     208. 

Die  VerbiDdongen  der  Alkoholradioale  mit  den  dreiatomigen  704.* 
Elementen  der  Stickstoffgruppe  sind  in  den  letzten  Jahren  Ge- 
genstand besonders  gründlicher  Untersuchungen  gewesen,  durch  welche 
nicht  nur  die  chemische  Natur  dieser  Elemente  aufgeklärt,  sondern 
gleichzeitig  Licht  verbreitet  wurde  Ober  die  Metall -haltigen  Verbindun- 
gen der  Alkoholradicale.  Desshalb  wird  zweckmässig  die  Betrachtung 
dieser  Verbindungen  derjenigen,  der  in  ihrer  Zusammensetzung  einfache- 
ren Verbindungen  mit  Metallen  vorausgeschickt 

Die  Elemente  der  Stickstoffgruppe:  Stickstoff,  Phosphor,  Ar- 
sen, Antimon  und  Wismutb  sind  dreiatomig*);  ihre  einfachsten 
Verbindungen  mit  einatomigen  Elementen  besitzen  die  allgemeine  Formel: 

mt  f 

B  .  3R 

worin  R  irgend  ein  atomiges  Element  (Wasserstoff  oder  Chlor  etc.)  oder 
auch  ein  einatomiges  kohlenstoffhaltiges  Radical  sein  kann. 


*)  Neben  den  chemischen  Eigenschaiten  dieser  Elemente,  welche  gerade  bei  den 
im  Folgenden  besprochenen  organischen  Verbind angen  besonders  deutlich 
hervortreten,  sprechen  auch  die  Dampf  dichten  aller  bis  jetzt  untersuchten 
flüchtigen  Verbindungen  der  Elemente  der  Stickstoffgruppe  für  die  Ansicht, 
dass  diese  Elemente  dreiatomig  sind. 

Im  Folgenden  sind  die   durch   den  Versuch  ermittelten  Dampfdichten 
solcher  Verbindungen  mit  den  (nach  §.  406)  berechneten  zusammengestellt: 


Ammoniak 

Phosphorwasserstoff 

Phosphorchlorid 

Arsenwasserstoff 

Arsenchlorid 

Arsenjodid 

Antimonchlorid 

Wismuthchlorid 

Phosphorozychlorid 

Phosphorsulfochlorid 

Salmiak 

firomwasserstoffsanrer  Phos- 
phorwasserstoff 


Dampfdichte 

gefunden. 

berechnet. 

NHa 

0.589 

0.588 

PH, 

1.19 

1.14 

PCla 

4.87 

4.76 

AsH, 

2.69 

2.70 

AsCl, 

6.80 

6.97 

AsJ, 

16.10 

15.78 

SbCl, 

7.80 

7.83 

BiCl, 

11.35 

10.89 

P0C1, 

5.29 

5.31 

PSCI, 

5.87 

6.86 

NH4CI 

0.89 

1.81 

PH4Br 

1.90 

8.98 

444 


Verbindimgen  der  Alkoholradicale 


Diese  einfachsten  Verbindungen  besitzen  die  Eigenschail,  sich  durch 
moleculare  Aneinanderlagerung  noch  mit  zwei  einatomigen  Elementen 
(RR)  vereinigen  zu  können  zu  Verbindungen  von  der  Formel: 

R  .  5R  =  R  .  3R  +  2R 

Die  80  erzeugten  Verbindungen  sind  nur  in  festem  oder  flüssigem  Zustand 
beständig,  beim  Uebergang  in  den  gasförmigen  Zustand  zerfallen  die  aneinander- 
gelagerten  MolecÜle  zu  zwei  getrennten  Molecülen. 


Dampfdichte 

efunden. 

berechnet. 

2.77 

5.51 

8.66 

7.21 

0.88 

1.76 

0.77 

1.52 

JodwasserstofTsaurer  Phos- 
phorwaßserstoflf  PH4J 

Phosphorsuperchlorid  PCI5 

Ammoniumsulfhydrat  NH4&H 

Cyanammonium  NH^Cy 

Man  sieht,  dass  die  Yerbindangen  der  Elemente  der  Stickstoffgruppe  mit 
drei  einatomigen  Elementen  sämmtlich  normale  Dämpfe  bilden  (2  Vol.  Dampf 
entsprechend)  \  dass  dagegen  alle  Verbindungen  mit  5  Atomen  einatomiger 
Elemente  eine  anomale  Dampfdichte  zeigen  (4  VoL  Dampf  entsprechend)  and 
so  zu  der  Annahme  berechtigen,  ihr  Dampf  sei  ein  Gemenge  von  zwei 
Dämpfen;  eine  Annahme,  die  noch  dadm'ch  an  Wahrscheinlichkeit  gewinnt^ 
dass  mehrere  hierher  gehörende  Verbindungen,  namentlich  Antimon8npe^ 
Chlorid  (SbCl^)  imd  Phosphors uperbromid  (PBr^)  sich  durch  Einwirkung  der 
Wärme  leicht  und  zwar  bei  Temperaturen  zersetzen,  die  niedriger  sind  als 
die  Siedepunkte  des  entstehenden  Antimonchlorids  und  Phosphorbromids.  — 
Die  Verbindungen  mit  8  Atomen  einatomiger  und  einem  Atom  eines  zwei- 
atomigen Elementes  (POCI3,  PSrClj)  zeigen  wieder  normale  Dampfdichten, 
während  das  Ammoniumsulfhydrat  wieder  4  Volumen  entspricht. 

Von  den  kohlenstoffhaltigen  Verbindungen  sind  alle  diejenigen,  welche 
den  Substanzen  der  ersten  Hälfte  der  obigen  Tabelle  entsprechen,  ohne  Zer- 
setzung flüchtig  und  liefern  normalen  Dampf.  Diejenigen  dagegen,  welche 
den  unorganischen  Verbindungen  mit  anomalem  Dampf  entsprechen,  zer. 
setzen  sich,  wie  dies  in  vielen  Fällen  bestimmt  nachgewiesen  ist,  beim  Er- 
hitzen in  zwei  Molecöle. 

Alles  dies  (zusammengenommen  mit  dem  übrigen  chemischen  Verhalten) 
führt  zu  der  Ansicht,  dass  die  Elemente  der  Stickstoffgruppe  dreiatomig  sind. 
Für  die  dem  NH3,  PCI3,  POCl,  etc.  entsprechenden  Verbindungen  ist  dann 
eine  Ursache  des  Zusammenhangs  der  Atome  ersichtlich,  für  Substanzen  wie 
Salmiak,  Phosphorsuperchlorid,  Ammoniumsulfhydrat  dagegen  nicht;  die  er 
steren  sind  im  Stand  als  Gasmolecüle  zu  fungiren ,  die  letzteren  nicht  £m 
ausführlicheres  Eingehen  in  diese  Vorstellung  mag  durch  die  folgenden  grsr 
phisch  dargestellten  Formeln  der  hierher  gehörigen  Verbindungen  ersetzt 
werden : 


Ammoniak , 
Phosphorchlorid  etc. 


Phosphoroxy- 
chlorid. 


Salmiak,  Phos- 
phorsuperchlorid. 


Ammoniam- 
sulfhydrat 

oooloo 


mit  Elementen  der  Stickstoffgruppe.  445 

Es  ist  durch  die  chemische  Individualität  des  dreiatomigen  Elemen-  705. 

tes  bedingt,  ob  es  sich,  zur  Erzeugung  einer  dem  Typ:  R.3R  zugehöri- 
gen Verbindung,  besonders  leicht  mit  Wasserstoflf  oder  mit  Chlor  ver- 
einigt und  ob  die  eine  oder  die  andere  Verbindung  beständiger  ist.  So 
ist  für  den  8ticksto£f  nur  die  Wasserstoffverbindung  (NH3)  mit  Sicherheit 
bekannt,  für  das  Wismuth  kennt  man  nur  die  Chlorverbindung  (BiCIg). 
Für  die  drei  zwischen  liegenden  Elemente  (Phosphor,  Arsen  und  Anti- 
mon) kennt  man  die  Chlor-  und  die  Wasserstoffirerbindungen ;  aber  diese 
Elemente  •  besitzen  eine  entschieden  vorwiegende  Neigung  sich  mit  Chlor 
zu  verbinden  und  die  Wasserstoffverbindungen  sind  um  so  weniger  be- 
ständig je  mehr  sich  das  dreiatomige  Element  in  seiner  chemischen  Natur 
und  durch  sein  Atomgewicht  dem  Wismuth  nähert. 

Für  alle  diese  Elemente  können  die  3R  der  Verbindung  R  .  3R 
durch  Alk 0 hol radicale  ersetzt  sein;  und  man  kann  die  so  entstandene 
Verbindung  dann  entweder  mit  den  Wasserstoff-  oder  mit  den  Chlor- 
verbindungen vergleichen. 

Man  kann  z.  E.  sagen,  das  Triäthylamin  ist  Ammoniak,  in  welchem  die 
3  At.  H,  das  Triäthy larsin  ist  Arsenchlorür,  in  welchem  die  8  At.  Ol  durch  das 
Radical  Aethyl  vertreten  sind: 

Ammoniak        NH3  Arsenchlorür        AsCl, 

Triäthylamin  NCOaHft),         Triäthylarsin    AsCeaH^), 

Es  ist  ferner  von  der   chemischen  Individualität  des  dreiatomigen  706. 

Elementes  abhängig,  mit  welcher  nach  der  Formel  RR  zusammengesetz- 

ten  Substanz  die  Verbindung  R  .  3R  besonders  leicht  zusammentritt.  So 
vereinigt  sich  das  Ammoniak  mit  ausnehmender  Leichtigkeit  mit:  HCl, 
HBr  und  HJ,  dagegen  nicht  mit  ClCl.  Der  Phosphorwasserstoff  verbin- 
det sich  weit  weniger  leicht  mit  Wasserstoffsäure  und  nur  mit  HBr  und 
HJ;  dem  Arsenwasserstoff  geht  die  Fähigkeit  sich  mit  einer  Wasserstofi- 
verbindung  zu  vereinigen  völlig  ab.  Umgekehrt  vereinigt  sich  Phosphor- 
chlorür  (PCI3)  leicht  mit  Clj;  dagegen  nicht  mit  HCl. 

In  den  nach  der  Formel:  R.3R  zusammengesetzten  Verbindungen 
der  Alkoholradicale  tritt  derselbe  Einfluss  der  individuellen  Natur 
des  dreiatomigen  Elementes  zu  Tage.  Das  Triäthylamin:  N(02H5)3  ver- 
bindet sich  leicht  mit  HCl  aber  nicht  mit  CI2 ;  das  Triäthylarsin :  A8(€2H5)3 
und  Triäthylstibin :  Sb(62H5)3  vereinigen  sich  leicht  mit  CI2  aber  nicht 
mit  HCl;  das  Triäthylphosphin  hält  zwischen  beiden  die  Mitte,  es  ist 
fähig  direct  mit  HCl  und  ebensowohl  mit  CI2  zusammenzutreten. 

im  I 

Alle  diese  Verbindungen  der  Alkoholradicale  (R  .  3  R)  sind  Ahig  mit 
Chloriden  der  Alkoholradicale  sich  zu  vereinigen  zu  Verbindungen  von 
der  Formel: 

R,  3R..RC1 
(worin  R  ein  einatomiges  Alkoholradical  bedeutet).    Z.  B.: 


448 


Stickstoffbaften  der  Alkoholradicale. 


endlich  Substanzen,  die  dem  Ammoniakoxydhydrat  entsprechen  und 
an  der  Stelle  von  4  At.  H  Alkoholradicale  enthalten.  Ammonium- 
basen"^). 

Man  hat  also: 


Typus:  NH,  [AmmoniakbasenJ 


Typus:  ^}< 


allgemeine 
Formel. 

als 
Beispiel. 


Aminbasen, 
iCnHln  +  l 


NJH 


Aethylamin. 


Imidbasen. 

iOnHln  +  l 
NjOnHin  +  l 

NJOA 
Dilithylamin. 


Nitrilbasen. 
lönH^n  +  i 

(enH^n  +  l 


Triäthylamin. 


Ammoniumbasen. 


N(e„H2„+i> 


N 


'4' 


Teträthylammo- 
niornoxydhydrat. 


710.  .Alle  diese  Basen   bilden  dem  Chlorammonium  entsprechende  salz- 

artige Verbindungen: 

Typus:  NH4CI 


allgemeine 
Formel. 

als 
Beispiel. 


N(enH2o+i)H,Cl 

NCeaH^HjCl 
Aetbylammo- 
nium  Chlorid. 


N(enH2n+i)aHaa 


N(eaH5)aH,Cl 

Diäthylammo- 
niamchlorid. 


N(€uH2,,+i)3HCl 

N(eaH5),HCl 

Trifithylammo- 

niumcblorid. 


NeuH2D+i)4a 


Teträthylammo- 
nium  Chlorid. 


Diese  Chloride  (und  die  entsprechenden  andern  Salze)  zeigen  bei. 
allen  Salzzersetzungen  —  gleichviel  ob  1,  2,  3  oder  4  At.  H  durch 
Alkoholradicale  vertreten  sind  —  ein  völlig  gleiches  und  dem  Ammonium- 
Chlorid  vollständig  analoges  Verhalten.  Sie  tauschen  nämlich  eine  dem 
Ammonium  entsprechende  Gruppe,  die  dabei  das  Verhalten  eines  einato- 
migen Metalls  zeigt,  gegen  andere  einatomige  Metalle  oder  auch  gegen 
1  At.  H  um.  Sobald  man  aber  durch  eine  stärkere  Base  (Ealihydrat, 
Silberoxyd  etc.)  die  organische  Base  in  Freiheit  setzt,  zeigen  die  den 
verschiedenen  Gruppen  zugehörigen  Stickstofifbasen  eine  bemerkenswerthe 
Verschiedenheit  des  Verhaltens. 


*)  Die  Aminbasen  worden  1648  von  Wurtz,  die  Imidbasen  und  Nitrilbasen  1849 
und  die  Ammoniumbasen  1851  von  Hofmann  entdeckt 


Allgemeines  Verhalten. 


449 


Die  Chloride  der  Ammoniakbasen  (Amin-,  Imid-  und  Nitrilbaflen) 
werden,  wie  das  Ammoniumchlorid  von  Ealihydrat  leicht  angegriffen  und 
es  wird  dabei  eine  flüchtige,  dem  Ammoniak  entsprechende  Base  in  Frei- 
heit gesetzt. 

Man  hat  also: 


Ammonium-  Ealihydrat. 

Chlorid. 
NH4CI        +        KHO        = 

und  ebenso: 

Aethylammonium- 
Chlorid. 
N(e2H5)H3Cl      +    KHO    = 


Kalium-  Ammoniak.  Wasser. 

Chlorid. 
KCl       +       NH3       +       H,e 


Aethylamin. 
KCl      +    N(e2H5)Ha    +    HjO 


Die  Chloride,  Jodide  etc.  der  Basen  der  vierten  Gruppe  (Ammonium- 
basen) werden  dagegen  durch  Ealihydrat  nicht  angegriffen;  setzt  man 
zu  ihrer  wässrigen  Lösung  Silberoxyd,  so  entsteht  Silberchlorid  oder 
Jodid  und  eine  stark  kaustische  Lösung,  welche  eine  dem  Kalihydrat 
(oder  dem  hypothetischen  Ammoniumoxydhydrat)  entsprechende  Base 
enthält« 

Die  Zersetzung  ist  also  analog  derjenigen  des  Kaliumchlorids  mit 
Silberoxyd: 


Kaliumchlorid. 

KCl  +      AgHO 

Teträthylammo- 
niumchlorid. 


Ealihydrat. 


=      AgCl    + 


ii 


O 


N(ejHj)4Cl      +      AgH0      =      AgCl    + 


Tetr&thylammo- 
niumoxydhjdrat 


•lil' 


Sie  ist  verschieden  von  der  Zersetzung,  welche  Ammoniumchlorid 
und  die  Chloride  der  Ammoniakbasen  durch  Silberoxyd  erleiden.  Bei 
diesen  zerfallt  die  durch  doppelten  Austausch  entstehende  dem  Typus: 
H2O  zugehörige  Verbindung  sofort  in  Wasser  und  Ammoniak  oder  eine 
dem  Ammoniak  entsprechende  Base.  Bei  dem  Teträthylammoniumchlorid 
dagegen  bleibt  die  dem  Typus:  HjO  zugehörige  Verbindung  bestehen. 

Man  sieht  also ,  dass  in  dem  Ammoniak  1 ,  2  oder  3  Atome  Was- 
serstoff durch  Alkoholradicale  ersetzt  werden  könneo,  ohne  dass  dadurch 
der  Charakter  des  Ammoniaks  verloren  geht.  So  zwar,  dass  die  Atom- 
gruppe, welche  in  den  Salzen  die  Stelle  eines  einatomigen  Metalles  ver- 
tritt, mit  ausnehmender  Leichtigkeit  unter  Bildung  eines  Ammoniaks  zer- 
fällt   Wird  dagegen  ein  viertes  Alkoholradical  zugefügt,  so  gewinnt  diese 

Kein  16,  orgu.  Chemie.  29 


450 


Stickstoffbasen  der  Alkoholradicale. 


Grappe  (das  Ammoniam)  an  Beständigkeit;  ihre  dem  Wassertjp  zuge- 
hörige Verbindung  kann  isolirt  werden  .ohne  Zersetzung  zu  erleiden.  FOr 
das  Verhalten  der  Ammoniak basen  ist  also  die  Ammoniaktheorie  ein 
einfacher  Ausdruck;  das  Verhalten  der  Ammoniumbasen  dagegen  wird 
vollständiger  durch  die  Ammoniumtheorie  ausgedrflckt. 

711.  Im  Folgenden  sind  die  bis  jetzt  bekannten  Stickstoffbasen  der  AI- 

koholradicale  zusammengestellt: 


Amidbasen. 


Ammoniakbasen. 


Imidbasen. 


Nitrilbasen. 


AmmoDiambasen« 


Methyl, 
basen. 


inter- 
mediär 


Aethyl- 
basen. 


inter- 
mediär 


inter- 
mediär 


Amyl- 
basen. 


6H, 
K)H      sied 

{H    unter  0* 
Methylamin. 


Le,H, 


H        sied. 
H        18«,7 
Aethylamin. 


je, 
NJH 

f  CT 


sied. 
H  94* 

Amylamin. 


Dimethylamin. 


»CT 


sied. 
'H  67« 

Diäthylamin. 


e»H„  sied. 
H  170« 

Diamylamin. 


N<eH.  sied. 
Trimethylamin. 


)eA 

Triäthylamin. 


NieaH»     sied 
'e»H,i    136« 

Methyl-Aethyl 
Amyl-Amin. 


,«A 


sied. 
Hl   IM 
Diäthylamyl. 


N 


[65H11  sied 
<e5Hii    2Ö7* 
Triamylamin. 


Tetramethylammoniam- 
hydrat 


N(eH,)(€AW^ 

Methyltriäthylammonium- 
hydrat 


Teträthylammonium- 
hydrat 


N(eH,)(eA)i(e»H„Me 

Methyldiäthylamylammo- 
niumhydrat 


N(6A)a(eA0|e 

Triäthylamylammonium- 
hydrat 

N(€AiMe 

Tetramylammonium- 
hydrat 


Bildung  und  Dantellang. 


451 


Man  kennt  ferner: 

Butylamin 

"in 

sied.  69" 

Caprylamin 

"if" 

Bied.  170« 

Aethylcaprylamin     N  <  O^Hia 
(H 


Trieetylamin 


schmilzt  39^. 


Bildung  und  Darstellung  der  Stickstoffbasen. 

Die  ftlr  die  Theorie  wichtigsten  und  zur  Darstellung  geeigneten  Bil-  712. 
dungsweisen  sind  die  folgenden. 

I.  Die  Aether  der  Cjansäure  und  der  Cyanursäure,  und  ebenso  die- 
jenigen Abkömmlinge  des  Harnstoffs,  welche  Alkoholradicale  enthalten, 
zerfallen  bei  Einwirkung  von  Ealihjdrat  (Kochen  mit  Kalilauge)  in  Koh- 
lensäure und  eine  Aminbase. 

Es  ist  früher  schon  darauf  aufmerksam  gemacht  worden  (§.  671),  dass  die 
Zersetzung  der  Cyans&ureäÜier  völlig  analog  ist  derjenigen,  welche  die  Cyansfture 
selbst  erleidet     Wenn  man  die  Cyansäure   als  Imid   der  Kohlensäure  betrachtet, 

das  heisst  als  Ammoniak,  in  welchem  2  At  H  durch  das  zweiatomige  Radical :  60 
vertreten  ist,  so  können  diese  Zersetzungen  der  Cy ansäure  und  ihrer  Aether  auf- 
gefasst  werden  als  doppelter  Austausch  des  zweiatomigen  Radicals  Carbonyl  gegen 
2  Atome  Wasserstoff  in  2  Molecülen  Kalihydrat.    Man  hat : 


Cyansäure. 


Kalihydrat. 
K 


Ammoniak.    Kohlens.  Kali. 


■'jF7 


h  _ 


=       N 


K 


€0» 


Wird,  statt  der  Cyansäure,  ein  Aether  angewandt,  d.  h.  Cyansäure,  in  wel- 
cher H  durch  ein  Alkoholradical  ersetzt  ist,  so  entsteht,  statt  des  Ammoniaks,  ein 
Ammoniak  in  dem  1  At  H  durch  ein  Alkoholradical  vertreten  ist,  also  eine  Amin- 
base.   Z.  B.: 


Cyansäure- 
Aethyläther. 


Kalüiydrat         Aethylamin.    Kohlens.  Kali 


Nl 


K  I 


J   V. 


H 
H 


29 


452  SÜckstoffbasen  der  Alkoholradicale. 

Die  Zersetzung  der  Cyanursäureiither  kann,  da  die  Cyannrsänre  verdreifachte 
C3*an säure  ist,  in  derselben  Weise  aufgefasst  werden.  Auch  die  Bildung  der  Amin- 
basen  bei  Einwirkung  von  Kalihydrat  auf  die  Abkömmlinge  des  Harnstoffs  ist  der- 

selbe  Austausch  des  zweiatomigen  Radicals:  60  gegen  2  At.  H  (vgl.  Harnstoff, 
Amide  der  Kohlensäure). 

Diese  Reaction,  entdeckt  von  Wurtz  1848,  gestattet  wie  man  sieht 
nur  die  Darstellung  der  Aminbasen,  nicht  der  Imid-  und  Nitrilbaseo. 
Öle  ist  eben  desshaib  als  Darstellungsmethode  reiner  Aminbasen  beson- 
ders zweckmässig. 

Nach  dieser  Methode  hat  Wurt^  dargestellt  das :  Methylamin,  Aethji- 
amin  *) ,  Butylamin  **)  und  Amylamin  ***j. 

Zur  Darstellung  destillirt  man  einen  Aether  der  Cy ansäure  oder  Cyanursäore 
mit  Kalilauge,  föngt  die  entweichenden  ammoniakalischen  Dämpfe  in  Salzsäure  auf 
und  gewinnt  durch  Verdampfen  das  Chlorid  der  Amlnbase,  aus  welchem  durch 
Destillation  mit  Aetzkalk  die  Base  selbst  dargestellt  wird. 

713.  II.  Bei  Einwirkung  der  Bromide  und  Jodide  der  Alkoholradicale  auf 

Ammoniak  entsteht  die  Brom-  und  Jodverbindung  einer  Aminbase. 

Die  Reaction  ist  nach  dem  §.  704  Mitgetheilten  verständlich.  Das  Ammonial^ 
vereinigt  sich  direct  mit  Aethyljodid  zu  einer  dem  Typus:  Salmiak  zugehörigen 
Verbindung: 

Ammoniak.        Aethyljodid.        Aethylammoniumjodid. 
NH,        +       62H5J        =  NH3(eaH5)J 

Diese,  obgleich  durch  Aneinanderlagerung  von  Aethyljodid  und  Ammoniak  entstan- 
den, zerl^Ut  bei  Einwirkung  von  Kalihydrat  zu  Jodwasserstoff  und  Aethylamin: 
Man  kann  daher  die  Reaction  auch  auffassen: 


^mmonial 

£.             Aethyljodid. 

;^vf     «,H,)J 

N  H 
U 

HJ. 


Man  kann  annehmen,  das  Ammoniak  tausche  1  At.  H  gegen  Aethyl  aus 
und  das  gebildete  Aeth>lamin  bleibe  mit  der  Jodwasserstoffsäure  vereinigt. 

Wie  das  Ammoniak,  so  vereinigt  sich  auch  das  Aethylamin  (und 
andere  Aminbasen)  direct  mit  Aethyljodid  zu  Biäthylammoniumjodid,  aas 
welchem  durch  Kali  Biäthylamin  abgeschieden  wird.  Dieses  ist  im  Stande 
sich  wieder  mit  Aethyljodid  zu  vereinigen  zu  Triäthylammoniumjodid, 
welches  beim  Behandeln  mit  Kali  das  Triäthylamin  in  Freiheit  setzt.  Das 
Triäthylamin   endlich  verbindet  sich   wiederum  direct  mit  Aethyljodid  zu 


♦)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXI.  330.    LXXVI.  317. 
••)  ibid.  XCUI.  124. 
•••)  ibid.  LXXI.  340.    IXSNl  334. 


Bildung  nnd  Darstellung.  453 

Tetr&thjlammoDiumjodid.  Dieses  zeigt  jetzt  ein  von  dem  der  vorher- 
gehenden  Jodide  abweichendes  Verhalten,  es  wird  von  Kalilauge  nicht 
zersetzt;  aus  der  flachtigen  Ammoniakbase  ist  eine  nicht  flüchtige 
Ammoniumbase  geworden. 

Man  hat  also  die  folgenden  Reactionen: 

Aethyljodid. 

Ammoniak     NH,  -J"    ^2^5«^    =  NCO^H^')  H3J  Aethylammoniumjodid. 

Aethylamin    NCeaHa)!!^  +    ^aHjJ   =  N(e2H5)2HaJ  Diäthylammoniumjodid. 

Di&thylamin   NCeaHft)^!!  +    ß^^y^    =  N(e2Ha)3H  J  Triäthylammoniumjodid. 

Tri&thylamin  NCÖaRft),     -|-    B^E^J    =  N(62H5)4    J  Teträthylammoniumjodid. 

In  der  Regel  verlauft  indess  die  Reaction  nicht  so  einfach  wie  eben 
angenommen  wurde.  Schon  bei  der  ersten  Einwirkung  des  Jodids  des 
Alkoholradicals  auf  Ammoniak  entstehen  neben  dem  Jodid  der  Amin- 
base  auch  die  Jodide  der  Imid-,  der  Nitril-  und  der  Ammoniumbase,  in- 
dem gleichzeitig  Ammoniumjodid  gebildet  wird.  Die  folgenden  Gleichun- 
gen veranschaulichen  diese  Reactionen: 

NH,  4-  enHiD+iJ  =  N(eoH2n+i)  H,J 

2  NH,  +  2  e.iH2„+iJ  =  N(enH2n4-t)2HaJ  4-      NHJ 

3  NH,  4.  3  OnH^n+iJ  =  N(€.,H2n+l)3H  J  +  2  im^J 

4  NH3  4.  4  enH2h+iJ  =  NfenH2n+l)4     J  4"  3  NH^J 

Fast  immer  bilden  sich  alle  diese  Verbindungen  gleichzeitig,  aber 
in,  je  nach  der  Natur  der  Substanz  und  nach  den  Bedingungen,  in  wel- 
chen man  operirt,  wechselnden  Mengen. 

So  wird  z.  B.  bei  Einwirkung  von  Methyljodid  auf  Ammoniak  \iel  Ammo- 
niamjodid  gebildet,  das  Tetramethylammoniumjodid  entsteht  in  überwiegender, 
Methyl-,  Dimethyl-  und  Trimethylammoniumjodid  in  untergeordneter  Menge.  Bei 
Einwirkung  von  Aethyljodid  dagegen  wird  ein  Atom  H  nach  dem  andern  durch 
Aethyl  ersetzt*,  die  erste  Einwirkung  liefert  wesentlich  Aethylammoniumjodid.  Das 
aus  diesem  durch  Kali  abgeschiedene  Aethylamin  liefert  bei  neuer  Behandlung  mit 
Jodäthyl  wesentlich  Diäthylamin:  aus  diesem  wird  durch  nochmalige  Behandlung 
mit  Jodäthyl  wesentlich  Triäthylamin  erhalten,  welches  dann  bei  Behandlung  mit 
Jodäthyl  zu  Teträthylammoniumjodid  wird. 

Die  Ammoniumbase  kann  mit  Sicherheit  rein  erhalten  werden. 
Häufig  ist  es  zweckmässig,  das  Product  der  ersten  Einwirkung  durch 
Kali  zu  zersetzen,  die  frei  gewordene  Base  von  neuem  mit  dem  Jodid 
des  Alkoholradicals  zu  behandeln  und  dies  mehrmals  zu  wiederholen. 

Da  die  Ammoniumbasen  beim  Erhitzen  zerfallen  unter  Bildung  von 
Nitrilbasen,  so  bietet  auch  die  Reindarstellung  dieser  keine  besondere 
Schwierigkeit.  Man  hat  nur  nöthig,  das  Jodid  der  Ammoniumbase  mit 
Silberoxyd  zu  zersetzen  und  die  frei  gewordene  Base  zu  destilliren. 

Die  Reindarstellung  der  A min b äsen  dagegen  und  mehr  noch  die 
der  Imidbasen   ist  häufig  mit  Schwierigkeit  verbunden.    Man  kann  in 


454  Stickstoffbasen  der  Alkoholradicale. 

manchen  Fällen  die  ungleiche  Löslichkeit  der  Sake  der  verschiedenen 
Basen  in  Alkohol  und  Aether  zur  Trennung  benutzen.  Oder  naan  setst 
der  freien  Base  eine  zur  völligen  Sättigung  ungenügende  Menge  einer 
Säure,  oder  dem  Jodid  eine  zur  völligen  Zersetzung  ungenagende  Menge 
von  Kali  zu  und  destillirt.  Man  erhält  dann  entweder  im  Destillat  oder 
im  Rückstand  eine  reine  Base. 

Die  eben  besprochenen  Reactionen  sind  von  Hof  mann  entdeckt 
(1849  — 1851);  die  zahlreichen  von  ihm  dargestellten*)  Basen  sind  in 
der  Tabelle  §.  711  zusammengestellt.  Durch  dieselbe  Reaction  erhielten 
Cahours  **)  und  Squire***)  das  Gaprjlamin;  Fridauf)  das  Tricetylamin. 

Darstellung.  Die  Bromide  und  Jodide  der  Alkoholradicale  wirken  schon 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  auf  wässrige  und  leichter  nodi  auf  alkoholische  Am- 
moniaklösung; durch  höhere  Temperaturen  wird  die  Reaction  sehr  beschleunig! 
Man  lässt  die  Substanzen  gewöhnlich  bei  der  Siedetemperatur  des  Wassers  aufein- 
ander einwirken,  indem  man  sie  in  einer  zugeschmolzenen  Glasröhre  oder  dnem 
zugeschmolzenen  dickwandigen  Glasballon  im  Wasserbad  erhitzt.  Auch  Stöpsel- 
glftser  mit  aufgebundenem  Stöpsel  oder  mit  einer  Vorrichtung  zum  Au^^ressen  des 
Stöpsels  sind  anwendbar;  für  Darstellung  grösserer  Mengen  sind  starkwandige  Glas- 
flaschen, wie  sie  (ür  künstliche  Sauerwasser  verwendet  werden,  sehr  geeignet  Zur 
Darstellung  von  Aethylamin  kann  man  auch  durch  ein  in  einem  Apparat  mit  auf- 
steigendem Kühlrohr  erwärmtes  Gemenge  von  Jodäthyl  mit  Alkohol  Ammoniakgas 
leiten,  schliesslich  unter  fortwährendem  Durchleiten  von  Ammoniak  erkalten  lassen 
und  nach  mehrtägigem  Stehen  das  unzersetzte  Jodäthyl  von  dem  gebildeten  Aethyl- 
ammoniumjodid  abdestilliren.   (Wühler)  ff). 

Die  Amidbasen,  Imidbasen  und  Nitrilbasen  werden  im  AUgemeinen  leichter 
von  den  Bromiden  und  Jodiden  der  Alkoholradicale  angegriffen  als  das  Ammoniak 
selbst  In  manchen  Fällen  genügt  mehrstündiges  Zusammenstellen  der  Substanzen, 
in  anderen  kurzes  Erhitzen  in  einem  offenen  Apparat 

714.  m.    Durch  Einwirkung  von  Gyansäure&ther  auf  Natriumäthylat  ent- 

steht direct  Triäthylamin  (Hofmann)  fff). 

Die  Zersetzung  ist  der  oben  (§.  712.)  besprochenen  Bildung  der  Amin- 
basen  bei  Einwirkung  von  Kalihydrat  auf  die  Aether  der  Cyansäure  vöDig  analog, 

nur  wird  das  iRadical:    90  statt  gegen  2  At  H  jetzt  gegen  zwei  Aethyl  aus- 
getauscht: 


*)  Vgl.    Ann.    Chem.^  Pharm.    LXXm.    91.      LXXIV.    159.      LZXVIIL    258. 

TiXXTX.  11. 
**)  Ann.  Chem.  Pharm.  XCÜ.  899. 
•♦•)  ibid.  XCn.  400. 
f)  ibid.  TiXXXITT.  25. 
ff)  ibid.  LXXXVL  874. 
fff)  ibid.  cm.  852. 


Bildnng  and  Dantellang.  455 

Cyanaftore-  Natrium-  Triftthyl-      KohlenBaiires 

Aethyläther.  alkoholat  amin.  Natron. 


e,H, 


€>,H,  Na 


j^-ii§  +  a 


«*x^säi^  =  »1^  + 13 


0. 


3 


Andere  BildungsweiseD  der  Ammoniakbasen. 

Aebnlich  wie  die  Bromide  und  Jodide,  so  erzeugen  noch  sehr  viele  715. 
andere  Verbindungen  der  Alkoholradicale  bei  Einwirkung  auf  Ammoniak 
oder  Ammoniakverbindungen  Stiekstoffbasen  der  Alkoholradicale. 

1)  Lässt  man  Aethylchlorid  und  Ammoniak  in  fttherischer  Lösimg  längere  Zeit 
aufeinander  einwirken  (zweckmässig  in  Stöpselflaschen,  die  man  anfangs 
öfter  der  Wirkung  der  Sonnenstrahlen  aussetzt),  so  scheidet  sich  salzsaures 
Aethylamin  in  schönen  Krystallen  aus.  (Stas)  *). 

2)  Durch  Erhitzen  von  Aethylalkohol  mit  Ammonium -chlorid  oder  -Jodid  auf 
400^,  oder  von  Methylalkohol  mit  Ammoniumchlorid  auf  800<^  entstehen 
Aminbasen.    (Berthelot,  Jahresber.  1852.  551.) 

8)  Wird  eine  alkoholische  Lösung  von  Salpetersäure-Aethyläther  mit  Ammoniak 
gesättigt  und  auf  100^  erhitzt,  so  entsteht  viel  Aethylamin.  (Juncadella, 
Ann.  Chem.  Pharm.  CX.  254.) 

4)  Auch  Phosphorsäure -Aethyläther  gibt  beim  Erhitzen  mit  alkoholischer  Am- 
moniaklösung Aethylamin.  (Clermont,  ibid.) 

5)  Amylschwefelsaures  Kali  mit  alkoholischer  Ammoniaklösung  auf  250®  er- 
hitzt gibt  Amylamin.  (Berthelot,  Jahresber.  1858.  467.) 

6)  Wird  zu  Schwefelsäure -Aethyläther -Ammoniakgas  geleitet,  so  entsteht  das 
Ammoniaksalz  der Aethaminschwefelsäure**)  (OgHa^NS^Og).  Dieses, 
mit  kohlensaurem  Baryt  bis  zur  Veijagung  alles  Ammoniaks  gekocht,  gibt 
bei  Destillation  mit  Kalilauge  Aethylamin.  (Strecker.) 

7)  Aethylschwefelsaurer  Kalk  mit  cyansaurem  Kali  oder  besser  mit  Harnstoff 
unter  Zusatz  von  Aetzkalk  erhitzt,  gibt  Aethylamin.  (Tuttle,  Jahresber. 
1857.  888.) 

8)  Durch  Einwirkung  von  Aethyljodid  auf  Tiimercuramin(N2Hg3)***)  entstehen 
Doppelverbindungen  von  Quecksilbeijodid  mit  Teträthylanmionium  (vgl. 
S.  T28).    (Müller.) 

Durch  längeres  Erhitzen  von  weissem  Präcipitat  (Mercurammonium chlo- 
rid HHgHa.Cl)  mit  Aethyljodid  erhält  man:  eine  Doppelverbindung  von 
Aethylammoniumchlorid  mit  Quecksilberchlorid,  Doppelverbindungen  von 
Quecksüberjodid  mit  Aethyl-,  Diäthyl-,  Triäthyl-  und  Tetraäthylammonium- 
jodid  und  noch  goldgell^e  glänzende  Krystalle  einer  Doppelverbindung  von 
Quecksüberjodid  mit  einer  quecksilberhaltigen  Ammoniumbase  (Mercuroteträ- 
thylammonium).    (Sonnenschein,  Ann.  Chem.  Pharm.  Cl.  20.) 


*)  Von  historischem  Interesse  sind  die  früheren  Versuche  von  Boullay,  Dumas 

und  Stas.  —  Ann.  Chem.  Pharm.  XXXV.  164. 
**)  Strecker,  Jahresber.  1850.  416  u.  447.    Ann.  Chem.  Pharm.  LXXV,  46. 
•••)  Hg  =  200. 


456  Stickstoffbasen  der  Alkoholradicale. 

716..  Vom    theoretischen   Interesse    sind   noch    die   folgenden    Bildungs- 

weisen, 

9)  Glycocoll  zerfällt  bei  trockner  Destillation  zn  Methylamin  und  Kohlen- 
säure: 

ebenso  gibt  Alanin:  Aethylamin,  Leucin:  Amylamin.    (Cahours,  Jahresber. 
1858.  321.    Schwanert,  Jahresber.  1857.  540.)  Vgl   auch  §.  610. 

10)  Beim  Erhitzen  von  Aldehydammoniak  für  sich  oder  mit  Kalk  entsteht 
Dimethylamin.  (Gössmann.  Jahresber.  1854.  479.  Petersen,  Jahresber. 
1857.  881.) 

717.  Die  Ammoniakbasen  der  Alkoholradicale  sind  femer  häufig  auftre- 
tende ZersetzuDgsproducte  stickstoffhaltiger  Verbindungen  von  complicir- 
terer  Zusammensetzung. 

11)  Viele  Alkaloide  geben  beim  Erhitzen  mit  Kali  Ammoniakbasen.  Caffelki 
gibt  Methylamin  (Rochleder  u.  Wortz,  Jahresber.  1849.  384.)  ebenso  Morphin 
(Wertheim,  Jahresber.  1850.  423.)  Codein  gibt  Methylamin  und  Trimethyl- 
amin  (Anderson,  Jahresber.  1850.  481.).  Aus  Narcotin  entstehen,  je  nach 
der  Zusammensetzung  des  Narcotins,  verschiedene  Basen.  (Wertheim,  Jah- 
resber. 1850.  481;  1851.  469.)  Aus  Theobromin  entsteht  durch  Einwirkung 
von  Chlor  Methylamin.  (Rochleder  und  Hlasiwetz,  Jahresber.  1850.) 

12)  Bei  trockner  Destillation  von  rohem  essigsaurem  Kalk  entstehen  Am- 
moniakbasen. (Williams,  Jahresber.  1858.  467.)  Im  Oleum  an i male  sind 
Methylamin  und  Butylamin  (Petinin)  enthalten,  wahrscheinlich  auch  Aethyl- 
amin,  Propylamin,  Amylamin  und  Caprjlamin.  (Anderson,  Jahresber.  1851. 
477.)  Bei  Destillation  von  Menschenham  tritt  Trimethylamin  au£  (Dessaig- 
ncs,  Jahresber.  1856.  523.) 

18)  Bei  Faul ni SS  von  Hefe  entstehen  neben  Ammoniak  auch  Ammoniakbasen 
(Malier,  Hesse,  Jahresber.  1857.  402.);  ebenso  bei  Fänlniss  von  Mehl  (Sul- 
livan,  Jahresber.  1858.  280.) 

In  der  Häringslake  ist  Trimethylamin  enthalten.  (Wertheim,  Jahresber. 
1851.  480-,  Winkler,  Jahresber.  1852.  Ö2ö.  und  1864.  476.) 

Ob  das  im  Kalbsblut  von  Dessaignes  aufgefundene  Trimethylamin  im  fri- 
schem Blut  fertig  gebildet  enthalten  ist,  oder  durch  an&ngende  Fänlniss  ent- 
steht, ist  noch  unentschieden.  (Jahresber.  1857.  882.)     ^ 

Fertig  gebildet  scheint  Trimethylamin  in  den  Blüthcn  von  Crataegus  ozya- 
cantha  und  monagyna,  von  Sorbus  aucuparla  undPyrus  communis  enthalten 
zu  sein  (vgl.  Wicke,  Wittstein,  Jahresber.  1854.  478);  ebenso  im  Kraut  von 
Chenopodium  vulvaria.  (Dessaignes,  Jahresber.  1851.  481;  1852.  525.)  Auch 
im  Guano  sind  Ammoniakbasen  enthalten.  (Hesse,  Jahresber.  1857.  402.) 

Eigenschaften  der  Stickstoffbasen  der  Alkoholradicale. 

Ammoniakbasen. 

718.  Die  Ammoniakbasen  (Amid-,  Imid-  und  Nftrilbasen)  sind  sämmtlich, 
wie  das  Ammoniak,  unzersetzt  flüchtig.  Die  Methjlbasen  sind  bei  ge- 
wöhnlicher Temperatur  gasförmig.     Die  Siedepunkte  liegen  im  AUgeoiei- 


Eigenschaften  der  Ammoniakbasen.  45T 

nen  om  so  höher,  je  grösser  der  Eohlenstoffgehalt  ist;  bestinninte  Siede- 
punktsregelm&ftsigkeiten  sind  indessen  bis  jetzt  nicht  ersichtlich  (vgl. 
§.  711). 

Sie  besitzen  einen  dem  Ammoniak  ähnlichen,  h&ufig  einen  an  an- 
dere Verbindungen  derselben  Radicale  erinnernden,  bisweilen  auch  einen 
für  die  betreffende  Base  charakteristischen  Geruch.  (So  riecht  z.  B.  das 
Trimethylamin  ähnlich  wie  faulende  Fische.)  Sie  sind  brennbar  und 
können  dadurch  in  manchen  Fällen  von  dem  Ammoniak  unterschieden 
werden. 

Die  Amidbasen  sind  in  Wasser  löslich.  (1  Vol.  Wasser  absor- 
birt  bei  12®,5  1154  VoL,  bei  25<>  959  Vol.  Methjlamingas.)  Von  den 
Imidbasen  sind  Dimethjl-  und  Diäthjlamin  noch  mit  Wasser  mischbar, 
das  Diamjlamin  dagegen  löst  sich  nur  wenig.  Ebenso  sind  von  den 
Nitrilbasen  das  Trimethjl-  und  das  Triäthjlamin  in  Wasser  löslich, 
alle  Amyl  enthaltenden  Nitrilbasen  sind  ölartige  in  Wasser  wenig  lösliche 
Flüssigkeiten. 

Die  Aromoniakbasen  verbinden  sich  sämmtlich  direct  mit  Chlor-, 
Brom-  und  Jodwasserstoff  zu  dem  Salmiak  entsprechenden  Verbindungen 
(vgl.  §.  706).  Diese  Chloride  sind  meistens  in  Wasser  und  in  Alkohol 
löslich.  Die  Löslichkeit  in  Wasser  nimmt  im  Allgemeinen  mit  zunehmen- 
dem Eohlenstoffgehalt  ab,  während  gleichzeitig  die  Löslichkeit  in  Alkohol 
zunimmt* 

Das  tfethylammoninmchlorid  ist  zerfliesslich  und  in  heissem  Alkohol  löslich. 
Das  Aethylammoniumchlorid ,  das  Dimcthylammoniumchlorid  etc.  sind  zerfliesslich 
und  auch  in  absolutem  Alkohol  sehr  löslich ;  auch  das  Triäthylammoniumchlorid 
ist  in  Wasser  noch  ziemlich  löslich;  bei  den  Amyl  enthaltenden  Basen  nimmt  die 
Löslichkeit  in  Wasser  schon  merklich  ab.  Das  Tricetjlammoniumchlorid  endlich 
ist,  wie  alle  Salze  dieser  Base,  in  Wasser  unlöslich,  dagegen  leicht  löslich  in  Al- 
kohol und  Aether. 

Die   Chloride   der   Ammoniakbasen  geben    mit   Platin chlorid  719. 
dem  Platinsalmiak  entsprechend  zusammengesetzte  Doppelsalze.     Z.  B. : 

Trimethylammoniumplatinchlorid     N(6H3)3HC1,  PtCi] 

Beim  Vermischen  concentrirter  Lösungen  entsteht  gewöhnlich  ein  gelber  Nie- 
derschlag. Aus  beissen  wässrigen  Lösungen  scheiden  sich  die  Platindoppelchloride 
der  Ammoniakbasen  meist  in  gelben  Krystallschuppen  ans,  das  Trimethylammo- 
niumplatinchlorid  krystallisirt  in  orangegelben  Octaädern,  das  Triäthylammonium- 
platinchlorid  in  grossen  morgenrothen  rhombischen  Krystallen.  Die  Platindoppel- 
chloride der  das  Radical  Amyl  enthaltenden  Ammoniakbasen  scheiden  sich  meist 
als  Oeltropfen  aus,  die  erst  allmälig  zu  Kry  staun  adeln  erstarren.  Viele  dieser 
Platindoppelchloride  sind  auch  in  kaltem  Wasser  ziemlich  löslich;  und  zwar  sind 
häufig  die  Platinverbindungen  der Nitrilbasen  löslicher  wie  die  der  Imidbasen,  und 
diese  löslicher  als  die  Platinsalze  der  Amidbasen.  (So  ist  das  Platinsalz  Ton  Aethyl- 
amin  wenig,  das  von  Diäthylamin  ziemlich,  das  des  Triäthylamins  sehr  löslich  in 
Wasser.)    In  Betreff  der  Krystallform  dieser  Doppelverbindungen  vgl.  §.  508. 


458  Stick8to£Fbasen  der  Alkoholradicale. 

Auch  mit  Quecksilberchlorid  und  mit  Ooldohlorid  bilden 
die  Chloride  der  Ammoniakbasen  krystallisirbare  Doppelsalze.    Z.  B.: 

N(€H,)H3C1    +    Aua, 

N(6aH5)H,Cl    +    AuC!, 

2N(eaH5)HaCl    +    HgCl, 

720.  Die  schwefelsauren  Salze  der  Ammoniakbasen  verbinden  sich  mit 
schwefelsaurem  Kali  zu  Alaunen,  die  meist  mit  dem  gewöhnlichen 
Alaun  isomorph  sind  (vgl.  $.  508).    Z.  B.: 

Methylaminalauii  (^^3)3/ 

Aethylaminalaun  z.  B.:  il^/O«    *{-    12  H^O 

Trimethylaminalaan  ISii^^ü^^YL^ ) 

Man  hat  femer  beobachtet*),  dass  das  schwefelsaure  Aethylamin 
mit  schwefelsaurer  Magnesia  ein  krjstallisirbares  Doppelsalz  bildet;  das« 
Aethylamin  sich  gegen  Eupferchlorid  und  schwefelsaures  Kupferoxyd 
genau  wie  Ammoniak  yerhält;  dass  eine  dem  phosphorsauren  Bittererde- 
Ammoniak  entsprechende  Aethylaminverbindung  dargestellt  werden  kann ; 
dass  Aethylamin  mit  Quecksilberchlorid  Niederschläge  bildet,  die  den 
durch  Ammoniak  erhaltenen  entsprechen  etc. 

721.  Die  Ammoniakbasen  zeigen  in  ihrem  ganzen  chemischen  Verhalten 
die  grösste  Aehnlichkeit  mit  dem  Ammoniak  selbst.  Ihre  wässrige  Lösung 
gibt  mit  Metallsalzen  fast  in  allen  Fällen  dieselben  Reactionen  wie  das 
Ammoniak.  Sie  zeigen,  wie  das  Ammoniak,  mit  Säureäther  doppelte 
Zersetzung,  bei  welcher  ein  Amid  gebildet  wird,  in  welchem  Wasserstoff 
durch  ein  Alkoholradical  yertreten  ist;  z.  B.: 

Oxaläther.  Aethylamin.        Aethylozamid.  Alkohol. 

^1^%    \c^        1      o  Ö2H5)  ©jOj    )  ö  TT  1 

(ejH»),!^»  +  2     H  N  =  (e,H5),  N,  +  2  ^«»^je 

Sie  verbinden  sich  wie  das  Ammoniak  direct  mit  Gyan  säure  (und 
ebenso  mit  den  Aethern  der  Cyansäure  (vgl.  §.  671)  unter  Bildung  von 
Harnstoff,  in  welchem  Alkoholradicale  an  der  Stelle  des  Wasserstoffs  ent- 
halten sind.  Dieselbe  Umsetzung  findet  auch  statt,  wenn  die  schwefel- 
sauren Salze  der  Ammoniakbasen  auf  cyansaures  Kali  einwirken.  Man 
hat  z.  B.  (vgl.  Amide  der  Kohlensäure): 

Cyansäure.      Aethylamin.  Aethylharnstoff. 


H 


e    -f         HJN        =    GO.GjHs.Hj.N, 


*)  Vgl  bes.  Meyer,  Jahresber.  1856.  620. 


Eigenschaften  der  Ammoniakbaaen.  459 

Die  Ammoniakbasen  der  Alkoholradioale  geben  demnach  ein  Mittel 
an  die  Hand,  viele,  und  namentlich  stickstoffhaltige  Verbindungen  der 
Alkoholradicale  darzustellen. 

Auch  gegen  Chlor cy an  verhalten  sich  die  Ammoniakbasen  genau 
wie  das  Ammoniak  *)  (vgl.  §.  590).  Leitet  man  Chlorcjan  in  eine  äthe- 
rische Lösung  der  Ammoniakbase,  so  scheidet  sich  das  Chlorid  der  ange- 
wandten Base  aus  und  die  Lösung  enthält  ein  Cjanamid  in  welchem 
Wasserstoff  durch  ein  Alkoholradical  ersetzt  ist.    Z.  B.: 


Aethylamin.          Cjanchlorid. 

Aethjlammo-  Aethjloyan- 
niumehlorid.                amid. 

2N(G,H,)H,    -f-       ©NCl      = 

N(e,H,)H,.Cl   +      ejHjjN 

Diäthylainin.        Cjanchlorid. 

Diäthylammo-  Di&tbjlcjan- 
niumoblorid.                amid. 

2  N(e,H,),H  +        eNCl       = 

N(e,H,),H,.ci  +    g,h,(n 

Das  Aethylcyanamid  zerflLllt  beim  Erhitzen  (bei  etwa  180^)  nach  der 
Gleichung: 

Aethylcyanamid.  Diftthylcyanamid.  Aethyldicyandiamid. 

Das  Diäthylcyanamid  ist  bei  190^  ohne  Zersetzung  flüchtig;  es  bildet, 
wie  es  scheint,  mit  Säuren  keine  bestimmten  Verbindungen  und  zersetzt  sich  bei 
Einwirkung  von  Säuren  oder  Alkalien  in: 

Diäthylcyanamid.  Diäthylamin.        Ammoniak.        Kohlensäure. 

^iHJn    +    2  Hje-    =    OaH,  N      +        H,N        +        GB^ 

Das  Aethyldicyandiamid**)  bleibt  bei  der  Zersetzung  des  Aethylcy  anamids 
als  fester  Rückstand,  der  bei  etwa  800®  unzersetzt  destillirt.     Es  bildet  mit  Salz- 


*)  Cloez  und  Cannizzaro,   Ann.  Ohem.  Pharm.  LXXVIII.   228;    Cahours   und 
ClofeB,  Ann.  Ohem.  Pharm  XC.  94. 


N 


**)  Das   Aethyldicyandiamid  ist:    X  g  \^i\  <^^^^  ^<^ch  der  §.  392  gegebenen 
Auffassung :         O  /  N«. 


460  Stickstoffbasen  der  Alkoholradicale. 

s&ore  ein  krystallisirbares  Salz,  welches  mit  Platinchlorid  ein  krystallinisches  Dop- 
pelchlorid lieferi^ 

Setzt  man  zu  Amjlamin  eine  ätherische  Lösung  Yon  Schwefelkoh- 
lenstoff, 80  scheiden  sich  weisse Eiystallschuppen  aus;  sie  sind  dasAmyl- 

aminsalz  der  Amylsulfocarbaminsäure  =  ^  -^jL  ^  ^^L  iQ  (Hofmann). 
Aethylamin  verhält  sich  ebenso. 

722.  Durch  salpetrige  Säure  werden  die  Ammoniakbasen  (wie  die 
meisten  dem  Typus  Ammoniak  zugehörigen  Verbindungen)  zersetzt,  in- 
dem das  I^itril  des  Alkoholradicales  (der  Aether  der  salpetrigen  Säure) 
gebildet  wird  *).    Man  hat  z.  B.: 

Aethylamin.  Aethylnitrit. 

Diäthylamin. 

2  N(e2H5)jH  +  3  NjOa  =  4  e^Hj-NOa  +  H,0  +  2  N, 

Andere  Zersetzungen  der  Ammoniakbasen  sind  noch  wenig  untersucht  Leitet 
man  in  eine  Lösung  von  Aethylamin  Chlorgas,  so  entsteht  salzsaures  Aethylamin 
und  es  scheidet  sich:  Aethylbichloramin  **):  'GaHsClsN  als  gelbes  Oel  aus, 
das  bei  91®  siedet  und  sich  bei  höherer  Temperatur  mit  Explosion  zersetzt  Durch 
Schwefelwasserstoff  wird  das  Aethylbichloramin  zersetzt,  nach  der  Gleichung  ••♦): 

Aethylbichloramin.  Aethylammonium- 

Chlorid. 
eaHftClaN        +    2HaS    =    N(6aH5)H4Cl    +    HCl    +    B^ 

Brom  wirkt  in  ähnlicher  Weise  auf  Aethylaminlösung  ^  Jod  erzeugt  gelbe  sehr  un- 
beständige Krystalle  von  Aelhylbijodamin:  O2H5J2N. 

Methylamin  wird  von  Chlor,  Brom  und  Jod  in  derselben  Weise  angegriffen; 
durch  letzteres  entsteht  eine  granatrothe  Verbindung:  Methylbijodamin :  OH^2^> 
die  sich  beim  Erhitzen  leicht,  aber  ohne  Explosion  zersetzt 

Nach  Bildung  und  Eigenschaften  scheinen  diese  Substanzen  nicht  eigentliche 
Substitution sprod acte ,  sondern  vielmehr  dem  s.  g.  Jodstickstoff  ähnliche  Körper 
zu  sein. 

Ammoniumbasen. 

723.  Die  Ammoniumbasen  sind  als  Hydrate  in  Wasser  löslich.  Die  Lö- 
sung verhält  sich  der  Kalilauge  analog,  sie  ist  stark  kaustisch,  zerstört 
wie  Kalilauge  die  Epidermis,    gibt  mit  Metallsalzen  fast  dieselben  Reac- 


•)  Hofmann,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXV.  856.     —    Riebe,   Ann.  Chem.  Pharm. 

CXI.  91. 
••)  Wurtz,  ibid.  LXXVI  327. 
•••)  Baejer,  ibid.  CVÜ.  281. 


EigenachaAen  der  Ammomtunbasen.  461 

tiooen  wie  Kalihydrat,   zersetzt  wie  dieses  die  Aetiierarten  der  Alkohol- 
rad icale,  sie  verseift  Fette  etc.  — 

Durch  Verdunsten  der  wässrigen  Lösungen  können  die  Hydrate  der 
Aoamoniumbasen  oder  krystallisirte  Verbindungen  dieser  mit  Krystallwas- 
ser  erhalten  werden. 

Das  Tetramethylammonium hydrat  und  das  Tetraäthylammoniumhydrat  liefern 
beim  Verdunsten  über  Schwefelsäure  krystallinischc,  sehr  zerfliessliche  Massen,  die 
mit  grosser  Begierde  Kohlensäure  anziehen.  Das  Tetraamylammoniumhydrat  setzt 
aus  concentrirter  Lösung  grosse,  wasserhaltige,  nur  wenig  zerfliessliche  Krystalle 
ab,  die  beim  Erwärmen  im  Kr y stall wasser  schmelzen  und  beim  Verdampfen  eine 
durchsichtige  und  sehr  zerfliessliche  Masse  von  Tetraamylammoniumhydrat: 
NCe^Hii^l^  hinterlassen. 

Die  Salze  der  Ammoniumbasen  sind  meist  schön  krystallisirbar, 
namentlich  die  der  Amylverbindung.  Man  erhält  sie  entweder  durch  Zu- 
satz einer  Säure  zur  wässrigen  Lösung  des  Hydrats;  oder  auch  direct  aus 
dem  Jodid  durch  Doppelzersetzung  mit  einem  Siibersalz.  Die  Jodide  wer- 
den, wie  oben  (§.710)  erwähnt,  durch  Kalilauge  nicht  angegriffen,  son- 
dern aus  ihrer  wässrigen  Lösung  durch  Zusatz  von  Kalilauge  in  Krystallen 
gefüllt,  weil  sie  in  Kali  weniger  löslich  sind  als  in  Wasser.  Durch  Sil- 
beroxyd oder  durch  Silberoxydsalze  werden  sie  zersetzt ,  vgl.  $.  710. 

Die  Chloride  der  Ammoniumbasen  geben  mit  Platinchlorid 
schön  krystallisirende  Doppelchloride,  z.  B.: 

N(ÖA)4C1  +  PtCl,. 

Die  Chloride  geben  mit  Quecksilberchlorid,  die  Jodide  mit 
Quecksilbe rjodid  Doppelverbindungen,  von  zum  Theil  complicirter 
Zusammensetzung. 

Tetraäthylammoniumchlorid  gibt  mit  Quecksilberchlorid:  2  NC^^H^j^Cl  -{- 
5HgC]2,  ebenso  gibt  Tetraäthylammoniumjodid  mit  Quecksilbeijodid:  2}!i(ß^E^')^i 
-J-  5  HgJ2  •).  Durch  Einwirkung  von  Quecksilber  auf  die  PolyJodide  der  Ammo- 
niumbasen (§.  724)  entstehen  Doppelverbindungen  von  anderer  Zusammensetzung  **) ; 
z.  B.:  N(62H5)4J  +  EgJ,;  N(eH3)4J  +  HgJj,  und  2N(6H3)4J  +  SHgJj.  Diesel- 
ben werden  auch  durch  Einwirkung  der  Jodide  der  Alkoholradicale  auf  Trimer- 
curamin  (NaHg,J  erhalten;  z.  ß.:  2N(^eaH4)4iJ  4-  3  HgJ^  ♦••). 

Auch  mit  Ooldchlorid  geben  die  Chloride  der  Ammoniumbasen 
krystallisirende  Doppelverbindungen,  z.  B.: 

NCe2H5)4Cl  4-  AUCI3. 

Gegen  Cyans&ure  zeigen  die  Ammoniumbasen  eine  von  dem  der 
Ammoniakbasen  abweichendes  Verhalten,   wenigstens  entsteht  beim  Ein- 


•)  Hofimann,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXVin.  272. 
••)  Risse,  ibid.  CVIL  228. 
•••)  R.  Müller,  ibid.  CVIIL  1. 


462  StickBto£fba8en  der  Alkoholradicaie. 

dampfen  einer  Lösung  von  schwefelsaurem  Tetr&thjlammonium  mit  cy«i- 
saurem  Kali  nicht  Teträthylharnstoff,  sondern  kohlensaures  TeträthjU 
ammonium  *). 

724.  Die   Jodide    der  Ammoniumbasen   besitzen   die  Eigenschaft   sich 

direct  mit  Jod  zuPoljjodiden  (oder  Hjperjodiden)  zu  vereinigen.  Man 
kennt  Verbindungen  der  Ammoniumjodide  mit  2  Atomen  Jod:  Trijodide, 
und  solche  mit  4  Atomen  Jod:  Pentajodide. 

Biese  merkwürdigen  Verbindungen  entstehen,  wenn  man  die  Lösung  des 
Jodids  der  Ammoniumbase  mit  einer  alkoholiBchen  Jodlösung  yermischtj  oder  auch^ 
wenn  man  die  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  das  Jodid  des  Alkoholradi- 
cals  erhaltene  Flüssigkeit  längere  Zeit  der  Luft  aussetzt.  Aus  Tetraäthylammonium. 
Jodid  wird  nur  Tetraäthylammoniumtrijodid  erhalten,  aus  Tetramethylammonium- 
Jodid  entsteht  wesentlich  Tetramethylammoniumpentajodid ,  gleichzeitig  aber  auch 
Tetramethylammoniumtrijodid.  Die  Trijodide  könnnen  auch  durch  Zusatz  des  Jo- 
dids der  Ammoniumbase  zu  dem  Pentajodid  erhalten  werden. 

Man  kennt  bis  jetzt  die  folgenden  Verbindungen  **) : 

Tetramethylammoniumtrijodid 

Trimethyläthylammoniumtrijodid 

Tiiäthylmetb  ylammoniumtrijodid 

Tetraäthylammoniumtrijodid 

Trimethylamylammoniumtrijodid 

Tetramethylammoniumpentajodid 

Trimethyläthylammoniumpentajodid    N(6H,)3(G2H5)    J^^      68* 

Die  Trijodide  sind  meistens  schön  dunkelviolett  gefärbte  Krystalle  von  säu- 
lenförmigem Habitus.  Die  Pentajodide  sind  dunkel  grüngrau  gefärbt,  und  zeigen 
in  Farbe  und  Habitus  der  Krystalle  grosse  Aehnlichkeit  mit  Jod. 

Die  Lösung  des  Tetramethylammoniumjodids  wird  von  Chlor  zersetzt,  an- 
fangs entsteht  Tetramethylammoniumpentajodid*,  bei  weiterem  Einleiten  von  Chlor 
verschwindet  dieses  wieder  und  es  scheidet  sich  gelbes  Tetramethylammoniumjodo- 
tetrachlorid :  K(€H3)4JCl4  aus,  welches  beim  Umkrystallisiren  aus  Wasser  gelbe 
Krystalle  von  Tetramethylammouiumjododichlorid :  N(6H3)4JC]2  liefert  Dieselben 
Verbindungen  entstehen  auch  bei  Einwirkung  von  Chlorjod  auf  Tetramethylammo- 
niumchlorid. 

Werden  die  Trijodide  mit  Quecksilber  behandelt,  so  entstehen  Doppelverbin- 
dungen von  der  Formel :  N(0H))4J  -^  HgJ^ ,  die  Pents^odide  geben  Verbindungen 
von  der  Formel:  2N(eH,)4J  +  SHgJj  ••♦). 

Die  Verbindungen  der  Ammoniumbasen  erleiden  sämmtlicb  beim 
Erhitzen  Zersetzung. 


Schmelzpunkt. 

NCeH,),          J, 

80* 

N(€H,),(eA)    J. 

64» 

N(eH,)(€A).    J. 

62« 

N(eA)«         J. 

142» 

N(6H,),(e,H„)  J, 

80« 

N(€H,)^              J. 

126« 

*}  Brüning,  Ann.  Chem.  Pharm.  CIV.  200. 

♦•)  Weltaien,  ibid.  XCI.  88;  XCIX.  1.  —  R.  Müller,  ibid.  CVm.  1. 
•♦♦)  Hg  =  200. 


EigeDSchaften  der  Ammoniambasen. 


463 


Die  Hydrate  der  Ammoniumbasen   liefern  dabei  Aminbasen  und  726. 
und  gleichseitig  einen  Alkohol,  z.  B.: 


Tetramethyl- 
ammoniumhydrat. 


Trimethylamin.  Methylalkohol  *). 


N(eH,),      + 


6H, 


S!' 


oder,  statt  dessen  (und  dies  ist  der  gewöhnlichere  Fall)  Wasser  und 


einen 


Kohlenwasserstoff:  60H90,  z.  B 


\ 


Tri&thylamin.        Aethylen.         \ 


Teträthyl- 
ammoniumhydrat 


Enthfllt  eine  Ammoniakbase  Aethyl,  so  wird,  wie  es  scheint,  stets  Aemylen 
ausgeschieden.  So  liefert  Amyltriäthylammoninmhydrat  beim  Erhitzen  Amyldiäthyl- 
amin  neben  Aethylen  und  Wasser;  aus  Methyldiäthylamylaminoniumhydrat  entstoit 
Methylftthylamylamin.  -,  ""'^V 

Die  Jodide  der  Ammoniumbasen  zerfallen  betilä  Erhitzen  zu  einer 
Aminbase  und  dem  Jodid  eines  Alkoholradicals ,  z.  B.: 


Tetr&thyl- 
ammoniumjodid. 

N(e,H,)4j    = 


Tri&thylamin.  Aethyljodid. 

N(GA3,      +       ©,H,.J 


Da  aber  die  entstehenden  Producte  sich  direct  zu  vereinigen  im 
Stande  sind,  so  wird  im  Destillirapparat  selbst  wieder  Teträthylammonium- 
jodid  ei  zeugt  und  es  scheint  desshalb,  als  ob  ein  Theil  des  Jodids  unzer- 
setzt  aberdestiUirt  wäre. 

Durch  Einwirkung  von  Chlor,  Brom  oder  Jod   auf  Tetraftthyl-  726. 
ammoniumoxyd   entstehen  noch  nicht  näher  untersuchte  Producte,   von 
welchen  die  Bromverbindung  leicht  krystallisirt  **). 

Behandelt  man  eine  Ammoniumbase  nochmals  mit  dem  Jodid  eines 
Alkoholradicals,  z.  B.  Teträthylammoniumhydrat  mit  Jodäthyl,  so  wird 
durch  doppelten  Austausch  das  Jodid  der  Ammoniumbase  und  Alkohol 
erzeugt;  z.  B.: 


*)  Die  Zersetzung  des  Tetramethylammoniums  ist  desshalb  von  besonderem  In- 
teresse, weil  man  der  Analogie  nach  die  Bildung  des  bis  Jetzt  noch  unbe- 
kannten Kohlenwasserstoffs:  6H9  (Methylen)  hätte  erwarten  sollen. 

**)  Hofinann,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXYIH  274. 


464  Sfcickstoffbasen  der  Alkoholradicale. 

TetrÄtbyl.        Aethyljodid.        Alkohol        Tetr&thyl- 
ammoniumhydrat.  ammoniumjodid. 

Es  ist  also  (auf  diesem  Wege  wenigstens)  nicht  möglich  Stickstoff- 
basen ,  die  mehr  als  4  Alkoholradicale  enthalten ,  darzustellen  *). 

Darch  Einwirkung  von  Aethylenbromid  (OjH^.Brj)  auf  Trimetliylamin 
hat  Hofmann  •♦).  das  Bromid  einer  bromhaltigen  Base  erhalten: 

Trimethylamin.  Aethylenbromid. 

NCeH,),  4-  e^HiBra         =        N(6Ha),e2H4Br2 

Salpetersaures  Silber  fällt  aus  dem  entstandenen  Bromid  nur  die  Hälile  des 
Broms  als  Silberbromid  und  man  erhält  ans  der  mit  Salzsäure  versetzten  Flüssig- 
keit durch  Zusatz  von  Platin chlorid  oder  Goldchlorid  kr^  stallisirende  bromhaltige 
Doppelverbindungen  von  der  Zusammensetzung: 

N(eH3),(e2H4Br)Cl  +  PtClj    und    N(eH3),(e2H4Br)Cl  +  AuCl 

Das  Aethylenbromid  (62H4.Br2)   verhält  sich   also  bei  dieser  Keaction  wie  Brom- 
ftthylbromid  (B2^4ß^'>  ^^)  ^^d  die  entstehende  kann  aul'gefasst  werden  als  das 

Trimethyl  -  bromäthy  1  -  ammoniumbromid     =    N(6H,)3(62H4Br) .  Br. 
Eine  andere  Betrachtung  dieser  und  der  ähnlich  zusammengesetzten  phospborhalü- 
gen  Verbindungen  wird  später  (Amide  des  Radicals:  ^2 1^4)  mitgetheilt  werden. 
727.  Man  sieht  leicht,  dass  unter  den  Stickstoff  basen  der  Alkoholradicale 

zahlreiche  Isomerien  möglich  sind: 

So  ist  das  Aethylandn  Isomer  mit  Dimethylamin : 

Empirische  Formel.  Aeihylamin.  Dimethylamin. 

NOaH,  N(eaH5)H2  N(eH3)2H 

Das  Trimethylamin  ist  isomer  mit  Aethylmetbylamin  und  mit  Propylamin: 

Empirische  Formel.       Trimethyalmin.        Aethylmetbylamin.         Propylamin. 

In  solchen  Fällen  kann  die  Elementaranalyse  der  Base  selbst  oder 
ihrer  Salze  keinen  Aufschluss  über  die  Natur  der  Substanz  geben  und 
man  hat  in  der  Tbat  das  als  Zersetzungsproduct  des  Aldehydammoniaks 
auftretende  Dimethylamin  anfangs  für  Aethylamin  gehalten.  Man 
hat  ebenso  das  als  Zersetzungsproduct  vieler  stickstoffhaltiger  Körper 
auftretende  und   das  in  Pflanzen,   in  der  Häringsiake  etc.   vorkommende 


•)  Hofmann ,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXVm.  275. 
♦•)  Jahresber.  1858.  838. 


Metallhaltige  StickstofTbasen.  465 

Trimethylamin  für  Propjlamin  angesehen  und  als  solches  beschrieben* 
(vgl.  §.  717). 

Der  einfachste  Weg  die  chemische  Natur  einer  flüchtigen  Stickstoff- 
base feststellen  ist  die  yon  Hofmann  zur  Darstellung  der  Imid-,  Nitril- 
und  Ammoniakbasen  angewandte  Reaction.  Man  hat  nur  nöthig  die  zu 
untersuchende  Base  ein-  oder  mehrmal  mit  dem  Jodid  eines  Alkohol- 
radicals  (z.  B.  Aethjljodid)  zu  behandeln,  bis  aus  der  flüchtigen  Ammo- 
niakbase eine  nicht  flüchtige  Ammoniumbase  geworden  ist  Die  Zusam- 
mensetzung dieser  Ammoniumbase  zeigt  dann  wie  viel  Wasserstoffatome 
der  Ammoniakbase  noch  durch  Alkoholradicale  ersetzbar  waren  und  sie 
stellt  somit  fest  ob  die  Base  eine  Aminbase,  Imidbase  oder  Nitrilbase  ist. 
(Indessen  würde  selbst  diese  Methode  nicht  gestatten  das  Diäthjlamin 
vom  Methylpropjlamin  oder  das  Tributjlamin  vom  Aethyldiamylamin  zu 
unterscheiden). 

Die  Salze  und  Doppelsalze  der  Ammoniakbasen  können  femer  noch 
isomer  sein  mit  den  entsprechenden  Verbindungen  der  Ammoniumbasen. 
Z.  B.: 

empirisch.  Butjlammo-  Diäthjlammo-         Tetramethjl- 

niumchlorid.  niumchlorid.       ammoniumchlorid. 

NG4Hi,Cl         N(G4He)H3Cl        N(e2H5)2HaCl  N(eH3)4Cl 

Die  völlige  Verschiedenheit  der  freien  Basen  macht  indessen  eine 
Verwechslung  der  Ammoniumbasen  mit  Ammoniakbasen  unmöglich. 

Metallhaltige  Stickstoffbasen  der  Alkoholradicale.  728. 
Zinkverbindungen  *).     Wird  in  Zinkälhjl  Ammoniakgas  eingeleitet, 
so  wird  dieses  in  reichlicher  Menge  absorbirt,  es  entweicht  Aethjlwasser- 
stoff  und  es  scheidet  sich  Zinkamid  als  weisses   in  Aether   unlösliches 
Pulver  aus:  -^  ) 


Na?  Hj 


fi;    tn^'    z« 


iZn 
Ha    -f    2  e^H 
Ha 


Wird  statt  des  Ammoniaks  Diäthjlamin  angewandt,  so  entsteht  eine 
äthylhaltige  in   allen   Eigenschaften  ^dem  Zinkamid  analoge  Verbindung, 

(Zn 
das  Diäthykinkamid :  N2I  (€2^5)3 

/(öA), 


•)  Frankland,  Jahresber.  1857.  418. 
KtkoU,  orgu.  Ch«ailt.  30 


466  Phosphorbasen  der  Allcoholradicale. 

729«  Quecksilber-  und  EupferyerbinduDgeii.     Die  Ezistens  sol- 

cher VerbiDduDgen   ist  oben  schon  erwähnt  worden    (§$.  715,  720);    sie 
sind  bis  jetzt  nicht  näiier  untersucht. 

780.  Platinverbindungen.     Nach  Versuchen   von   Wurts*)   können 

aus  Methylamin  und  Aethjlamin  platinhaltige  Basen  erhalten  werden,  die 
den  verschiedenen  Plataminbasen  entsprechen. 

Durch  directe  Einwirkung  von  Methylamin  auf  PJatinchlorür  wird  eine  grOne 
Verbindung  erhalten,  die  dem  s.  g.  Magnus'schen  Salz  entspricht: 

Methylplatammoniumchlorid     N .  Pt(6H,)Ha .  Cl. 

Durch  Kochen  mit  Salpetersäure  entstehen  daraus  gelbe  Krystalle,  die  Worts 
für  dem  Gros'schen  Salz  analog  hälL  Wird  die  grüne  Verbindung  mit  onterscbiia- 
sigem  Methylamin  erwärmt,  so  entsteht  eine  krystaUisirte  Verbindung,  die  dem 
Chlorid  der  s.  g.  ersten  Reiset'schen  Base  entspricht: 

Methylplatdiammoniumchlorid    N, .  Pt(6H,)2H, .  ECL 

Das  Aethylamin  gibt  ganz  entsprechende  Verbindungen. 

Palladiumy  er  bin  düngen  ^*).  Das  Palladiumchlorür  gibt  mit  Aethyl- 
amin ähnliche,  bis  Jetzt  nicht  näher  untersuchte  Verbindungen,  wahrscheinlich: 

Aethylpalladammoniumchlorid        N .  Pd(82H»)Ha .  Cl 
Aethylpalladdiammoniumchlorid    N, . Pd(92H5)2H, .  HG 

Phosphorbasen  der  Alkoholradicale. 

731.  Die   Phosphorbasen   der  Alkoholradicale  wurden   1846    von   Paul 

Thenard*^)  entdeckt  und  1855  von  Uofmann  und  Cahoursf)  ge- 
nauer untersucht 

Paul  Thenard  erhielt  durch  Einwirkung  von  Methylchlorid  auf  Phos- 
phorcalcium  fünf  phosphorhattige  Methylverbindungen.  Drei  derselben 
entsprechen  den  drei  Wasserstoffverbindungen  des  Phosphors.  Sie  wur- 
den von  Thenard  als  Verbindungen  dieser  Phosphorwasserstoffe  mit  Me- 
thylen (=  OH2)  angesehen;  der  jetzigen  Auffassungs-  und  Ausdrueka- 
weise  nach  können  sie  als  diese  Phosphorwasserstoffe  betrachtet  werden, 
deren  Wasserstoff  durch  das  Redical  Methyl  (6H3)  ersetzt  ist    Man  hat: 

Posphor-  Selbstentzündlicher  Fester  Phosphor- 

.  Wasserstoff        Phosphorwasserstoff.  Wasserstoff 

PH,  P.H»  PA 

Trimethylphosphin.    Phosphodimethyl.  — 


♦)  Wurtz,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXIV.  328. 
••)  Hugo  Müller,  ibid.  LXXXVL  866. 
•••)  Jahresber.  1847—48.  645. 
t)  Ann.  Chem.  Pharm.  CIV.  1. 


Phosphorbasen  der  Alkoholradicale.  467 

Das  Trimethylphosphin  beschreibt  Th.  als  eine  bei  40^^41*  siedende 
FlOssigkeit  von  stark  basischen  Eigenschaften  \  sie  bildet  mit  Säuren  Salze  und  geht 
durch  Oxydation  in  eine  Säure  über,  die  mit  einem  Thcil  der  Base  vereinigt  bleibt 
Das  Phosphodimethyl  siedet  bei  260^;  es  ist  selbstentzdndlich,  unlöslich  in 
Wasser  und  besitzt  einen  höchst  unangenehmen  Geruch.  Bei  langsamer  Ozyda* 
tion  gibt  es  eine  krystallisirbare  Säure.  Mit  Salzsäuregas  bildet  es  eine  krystallisir- 
bare  Verbindung,  die  bei  weiterer  Einwirkung  von  Salzsäure  zu  einer  Flüssigkeit 
wird  und  endlich  zerfällt  in  das  salzsaure  Salz  der  Base:  PCGH,))  (Trimethylphos- 
phin) und  in  ein  gelbes  geschmack-  und  geruchloses  Pulver:  P4(6H3)2.  —  Durch 
Erhitzen  des  salzsauren  Phosphodimethyls  mit  Wasser  entsteht  dieselbe  Säure,  die 
durch  Oxydation  von  Trimethylphosphin  erhalten  wird  und  gleichzeitig  ein  gas. 
förmiger  Körper  von  der  Zusammensetzung:  PH3(6Hj)  [Monomethylphosphin  ?]  der 
mit  seinem  gleichen  Volum  Sauerstoff  eine  saure  Flüssigkeit,  mit  dem  gleichen 
oder  doppelten  Volum  Salzsäure  kr\  stallisirende  Verbindungen  gibt  Das  direct 
erhaltene  Product  besteht  nach  Thenard  wesentlich  aas  salzsaurem  Trimethylphos- 
phin, aus  Phosphodimethyl  und  dem  festem:  P4(OH3}3.  Aethylchlorid  gibt  mit 
Phosphorcaldnm  ganz  entsprechende  Verbindungen. 

Die  Versuche  von  P.  Thenard,  obgleich  an  sich  unvollständig,  bieten  dess- 
halb  besonderes  Interesse,  weil  zu  jener  Zeit,  ausser  dem  Eakodyl,  noch  keine 
Verbindung  eines  Alkoholradicals  mit  einem  Element  der  Stickstoffgruppe  oder  mit 
einem  Metall  bekannt  und  weil  selbst  das  Kakodyl  noch  nicht  als  Methyl  Verbindung 
erkannt  war.  Die  von  Thenard  bei  diesen  Versuchen  zuerst  angewandte  Reaction 
hat  seitdem,  mehr  oder  weniger  modifidrt,  die  Entdeckung  einer  grossen  Anzahl - 
höchst  merkwürdiger  Verbindungen  der  Alkoholradicalc  ermöglicht 

Spätere  Versuche  von  Berl6  ♦)  durch  Einwirkung  von  Aetliyljodid  auf  Phos- 
phomatrium  oder  durch  Erhitzen  von  Aethyljodid  mit  Phosphor  und  Natrium 
Phosphoräthylverbindungen  darzustellen  blieben  ohne  bestimmtes  Resultat 

AuchHofmann  und  Gahours  wandten  anfangs  ein  der  Thenard'-  7S2. 
sehen  Methode  analoges  Verfahren  an.    Sie  fanden,  dass  bei  Einwirkung 
▼on  Aethyljodid  oder  Methyljodid  auf  Phosphornatrium   wesentlich  drei 
Verbindungen  erhalten  werden: 

Phosphodimethyl.        Trimethyl-        Tetramethylphosphonium- 
phosphin.  Jodid. 

p,(eH,)4  P(eHo,  P(eH,)4j 

Die  erste  Verbindung  ist  die  dem  Eakodyl  entsprechende  selbst* 
entxflndliche  Base  von  Thenard.  Die  zweite  Base  entspricht  dem  Tri- 
methylamin,  die  dritte  Substanz  dem  Tetramethylammoniumjodid.  Die 
Schwierigkeit  die  bei  der  Reaction  gleichzeitig  entstehenden  Producte 
zu  trennen  veranlasste  dann  den  eingeschlagenen  Weg  zu  verlassen  und 
gewissermassen  die  umgekehrte  Reaction  in  Anwendung  zu  bringen. 
Statt  die  Chlor-  und  Jodyerbindung  des  Alkoholradicals  auf  eine  Metall- 
verbinduDg  des  Phosphors  einwirken  zu  lassen,  Hess  man  die  Chlorver- 


^)  Jahresber.  1855.  590. 

80  • 


468 


Phosphorbaaen  der  Alkoholradicale. 


binduog  des  Phosphors  auf  eine  Metallverbindung  des  Alkoholradicals 
einwirken. 

783.  Triäthjlphosphin:  P(G2H5)3.     Phosphorchlorür  wirkt  auf  Zink- 

äthjl  äusserst  heftig  ein,  bisweilen  mit  Explosion.  Mässigt  man  die  Ein- 
wirkung indem  man  eine  ätherische  Lösung  von  Zinkäthjl  anwendet  und 
das  Phosphorchlorür  langsam  zufliessen  lässt,  so  tauscht  das  Phosphor- 
chlorür: PCI3  sein  Chlor  gegen  das  Aethyl  des  Zinkäthyls  aus;  es  ent- 
steht Triäthylphosphin :  P(62H5)3  und  Zinkchlorid. 

Zur   Darstellung    des    Triäthylphoßphins    dient    zweckmässig    der    folgende 
Apparat: 


a.  Eohlensäureapparat;  b.  Schwefelsäure- Waschflasche  j  c.  Kohlensäure-Reservoir  • 
d.  Knierohr  mit  Phosphorchlorür;  e.  Vorlage*,  f.  Retorte  mit  ätherischer  Lösung 
von  Zinkäthyl  *,  g.  Tropfapparat,  Phosphorclilorür  enthaltend.  Das  Phosphorchlorür 
des  Knierohres  d  dient  einerseits  als  regulirendes  Flüssigkeitsventil  und  nimmt 
gleichzeitig  die  letzten  Spuren  des  bei  der  sehr  lebhaften  Reaction  fortgerissenen 
Zinkäthyls  auf.  Nach  beendigter  Reaction  wird  der  Inhalt  des  Knierohrs  und  der 
Vorlage  mit  dem  in  der  Retorte  belindlichen  Hauptproduct  vereinigt  und  die  obere 
Flüssigkeitsschicht,  ein  Gemisch  von  Aether  mit  überschüssigem  Phosphorchlorür, 
von  der  dickflüssigen  unteren  Schicht,  die  beim  Erkalten  meist  zu  einer  zähen 
Masse  erstarrt,  abgegossen.  Das  Product  der  Reaction  ist  eine  Verbindung  der 
Phosphorbase  mit  Zinkchlorid,  aus  welcher  durch  Destillation  mit  Kali  die  Base 
abgeschieden  vnrd.  Man  bringt  zweckmässig  zu  dem  in  der  Retorte  fest  anhaften- 
den Harzkuchen  Stücke  von  festem  Kalihydrat  und  lässt  durch  den  Tropfapparat 
Wasser  zufliessen.  Die  Phosphorbase  destillirt  dabei  durch  die  von  der  Reaction 
selbst  erzeugte  Wärme  mit  Wasserdämpfen  über  und  sanmielt  sich  in  der  Vorlage 
als  auf  dem  Wasser  schwimmende  Oelschicht.  Diese  wird  abgehoben,  längere  Zeit 
mit  festem  Kalihydrat  zusammengestellt  und  im  Wasserstoffstrom  rectificirt. 

In  neuerer  Zeit  hat  Gahours*)  gefunden,    dass  auch  durch  EUn- 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXII.  231. 


Triäihylphosphin.  469 

Wirkung  Yon  Aetbyljodid    auf  Phosphorzink    (durch  Erhitzen  von  Zink  in 
Phosphordämpfen  erhaltenj  Triäthylphosphin  entsteht. 

Eigenschaften  des  Triäthjlphosphins.  Das  Tri&thjlphos-  734, 
phin  ist  eine  farblose,  leicht  bewegliche,  stark  lichtbrechende  Flüssigkeit, 
die  bei  127®,6  siedet.  Es  ist  leichter  als  Wasser  (spec.  Gew.  =:  0,812) 
und  in  Wasser  völlig  unlöslich;  löslich  in  Alkohol  und  in  Aether.  Es 
besitzt  einen  durchdringenden,  fast  betäubenden  Geruch,  der  in  yerdflnn- 
lern  Zustand  dem  Geruch  der  Hyacinthe  ähnlich  ist. 

Das  Triäthylphosphin  verbindet  sich  direct  mit  Sauerstoff,    Chlor,  785. 
Brom,   Jod,  Schwefel  und  Selen.     Die  entstandenen  Verbindungen  ent- 
halten stets  2  Aequivalente  des  einwirkenden  Elementes ;  z.  B. : 

Triäthylphosphinoxyd  P(62H5)3e 
Triäthylphosphinsulfid  P(G2H5)3& 
Triäthylphosphinchlorid   P(OjH5)3Cl2 

Das  Triäthylphosphin  oxydirt  sich  leicht,  schon  durch  den  Sauerstoff  der 
Luft  unter  starker  Erwärmung  und  reichlicher  Ozonbildong.  Bringt  man  die  Base 
mit  Sauerstoffgas  zusammen,  so  entstehen  weisse  Dämpfe  und  es  tritt  häufig  Ent- 
zündung ein.  Steckt  man  einen  mit  Triäthylphosphin  getränkten  Papierstreifen  in 
eine  mit  Sauerstoff  gefüllte  Röhre  und  taucht  diese  in  warmes  Wasser,  so  tritt 
nach  wenigen  Augenblicken  eine  heftige  Explosion  ein.  Auch  mit  Chlor,  Brom 
und  Jod  verbindet  sich  das  Triäthylphosphin  direct;  die  Wärmeentwicklung  steigert 
sich  häufig  bis  zur  Entzündung.  Lässt  man  die  Base  in  Chlorgas  tropfen,  so  ent- 
zündet sich  jeder  Tropfen.  Das  Triäthylphosphin  verbindet  sich  femer  direct  mit 
Schwefel.  Bringt  man  Schwefel  auf  Triäthylphosphin,  so  schmilzt  der  Schwefel  zu 
einer  auf  der  Flüssigkeit  tanzenden  Kugel  und  löst  sich  allmälig  auf;  die  klare 
Flüssigkeit  erstarrt  beim  Erkalten  zu  einer  prachtvollen  Krystallmasse.  —  Lässt 
man  Sauerstoff,  Chlor  oder  Schwefel  etc.  auf  die  wässrige  oder  ätherische  Lösung 
des  Triäthylphosphins  einwirken,  so  ist  die  Reaction  weit  weniger  heftig. 

Die  durch  directe  Vereinigung  des  Triäthylphosphins  mit  den  Ele- 
menten entstehenden  Verbindungen  sind  sämmtlich  krystallisirbar.  Na- 
mentlich wird  die  Schwefelverbindung  leicht  in  grossen  Erystallnadeln 
erhalten,  die  bei  94®  schmelzen  und  bei  88®  wieder  erstarren.  Sie  sind 
in  kaltem  Wasser  wenig,  in  siedendem  in  reichlicher  Menge  löslich;  auch 
Alkohol  und  Aether  lösen  das  Sulfid.  Das  Triäthylphosphinoxyd  siedet 
bei  etwa  240®  und  erstarrt  beim  Erkalten  zu  strahlich  -  krystallinischer 
Masse.  Es  ist  sehr  zerfliesslich ,  in  Wasser  und  Alkohol  in  jedem  Ver- 
hältniss,  in  Aether  nur  wenig  löslich;  von  Kalilauge  wird  es  aus  der 
wässrigen  Lösung  als  Oel  abgeschieden.  Durch  Einwirkung  von  Chlor-, 
Brom-  oder  Jodwasserstoflfsäure  auf  Triäthylphosphinoxyd  werden  Triäthyl- 
phosphin -  chlorid ,  bromid  oder  Jodid  erhalten;  durch  Schwefelsäure  oder 
Salpetersäure  entstehen  schwierig  krystallisirbare  Salze. 

Das  Triäthylphosphin  verbindet  sich  ferner  direct  mit  Chlor-,  Brom-  736. 
und  Jodwasserstofifsäure,  mit  Schwefelsäure  und  Salpetersäure.    Alle  diese 


470  Fhosphorbasen  der  Alkoholradicale. 

Verbindungen  sind,  wiewohl  schwierig,  krjstallisirbar.  Die  sahsanre  Ver- 
bindung gibt  mit  Platinchlorid  ein  in  kaltem  Wasser  schwer,  in  Alkohol 
und  Aether  unlösliches  Platinsalz  von  der  Zusammensetenng : 

TriäthylphoBphonium-Platinchlorid    P(6,Hj),HCl  +  PtQ,. 

787.  Teträthylphosphoniumverbindungen.  Das  Triäthylphosphin 
verbindet  sich  direct  mit  Aethy^odid  zu  Tetr&th jlphosphoniumjodld : 

PceiHo,  +  (e,H,)j  =  P(G,H,)«J 

Vermischt  man  Triäthylphosphin  mit  Jodäthyl,  so  tritt  nach  einigen  Augen- 
blicken eine  heftige  Reaction  ein,  die  Flüssigkeit  zeigt  ein  explosionsartiges  Auf- 
wallen und  erstarrt  beim  Erkalten  zu  weisser  Krystallmasse.  Wird  eine  ätherische 
Lösung  der  Base  angewandt,  so  erfolgt  die  Reaction  langsam. 

Das  Tetr&thjlphosphoniumjodid  ist  in  Wasser  sehr  löslieh, 
weniger  in  Alkohol,  unlöslich  in  Aeifaer;  Aether  fUlt  die  alkoholische 
Lösung,  aus  der  wässrigen  Lösung  scheidet  Kalilauge  das  Jodid  unver- 
ändert aus  (vgl.  §.  723).  Behandelt  man  das  Teträthylphosphoniumjodid 
mit  Silberoxyd,  so  erh&lt  man  Tetr&thylphosphoniumhydrat,  dea- 
sen  wässrige,  stark  alkalische  Lösung  leicht  Kohlensäure  anzieht  und  beim 
Verdunsten  eine  krystallinische,  äusserst  zerfliessliche  Masse  lässt  Durch 
Zusatz  von  Salzsäure,  Schwefelsäure  oder  Salpetersäure  zur  Lösung  des 
Hydrats  werden  sehr  zerfliessliche  und  nur  schwer  krystallisirende  Balze 
erhalten.  Das  Chlorid  gibt  mit  Platin-  und  Ooldchlorid  krystalliairende 
Doppelsalze: 

Tetrftthylphosphonium-Platinchlorid    F(ßfi^)^CL  +  Pt  Qs 
Teträthylphosphonium-Goldchlorid     FiBfi^)fil  +  AuCi^ 

788.  ^ii'^^  eine  wässrige Lösung  von  Teträthylphosphoniumhydrat 
der  Destillation  unterworfen,  so  geht  anfangs  nur  Wasser  über,  später 
entweicht  unter  plötzlichem  Aufschäumen  Aethylwasserstoff  und  bei  240^ 
destillirt  dann  Triäthylphosphinoxyd  aber,  welches  in  Vorlage  und 
Betortenhals  krystallinisch  erstarrt: 

Teträthylphospho-         Triäthylphos-         Aethylwasserstoff. 
niumhydrat  phinozyd. 

P(©.H,)^j^    _,     p(e,H.),e  +       (e,H,)H 

Die  Zersetzung  des  Teträthylphospboninmhydrats  durch  Hitze  ist  also  ▼öllig 
verschieden  von  der  der  entsprechend  zusammengesetzten  Stickstoffbasen.  Während 
bei  diesen  eine  flüchtige  Ammoniakbase  (Nitrilbase)  und  ein  dem  Wassertyp  inge- 
höriger Körper  entstehen,  z.  B.: 


Teferttthylphosphoniiun.  471 

Tetnimethylammo-  Trimefhyl-  Methyl- 

niumhydrat.  amin.  alkohol. 

bleibt  bei  der  Phosphorverbindang  der  Sauerstoff  bei  der  phosphorhaltigen  Gmppe 
nnd  es  löst  sich  eine  dem  Wasserstofftyp  zugehörige  Verbindung  los. 


L&88t  man  auf  Triäthylphosphin  statt  des  Aethyljodids  Methyl-  oder  789. 
Amyljodid  einwirken,  so  entstehen: 

Triftthylmethylpbosphoniumjodid     P(62H5)3(eH3)   J 
TriWhylamylphosphoniumjodid       P(ß2^5)z(ß5^iiV 

Durch  Einwirkung  von  Zinkmethyl  auf  Phosphorchlorar  entsteht  740, 
Trimethylphosphin:    P(GH^')^      Dieses    siedet   zwischen    40^    und 
42«  (vgl.  §.  731),    es   verhält  sich  dem  Tri&thylphosphin   völlig   analog. 
Wird  Trimethjlphosphin  mit  Hethyljodid  zusammengebrannt,  so  entsteht: 

Tetramethylphosphoniumjodid    P(€H3)4J 

Ebenso  bilden  Aethyl-  oder  Amyljodid: 

Trimethyläthylphosphoniumjodid     P(eH,),(6,H4)  J 
Trimethylamylphosphoniumjodid     ^(GE^)^(ß^Eii)J. 

Alle  diese  Verbindungen  verhalten  sich  dem  Tetr&thylphosphoninm- 
jodid  völlig  analog. 

Die  aus  Triäthylphosphin  durch  Einwirkung  von  Aethylenbromid  und  von 
Schwefelkohlenstoff  entstehenden  Abkömmlinge  werden  später  gelegentlich  dieser 
Körper  beschrieben  (vgl.  auch  S-  726). 


Im  Folgenden  sind* die  bis  jetzt  bekannten  Phosphorbasen  der  AI*  741. 
koholradicale  und  Repräsentanten  ihrer  einfacheren  Verbindungen  zusam- 
mengestellt Um  die  chemische  Natur  dieser  organischen  Verbindungen 
besser  hervortreten  zu  lassen,  vergleichen  wir  dieselben  mit  unorgani- 
schen Verbindungen  des  Phosphors,  statt,  wie  dies  gewöhnlich  geschieht, 
auf  die  entsprechenden  Stickstoffverbindungen  als  Typen  zu  beziehen. 


472 


FhosphorbaBen  der  AJkoholradicale. 


Verbindungen  der  Phosphinbasen. 

Verbindungen  dex 
PhosphoniumbaB^a. 

lypufl:       PH, 

PH4J 

— 

— 

PH4J 

oder    PCI3 

— 

PCI5 

PCljO 

P(€H,), 

P(6H,)aHCl 

P(eH3)3Cla 

P(€H,),0 

PCeH,)^                J 

P(eH,),(eA)  J 
P(eH,),(e,H„)  j 
P(^2H5),(eH,)  j 

P(eA). 

P(^A)aHCl 

P(eA),Cl, 

P(^2H»),0 

P(eA)4  J 
P(eA)*(^Ai)J 

Platinhaltige  und  goldhaltige  Phosphorbasen  sind  von  Hofmann  '^ 
durch  Einwirkung  von  Platinchlorid  oder  Ooldchlorid  auf  die  alkoholische 
Lösung  des  Triäthjlphosphins  dargestellt  worden,  aber  bis  jetzt  nicht 
n&her  beschrieben. 


Platotriäthjlphosphoniumchlorid 
Aurotriäthjlphosphoniumchlorid 


P(ejH5)3Pt.Cl 

PceA)3Au.ci. 


Arsenbasen  der  Alkoholradicale. 

642.  Die   erste  arsenhaltige  Eohlenstoffverbindung   wurde   yor  jetzt   100  Jahiren 

(1760)  von  Cadet  bei  Destillation  von  arseniger  Säure  mit  essigsaurem  Kali  ent- 
deckt. Lange  Zeit  blieb  diese  merkwürdige  Substanz  (Cadet's  rauchende  arsenika- 
lische  Flüssigkeit)  ohne  weitere  Berücksichtigung  und,  einige  Versuche  von  Thenard 
1804  abgerechnet,  ohne  weitere  Untersuchung.  Ausführliche  Untersuchungen  von 
Bunsen  (1887  — 1848)  zeigten  dann,  dass  die  Cadet'sche  Flüssigkeit  und  die  zahl- 
reichen aus  ihr  erhaltenen  Abkömmlinge  einen  gemeinschaftlichen  Bestandtheil 
^jH^Ab  (=  C.]H«As)  enthalten,  der  von  Bunsen  in  isolirtem  Zustand  dargestellt, 
alsRadical  aller  dieser  Verbindungen  erkannt  und  als  Eakodyl  bezeichnet  wurde, 
Ueber  die  Constitution  dieses  Radicals  wurden,  von  Dumas,  Laurent,  Ger- 
hardt u.  A.,  zahlreiche  Hypothesen  aufgestellt;  aber  erst  in  neuester  Zeit  wurde 
die  von  Eolbe  ausgesprochene  Vermuthung  das  Eakodyl  sei  Arsendimethyl 
(As(6H3)a)  durch  Versuche  von  Frankland***)  wahrscheinlich  gemacht  und 
bald  nachher  von  Cahours  und  Riche  f)  auf  dem  Weg  des  Experimentes  be- 
stätigt Die  letzteren  Chemiker  entdeckten  das  Trimethylarsin  und  die  Verbindun- 
gen des  Tetramethylarsoniums.     Gleichzeitig  hatte  Landoltff)  die  entsprechen- 


♦)  Ann.  Caiem.  Pharm.  CIU.  367. 
••)  ibid.  XXXVII.  1;  XLU.  14;  XLVI.  1. 
•••)  ibid.  LXXL  216. 

f)  ibid.  LXXXVin.  318;  XCH.  361.  —  Jahresber.  1863.  487;  1864.  627. 
tt)  ibid.  TiXXXTX.  301;  XCn.  366.  —  Jahresber.  1863.  487;  1864.  680. 


Anenverbindungen  der  Alkoholradicale.  473 

den  Aethylverbindnngen :  Anendifithyl ,  Triftthylarsin  und  TeträÜiylarsoniiun  dar- 
gestellt Arsenverbindungen,  die  gleichzeitig  zwei  verschiedene  Alkoholradicale  ent- 
halten, wurden  von  Cahonrs  und  Riebe  beschrieben. 

Die  Entdeckung  der  Arsenmonomethylverbindungen  verdankt  manBaeyer*) 
(1858) ,  dessen  umfiEkssende  Untersuchung  zuerst  ein  klares  Licht  warf  auf  die  Be- 
ziehungen der  verschiedenen  Arsenverbindungen  untereinander,  und  gleichzeitig  ein 
besseres  Verst&ndniss  auch  der  übrigen  Verbindungen  der  Alkoholradicale  mit  den 
Elementen  der  Stickstoffgruppe  und  mit  einigen  Metallen  ermöglichte. 


Die  Verbindungen  des  Arsens  mit  Methyl  und  Chlor  sind  be-  743. 
sonders  geeignet  die  Beziehungen  der  yerschiedenen  Verbindungen   des 
Arsens  mit  den  Alkoholradicalen  zu  zeigen.      Im  Folgenden  sind  diese 
Verbindungen  zusammengestellt.     Man  kann   sie  in  zwei  Reihen  ordnen. 

Die  Verbindungen   der   ersten  Reihe  sind  nach  dem  Tupus :    R .  3  R ;    die 

der  zweiten  Reihe  nach   dem  Tjpus :  R  -|-  5  R  oder  R .  3  R  -f-  2  R  zu- 
sammengesetzt (vgL  $.  704.    Me  =  Methyl  =  €H,). 

Typus:  NH4CI. 

-As  He  Me  Me  Me  Gl  (1) 

-As  Me  Me  Me  Gl   Gl  (3) 

=A8  Me  Me  Gl    Gl   Gl  (5) 

=As  Me  Gl   Gl   Gl    Gl  (7) 


(2) 

Typus:  NH3. 
As  Me  Me  Me: 

(4) 

As  Me  Me  Gl 

(6) 

As  Me  Gl   Gl : 

As  Gl   Gl    Gl 

Die  Verbindungen  der  ersten  Reihe  besitzen  die  §.  704  als  für  die 
Substanzen  von  der  Formel:  R .  3  R  charakteristisch  erkannte  Eigenschaft, 

sich  direct  mit  einer  Verbindung  von  der  Formel :  2  R  zu  vereinigen ;  und 
zwar  verbinden  sich  die  drei  methylbaltigen  Verbindungen  direct  mit 
2  Atomen  Chlor;  das  erste  Glied  der  Reihe  (Trimethjlarsin)  ausserdem 
noch  mit  den  Chloriden  oder  Jodiden  der  Alkoholradicale.  —  Die  Ver- 
bindungen  der  zweiten  Reihe   (R .  3  R  +  2  R)  erleiden  sämmtlich   beim 

Erhitzen  Zersetzung,  indem  sie  zu  2  R  und  R .  3  R  zerfallen.  Dabei  wird 
stets  Methjlchlorid :  (eH3)Cl  ausgeschieden  und  es  entsteht  mithin  eine 
der  ersten  Reihe  zugehörige  Verbindung,  die  das  Radical  Methyl  einmal 
weniger  enthält. 

Alle  diese  Substanzen  verhalten  sich,  insofern  sie  Chlor  enthalten, 
bei  geeigneten  Reactionen  wie  die  Chloride  von  Radicalen,  deren  Atomig- 
keit  ausgedrückt  ist  durch  die  Anzahl  der  Chloratome,  die  in  der  Substanz 
enthalten  sind  (vgl.  $.  297). 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  CYII.  267.  —  Jahresber.  1868.  879. 


474 


Arsenyerbindnngen  der  Alkoholradieale. 

Man  hat  demnach: 

Tetramethylarsonium 

A8(GH,)4 

einatomig. 

Trimethylarsin 

AsCeHj), 

zweiatomig. 

Arsendimethyl 

A8(eH,), 

einatomig  und  dreiatomig.                           | 

ArsenmoDomethyl 

A8(eHo 

zweiatomig  und 

yieratomig. 

744.  Das   Tetramethylarsoniumchlorid   (Nr.  1.  der  Tabelle)  ent- 

spricht dem  Tetramethjlammonium  -  und  dem  Tetra&thylphosphonium- 
dilorid;  es  verhält  sich  wie  das  Chlorid  eines  einatomigen  Radicals: 
Tetramethylarsonium,  dessen  Verbindungen  sämmtlioh  denen  der 
entsprechenden  Stickstoff-  und  Phosphorbasen  völlig  analog, sind. 

Das  Trimethylarsin  (Nr.  2.)  entspricht  dem  Trimethylamin  and 
dem  Triäthylphosphin.  In  seinen  Eigenschaften  schliesst  es  sich  enger 
an  die  letztere  Verbindung  an.  Aber  während  diese  ebensowohl  mit  HCl 
als  mit  CI2  oder  mit  O  sich  zu  verbinden  im  Stande  ist,  vereinigt  sich 
das  Trimethylarsin  nur  noch  mit  Clj  oder  mit  O.    Es  erzeugt  so: 

Trimethylarsinchlorid  (Nr.  3.)  und  entsprechende  Verbindun- 
gen des  zweiatomigen  Trimethylarsins ,  z.  B.: 

Trimethylarsinchlorid  As(6H3)3Cl3 

Trimethylarsinbromid  A8(6H3)3Br3 

Trimethylarsinoxyd  As(6H3)30 

Tnmethylarsinsulfid  As(eH3)3S 

Das  Arsendimethylchlorid  (Nr.  4.)  verhält  sich  wie  das  CJhlo- 
rid  des  einatomigen  Radicals:  Arsendimethyl  oder  Kakodyl.  Die  Verbin- 
dungen dieses  Radicals  sind  z.  B.: 

Typus:    HH  HCl  Ei^  H<« 

h1^  Er 

[As(GH3)3]3         A8(GH,)3 .  Cl        A8(eH3)3  i  ^         A8(GH3)  i  g 

A8(GH3)3i^         As(GH3)i^ 

Kakodyl.        Kakodylchlorid.    Kakodyloxyd.        Eakodylsulfid. 

Im  Arsendimethyltrichlorid  (Eakodyltrichlorid)  (Nr.  5.)  spielt 
dieselbe  Atomgruppe  die  Rolle  eines  dreiatomigen  Radicals.  Ebenso  in 
der  Eakodylsäure  und  dem  s.  g.  basischen  Eakodylsuperchlorid.    Man  hat: 

Typus:        H3CI3  2  HjO  2  H^O  +  HCl  ' 

As(GH3)3 .  CI3        A8(GH3)3  i  ^  A8(eH3)3  ( 03 

Hp»  H3ICI. 

Eakodyltrichlorid.      Eakodylsäure.         Basisches  Eakodyl- 
superchlorid. 

Das   Arsenmonomethyichlorid    (Nr.  6.)   ist  das  Chlorid   des 


ArsenTerbindimgen  der  Alkoholradicale.  475 

zweiatomigen   Arsenmonomethyls.     Die  ihm    entspreehenden  Verbindun- 
gen sind: 

Typus:  2  HCl  2  H J  H,e  H,S 

A8(eH,).CI,     As(eH,).J,      A8(eH,).0      A8(eH,).S 
Arsenmono-      Arsenmono-      Arsenmono-       Arsenmono- 
methjlchlorid.    metbjljodid.      methjloxjd.      methjlsulfld. 

Im  Arsenmonomethjltetrachlorid  (Nr.  7.)  endlich  und  ebenso 
in  der  ans  dem  Arsenmonomethjldichtorid  durch  Oxydation  entstehenden 
Arsenmonome thyls&nre  ist  dasselbe  Arsenmonomethyl  vieratomig. 
Man  hat: 

Typus:  4  HCl  3  H,0 

As(eHa) .  CI4  As(GH,)  /  ^ 

H,r» 

Arsenmonomethyl-       Arsenmonomethyl- 
tetraohlorid.  säure. 

Von  besonderem  Interesse  sind  diejenigen  Reactionen,  bei  welchen  745. 
die  Arsenmethylradicale   bei   Beibehaltung   ihrer  Zusammensetzung   ihre 
Basioit&t  ändern  (vgl.  SS- 289,  309). 

Das  Arsendimethylchlorid  verbindet  sich,  wie  schon  erwähnt,  direot 
mit  Chlor  zu  Arsendimethyltrichlorid.  Aus  dem  einatomigen  Chlorid 
wird  ein  dreiatomiges,  welches  mit  Wasser  in  der  That  zunächst  basi- 
sches Eakodylsuperchlorid  und  dann  Kakodylsäure  erzeugt.  Die  Kako- 
dylsäure,  eine  Verbindung  desselben  dreiatomigen  Radicals,  entsteht 
auch  durch  Oxydation  (mittelst  Quecksilberoxyd  z.  B.)  des  Eakodyloxyds, 
in  welchem  dieselbe  Atomgruppe  einatomig  ist  Durch  Einwirkung  von 
Salzsäure  auf  Eakodylsäure  wird  basisches  Eakodylsuperchlorid,  durch 
Einwirkung  von  Phosphorsuperchlorid  auf  Eakodylsäure  wird  Eakodyl- 
trichlorid  (Arsendimethyltrichlorid)  erhalten« 

In  derselben  Weise  entsteht  aus  dem  zweiatomigen  Arsenmono- 
methyldichlorid  durch  directe  Vereinigung  mit  Chlor  das  v  i  er  atomige  Ar- 
senmonomethyltetrachlorid  und  durch  Oxydation  mittelst  Silberoxyd  die 
Arsenmonomethylsäure,  die  dasselbe  vi  er  atomige  Radical  enthält. 

Der  Uebergang  des  einatomigen  Arsendimethyls  in  das  drei- 
atomige und  ebenso  der  Uebergang  des  zweiatomigen  in  das  einatomige 
Arsenmonomethyl  ist  also  stets  eine  Oxydation  und  zwar  entweder  durch 
directe  Vereinigung  mit  Chlor  oder  durch  Einwirkung  eines  oxydirenden 
Metalloxyds. 

Von  Interesse  sind  femer  die  Keactionen,   bei  welchen  die  Arsen-  746. 
methylverbindungen  durch  Austritt  von  Methylchlorid  in  Verbindungen  eines 
an  Methyl  ärmeren  Badicales  übergehen  (vgl.  %.  303).   Die  Verbindungen  der 


476  Arsenverbindangen  der  Alkoholradicale. 

Salmiakreihe   (zweite  Reihe  der  Tabelle  §.  743)  verliereo,   wie  erwähnt, 
bei  Einwirkung  der    Wärme  Methjlchlorid  und   geben  Verbindungen  der 

Ammoniakreihe  (R  .  3  R). 

So  zerfällt  Tetramethylarsoniumjodid  zu  Trimethylarsin  und  Methyljodid: 

AsCeHgV    =    AsCeHg),    +    OHj.J 

Das  Trimethylarsinchlorid  zersetzt  sich  ebenfalls  beim  Erhitzen,  wahrschein- 
lich in: 

A8(6H3)3.Cla    =    A8(€H,)a.Cl    +    €H,.C1 

Vom  Arsendimethyltrichlorid  ist  nachgewiesen,  dass  es  zu  Arsenmonomethyl- 
dichlorid  und  Methylchlorid  zerflQlt: 

As(eH3)a.Cl3    =    As(eH,).aa    +    eHj.Cl 

Das  Arsenmonomethyltetrachlorid  endlich  ist  nur  in  Eältegemischen  bestän- 
dig und  zersetzt  sich  sobald  die  Temperatur  sich  dem  Gefrierpunkt  nähert  nach 
der  Gleichung: 

A8(€H3).Cl4    =    ASCI3    +    OHj.Cl 
Arsenmonomethyl- 
tetrachlorid. 

Da  nun  jedes  Glied  der  Ammoniakreihe  sich  direct  mit  Cl^  zu  ver- 
binden im  Stande  ist,  um  ein  durch  Wärme  in  der  oben  besprochenen 
Weise  zersetzbares  Chlorid  der  Salmiakreihe  zu  erzeugen,  so  kann  man 
in  indirecter  Weise  von  jedem  Glied  der  Ammoniakreihe  auf  das  n&chst 
niedere  Glied  herabsteigen. 

Dieser  Uebergang  ist  stets  eine  Aufeinanderfolge  zweier  Reacüonen,  es  ent- 
steht zunächst  durch  directe  Vereinigung  mit  Chlor  ein  Körper  der  Salmiakreihe, 
der  dann  zerfällt.  Wird  dießeaction  bei  Wärmegraden  vorgenommen,  bei  welchen 
das  betreffende  Glied  der  Salmiakreihe  nicht  beständig  ist,  so  treten  direct  dessen 
Spaltungsproducte  auf  und  die  Reaction  kann  dann,  indem  man  von  der  ephemeren 
Bildung  des  Z wisch enproductes  absieht ,  aufgefasst  werden  als  doppelter  Austausch. 
Man  hat  z.  B.: 

Arsenmonomethylchlorid.  Arsenchlorid  Methylchlorid. 

AsClClfceH,)   ,X'         ^Cl    =       AsCl,       +       eH,.ci 

oder: 

Arsendimethylchlorid.  Arsenmonomethyl-      Methylchlorid. 

Chlorid. 


AsCl(6H,)r(^r?  V^  ^^JC^    =  As(eH3).Cla  +        eH3.Cl 

Man  kann  demnach  die  Glieder  der  Ammoniakreihe  als  Trimethylarsin  an- 
sehen, in  welchen  1,  2  oder  3  Methyl  durch  Chlor  ersetzt  sind;  gerade  so  wie 
man  sie  umgekehrt  als  Chlorarsen  betrachten  kann,  dessen  Chlor  durch  Methyl 
vertreten  ist. 


Arsenyerbindungen  der  Alkoholradicale.  477 

Bemerkenswerth  ist  ferner,   dass  auch  ein  Aufsteigen  in  der  Reihe  747. 

der  nach  der  Formel :  R .  3  R  zusammengesetzten  Arsenverbindungen  mög- 
lich ist.  Durch  Einwirkung  von  Zinkmethjl  kann  nämlich  das  Chlor  des 
Arsendimethjlchlorids  (Eakodjlchlorids)  gegen  Methyl  ausgetauscht  wer- 
den; es  entsteht  Trimethy larsin.  Ebenso  wird  bei  Einwirkung  von  Ghlor- 
arsen  auf  Zinkmethyl,  indem  die  drei  Atome  Chlor  gegen  Methyl  ausge- 
tauscht werden,  Trimethy  larsin  erhalten. 

Endlich  verdient  erwähnt  zu  werden,  dass  bei  Einwirkung  von  Me-  748. 
thyljodid    auf  freies    Eakodyl   Zersetzung    eintritt,    indem    Eakodyljodid 
(Arsendimethyljodid)  und  Tetramethylarsoniumjodid  entsteht: 

Kakodyl.  Methyljodid.         Eakodyljodid.         Tetramethyl- 

arsoniumjodid. 

IScGHät     +    2GH,.J    =     A8(eH,),.J    +     A8(€H,)4J 

Die  Zersetzung  kann  aufgefasst  werden  als  Aofeinanderfolge  zweier  Reac- 
tionen.  In  der  ersten  wird  Trimethylarsin  erzeugt,  welches  sich  dann  mit  Methyl- 
jodid zu  Tetramethylarsoniumjodid  vereinigt: 


\  As(€H3)a 

2)  AsCeHg),      +        €H,.J    =    As(€H,)4J 

Wie  das  Methyljodid  wirkt  auch  Methylbromid  und  die  entsprechen- 
den Aethyl-  und  Amyl Verbindungen. 

Arsenäthylverbindungen.  Die  äthylhaltigen  Arsenbasen  sind  749. 
bis  jetzt  weniger  erforscht  als  die  entsprechenden  Methylverbindungen. 
Man  kennt  Teträthylarsoniumverbindungen,  femer  Triäthylarsin  und  seine 
Verbindungen  und  endlich  Arsendiäthyl  (Aethylkakodyl)  und  Verbindun- 
gen dieses  Radicals.  Die  den  Arsenmonomethylverbindungen  entsprechen- 
den Aethylverbindungen  sind  bis  jetzt  nicht  bekannt. 

Arsenbasen  mit  verschiedenen  Alkoholradicalen.    Man  750. 
kennt  bis  jetzt  nur  Arsoniumbasen ,  welche  verschiedene  Alkoholradicale 
enthalten. 

Da  die  Jodide  und  Bromide  der  Arsoniumbasen  durch  zwei  wesent- 
lich verschiedene  Reactionen  erhalten  werden  können,  so  sind  zwei 
Gruppen  von  intermediären  Arsoniumbasen  bekannt: 

1)  Durch  Einwirkung  des  Bromids  oder  Jodids  eines  Alkoholradicals 
auf  eine  Arsinbase  entsteht  das  Salz  einer  Arsoniumbase ,  die  drei 
gleiche  und  ein  verschiedenes  Alkoholradical  enthält    Man  kennt: 

Trimethyläthylarsoniumjodid       As(0  YL^^{Q^^ 
Triäthylmethylarsoniumjodid      kA{ß^^^[ß  YL^ 


478  Anenrerbindungen  der  Alkoholradicale. 

2)  Bei  Einwirkung  von  Arsendimethjl  (Eakodjl)  auf  Aethyl-ohlorid, 
bromid  oder  Jodid ,  oder  auf  entsprechende  Amjlverbindungen,  ent- 
stehen Verbindungen,  die  auf  2  Methjl  zwei  Aethjl  oder  zwei  Amyl 
enthalten,  z.  B. : 

Dimethyldi&thylarsoniumjodid     A8(6H3)2(62H5  ^^^ 
Dimethyldiamylarsoniumjodid     As(€H3)2(65H|i)2J. 

Bildung  und  Darstellung  der  Arsenbasen. 

Die  Arsenbasen   der  Alkoholradicale  können  durch  drei  wesentlich 
verschiedene  Reactionen  erhalten  werden. 

761.  ^    Durch  Einwirkung  der  Jodide  oder  Bromide  der  Alkoholradicale 

auf  Arsen  oder  auf  Arsenmetalle  (besonders  Arsenzink,  Arsennatrium). 

1)  Erhitzt  man  Hethyljodid  oder  Aethyljodid  mit  metallischem  Arsenik 
auf  160®  —  200®,  so  entstehen  in  grossen  orangerothen  Tafeln  kry- 
stallisirende  Doppelverbindungen : 

As(e  HjV  +  AsJ, 
As(e,H5)4J  +  AsJ, 

Unterwirft  man  diese  Doppeljodide  der  Destillation,  so  findet  Zer- 
setzung statt  und  es  destiilirt  wesentlich  Trimethylarsin  oder  Tri- 
ftthylarsin.  Kocht  man  die  Doppeljodide  mit  Kalilauge,  so  wird 
Kaliumjodid  und  arsenigsaures  Kali  gebildet  und  es  scheidet  sich 
ein  schweres  beim  Erkalten  krystallisirendes  Oel  aus,  weiches  Te- 
tramethylarsoniumjodid  oder  Tetraäthylarsoniumjodid  ist  (Ca- 
hours  und  Riche,  Gahours*). 

2)  Erhitzt  man  Verbindungen  von  Arsen  und  Zink  (oder  Cadmium) 
mit  Hethyljodid  oder  Aethyljodid  auf  17i>®  —  180®,  so  entstehen 
graue  Massen,  aus  welchen  heisser  Alkohol  Doppeljodide  auszieht, 
die  beim  Verdunsten  in  glänzenden  Krystallen  erhalten  werden: 

2  As(eH,)4J  4-  ZnJ,  2  As(eH,)4J  +  CdJ, 

2  Aaie^E^)^]  +  ZnJ,  2  As(e)H5)4J  +  GdJ, 

Kocht* man  diese  Verbindungen  mit  Kalilauge,  so  entsteht,  neben 
Jodkalium  und  Zinkoxyd,  Tetramethylarsonium-  oder  Tetra&thylar- 
sonium -Jodid  (wie  bei  1)  [Cahours]. 

8)  Aethyljodid  wirkt  auf  Arsennatrium  (dem  man  zweckmässig  4  —  5 


»)  Ann.  ChenL  tluunn.  CIL  228. 


BUdang  und  Daretellang.  479 

Theile  Quarzsand  zusetzt)  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  ein, 
durch  die  bei  der  Reaction  erzeugte  W&rme  destillirt  das  aber- 
schassige  Methyljodid  grösstentheils  ab.  Zieht  man  das  Produot 
mit«Aelher  aus,  setzt  Alkohol  zu,  verdunstet  den  Aether  und  giesst 
zur  alkoholischen  Lösung  Wasser,  so  bleibt  Tetraäthylarsoniumjodid 
in  Lösung,  während  Arsendiäthyl  gefällt  wird.  Das  letztere  enth&lt, 
wenn  alles  aberschassige  Aethjljodyd  abdestillirt  war,  Tri&thylarsin, 
welches  durch  fractionirte  Destillation  vom  Arsendi&thjl  getrennt 
wird.  Unterwirft  man  das  Rohproduct  der  Darstellung  direct  der 
Destillation,  so  geht  anfangs  Aethyljodid  aber,  dann  Tri&thylarsin 
und  endlich  Arsendiäthyl.  Im  Destillat  bildet  sich  durch  Vereini- 
gung des  Tri&thylarsins  mit  Jod&thyl  krystallisirtes  Tetraäthylarso- 
niumjodid, und  zwar  namentlich  dann  in  grosser  Menge,  wenn  die 
Producte  zusammen  aufgefangen  werden  und  längere  Zeit  stehen 
(Landolt). 

Methyljodid  wirkt  auf  Arsennatrium  in  derselben  Weise  ein.  Man 
erhält  durch  Destillation  Arsendimethyl  (Eakodyl),  Trimethylarsin 
und  Tetramethylarsoniumjodid.    (Gahours  und  Riche). 

IL    Durch  Einwirkung  von  Zinkäthyl   oder  Zinkmethyl  auf  Arsen-  752. 
chlorür  entstehen  Triäthylarsin    oder  Trimethylarsin ,    (vgl.   §.  733).  [Ca- 
hours  und  Hofmann,  Hofmann*)] 

m.    Durch  Destillaten  eines  Gemenges    von  essigsaurem  Kali   mit  768. 
arseniger  Säure  wird  Arsendimethyloxyd   (Kakodyloxyd)   erhalten,  wel- 
chem   eine  kleine  Menge  Arsendimethyl  (Kakodyl)  beigemengt  ist,  wo- 
durch   das    Rohproduct   an    der    Luft    selbstentzandiich    wird.     [Cadet, 
Bunsen.] 

Die  Bildung  einer  Methylverbindung  aus  der  Essigsäure  ist  an  sich  leicht 
verstSndlich  (vgl.  Methylwasserstoff  J.  626,  Radical-Methyl  §.  627  und  Essigsäure). 
Die  Zersetzung  wird  wahrscheinlich  ausgedrückt  durch  die  Gleichung  **): 

A83O,  +  4  eAE^,  =  A82(eaH,)40  +    2  ee,K,    -f     2  ee. 

Arsenige        Essigsäure-  Kakodyloxyd.  Kohlensäure-        Kohlensäure. 

Säure.  Kali  Kali. 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  CII.  876. 

**)  Man  kann  sich  von  der  Zersetzung  in  der  Weise  Rechenschaft  geben,  dass 
man  annimmt,  die  arsenige  Säure  tausche  2  Atome  0  gegenje  2  Methyl 
aus: 

iAB[e  )"V^  (ß^th]K^(m^^  UsCOT,), 

As  e       jX>Te^)IlKa(ee>)>  Jascot,),         ^^ 


480  Arsenverblndangen  der  Alkofaolradicale. 

Aber  es  entstehen  gleichzeitig  auch  secondäre  Prodacte.  Neben  der  Kohlen- 
sfture  entweicht  Methylwasserstoff;  das  Destillat  trennt  sich  in  zwei  Schichten,  von 
welchen  die  untere  rohes  Kakodyloxyd  (Alkarsin)  ist,  (aus  welchem  sich  arsenige 
Säure  und  Arsen  absetzt)  während  die  obere  eine  wässrige  Lösung  dieser  Körper 
ist,  die  ausserdem  noch  Essigsäure  und  Aceton  enthält.  Der  Rückstand  ist  koh- 
lensaures Kali  mit  Kohle  und  Arsenik. 

Zur  Darstellung  erhitzt  man  zweckmässig  ein  Gemenge  von  gleichen  Theilen 
arseniger  Säure  und  essigsaurem  Kali  in  einer  mit  einem  Kühlrohr  versehenen  Glas- 
retorte, die  im  Sandbad  allmählig  erhitzt  wird.  Zur  Reinigung  wird  die  schwerere 
Schicht  des  Destillates  mehrmals  mit  Wasser  gewaschen  und  dann  mit  Wasser 
destillirt.  Das  so  erhaltene  Alkarsin  (Kakodylhaltiges  Kakodyloxyd)  kann 
durch  Destillation  über  Bar3rt  oder  Kalk  getrocknet  werden. 

Dass  aus  ArsendimethylverbinduDgen  andere  ArseobaseD  erhalten 
werden  können,  ist  oben  §§.  748,  750  schon  angegeben. 

Ob  andere  mit  der  Essigsäure  homologe  Säuren  bei  Destillation  mit 
arseniger  Säure  dem  Eakodyl  entsprechende  Verbindungen  liefern,  ist 
bis  jetzt  nicht  mit  Sicherherheit  nachgewiesen  *). 


764  Die  theoretische  Wichtigkeit  vieler  Arsenbasen  der  Alkoholradikale  lässt  es 

zweckmässig  erscheinen ,  den  im  Vorhergehenden  mitgetheilten  allgemeinen  Be- 
trachtungen einige  weitere  Details  beizufügen;  eine  ausführliche  Beschreibung  aller 
hierhergehörigen,  namentlich  aller  vom  Kakodyl  sich  ableitenden  Verbindungen 
würde  die  Grenzen  dieses  Werkes  überschreiten. 

Arsenmethylverbindungen. 

Tetramethylarsoniumverbindungen  sind  bis  jetzt  durch  Einwirkung 
von  Methyljodid  auf  Arsen,  auf  Arseniink  und  auf  Kakodyl  dargestellt  (vgl.  §.  751 
Nr.  I.  1,  2).  Das  Tetramethylarsoniumjodid  ist  eine  krystallisirte  Ver- 
bindung, die  sich  beim  Erhitzen  in  Trimethylarsin  und  Methyljodid  zer- 
legt; von  Kalilauge  wird  es  nicht  angegriffen-,  durch  Silberoxyd  wird  das  Jod  ent- 
zogen und  eine  stark  kaustische  Lösung  von  Tetramethylarsoniumhydrat 
erhalten,  die  beim  Verdunsten  Krystalle  hinterlässt  und  mit  Schwefelsäure  und 
Salpetersäure  zeriliessliche  krystallisirbare  Salze  bildet. 

Das  Trimethylarsin  siedet  bei  120^ 

Arsendimethjly  erb  in  düngen,   Eakodylverbindungen. 

1)  Verbindungen  des  einatomigen  Arsendimethyls.  Bei  Einwir- 
kung von  Methyljodid  auf  Arsen  oder  Arsenzink  wird  Arsendimethyl  (Radical- 
Kakodyl)  als  der  bei  165  —  170^  siedende  Theil  des  Destillates  erhalten.  Das  bei 
Destillation  von  essigsaurem  Kali  mit  arseniger  Säure  gewonnene  Product:  Al- 
karsin, ist    ein  Gemenge   von  Kakodyloxyd  mit  etwas  Kakodyl;  es   siedet  bei 


♦)  Vgl.  Wöhler:   Jahresb.   1847  —  48,  494.  Ann.  Chem.  Pharm.  LXVni.  127. 
(iibbs:  Jahresb.  1853,  439.  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXXVI.  222. 


Kakodylyerbindtmgen.  4gl 

etwa  160*  und  gefiriert  bei  26*  j  es  besitzt  einen  furclitbar  widerlichen  lang  anhaf- 
tenden Qemch  and  ist  selbstentzflndlich.  Es  entzündet  sich  im  Chlorgas,  czplo* 
dirt  mit  rauchender  Salpetersäure  oder  mit  Kalium;  es  ozydirt  sich  leicht,  durch 
langsamen  Luftzutritt,  durch  kalte  concentrirte  oder  heisse  verdünnte  Salpetersäure 
oder  durch  leicht  reducirbare  Metalloxyde,  zu  Eakodylsäure.    Das  Radical-Ka- 

kodyl   =   Ag/OJ£*^*}  i«t  von  Bunsen  durch  Einwirkung  von  Kakodylchlorid  auf 

Zink,  (Zinn  oder  Eisen)  bei  100*  und  durch  Einwirkung  von  Kakodylsulfid  und 
Kakodylbromid  auf  Quecksilber  dargestellt  worden,  es  siedet  bei  170*,  entzündet 
sich  bei  Berührung  mit  Luft  oder  mit  Chlor.  Bei  gemässigter  Einwirkung  von 
Sauerstoff  oder  von  Chlor  wird  es  zu  Kakodyloxyd  oder  zu  Kakodylchlorid;  es 
verbindet  sich  ebenso  direct  mit  Brom,  Schwefel  etc.  —  Das  Kakodyloxyd  s= 

AsröH  ?^l^  wird  am  zweckmässigsten  durch  Einwirkung  von  Kalilauge  auf  unter 

Wasser  befindliches  Kakodylchlorid  und  Destillation  erhalten.  Es  ist  eine  nicht 
selbstentzündliche  und  nicht  rauchende  Flüssigkeit  (Baeyer).  —  Das  Kakodyl- 
chlorid =  As(6H3)2.Cl  erhält  man  aus  Alkarsin  durch  üebergiessen  mit  rau- 
chender Salzsäure,  Zusetzen  von  gepulvertem  Quecksilberchlorid  und  Destillation 
des  entstandenen  Krystallbreies.  Man  behandelt  das  Product  mit  Kalk  und  Clilorcal- 
dum  und  rectificirt.  Das  Kakodylchlorid  ist  eine  farblose  bei  etwa  100*  siedende 
Flüssigkeit,  deren  Dampf  betäubend  wirkt,  durchdringend  riecht  und  die  Schleim- 
häute der  Augen  und  Nase  heftig  angreifL  Es  verbindet  sich  mit  Metallchloriden 
KU  kxystallisirenden  Doppelchloriden.     Das  Kakodylbromid   und   Kakodyl- 

Jodid  sind  dem  Chlorid  völlig  analog.  —  Das  Kakodylsulfid  =  weH^M^ 

entsteht  bei  Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  auf  Alkarsin  oder  bei  Destillation 
von  Kalkodylchlorid  mit  Schwefelwasserstoffbaryum.  Es  ist  eine  an  der  Luit  nicht 
rauchende,  weit  über  100*  siedende  Flüssigkeit  von  durchdringendem  dem  Mer- 
captan  und  dem  Alkarsin  ähnlichem  Geruch.  Kakodylbisulfid  =  [As(6H3)3]2S2 
entsteht  bei  Erwärmen  von  Kakodylsulfid  mit  Schwefel  oder  bei  Einwirkung  von 
Schwefelwasserstoff  auf  Kakodylsäure,  es  bildet  grosse ,  bei  etwa  50*  schmelzende 
Krystalle.  Ein  dem  Kakodylsulfid  entsprechendes  Selenid  wird  durch  Destillation 
von  Kakodylchlorid  mit  Selennatrium  erhalten.  —  Cyankakodyl  (Cyanarsin)  = 
As(€H3)3.6N  ist  von  Bunsen  durch  Destillation  von  Alkarsin  mit  concentrirter 
Blausäure  oder  mit  Qnecksilbercyanid  erhalten  worden.  Es  krystallisirt  in  grossen 
demantglänzenden  Säulen,  die  bei  87«  schmelzen;  es  siedet  bei  140*  und  sublimirt 
bei  Mittelwärme  in  schönen  Krystallen.  Es  ist  äusserst  giftig.  Alle  diese  Kako- 
dylverbindungen  sind  in  Wasser  sehr  wenig  löslich. 

2)  Verbindungen  des   dreiatomigen  Araendimethyls.     Kako- 

dylsäure  (Alkargen)  =  '^(^^^|^3|0,   entsteht  durch  langsame  Oxydation  des 

Alkarsins;  am  besten  durch  Einwirkung  von  Quecksüberoxyd  auf  unter  Wasser 
befindliches  Alkarsin.  Sie  krystallisirt  in  grossen  wasserhellen  Säulen,  die  bei 
200*  unter  theilweiser  Zersetzung  schmelzen.  Die  Säure  ist  geruchlos  und  nicht 
giftig.  Sie  treibt  Kohlensäure  aus  und  gibt  mit  Basen  zum  Theil  krystalllsirbare 
Salze.  —  Eine  der  Kakodylsäure  entsprechende  S ulf o  k ak  o  d  y  1  s  ä  ur e  ist  bis 
jetzt  nur  in  Salzen  bekannt  Diese  entstehen  durch  Einwirkung  von  Schwefelwas- 
serstoff auf  einige  Kakodylsäore^alie  oder  bei  Zersetzung  des  Kakodylbisulfids 
durch  einige  Metalloxyde. 

EckaU,  orfu.  ChMüa.  3| 


1 


482  Arsenverbindimgön  der  Alkoholradicale. 

Daa  Eakodylbisulfid  kann  in  der  That  als  sulfokakodylsanres  Eakodyl  be> 
trachtet  werden.    Man  hat: 

Bleisulfokakodylat.  Eakodylsolfokakodylat 

(Eakod^lbisolfid) 

A8(eH,),i  A8(eH,)ai 

Basisches    Kakodylsuperchlorid    (salzsaore     Eakodyls&nre )    sr 
As(6H^2jOa  (Typus:  2H26-  +  HC1)  entsteht  bei  Einwirkung  von  gasförmiger  oder 

TOn  concentrirter  wSssriger  Salssftnre  auf  Kakodylsfinre  (Bunsen)  oder  ans  Eako. 
dyltrichlorid  durch  Anziehen  von  Feuchtigkeit  aus  der  Luft  oder  durch  Binwirkang 
von  Alkohol  (Baeyer).    Es  krystallisirt  in  grossen  durchsichtigen  ErystaDblättem. 

Eakodyltrichlorid  :=  A8(6H3)3 .  CI3  entsteht  aus  Eakodylchlorid  durch 
directe  Vereinigung  mit  Chlor.  Da  das  Eakodylchlorid  sich  mit  Chlorgas  ent- 
flammt, so  muss  man  die  Einwirkung  dadurch  massigen ,  dass  man  auf  die  Ober- 
fläche eines  Gemenges  von  Eakodylchlorid  und  Schwefelkohlenstoff  Chlorgas  leitet; 
das  Trichlorid  scheidet  sich  in  Erystallblättchen  aus.  Dieselbe  Verbindung  ent- 
steht durch  Einwirkung  von  Phosphorsuperchlorid  auf  Eakodylsäure : 

Eakodylsäure  Phosphorsuper-  Eakodyltrichlorid  Phosphorozy- 

chlorid  4*  Salzsäure  chlorid 

h|1±2 —  \ ci[Jci,p r"cr+^^^'' 

Man  trägt  zu  Phosphorsuperchlorid ,  welches  sich  unter  Aether  befindet,  Ea^ 
kodylsäure  ein,  wascht  die  sich  ausscheidenden  ErystaUflitter  mit  Aether,  löst  in 
derselben  Flüssigkeit  und  erhält  durch  Verdunsten  grosse  Erystalle.  Das  Eako- 
dyltrichlorid zersetzt  sich  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  langsam,  beim  Er- 
wärmen rasch  zu  Arsenmonomethylchlorid  und  Methylchlorid  (Baeyer). 

Ar  senmonometbyl  Verbindungen. 

1)  Verbindungen  des  zweiatomigen  Arsenmonomethyls.  Das 
Arsenmonomethylbichlorid,  als  Zersetzungsproduct  des  Eakodyltrichlorids 
erhalten,  ist  eine  bei  138®  siedende  Flüssigkeit  von  äusserst  unangenehmem  Ge- 
ruch und  furchtbarer  Wirkung  auf  die  Schleimhäute.  Durch  Einwirkung  von 
Schwefelwasserstoff  auf  das  Chlorid  entsteht  krystallisirbares  Arsenmonome- 
thylbi Sulfid.  Zersetzt  man  das  Chlorid  mit  kohlensaurem  Eali,  zieht  mit  AI- 
kohol  aus  und  krystallisirt  den  beim  Verdunsten  des  Alkohols  bleibenden  Rück- 
stand aus   Schwefelkohlenstoff  um,  so   erhält  man  Arsenmonomethylozyd 

AsCOHj)  0,  in  schönen  durchsichtigen  Erystallen,  die  bald  porccUanartig  werden. 

0 
Das  Arsenmonomethyljodid  =   As(6H3>.J2   wird   in    grossen  goldgelben 

Nadeln  durch  Einwirkung  von  Jodwasserstoff  auf  das  Oxyd  erhalten. 

2)  Verbindungen  des  vieratomigen  Arsenmonomethyls.  Durch 
Einwirkung  von  Silberoxyd  auf  Arsenmonomethylbichlorid  wird  Arsenmonome- 
thylsäure  gebildet^  während  gleichzeitig  Chlorsilber  und  metalliecbei  SÖbar  enl- 


Arsenverbindimgen  der  Alkoholradicale.  483 

stehen.  Die  ArsenmonomethylsAnre  ist  eine  Inftbeständige  krystallisirbare  Sub- 
stanz; sie  ist  sweibasisch;  man  hat: 

Arsenmonomethylsfture        Silbersalz  Barytsalz  *) 

A8(efl^)u^         Ä»(eH,)j^^       ^(«H?)U^ 

Leitet  man  Chlorgas  anf  ein  stark  abgekühltes  Gemenge  von  Arsenmonome- 
thylbichlorid  und  Schwefelkohlenstoff,    so  scheiden  sich  grosse  KrystaUe  aus,  die 

offenbar  Arsenmonomethyltetrachlorid  =  As(6H,) .  CI4  sind.  Sie  zer- 
fallen sobald  die  Temperatur  sich  dem  Gefrierpunkt  nfihert  in  Methylchlorid  und 
Chlorarsen. 

Arsenftthyl  Verbindungen. 

Diese  Verbindungen  sind  wesentlich  von  Landolt  untersucht.  Das  Tetra- 
ftthylarsonium  bildet  meist  leicht  krystallisirbare  Verbindungen,  man  kennt  Chlorid, 
Bromid,  Jodid,  ein  Chlorplatin-Doppelsalz  und  die  freie  Base  als  Hydrat.  Das 
Triäthylarsin  siedet  bei  140^^  -  180<*.  Das  Triäthylarsinoxyd  ist  flüssig,  das  Sulüd, 
Bromid  und  Jodid  sind  krystallisirbar: 

Triftthylarsin.         Oxyd.  Snlfid.  Bromid.  Jodid. 

A8(6aH,),      As(eaH^)aG        AsCejHft),.^        AsCGaH^a-Bra        As(eaH5),.J, 

Das  Arsenbiäthyl  entspricht  in  allen  Eigenschaften  dem  Eakodyl.  Es 
siedet  bei  185^—190®,  ist  selbstentzündlich,  gibt  mit  Chlor  oder  Jod  direct  Ver- 
bindungen und  wird  durch  Oxydation  in  eine  der  Kakodylsäure  ensprechende  Säure 

Übergeführt;  Arsenbiäthylstture:  ^^t^»^*Mej|. 

Platin-  und  goldhaltige  Arsenbasen. 

Die  Existenz  platin-  und  goldhaltiger  Basen,  die  sich  vom  Triäthyl-  766. 
arsin  ableiten  und  bei  Einwirkung  von  Platinchlorid  oder  Goldchlorid  auf 
eine  alkoholische  Lösung  dieser  Base   entstehen,   ist  von  Hofmann**) 
angekündigt: 

Plato  -Triathylarsoniumchlorid  A8(e2H5)3PtCl 
Auro  -  Triäthylarsoniumchlorid  A8(62Hs)3 AuCl. 

Sehr  merkwürdige  platinhaltige  Verbindungen  von  noch  unbekann- 
ter Natur,  sind  von  Bunsen  aus  Eakodylchlorid  erhalten  worden*  Setzt 
man  nämlich  zu  einer  Lösung  von  Platinchlorid  Eakodylchlorid,  so  ent- 
steht ein  roihgelber  Niederschlag  von  Eakodyl -Platinchlorid  [A8(6H3)2C1 
-)-  PtCl)];  wird  dieser  mit  Wasser  gekocht,  so  löst  er  sich  auf  und  es 
krystallisirt  beim  Erkalten  das    Chlorid   einer   platinhaltigen   Base;  aus 


•)  Vgl.  5.  810.  Anmerk. 
**)  Ann.  CheuL  Pharm.  Cm.  867. 

31  • 


484  ADtimoilyerbindimgen  der  Alkoholradicale. 

diesem  köonen  dann  andere  Salze  der  Base  erhalten  werden.  Bansen  be* 
trachtet  diese  Verbindungen  als  Salze  eines  Kakodjls,  in  welchem  1  Atom  H 
durch  Platin  ersetzt  ist;  Gerhardt  hält  es  für  wahrscheinlicher,  dass 
zwei  Atome  Wasserstoff  durch  1  Atom  des  zweiatomigen  Platins  ver- 
treten sind.    Man  hätte: 


UOHjPt) 
=  As  (6- 


Eakoplatylohlorid  rr  AsOsH^PtCa  =  AaiOBE^ 
oder  =  AseAPtCl  =  As^eHjJ*^^ 

Antimonbasen  der  Alkoholradicale. 

75G.  Die  Antimonverbindungen  der   Alkoholradicale  schliessen  sich,  so 

weit  sie  bis  jetzt  bekannt  sind,  in  Zusammensetzung  und  in  Eigenschaften 
enge  an  die  entsprechenden  Arsenverbindungen  an.  Die  Zahl  der  bis 
jetzt  bekannten  Antimonverbindungen  ist  indessen  weit  geringer  als  die 
der  Arsenverbindungen  (vgl  $.  743).  Man  kennt  nur  die  den  folgenden 
Formeln  entsprechenden  Verbindungen:  (S  zr  Alkoholradical) 

Sb  R  R  Cl^-^^==8'>  R  R  R  Cl  CL 

Vom  Methyl  sind  Stibinverbindungeu  und  Stiboniumverbindungen  be- 
kannt, aber  nur  die  letzteren  genauer  untersucht  Vom  Badical  Aethjl 
sind  beide  Gruppen  von  Verbindungen  ausführlich  untersucht  Vom 
Amjl  kennt  man  ausserdem  ein  dem  Eakodjl  entsprechendee  Stibdi- 
amyl. 
757.  Geschichte  der  Antimonbasen.     Die  Antimonbasen    wurden 

1850  von  Löwig  und  Schweizer*)  entdeckt;  diese  Chemiker  erhiel- 
ten durch  Einwirkung  von  Aethyljodid  auf  Antimonkalium  das  Triäthyl- 
stibin.  Landolt**)  stellte  1851  die  entsprechende  Methylverbindong 
dar,  er  beobachtete  gleichzeitig  die  Bildung  des  Tetramethylstibo- 
niumjodids  und  untersuchte  die  Abkömmlinge  dieses  Körpers*  R. 
Löwig  ***)  beschrieb  dann  1855  die  Verbindungen  des  Teträthyl- 
stiboniums.  Die  amylhaltigen  Antimonbasen  sind  von  Berld  f)  (und 
von  Gramer)  dargestellt    W*  Merck  ff)  erhielt  dann  vom  Tri&thylstibin 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXV.  815.  827.'  Jahresber.   1850.  470.  —    VgL  auch 

Löwig,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXXVIIL  828. 
••)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXVHL  91;  LX2LS1V.44.  Jahresb.  185L  501;  1852.694 
•••)  ibid.  XCVIL  822.  ibid.    1865.  582. 

t)  Ibid.  XCVn.  8ia  ibid.    1856.  586. 

tt)  ibid.  ZCVn.  829.  ibid.    1855.  582. 


AntinonrerblndangeQ  der  Alkoholradieale.  485 

eigenthümliche  basische  Verbindangen  (Ozychlorid  etc.),  die  von 
Strecker*)  zuerst  richtig  interpretirt  wurden.  Stibouiumyerbindungen, 
die  gleichzeitig  mehrere  Alkoholradicale  enthalten  sind  von  Friedlän- 
der **J  untersucht  worden. 

Bildung    und  Darstellung  der  Antimonbasen.    Die  Anti-   758. 
monbasen  entstehen  bei  Einwirkung   von  Antimonkalium  auf  die  Jodide 
der  Alkoholradicale. 

Man  verfährt  dabei,  nach  Low  ig  and  Schweizer  in  der  Weise ,  dass 
man  Antdmonkaliam  (durch  heftiges  Glühen  von  5  Th.  Weinstein  mit  4  Th.  Antimon 
erhalten)  mit  2  —  8  Th.  Quarzsand  pulvert,  in  kleinen  Kölbchen  mit  dem  Jodid 
des  Alkoholradicals  (Aethyljodid  z.  B.)  befeuchtet  und  in  einem  mit  Kohlensäure 
geftUlten  Destillirapparat  abdestillirt.  Man  erhält  Triathylstibin  und  Teträthylsti- 
boniumjodidj)  welches  letztere  durch  Einwirkung  des  überschüssigen  Aethyljodids 
auf  Triathylstibin  entsteht 

Auch  durch  die  umgekehrte  Reaction,  d.  h.  durch  Einwirkung  von 
Zinkätbyl  auf  Antimonchlorid  kann  Triathylstibin  erhalten  werden.  (Hof- 
mann  **♦). 


Da  die  Aethylverbindungen    des   Antimons    am    besten   untersucht  759« 
sind,   werden  diese  genauer  beschrieben    die  entsprechenden  Methylver- 
bindungen dagegen  nur  kurz  erwähnt 

Methylantimonverbindungen.  Durch  EÜnwirkuDg  von  Methyljodid 
auf  Antimonkalium  und  Destillation  wird |Trimethylsti  bin  =  Sb  (0H3)3  erhal- 
ten, als  farblose  rauchende  an  der  Luft  selbst-entzündliche  Flüssigkeit.  Es  verbin- 
det sich  direct  mit  2  Gl ,  2  Br,  2  J  oder  auch  mit  6-,  S  etc.  und  verhält  sich  über- 
haupt genau  wie  Triathylstibin.  Das  Trimethylstibiu  verbindet  sich  schon  in 
der  Kälte  mit  Methyljodid  zu  einer  weissen  Krystallmassc  von  Tetramethyl- 
stiboniumjodid  =  Sb(6Hs)4J.  Dieses  bildet  den  Ausgangspunkt  zur  Dar- 
stellung andrer  Teiramethylstibonium  -  (oder  Stibmethylium-)  Verbindungen.  Durch 
Einwirkung  von  Salzsäure  oder  Bromwasserstoffsäure  entstehen  unter  Freiwerden 
von  Jodwasserstoff,  durch  Einwirkung  von  Chlor  oder  Brom  unter  Freiwerden 
von  Jod,  das  Tetramethylstibonium  -  Chlorid  und- bromid.  Beide  werden  indess 
zweckmässiger  durch  Zersetzen  des  Jodids  mit  Lösungen  von  Quecksilber-chlorid 
oder-  bromid  erhalten.  Das  Bromid  und  Jodid  krystallisiren  in  Nadeln,  das  Chlo- 
rid in  hezagonalen  Tafeln ,  es  gibt  mit  Piatinchlorid  einen  orangegelben  krystalli- 
nischen  Niederschlag  von:  Sb(6H3)4Cl  -|-  PtCl^.  Durch  Zersetzung  des  Jodids 
mit  Silberozyd  wird   eine  stark  kaustische  Lösung  erhalten,    die  beim  Verdunsten 

Tetramethylstiboniumhydrat  =       ^      'hI^  ^  weisse  krystallinische  Masse  hin- 

terlässt    Die  Lösung  der  Base  gibt  mit  Schwefelwasserstoff  ein  Sulfid,    welches 
sich  beim  Eindampfen  als  grünes  amorphes  Pulver  abscheidet    Salpetersäure  gibt 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  CV.  806.    Jahresb.  1868.  886. 
••)  Jahresber.  1867.  428. 
•••)  Ann.  Chem.  Pharm.  CIH  867.    Jahresb.  1867.  380. 


486  AnilaiODVfiibinckmg»!  d«r  Alkfi^olyactt^iJa. 

eSsR  kiystallisirbaies  S^  Sdiwefelaftnre  eneugt  twd  Salse,  «in  onores  und  ein 
neutrales. 

Antimon  äthylier  bin  düngen. 

760.  Tri&thylstibin.    Das  Tri&thylstibin  wird,  wie  oben  (§.  758)  er- 

wähnt durch  Destillation  von  Aethyljodid  mit  Antimonkalium  gewonnen; 
durch  Rectification  des  Productes  erhält  man  es  rein ,  als  farblose  an  der 
Luft  rauchende  und  selbstendzündlicbe  Flüssigkeit.  Es  siedet  bei  158®,5; 
sp.  Gew.  1,3244,  es  ist  in  Wasser  unlöslich,  löslich  in  Alkohol  und 
Aether.  Das  Triäthylstibin  entzündet  sich  mit  Sauerstoff,  mit  Chlor  und 
mit  Brom.  Bei  langsamer  Einwirkung  der  Elemente  entstehen  Verbin- 
dungen mit:  2  Gl,  2  Br,  2  J  oder  mit  O,  S.    Z.  B.: 

Triäthylstibinchlorid  Triäthylstibinozyd. 

sbtejHj), .  cij  sb(e,H5),  e. 

Bei  Einwirkung  von  Sauerstoff  wird  neben  dem  in  Aether  löslichen 
Triäthylstibinoxyd  ein  in  Aether  unlösliches  Pulver  erzeugt  (antimonsaures 
Triäthylstibin).  Wird  Triäthylstibin  mit  concentrirter  Salpetersäure  zu- 
sammengebracht, so  tritt  Entzündung  ein ;  verdünnte  Salpetersäure  bil- 
det neutrales  salpetersaures  Triäthylstibin  (siehe  unten).  Bemerkens- 
werth  ist  das  Verhalten  des  Triäthylstibins  gegen  Salzsäure,  dabei  wird 
nämlieh  nicht:  Sb(62H5)3 .  HCl  erzeugt,  sondern  Triäthylstibinchlorid: 
Sb(62H5)3Cl2  unter  Freiwerden  von  Wasserstoff.  Das  Triäthylstibin,  ob- 
gleich dem  Typus  NH3  zugehörig,  zeigt  also  nicht  die  für  den  Typus 
Ammoniak  im  Allgemeinen  charakteristische  Reaction ,  es  verbindet  sich 
nicht  direct  mit  Salzsäure.  Es  verhält  sich  vielmehr  wie  ein  metallähn- 
liches Radical,  d.  h.  es  treibt  den  Wasserstoff  aus,  indem  es  2  Atome 
Wasserstoff  ersetzt.  Das  Triäthylstibin  ist  demnach  in  dieser  Reaction, 
wie  in  seinem  gesammten  Verhalten  zweiatomig. 

Das  Triäthylstibinoxyd  =  Sb(62H5),0,  durch  langsame  Oxydation 
des  Triäthylstibins ,  durch  Zersetzung  des  Jodids  mit  Silberoxyd  oder  des  schwe- 
felsauren Salzes  mit  Barytwasser  dargestellt,  ist  nach  möglichster  Concentration 
eine  farblose  zähe  unkrystallinische  Masse,  die  in  Wasser,  Alkohol  und  auch  in 
Aether  löslich  ist,  und  mit  Säuren  direct  Salze,  mit  Schwefelwasserstoff  ein  kry- 
stallisirbares  Sulfid  eraeugt  Das  Chlorid  und  Bromid  sind  flüssig  und  in  Wasser 
unlöslich,  letzteres  erstarrt  bei  —  10®  zu  weissen  Ery  stallen.  Das  Jodid,  am 
zweckmässigst^n  durch  Zusatz  von  Jod  zu  einer  alkoholischen  Lösung  von  Tri- 
äthylstibin erhalten,  bildet  farblose  Krystalle,  die  bei  70^,5  schmelzen. 

Eigenthümliche  Verbindungen:  ein  Oxy bromid,  Oxyjodid  etc.  sind  von  Merck 
erhalten  worden.    Die  Zusammensetzung  dieser  Körper  ist: 

Triäthylstibinoxjrjodid.        Triäthylstibinoxyjodid      Typus. 

Sb(e,H.)i^O  2HJ 

Sb(9A).^  +  SbceA^A  oder    si^J^|g^^|  j  j,  H,0 


Aalt]iuni?«iliindii]ig«ii  der  Alkoliolnidleak.  487 

Das  beim  Abdampfen  sidi  in  octaediischen  ErystiUen  ansecheidende  Tri- 
äthylstibinoxyjodid  entsteht  z.  B.  durch  directe  Vereinigung  von  Triäthylstibiiyodid 
mit  Triftthylstibinoxyd  (S  treck  er)  oder  auch  (wahrscheinlich  unter  Vermittlung  des 
Sauerstoffs  der  Luft)  wenn  statt  des  Oxyds  das  Triaethylsübin  mit  dem  Jodid  zu- 
sammengebracht wird;  man  erhält  dieselbe  Verbindung  auch  durch  Einwirkung 
Yon  wfissrigem  Ammoniak  auf  Triäthylstibinjodid: 

Triäthylstibinjodid.  Triäthylstibinoxyjodid. 

2Sb(eAV2  +  2NH3  +  H,0  =  sbSÄä?,    +  2NH.J 

Durch  Zersetzen  des  Ox>jodids  mit  salpetersaurem  Silberoxyd  erhielt  Merck 
ein  krystallisirendes  basisch  salpetersaures  Salz,  welches  beim  Eindampfen 
mit  Terdünnter  Salpetersäure  zu  dem  oben  schon  erwfthnten  neutralen  salpe- 
tersauren Salz  wird*).    Man  hat: 

Basisch  salpetersaures  Neutrales  salpetersaures 

Tri&thylstibin  Triäthylstibin. 


sb(eA)s^  sb(eA)a 

NO, 


n 


e,  N0,  e. 


Teträthylstiboniamjodid   =  Sbce,!!«)«!    entsteht  beim   Er-  761. 
hitzen  Ton  Tri&thjlstibin  mit  Aethyljodid  auf  100^:  ea  verh&lt  sieh  genau 
wie  die  entsprechende  Methylverbindung  (§.759)  und  dient  als  Ausgangs- 
punkt  zur  Darstellung   anderer   Teträthylstibonium  -  (Stibäthylium-)   yer- 
bindungen. 

EinMethyl.Triäthyl8tiboniumjodid=Sb(eaHB)t(eH,)JistYon 
Friedländer  durch  Einwirkung  von  Methyljodid  auf  Triäthylstibin  er- 
halten worden;  aus  ihm  werden  andere  Verbindungen  dieser  gemischten 
Antimonbase  dargestellt 

Antimonamylverbindungen.     Durch  Einwirkung   von  Amyl-   762« 
Jodid  auf  Antimonkalium  wird  Triamylstibin    erzeugt,   welches  man  ent- 
weder durch  Destillation  (Gramer)   oder   durch  Ausziehen    mit  Aether 
(BerU)  reinigen  kann;  es  verhält  sich  im  Allgemeinen  wie  die  entspre- 
chenden Methyl-  und  Aethyl Verbindungen.     Durch  Destillation  erleidet  es 

(nach  6erl6)  Zersetzung  und  es  wird  dabei  Stibdiamyl  =  85/9*11  ^*^'| 
gebildet,  eine  dem  Eakodyi  entsprechende  Verbindung,  weiche  nicht 
krystallisirbare  und  bis  jetzt  nicht  näher  untersuchte  Salze  bildet. 

Platin-  und  goldhaltige  Antimonbasen. 

Wie  für  die  Phosphor  -  und  die  Arsenbasen ,    so  sind  auch  für  das   763. 
Triäthylstibin  platin  -  und  goldhaltige  Verbindungen  dargestellt,   aber  bis 
jetzt  nicht  näher  beschrieben  (vgl.  §§.  741.  755). 


*)  Diese  Sabe  entsprechen  den  beiden  Salpetersäure- Salzen  der  zweiatomigen 
Metalle  z.  B.  des  Quecksilbers.    Vgl   §.  810.  Anm.  und  f.  777. 


488  WismothTerfafaidaiigen  der  Alkdliolndieale. 

Wismnthbasen  der  Alkoholradicale. 

764.  Löwig  und  Schweizer*)   beobachteten,    dass   bei  Einwirknng^ 

von  Aethyljodid  auf  Wismnthkalium  (erhalten  durch  Olahen  eines  Ge- 
menges von  Wismuth  (5  Th.)  mit  Weinstein  (4  Th.))  eine  dem  Triftthyl- 
stibin  ähnliche  Verbindung  entsteht.  Diese  wurde  dann  von  Breed^*) 
und  später  von  Dünhaupt***)  näher  untersucht 

Triäthylbismuthin  =  BiCejHft)!«  Da  diese  Verbindung  nicht 
destillirbar  ist,  so  wird  das  Product  der  Einwirkung  von  Aethyljodid  auf 
'Wismuthkalium  mit  Aether  ausgezogen,  der  Lösung  Wasser  zugesetst 
und  der  Aether  durch  Verdampfen  entfernt;  das  Triäthylbismuthin  schei- 
det sich  dabei  als  gelbliche  leichtbewegliche  FlQssigkeit  aus  (sp.  Grcw. 
1,82)  die  mit  Wasser  und  selbst  mit  Aether  destillirt  werden  kann,  fiCIr 
sich  aber  nicht  flüchtig  ist  Die  Verbindung  ist  selbstentzandlich,  erleidet 
beim  Erhitzen  bei  etwa  50^  Zersetzung  und  explodirt  bei  150®  mit  Hef- 
tigkeit 

Das  Triäthylbismuthin  gibt  nur  wenige  gut  charakterisirte  Verbin- 
dungen. £s  zersetzt  sich  leicht  unter  Bildung  unorganischer  Wismuth- 
verbinduDgen.  So  scheidet  z.  B.  der  Sauerstoff  der  Luit  aus  der  alkoho- 
lischen oder  ätherischen  Lösung  der  Base  Wismuthhydrat  =  (  g  \  'J 
aus.  Die  Darstellung  des  Triäthylbismuthinoxyds  =  BiCG^H^ljO  gelang 
nicht    Lässt  man  auf  die  wässrige  Lösung  Schwefelwasserstoff  einwir- 

bTi 
ken,    so    erhält    man     ein    Doppelsulfid:     Bi(e2H5),9  -f-  ^\^r 

Interessant  ist  die  Einwirkung  von  Quecksilberchlorid  auf  Triäthyl- 
bismuthin. Wird  nämlich  eine  alkoholische  Lösung  von  Quecksilberchlo- 
rid eingegossen,  so  scheidet  sich  reines  Quecksilberchlorttr  aus;  verf&hrt 
man  dagegen  umgekehrt,  so  bleibt  die  Flüssigkeit  anfangs  klar,  später 
entsteht  ein  starker  Niederschlag,  der  sich  beim  Erwärmen  im  Wasserbad 
wieder  löst;  beim  Erkalten  setzt  die  FlQssigkeit  dann  Erystalle  von 
Hercuräthylchlorid  z=:  Hg (620^)01  ab,  während  die  Lösung  das 
Chlorid  einer  neuen  Wismuthbase:  Bismuthomonäthylchlorid  =r:  BiGsH^Cl) 
enthält 

Die  Zersetzung  kann  aufgefasst  werden  als: 
Tri&thylbismuthin  2  Mol.  Qaecksilber-    Bismathomon-        Hydrargyräthyl* 

Chlorid.  äthylchlorid  chiorid. 


e,H, 


'ft 


•)  Jahresb.  1860.  477. 

•*)  ibid.  1862.  601.    Ann.  Chem.  Pharm.  LZXXU  106. 
•••)  ibid.  1864  684.  ibid.  XCIL  871. 


BoriMhyl.  489 

SetEt  man  su  dieser,  das  BismuthomoBftthyloUorid  enihalteDden  Lö- 
sung, Jodkalium,  so  färbt  sich  die  Flüssigkeit  intensiv  gelbroth;  fügt  man 
Wasser  zu  bis  zur  Trübung,  erwärmt  im  Wasserbad  bis  die  Flüssigkeit 
wieder  klar  wird  und  lässt  erkalten,  so  scheiden  sich  goldgelbe  sechsseitige 
Bl&ttchen  aus,  von  Bismuthomonäthyljodid  =  Bi(02H5)J2.  Dieses 
Jodid  ist  die  beständigste  Verbindung  der  neuen  Base  und  selbst  diese 
wird  durch  Jodkalium  allmälig  zu  Wismuthjodid  zersetzt.  Das  Chlorid, 
das  salpetersaure  und  das  schwefelsaure  Salz  des  Bismuthomon- 
äthyls  sind  ebenfalls  krystallisirbar ,  aber  sehr  unbeständig.  Bismutho- 
monäthyloxjd :  Bi(62H5)0,  scheint  der  gelbe]  amorphe  Niederschlag  zu  sein, 
welcher  von  nicht  überschüssiger  Kalilauge  in  der  Lösung  des  Jodides 
hervorgebracht  wird.  Wird  dieser  Niederschlag  mit  Alkohol  ausgewaschen 
und  im  luftleeren  Raum  rasch  getrocknet,  so  tritt,  solbald  er  mit  Luft  in 
Berührung  kommt,  Entzündung  ein. 


BoräthyL 


An  die  im  Vorhergehenden  beschriebenen  Verbindungen  der  Alko-  766. 
holradicale  mit  den  Elementen  der  Stickstoffgruppe,  schliesst  sich  zu- 
nächst noch  das  Boräthyl  an.  Das  Bor,  obgleich  in  seinem  chemi- 
schen Charakter  wesentlich  verschieden  von  Stickstoff^  Phosphor,  Arsen, 
Antimon  und  Wismuth,  ist  dennoch  dreiatomig  wie  diese.  Der  Bor- 
säureäther (§.  683)  enthält  dreimal  das  Radical  Aethyl  im  Molecül, 
das  Boräthyl  enthält  ebenso  in  1  Mol.  3  Rad.  Aethyl,  verbunden  mit 
einem  Atom  Bor.  Es  entspricht  völlig  dem  Borchlorid :  B0CI3;  man  könnte 
es  als  Borchlorid  betrachten,  dessen  Chlor  durch  Aethyl  vertreten  ist. 

Das  Boräthyl  hat  bis  jetzt  nicht  aus  dem  Borchlorid  erhalten  wer- 
den können;  es  wurde  in  neuester  Zeit  vonFrankland  undDuppa**) 
durch  eine  eigenthümliche ,  in  theoretischer  Hinsicht  sehr  interessante 
Reaction  dargestellt,  nämlich  durch  Reduction  des  Borsäureäthyläthers. 
Mischt  man  diesen  Aether  mit  Zinkäthyl  ($.  770),  so  findet  Erwärmung 
statt;  der  Borsäureäther  tritt  seinen  Sauerstoff  an  das  Zinkäthyl  ab,  es 
entsteht  Zinkäthylat  und  Boräthyl.    Man  hat: 

Borsäureäthyläther.  Zinkäthyl  Boräthyl.  Zinkäthylat. 

^  feA),(^»  +  3  Z«(^2H5),  =  2  BoCe^H^),  +  3  foA), j^*- 

Das  Zinkäthyl  wirkt  also  bei  dieser  Reaction  einfach  reducirend,  ge- 
Wissermassen  wie  ein  MetalL 


*)  Die  Dampfdichte  des  Borttthyls   wurde  gefunden  8.4;   die  Molecularformel: 

BoC^^H«),  führt  zur  Dampfdichte:  8.88. 
*•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXY.  819. 


Dm  Borftthyl:  60(0^),,  durch  DestiDatioii  geranigt,  ist  eine 
fiffMose  leiditbewegÜdie  FlOssigkeii  (sp.  Gew.  0.69);  es  siedet  bä  95* 
imd  besitzt  einen  stecfaeoden  Genieh,  seine  Dampfe  reizen  stark  za  Thrft- 
nen  nnd  greifen  die  Schleimhtate  heftig  an.  Es  entsllndet  sieh  an  der 
Loft  und  brennt  mit  schön  grflner,  rossender  Flamme.  In  Wasser  ist  es 
nnlöslieh  und  wird  langsam  sersetsi. 

Lässt  man  das  Borathyl  sich  langsam  oxydiren,  indem  man  es  in  einem 
Kolben  der  Einwirkung  trockner  Loft  nnd  zolelzt  der  Einwirknng  Ton  Sauerstoff 
aosaetzt,  so  entsteht  eine  bei  gewöhnlichem  Druck  unter  theÜweiser  Zersetsnng, 
im  Kohlensänrestrom  uniersetzt  flächtige  Flüssigkeit,  die  bei  höherer  Temperatur 
nedet    als    das   BorSthjl    selbst.      Diese    Substanz    hat    die  Zusammensetanng : 

m 

Bo(0)H^)}03;  sie  kann  als  ein  Oxyd  des  Boräth^  betrachtet  werden^  oder  aach 
als  intermediär  swischen  dem  Borathyl  und  dem  Bonsäureithylather.    Man  hat: 

BorithyL  (unbekannt),  BorStibylozyd.  BorsftureStfayl- 

äther. 

BO  I  ^  »Ä  BO  4^  BO  »rv 

(GA).»  (eA).r  (eA),r»  (eA).r' 

Typus:    3 H,  H,  +  H,e  1 H^  +  2Hs0  3H,0 

Das  Boräthyloxyd  wird  von  Wasser  rasdi  serselzt,  es  entsteht  Alkohol 
und  eine  flflchtige  S abstanz,  die  leicht  in  weissen  Krystallblattem  sublimirt.  Dieae 
Substanz  hat  die  Zusammensetzung:  l^o{^^^iA^^\  sie  ist  also  Boräthylozyd^ 
welches  2  Aethyl  gegen  2  At  .Wasserstoff  ausgetauscht  hat,  sie  zutsteht  dem 
unbekannten  sauren  Aether  der  Borsäure  in  derselben  Beziehung  wie  das  Bor- 
äthyloxyd zum  neutralen  Borsäureäther.  Ihre  Bildung  erklärt  sich  aus  der  Glei- 
chung: 

Boräthjloxyd. 

m 

Bo 


Bo 

(^jHs); 


Je,    +2H,0=eAJe,    +2  ^»^4(0 


Verbindungen    der   Alkoholradieale    mit    einatomigen   Me- 
tallen. 

766.  Ihrem  Oesammtverhalten  nach  scheinen  nur  das  Kalium,  Na- 
trium, Lithium  und  Silber  einatomige  Metalle  zu  sein.  Die  Verbin- 
dungen mit  Alkoholradicalen  sind  nur  für  die  beiden  ersteren  bekannt 
und  selbst  diese  kennt  man  nicht  in  reinem  Zustaud.  Vom  Lithium  weiss 
man  nur,  dass  es  eine  entsprechende  Verbindung  bildet;  die  Versuche, 
Silberäthyl  darzustellen,  haben  bis  jetzt  keine  Resultate  geliefert 

767.  Natriumäthyl.  Von  Wanklyn  *)  1857  entdeckt.  Das  Na- 
triumftthyl  kann  nicht  durch  Einwirkung  von  Natrium  auf  Jodäthyl  er- 
halten werden  (vgl  weiter  unten);   dagegen  entsteht  es,   wenn  Natrium 


^)  Ann.  Chem.  Pharm.  CVIH  67. 


VAtprimnSthyl.  491 

bei  gewöhnlicher  Temperatur  auf  Zinkäthyl  einwirkt  Aber  auch  ao  wird 
nicht  freies  Natriumäthjl,  sondern  eine  Verbindung  von  Katriumfttbjl  mit 
Zink&thyl  erhalten. 

Hat  man  Natrium  (1  Th.)  auf  reines  Zinkäthyl  (10  Th.)  während  mehrerer 
Tage  einwirken  lassen,  so  ist  alles  Natrium  aulgelöst  und  dafür  eine  äquivalente 
Menge  Zink  gefSUt  Die  zähe  Flüssigkeit  ist  eine  Lösung  der  Verbindung  von  Na- 
triumäihyl  mit  Zinkäthyl  in  überschüssigem  Zinkäthyl.  Durch  Abkühlen  dieser 
Flüssigkeit  auf  0®  erhält  man  grosse  Krystalle  der  Verbindung  von  Natriumäthyl 
mit  Zinkäthyl;  verdunstet  man  das  Zinkäthyl  in  einem  Strom  von  Wasserstofifgas, 
so  bleibt  dieselbe  Verbindung  in  Krystallen  zurück,  die  bei  27^  schmelzen.  Die 
Zusammensetzung  dieser  Verbindung  ist:    ZucBqHs),  -{-  Na(62H^. 

Es  gelingt  nicht  aus  dieser  Verbindung  reines  Natriumäthyl  abzuscheiden. 
Bei  gelindem  Erwärmen  erleidet  die  Verbindung  Zersetzung,  indem  aller  Kohlen- 
stoff und  Wasserstoff  entweicht,  während  metallisches  Natrium  und  Zink  zurück- 
bleiben. Erwärmt  man  die  krystallisirte  Verbindung  mit  Natrium  im  V^asserbad, 
so  tritt  ebenfalls  Zersetzung  ein.  Von  Wasser  wird  die  Verbindung  augenblicklich 
zersetzt,  es  entsteht  Zinkozyd-  und  Natronhydrat,  während  reiner  Aeihylwasser- 
stoff  entweicht  Die  Verbindung  ist  selbst  entzündlich  und  verbrennt,  der  Luft  aus- 
gesetzt, explosionsartig. 

Lässt  man  zu  einer  Lösung  von  Natriumäthyl  in  Zinkäthyl  Jodäthyl  zutreten, 
so  findet  augenblicklich  Zersetzung  statt,  indem  Jodnatrium  gebildet  wird,  während 
ein  Gas  ^entweicht,  welches  aus  gleichen  Volumen  Aethylwasserstoff  und  Aethy- 
len  besteht: 

Natriumäthyl  Aethyljodid      Aethylwasserstoff      Aethylen 

NaC^aEj)      +      «A.J      =      OaHj.H      +      B^E^      +     NaJ. 

Diese  Zersetzung  erklärt,  warum  bei  Einwirkung  von  Natrium  auf  Jodäthyl 
kein  Natriumäthyl  erhalten  wird*,  insofern  nämlich  das  Natrium  erst  bei  Tempera- 
turen, die  höher  sind  als  100®  auf  Aethyljodid  zersetzend  einwirkt,  während  das 
etwa  gebildete  Natriumäthyl  momentan  von  dem  überschüssigen  Aethyljodid  zer- 
setzt wird.  Bei  Einwirkung  von  Natrium  auf  Aethyljodid  findet  also  eine  ganz 
ähnliche  Reacüon  statt,  wie  diejenige  bei  Einwirkung  von  Zink  auf  Jodwasserstoff ; 
der  bei  der  letzteren  Reaction  vielleicht  als  Zwischenglied  gebildete  Zinkwas- 
serstoff hat  bei  Gegenwart  von  Jodwasserstoff  eine  eben  so  ephemere  Existenz  wie 
das  Natriumäthyl  bei  Gegenwart  von  Jodäthyl  *). 

Das  Natriumathyl  verbindet  sieh  leioht  mit  Kohlensäure  und  erzeugt 
propionsaures  Natron  **). 

Natrium&thjl  Propionsaures  Natron 

Na(eA)    +    602     =    esHjNaez. 

KaliumäthjL  (Wanklyn).  Kalium  wirkt  noch  heftiger  auf  Zink- 
äthyl ein 9  als  Natrium,  man  erhält,  wie  bei  Anwendung  von  Natrium 
eine   krystallisirbare  Doppelverbindung   von   Kaliumäthyi  mit  Zänkäthyl« 


*)  Frankland,  Ann.  Chem.  Pharm.  CX.  107. 
••)  Wanklyn,  ibid.  CVIL  126. 


492  Zfadcrerbindiingen  der  Alkohölndioale. 

Natrinmmethjl*)  kann,  in  entsprechender  Weise,  dareh  Einwir- 
kung von  Natrium  auf  Zinkmethjl  (oder  dessen  Lösnng  in  Aether)  er- 
halten werden«  Es  verbindet  sich  direct  mit  Eohlens&are  und  bildet  so 
essigsaures  Natron  (vgl.  $.  795). 

Verbindungen  der  Alkoholradicale  mit    zweiatomigen 

Metallen. 

768.  Zu  den  sweiatomigen  Metallen  können  mit  Sicherheit  das 
Quecksilber  und  das  Zink  gerechnet  werden.  An  dies  letztere  rei- 
hen sich  an:  das  Cadmium  und  das  Magnesium.  Auch  das  Cal- 
cium, Strontium  und  Baryum  müssen  ihrem  gesammten  chemischen 
Verhalten  nach  für  zweiatomig  gehalten  werden.  Verbindungen  dieser 
letztgenannten  Metalle  mit  Alkoholradicalen  sind  indessen  bis  jetzt  nicht 
bekannt. 

Von  den  Verbindungen  zweiatomiger  Metalle  mit  Alkoholradicalea 
sind  namentlich  diejenigen  des  Zinks  und  des  Quecksilbers  nfther 
untersucht.  Bei  den  Quecksilberverbindungen  ist  der  durch  die 
zweiatomige  Natur  des  Metalls  veranlasste  Charakter  am  deutlichsten 
ausgeprägt.  Diese  Verbindungen  sind  in  der  That  völlig  analog  den 
Verbindungen  der  Alkoholradicale  mit  den  Elementen  der  Stickstoffgruppe 
und  namentlich  mit  denen  des  Arseniks;  immer  natürlich  mit  den  durch 
die  verschiedene  Atomigkeit  des  Metalls  bedingten  Abweichungen. 

769.  Zinkverbindungen;  entdeckt  von  Frankland  1849.  Man 
kennt  bis  jetzt  Verbindungen  des  Zinks  mit  den  Alkoholradicalen :  Methyl, 
Aethyl  und  Amjl,  und  femer  Verbindungen,  die  gleichzeitig  Zink,  ein 
Alkoholradical  und  Jod  enthalten.  Diese  letzteren  sind  Zwischenglieder 
zwischen  Zinkjodid  und  der  nur  das  Alkoholradical  enthaltenden  Ver- 
bindung.   Man  hat  z.  B.: 

Zinkjodid.  Jod  -  Zink&thyl.  ZinkäthjL 

Intermediäre  Verbindungen,  d.  h.  solche,  die  gleichzei^g  zwei  ver- 
schiedene Alkoholradicale  enthalten  (z.  B.  Methyl  und  Aethyl)  konnten 
bis  jetzt  nicht  dargestellt  werden  ***), 

Man  erhält  die  Verbindungen  des  Zinks  mit  den  Alkoholradicalen) 
indem  man  die  Jodide  der  Alkoholradicale  auf  Zink  einwirken  lässt;  da- 
bei entsteht  zunächst  eine  nicht  flüchtige  Verbindung,  die  Jod,  Zink  und 
das  Alkoholradical  enthält;  beim  Erhitzen  zerfällt  diese  Verbindung  in 
Jodzink  und  die  flüchtige  Zinkverbindung  des  Alkoholradicals.    Z.  B.: 


^)  Wanklyn,  Ann.  Chem.  Pharm.  CS.  284. 
••)  Frankland,  ibid.  LZXI.  218. 
^•)  Frankland,  ibid.  CXI.  61- 


ZinkSthyl. 


493 


U. 


Aethy^jodid. 

Jodslnkftthyl. 

Zn  +  ejHj.J 

=  z-jf'^'. 

Jodzmkftthyl. 

Jodzink.                Zinkäthyl. 

<^\f^  = 

zi»  j.  +  m^^i' 

Die  Dampfdichten  der  flüchtigen  Zinkverbindimgen  zeigen  deatlieh,  dass  ein 
Molectil  zwei  Radicale  Aethyl  oder  Methyl  enthält    Es  ist  nämlich: 

HolecolarformeL  Dampfdichte. 

berechnet:  gefdnden: 

Zinkmethyl:  Zn|^]^<  8.294  8.291  (Wanklyn.) 


Zinkäthyl: 


-K 


4.268 


4.269  (Frankland.) 


ZinkÄthyl  ♦)  Znj^^g*.    Aethyljodid  wirkt  auf  Zink  schon  bei  ge-  770. 

wohnlicher  Temperatur  ein,  aber  die  Einwirkung  ist  dann  sehr  langsam; 
sie  erfolgt  rascher  bei  100^  noch  leichter  bei  120 — 130^  —  L&sst  man 
reines  Jodäthyl  auf  Zink  einwirken ,  so  aberkleidet  sich  das  Zink  mit 
Krystallen  von  Jodzinkäthyl. 

Darstellung.  Zur  Darstellung  des  Zinkfithyls  wird  daher  zweckmässig 
ein  Gemenge  von  Aethyljodid  mit  Aether  angewandt*,  der  Aether  dient  als  Lö- 
sungsmittel des  Jodzinkäthyls  und  veranlasst  so,  dass  das  Jodäthyl  stets  mit  einer 
metallischen  Zinkiltiche  in  Berührung  ist.  Man  nimmt  gewöhnlich  gleiche  Volume 
Aether  und  Jodäthyl  (oder  Va  Volum  Aether  auf  1  Volum  Jodäthyl)  und  stellt 
das  Gemenge  vor  der  Verwendung  noch  einige  Zeit  über  Phosphorsäureanhydrid. 
Das  Zink  wird  gewöhnlich  in  granulirtem  Zustand  angewandt,  soll  Draht  oder 
Blech  verwendet  werden,  so  muss  man  erst  durch  eine  Säure  eine  rein  metallische 
Oberfläche  herstellen ;  es  wird  vor  der  Verwendung  gut  getrocknet  Abwesenheit 
von  Wasser  (und  auch  von  Alkohol)  ist  Hauptbedingung  des  Gelingens ,  da  sonst 
gasförmige  Zersetzungsproducte  entstehen.  Statt  des  Zinks  kann  auch  Zinkamal« 
gam  angewandt  werden. 

Man  nimmt  die  Operation  gewöhnlich  in  zugeschmolzenen  Glasröhren  (vgl 
{.  627)  oder  in  zugeschmolzenen  dickwandigen  Glasballons  vor.  Man  erhitzt  im 
Oelbad  auf  180*  oder  auch  nur  längere  Zeit  im  Wasserbad;  die  Beaction  verläuft, 
wenn  einmal  eingeleitet,  selbst  bei  niederen  Temperaturen  von  selbst     Grössere 


*)  Vgl.  bes.  Frankland,  Ann.  CheoL  Pharm.  XCV.  2&i 


494 


Zinkverbindungen  der  Alkoholradicale. 


Mengen  von  Zinkäthyl  werden  zweckmässig  in 
dem  von  Frankland  angegebenen  Digestor  dar- 
gestellt Einrichtung  und  Gebrauch  des  Apparats 
Isind  aus  nebenstehender  Zeichnung  verständlich« 
Der  innere  CjUnder,  aus  dickwandigem,  getriebe- 
nem Kupfer,  wird  vor  der  Operation,  durch  Er- 
hitzen im  Ofen  selbst,  getrocknet;  man  trägt  dann 
das  getrocknete  Zink  (4 — 6  Unzen)  noch  heiss  ein, 
schraubt  die  Deckplatte  zu  und  iässt  verschlossen 
erkalten.  Das  Gemenge  von  Jodäthyl  (3  Unzen) 
und  Aether  (halbes  Volum)  wird  dann  durch  die, 
mit  einer  Schraube  verschliessbare  Oe£fhung  der 
Deckplatte  eingetragen,  der  Apparat  verschlossen 
und  einige  Zeit  auf  180®  erhitzt  Der  Ofen  besteht 
aus  mehreren  Cylindem.  Der  Kupferdigestor  be- 
findet sich  in  einem  kupfernen  Cylinder,  der  als 
Oel-  oder  Luftbad  dient  Der  Boden  vnrd  direct 
durch  die  Flamme,  die  Seitenwände  durch  die 
zwischen  diesem  und  dem  umhüllenden  Eisenblech- 
cylinder  durchstreichenden  Verbrennungsgase  ge- 
heizt Der  äussere  Mantel  von  Weissblech  ver- 
mindert die  Wärmeausstrahlung.  Nach  beendigter  Operation  wird  das  Product 
abdestillirt  Bei  dieser  Destillation  geht  anfangs  nur  Aether  über,  und  man  muss 
bis  weit  Über  den  Siedepunkt  des  Zinkäthyls  (118®)  erhitzen  (zuletzt  bis  gegen 
200®),  well  das  Jodzinkäthyl  erst  bei  höheren  Temperaturen  vollständig  zerlegt 
wird.  Durch  wiederholte  Rectification  kann  das  Zinkäthyl  rein  erhalten  werden. 
Alle  Destillationen  müssen,  da  das  Zinkäthyl  sich  direct  mit  Sauerstoff  verbindet, 
in  Apparaten  ausgeführt  werden,  die  mit  Kohlensäure,  Wasserstoff  oder  Leuchtgas 
gefüllt  sind. 

Das  ZiDkäthyl  ist  eine  farblose,  leicht  bewegliche  Flüssigkeit,  die 
bei  IIB®  siedet.  Spec.  Gew.  =  1.18.  Es  hat  einen  eigenthtimlichen 
Geruch  und  ist  mit  Aether  mischbar.  Es  entzündet  sich  an  der  Luft  und 
brennt  mit  weisser  Flamme  unter  Abscheidung  dichter  Dämpfe  von 
Zinkoxyd. 

Durch  langsame  Oxydation  einer  Lösung  von  Zinkäthyl  in  Aether 
entsteht  Zink&thylat  (§.  650)  (neben  etwas  Zinkoxydhydrat  und  essig- 
saurem Zink): 

Zinkäihyl.  Zinkäthylat 

i']t^ + ». = <^ti«^ 

Tr&gt  man  Schwefel  in  eine  ätherische  Lösung  von  Zink&thyl,  so 
entsteht:  Zinkmeroaptid  (§.  673). 

Zinkäthyl  Zinkmeroaptid* 

iilÄ  +  9.  =  '«-«^jS. 


Zinkäthyl.  495 

Chlor,  Brom  oder  Jod  wirken  in  entsprechender  Weise  auf  Zink- 
äthyl, nur  zerfällt  das  Produet,  der  einatomigen  Natur  dieser  Elemente 
wegen,  in  Chlorzink  und  Aethjlchlorid  (oder  die  correspondiren- 
den  Brom-  oder  Jodverbindungen)  z«  B.: 

Zink&thjl  Aethylbromid. 

ZnJ^^g»  +  2®^»  =  Zn  Br,  +  2eaH5Br. 

Ob  bei  dieser  Einwirkung  zuerst  Jodzinkäthyl:  ZnSj^***,  oder  entsprechende 
Verbindungen  entstehen,  ist  noch  nicht  ermittelt 

Von  Wasser  wird  das  Zinkäthyl  augenblicklich  zersetzt  unter 
Bildung  von  Zinkoxydhydrat  und   Aethylwasserstoff  ($.  662). 

Zinkäthyl.  Zinkoxydhydrat.       Aethyl- 

wasserstoff. 

n 

Ammoniak  bildet  mit  Zinkäthyl  das  Zinkamid;  Diäthylamin,  bei 
entspriechender  Reaction,  das  Diäthybdnkamid  (vgl.  §.  728). 

Stick oxyd  wird  von  Zinkäthyl  absorbirt,  es  entsteht  eine  weisse  771. 

0 

hrystallisirte  Substanz  von  der  Zusammensetzung :  Zn{GJi^JS^2^r  Durch 
Wasser  wird  unter  Entwicklung  von  Aethylwasserstoff  ein  basisches  Zink- 
salz erzeugt,  aus  welchem  Kohlensäure  die  Hälfte  des  Zinks  ausfällt 
Aus  dem  so  erhaltenen  Zinksalz  können  durch  doppelte  Zersetzung  die 
Säure  selbst  und  andere  Salze  dargestellt  werden.  Die  meisten  Salze 
dieser,  von  Frankland*^)  als  Dinitroäthylsäure  bezeichneten  Säure, 
sind,  wiewohl  schwierig,  krystallisirbar ;  selbst  die  Alkalisalze  verpuffen 
noch  weit  unter  der  Glühhitze  explosionsartig. 

Die  Dinitroäthylsäure  ist  vielleicht  das  Aethyl-Derivat  eines  Amids  der 
Salpetersäure,  also:  Aethylnitramid.    Man  hat: 

Dinitroäthylsäure.  Natronsalz.       Basisches  Zinksalz.     Directes  Product 

.Nej  iNOa  iNO,  IN0J 

'«  '^^  ^    Zn  Hn 

Schweflige  Säure  wird  von  Zinkäthyl  in  reichlicher  Menge  absorbirt;  772. 
es  entsteht  ein  krystaUisirendes  Zinksalz:  [ZnC^aHs))  +  8&0a],  aus  welchem  durch 


*)  Vgl.  Frankland,  Ann.  Chem.  Phann.  XCEL  842.  Frankland  stellt  die  Dini- 
troäthylsäure durch  die  Formel  dar:  C4H5(N0a)2H3-,  oder  durch  NO(NOa) 
(C4H5),  HO-,  das  heisst  als  salpetrige  Säure,  in  welcher  10  durch  NO, 
und  10  durch  C4H5  ersetzt  ist 


496  Zinkyerbindungen  der  Alkoholradicsla. 

doppelte  Zenetzang  andere  Salse  und  auch  die  Sfinre  selbst  erhalten  werden  kön- 
nen.   (Hobson)*). 

Durch  Einwirkung  vonPhosphorchlorür  aufZinkfithyl  entsteht Triäthyl- 
phosphin  (§.  733)-,  bei  Einwirkung  von  Arsenchlorür  wird  Triäthylarsin  gebüdet 
(S.  762). 

Auch  Quecksilberchlorid,  Bleichlorid  etc.  wirken  auf  Zinkäthyl 
ein;  es  entstehen  Aethylverbindungen  der  betreffenden  Metalle.  Durch  Einwirkung 
von  Natrium,  Kalium  oder  Lithium  auf  Zinkäthyl  werden  Natriumäthyl  u.  8.  w. 
gebüdet  (vgl  §.  767). 

Durch  Aethyljodid  wird  das  Zinkäthyl  bei  etwa  170«  aersetit**),  es  ent- 
steht  Zinkchlorid  und  Aethyl,  gleichzeitig  aber  auch  Aethylwasserstoff  und  Aethy- 
len  (vgl.  663). 

Der  Borsäureäther  wird  von  Zinkäthyl  reducirt  za  Boräthyl  (§.  766).  Ueber 
die  Einwirkung  von  Zinkäthyl  auf  Mercuräthy^odid,  St«nnäthyljodid  u.  8.  w. 
▼gl  SS.  778,  784. 

778.  Zinkmethyl*^:Zn  j®g».     Methjljodid  wirkt    auf    metallisches 

Zink  leichter  ein  als  Aethyljodid;  bei  Anwesenheit  von  Aether  erfolgt  die 
Reaction  schon  unter  100^;  die  Darstellung  von  reinem  Zinkmethjl  bie- 
tet indess  eigenthümliche  Schwierigkeiten. 

Wird  ein  Gemenge  von  Methyljodid  mit  Aether  angewandt,  so  gelingt  es 
nicht  durch  iractionirte  Destillation  des  Productes  das  Zinkmethyl  vom  Aether  lu 
trennen,  man  erhält  vielmehr  eine  bei  61*  —  67^  siedende  Verbindung  beider  Sub- 
stanzen: 2  Zn(eH,)3  +  iejSL^)2^\  wird  statt  des  Aethyläthers  verdichteter  Me- 
thyläther angewandt,  so  entsteht  eine  entsprechende  Verbindung  von  Zinkmethyl 
mit  Methyläther.  Versucht  man  dagegen  die  Einwirkung  von  reinem  Methyljodid 
auf  Zink  (ohne  Zusatz  von  Aether),  so  bleibt  entweder,  wenn  die  Hitze  nicht  gross 
genug  war,  viel  Methyljodid  unzersetzt-,  oder,  wenn  die  Temperatur  während  der 
Einwirkung  zu  hoch  war  (höher  als  120^),  das  schon  gebildete  Zinkmethyl  wird 
durch  Einwirkung  des  überschüssigen  Methyljodids  zu  Jodzink  und  Methyl  zerlegt 
Die  Darstellung  des  reinen  Zinkmethyls  gelingt,  nach  Wanklyn,  in  folgender 
Weise.  Man  bereitet  durch  Einwirkung  eines  Gemenges  von  Methyljodid  mit  etwas 
Aether  auf  Zink  eine  Lösung  von  Zinkmethyl  in  Aether,  setzt  von  neuem  Methyl- 
jodid zu  und  erhitzt  mit  frischem  Zink.  Man  wiederholt  diese  Operation  mehrmals 
und  erhält  zuletzt  ein  Gemenge  von  viel  Zinkmethyl  mit  wenig  Aether,  aus  welchem 
bei  der  Recüfication  zwischen  50®--60^  reines  Zinkmethyl  destillirt 

Das  Zinkmethyl  gleicht  in  seinen  Eigenschaften  völlig  dem  Zink- 
ätbyl.    Es  verbindet  sich  mit  Jodzink  zu  einer  krystallisirten  Verbindung, 


*)  Vgl.  Ann.  Chem.  Pharm.  CIL  73.  Hobson  bezeichnet  die  Säure  als  Ae- 
thylotrithionsäure  und  gibt  ihr  die  Formel:  S,0((C4H^,  HO)  er  be- 
trachtet sie  als  3  SO^ ,  worin  1 0  durch  C4H5  ersetzt  ist 

^  Brodie,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXVIU.  168. 

•••)  Frankland,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXT.  218;  LXXV.  846;  und  besonders: 
CXL  62. 


Zinkmethyl.  497 

wahrscheinlich  Zn  Jj    '.    Gegeo  SauerstoflF,  Schwefel,  Chlor,  Natrium  etc. 

▼erhält  es  sich  genau  wie  Zinkäthjl.  Mit  Stickozjd  verbindet  es  sich 
direct  und  erzeugt  eine  der  Dinitroäthjlsäure  entsprechende  Verbindung, 
die  Dinitromethjlsäure  (ygl.  §•  771.).  Auch  mit  schwefliger  Säure 
verbindet  es  sich  direct;  aber  während  1  Mol.  Zinkäthyl  mit  3  MoL 
schwefliger  Säure  zusammentritt,    vereinigt  sich  das  Zinkmethyl  nur  mit 

2  MoL  dieser  Säure;  das  Product:  [ZnlGH,),  +  2BQ^  wird  von  Hob- 
son'*')  als  methyldithionsaures  Zink  bezeichnet« 

Q^^\  wird  durch  Erhitzen  von  Amjljodid  mit  774. 

Zink  auf  180®  erkalten;  es  ist  eine  farblose  Flüssigkeit,  die  an  der  Luft 
raucht  ohne  sich  zu  zersetzen.  Es  zerfällt  mit  Wasser  zu  Zinkoxydhydrat 
und  Amylwasserstofif.  (Frankland)**). 

Cadmiumäthyl.      Dass  Cadmium   unter  Einfluss  des  Lichtes  auf  Aethyl-  775. 
Jodid  einwirkt,  ist  schon  von  Frankland***)  beobachtet  worden.    Die  Versuche 
von  Wanklynf)  zeigen,  dass  eine  Aethyl Verbindung  des  Cadmiums  ezistirt,  die 
indesB  bis  jetzt  nicht  näher  untersucht  ist 

Magnesiumäthyl  ff).  Magnesiumfeile  wirken  schon  bei  ge-  776. 
wohnlicher  Temperatur  auf  Aethyljodid.  Man  erhält,  neben  Magnesium- 
jodid,  eine  flüchtige  lauchartig  riechende  Magnesium  Verbindung,  die,  wie 
das  Zinkäthjl  selbstentzündlich  ist  und  mit  Wasser  zu  Magnesia  und 
Aethylwasserstoff  zerAllt.  —  Methjljodid  wirkt  mit  derselben  Leichtigkeit 
auf  Magnesium  ein;  das  Magnesiummethyl  entspricht  in  seinen  Eigen- 
schaften dem  Magnesiumäthyl. 

Quecksilberverbindungen    der    Alkoholradicale.      Es    wurde  777. 
oben  (S.  768.)  schon  erwähnt,  dass  bei  den  Quecksilberverbindungen  der 
Alkoholradicale  der  durch  die  zweiatomige  Katur  des  Metalls  fff)  veran- 


•)  Ann.  Chcm   Pharm.  CV.  287. 
♦•)  ibid.  LXXXV.  360. 
•••)  ibid.  LXXXV.  864. 
t)  Jahresb.  1856.  558. 
tt)  Cahours  1859.  Ann.  Chem.  Pharm.  CXIV.  240. 

tft)  Dass  das  Quecksilber  zweiatomig  ist,  ergibt  sich  sowohl  aus  den  Dampf- 
dichten seiner  flüchtigen  Verbindungen;    als  aus  seinem  gesammten  chemi- 

sehen  Charakter.  Man  hat:  Hg  =  200  =  1  Atom  =  1  Molccül.  Beim 
Quecksilber  besteht  das  Gasmolecül  nur  aus  einem  Atom;  das  Queck- 
silber weicht  darin  von  den  meisten  Elementen  ab,  iür  welche  die  relative 
Grösse  des  Gasmolecüls  bekannt  ist;  es  zeigt  eine  gewisse  Analogie  mit  vie- 
len organischen  Verbindungen,  namentlich  mit  denjenigen  Kohlenwasser- 
stoffen, die  die  Rolle  zweiatomiger  Badicale  spielen. 
K«k«14,  organ.  Chemto.  82 


498  Qaecksflbenrerbindiingeii  der  Alkoholradicale. 

lasste  Charakter  am  schärfsten  aasgeprägt  ist  Man  kennten  der  That 
flir  Methyl  and  ftlr  Aethjl  je  zwei  Verbindangen  mit  Quecksilber. 
Nämlich : 


MethylTcrbindangen. 

Mercnrodimethyl         Eg(eE^){6E^} 
Mercaromethyl- 
(chlorid)  Hg(eH3)  Cl 


Aethylverbindongen. 
HgCeiH^XeA)  Mercorodiäthyl 

Hg(eA)    Cl    Merearäthyl(chlorid) 


Quecksilberchlorid      Hg   Cl      Cl      j  Hg    a        a 

Beide  Arten  von  Verbindungen  können  als  Quecksilberchlorid  be- 
trachtet werden,  in  weichem  die  Hälfte  des  Chlors  oder  alles  Chlor  durch 
ein  Alkoholradical  vertreten  ist  Im  letzteren  Fall  hat  man  eine  indiffe- 
rente Verbindung  (einen  neutralen  Aether  des  Quecksilbers)  unfiUiig  mit 
Säuren  oder  mit  sauren  Elementen  Verbindungen  einzugehen.  Ist  da- 
gegen nur  die  Hälfte  des  Chlors  durch  ein  Alkoholradical  ersetzt,  so  ent- 
steht eine  salzartige  Verbindung,   das  heisst  eine  Substanz,    die  leicht 


Die  bis  jetzt  bekaDnten  Dampfdichten  flüchtiger  Qaecksilberverbindongen 
sind: 


Molecnlarformel. 

Dampfdichte 

berechnet 

gefanden. 

Quecksilber 

^ 

6.92 

7.03 

n 

Chlorid 

Hga, 

9.38 

9.8 

11 

bromid 

HgBr, 

12.46 

12.16 

n 

Jodid 

HgJ, 

15.7 

15.9 

n 

methyl 

Hg(OT,), 

7.96 

8.29 

« 

ftthyl 

Hg(eA), 

8.58 

9.97 

n 

chlorür 

HffCl 

8.15 

8.85. 

Für  das  QaeckBÜberchlorür  scheint  ea  indessen  wahrscheinlicher,    dass  die 

Molecularformel :  Hg^Cl^  ist  und  dass  sein  s.  g.  Dampf  ein  Gemenge  der 
Zersetzungsproducte :  Quecksilberchlorid  und  Quecksilber  ist.  Wenigstens 
finden  die  dem  Quecksilberchlorür  entsprechenden  Salze  ihre  einfachste  Deu- 
tung, wenn  man  annimmt,  dass  2  Atome  Quecksilber  sich  zu  einem  zusam- 
mengesetzten Radical:  (Hg])  vereinigen. 
Die  einfachsten  Salze  des  Quecksilbers  sind: 


Ozydsalze 

O^dolsalze 

neutr&L 

basisch. 

nentral. 

basisch. 

HgJ 

(Hg,)J 

<5l^j». 

Mercuräthyl.  499 

doppelte  Zersetzung  seigt,   und  bei  welcher  der  mit  dem  Chlor  verbun- 

n 

dene  Rest  [Hercuräthjl  -=:  Hg(62H5)]  die  Rolle  eines  einatomigen  Ra- 
dicals  spielt. 

Die  beiden  Arten  der  Quecksilberverbindungen  sind  für  das  Queck- 
silber genau  dasselbe,  was  das  ülercaptan  ($.  673)  und  das  Schwefeläthjl 
(S.  674)  für  den  Schwefel  sind: 

Hercaptan.        Aethjlsulfid.      Mercurftthjlchlorid.      Mercurodiäthyl. 

"•■ki«      fk\'       ''SK«      lÄI* 

nur  mit  dem,  durch  die  verschiedene  Natur  des  Schwefels  und  des  Queck- 
silbers veranlassten  Unterschied,  dass,  nach  Sättigung  einer  Verwandt- 
schaftseinheit  durch  ein  Alkoholradical ,  beim  Schwefel  die  andere  Ver- 
wandtschafteinheit  besonders  leicht  durch  Metalle  oder  metallähnliche 
Radicale,  beim  Quecksilber  dagegen  durch  Chlor  oder  chlorähnliche  Ra- 
dicale  gebunden  wird.  Gerade  so  wie  das  Aethjlsulfid  als  Aethyläther 
des  Mercaptans,  so  kann  das  Mercurodiälhjl  als  Aethjläther  der  Mercur- 
ftthjlverbindungen  angesehen  werden. 

Bemerkenswerth  ist  die  Leichtigkeit,    mit  welcher  aus   denjenigen  779 
Verbindungen,  die  2  Alkoholradicale  enthalten,  die  andern  entstehen,  in 
denen  nur  ein  Alkoholradical  enthalten  ist. 

Lässt  man  z.  B.  auf  Mercurodi&thyl  Brom  (Jod  oder  Chlor)  ein- 
wirken, so  entsteht  Mercuräthylbromid  neben  Aethjlbromid;  es 
findet  also  genau  dasselbe  Verhalten  statt,  wie  bei  den  früher  beschrie- 
benen Arsenmethylverbindungen  (vgl.  §.  746).    Man  hat: 

Mercnrodiäthyl.  Mercuräthyl-  Aethyl- 

bromid.  bromid. 

Hgfe.H>-|rc^)  ]  <         ^^]^^   =    Hg(e3H,)Br    -f    e^.Br 

Selbst  Säuren  wirken  in  entsprechender  Weise.  So  entsteht  z.  B.  bei 
Einwirkung  von  Bromwas8ersto£f: 

Mercurodiäthyl.  Mercuräthylbromid.    Aethylwasserstoff. 

HgCe.H.)r(e;H;r"  x^         ^g    =    Hg{e,H,)Br      +      e,H,.H 

und  ebenso  bei  Einwirkung  von  Schwefelsäure  das  Schwefelsäure -Salz 
des  Mercuräthyls  und  Aethylwasserstoff. 

Ganz  in  derselben  Weise  wirken  auch  einige  Salze.  Lässt  man 
s.  B.  Quecksilberchlorid  auf  Mercnrodiäthyl  einwirken,  so  entsteht,  indem 
das  letztere  die  Hälfte  seines  Aethyls  gegen  die  Hälfte  Chlor  des  ersteren 
austauscht,  Mercuräthylchlorid.    Man  hat: 

MercurodiäthyL  Quecksilberchlorid.        Mercuräthylchlorid. 

HgCGaH,),         +         HgCI,         =         2  HgCGaH»)^ 

32  ♦ 


500  Quecksilberverbindungen  der  Alkoholradicale. 

Umgekehi't  entstehen  aus  den  Quecksilberverbindungen,  die  nur  ein  AI- 
koholradical  enthalten,  leicht  diejenigen  mit  zwei  Alkoholradicalen,  So 
tauscht  z.  B.  das  Mercuräthyljodid  (und  ebenso  das  Chlorid)  bei  Einwir- 
kung auf  Zinkäthjl  sein  Jod  gegen  Aethyl  aus  und  es  entsteht  Mercuro- 
di&thyl. 

Mercuräthyljodid.  Zinkäthyl.  HercurodiäthyL  Jodzink. 

2  Hg(G2H5)J      +      Zn(G,H5)2    =     2  SgC^e^^^xe^E^-)    +    ZnJ, 

779.  Bildung.     Die  Quecksilberverbindungen   der  Alkoholradicale  ent* 

stehen : 
I.  Bei  Einwirkung  von  metallischem  Quecksilber  auf  Methyljodid  oder 
Aethyljodid.     Dabei  wird  Mercuräthyljodid  oder  Mercuromethyljodld 
gebildet: 

Hg      +      e^HjJ      =      Hg(e2H,)J. 

Q.  Bei  Einwirkung  von  Quecksilberchlorid  auf  Zinkäthyl  oder  Zinkmethjl. 
Dabei  entsteht,  wenn  äquivalente  Mengen  angewandt  wurden,  direct 
Mercurodiäthyl  oder  Mercurodimethyl : 

HgCla      +      ZnCe^Hg),      =      HgCGjHj),      +      ZnCl,. 

Da  aber,  wie  oben  erwähnt,  Mercurodiäthyl  mit  Quecksilberchlorid 
sich  zu  Mercuräthylchlorid  umsetzt,  während  umgekehrt  Mercuräthyl- 
Chlorid  mit  Zinkäthyl  das  Mercurodiäthyl  erzeugt,  so  hängt  es  von 
den  Bedingungen  des  Versuchs  ab,  ob  Mercurodiäthyl  oder  Mercur- 
äthylchlorid  erhalten  wird, 
in.  Die  Mercuräthylverbindungen  sind  ferner  erhalten  worden  durch 
Einwirkung  von  Quecksilberchlorid  auf  Bismäthin  (§.  764),  dabei 
entsteht  nämlich:  Mercuräthylchlorid  und  Bismäthylchlorid.  (Dan- 
haupt.): 

Triäthyl-  Quecksilber-         Bismuthomon-  Mercuräthyl- 

bismuthin.  chlorid.  äthylchlorid.  chlorid. 

SBi.cejHß),    +    2iJgClj    =    2Bi(eiH5)Cl2    +    2Hg(ejH5)Cl 

Verschiedene  Versuche  eine  gemischte  QuecksUberverbindung,  das  Merciir- 

ftthylmethyl  =  HgcGHaX^^jBft)  darzustellen,  gaben  keine  völlig  entscheidenden 
Resultate.  Bei  Einwirkung  von  Zinkäthyl  aui'  Mercttromethyljodid  erhielt  Frank- 
land Zinkmethyl  und  Mercurodiäthyl.  Bei  Einwirkung  von  Zinkmethyl  auf  Mer- 
curäthylchlorid wurde  eine  bei  etwa  130^  siedende  Flüssigkeit  erhalten,  die  wahr- 
scheinlich Mercuräthylmethyl  ist,  sich  aber  bei  jeder  Destillation  in  leichter 
flüchtiges  Mercurodimethyl  und  schwerer  flüchtiges  Mercurodiäthyl  zerlegt  ^). 


•)  Frankland,  Ann.  Chem.  Pharm.  CXL  67. 


Hercnrftthyl.  501 

Im  Folgenden  ist  das  Wichtigste  über  DursteDnng  nnd  Eigenschaften  der 
Qaecksilbermethyl-  und  -Aethyl Verbindungen  zasammengestellt  *). 

Lässt  man  Methyljodid  während  mehrerer  Tage  unter  Einwirkung  des  Son-  7go. 
nenlichts  mit  Quecksilber  in  Berührung,   so  entsteht  eine  weisse  krystallinische 

Hasse  von  Mercuromethyljodid:  Hg(6H3)J  (Frankland).  Aethyljodid  wird 
bei  Einwirkung  von  Sonnenlicht  durch  Quecksilber  völlig  zersetzt,  es  entsteht  Jod- 
quecksUber  und  ein  Gasgemenge,  welches  aus  Aethyl,  Aethylwasserstoff  und  Aethy- 
len  besteht  (Frankland)  (vgl.  §.  663).  Setzt  man  dagegen  Aethyljodid  und  Queck- 
silber dem  zerstreuten  Tageslichte  aus,  so  bilden  sich  nach  einigen  Wochen  farb- 

lose  Krystalle  von  Mercurä!thyljodid:  Hg(G2H5)J  (Strecker).  -—  Giesst  man 
eine  verdünnte  und  warme  Lösung  von  Quecksilberchlorid  in  Weingeist  zu  einer 
weingeistigen  Lösung  von  Triäthylbismuthin,  so  scheidet  sich  ein  flockiger  Niederschlag 
aus,   der  sich  beim  Erwärmen  wieder  löst;   beim  Erkalten  krystallistrt  dann  Mer- 

curäthyl Chlorid:  VL%{B^{^C\^  während  Bismuthomonäthylchlorid:  Bi(e3H5)Cl, 
in  Lösung  bleibt  (Dünhaupt).  Wird  statt  des  Quecksilberchlorids  Quecksilberbromid 
angewandt,  so  erhält  man  Mercuräthylbromid:  Hg(62H5)Br.  —  Am  bessten  erhält 
man  die  Hercuräthylverbindungen ,  indem  man  gepulvertes  Quecksilberchlorid,  in 
gerade  hinreichender  Menge,  in  eine  ätherische  Lösung  von  Zinkäthyl  einträgt.  Es 

entsteht  dabei  Mercurodiäthyl:  B.%{^%B.^)^^  welches  sich  als  schwerere  Schicht 
unter  einer  Lösung  von  ZiDkchlorid  in  Aether  absetzt.  Durch  DestiUation  erhält 
man  das  Mercurodiäthyl  (Buckton).  Will  man  Mercuräthylchlorid  darstellen, 
so  löst  man  das  rohe  Slercurodiäthyl  in  Alkohol  und  kocht  mit  Quecksilberchlorid, 
beim  Abkühlen  der  filtrirten  Lösung  krystallisirt  dann  Mercuräthylchlorid 
(Frankland). 

Zur  Darstellung  der  Übrigen  Quecksilberverbindungen  der  Alkoholradicale 
dienen  die  eben  erwähnten  Substanzen  als  Ausgangspunkt.  Die  Darstellung  selbst 
ist  nach  den  oben  mitgetheilten  allgemeinen  Reactionen  verständlich. 

Quecksilbermethylverbindungen.  Das  Mercuromethyljodid 
krystallisirt  aus  Aether  in  perlmutterglänzenden  Blättchen,  es  ist  in  Alkohol  ziem- 
lich löslich,  schmilzt  bei  143^  und  sublimirt  dann  unverändert.  Im  Lufbdtrom  subli- 
mirt  es  schon  bei  100^.    Durch  doppelte  Zersetzung  mit  salpetersaurem  Silberozyd 

u 

erhält  man  Mercuromethyhiitrat :      ^^  }^  +  Ö^O,    aus  dessen  Lösung  durch 

Salzsäure  das  Mercuromethylchlorid  als  perlmutterglänzende  Schüppchen  gefüllt 
wird  (Strecker). 

Destillirt  man  Mercuromethyljodid  mit  Ealihydrat,   Ealkhydrat  oder  besser 

mit  Cyankalium,  so  erhält  man  Mercurodimethyl:  Hg(6H3)2,  als  farblose, 
leicht  entzündliche  Flüssigkeit,   die  bei  93®  — 96*  siedet,   in  Alkohol  und  Aether 


•)  Vgl.  besonders:  Frankland,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXVIL  224;  LXXXV.36I5 
CXI.  57. 
Strecker,  ibid.  XCII.  75. 
Dänhaupt,  ibid.  XCII.  879. 
Buckton,  ibid.  CVm.  103 ;  ax.  218. 


502  Qaecksilberverbindimgeii  der  Alkoholradiealo. 

lOalich,  in  Wasser  unlöslich;  spec.  Gew.  s  8,07.    Die  Zersetiuig  eiCoIgt  bei  An- 
wendung von  Cyankaliom  nach  der  Gleichung: 

Mercuromeihyl-  Cyankaliam.  Mercnro«- 

jodid.  dimethyl. 

2  Hg(GH,)J        +        2  K(€N)        =        Hg(6Ha)a    +    2  KJ    +    Hg(OT), 

statt  des  Cyanquecksilbers  entsteht  Quecksilber  und  Paracyan. 

Von  Brom  oder  Jod  und  ebenso  von  Salzsäure  oder  Schwefeiäure  wird  das 
Mercurodimethyl  zersetzt,  indem  Mercuromethylbromid ,  -chlorid,  oder  -sulfat  er- 
halten wird,  während  Methylbromid  oder  Methylwasserstoff  entweicht  Auch  bei 
Einwirkung  von  Phosphorchlortir  entsteht  Mercurälhylchlorid.  Mit  Zinnchlorid  bil- 
det das  Mercurodimethyl  eine  krystallisirbarc  Verbindung,  die  bei  Zusatz  von  Was- 
ser zerföUt  unter  Bildung  von  Mercuromethylchlorid  (Buckton). 

Quecksilberftthylverbindungen.       Das     Mercuräthylchlorid: 

Hg(^2^»)Cl  lind  ebenso  die  entsprechenden  Brom  -  oder  Jodverbindungen  krystal- 
liren  aus  Alkohol  oder  Aether  in  weissen  irisirenden  Blättchen,   die  unangenehm 

Zersetzung  subUmiren.    DasMercurftthylsulfid:  ^fif<^a^»^|s 

Hg(GaH»)J 

wird  von  Schwefelammonium  aus  der  Lösung  des  Chlorids  als  gclblichweisses  Pul- 
ver gefällt,   es  kann  aus  Aether  krystallitfirt  werden.     Das  Mercuräthyloxyd 

n 

wird  als  Hydrat:  ^&^^2^ftJ|o  erhalten  durch  Versetzen  des  Chlorids  mit  Silber- 
oxyd, es  ist  nicht  krystallisirbar;  seine  wässrige  Lösung  reagirt  stark  alkalisch, 
treibt  das  Ammoniak  aus  und  (llllt  Thonerde.  Das  salpetersaure,  schwefelsaure 
und  Oxalsäure  Salz  sind  ebenfalls  krystallisirbar   (Strecker,  Dünhaupt). 

Das  Mercurodiäthyl:  Hg(G2H5)3  ist  eine  leicht  entzündliche,  schwere 
Flüssigkeit  (spec.  Gew.  2,44),  die  bei  156^  —  160®  siedet^  es  ist  in  Wasser  unlös- 
lich, in  Alkohol  wenig  löslich,  aber  mischbar  mit  Aether.  Man  erhält  es  nur 
schwer  durch  Destillation  von  Mercuräthylchlorid  mit  Kali  oder  Cyankalium,  leich- 
ter durdi  Einwirkung  von  Zinkäthyl  auf  Mcrcuräthyljodid ,  am  zweck  massigsten 
nach  der  oben  erwähnten  Methode  durch  Einwirkung  von  Quecksilberchlorid 
auf  Zinkäthyl.  Dass  es  von  Brom,  concentrirter  Salzsäure  oder  von  Schwefelsäure 
zersetzt  wird,  indem  die  Hälfte  des  Aethyls  austritt,  während  eine  Mercuräthyl- 
verbindung  entsteht,  wurde  oben  erwähnt;  ebenso,  dass  es  beim  Kochen  der  alko- 
holischen Lösung  mit  Quecksilberchlorid  Mercuräthylchlorid  erzeugt  (Buckton). 


riechen  und  ohne 


Die  Isolirung  des  Radicals  Mercuräthyl  =  ^^^^a^sH    ist  bis  jetzt 

Hg(e,H.)f 


nicht 


gelungen.    Bei  Einwirkung  von  Quecksilberchlorür  auf  Zinkäthyl  entsteht  Mercuro- 
diäthyl, während  Quecksilber  ausgeschieden  wird.    Man  hat: 

Zinkäthyl.  Quecksilber-  Mercurodi- 

chlorür.  äthyl. 

ZnCeaHj),       +       Ef^aCl,        =        Hg(6A)a      +     ZnCl,      +      Hg 


Selen-  und  TeUnräthyL  503 

Töllnr-  nnd  SeleDverbindungen  der  Alkoholradicale*).  781. 
Di6  Tellur-   and  Selen verbiDdungen   des  Aethyls   sind   früher  schon  be- 
schrieben worden  (§.  676).     Es  wurde  dort  erwähnt,    dass  die  Verbin- 

!G  H  KG  H 

g*   *    und    Te   <jj^   *   in    ihrem  Verhalten  völlig  dem  Mer- 

n^   *  entsprechen,  dass  dagegen  das  Selenäthjl  und  Tel- 

!G  H  iO  H" 

^*jj*    und   Te  jg^jj*     ein    eigenthümliches   und   von 

©*H*  fl-bweichendes  Verhalten  zeigen.   Beide 

Verbindungen  sind  nämlich  fähig  sich  mit  Chlor,  Brom,  Sauerstoff  und 
auch  mit  Säuren  zu  vereinigen  und  so  salzartige  Verbindungen  zu  erzeu- 
gen, in  welchen  sie,  ähnlich  wie  die  Verbindungen  mancher  Metalle  mit 
Alkoholradicalen ,  die  Rolle  zusammengesetzter  Radicale  spielen.  Man 
kennt  z.B.  ein  Telluräthylchlorid:  Te(62H5)2Cl2,  ein  Telluräthyl- 
oxyd: Te(62H5)2^  etc.  Diese  Verbindungen  entsprechen  dem  Aethyl- 
phosphinchlorid :  ^(ß2^s)z^\2  ^^^  d^™  Aethylphosphinoxyd :  P(©2H5)jO; 
das  Telluräthyl  ist  in  der  That  für  das  zweiatomige  Tellur  genau,  was 
das  Triäthylphosphin  für  den  dreiatomigen  Phosphor  ist  (vgl.  §§.  733  ff.). 
Ausser  diesen  verhältnissmässig  einfach  zusammengesetzten  Verbindungen 
existiren  noch  einige  Oxychloride  und  Oxybromide  etc.,  die  als 
Molecularaneinanderlagerungen  der  Oxyde  mit  dem  Chlorid  oder  Bro- 
mid  etc.  betrachtet  werden  können. 

Bemerkenswerth  ist  noch,  dass  die  Tellur  Verbindungen  diese  ba- 
sischen Eigenschaften  in  weit  ausgeprägterem  Grade  besitzen  als  die  ent- 
sprechenden Verbindungen  des  Selens;  so  zwar,  dass  für  das  Tellur 
sowohl  die  Aethyl-  als  die  Methylverbindung  solche  salzartige  Verbin- 
dungen erzeugen,  während  bei  dem  Selen  nur  die  Aethylverbindungen 
die  Rolle  eines  Radicals  zu  spielen  im  Stande  ist,  das  Selenmethyl  da- 
gegen sich  verhält  wie  das  Schwefeläthyl. 

Bis  zu  eineoi  gewissen  Grade  zeigt  indess  selbst  das  Schwefeläthyl  ein 
solches  basisches  Verhalten,  insofem  es  nämlich  im  Stande  ist  mit  einzelnen  sau- 
ren Chloriden,  z.  B.  mit  Quecksilberchlorid  imd  Platinchlorid,  krystallisirbare  Ver- 
bindungen zu  büden.  (Loir)  •♦). 

Man  erhält  diese  Verbindungen  indem  man  die  betreffende  Tellur- 
oder Selenverbindung  in  Salpetersäure  löst;  die  Lösung  enthält  das  sal- 
petersaure Salz  der  Tellur-  oder  Selenbase;  durch  Zusatz  von  Salzsäure, 


♦)  Vgl.:  Wöhler,  Ann.  Chem.  Pharm.  XXXV.  112;  T.XXXTV. 
Hallet,  ibid.  LXXIX.  223. 
Wöhler  u.  Dean,  ibid.  XCüL  288. 
Joy,  ibid.  LXXXVI.  86. 
**)  Ann.  Chem.  Pharm.  LSSXVJL  869. 


504  Selen-  und  TeUorftthyl. 

Bromwasserstoffisäure  oder  Jodwasserstoffsftare  werden  die  Chloride,  Bro- 
mide  und  Jodide  als  krjstallinische  NiederBchläge  gefällt;  aus  den  Lösnii- 
gen  dieser  scheidet  Ammoniak  nicht  etwa  das  Oxyd,  sondern  vielmehr 
ein  Oxy Chlorid,  Oxybromid  oder  Oxyjodid  aus;  die  Oxyde  selbst  kön- 
nen dagegen  aus  den  Jodiden  oder  Chloriden  durch  Silberoxyd  erhalten 
werden. 

Beispielsweise  mögen  die  Verbindungen  des  Tellormethyls  etwas  nfiher  be- 
schrieben werden.  Löst  man  Tellurmethyl,  durch  Destillation  von  methyl- 
schwefelsaurem Baryt  mit  Tellurkalium  erhalten  (Siedep.  82®),  unter  Elrwärmung 
in  Salpetersäure,  so  wird  Salpeters aures  Tellurmethyl  gebildet,  welches 
in  farblosen  Prismen  krystollisirt  Das  Tellur methylchlorid:  Te{ßE^)^C}2'i 
wird  durch  Salzsäure  als  weisser  Niederschlag  geföllt,  es  schmilzt  bei  97^,6  and 
kann  aus  beissem  Wasser  umkrystallisirt  werden.  Das  Bromid:  Te(0H2)2Br2 
gleicht  dem  Chlorid,  es  schmilzt  bei  89®.  Das  Jodid:  Te(6H,)3J2  wird  von  Jod- 
wasserstoffsäure  als  gelber,  bald  roth  werdender  Niederschlag  geflQlt,  es  krystalli- 
sirt  aus  heisscm  Wasser  oder  Alkohol  in  zinnoberrothen  Prismen.  Setzt  man  zur 
Lösung  des  Chlorids  Ammoniak,  so  werden  farblose  Erystalle  von  Tellur  methyl- 

oxychlorid:  x^I^h^Mci     erhalten.     Das  Tellurmethyloxyd:  TeCOH^laO 

entsteht  in  wässriger  Lösung  durch  Zersetzung  des  Chlorids  oder  Jodids  mit  Sil- 
beroxyd;  es  bleibt  beim  Verdunsten  der  Lösung  als  undeutlich  krystallisirte  zer- 
fliessiche  Masse;  es  treibt  Ammoniak  aus,  fällt  Eupferozyd  und  wird  von  schwef- 
liger Säure  rasch  reducirt  unter  Abscheidung  von  Tellurmethyl. 

Verbindungen  der  Alkoholradicale  mit  vieratomigeD 

Metallen. 

1^32,  Zinnyerbindungen  der  Alkoholradioale.     Die  Zinnverbin- 

düngen  der  Alkoholradicale  und  namentlich  des  Aethyls  sind  schon  1852 
von  Löwig*),  Frankland  **J,  Cahours  und  Riebe  ♦*♦)  untersucht 
worden.  In  neuerer  Zeit  haben  sich  wesentlich:  Cahours  f),  Buck- 
ton ff)  und  Frankland  mit  diesem  Gegenstand  beschäftigt. 

Die  Verbindungen  des  Zinns  mit  den  Alkoholradicalen  finden  ihre 
einfachste  Deutung,  wenn  man  annimmt,  das  Zinn  sei  ein  vieratomiges 
Element;  das  heisst  ein  Atom  Zinn  (Sn  ==  118)  besitze  die  Eigenschaft 
sich  mit  4  Atom  Chlor  etc.  zu  verbinden.  Man  hat  dann  die  folgenden 
Reihen  von  Verbindungen,  die  sämmtlich  als  Zinnchlorid  betrachtet  wer- 
den können,  in  welchem  ein  TheU  des  Chlors  oder  auch  alles  Chlor 
durch  Alkoholradicale  ersetzt  ist. 


•)  Ann.  Cbem.  Pharm.  LXXXIV.  108. 
••)  ibid.  LXXXV.  832;  CXL  44. 
•••)  ibid.  LXXXIV.  338;  LXXXVIL  816. 

t)  ibid.  CXL  239;  CXIV.  244,  864. 
tt)  ibid.  CIX.  226. 


ZinnTerbindangen  der  Alkoholradieale. 


505 


HetbylYerbindongen  *). 
Stanntetramethyl  BnCeH,)« 

Stanntrimethyl-(cblorid)Sn(eH3'),Cl 
StaDndimethyl.(cblorid)  SdCGHsJ^GI, 
unbekaDDt  SnCGH,)  Gl, 

ZiDDcblorid  SnCl4 


Aethylverbindnngeii. 
SDCesHs)^      StaDDtetr&thyl. 
SnCOaBj),«  8tanntriäthyl.(chlorid). 
SnCe^Hj),«,  StanndiäthyKchlorid). 
811(0405)013   unbekannt. 
SnCI«  Zinnchlorid. 


Die  Stannmonomethyl  -  und  Stannmonäthylverbindungen  [Sn(6H3)Cl3 
und  entsprechende]  sind  bis  jetzt  nicht  bekannt  Dagegen  kennt  man 
zwei  dem  Stanntetramethyl  und  dem  Stannteträthyl  entsprechende  inter- 
mediäre Verbindungen;  n&mlich: 

Stanndimethyldiäthyl      8n(eH3),(e3H3)3 
Stanntrimethyläthyl        Sn(eH3),(e,H5). 

Man  hat  ferner  die  den  beiden  in  der  Tabelle  aufgeführten  Chlori- 
den entsprechenden  Radicale  isolirt  dargestellt.    Nämlich: 


Stanntrimethyl 


Sn(eH,)3(  8n(eA)3j 

8n(eH3)3l  8n(e3H5)3i 


Stanndimethyl    «;(gS;];j 


8tanntriäthyL 


ll^ftl  8t"°*«^"'y»- 


Da  man  das  Zinn  gewöhnlich  halb  so  gross  annimmt:  Sn  =69,  so  wer- 
den diese  Verbindungen  meist  durch  etwas*  andere  Formeln  dargestellt  und  mit 
anderen  Kamen  bezeichnet  Zur  Vermeidung  von  Missverständnissen  sind  beide 
Bezeichnungs -  und  Benennungsweisen  hier  neben  einander  gesetzt: 


Sn  =  118. 

Sn  =  59. 

Stannteträthyl 

Sn(e3Hj)4 

= 

Sn  (eaH»)a 

Stanndiäthyl. 

Stanntriäthyl 

Sn(e,H5)3 

= 

Su3(e,H5), 

Stannsesquiäthyl. 

Stanndiäthyl 

SnceaHj), 

= 

Sn  (eaHj) 

Stannäthyl. 

Stannäthyl 

SnCejHjj 

" 

"~" 

^)  Auch  die  bis  jetzt  bekannten  Dampfdichten  flüchtiger  Zinnverbindungen  zei- 
gen, dass  das  Zinn  vieratomig  ist,  und  unterstützen  die  hier  gebrauchten 
Molecularformeln.    Man  hat: 


MolecularformeL 

Damj 

>fdichte 

berechnet 

gefunden. 

Zinnchlorid 

Sn      CI4 

8.999 

9.1997 

Stanndimethylchlorid 

SnCeHjiaClj 

7.678 

7.731 

Stanndiäthylchlorid 

Sn(eaH5)jCla 

7.647 

8.710 

Stanndiäthylbromid 

SnieaHj^jBr, 

11.626 

11.64 

Stanntrimethyljodid 

Sn(eH3),J 

10.042 

10.826 

StanntriäÜiylchlorid 

Sn(e3H5)3a 

8.822 

8.48 

Stanntriäthylbromid 

SnCejHjljBr 

9.862 

9.924 

Stanndimethyldiäthyl 

Sn(eH,)a(e3H3)a 

7.069 

8.638 

Stannteträthyl 

Sn(63H3)4 

8.028 

8.021. 

506  Z!miTerbl&dimgen  der  Alkoholradicale. 

AnftBer  diesen  einfachsten  Verbindungen,  die  zum  Zinnchlorid  in  der- 
selben Beziehung  stehen,  wie  die  früher  (§§.  743  ff.)  beschriebenen  Arsen- 
methjlTcrbindungen  zum  Arsenchlorür,  existiren  noch  eine  Anzahl  an- 
derer Verbindungen  von  complicirterer  Zusammensetzung.  Alle  diese 
Substanzen  bleiben  zunächst,  der  Uebersichtlichkeit  wegen,  unberttcksich- 
tigt;  es  wird  nachher  gezeigt  werden,  dass  sie  zu  den  einfacheren  Zinn- 
äthylverbindungen  in  sehr  naher  Beziehung  stehen. 

Da  die  bis  jetzt  dargestellten  Methjlverbindungen  des  Zinns  die 
vollständigste  Analogie  mit  den  entsprechenden  Aethylverbindungen  zei- 
gen ,  so  genügt  es  nur  diese  letzteren  ausführlicher  abzuhandeln  *). 

Zinnäthylverbindungen. 

788.  Bildung.   Die  Zinnäthylverbindungen  sind  bis  jetzt  wesentlich  durch 

Einwirkung  von  metallischem  Zinn  oder  einer  Legirung  von  Zinn  und 
Natrium  auf  Aethyljodid  (oder  auch  Aethylbromid)  dargestellt  worden. 
Wird  reines  Zinn  angewandt,  so  muss  entweder  auf  180®  erhitzt  werden, 
oder  man  setzt  die  Substanzen  der  Einwirkung  der  durch  einen  parabo- 
lischen Spiegel  concentrirten  Sonnenstrahlen  aus  (Frankland).  Bei  An- 
wendung einer  Legirung  von  Zinn  und  Natrium  erfolgt  die  Einwirkung 
bei  um  so  niederer  Temperatur  je  reicher  die  Legirung  an  Natrium  ist, 
so  zwar,  dass  Natrium  reichere  Legirungen  (z.  B.  1  Th.  Na  auf  4  Th.  Sn) 
schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  auf  Aethyljodid  einwirken.  Zur  Be- 
endigung der  Reaction  ist  es  stets  zweckmässig  auf  120®  zu  erhitzen 
(Cahours). 

Bei  Anwendung  von  Zinn  allein  wird  fast  ausschliesslich  krystillisi- 
rendes  Stanndiäthyljodid:  Sn(€2H5)2Js  erhalten.  Bei  Anwendung 
von  an  Natrium  armen  Zinnlegirungen  entsteht  ebenfalls  wesentlich  dieses 
Jodid ;  gleichzeitig  wird ,  und  zwar  in  um  so  grösserer  Menge  je  reicher 
die  Legirung  an  Natrium  ist,  Stanntriäthyljodid:  Sn(62H5),J  gebil- 
det. Wird  endlich  eine  an  Natrium  reiche  Legirung  angewandt  (1  Th. 
Natrium  auf  4  Th.  Zinn),  so  entstehen  fast  ausschliesslich  freie  Radicale, 

nämlich:    Stanndiäthyl:  sSre^H^^  "°^  ^^^°°*"^*^y^- S^^^ 
(Cahours). 

Die  Zinnäthylverbingungen  können  femer  durch  Einwirkung  von 
Zinnchlorid  auf  Zinkäthyl  erhalten  werden. 

Genetische  Beziehungen  der  verschiedenen  Zinnäthyl- 
verbindungen. Geradeso  wie  man  bei  den  Arsenmethylverbindungen 
durch  Einwirkung  von  Chlor  von  den  methylreicheren  Gliedern  der  Reihe  zu 
den  methylärmeren  herabsteigen  kann,  bis  endlich  Arsenchlorür  erhalten 

*)  üeber  Zinnamyl Verbindungen  vgl  Grimm,  Ann.  Chem.  Pharm.  ZGIL  888. 


SlaauiftÜiyL  507 

wird,  und  wie  man  nmgekehrt  durch  Einwirlrong  Ton  Zinkmethyl  in  der 
Reihe  aufsteigend,  methylreichere  Verbindungen  darstellen  kann,  so  ist  auch 
bei  den  Zinnäthylverbindungen  durch  Einwirkung  von  Jod  oder  von  Salz- 
säure ein  Absteigen  in  der  Reihe  und  umgekehrt  durch  Einwirkung  von 
Zinkäthyl  ein  Aufsteigen  möglich. 

Lässt  man  auf  Stannteträthyl,  Stanntriäthyljodid  oder  Stanndiäthyl- 
jodid  Jod  einwirken,  so  wird  stets  Aetbyl  entzogen  und  durch  Jod  er- 
setzt; es  entsteht  Aethylj od id  und  das  nächst  niedere,  d.h.  an  Aethyl 
ärmere  und  an  Jod  reichere  Glied  der  Reihe  (Cahours).    Man  hat: 


stannteträthyl. 
Sn(€,H,)4        + 

J. 

= 

(e,H,)J 

+ 

Staimtriäthy^odid. 
8n(eiH,),J 

StanntriSthyljocIid. 

J> 

^ 

(e«H,)j 

+ 

StanndiSthyljodid. 
SD(e,H,),J, 

Staondiäthyljodid. 
Sn(€,H5)aJ,       + 

2J, 

— 

2(e,H,)j 

+ 

Zimgodid. 
SnJ« 

Lässt  man   z.  B.   auf  Stannteträthyl  in  der  Kälte  wenig  Jod  einwirken ,   so 

,  entsteht  Stanntriäthjljodid ;  erwärmt  man  mit  mehr  Jod,  so  wird  Stanndiäthyljodid 

gebildet;    erhitzt  man  in   zngeschmolzenen  Röhren  mit  viel  Jod,  so  bildet  sich 

Zinnjodid.    Es  ist  bis  jetzt  nicht  gelungen ,  diese  JEleaction  bei  Bildung  des  in  der 

Reihe  noch  fehlenden  Stannmonfithyljodids :  SD(6aH^)J3  einzuhalten. 

Ganz  ähnlich  wirkt  Salzsäure,  nur  wird  dann  statt  des  Aethyl- 
Jodids  Aethylwassenstoff  gebildet.  Aus  Stannteträthyl  entsteht  z.B. 
beim  Erhitzen  mit  Salzsäure  zuerst  Stanntriätbylchlorid  und  dann  Stann* 
diäthylchlorid  (Frankland,  Buckton): 

Stannteträthyl.  Stanntriftthylchlorid. 

8ii(ejH5)4        +        HCl        =        eaH5.H        +        Sn(G2H5)3Cl 

Stanntriäthylchlorid.  Stanndiäthylchlorid. 

Sn(GaH5)aCl      +        HCl        =        Q^E^M       -f-        Sn{6,H5)jCl, 

Durch  Einwirkung  von  Zinkäthyl  ist  aus  Stanndiäthyljodid  das  Stann- 
teträthyl erhalten  worden: 

Stanndiäthyljodid.  Stannteträthyl. 

SnCGjHj)^!,      +        ZnCGaHs),        =        ZnCl,        +      8n(G,H5)4 

Bei  diesem  Versuch  ist  Zinkäthyl  im  üeberschuss  angewandt  worden  (Back- 
ten, Frankland) ;  es  ist  wahrscheinlich,  dass  bei  Einwirkung  von  weniger  Zinkäthyl 
das  zwischenliegende  Glied  der  Reihe,  Stanntriäthyljodid,  erhalten  wird. 

Ebenso  entsteht  bei  Einwirkung  von  Zinkmethyl  auf  Stanndiäthyl- 
jodid das  Stanndimethyldiäthyl  (Frankland): 

Stanndiäthyljodid.  Zinkmethyl.  Stanndimethyldiäthyl 

8n(eA)tJ,      +      zicGH,),      =       ZnCl,      +      Sn(G,H5)a(GB»)t 


506  Zmnyerbindimgen  der  Alkoholradieale. 

und,  dorcb  eine  entsprechende  Reacdon,  bei  Einwirkang  von  Zinkäthyl 
auf  Stanntrimethyljodid  das  Stanntrimethyl&thyl  (Gabours): 

Stanntrimethyljodid.  Stanntrimethyl&thyl. 

2Sn(eH,)jJ     +     ziKGjHj),      =      ZnCl,    +    2  8n(eH3)3(G2H4) 

785.  ^^^  Isolirung   der  Radicale  ist   bis  jetzt  nur  fdr  Stanndiätbyl 

durch  eine  einfache  Reaction  ausgeführt.  Lässt  man  nämlich  auf  Stann- 
diäthylchlorid  Zink  einwirken,  so  entsteht  (genau  wie  bei  der  Isolirung 
das  Radicals  Eakodyl  S*  754).  Zinkchlorid  und  Stanndiätbyl  (Frankland): 

Stanndiätbylchlorid.  StanndiäthyL 

2Sn(e,H,),Cl,      +       2Zn      =      2ZnCl,      +      sSjelHljii 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  Natrium  in  derselben  Weise  wirkt  wie 
Zink,  und  dass  desshalb  bei  Einwirkung  von  Zinn- Natrium -Legirungen  auf  Jod- 
äthyl  um  so  mehr  freie  Radicale  entstehen,  je  reicher  die  Legirung  an  Natrium  ist 

Es  ist  femer  sehr  wahrscheinlich,  dass  Aethyljodid  sich  mit  den  freien  Ra- 
dicalen,  mit  Stanndiäthyl  wenigstens,  direct  verbindet: 

Stanndiäthyl:  Iq^I^h*)*}     +    ^  ^»^»'^    ==    ^  Snt6aH5),J  —  Stanntriäthyljodid. 

So  erklärt  sich,  dass  es  bei  Darstellung  der  Zinnäthylverbindungen  von  der  Menge 
des  angewandten  Jodäthyls  abhängig  ist,  ob  ein  freies  Radical  oder  das  Jodid  des 
ftthylreicheren  Radicals  erhalten  wird. 

Bemerkens werth  ist  ferner,  dass  das  Stanndiätbyl  beim  Erhitzen 
Zersetzung  erleidet,  indem  es  in  Zinn  und  Stannteträthyl  zer&llt 
(Cabours) : 

Stanndiäthyl.  Stannteträthyl. 

Ä];i        =        Sn        +        SnfeA), 

und  endlich,  dass  S tan  ndiäthyloxyd  sicli  beim  Erhitzen  mit  Kalilauge 
zersetzt,  indem  zinnsaures  Kali  und  flüchtiges  Stanntriäthy loxyd  ge* 
bildet  wird.  (Cabours.) 

Stanndiäthyloxyd.  Stanntriäthylozyd. 

Einzelbeschreibang  der  Stannätbylverbindungen« 

78&  Stannteträthyl.     Das  Stannteträthyl:   SnCeaH^)«,    ist  eine  farblose  und 

fast  geruchlose  Flüssigkeit,  spec.  Gew.  1.19;  Siedep.  181  Es  ist  leicht  entzündlich 
und  brennt  mit  stark  leuchtender  Flamme.  Es  ist  unfähig  salzartige  Verbindungen 
einzugehen,  verhält  eich  vielmehr  wie  ein  Aether  des  Stanntriäthy Is  oder  des  Stann- 
diäthyls.  Bei  Einwirkung  von  Jod  oder  von  Salzsäure  wird  unter  Austritt  von 
Aethy^Qijdid    oder   Aethylwasserstoif  Stanntriäthyljodid  oder   Chlorid,    oder   auch 


Stannäthyl.  509 

Stanndiäthyljodid  oder  Chlorid  erzeugt.  Das  Stanndimethyldi&thyl: 
SiHeH,)j(eaH4)„  siedet  bei  144*  —  146»^  das  Stanntrimethyläthyl: 
Sn(6H3),(6aH5,»,  bei  etwa  150«;  das  Stanntetramethyl:  Sn(6H,)4  bei 
1400  _  1460. 

Stanntriäthyl.  Das  Radical  Stanntriäthyl:  InfG^H*)*}  ^*  ®"*  gelbes,  bei 
etwas  180®  siedendes  Oel,  es  vereinigt  sich  direct  mit  Sauerstoff,  Chlor,  Brom 
und  Jod.    Die  Verbindungen  des  Staun triäthyls  sind  meist  ohne  Zersetzung  fldchtig 

und  besitzen  einen  stechenden  Geruch.  Das  Stanntriäthyloxyd:  c  ,2VM^» 
am  bessten  durch  Destillation  von  Stanndiäthyloxyd  mit  Kali  erhalten,  bildet  als 
Hydrat:  gnf^^H*)'}^  "^  ^*^  farblose  glänzende  Prismen,  die  bei  44®  schmelzen 
und  bei  272®  sieden.  Es  ist  löslich  in  Alkohol,  Aether  und  Wasser,  die  letztere 
Lösung  reagirt  stark  alkalisch.  Erhitzt  man  es  längere  Zeit  bei  einer  seinem  Sie- 
depunkt naheliegenden  Temperatur,  so  erhält  man  es  wasserfrei  Es  gibt  mit 
Säuren  direct  Salze.  Das  Staunt riäthyljodid:  Sn(62H5)3J  (spec.  Gew.  1.83 ; 
Siedep.  2360— 288«);  Stanntriäthylbromid:  SnieaHjJaBr  (Siedep.  222®— 224«) 
und  das  Stanntriäthylchlorid:  Sn(6aH5),Cl  (spec.  Gew.  1.428;  Siedep.  208® 
—  210®)  sind  stechend  riechende  ölartige  Flüssigkeiten,  die  in  Wasser  wenig,  in 
Alkohol  und  Aether  leicht  löslich  sind;  das  Chlorid  erstarrt  bei  etwa  0®  krystalli- 
nisch.  Das  Stanntriäthyl  Cyanid,  aus  dem  Jodid  und  Cyansilber  erhalten, 
sublimirt  in  schönen  Nadeln.  Das  salpetersaure  Salz  ist  schwer  krystallisirbar; 
das  schwefelsaure  Salz  krystallisirt  in  glänzenden  Prismen.  Das  ameisensaure  und 
das  essigsaure  Salz  sind  ebenfalls  krystallisirbar  und  ohne  Zersetzung  fLttchüg. 
Das  Oxalsäure  Salz  krystallisirt  leicht  und  ist  in  Wasser  sehr  löslich. 

Stanndiäthyl.    Das  Radical  Stanndiäthyl:  |°|^»g»M     ist     eine    dicke, 

ölige,  in  Wasser  unlösliche  Flüssigkeit  (spec.  Gew.  1.55),  die  sich  beim  Erhitzen 
in  Zinn  und  Stannteträthyl  zersetzt  Es  verbindet  sich  direct  mit  Sauerstoff,  Chlor, 
Brom  und  Jod.  Das  Stanndiäthylchlorid:  Sn(GaH5)2Cla  (schmilzt:  60®,  sie- 
det: 220®),  das  Stanndiäthylbromid:  Sn(e3H()aBr2  (siedet:  282®  — 288®) 
und  das  Stanndiäthyljodid:  SnCGaH^JsJa  (schmilzt:  42®,  siedet:  240®)  kry- 
stallisiren  in  seiden  glänzenden  Nadeln  und  sind  in  Alkohol,  Aether  und  auch  in 
Wasser,  namentlich  beim  Erhitzen,  löslich.  Aus  ihren  Lösungen  f&llt  Ammoniak, 
das  Stanndiäthyloxyd  =  Sn(GaH5)20  als  weisses  amorphes  Pulver,  in  Wasser, 
Alkohol  und  Aether  unlöslich.  Aus  diesem  Oxyd  können  durch  Säuren  direct 
die  Salze   des  Stanndiäthyls  erhalten   werden.     Das   salpetersaure  Salz: 

(NO  )  1^*  krystallisirt  in  grossen  Prismen,  das  schwefelsaure  Salz:  „  fah  )  |^a 

in  glänzenden  Blättchen.  Auch  das  ameisensaure ,  essigsaure  und  weinsaure  Salz 
sind  krystallisirbar.  Das  Oxalsäure  Salz  ist  ein  unlösliches  blendend  weisses 
Pulver. 

Es  wurde  obeu  ($.  782)   erwähnt,  dass  ausser  diesen  einfacheren  787. 
von  dem  Zinnchlorid  sich  herleitenden  Aethjlverbindungen  noch  eine  An- 
zahl anderer  Substanzen  von  complicirterer  Zusammensetzung  existiren. 
Diese  Verbindungen  sind  wesentlich  von  Löwig  untersucht  worden.    Bei 
Einwirkung  von  Jodäthyl  auf  eine,  zur  Mässigung  der  Reaotion  mit  Sand 


510  Zinnverbindungen  der  Alkoholradicale. 

gemengte,  Legirung  von  1  Th.  Natriam  mit  6  Th.  Zinn,  und  AbdestillireD 
des  aberschüssigen  Jodäthjis  wurde  eine  Masse  erhalten,  aas  welcher 
durch  verschiedene  Lösungsmittel  verschiedene  Zinnäthylradicale  und  Jo- 
dide solcher  Radicale  getrennt  werden  konnten. 

Low  ig  unterschied  damals  die  folgende  Radicale: 

Stannäthyl  Sn(C4H5)  Sn(C4Hft)J 

Methstannäthyl  SujCC^Hj),  Sn,(C4H5),J 

Aethstannäthyl  Sn4(C4H4),  8n4(C4H5)5J 

Methjlenstannäthjl  ^  ^^liCiß^)^ 

Elajlstannathyl  Sn4(C4H4)4  Sn4(C4H5)4J 

Acetstannäthyl  —  Sn4(C4H4),J 

Fflr  einzelne  wurden  die  freien  Radicale  und  die  Jodide,  für  andere 
dagegen  nur  die  Jodide  und  niemals  die  freien  Radicale  erhalten.  Von 
diesen  Verbindungen  ist  die  als  Stann&thjl  bezeichnete  Substanz  iden- 
tisch mit  den  oben  als  Stanndiäthjl  bezeichneten  Verbindung;  das 
Methstannäthyl  ist  identisch  mit  Stanntriäthyl.  Die  meisten  der 
übrigen  von  Löwig  beschriebenen  Verbindungen  sind  von  andern  Che- 
mikern nicht  wieder  erhalten  worden.  Nur  eine  mitLöwig's  Methylen- 
stannäthyljodid  gleich  zusammengesetzte  und  wahrscheinlich  iden- 
tische Substanz  wurde  von  Cahours  bei  Einwirkung  von  Jod  auf  Stann- 
triäthyl und  von  Frankland  bei  Einwirkung  von  Jod  aufStanndimethyl- 
diäthyl  erhalten. 

Man  hat  nfimlich: 

Stanntriäthyl. 

Stanndimethyldiäthyl. 
2  Sn(eH,),(€A).      +      9J.        =        4  (€H,)J    +    sSlAhS 

In  Betreff  der  Eigenschaften  der  Löwig'schen  ZinnSthylverbindongen  mag 
nur  erwähnt  werden,  dass  die  freien  Radicale:  Aethstannäthyl  nnd  Elayl- 
stannäthyl  ölartige  Flüssigkeiten  sind,  dass  aber  von  diesen  sowohl  als  von 
den  beiden  nie  in  freiem  Zustand  beobachteten  Radicalen:  Methylenstann- 
äthyl und  Acetstannäthyl,  meistens  krystallisirte  Chlor-,  Brom-  oder  Jod- 
verbindungen,  krystallisirte  salpetersaure  oder  schwefelsaure  Salze  und  fOr  das 
Aethstannäthyl  auch  ein  krystallisirtes  Oxydhydrat  erhalten  wurden. 

788.  Da  die  Existenz  dieser  von  Löwig  beschriebenen  Verbindungen 

mehrfach  angezweifelt  worden  ist*),  so  scheint  es  geeignet,  die  Be- 


*)  Vgl  B.  B.:  Strecker,  Ann.  Chem  Pharm.  GV.  806. 


StannSthyl.  5]| 

Ziehungen  dieser  Körper  zu  den  oben  beschriebenen  einfacheren  Zinnftthjl- 
verbindungen  etwas  ausführlicher  zu  erörtern. 

Die  Glieder  der  oben  mitgetheilten  (§.  782)  Normalreihe  der  Zinnäthylver- 
bindungen können  entweder  betrachtet  werden  als  Zinnchlorid,  dessen  Chlor  durch 
Aethyl  ersetzt  ist,  oder  auch  als  Stannteträthyl ,  dessen  Aethyl  durch  Chlor  oder 
Jod  vertreten  ist  Die  isolirten  Radicale  dieser  Normalreihe  besitzen  als  freie  Mo- 
lecfüe  eine  verdoppelte  Formel;  nämlich: 


StanndiäthyL  StanntriäthyL 

SnlOa 
Snie, 


Sn(eaH5)al  SnCGaH»),» 

~    ^2^M  Sn(eaH.),f 


Wenn  man  nun  annimmt,  dass  in  jedem  dieser  Radicale  wieder  Aethyl  durch  Chlor 
oder  Jod  ersetzt  werden  kann  (gerade  so  vne  dies  bei  dem  Stannteträthyl  der  Fall 
ist),  so  erhält  man  die  folgenden  Formeln: 

aus  StanndiäthyL  aus  StanntriäthyL 

"•  lÄä   =  ««^teAV,        IV.  l^^ii)  =  sn,(e,H^A 

Von  diesen  Formeln  ist  nun:  I.  Löwig's  Acetstannftthyljodid;  m.  Löwig^s 
Aethstannäthyljodid  und  IV.  Löwig's  Ifethylenstann&th yl Jodid.  Das 
Acetstannäthyljodid  steht  demnach  zum  isolirten  Stanndifithyl  genau  in  derselben 
Beziehung,  v?ie  das  Stanntriäthyljodid  zum  Stannteträthyl ;  das  Methylenstannäthyl- 
Jodid  und  das  Aethstannäthyljodid  verhalten  sich  zum  isolirten  Stanntriäthyl  genau 
wie  das  Stanndiäthyljodid  und  das  Stanntriäthyljodid  zum  StannteträthyL 

Wenn  man  femer  in  dem  isolirten  Radical  Aethstannäthyl  zwei  Aethyl 
durch  Jod  ersetzt,  so  erhält  man  die  Formel  von  Löwig's  Elay Istann äthyl- 
jodid: 

AethstannfithyL  Elaylstaunäthyljodid. 

SnaCeaH^la»  Sna(ejH9)4JI     _    fin  r«  TT  w 

Sn,(e,H,)*|  Sna(eaH5)4j|     ^    ^^(^aH,)^ 

Das  Elaylstannäthyljodid  steht  demnach  zum  Aethstannäthyl  in  derselben  Bezie- 
hung wie  das  Stanndiäthyljodid  zum  Stannteträthyl. 

Man  hat  demnach  die  folgenden  Reihen  von  Verbindungen ,  in  denen  jedes 
niederere  Glied  sich  von  dem  höheren  durch  Vertretung  des  Aethyls  durch  Jod 
herleitet: 

StannteträthyL  StanntriäthyL  StanndiäthyL  AethstannäthyL 

SnieaHft)^!  SujiteaHft),  Sna(eaHe)4  Sn^ce^j^o 

Stanntriäthyljodid.  Aethstannäthyljodid.    Acetstannäthy^odid.  ^ 

Sn(eA)3J  Sn,(eaH,)5J  Sn^(eji^)^  - 

Stanndiäthyljodid.    Methylenstannäthyljodid.  Elaylstannäthyljodid. 

Sn(€A)aJ,  SnaCGaH^Va  -  Sn^ce^H^Ä 


512  Zinnäthyl verbindangen  der  Alkoholradicale. 

Diese  complicirter  zasammengesetzten  Zinnäthylverbindungen  können  nwi 
entweder  durch  Einwirkung  von  Jod  auf  das  als  Anfangsglied  der  Reihe  dienende 
Radical  erhalten  werden,  z.  B.  das  Methylenstannäthyljodid  und  vielleicht  auch  das 
AethstannäÜiyljodid  durch  Einwirkung  von  Jod  auf  Stanntriäthyl.  Sie  können  fer- 
ner gebildet  werden  durch  Vereinigung  von  Jodäthyl  mit  den  isolirten  einfacheren 
Radicalen.    Z.  B.: 

Stanndiäthyl:  |JJ||2^»M     +    OjEiJ    =    Sn,(eAUJ    Aethstannäthyljodid. 

Ebenso  würde  das  bis  jetzt  nicht  bekannte  Stannmonäthyl:  gj^f^  ^  )|  mitlGA^ 

das  Acetstannäthyljodid ,  mit  2  ^^H^J  das  Methylenstannäthyljodid  geben. 

Da  umgekehrt  die  von  Löwig  dargestellten  Radicale,  sich  wahrscheinlich 
bei  Einwirkung  von  Jodäthyl  zu  den  Jodiden  einfacherer  Radicale  umsetzen,  z.  B.: 

Aethstannäthyl  [SnatBaHs)»],  +  2  e^H^J  =  2  SnteaH^V  +  [SnieaH^ljla 
Elaylstannäthyl    [Sn^teaH»)«],    +    4  G^E^J    =    4  Sn(e2H5),J 

so  ist  es  einleuchtend,  dass  es  wesentlich  von  den  Bedingungen,  in  welchen  die 
Operation  ausgeführt  wird,  abhängen  muss,  ob  diese  complicirteren  Verbindungen 
erhalten  werden  oder  nicht  und  es  erklärt  sich  so  einigermassen,  warum  bei  neue- 
ren Versuchen,  wo  man  meist  in  zugeschmolzenen  Röhren  arbeitete  und  wo  mit- 
hin das  Product  der  Einwirkung  eines  Ueberschusses  von  Jodäthyl  ausgesetzt  war, 
diese  Verbindungen  nicht  gebildet  wurden,  während  sie  bei  Löwig's  Versuchen 
entstanden,  weil  das  Überschüssige  Jodäthyl  während  der  Reactlon  abdestiUirte. 

Schliesslich  muss  noch  darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  dass  diese  Ver- 
bindungen, wenn  man  nämlich  annimmt,  dass  das  Aethyl  eine  dem  Wasserstoff 
ähnliche  Rolle  spielt,  in  ihrer  Zusammensetzung  eine  gewisse  Analogie  zeigen  mit 
einigen  Kohlen wasserstoffverbindungen;  eine  Analogie,  die  Löwig  schon  zur  Wahl 
der  von  ihm  benutzten  Kamen  veranlasste  und  die  an  Interesse  gewonnen  hat, 
seitdem  der  Kohlenstoff  und  das  Zinn  als  vieratomige  Elemente  erkannt  wor- 
den sind. 

Blei  äthyl  verbin  dun  gen. 

739,  Durch  Einwirkung  von  Jodäthyl   auf  eine  Legirung  von  Blei  und 

Natrium  sind  von  Löwig*)  bleihaltige  Aethjlverbindungen  dargestellt 
worden,  von  welchen  namentlich  die  einem  Jodid  von  der  Formel: 
Pb2(02H5)3J  entsprechend  zusammengesetzten  näher  untersucht  und  als 
Methplumbäthjlverbindungen  beschrieben  wurden.  Gleichzeitig  hatten 
Gahours  und  Riche  beobachtet,  dass  Jodäthyl  von  Blei  nicht  angegriffen 
wird.  Diese  Beobachtung  fand  B  u  c  k  t  o  n  ** j  später  bestätigt,  aber  es  zeigte 
sich,  dass  durch  Einwirkung  von  Zinnäthyl  auf  Chlorblei  verschiedene 
bleihaltige  Verbindungen  erhalten  werden  können. 


<)  Ann.  Chem.  Pharm«  LXXXVIIL  818. 
••)  ibid.  CIX. 


Blei&thyl.  513 

Destillirt  man  die  bei  Einwirkung  von  Chlorblei  auf  Zinkftihyl  unter 
Ausscheidung  von  metallischem  Blei  entstehende  Flüssigkeit,  so  wird  eine 
,bei  198®  —  202®  siedende,  fast  geruchlose,  brennbare  Flüssigkeit  erhal- 
ten; das  Bleiteträthjl:  Pb2(62Hs)4.  Lässt  man  Salzs&uregas  auf  diese 
Verbindung  einwirken,  so  entweicht  Aethjlchlorid  und  es  entsteht  in  lan- 
gen Nadeln  krystallisirendes  Bleitriäthjlchlorid:  Pb2(62H5)3CL  Aus 
diesem  kann  mit  Kali  oder  Silberoxyd  das  Blei  tri ftthyloxyd  erhalten 
werden,  aus  welchem  bei  Einwirkung  von  S&uren  Salze  entstehen,  von 
denen  das  schwefelsaure  in  Nadeln  krystallisirt,  die  auch  bei  Zusatz  von 
Schwefelsäure  zu  einer  heissen  Lösung  des  Chlorids  gefällt  werden.  Nach 
diesen  Thatsachen   scheint  das  Blei,   wie  dew  Zinn,  vieratomig  zu  sein. 

(Pbj  =  1  Atom  =  Pb  =  207). 

Die  bis  jetzt  bekannten  Bleiäthyle  sind  dann  die  folgenden : 

Bleitetr&thyl  Pb(G,H5)4 

BleitriÄthylchlorid      Pb(G,H5),Cl. 

Aluminiumäthyl.  Durch  Erhitzen  von  Jodäthyl  mit  Aluminium  79a 
hatCahours  *)  eine  bei  340®— 350®  siedende  und  an  der  Luft  rauchende 
Flüssigkeit  erhalten,  deren  Zusammensetzung  der  Formel:  Al4(02H5)3J9 
entspricht.  Dieses  Jodid  zersetzt  das  Wasser  explosionsartig  unter  Bil- 
dung von  Thonerde,  Jodwasserstoff  und  Aethylwasserstoff;  es  entzündet 
sich  in  einer  Atmosphäre  von  Chlor  oder  Sauerstoff*.  Von  Zinkäthyl  wird 
das  Jodid  lebhaft  angegriffen,  es  entsteht  Jodaluminium  und  eine  sehr 
entzündliche  Blüssigkeit ,  welche  vermuthlich  Aluminiumäthyl  ist. 
Diese  Verbindung  wurde  nicht  rein  erhalten;  nach  der  Zusammensetzung 
des  Jodids  und  nach  der  Dampfdichte  des  Chloraluminiums  scheint  ihr 
die  MolecularformeU  A\^(ß2^s)s  zuzukommen. 

Das  Beryllium  wirkt  ähnlich  wie  Aluminium  und  scheint  entspre- 
chende Producte  zu  erzeugen.  ^ 

Wo  1fr  am  verbin  dangen  der  Alkoholradicale.  Wolfram  791. 
wird  selbst  bei  langem  Erhitzen  mit  Jodäthyl  auf  240®  kaum  angegriffen. 
Jodmethyl  wirkt  kräftiger;  man  erhält  eine  zähe  bei  sehr  hoher  Tempe- 
ratur siedende  Flüssigkeit,  aus  welcher  Aether  eine  in  farblosen  Tafeln 
krystallisirendes  und  bei  110®  schmelzendes  Jodid  auszieht:  W(€H2)3J. 
Aus  diesem  erhält  man  durch  Silberoxyd  das  Wolframmethyloxyd: 
W2(6H3)qO  als  weisses  Pulver.  Dieses  gibt  mit  Säuren  unkrystallisirbare 
Salze,  aus  deren  Lösung  durch  Alkalien  das  Oxyd  wieder  gef&Ut  wird. 
(Riohe)**). 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXIV.  242. 
••)  Vgl.  Jahresb.  1866.  S.  878. 


Keknl^,  orsM.  Chemie.  83 


514 


Fette  Säuren. 


Zweite  Gruppe. 

Yerbindimgen  der  einatomigen  Oiykohlenwasserstofiadicale :  6nE^^i&. 

[Gruppe  der  fetten  Säuren  und  ihrer  Abkömmlinge.] 

792.  An  die  einatomigen  Alkohole  schliesst  sich   zunächst,   durch  zahl- 

reiche verwandtschaftliche  Bande  verknüpft,  eine  Reihe  einbasischer  Säu- 
ren an,  die  s.  g.  fetten  Säuren.  In  ihrer  Zusammensetzung  weichen 
diese  von  jenen  nur  dadurch  ab ,  dass  sie  2  Atome  Wasserstoflf  weniger 
und  dafür  1  Atom  Sauerstoff  mehr  enthalten : 

Man  hat  also  zwei  parallel  laufende  Reihen: 


Alkohole. 

Säuren. 

Methylalkohol 

eH4  e 

GH,  0, 

Ameisensäure. 

Aethylalkohol 

GaHeO 

G2H4  Oj 

Essigsäure. 

Propylalkohol 

GaHsO 

G3H0  O2 

Propionsäure. 

Butylalkohol 

G4H10O 

^4^8  ©a 

Buttersäure. 

Amylalkohol 

©ftHijO 

G5H10G2 

Baldriansäure. 

etc.. 

etc. 

Jeder  Alkohol  ist  fähig  durch  Oxydation  in  die  entsprechende  Säure, 
das  heisst  in  diejenige  Säure,  die  gleichviel  Eohlenstoffatome  enthält, 
überzugehen.  Jeder  Alkohol  kann  ausserdem  auf  indirectem  Weg  in  die 
nächst -kohlenstoffreichere  Säure  übergeführt  werden.  Umgekehrt  liefern 
die  Säuren,  bei  geeigneten  Reactionen,  Spaltungsproducte,  die  auch  aus 
den  nächst-niederen,  d.  h.  um  1  Atom  Kohlenstoff  ärmeren  Alkoholen  er- 
balten werden  können. 

793.  Aehnlich   wie  das  Verhalten   der  einatomigen  Alkohole  und   ihrer 

wichtigsten  Abkömmlinge  in  einfacher  und  klarer  Weise  durch  typische 
Formeln  ausgedrückt  werden  kann,    in  welchen  Atomgruppen  von  der 

Form:  GdH^o  +  i  als  Radicale  angenommen  werden,  so  können  viele  Ei- 
genschaften und  Metamorphosen  der  fetten  Säuren  und  ihrer  nächsten 
Abkömmlinge,   durch  typische  Formeln   dargestellt  werden,   in   welchen 

Atomgruppen  von  der  Form:  GnH2a..i0  als  Radicale  angenommen  sind. 

Die  den  einfachsten  Typen  zugehörigen  Verbindungen  solcher  Radi- 
cale sind: 


Allg^emetae  Betraditangen. 


515 


Wasserstofftjp. 

Wassertyp. 

Ammoniak- 
typ. 

Hydrür. 

Chlorid. 

Hydrat 

Anhydrid. 

Amid. 

Allge- 
mein. 

e„Hin-iO 

©.Hi.-iO.Cl 

Hi^ 

enH,_,ej 
e„Hi._,er 

e.H2n_,0] 

h[n 
h\ 

als 
Beispiel. 

Aldehyd. 

GjHjO.Cl     . 

Acetyl- 
chlorid. 

Essigsäure. 

ejHjOivv 

ejHaOr 
Essigsäure- 
anhydrid. 

e,H,o) 

H^N 
H) 

Acetamid. 

Solche  Formeln  sind,   ähnlich  wie  dies  früher  (§•  616.)  für  die  AI-  794 
kohole  entwickelt  wurde,  ein  einfacher  Ausdruck  für  eine  grosse  Anzahl 
TOB  Thatsachen;  z.  B.  für  die  folgenden: 

1)  Der  vom  Typus  noch  vorhandene  Wasserstoff  ist  stets  durch  andere 
Radicale  yertretbar. 

Der  typische  Wasserstoff  des  Hydrats  kann  z.  B.  durch  Metalle, 
durch  die  Radicale  der  Alkohole  oder  auch  durch  die  Radicale  der 
Säuren  ersetzt  werden.    Man  hat  so: 


Säure. 


62"8^ 

H 

Essigsäure. 


nt^ 


Salze.  Aether.  Anhydrid. 

Kr  «aHsi  ejHaOr 

Essigsäure-Kali.      Essigsäure-  Essigsäure- 

Aethyläther.  anhydrid. 


In  derselben  Weise  ist  der  typische  Wasserstoff  der  HydrOre  ver- 
tretbar*   Man  hat: 


Aldehyd. 


Aceton. 
Ö2H3O 

eHj 


Chlorid. 

eil 


2)  Der  typische  Sauerstoff  der  dem  Wassertyp  zugehörigen  Verbin- 
dungen kann  durch  Schwefel  ersetzt  werden,  ohne  dass  die  Atom- 
gruppe in  mehrere  Molecüle  zerfällt  und  ohne  dass  die  Vertretbarkeit 
des  typischen  Wasserstoffatoms  verloren  geht.    Z.  B.: 


Essigsäure. 

Thiacetsäure. 

Thiacetsäure- 

Thiacetsäure- 

KaU. 

Aether. 

Wje 

eAgja 

ejHaOjg 

«^j8 

38 


0 


516  Fette  Säuren. 

Der  typische  Saaerstoff  kann  durch  Chlor  ersetzt  werden;  dann 
zerfült  aber,  gerade  wie  bei  den  Alkoholen  (vgl.  §.  618.)  das  Hole- 
cül  in  zwei  verschiedene  MoleoQle.     Z.  B. : 

Essigsäure.       gibt:  Aoetjlchlorid.  Salzsäure. 

e,H,eje      Ma|i«      =     eAo.ci     +     Ha 

3)  Die  alsRadicale  angenommenen  Atomgruppen  können  durch  wech- 
selseitigen Austausch  in  andere  Verbindungen  übertragen  werden. 
Zu  B.: 

Acetylchlorid.  Essigs&are. 

Essigsäureäthyläther.  Acetamid.  Alkohol. 

Acetylchlorid.      Essigsäure-EaU.  Essigsäureanhydrid. 

4)  Die  Formeln  zeigen  femer,  dass  durch  Vertretung  des  Wasserstoffs 
in  der  als  Radical  angenommenen  Atomgruppe  durch  andere  Ele- 
mente (Chlor,  Brom  etc.)  Substitutionsproducte  erhalten  wer- 
den können,  die  mit  der  Muttersubstanz  eine  gewisse  Anzahl  von 
Eigenschaften  gemein  haben.     Z.  B.: 

Essigsäure.        Monochloressig-       Dichloressig-  Trichloressig- 

säure.  säure.  -  säure. 

e,H,ej^       e,H,ciO|^       e,Hci,ej^        ö,ci,ej^ 

5)  Die  Formeln  drücken  endlich  in  einfacher  Weise  die  Beziehungen 
der  fetten  Säuren  zu  den  Alkoholen  von  gleichviel  Kohlenstoflfatomen 
aus,  indem  sie  die  Säuren  gewissermassen  als  Sauers toffsubstitutions- 
producte  der  Alkohole  darstellen: 

Aethylalkohol.  Essigsäure. 

796.  Die  eben  filr  die  fetten  Säuren  und  ihre  nächsten  Abkömmlinge  ge- 

brauchten  Formeln,  in  welchen  Radicale  von  der  Form  GoH^n-iO  ange- 


Allf  emeiBe  Betraehtnngen.  5)7 

Dommen  sind,  drücken  indess  weit  weniger  vollständig  das  Gesammt- 
verhalten  der  in  Rede  8t€henden  Verbindungen  aus,  als  es  die  entspre- 
chenden Formeln  der  Alkohole  thun. 

Die  fetten  S&uren  zerfallen  nämlich,  wie  mehrfach  erwähnt  (vgl 
$.  609),  bei  manchen  Reactionen  in  der  Weise,  dass  eine  Verbindung 
eines  um  1  Atom  Kohlenstoff  ärmeren  Alkoholradicals  entsteht;  und  sie 
können  umgekehrt  aus  Verbindungen  dieser  um  1  At.  G  ärmeren  Alko- 
holradioale gebildet  werden. 

So  gibt  z.  B.  Essigsäure  bei  elektroljtischer  Zersetzung  ihres  Kali- 
salzes das  Methyl,  Baldriansäure  gibt  Butyl: 

Essigs.  Kali.  Methyl.        Kohlen-         Kohlens. 

säure.  Kali. 

aWj^  +  H,e    =     lll\   +  ee,  +  ^je,  +  h, 

Baldrians.  Kali.  Butyl. 

•I 


e.H.«je  +  H,o    =    Ijgjj   +  ee,  +  ^je,  +  h. 


Durch  ähnliche  Zersetzung  entsteht  beim  Erhitzen  eines  essigsauren  Salzes 
mit  einem  Alkali  Methylwasserstoff: 


Essigsäure-Kali. 

Methyl-             Kohlens. 
Wasserstoff.             Kall 

e,H,Oj^    + 

-            h|       +       K,i^» 

In  gewisser  Beziehung  das  Umgekehrte  dieser  Reactionen  findet  statt 
wenn  Kohlensäure  sich  mit  Natriummethyl  zu  essigsaurem  Natron  ver- 
einigt : 

Natriummethyl.  Kohlensäure.  Essigs.  Natron. 

Na.GH,  +  G0,  =         ^'^f^\^ 

Oder  auch,  wenn  durch  Einwirkung  von  Kohlenoxyd  auf  Kaliumalkoholat 
propionsaures  Kali  entsteht  : 

Kohlenozyd.  Kaliumalkoholat.  Propions.  Kali. 

Die  letztere  Reaction  ist  völlig  analog  der  Bildung  von  ameisensaurem 
Kali  aus  Koblenoxyd  und  Kalihydrat: 

Kohlenoxyd.         Kalihydrat.  Ameisens.  Kali. 

ee      +      5|e       =       ^°^{e 


II«    =    ""li' 


518  Fette  Sftnren. 

796.  ^lU  T^^^  diesen  BildongB  -  und  Zersetznngsweisen  in  den  Formeln  Rechnung 
tragen,  so  muss  man  die  Radicale:  -9dH2b~i0  weiter   auflösen  und  als  auB  den 

Gruppen  On— iH^n— i  und  00  *)  bestehend  betrachten-,  das  heisst  als  zusammen- 
gesetzt aus  dem  um  1  At.  Kohlenstoff  ärmeren  AlkoholradicaJ  und  dem  Radical 
der  Kohlensäure.    Man  erhält  dann  die  Formeln  (vgl.  §§.  260.  609.): 

Typus. 

Z.  B.: 

Ameisensäare.  Essigsäure.  Propionsäure. 

m\  m\  e^. 

H^  h}^  h^ 

Solche  Formeln  erinnern  stets  daran,  dass  die  fetten  Säuren  in  Verbindungen  der 
nächst  kohlenstoffärmeren  Alkoholradicale  und  in  Kohlensäure  zerfallen  können 
und  dass  sie  umgekehrt  durch  Vereinigung  von  Kohlenozyd  oder  Kohlensäure  mit 
einer  Verbindung  eines  Alkoholradicals  entstehen  können.     Sie  drücken  im  Uebri- 

gen  Alles  das  aus,  was  die  einfacheren  Formeln:  ^"^^n—i^l^.  auch  ausdrücken, 

nur  in  etwas  weniger  einfacher  Form. 

797.  Bei  einer  dritten  Gruppe  von  Metamorphosen  gehen  die  fetten  Säu- 
ren in  Verbindungen  über,  in  welchen,  bei  typischer  Betrachtung,  Radi- 
cale angenommen  werden  müssen ,  die  1  At.  H  weniger  enthalten  als  die 
Radicale:  OnH^a-iO  der  fetten  Säuren. 

So  gibt  z.  B.  Essigsäure  mit  Chlor  die  Ghloressigsäure,  aus  welcher 
dann  Gljcolsäure  erhalten  werden  kann: 

Essigsäure.  Monochloressigsäure.       Glycolsäure. 

e,H,eu  e.H,cieu  ,  hu 


e,H,e 

H 


i» 


Die  Chloressigsäure  wird  dabei  als  Substitutionsproduct  der  Essig- 
säure gebildet,  sie  zerfällt  aber  als  sei  sie  das  Oxychlorid  der  Gljcol- 
säure. 

nach  Bildung.  nach  Zersetzung. 

Chloressigsäure:        ®»^»^'gje  ^^^'hJo 


•)  60  =  Kohlenozyd  =  Radical  der  Kohlensäure:  G0.0. 


Allgemeine  Betrachtungen.  519 

Ganz  entsprechende  Metamorphosen  können  auch  in  umgekehrtem 
Binn  ausgefOhrt  werden.  Aus  der  Olycolsäure  kann  wieder  Essigsäure 
und  auf  dieselbe  Weise  aus  der  Milchsäure  Propionsäure  dargestellt  wer- 
den. Die  Milchsäure  gibt  nämlich  bei  Einwirkung  von  Phosphorsuper- 
chlorid ein  flüchtiges  Chlorid  *),  welches  bei  Einwirkung  von  Wasser 
Monochlorpropionsäure  erzeugt,  die  durch  Zink  in  gewöhnliche  Propion- 
säure überftihrt  werden  kann. 

Nach  ihrer  Bildung  aus  Milchsäure  können  das  flüchtige  Chlorid  und 
die  Chlorpropionsäure  ausgedrückt  werden  durch  die  Formeln : 


Milchsäure. 

Chlorid. 

ChlorpropioDS&ore. 

ejHjO.Cla 

Dieselben  Körper  können  andererseits  um  ihre  Beziehungen  zur  Propion- 
säure auszudrücken  dargestellt  werden  durch  die  Formeln: 

Chlorpropionjlchlorid.      Chlorpropionsäure.  Propionsäure. 

©,H4Cie.ci  e3H4Cieu  esHsOi^ 

Wollte  man  die  fetten  Säuren  durch  Formeln  darstellen,  welche  an  diese  ge-  798. 
oetischen  Beziehungen  zu  den  zweiatomigen  Säuren  (Glycolsäore,  IfilchsAure  etc.) 

erinnern,  so  müsste  man  1  At.  H  vom  Radical:  6nH2n— lO-  loslösen.  Man  hätte 
80  die  Formeln: 

Allgemein.  Essigsäure.  Propionsäure. 

H|  ^  H  ^  H| 

h)^  h!^  hP 

Da  femer  die  Di  chlor  essigsaure,  nach  Versuchen  von  Ferkln  und  Duppa, 
in  Glyozylsäure  umgewandelt  werden  kann  und  da  diese  der  Glycerinsäure 
homologe  Säure  durch  die  typische  Formel: 


ausgedrückt  werden  muss,   so  könnte  die  Essigsäure  durch  eine  dasselbe  Radical 
enthiJtende  Formel  dargestellt  werden.    Man  hätte: 

Glyozylsäure.  Dichloressigsäure.  Essigsäura 

eaHei^  ejHeJCla  6aHe*Ha 


*)  Welches  indess  nicht  rein  dargestellt  worden  ist. 


520  Fetto  Sftnren. 

799.  Bei  noch  andern  Metamorphosen  endlich  entstehen   aus  den  fetten 

Säuren  Substanzen,  die  noch  s&mmtlichen  Kohlenstoff  enthalten,  während 
aller  Sauerstoff  ausgetreten  ist.  Die  Ammoniaksalze  der  fetten  Säuren 
gehen  nämlich  durch  Verlust  von  Wasser  zunächst  in  Amide  über;  aus  diesen 
oder  auch  aus  den  Ammoniaksalzen  selbst  kann  dann  durch  wasserfreie 
Phosphorsäure  aller  Sauerstoff  in  Form  von  Wasser  eliminirt  werden,  in- 
dem ein  s.  g.  Nitril  gebildet  wird,  welches  durch  Aufoahme  von  Wasser 
wieder  rückwärts  in  das  Ammoniaksalz  der  fetten  Säure  übergeht 

Man  hat  z.  B. : 

Essigs.  Ammoniak.  Acetamid.  Acetonitril. 


oder: 


e,H,e)  e,H,.N 

Da  die  Nitril e  als  Verbindungen  dreiatomiger  Radicale  betrachtet  werden, 
so  könnten  die  fetten  Säuren,  am  an  diese  Beziehung  zu  den  Nitrilen  zu  erinnern, 
durch  Formeln  dargestellt  werden,  die  dieselben  dreiatomigen  Radicale  enthalten. 
Man  hätte  z.  B.  (vgl  §.  246): 

Essigsäure.  Typus. 


«^e.       ji 


4« 

Die  Bildung  der  Ameisensäure  aus  Chlorolorm:  6H.C1,  könnte  dazu  fahren,  die 
Ameisensäure  durch  die  entsprechende  Formel  darzustellen: 

Ameisensäure. 

800.  Da  die  Nitrile  identisch  sind  mit  den  Cyaniden  der  Alkoholradi- 

cale  Und  da  sie  durch  Aufnahme  von  Wasser  in  das  Ammoniaksalz  einer 
fetten  Säure  übergehen,  oder  durch  Einwirkung  von  Ealihjdrat  unter 
Freiwerden  von  Ammoniak  das  Kalisalz  einer  fetten  Säure  liefern,  so  ist 
die  Möglichkeit  gegeben,  aus  jedem  Alkohol  die  um  1  Atom  Kohlenstoff 
reichere  fette  Säure  darzustellen,  vgl.  §§.  609. 

Wollte  man  in  den  Formeln  der  fetten  Säuren  der  fiilduAg  dieser  Körper 
aus  den  Nitrilen  und  gleichzeitig  der  Entstehung  dieser  als  Cyanide  der  Alkohol- 
radicale  Rechnung  tragen,  so  müsste  man  den  Kohlenstoff  des  Cj'ans  von  dem 
Kohlenstoff  des  Alkoholradicals  getrennt  schreiben  und  man  käme  so  etwa  zu  den 
Formeln: 

Allgemein.  Essigsäure. 


Rationelle  Fomieln.  521 

Es  ist  vielleicht  nicht  ohne  Interesse,  gelegentlich  der  fetten  Sftu-  801. 
ren,  dieser  in  Bezug  auf  Metamorphosen  am  besten  studirten  Eörpergruppe, 
und   am  Beispiel  der  Essigsäure,    der   am  genauesten   erforschten  Säure 
dieser  Gruppe,    einige  Betrachtungen  über  den  Sinn  der  rationellen  For- 
meln beizufügen. 

In  den  vorhergehenden  Paragraphen  wurde  gezeigt,  dass  die  Meta- 
morphosen, d.  h.  die  Bildungs-  und  Zersetzungsweisen  der  fetten  Säuren, 
in  verschiedene  Gruppen  abgetheilt  werden  können,  in  der  Weise,  dass 
die  derselben  Gruppe  zugehörigen  Metamorphosen  gewisse  gemeinschaft- 
Uche  Charaktere  zeigen.  Da  nun  die  rationellen  Formeln  nichts  Anderes 
sind  als  ein  schematischer  Ausdruck  der  Metamorphosen,  so  ist  es  ein- 
leuchtend, dass  aus  jeder  Gruppe  von  Metamorphosen  eine  rationelle 
Formel  abgeleitet  werden  kann,  die  alle  der  betreffenden  Gruppe  zuge- 
hörigen Bildungs-  und  Zersetzungsweisen  in  einfacher  Weise  ausdrückt 
Die  den  verschiedenen  Gruppen  zugehörigen  Metamorphosen  filhren  natür- 
lich zu  verschiedenen  rationellen  Formeln.  Wollte  man  von  einer  ratio- 
nellen Formel  beanspruchen,  dass  sie  alle  Metamorphosen  gleichzeitig 
ausdrückt,  so  müsste  man  eine  Formel  aufsuchen,  welche  alle  einzelnen, 
aus  den  verschiedenen  Gruppen  von  Metamorphosen  sich  herleitenden 
Formeln  zu  einem  Ausdruck  zusammenfasse 

Für  die  Essigsäure  ergibt  sich  z.  B.  aus  der  Thatsache,  dass  bei 
Bildung  der  Salze  1  Atom  H  durch  Metalle  vertreten  wird,  die  Formel: 
GsHgOj.H.  Nimmt  man  dazu  die  Metamorphosen  der  Essigsäure  bei 
Einwirkung  von  Phosphorchlorid  und  Phosphorsulßd  und  weiter  alle  die 
§.794  erwähnten  Reactionen,  so  erhält  man  die  Formel:  62H3O.0.H,  die 

G  H  O^ 

man  gewöhnlich :  '  'tt  ( ^  schreibt.  Diejenigen  Metamorphosen  der  Es- 
sigsäure, bei  welchen  das  Essigsäuremolecül  in  eine  der  Methjlgruppe 
und  eine  der  Eohlensäuregruppe  zugehörige  Verbindung  zerfällt,  oder 
durch  Aneinanderlagerung   dieser  gebildet  wird,   führen  zu  der  Formel: 

GH     QQ  J 
6H3.GO.O.H,  oder:         '*    h1^'    ^^^'    ^^^    typischer    Schreibweise: 

GH, 
GO|^*   I^cr  Uebergang  der  Essigsäure  in  Gljcolsäure  und  die  Rück- 

G  H  G  Hi 
bildung  der  Essigsäure  aus  Gljcolsäure  führen  zu  der  Formel :     '  ^     H  ( ^ 

oder  ^  f}  0 '     7  Qod  wenn  man  gleichzeitig  den  vorher  erwähnten  Reac- 

tionen  Rechnung  tragen  will,  so  hat  man: 


522  Fette  Sftnren. 

Soll  dabei  noch  die  Beziehang  der  Essigsäure  zur  Olyozyls&ure 
berücksichtigt  werden,  so  muss  noch  ein  Atom  Wasserstoff  losgelöst 
werden.    Han  hat  dann: 

en.H 

eeiu 
H\e 

Der  genetischen  Beziehung  der  Essigsäure  zum  Acetonitril  nach   er- 

hält  die  Essigsäure  die  Formel:     ^q|^2;    und    wenn    gleichzeitig   die 

Bildung  des  Acetonitril  als  Methylcjanid  Berücksichtigung  finden  soll, 

so  wird  dieselbe:  ^'^^jo,. 

Man  sieht  nun  leicht,  dass  eine  umfassende  rationelle  For- 
mel der  Essigsäure,  d.  h.  eine  Formel,  die  alle  Metamorphosen  gleich- 
zeitig ausdrückt,  alle  aus  den  verschiedenen  Gruppen  von  Metamorpho- 
sen abgeleiteten  und  ftlr  diese  berechtigten  rationellen  Formeln  vereinigen 
und  mithin  alle  einzelnen  im  Essigsäuremolecül  enthaltenen  Atome  ge- 
trennt schreiben  müsste.    Man  hätte  etwa  die  Formel: 

Hi  HH) 

E}6  HHf 

E)  flH( 

eje  (™) 

die  man  von  dem  Typus :  4  Hj  -|-  2  E^B^  oder  8  H,  ableiten  könnte. 

Eine  solche  Formel  drückt,  weil  sie  aus  allen  bekannten  Metamor- 
phosen der  Essigsäure  hergeleitet  ist,  alle  Metamorphosen  aus;  aber  sie 
bietet  gerade  desshalb  auch  nicht  mehr  dieVortheile  dar,  die  man  durch 
den  Gebrauch  rationeller  Formeln  erlangen  will;  sie  erinnert  nicht  mehr 
weder  an  die  eine  noch  an  die  andere  Gruppe  von  Metamorphosen. 

Eine  umfassende  rationelle  Formel  eines  Körpers,  von  welchem  sehr 
zahlreiche  Metamorphosen  bekannt  sind,  muss  also  jedenfalls  alle  einzel- 
nen Atome  getrennt  schreiben,  aber  sie  muss  die  Atome  ausserdem  noch 
so  gruppiren,  dass  die  bei  den  einzelnen  Metamorphosen  vereinigt  blei- 
benden Atome  auch  in  der  Formel  benachbart  gestellt  sind  und  ferner  so, 
dass  die  relative  Stellung  der  Atome  in  der  Formel  eine  gewisse  Rechen- 
schaft gibt  von  den  hauptsächlichsten  Eigenschaften  der  Verbindung. 

Für  verhältnissmässig  einfach  -  zusammengesetzte  Körper  ist  dies  er- 
reichbar *)    und    die  eben  mitgetheilte  Formel  der  Essigsäure  (die,   wie 


*)  Ftlr  complicirt  zusammengesetzte  Körper  ist  voraaBsichtlich  eine  ganz  um- 
fassende   rationelle  Formel    nicht   möglich,    einmal    weil    die  im   Molecfll 


Rationene  FonneliL  523 

man  leicht  sieht,  Nichts  anderes  ist  als  ein  geschriebener  Ausdruck  für 
die  mehrfach  gebrauchte  graphische  Darstellung  vgl.  §.  275.)  leistet  Alles, 
was  eine  chemische  Formel  leisten  kann.  Die  folgende  Charakteristik 
der  Essigsäure  zeigt  in  der  That,  dass  alle  Eigenschaften  dieses  Körpers 
in  der  obigen  Formel  (und  in  der  mit  ihr  identischen  graphischen  Dar- 
stellung) ausgedrückt  sind.  —  Die  Essigsäure  enthält  2  At.  0,  4  At  H 
und  2  At.  O  im  Molecfil.  Von  den  4  Wasserstoffatomen  wird  das  eine 
bei  gewissen  Beactionen  vorzugsweise  hinweggenommen,  vielleicht  weil 
es  mit  der  Eohlenstoffgruppe  nur  in  indirecter  Verbindung  steht;  es  wird 
dabei  besonders  leicht  durch  Metalle  oder  metallähnliche  Radicale  ver- 
treten, vielleicht  veranlasst  durch  seine  relative  Stellung  zu  den  beiden 
Sauerstoffatomen.  Die  drei  anderen  Wasserstoffatome  sind  durch  Chlor  etc. 
substituirbar,  sie  zeigen  eine  völlig  verschiedene  Function,  vielleicht  weil 
sie  direct  vom  Kohlenstoff  gebunden  sind.  Von  den  beiden  Sauerstoff- 
atomeu  wird  bei  vielen  Beactionen  nur  das  eine  weggenommen,  vielleicht 
weil  es  nur  zur  Hälfte  von  den  Kohlenstoffatomen  gebunden  ist.  Dabei 
bleibt  häufig  die  Gruppe:  C2H30  unzersetzt,  vielleicht  weil  alle  Atome 
in  directer  Verbindung  mit  dem  Kohlenstoff  sind.  Diese  Gruppe  zeriUUt 
indess  bei  anderen  Beactionen  und  zwar  so ,  dass  die  beiden  Kohlenstoff- 
atome sich  trennen,  indem  das  eine  mit  dem  anliegenden  Sauerstoff  als 
Kohlenoxyd  weggeht  oder  Kohlensäure  erzeugt,  während  das  andere  mit 
den  drei  anliegenden  Wasserstoffatomen  eine  Methjlverbindung  bildet 
u.  s.  w.  — 

Die  folgende  schematische  Darstellang  ist  noch  geeigneter  diese  Verhftlt- 
nisse  hervortreten  za  lassen.  Sie  zeigt,  dass  ein  darch  Aneinanderlagemng  ver- 
schiedener Atome  gebildetes  Molecül  bei  verschiedenen  Metamorphosen  bald  da, 
bald  dort  spaltbar  sein  kann  und  dass  so  Atomgrappen,  die  bei  gewissen  Beac- 
tionen anzersetzt  bleiben  und  als  Radicale  betrachtet  werden.^  weiter  zerfallen  und 
so  als  aus  verschiedenen  Atomgmppen  oder  Radicalen  zusammengesetzt  erscheinen. 


g  f    e 


Bei  der  Bildung  der  Salze  und  der  Aether  ei folgt  Spaltung  nach  ab;  bei  Bildung 
der  Thiacetsäure  nach  b  c.     Bei  Einwirkung  der  Chloride  des  Phosphors  löst  sich 


räumlich  gestellten  Atome  auf  der  Ebene  des  Papiers  nicht  so  neben  einan- 
der gruppirt  werden  können,  dass  die  bei  verschiedenen  Metamorphosen  ver- 
einigt bleibenden  Atome  in  einer  und  derselben  Formel  benachbart  gestellt 
sind.  In  vielen  Fällen  aber  auch  desshalb  nicht,  weil  während  der  Zer- 
setzung Atome  zusammentreten  können,  die  in  dem  bestehenden  Molecül 
nicht  einmal  benachbart  gestellt  sind. 


524 


Fette  Säuren. 


der  Wasserstoff  und  Sauerstoff  ab ,  nach  a  c.  Bei  der  Bildung  des  Acetonitrils 
wird  auch  das  zweite  Sauerstoffatom  entzogen ,  a  d.  Bei  gewissen  Reacdonen  er- 
scheint also  die  Gruppe  ach  als  Radical,  bei  andern  die  Gruppe  adh;  die  erste 
ist  einatomig,  die  zweite  dreiatomig.  Bei  denjenigen  Metamorphosen,  bei  welchen 
eine  Methylverbindung  entsteht,  spaltet  sich  das  Molecül  nach  e  d;  die  Gruppe 
a  c  d  e  ist  das  Radical  der  Eohlensfture,  die  Gruppe  e  d  h  Methyl.  Bei  Einwirkung 
von  Chlor  oder  Brom  wird  hg  entzogen;  die  Gruppe  a  c  g  h  ist  dann  ein  zwei- 
atomiges Radical,  das  Radical  der  Glycolsäure. 

Es  ist  einleuchtend ,  dass  selbst  für  die  Essigsäure  (und  mehr  noch 
fQr  complicirter  zusammengesetzte  Körper)  eine  völlig  umfassende  ratio- 
nelle Formel  (selbst  wenn  sie  bei  dem  jetzigen  Stand  der  Wissenschaft 
gegeben  werden  kann)  für  den  gewöhnlichen  Gebrauch  nicht  geeignet 
ist,  dass  vielmehr,  nach  irgend  Zweckmässigkeitsgründen,  eine  von  den 
aus  einer  gewissen  Gruppe  von  Metamorphosen  abgeleitete  rationelle  For- 
mel ausgewählt  werden  muss. 

Da  nun  die  Formel:  *  'gjo  gerade  die  am  besten  studirten  Metamorpho- 
sen und  desshalb  gleichzeitig  die  Beziehungen  zu  einer  grossen  Anzahl  gut  unter- 
suchter Körper  ausdrückt,  so  wird  im  Nachfolgenden  diese  Formel  vorzugsweise 
gebraucht  und  nur  dann  eine  weiter -auflösende  rationelle  Formel  benutzt  werden, 
wenn  es  sich  um  Erklärung  gewisser  Metamorphosen  oder  um  Hervorheben  gewis- 
ser Analogieen  handelt. 

SchUesslich  mag  noch  darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  dass  im  Verlauf 
der  Entwicklung  der  Wissenschaft  jede  der  oben  erwähnten  Gruppen  von  Meta- 
morphosen als  besonders  massgebend  angesehen  und  dass  so  rationelle  Formeln 
gebraucht  oder  wenigstens  vorgeschlagen  wurden,  die  bald  den  einen,  bald  den 
andern  der  oben  erwähnten  Gesichtspunkte  besonders  hervortreten  liessen.  Ein 
einfacher  Blick  auf  die  Seite  58  zusammengestellten  Formeln  der  Essigsäure  wird 
dies  zeigen. 


002.  Uebersicht  der  einfachsten  Verbindungen  der  einato- 

migen Säureradieale   und    derjenigen   dieser  Säureradieale 
mit  den  einatomigen  Alkobolradicalen: 


Hydrür. 

Typus:  V^asserstofiF. 

Radical.                Chlorid. 

Keton. 

Allgemein. 

GoHon-lO^ 

G„H2n-ie 

e„H2n-ie.ci 

e„H«ai+l    s 

Beispiel. 

G,H,e; 
Aldehyd. 

unbekannt. 

Acetylchlorid. 

Aceton. 

Charakteristik  der  Grappen. 


525 


Typus:  Wasser. 


Säure. 

Salz. 

Aether. 

Anhydrid. 

Allgemein. 

e„H,„+,  ^ 

e„e2„-ie(^ 

Beispiel. 

Essigsäure. 

Essigsäure- 
Kali. 

Essigsäure- 
Aethyläther. 

Essigsäure- 
Anhydrid. 

Tjpus:  Ammoniak. 
Amid.  Diamid.  Triamid. 


Allgemein. 


H 
H 


N 


e.Hln-lOl 


Ö„H2,_|0) 


6.H2o-ie) 

e„Hto_iO[N 


Beispiel. 


Acetamid. 


e,H,0) 
Diacetamid. 


unbekannt. 


N 


G,H,0 
G,H,0 

e,H, 

Aethyldiacet- 
amid. 


Wir  stellen  zunächst  als  Charakteristik  der  in  dieser  Tabelle  aufge-  808; 
führten  Gruppen  alles  das  zusammen,  was  in  Bezug  auf  Bildung  und  ehe* 
mische  Eigenschaften  der  verschiedenen  Verbindungen,  die  derselben  Gruppe 
zugehören,  im  Allgemeinen  gesagt  werden  kann.  Alles  was  nur  für  ein- 
zelne Glieder  der  Gruppe  bekannt  ist,  bleibt  der  Einzelbesohreibung  der 
betreffenden  Substanzen  vorbehalten.  Die  wichtigsten  physikalischen  Ei- 
genschaften sind  gelegentlich  der  Aufzählung  der  jeder  Gruppe  zugehöri- 
gen Verbindung  zusammengestellt. 

I.  Hydrüre.     Aldehyde. 

Bildung.  Es  wurde  mehrfach  erwähnt  (§.  620),  dass  die  einato- 
migen Alkohole  durch  Oxydation  in  einbasische  Säuren  übergeftlhrt  wer- 
den können«  Wird  diese  Oxydation  durch  freien  Sauerstoff  unter  Vermitt- 
lung von  feinzertheiltem  Platin  oder  von  ähnlich  wirkenden  porösen  Sub- 
stanzen ausgeführt,  oder  werden  die  Alkohole  mit  direct  oxydirenden 
Substanzen  behandelt  (z.  B.  Braunstein  und  Schwefelsäure,  chromsaures 
Kali  und  Schwefelsäure,  Salpetersäure,  Chlor  etc.),  so  geht  der  Bildung 
der  fetten  Säure  die  Bildung  des  entsprechenden  Aldehyds  voraus. 

Jedem  Alkohol  können  also  durch  Oxydation  zwei  Atome  Wasser- 
stoff entzogen  werden,  es  entsteht  der  Aldehyd*)  von  gleichviel  O,  Z.B.: 


*)  Diese  Beziehung  zum  Alkohol  wird  durch  den  von  Liebig  vorgeschlagenen 
Namen  Aldehyd  angedeutet  (von  Alkohol  dehydrogenatum). 


526  Fette  Samen. 

Aethjlalkohol.  Acetaldehjd. 

^2^6^        "■        ^a        — -       O2H4O 

804.  Eine  andere  Bildungsweise   der  Aldehyde   wurde  in  neuerer  Zeit 

von  Piria*)  und  gleichzeitig  von  Limpricht  ♦*)  entdeckt.  Wird  näm- 
lich das  Salz  einer  fetten  Säure  mit  der  äquivalenten  Menge  von  amei- 
sensaurem Salz  gemengt  und  das  Gemenge  der  trocknen  Destillation  un- 
terworfen, 80  entsteht  der  Aldehyd  der  angewandten  fetten  Säure.   Z.  B. : 

Essigsaures  Ameisensaures  Aldehyd.  Eohlens.  Kali. 

Kali.  Kali. 

Diese  Bildung  der  Aldehyde  ist  der  nachher  ($.  808.)  zu  besprechen- 
den Bildung  der  Eetone  völlig  analog;  sie  erklärt  sich  durch  folgendes 
Schema  (vgl  §.  236): 

Ameisens.  Kali.  Essigs.  Kali. 

Ueber  Bildung  einzelner  Aldehyde  aus  Olycolen  und  bei  Oxydation 
eiweissartiger  Körper  vgl  §§.  820,  826. 
aoö.  Eigenschaften.   Die  Aldehyde  gehen  durch  Oxydation  mit  Leich- 

tigkeit in  die  entsprechenden  Säuren  über.  Die  Oxydation  erfolgt  schon 
durch  den  Sauerstoff  der  Luft,  leichter  durch  oxydirende  Substanzen. 
(Die  Aldehyde  reduciren  desshalb  aus  Silberlösung  metallisches  Silber; 
und  weil  die  Reduction  ohne  Oasentwicklung  erfolgt,  so  legt  sich  das 
Silber  als  Spiegel  an  die  Oefässwand  an.)    Man  hat: 

Acetaldehyd.  Essigsäure. 

€,H40  *      +         e         =         OjH^Oj 
Durch  Erhitzen  mit  Kalihydrat  geben  die  Aldehyde  das  Kalisalz  der 
entsprechenden  Säure  unter  Entwicklung  von  Wasserstoff.    Z.  B.: 
Acetaldehyd.  Essigs.  Kali 

H  K  )  ^* 

Die  meisten  Aldehyde   verbinden    sich   direct  mit  Ammoniak  and 
geben  krystallisirte  Aldebydammoniake.    Z.  B.: 
Acetaldehyd.  Aldehydammoniak. 

^A^j      +      NH,      =      eAe.NH,      =      ^«^ 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  C.  104. 
••)  ibid.  XCVn.  Ö68. 


Charakteristik  der  Grappen. 


527 


Die  Aldehyde  verbinden  sich  ferner  mit  sauren  schwefligsauren  Al- 
kalien and  bilden  krystallisirbare  Salze,  die  s.  g.  aldehydschweflig- 
sanren  Salze  *j.    Z.  B.: 


Acetaldehyd. 


Sanr.  Bchweflig- 
saures  Katron. 


Aldehyd,  schweflig- 
saures Katron. 


B^M 


irO'gKH  SS  ^2H4^^u^2EH 


Die  Katar  dieser  Yerbindimgen  ist  noch  nicht  völlig  aufgeklärt;  die  meisten 
sind  leicht  zersetzbar,  aus  einzelnen  kann  indess  die  entsprechende  Säure  abge- 
schieden werden  (vgl.  Oenanthol.  §.  918).  Die  Bildung  dieser  aldehydschweflig- 
sauren  Salze  kann  häufig  zur  Reindarstellung  der  Aldehyde  angewandt  werden. 
Man  schüttelt  die  den  Aldehyd  enthaltende  Flüssigkeit  mit  einer  concentrirten  Lö- 
sung von  saurem  schwefligsaurem  Katron,  reinigt  die  gebildeten  Erystalle  durch 
Auspressen  und  Auswaschen  mit  Alkohol  und  zersetzt  sie  dann  durch  Destillation 
mit  kohlensaurem  Katron. 

IL  Radioale.    Die  Radieale  der  fetten  Säuren  sind  bis  jetzt  nicht  gOG. 
mit  Sicherheit  bekannt,  obgleich  ihre  Darstellung,  zu  welcher  die  Theorie 
verschiedene  Wege  andeutet,  mehrfach  yersucht  wurde**),   (vgl  noch 
Butyrylchlorid  %.  910). 

in.  Chloride.     Die  Chloride  der  einatomigen  OxykoUenwasser-  307. 
stoffiradicale  entstehen  bei  Einwirkung  von  Phosphorchlorid  und  Phosphor- 
chlorür  auf  die  Hydrate  und  Salze  der  fetten  Säuren  und  bei  Einwirkung 
▼on  Phosphorylchlorid  (Phosphoroxychlorid)  und  PhosphorchlorOr  auf  die 
Salze  der  fetten  Säuren  (vgl.  $.  618).    Man  hat: 


Essigsäure. 


Phosphor- 
chlorid. 


w[(i: 


■^   r 


Gl 


ga,p    + 


8  Holecüle 
Essigs.  Kali. 


Phosphoryl- 
chlorid. 


Acetylchlorid 
-f-  Salzsäure. 

HCl 

Phosphor- 
saures EaU. 


Phosphoryl- 
Chlorid. 

+    poa. 


8  Holecüle 
Acetylchlorid. 


K.e 


K.0 


\ 


N^ 


Wja, 


_     pei 


gje,    4.    seA^.ci 


8  Holecüle 

Essigs.  Kali. 

K.e 


K.e 


K.O 


6jH,e  ^ 
eaH,0 


N^ 


Phosphor- 
chlorür. 


Phosphorig- 
saures  Kali. 


8  Holecüle 
Acetylchlorid. 


[)ci,     rr     Ije,    +    seAo.ci 


•}  Bertagnini,  Ann.  Ghem.  Pharm.  LXXZY.  179. 
•^)  Gerhardt,  Jahresb.  1862.  446. 


528  Fette  Säuren. 

Die  Chloride  der  einatomigen  Sftareradicale  sind  besonders  cha- 
rakterisirt  durch  die  Leichtigkeit,  mit  welcher  sie  doppelte  Zersetzung 
zeigen;  sie  werden  dessbalb  mit  Vortheil  zur  Darstellung  anderer  Ver- 
bindungen der  S&ureradicale  angewandt.  Sie  zerfallen  schon  mit  Was- 
ser, unter  Wärmeentwicklung,  in  Säurehydrat  und  Salzsäure.     Z.  B.: 

Acethylchlorid.  Salsaäure.  Essigsäure. 

ci.fM^süZZlje     =     Ha     +     «Aöj^ 

Die  Bromide  und  Jodide  der  Säureradieale  können  durch  ganz 
entsprechende  Reactionen  erhalten  werden  wie  die  Chloride,  sie  sind 
noch  weit  weniger  untersucht  als  diese. 

808.  IV.  Eetone.    Die  Ketone  oder  Acetone  können  als  Verbindun- 

gen der  einatomigen  Säureradieale  mit  den  einatomigen  Alkoholradicalen 
betrachtet  werden;  oder  auch  als  Aetherarten  der  Aldehyde,  d.  h.  als 
Aldehyde,  in  welchen  der  typische  Wasserstoff  durch  Alkoholradicale 
vertreten  ist 

Die  Acetone  können  im  Allgemeinen  durch  zwei  Reactionen  erhal- 
ten werden: 

1)  Durch  Einwirkung  der  Chloride  der  Säureradieale  auf  die  Zink- 
verbindungen der  Alkoholradicale  *).  Die  Zersetzung  erfolgt  nach 
dem  Schema: 

Zinkäthyl.  2  Mol.  Acetyl-  2  Mol.  Acetyl- 

chlorid.  äthyl. 


Cl 


=        ZnCl. 


ty^Hj^  .\72^S^ 


Cl  ^      OjHj.eaHjO 

2)  Durch  trockene  Destillation  eines  Salzes  einer  fetten  Säure,  oder 
auch  eines  Gemenges  der  Salze  verschiedener  Säuren.  Die  Zei^ 
Setzung  wird  ausgedrückt  durch  das  allgemeine  Schema. 


Keton.  Eohlens.  Kali. 


On— 1H211— I 


«|J0 

Wird  das  Salz  einer  einzigen  fetten  Säure  der  Destillation  unter- 
worfen (ist  also  m  =  n) ,  so  enthält  das  gebildete  Aceton  das  Ra- 
dical  der  angewandten  fetten  Säure  verbunden  mit  dem  um  1  At.  € 
ärmeren  AlkoholradicaL    Z.  B.: 


^)  Freund.    Sitzungsb.  der  Wiener  Akademie.  XLI.  499. 


Charakteristik  der  Gruppen.  529 

Essigs.  Kali.  Essigs.  Kali.  Acet-aceton. 

Solche  Verbindungen  sind  schon  seit  lange  bekannt,  sie  können  ab 
normale  oder  gewöhnliche  Acetone  unterschieden  werden. 

Unterwirft  man  dagegen  ein  Gemenge  der  Salze  zweier  fetten  Säu- 
ren der  Destillation  (ist  also  m  nicht  gleich  n),  so  werden  intermediäre 
oder  gemischte  Acetone  erhalten,  das'  heisst  solche,  bei  welchen 
diese  einfache  Beziehung  des  Alkoholradicals  zum  Säureradical  nicht  statt- 
findet *).  Bei  diesen  Verbindungen  kann  aus  der  Bildung  nicht  herge- 
leitet werden,  ob  das  kohlenstoffreichere  oder  das  kohlenstoffärmere  Säure- 
radical  durch  Verlust  von  Kohlenoxyd  in  ein  Alkoholradical  übergegangen 
ist.     Man  hat  z.  B.: 

Essigs.  Kali.       Valerians.  Kali.        Valeryl-  Acetyl- 

Methyl.  Butyl. 

Die  oben  (§.  804)  erwähnte  Bildung  der  ^dehyde,  bei  Destiilation  eines 
Gemenges  von  ameisensaurem  Salz  mit  dem  Salz  einer  anderen  fetten  Säure,  ist, 
wie  man  leicht  sieht,  nur  ein  specieller  Fall  dieser  allgemeineren  von  Wiliiamson 
schon  früher  aufgefundenen  Reaction. 

Die  Acetone  verbinden  sich  grossentheils,  ähnlich  wie  die  Aldehyde, 
mit  sauren  schwefligsauren  Salzen  zu  krystallisirbaren  Verbindungen.  Die 
Zersetzungen  der  Acetone  sind  noch  wenig  erforscht,  (vgl.  Acetyl-ace- 
ton  SS.  923). 

V.  Hydrate   der  fetten  Säuren.     In  den  vorhergehenden  Pa- 809. 
ragraphen   wurde   schon   über  Bildung   und  Eigenschaften  dieser  Körper 
manches   zusammengestellt   (vgl.  bes.  88-  794  —  801);    auf  andere  allge- 
meine  Beziehungen  wird   nachher  noch  besonders  aufmerksam  gemacht 
werden, 

VI.  Salze  der  fetten  Säuren.    Die  fetten  Säuren  sind  einba-  810. 
sisch,    sie  bilden  also   mit  einer  und  derselben  Base  im   Allgemeinen 
nur  ein  Salz  ♦♦).    Z.  B.: 


•)  Williamson,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXXL  86.     Friedel,  Ann.  Chem.  Pharm. 

CVm.  128. 
**)  Für  die  Zusammensetzung  dieser  Salze,  wie  der  Salze  überhaupt,  ist  ausser 
der  Basicitfit  der  Säure  noch  die  Atomigkeit   des  Metalis   und  resp.  die  Aci- 
dität  der  Base  zu  berücksichtigen.     Das  Salz   einer  zweis^äurigen  Base 
(oder  eines  zweiatomigen  Metalls)  entsteht  stets  durch  Vereinigung  zweier 

Ke kille,  oigan    Chenle  34 


530  Fette  Säuren. 

Essigsaures  Silber.  Essigsaurer  Kalk. 

Agi^  dar' 

Ausser  diesen  normalen  Salzen  existiren  noch  für  einzelne  Metalle 
sogenannte  übersaure  Salze,  das  heisst  Verbindungen,  die  als  Anein- 
anderlagerung  von  einem  Molecül  Säure  mit  einem  Molecfll  des  normalen 
Salzes  betrachtet  werden  können.    Z.  B.: 

Uebersaures  üebersaures 

essigsaures  Kali.  ameisensaures  Natron. 

Diese  übersauren  Salze,  die,  wie  es  scheint,  nur  bei  einatomigen  Me- 
tallen vorkommen,  krystallisiren  aus  stark  sauren  Lösungen,  verlieren  aber 
beim  Verdunsten  ihrer  wässrigen  Lösung  den  Ueberschuss  von  Säure  und 
liefern  normale  Salze. 

811.  Die  Salze  der  fetten  Säuren  enthalten  in  krystailisirtem  Zustand  oft  Krystall- 

wasser. 

Dabei  kommt  vcrhältniläämässig  häufig  der  Fall  vor,  dass  die  mit  einem 
Aequivalent  des  Salzes  verbundene  Menge  gleich  ist  */2  oder  auch  l^fj  Hole- 
cüle  Wasser.  Man  hat  dies  häufig  als  Argument  ffir  die  Ansicht  aufgeführt, 
das  Molecül  Wasser  sei  nicht  Ha0,  sondeim  HO,  das  Atom  Sauerstoff  sei  also 
nicht  O  =  16,  sondern  0  =  8.  Man  überzeugt  sich  indess  leicht,  dass  nur  die 
Salze  zweiatomiger  Metalle  in  dieser  Weise  Bruch theile  von  Wassermolecülen 
in  Verbindung  mit  einem  Aequivalent  Salz  enthalten,  so  dass  also  die  mit 
einen!  Molecül  Salz  verbundene  Wassermenge  ein  Multiplum  von  ganzen  Mole- 
cülen  ist.  Mit  andern  Woi*ten:  man  hat  nur  nöthig,  statt  der  Aequivalentformeln 
atomistische  Molecularformeln  zu  schreiben,  um  die  Bruchtheüe  der  Erystallwasser- 
molecüle  verschwinden  zu  machen.    Z.  B.: 


Molecüle  der  einbasischen  Säure  -,  ebenso  das  Salz  eines  dreiatomigen  Metalls 
durch  Vereinigung  von  drei  Molecülen  etc. 

Im  weiteren  Verlauf  dieses  Lehrbuches  sind  immer  dann,  wenn  die  Zu- 
sammensetzung metallhaltiger  Verbindungen  durch  atomistische  Mole- 
cularformeln ausgedrückt  werden  soll,  dem  Metall  Striche  beigefügt, 
welche  die  Atomigkeit  ausdrücken.  Da  für  viele  Betrachtungen  A e q ai- 
valent formein  denselben  Dienst  leisten  wie  atomistische  Formeln,  und 
da  zudem  die  Atomigkeit  vieler  Metalle  bis  jetzt  nicht  mit  Sicherheit  fest- 
gestellt werden  kann,  so  hat  man  vorgezogen  ^die  Zusammensetzung  der 
Salze  häufig  durch  Formeln  auszudrucken,  in  welchen  der  Atomigkeit  des 
Metalls  keine  Rechnung  getragen  ist,  in  welchen  also  der  Buchstaben  für 
das  Metall  einAequivalent  Metall  bezeichnet  Solche  Formeln  sind  dann 
natürlich  keine  Molecularformeln;  sie  müssen  vielmehr,  um  sie  in  solche 
umzuwandeln,  mit  2  oder  mit  3  etc.  muldplicirt  werden,  je  nachdem  das 
Metall  zweiatomig  oder  dreiatomig  u.  s.  w.  ist 


Charakteristik  der  Grappen.  531 

Aequivalentformeln.  Atomistische  Molecularformehl. 


e.H.O[^ 

+ 

»/Ae 

+ 

H,0 

b4*^ 

+ 

iV,H,e 

+ 

8H,0 

eAOj^ 

+ 

i'/,H,o 

+ 

SHjO 

eAOje 

+ 

V,H,^ 

(e,H,0),t 

+ 

H,0 

e,H.e,e 

+ 

i»/Ae 

(«Aej.)^^ 

4- 

3H,0 

Die  fettsauren  Salze   einatomiger  Metalle    enthalten   stets  eine  ganze  Anzahl 
von  Molecülen  Krystallwasser  *}.    Z.  B. : 

Ameisensaures  Natron.  Essigsaures  Natron. 

Vn.  Aether  der  fetten  Säuren.  Die  Aether  der  fetten  S&uren  812. 
entstehen  häufig  schon  bei  Einwirkung  der  Säure  auf  den  Alkohol,  man 
stellt  sie  meist  nach  den  gelegentlich  der  Aetherarten  schon  bespreche- 
nen  Methoden  dar  (§.  625),  d.  h.  durch  Einwirkung  der  Chloride  (Bro- 
mide etc.)  der  Alkoholradicale  auf  die  Hydrate  oder  Salze  der  fetten  Säu- 
ren y  durch  Einwirkung  der  sauren  Schwefeisäureäther  auf  die  Salze  etc. 
Gewöhnlich  umgeht  man  dabei  die  Reindarstellung  der  Verbindungen  der 
Alkoholradicale,  indem  man  direct  ein  Gemisch  von  Schwefelsäure  und 
dem  betreffenden  Alkohol  mit  dem  Salz  der  fetten  Säure  destillirt,  oder 
indem  man  ein  Gemenge  der  fetten  Säure  mit  dem  betreffenden  Alkohol 
mit  Salzsäure  sättigt  und  dann  destillirt,  oder  wenn  der  gebildete  Aether 
nicht  ohne  Zersetzung  flüchtig  ist  direct  mit  Wasser  fällt. 

Die  Aether  der  fetten  Säuren  entstehen  auch  durch  Einwirkung  des 
Anhydrids  oder  des  Chlorids  der  Säure  auf  einen  Alkohol. 

Einzelne  werden  auch  durch  directe  Oxydation  des  Alkohols  erhal- 


*)  Sollten  vielleicht  solche  Salze  oder  überhaupt  Salze  erhalten  werden,  die  mit 
einem  Molecäl  des  trocknen  Salzes  ^/j  oder  1^/3  Molecüle  Krystallwasser  ver- 
bunden enthalten  (wie  dies  bei  dem  monochloressigsauren  Kali  der  Fall  zu 
sein  scheint),  so  würde  daraus  doch  keinerlei  Argumentation  gegen  die  hier 
und  früher  entwickelten  Ansichten  Über  Moleculargrösse  hergeleitet  werdem 
aus  den  Seite  135  Anm.  mitgetheilten  Gründen.  Man  hat  sich  dort,  in  Er- 
manglung von  sicher  nachgewiesenen  Beispielen,  genöthigt  gesehen,  Bei- 
spiele zu  benützen,  bei  welchen  schon  die  Atomigkeit  des  Metalls  zur  Ver- 
doppelung der  Formel  führt  und  somit  die  Bruchtheile  der  Molecüle  ver- 
schwinden macht. 

34  ♦ 


532 


Fette  SAaren. 


teD.  In  diesem  Fall  entsteht  ein  Aether,  welcher  die  sieb  entsprechen- 
den Säure-  und  Alkoholradicale,  d.  h.  Radicale  von  gleichviel  Kohlen- 
stoffatomen enth&it    Z.  B.: 


Amylalkohol,    gibt:  Valeriansäure-amyläther. 


QU  je 


Die  Aether  zerfallen  in  geeigneten  Bedingungen,  indem  sie  mit  1  Mo- 
lecfll  Wasser  etc.  doppelte  Zersetzung  zeigen,  in  das  Hydrat  der  Säure 
und  in  Alkohol  oder  eine  andere  Verbindung  des  Alkoholradicals.  Diese 
Zersetzung  erfolgt  häufig,  namentlich  bei  hohen  Temperaturen  schon 
durch  Wasser,  leichter  beim  Kochen  mit  Alkalien,  bisweilen  auch  bv\ 
Einwirkung  von  Säuren.    Z.  B. : 


818. 


äure- 
Aethyläther. 


EsBigsaures 
KalL 


Alkohol. 


H 


[mZ 


j 


j} 


o   = 


Kl 


}o  +  c^^[e 


EssigBäure- 
Aethyläther. 


feaH5 


J 


_H]C1 


EBsigs&ure.      Aethylchlorid. 


_    ^AOj^   ^   eA.ci 


.  EBBlgBftnre- 
Aethyläther. 


EsBigsftore. 


Aethylschwefel- 
säure. 


Bei  Einwirkung  von  Ammoniak  erzeugen  die  Aether  der  fetten 
Säuren  Amide  (vgl.  §.  815). 

Die  Aether  der  fetten  Säuren  mit  mehratomigen  Alkoholen  (z«  B. 
Olycol,  Olycerin)  werden  gelegentlich  dieser  besprochen. 

Vin.  Anhydride  oder  wasserfreie  Säuren.  Die  Anhydride 
der  fetten  Säuren  wurden  1852  von  Gerhardt  entdeckt.  Sie  entstehen 
bei  Einwirkung  der  Chloride  der  Säureradieale  auf  die  Salze  der  fetten 
Säuren.    Z«  B.: 


Acetylchlorid. 


gfeaHaO 


Essigs.  Kali. 

=31 


O      =      KCl 


Acetanhydrid. 


Da  die  Chlorverbindungen  des  Phosphors  bei  Einwirkung  auf  die 
Salze  der  fetten  Säuren  die  Chloride  der  Säureradieale  erzeugen,  so  ist 
es  einleuchtend,    dass  bei  Einwirkung  der  Chloride    des  Phosphors   auf 


Charakteristik  der  Gruppen.  533 

einen  Deberschuss  dee  betreffenden  Salzes  direct  ein  Anhydrid  gebildet 
wird.  Das  Anhydrid  ist  dann  das  E^odact  zweier  aufeinander  folgender 
doppelten  Zersetzungen. 

Die  Anhydride  zeigen  mit  Wasser  doppelte  Zersetzung  und  bilden 
so  Hydrate.    Z.  B.: 

Esaigsäure-Anhydrid.  Essigsäure.  Essigsäure. 

Sie  zersetzen  sich  ebenso  mit  Alkoholen  unter  Bildung  von  Aethern: 

Essigsäure-  Alkohol.  Essigsäure.  Essigsäure- 

Anhydrid.  Aethyläther. 

«![^^=|!«  =  '"•>  +  *«h> 

Bei  Einwirkung  auf  Ammoniak  erzeugen  sie  Amide  ($.  815)* 

Die  Anhydride  stehen  zu  den  Säurehydraten  genau  in  derselben  Be- 
ziehung wie  dieAether  zu  den  Alkoholen.  Das  heisst,  sie  enthalten  in  einem 
Molectil  zweimal  dasselbe  Radical,  welches  nur  einmal  im  Molecttl  des  Säurehydrats 
enthalten  ist. 

Die  chemischen  und  physikalischen  Eigenschaften  der  Anhydride  zeigen  deut- 
lich, dass  dies  der  Fall  ist.  Als  besondere  Argumente  für  diese  Formeln  der  An- 
hydride mögen  hier  noch  zwei  Thatsachen  in  Erinnerung  gebracht  werden  (vgL 
S.  175). 

1)  Die  Existenz  intermediärer  Anhydride*)   und   das  Zerfallen   dieser 
Körper  durch  Wasser.    Z.  B.: 

Acetyl-Benzoyl-  Essigsäure.         Benzoesäure. 

Anhydrid. 

2)  Das  Zerfallen   des  durch  Einwirkung  von  Schwefelphosphor   auf  Essigsäure- 
Anhydrid  entstehenden  Thiacetsäure-Anhydrids  durch  Wasser**): 

Thiacetsäure-Anhydrid.  Thiacetsäure.        Essigsäure. 


•)  vgl.  5.  862. 
•♦)  VgL  S.  868. 


534  Fette  Säuren. 

814.  Hjperoxjde  der  S&ureradicale.     Diese  merkwardige  Elasae 

von  Verbindungen  ist  1858  von  Brodie  *)  entdeckt  worden.  Man  er- 
hält sie  durch  Einwirkung  von  Baryumhjperoxyd  auf  die  Anhydride  (vgL 
bei  Acetylhyperoxjd  %.  864). 

816.  IX.  Amide  der  einatomigen  Säureradieale.    Die  Amide  der 

Säureradieale  werden  durch  zwei  wesentlich  verschiedene  Reactionen  ge- 
bildet: 
1)  Indem  man  auf  dem  Weg  doppelten  Austausches  den  Wasserstoff 
des  Ammoniaks  durch  ein  Säureradical  ersetzt,  was  leicht  bei  Ein- 
wirkung der  Aether  oder  der  Anhydride  auf  trocknes  Ammoniak  oder 
concentrirte  Ammoniaklösung,  oder  bei  Einwirkung  der  Chloride  der 
Säureradieale  auf  Ammoniak  oder  kohlensaures  Ammoniak  erfolgt.  Z.  B. : 

Essigs&are-  Acetamid.  Alkohol. 

Aethyläther. 


2)  Die  Ammoniaksalze  der  fetten  Säuren  verlieren  bei  Destillation  Was- 
ser und  geben  Amide  **).     Z.  B. : 

Essigs.  Ammoniak.         Acetamid. 

Die  Amide  sind  wesentlich  charakterisirt  durch  die  Eigenschaft, 
unter  Wasseraufnahme  wieder  in  die  Ammoniaksalze  der  fetten  Säuren 
aberzugehen.  Diese  Zersetzung  erfolgt  bei  Einwirkung  von  Wasser  erst 
bei  höheren  Temperaturen;  sie  findet  weit  leichter  statt,  wenn  statt  des 
Wassers  ein  Alkali  oder  eine  Säure  angewandt  werden.  Dabei  wird  ent- 
weder (bei  Einwirkung  eines  Alkali's)  Ammoniak  entwickelt,  während 
ein  Salz  der  fetten  Säure  entsteht;  oder  es  wird  ein  Ammoniaksalz  der 
zur  Zersetzung  angewandten  Säure  erzeugt,  während  die  fette  Säure 
frei  wird. 

Die  Amide  liefern  bei  Einwirkung  wasserentziehender  Substanzen 
(namentlich  Phosphorsäureanhydrid,  Chloride  des  Phosphors  etc.)  unter 
Verlust  von  Wasser  die  Nitrile.     Z.  B.: 

Acetamid.  Acetonitril. 

(GAG 
n)h  =      N.e,Ha      +      H,0 

IE 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CVIII.  79. 
••)  Kündig,  ibid.  CV.  278. 


Genetigche  BesdehmigeiL  535 

Die  Amide  Terbinden  sich,  wie  dies  Ton  dem  Typus  NH3  zugehörigen 
Körpern  erwartet  werden  konnte,  mit  Säaren  zu  salzartigen  Verbindun- 
gen. Sie  verhalten  sich  andererseits  ähnlich  wie  Säuren,  d«  h.  sie  tau- 
schen typischen  Wasserstoff  gegen  Metalle  aus  (vgl.  §.212  und  bei  Acet- 
amid  §.  865).  Auch  durch  Alkoholradicale  kann  der  typische  Wasserstoff 
Tcrtreten  werden,  man  hat  so  ätherartige  Verbindungen  der  Amide,  z.  B. 

Aethylaeetamid :      OsH«  >  N. 

X.    Die  Diamide^  sind    bis  jetzt  wenig  bekannt.      Man  kennt  nur  816. 
das  Diacetamid  (vgl.  J.  867j   und  eine  von  ihm  sich  ableitende  Verbin- 
dung des  Aethyldiacetylamid. 


Bildung,  Zersetzungen  und  Vorkommen  der  Verbindun- 817. 
gen  der  einatomigen  Säurevadicale:  6nH2n-iO. 

Genetische  Beziehungen  der  Verbindungen  einatomi- 
ger Säureradieale  zu  Verbindungen  anderer  Radicale.  Ob- 
gleich die  meisten  Bildungs-  und  Zersetzungsweisen  der  in  Rede  stehen- 
den Verbindungen  schon  in  den  vorhergehenden  Paragraphen  besprochen 
worden  sind,  so  scheint  es  geeignet  dieselben  hier  nochmals  von  ande- 
rem Gesichtspunkt  aus  zusammenzustellen,  um  die  zahlreichen  verwandt- 
schaftlichen Bande  hervortreten  zu  lassen,  welche  die  Verbindungen  der 
einatomigen  Säureradieale  mit  den  Verbindungen  anderer  Radicale  ver- 
knüpfen. 

I.  Einatomige  Alkoholradicale.  818. 

1)  Von  gleich  viel  6.  Jeder  Alkohol  geht  durch  directe  Oxydation 
in  den  Aldehyd  und  die  fette  Säure,  durch  schmelzendes  Ealihydrat 
in  die  fette  Säure  von  gleich  viel  Kohlenstoffatomen  über  (§§.  620, 
792,  803). 

Die  umgekehrte  Reaction,  d.  h.  Umwandlung  einer  Säure  in  den 
Alkohol  von  gleichviel  Kohlenstoffatomen  ist  bis  jetzt  nur  in  einzel- 
nen Fällen  ausführbar.     (Vgl.  Valeraldehyd  §.  917  u.  Acetonitril.) 

2)  Von   1  At.  ©  weniger.     Die  Umwandlung  der  Alkohole  in  fette  819. 
Säuren,  die  1  At  O  mehr  enthalten,  ist  nach  drei  verschiedenen  Me- 
thoden gelungen. 

a)  Aus  jedem  Alkohol  kann  eine  fette  Säure  von  1  At.  6  mehr  er- 
halten werden,  indem  man  zuerst  das  Cyanid  des  Alkoholradicals 
darstellt  und  dieses  dann  durch  Kochen  mit  einem  Alkali  zersetzt 
(vgl.  SS-  609,  6ri7). 

b)  Durch  Einwirkung  von  Kohlensäure  auf  Katriummethyl  entsteht 
Essigsäure,  auf  Matriumäthyl  Propionsäure  (vgl.  $$.  767,  795), 


536  Fette  Säuren. 

c)  Kohlenoxjd  verbindet  sich  direct  mit  Alkoholnatrium  zu  propion- 
saurem  Natron.  (Kohlenoxjd  mit  Ealihydrat  erzeugt  in  entspre- 
chender Weise  ameisensaures  Kali.)  (vgl.  §.  795.) 

Das  Umgekehrte  dieser  synthetischen  Bildungen  findet  bei  folgenden 
Zersetzungen  statt. 

a)  Aus  jeder  fetten  Säure  entsteht  durch  elektroljtische  Zersetzung 
eines  Salzes  das  isolirte  Radical  des  um  1  At  G  ärmeren  Alkohols.  Ge- 
mische mehrerer  fetten  Säuren  geben  gemischte  oder  intermediäre  Radi- 
cale  (vgl.  §S.  624,  627,  795). 

b)  Essigsaure  Salze  geben  beim  Erhitzen  mit  einem  Alkali  Methyl- 
wasserstoff, beim  Erhitzen  mit  arseniger  Säure  Arsendimetbyl  (Kakodyl) 
(vgl.  88.  624,  626,  753). 

c)  Hierher  gehört  auch  die  Bildung  der  Acetone,  bei  welcher  jedoch 
nur  die  Hälfte  der  angewandten  fetten  Säuren  diese  Umwandlung  in  das 
nächst  kohlenstoffärmere  Alkoholradical  erleidet  (vgl.  §.  808). 

820.  n.    Zweiatomige  Alkoholradicale.    (Gruppe  HL 

Die  zweiatomigen  Alkohole  (Glycole)  liefern  beim  Behandeln  mit 
Chlorzink  die  Aldehyde  von  gleichviel  Eohlenstoffatomen  (Wurtz).  Man 
hat  so  aus  Glycol  den  Acetaldehyd  und  aus  Propylglycol  den  Propyl- 
aldehyd  erhalten.     Z.  B.: 

Glycol.  Aldehyd.  Wasser. 

(vgl.  noch:  Disulfometholsäure  8*  611.) 

821.  ni.   Zweiatomige   Säureradieale:     OnHto-aO.    (Gruppe  IV.) 

1)  Von  gleich  viel  Kohlenstoffatomen. 

Die  Ameisensäure  liefert  bei  vielen  Zersetzungen  Kohlenoxyd  oder 
Kohlensäure. 

Die  Essigsäure  kann  in  Glycolsäure,  die  Propionsäure  in  Milch- 
säure übergeführt  werden  (vgl.  §.  797). 

Auch  die  Bildung  der  Sulfoessigsäure  aus  Essigsäure  gehört  hier- 
her (vgl.  8.  356). 

Umgekehi't  kann  das  Kohlenoxyd  in  Ameisensäure  umgewandelt 
werden  (§.  831),  und  man  kann  aus  Milchsäure  die  Propionsäure, 
aus  Glycolsäure  die  Essigsäure  darstellen  (vgl.  %,  797). 

2)  Von  1  At.  e  mehr. 

Die  Verbindungen  der  zweiatomigen  Säureradieale  GnH^n-iO  lie- 
fern bei  manchen  Zersetzungen  die  um  1  At^  G  ärmeren  Aldehyde 
(oder  Abkömmlinge  dieser). 


Genetische  Beziehimgen.  537 

So  zerföllt  z.  B.  die  lÜlchBäare,  bei  elektrolytischer  Zersetiung,  sa  Eohlen- 
säiire  und  Aldehyd: 

MUchsftore.  Aldehyd.  Kohlensäure. 

Durch  Einwirkung  von  Chlor  (Braunstein  und  Salzsäure)  entsteht  aus  Milchsäure 
das  Chloral:  ^^HCJ^O  (Trichloraldehyd).  Das  Leucin,  die  Aminsäure  der  mit  der 
Milchsäure  homologen  Leucinsäure,  liefert  bei  Einwirkung  von  Schwefelsäureanhy- 
drid den  Valeraldehyd ,  neben  Kohlensäure  und  schwefliger  Säure.    Man  hat: 

Leucin.  Valeraldid.  Kohlenoxyd. 

e,Hi3N0a     =      e»H,oe     +     nh,     +     eo 

Umgekehrt  können  aus  den  Aldehyden  die  um  1  At.  6  reicheren 
zweiatomigen  Säuren  und  auch  die  Aminsäuren  dieser  Säuren  dargestellt 
werden  (vgl.  §•  ßlO). 

So  entsteht  aus  Aldehyd  und  Cyanwasserstoff  das  Alanin  (Lactaminsäure) 
und  aus  diesem  kann  Milchsäure  erhalten  werden*,  ebenso  gibt  Valeraldehyd  mit 
Cyanwasserstoff  das  Leucin.    Z.  B.: 

Aldehyd.     Cyanwasserstoff.  Alanin.  Milchsäure. 

H  " 

ejB^e    +    eHN     4-    H,e    =  h|n      ^'^^^l^a 

0 

IV.    Zweiatomige    Säureradieale:    6nH7„_402    (Dioxykohlen- 822. 
wasserstofifradicale).    Die  fetten  Säuren  stehen  zu  den  zweiatomigen  Sau- 

0 

ren  der  Bernsteinsäurereihe  (^    "  *^  h'(^^^    ^°    naher   verwandtschaft- 

Hcher  Beziehung.  Diese  Beziehungen  sind  indess  noch  yerhältnissmässig 
wenig  untersucht. 

Es  mag  einstweilen  erwähnt  werden,  dass  häufig  aus  fetten  Säuren 
durch  Oxydation  (z.  B.  mit  Salpetersäure)  die  zweibasische  Säure  von 
gleich  viel  Kohlenstoffatomen  erhalten  wird.  Z.  B.: 

aus:        Essigsäure:    ej^^^^  OaHae«    Oxalsäure. 

Buttersäure:  O^HgO,  ^«HfO«    Bemsteinsäure. 

Ob  umgekehi-t  eine  zweibasische  Säure  durch  Reduction  in  eine  einbasische  von 
gleichviel  Kohlenstoffatomen  übergehen  kann,  ist  noch  nicht  nachgewiesen. 

Es  scheint  ferner,  als  ob  jede  Säure  der  Bernsteinsäurereihe  beim 
Erhitzen  für  sich  oder  mit  Kalihydrat  in  Kohlensäure  und  die  um  1  At.  O 
ärmere  fette  Säure  zerfallen  könne.  Mit  Sicherheit  nachgewiesen  ist  diese 
Reaction  bis  jetzt  nur  für  die  zwei  ersten  Glieder  der  Reihe ,  sie  scheint 
aber  auch  bei  den  höheren  stattzufinden.    Man  hat: 

Oxalsäure:        ^^H^^«    =    60,    +    BE^^i    Ameisensäure. 

Malonsäure:      O,H,04    =    SO,    -f    6311403    Essigsäure. 


538  Fette  Sftnrai. 

823.  V.  Dreiatomige  Radicale:  OnH^n-i.  (Gruppe  VI.)  Die  Bildang 
der  fetten  Säuren  aus  den  Verbindungen  dreiatomiger  Radicale  ist  schon 
früher  erwähnt  worden.  (§.  608), 

Es  gehört  hierher  die  Bildung  von  Ameisensäure  aus  Chloroform: 
Chloroform.  Ameisensäure. 

GH.Cl,  ^^h!^ 

und  die  Bildung  der  fetten  Säuren  aus  ihren  Nitrilen  (vgl.  §.609).  Z.  B.: 

AT 

Cyanwasserstoff:    OH.N       -f    2R^B    =:    NH,    4-    €Hj|0,    Ameisensäure. 
Acetonitril:  eA.N    +    2HaO    =    NH,    -{-    O^^i    Essigsänre. 

Genau  das  Umgekehrte  dieser  Reaction  ist  die  Bildung  der  Nitrile 
aus  den  Säuren. 

Hierher  gehört  auch  noch  die  Bildung  der  Propionsäure  bei  Gährung 
des  Glycerins: 

Glycerin.  Propionsäure. 

824.  VI.    Die  Säuren  derOelsäurereihe:  ®"^^"~^g|e    CGr^PPe  XH. 

S.  363)  zerfallen  beim  Erhitzen  mit  Kalihydrat  in  zwei  Säuren  aus  der 
Reihe  der  fetten  Säuren,  von  welchem  die  eine  immer  Essigsäure  ist. 
Man  hat: 

Essigsäure. 

Acrylsäure:      GjH^e,    -f    2HjO    =    B^^ij^^    +    G  HaG,    Ameisensäure. 

Crotonsäare:     G^HeG,    +    2H2G     =    GaH4Ga    +    GaH^G,    Essigsäure. 

Angelicasäure:  GftHgGj    +    2HaG     =    GjiH^O,    +    GaH.Gj    Propionsäure. 

Oelsäure:       GigH^Gj    +    2HaG     =    GJH4G2    -f    Gi^HjaG,  Palmitinsäure. 

826.  VIL    Die  meisten  der  den  übrigen  Gruppen  der  Tabelle  8.  362  und 

363  zugehörigen  Verbindungen  sind  noch  verhältnissmässig  wenig  unter- 
sucht und  es  sind  desshalb  die  Beziehungen  dieser  Verbindungen  zu  den 
fetten  Säuren  nur  unvollständig  erkannt. 

Viele  dieser  Verbindungen  geben  bei  einfachen  Zersetzungen  fette 
Säuren  oder  Abkömmlinge  der  fetten  Säuren.  So  zerfallen  z.  B.  Glyce» 
rinsäure,  Aepfelsäure,  Weinsäure  und  Citronensäure  bei  Einwirken  von 
schmelzendem  Ealihydrat  nach  den  Gleichungen: 


GenetiBdie  Beziehungen. 

Glyerinsänre. 

EBsigsfture. 

Ameisensäure. 

öjH^O^ 

= 

OjH^Oj 

+ 

eH,o, 

Aepfdsfture. 

Essigsäure. 

Oxalsäure. 

'G4HgO'5  -f"  Hj'S'  = 

GaH40a 

+ 

GJI^B^    +    H, 

WdTiRÄure. 

Essigsäure. 

Oxalsäure. 

^4ß%^9 

= 

63H403 

+ 

G3H304 

Citronenstinre. 

Essigsäure. 

Oxalsäure. 

e.H,o,  + 

E^e=z 

26,H4e, 

+ 

92^304 

539 


Im  Vorhergehenden  sind  alle  diejenigen  Bildungs-  und  Zersetzungs-  826. 
weisen  der  fetten  S&uren  und  ihrer  Abkömmlinge  besprochen  worden, 
die  nach  einfachen  Zersetzungsgleichungen  erfolgen.  Es  muss  jetzt  noch 
Einiges  beigefügt  werden  in  Betreff  des  natürlichen  Vorkommens  der  der 
Gruppe  zugehörigen  Verbindungen  und  in  Betreff  derjenigen  Bildungs- 
weisen, bei  welchen  fette  B&uren  oder  ihre  Abkömmlinge  als  Producte 
tiefer  eingreifender  Zersetzungen  aus  anderen  Körpern  entstehen. 

Vorkommen.  Die  fetten  Säuren  linden  sich  zum  grössten  Theil 
fertig  gebildet  in  der  Natur.  Einzelne  in  freiem  Zustand  z.B.  Ameisen- 
säure (in  den  Ameisen,  Brennnesseln  etc.)  ^Valeriansäurein  der  Baldrian- 
wurzel; Pelargonsäure  im  ätherischen  Oel  von  Pelargoneum  roseum; 
Cerotinsäure  im  Bienenwachs.  Andere  kommen  als  Aetherarten  ein- 
atomiger Alkohole  vor,  so  besteht  der  Wallrath  wesentlich  ausPalmitin- 

säure -Cetyläther:         W    j|    >0;  das  chinesische  Wachs  aus:  Cero tin- 

O   H    Q  i 

säure -Ceryläther:        9    ff    c^-    ^^^  meisten  fetten  Säuren  finden  sich 

in  den  Fetten  als  Gljceride,   das  heisst  als  Aetherarten  des  dreiato- 

6  H  i 
migen  Alkohols  Glycerin  =z     'h*(^s-        Diese    Verbindungen     werden 

später  ausführlicher  beschrieben  werden.  Hier  muss  nur  erwähnt  wer- 
den, dass  die  natürlichen  Fette  meist  neutrale  Aether  des  Glycerins 
sind,  d.  h.  Glycerin,  in  welchem  3  At.  typischen  Wasserstoffs  durch 
Säureradieale  vertreten  sind.     Z.  B. : 


Butyrin. 

m 


Palmitin. 


Stearin. 


^»^«(a  ^»^*iA  ^i^slri 

und  dass  die  Glyceride  beim  Kochen  mit  Kalilauge  (oder  Bleioxyd  etc.) 
genau  zerfallen  wie  die  Aetherarten  einatomiger  Alkohole  (vgl.  §.  812) 
das  heisst  so,  dass  der  Alkohol  (Gljcerin)  in  Freiheit  geselzt  wird,  wäh- 
rend ein  Salz  derjenigen  fetten  Säure  entsteht,  deren  Glycerid  angewandt 
wurde.    Z.  B.: 


540 


Fette  SÄuren. 

1  Mol 

3  Mol.              1  Mol. 

3  Hol.  Ste«riii8. 

Stearin. 

Kalihydrat.         Glycerin. 

Kali. 

&).K' 

+     8  S^    =    ^%|^» 

+     S  ®iÄ»|je 

Fertig  gebildet  in  der  Natur  findet  sich  femer  der  Caprinaldehyd 
(im  Rautenöl  §.  916). 

Bildung.  Die  fetten  Säuren  und  ihre  Aldehyde  sind  sehr  häufig 
auftretende  Zersetzungsproducte  complicirter  zusammengesetzter  organi- 
scher Verbindungen.  Sie  entstehen  besonders  häufig  durch  Oxydation. 
So  wird  z.  B.  die  Ameisensäure  in  reichlicher  Menge  gebildet  bei  Oxy- 
dation von  8tärkemehl,  Zucker  etc.  Bei  Oxydation  eiweissartiger  Sub- 
stanzen (Fibrin,  Casein  etc.)  entstehen:  Ameisensäure,  Essigsäure,  Pro- 
pionsäure, Buttersäure,  Baldriansäure,  Capronsäure  und  die  Aldehyde  der 
Essigsäure,  Propionsäure  und  Buttersäure*).  Auch  bei  Oxydation  der 
kohlenstoffreicheren  Alkohole  und  der  kohlenstoffreicheren  fetten  Säuren 
treten  die  niederen  Glieder  der  Reihe  der  fetten  Säuren  auf.  —  Einzelne 
fette  Säuren  entstehen  durch  Gährung;  z.  B.  Propionsäure  und  Butter- 
säure. Auch  Aetherarten  werden  bisweilen  bei  Gährung ''erzeugt  (siehe 
Oenanthäther  §§.  907  u.  691).  —  Die  Essigsäure  endlich  entsteht  in  reichlicher 
Menge  bei  trockener  Destillation  von  Zucker  und  namentlich  von 
Holzfaser. 

827.  Zersetzungen.     Unter  den  Zersetzungen  der  fetten  Säuren,  bei 

welchen  Producte  entstehen,  die  zur  angewandten  Säure  in  keiner  eio- 
fachen  Beziehung  stehen,  verdienen  besonders  die  folgenden  Erwähnung- 
Von  stark  oxydirenden  Substanzen  werden  die  fetten  Säuren  in  der  Weise 
zersetzt,  dass  kohlenstofiftrmere  Glieder  derselben  Reihe  und  ausserdem 
weiter  gehende  Oxydationsproducte  z.  B.  Kohlensäure,  Oxalsäure,  Bern- 
steinsäure etc.  entstehen  (vgl.  §.  278). 

Bei  trockner  Destillation  der  Salze  der  fetten  Säuren  oder  auch  bei 
Einwirkung  starker  Hitze  auf  die  freien  Säuren  entstehen ,  selbst  aus  den 
Anfangsgliedern  der  Reihe,  Substanzen,  die  mehr  Eohlenstoffatome  im 
Molecül  enthalten  als  die  angewandte  Substanz,  bisweilen  sogar  Körper, 
welche  der  Klasse  der  kohlenstofireicheren  Verbindungen  zugehören.  So 
entsteht  z.B.  bei  trockner  Destillation  von  ameisensaurem  Baryt:  OHBaO^ 
neben  Grubengas:  6H4  auchElayl:  O2H4  und  Propyien :  63H5.  Bei  trock- 
ner Destillation  essigsaurer  Salze:  62H3MO2  entsteht:  Propyien:  G^Hq, 
Butylen:  64H8,  Amylen:  O5H1Q.  Bei  Einwirkung  von  starker  Hitze  auf 
Essigsäure  entsteht  Benzin:  6Jä^  und  Naphtalin:  OxqU^  (vgl.  §.  281). 


**)  Vgl  bes.  Guckelberger,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXIV.  39. 


Fette  Sttoren. 


541 


Da  die  fetten  Säuren  die  bei  weitem  wichtigsten  Verbindungen  die-  828. 
ser  Oruppe  sind  und   da  sie  ausserdem  den  Ausgangspunkt  zur  Darstel- 
lung fast  aller  andern  Verbindungen  der  Gruppe  darbieten,  so  geben  wir 
zunächst   eine   Uebersichtstabelle   der  mit   Sicherheit  bekannten   Glieder 
dieser  Reihe: 


Radi 

c  a  1. 

Säur 

e. 

Namen. 

Formel. 

Namen 

Formel. 

/ 

€nH2n-ie 

GoHln-lGlrL 

Hr 

Schmelz- 
punkt 

Siedep.  be- 
obachtet 

Form)'! 

e    H    0 

Ameisensäarc 

G   HaG, 

+   10 

1000 

Acetyl 

OaHaG 

Essigsäure 

Gj  H4  Gj 

+  170 

1170 

Propionyl 

e,  HftG 

Propionsäure 

Gj  H,  Gj 

1410 

Butyryl 

e^H,  e 

Buttersäure 

G4  Hg  Ga 

unter 
—  20« 

1560 

Valeryl 

e^H^e 

^'aleriansäu^e 

G5  H,oGa 

1760 

Caproyl 

G«  HuG 

Capronsäure 

G«  HjjGa 

+  60 

1980 

Oenanthyl 

6,  HiaG 

Oenanthsäure 

Gl  H14GJ 

2120 

Capryl 

Gs  H15G 

Caprylsäure 

Gg  HigGj 

+  140 

2860 

Pelarg}'! 

G«  H,,G 

Pelargonsäure 

G»  HigGa 

+  ISO  (?) 

2600 

Rutyl 

GioHigG 

Caprinsäure 

GjoHaoGa 

+270,2  (800) 

Lanryl 

G12H23G 

Laurinsäure 

G12H34G2 

+  480,6 

Myristyl 

GiAtG 

Myristinsäure 

GiAgGa 

4-  680,8 

Palmyl 

öi«H,iG 

Palmitinsäure 

GigHjaGj 

+  620 

Hargaryl 

G17H33G 

Margarinsäure 

GiiHg^Ga 

+  590,9  (?) 

Stearyl 

G18H35G 

Stearinsäure 

GigHjgGa 

+  690,2 

Arachyl 

GaoHjjG 

Arachinsäure 

GaoH^oG) 

+  760 

Behenyl 

G22H43G 

Behensäure 

GaaH44G2 

+  760 

Cerotyl 

Ga^HjjO 

Cerotinsäure 

GaiHg^Ga 

+  780 

MeUssy] 

G3OH50G 

Melissinsäure 

Gg^Hg^Ga 

+  880 

Die  Tabelle  enthält  ausser  den  Namen  und  Formeln  der  fetten  Sau-  \ 
ren  (und  der  von  der  Typentheorie  in  ihnen  angenommenen  Radicale) 
noch  die  durch  Beobachtung  gefundenen  Schmelzpunkte  und  Siedepunkte. 


542  Fette  Säuren. 

Man  sieht,  dass  die  Schmelzpunkte  im  Allgemeinen  um  so  höher 
liegen,  je  mehr  Atome  das  Säuremolecül  enthält.  So  zwar,  dass  die  An> 
fangsglieder  der  Reihe,  bis  zur  Pelargons&ure,  bei  gewöhnlicher  Tempe- 
ratur flüssig  sind,  während  die  weiteren  Glieder,  also  die  fetten  Säuren 
von  höherem  Moleculargewicht  bei  gewöhnlicher  Temperatur  fest  sind. 
Für  diese  letzteren  steigt  der  Schmelzpunkt  im  Allgemeinen  mit  dem  Mo- 
leculargewicht; derselben  Zusammensetzungsdifferenz  entspricht  aber  nicht 
dieselbe  Differenz  der  Schmelzpunkte.  Eine  bemerkenswerthe  Anomalie 
zeigen  die  beiden  ersten  Glieder  der  Reihe,  insofern  sie  bis  zu  weit  höhe- 
ren Temperaturen  fest  bleiben  als  die  folgenden  (vgl.  §.  481). 

Die  Siedepunkte  der  fetten  Säuren  steigen  stetig  mit  zunehmendem 
Moleculargewicht  und  es  entspricht  derselben  Zusammensetzungsdifferens 
(eHj)  annähernd  die  Siedepunktodifferenz  =r  19<>  (vgl.  $.  477). 

Bemerkenswerth  ist  ferner,  dass  die  fetten  Säuren  in  Wasser  um 
so  weniger  löslich  sind,  je  höher  ihr  Moleculargewicht  ist.  Während  die 
ersten  Glieder  der  Reihe  sich  mit  Wasser  in  jedem  Verhältniss  mischen, 
löst  sich  die  Valeriansäure  in  30,  die  Gapronsäure  in  96  Theilen  Wasser; 
die  höheren  fetten  Säuren  endlich  sind  in  Wasser  völlig  unlöslich. 


In  der  nachfolgenden  Einzelbeschreibung  sind  die  Ameisensäure 
und  Essigsäure  mit  allen  ihren  Abkömmlingen  ausführlich  abgehandelt. 

Für  die  übrigen  der  Gruppe  zugehörigen  Körper  hat  man  sich  darauf 
beschränkt,  alle  bis  jetzt  bekannten  Verbindungen  übersichtlich  zusam- 
menzustellen. Man  hat  die  wichtigsten  physikalischen  Eigenschaften  und 
einige  historische  Notizen  beigefügt;  in  Betreff  der  Bildung,  Darstellung 
und  der  chemischen  Zersetzungen  dagegen  sind  weitere  Thatsachen  nur 
beigefügt  worden,  wenn  sie  besonderes  Interesse  darbieten. 

Ameisensäure. 

[Radical:     Formyl    =   GHO], 

Wenn  man  die  bis  jetzt  bekannten  von  der  Ameisensäure  sich  her- 
leitenden Verbindungen  vergleicht  mit  den  Gruppen  von  Verbindungen, 
deren  Darstellung  für  andere  Radicale  der  Form:  OnHin-iG  gelungen  ist 
(S.  902),  so  überzeugt  man  sich  leicht,  dass  die  meisten  der  diesen 
Gruppen  entsprechenden  Verbindungen  für  die  Ameisensäure  bis  jetxt 
nicht  bekannt  sind. 

Man  sieht  zunächst,  dass  ein  Aceton  der  Ameisensäure  nicht  mög- 
lich ist;  es  wäre  identisch  mit  dem  Aldehyd.  Aber  auch  der  Aldehyd, 
das  Chlorid,  das  Anhydrid  und  das  Amid  der  Ameisensäure  sind 
bis  jetzt  unbekannt.  Bei  Oxydation  von  Methylalkohol  hat  man  z.  B. 
niemals  die  Bildung   des  Formylaldehyds   beobachtet,   man   erhält  st«t8 


AmeUensfture.  543 

tlirect  Ameisens&ure ;  bei  Einwirkung  von  Phosphorsuperchlorid  auf  Amei- 
sensäure erhält  man  statt  des  Formylchlorids  (6H0.C1)  dessen  Zer- 
setzungsproduete:  Eohlenozyd  und  Salzsäure:  (60  -|-  HCl);  bei  Einwir- 
kung von  Ammoniak  auf  Ameisensäureäther  erhält  man  statt  des  Formyl- 
amid's  ameisensaures  Ammoniak  und  Alkohol.  [Man  kennt  indess  ein 
von  dem  Formylamid  sich  ableitendes  Phenylformylamid  oder  Formanilid]. 
Die  einzigen  bekannten  Formylverbindungen  sind  demnach:  die 
Ameisensäure,  ihre  Salze  und  ihre  Aetherarten. 

6H&) 
Ameisensäure,   Formylsäure  =  GH^Os  =        hI^'    Die  Amei-  881. 

sensäure  wurde  von  Sam.  Fischer  (1760)  und  von  Harggraf  beob- 
achtet, von  Berzelius,  Göbel,  Döbereiner  und  Liebig  untersucht 

Sie  findet  sich  fertig  gebildet  in  den  Ameisen  und  zwar  in  solcher 
Menge,  dass  diese  Thiere  auf  Lakmuspapier  ihren  Weg  als  rothe  Linie 
bezeichnen  *).  Man  hat  sie  ferner  in  den  Processionsraupen  (Bombyx 
processionea)  und  in  den  Brennnesseln  (Urtica  urens  und  dioica),  in  ver- 
wesenden Fichtennadeln  etc.  nachgewiesen. 

Sie  entsteht  sehr  häufig  als  Zersetzungsproduct,  namentlich  bei  Oxy- 
dation von  Zucker,  Stärkmehl,  Gummi,  eiweissartigen  Substanzen  etc. 

Synthetisch  kann  die  Ameisensäure  durch  längeres  Erwärmen  von 
Kohlenoxyd  mitEalihydrat  auf  100®  dargestellt  werden.  (Berthelot**)  vgl. 
8.  795). 

Als  Product  einfacher  Reactionen  entsteht  sie  ferner  bei  Oxydation 
von  Methylalkohol  (§.  G30);  bei  Zersetzung  von  Chloroform,  Bromo- 
form,  Jodoform  (§.  823J;  beim  Erhitzen  von  Oxalsäure  und  bei  Zer- 
setzung der  Blausäure  ($.  525).  —  Die  letztere  Reaction  ist  desshalb  von 
besonderem  Interesse,  weil  sie  deutlich  zeigt,  dass  die  Blausäure,  die 
früher  ($.  525)  als  Wasserstofifverbindung  des  Radicals  Cyan  beschrieben 
wurde,  das  Nitril  der  Ameisensäure  ist. 

Darstellung.     Man  bereitete  die  Ameisensäure  früher  durch  De-  882. 
stUlation  der  Ameisen  mit  Wasser.   Bessere  Ausbeute  gibt  die  Destillation 
von  Stärke  (10  Th.)  mit  Braunstein  (37  Th.),  Schwefelsäure  (30  Th.)  und 
Wasser  (30  Th.)  ***).     Am  zweckmässigsten  ist  die  von   Berthelot  f ) 
angegebene  Methode. 

Man  erhitzt  gleiche  Mengen   krystallisirter  Oxalsäure  und  Qlyeerin  in  einer 


*)  Die  Ameisen  spritzen  im  gereizten  Zustand  Ameisensäure  aus.    Blickt  man 
horizontal  Über  einen  frisch  zerstörten  Ameisenhaulen  hin,  so  sieht  man  einen 
förmlichen  Regen  kleiner  Tröpfchen  sich  erheben,  die  aus  sehr  concentrirter 
stark  ätzender  Ameisensäure  bestehen. 
««)  Ann.  Chem.  Pharm.  XCVIL  125. 
•••)  ibid.  XVIL  69. 
t)  ibid.  XCYUL  189. 


544  PeUe  Sfturen. 

Retorte  auf  etwa  110<^,  bis  alle  Entwicklung  von  Kohlensäure  aufgehört  hat  Man 
setzt  dann  Wasser  zu  und  destillirt  eine  der  zugesetzten  Wassermenge  gleiche 
Menge  Flüssigkeit  ab.  Man  wiederholt  dieses  Zusetzen  von  Wasser  und  Abdestil- 
liren  so  lange  als  noch  Ameisensäure  überdestillirt  (Auf  1  Kilogr.  Oxalsäure  mfis- 
sen  6  —  7  Liter  Flüssigkeit  abdestillirt  werden,  man  erhält  dann  sehr  nahe  die  der 
Theorie  nach  mögliche  Menge  Ameisensäure).  Das  rückständige  Glycerin  kann  sn 
neuen  Darstellungen  verwendet  werden.  Der  Vorgang  bei  dieser  Darstellung  ist 
wahrscheinlich  folgender.  Es  entsteht  zunächst,  unter  Entweichen  von  Eohlenaäure 
ein  Glycerid  der  Ameisensäure,  beim  Kochen  mitWaseer  wird  dieses  Qlycerid  zer- 
setzt in  Glycerin  und  Ameisensäure. 

Trockne  Ameisensäure  (Ameisensfturehjdrat)  erhält  man  am 
sweckmässigsten  durch  Zersetzen  des  ameisensauren  Blei's  mit  Schwefel- 
wasserstoff. 

Man  nimmt  diese  Operation  in  einer  tubulirten  Retorte  vor,,  die  man  im 
Wasserbad  erhitzt  Das  Product  wird  durch  Rectification  über  ameisensaures  Blei 
vom  gelösten  Schwefelwasserstoff  gereinigt 

Bei  dieser  Darstellung  entsteht  häufig  ein  weisser  krystallirender,  knoblauch- 
artig  riechender  Körper,  der  in  etwas  grösseren  Mengen  erhalten  wird,  wenn  man 
das  ameisensaure  Blei  während  des  Ueberleitens  von  Schwefelwasserstoff  auf  200* 
•^800*  erhitzt  limpricht  hält  diese  Substanz  fÜrThioformylsäure  =  6H4OS; 
d.  h.  für  Ameisensäure,  in  welcher  die  Hälfte  des  Sauerstoffs  durch  Schwefel  er- 
setzt ist 

888.  Eigenschaften.      Das   Ameisensäurehydrat  ist  eine  wasserhelle 

Flüssigkeit  Yon  stechendem  Geruch  und  stark  saurem  Geschmack;  es  er- 
seugt  auf  der  Haut  Blasen.  Sp.  Gew.  1,2353.  —  Der  Dampf  ist  brennbar. 
Die  Ameisensäure  zerfiLllt  beim  Erwärmen  mit  concentrirter  Schwefelsäure 
in  Eohlenoxyd  und  Wasser.    Man  hat: 

Ameisensäure. 

OHjO)        ^^^        GO        -y-        HjO 

Durch  Chlor  wird  sie  in  Salzsäure  und  Kohlensäure  zersetzt: 
eHjOj    +    CI2    =    60,    +    2  HCl 

Oxjdirende  Substanzen  verwandeln  sie  leicht  in  Kohlensäure  und 
Wasser. 

Die  Ameisensäure  reducirt  daher  beim  Kochen  salpetersaures  Silberoxyd  und 
salpetersanres  Quecksilberoxyd  unter  Abscheidung  von  Metall.  Da  bei  der  Zer- 
setzung Gasentwicklung  stattfindet,  so  scheidet  sich  das  metallische  Silber  nicht 
als  Spiegel  aus  (wie  bei  Aldehyd),  sondern  als  graues  Pulver.  Quecksilberchlorid- 
lösung wrd  von  Ameisensäure  reducirt  unter  Bildung  von  Quecksilberchlorfir. 
Diese  Reductionen  hönnen  zu*  Erkennung  der  Ameisensäure  benutzt  werden;  noch 
charakteristischer  ist  das  nachher  zu  erwähnende  Verhalten  der  bei  Einwirkung 
von  Quecksilberozyd  auf  Ameisensäure  entstehenden  Quecksilbersalze. 

Durch  Erhitzen  ameisensaurer  Salze  mit  überschflssi(;em  Alkali  (am 


Ameisensäare.  545 

besten  Barythjdrat)  wird  unter  Wasserstoffen twicklung  oxalsaures  Sabs 
erzeugt.    Man  hat: 

Ameisensäure.         Oxalsäure. 

2eH2ea      =      eaHjO^      +      H, 

Ameisensaure  Salze.     Die  Ameisensäure   ist   eine  einbasische  884. 
Säure,    sie  bildet  indess  einige  ttbersaure  Salze*),   die  jedoch  weniger 
leicht   rein    erhalten  werden   als   die   entsprechenden  essigsauren   Salze. 

Man  kennt  das  saure  Kali-  und  das  saure  Natronsalz:        E\^  *^  6H2O2. 

Alle  ameisensauren  Salze  sind  in  Wasser  leicht  löslich;  am  schwerlös- 
lichsten sind  das  Bleisalz  (36 Th.)  und  dasQuecksilberoxjdulsalz 
(520  Th.  Wasser).  Das  Bleisalz  wird  dieser  genügen  Löslichkeit  wegen 
in  Form  weisser  Erystallnadeln  gefällt,  wenn  man  einer  Lösung  von 
essigsaurem  Biei  Ameisensäure  oder  ein  ameisensaures  Salz  zusetzt;  es 
kann  bisweilen  zur  Trennung  der  Ameisensäure  von  der  Essigsäure  ver- 
wendet werden. 

Das  Ameisensäure-Ammoniak  ist  krystallisirbar.  Es  zerfällt 
bei  raschem  Erhitzen  in  Blausäure  und  Wasser: 

Ameisens.  Ammoniak.  Cyanwasserstoff. 

^je      =      eNHftOa      =      eNH      +      2Hae 

Umgekehrt  gibt  Cjanwasserstoff,  wie  früher  erwähnt  (§.  525),  unter 
Aufnahme  von  Wasser  ameisensaures  Ammoniak.  Beide  Reactionen  cha- 
rakterisiren  die  Blausäure  als  Nitril  der  Ameisensäure  (Formonitril). 

Die  krjstallisirten  ameisensauren  Salze  *♦)  enthalten  bisweilen  Kry- 
Btallwasser.    Z.  B.: 

Aequivalent-  Atomistische  Mole- 

formeln, cularformeln. 

Ameisensaures  Natron      ^^}o    +    H^e    ;         ^^}^      +      H^O 
Ameisensaures  Strontian  ^^^|^    +    ^2^    \      ^^^^Mo»    +    20^0 

Ameisensaurer  Zink         ^"^}^    +    H^e    ;      ^^^^^le,.  +    2Ha0 

'  Zu' 

Besondere  Erwähnung  verdienen  die  Quecksilbersalze  der  Amei- 
sensäure.   Schüttelt  man  wässrige  Ameisensäure  mit  Quecksilberoxyd,  so 


•)  B  ine  au,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXlV.  320.    vgl.  Helntz,  ibid.  C.  371. 
••)  Vgl.  Jahresber.  1869.  828. 
KekoU,  orgaa.  Cheaiie.  35 


546  ^ette  SäureA. 

entsteht  eine  klare  Lösung,  welche  ameisensaures  Queoksiiberoxyd  eoütfüt 
Bei  gelindem  Erwärmen  (und  selbst  in  der  Kälte  nach  einiger  Zeit)  et" 
starrt  diese  Lösung  zu  einem  Brei  weisser  Krystallblättchen  von  ameisen- 
saurem Quecksilberoxjdul,  während  Kohlensäure  entweicht.  Erhitzt  man 
bis  zum  Sieden,  oder  lässt  man  längere  Zeit  stehen,  so  scheidet  sich  un- 
ter weiterer  Entwicklung  von  Kohlensäure  metallisches  Quecksilber  aus. 
Man  hat: 

Ameisensaures  Ameisensaures         Ameisensäure. 

Quecksilberozyd.        Quecksilberoxydul. 


2 


Hg'  (Hg,)'  "* 


Ameisensaures  Quecksilber.  Ameisensäure. 

Quecksilberoxydul. 

(OHO),^^     =       2  Hg  +      en^ea    +    ee,. 

(Hga)f 

835.  Aetherarten  der  Ameisensäure.    Man  kennt  bis  jetzt: 

GHOi 


Ameisensäure-Methyläther      ßj^  |0 

OHO) 
Ameisensäure- Aethyläther     o  o  (^ 

OHO  i 

Ameisensäure-Amyläther       o  tj    |  O 


Der  erstere  wird  bei  Destillation  von  ameisensaurem  Natron  mit  Schwefel- 
säure-Methyläther,  die  beiden  anderen  durch  Destillation  von  ameisen- 
saurem Katron  (7  Th.)  mit  einem  Gemenge  von  Aethylalkohol  (6  Th.) 
und  Schwefelsäure  (10  Th.)  oder  mit  einem  Gemenge  von  Amylalkohol 
(7  Th.)  und  Schwefelsäure  (6  Th.)  erhalten.  Die  physikalischen  Eigen- 
schaften dieser  Aetherarten  sind  §.  906  mitgetheilt. 

Beim  Erhitzen  mit  Schwefelsäure  zerfällt  der  Ameisensäure  -  Aethyl- 
äther in  Aethylschwefelsäure  und  Kohlenoxyd: 

Ameisensäure-  Aethylschwefel- 

Aethyläther.  säure. 

Substitutionsproducte  der  Ameisensäure  und  ihrer 
Aetherarten. 

886.  Man  kennt  bis  jetzt  keine  Substitutionsproducte  der  Ameisenafture. 

Bei  Einwirkung  von  Chlor  zerfällt  die  Ameisensäure,  wie  schon  erwähnt, 
in  Kohlensäure  und  Salzsäure. 


Ameisensfiare.    Substitutionsproducte.  547 

Körper,  die  als  Aetherarten  der  einfach  geoblortenAmeisensäure  be- 
trachtet  werden  können,  entstehen  bei  Einwirkung  von  Carbonylchlorid 
=  eOClj  (Phosgen)  auf  Alkohole: 

Chlorameisen-  Chlorameisen-  .Chlorameisen- 

methyläther.  äthjläther.  amylftther. 

ecieu  öcie>^  ecie/^ 

eH,i^  eAi^  e,H„r 

Diese  Substanzen  können  andererseits  (vgl.  $.  797)  betrachtet  wer- 
den, als: 

Chlorkohlensäure-        Chorkohleos&ure-  Cblorkohlensäure- 

methylftther. .  &thyl&ther.  amyl&ther. 

eo  )Ci  e  e  jci  e  e  jci 

€H,{e  e^H^le  e^^ni^ 

Die  letzteren  Formeln  diilcken  die  Bildungs  -  und  Zersetzungsweisen  dieser 
Aetherarten  aus.  Die  ersteren  zeigen  nur  die  Analogie  mit  den  Aethem  der  Mono- 
chloressigsäure ,  denn  man  hat  diese  Körper  bis  jetzt  weder  aus  Ameisensäure  er- 
halten, noch  in  Ameisensäure  übergeführt,  was  indess  wahrscheinlich  durch 
Einwirkung  von  Zink  oder  Katriumamalgam  gelingen  wird  (vgl.  Carbonylverbin- 
dungen). 

GCIO) 
Perchlorameisen'methjl&ther  =    ^^j  >G  =   €2C]40s,   ist 

von  Gafaours*)  durch  Einwirkung  von  Chlor  im  Sonnenlicht  uufAmeisen- 
sfturemethjläther  erhalten  worden.  Es  ist  eine  stechend  riechende,  bei 
180»— 185«  siedende  Flüssigkeit. 

Er  ist  isomer  mit  Carbonjlchlorid  (Phosgen)  und  geht  in  der 
That  beim  Durchleiten  seiner  Dämpfe  durch  ein  auf  350<^  erhitztes  Rohr 
fast  vollständig  in  dieses  über: 

€2Ci4e,  =  2eeci2. 

Er  bildet  mit  Weingeist  Chlorkohlensäureäthyläther  (siehe  oben) 
verhält  sich  also,  als  ob  er  das  mit  ihm  isomere  Carbonylchlorid  wäre.  Wässri- 
gcs  Ammoniak  wird  tou  dem  Aether  mit  Heftigkeit  zersetzt,  unter  Bildung  von 
Thichloracetamid  und  Salmiak.  Diese  Reaction  ist  leicht  erklärlich,  wenn 
man  bedenkt,  dass  der  Perchloramcisenmethyläther  dieselbe  Zusammensetzung  hat, 
wie  völlig  gechlorte  Essigsäure,  d.  h.  wie  Untercblorigsäure-Trichloressigsäure. 
Man  hat: 

eciei 


ealh   =   ^»^'*^^   =    ^'^''SK 


^)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXIV.  315. 

35  • 


548  '    Fette  Säuren. 

Die  Reaction  ist  dann  folgende: 


N 


Trichloracet-          Unterchlorige 
amid.                     Säure. 

(H 
H 
H 

_7s^re,ci3e)  ^ 

Cl  ) 

und  die  unterchlorige  Säure  zersetzt  gleichzeitig  Ammoniak  unter  Freiwerden  von 
Stickstoff  und  Bildung  von  Salmiak. 

Durch  Einwirkung  von  Chlor  auf  Ameisensäureäthyläther  haben  Ma- 
laguti  *)  und  Cloez  **)  zwei  Substitutionsproducte  erhalten : 

zweifach  gechlorter 
Ameisensäureäthyläther        QJlJoX^^ 

völlig  gechlorter 
Ameisensäureäthyläther        69     Cl^Oa 

Beide  sind  nicht  ohne  Zersetzung  destillirbar;  der  letztere  ist  identisch  mit  Per- 
chloressigsäuremethyläther  (§.  879).  Er  zerfallt  beim  Durchleiten  seines 
Dampfes  durch  ein  schwachglühendes  Porzellanrohr  in  Trichloracetylchlorid 
(§.  884)  und  Carbonylchlprid: 

Prochlorameisen-  Trichloracetyl- 

äthyläther.  chlorid. 

■ft  PI  1  ""       vjCl^vj       SS       ^201^0^       -p       ^O'Clj 

Durch  Wasser  oder  Alkalien  wird  er  zerlegt  unter  Bildung  von  Trichloressi^ 
säure: 

Trichloressigsäure. 

eStK    ^    ^^^    "^    ^aCi,ej^  4.  eoj,  4.  ohci. 

Mit  Alkohol  liefert  er:  Trichloressigsäure äthyläther  neben  Chlorkoh- 
lensäureäther (Chlorameisensäureäther,  siehe  oben): 

Clilorkohlen-       Trichloressig- 
säureäther.  ^äther. 

Bei  Einwirkung  von  wässrigem  Ammoniak  entsteht  Trichloracetamid: 

Trichloracetamid. 
LOaClaO 


St}^    +    NH3    =    nJh'  '     4-    eeci,    + 


HCl. 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  XXXIL  89. 
••)  ibid.  LX.  269. 


AcetylTerbindungeK.  549 

.  Die  im  Vorhergehenden  besprochenen  völlig  gechlorten  Aetherarten  der 
Ameisensäare  bieten  in  theoretischer  Beziehung  ein  besonderes  Interesse  dar,  weil 
ihr  Verhalten  deutlich  zeigt,  wie  durch  den  Einfluss  der  individuellen  Natur  der 
in  eine  Verbindung  eintretenden  Elemente  der  chemische  Charakter  der  Verbindung 
gelindert  werden  kann  (vgl.  Perchloräthylfither  §.  689. 

Die  Bildung  von  Trichloracetamid  aus  Perchlorameisen-methjlfither  ist  dess- 
halb  noch  besonders  interessant,  weil  aus  Verbindungen  der  Methyl-  und  der  For- 
mylgruppe,  aus  Methylalkohol  und  Ameisensäure,  die  beide  nur  1  At.  6  im  Mo- 
lecül  enthalten,  eine  Verbindung  entsteht,  die  2  Atom  Kohlenstoff  im  Molecül 
enthtilt  und  der  Acetylgruppe  zugehört,  und  die  sogar  in  Essigstture  übergeiührt 
werden  kann.  So  dass  also  die  erwähnte  Reaction  (seit  1846)  ein  Mittel  an  die 
Hand  gibt,  die  Essigsfture  synthetisch  aus  Ameisensäure  und  Holzgeist  darzustellen. 


Acetylverbindungen. 

[Radical:  Acetyl  =  ©aHaO.] 

Da  die  Acetylverbindungen  in  den  allgemeinen  Betrachtnngen  über  die  Ver- 
bindungen der  einatomigen  Säureradieale  fast  ausschUesslich  als  Beispiele  benutzt 
wurden,  so  kann  hier  in  Bezug  auf  viele  Bildungs  •  und  Zersetzungsweisen  auf  das 
dort,  Mitgetheilte  verwiesen  werden  (vgl.  §§.  793  —  816).  Eine  Uebersicht  der  Ver- 
bindungen des  Radicals  Acetyl  nach  der  Typentlieorie  ist  §.  803  gegeben. 


Aldehyd,  Acetaldehyd  =  e,H40.     [Acetylhydrür  =  ^*^»gj].  837. 

Der  Aldehyd  wurde  von  Döbereiner  1821  durch  Oxydation  des  Alko- 
hols mittelst  Platinmohr  erhalten  und  als  leichter  Sauerstofi&ther  be- 
schrieben (vgl.  S.  847);  Lieb  ig*)  stellte  seine  Zusammensetzung  fest 
und  untersuchte  ihn  genauer.  Der  Aldehyd  entsteht,  wie  früher  er- 
wähnt, bei  Oxydation  des  Alkohols  und  anderer  Aethylverbindungen 
(▼gl>  $.  803)  z.  B.  der  Aethylsehwefelsäure-,  bei  trockner  Destillatioii 
eines  Gemisches  von  essigsaurem  Salz  mit  ameisensaurem  Salz  ($.  804); 
durch  Einwirkung  von  Chlorzink  auf  Glycol  ($.  820) ;  bei  Zersetzung  der 
Milchsäure  durch  oxydirende  Substanzen  oder  durch  den  galvanischen 
Strom**)  (8.  821),  etc. 

Darstellung.  Man  destillirt  bei  sehr  gut  abgekühlter  Vorlage  2  Theile 
80  procentigen  Weingeist  mit  3  Th.  Brannstein,  3  Th.  Schwefelsäure  and  3  Th. 
Wasser^  bis  das  Destillat  3  Th.  beträgt  und  Lakmus  zu  röthen  anßingt  Man  rec- 
tificirt  dieses  Destillat  2  mal  über  gleichviel  Chlorcalcium  und  stellt  aus  dem  Pro- 
duct  Aldehydammoniak   dar,  indem  man   es  mit   dem   doppelten  Voluni  Aether 


'*)  Ann.  CheuL  Pharm.  XIV.  183. 
••)  Kolbe,  ibid.  CXIIL  244. 


550  Acctylverbindungcri. 

mischt  und  Ammoniakgas  einleitet  (Liebig).  —  Man  sättigt  ein  Geiniscli  von  Alko- 
hol mit  2  Th.  Wasser  unter  Abkühlen  mit  Chlorgas,  destillirt  '/jo  ab,  rectificirt 
über  Chlorcalciam  und  verfährt  weiter  wie  oben  (Liebig).  —  W.  u.  R.  Rogers  bringen 
1  Th.  säur,  chromsaures  Kali  und  1  Th.  Weingeist  in  eine  Retorte  und  lassen  1'/,  Th, 
Schwefelsäure  tropfenweise  zufliessen-,  das  Destillat  kann  direct  mit  Aether  ge- 
mischt und  Ammoniak  eingeleitet  werden.  —  Stadel  er  bringt  3  Th.  chroms&u- 
res  Kali,  4  Th.  Schwefelsäure,  12  Th.  Wasser  und  3  Th.  Alkohol  in  eine  mit 
Kältemischung  abgekühlte  Retorte  und  entfernt  dann  die  Kältemischung,  worauf 
die  Reaction  von  selbst  eintritt.  In  der  auf  50*  erwärmten  Vorlage  verdichtet  aich 
Wasser,  während  der  aus  der  Vorlage  entweichende  Aldehyd  in  abgekühltem 
Aether  aufgefangen  wird. 

Bei  allen  diesen  Darstellungen  bereitet  man  zunächst  Aldehydammoniak. 
Um  aus  diesem  den  Aldehyd  abzuscheiden,  destillirt  man  die  Lösung  von  2  Th. 
Aldehydammoniak  in  2  Th.  Wasser  mit  einem  Gemenge  von  3  Th.  Schwefelsäure 
und  4Th.  Wasser  im  Wasserbad  und  rectificirt  das  Product  mehrmals  über  Chlor- 
calcium. 

886.  Eigenschaften.     Der  Aldehyd  ist  eine   wasserhelle  Flassigkeit, 

von  eigenthümlich  betäubendem  Geruch.  Er  siedet  bei  20®;  spec.  Gew. 
0.801  bei  0^  —  Er  mischt  sich  mit  Wasser,  Alkohol  und  Aether  in  je- 
dem Verhältniss.  Er  oxydirt  sich  leicht  zu  Essigsäure,  schon  durch  den 
Sauerstofif  4er  Luft,  leichter  durch  oxydirende  Substanzen. 

Der  Aldehyd  reducirt  daher  aus  Silbersalzen  metallisches  Silber,  welches 
sich  als  spiegelnde  Fläche  an  die  Glaswand  anlegt  Man  setzt  zur  Ausführung  die- 
ser Reaction,  die  bisweilen  zum  Nachweis  des  Aldehyds  benutzt  werden  kann,  zu 
der  den  Aldehyd  enthaltenden  Flüssigkeit  sälpetersaures  Silberozyd  und  einen 
Tropfcfn  Ammoniak  und  erwärmt  gelinde. 

Leitet  man  Aldehyddampf  über  glühenden  Natronkalk,  so  wird  un- 
ter Wasserstoffentwicklung  essigsaures  Natron  gebildet  (§.  805).  Dureh 
Erwärmen  von  Aldehjd  mit  wässrigem  oder  weingeistigem  Kali  entstehl 
eine  gelbe  oder  rothbraune  harzartige  Materie,  s.  g.  Aldehydharz,  deren 
.chemische  Natur  noch  nicht  erforscht  ist. 

839.  Polymere   Modificationen    des    Aldehyds.      Der   Aldehyd 

zeigt  eine  grosse  Neigung  durch  moleculaxe  Cmlagerung  in  gleichzusam- 
mengesetzte  Körper  von  verschiedenen  Eigenschaften   aberzugehen.    Man 
kennt  drei  aus  dem  Aldehyd  entstehende  polymere  Modificationen. 
1)  Metaldehyd.    Wenn  Aldehyd  in  zugeschmolzenen  Röhren  aufbe- 
wahrt wird ,  so  bilden  sich  glänzende ,  prismatische  Krystalle ,  die  in 
Wasser   unlöslich   sind   und  bei   120®   sublimiren,    ohne  vorher  za 
schmelzen  (Liebig)  *).     Dieselbe  Modification  entsteht  (neben  Paral- 
dehyd),    wenn  man  ein  Gemenge  von  Aldehyd  und  Wasser,   nadi 
Zusatz  eines  Tropfens  Schwefelsäure  oder  Salpetersäure  längere  Zeit 
giner  Temperatur  unter  0^  aussetzt  (Weidenbüsch)  *♦).    Der  Metalde- 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  XIV.  141. 
••)  ibid.  LXVI.  1Ö5. 


Aldehyd.  551 

byd  geht  beim  Erhitzen  in  zugeecbmoizenen  Röhren  auf  180^^200^ 
wieder  in  Aldehyd  über. 

2)  Paraldehyd.  Wird  neben  Metaldehyd  nach  der  zuletzt  angegebe- 
nen Methode  erhalten.  Er  entsteht  auch,  wenn  man  Aldehyd  mit 
schwefliger  Säure  sättigt  und  einige  Tage  stehen  lässt  (Oeuther  und 
Cartmell  *).  Man  erhält  ihn  ferner  durch  Erhitzen  von  mit  Cyan 
gesättigtem  Aldehyd  auf  100®,  oder  durch  längeres  Erhitzen  von  Al- 
dehyd mit  Jodäthyl  auf  100®  (Lieben).  **) 

Der  Paraldehyd  ist  eine  aromatisch  riechende  Flüssigkeit,  die  bei 
+  12®  erstarrt  und  bei  124®  siedet;  er  ist  in  Wasser  nur  wenig  lös- 
lich, mischt  sich  dagegen  mit  Aether.  Beim  Erwärmen  mit  wenig 
Schwefelsäure  geht  er  wieder  in  Aldehyd  über. 

Der  Paraldehyd  hat  nach  seiner  Dampfdichte  (gefunden:  4,58;  4,71) 
die  Molecularformel:  ©eHijOa  =  3  621140  (vgl.  J.  849). 

Der  von  Fehling  ***)  durch  Einwirkung  von  Winterkälte  auf  Al- 
dehyd erhaltene  Elaldehyd,  der  bei  +2®  schmilzt  und  bei  94® 
siedet,  scheint  mit  Paraldehyd  identisch  zu  sein.  Jedenfalls  kommt 
ihm  nach  der  Dampfdichte  (gefunden:  4,51)  dieselbe  Molecularfor- 
mel zu. 

3)  Acraldehydf).  Wenn  Aldehyd  mit  Chlorzink  erhitzt  wird,  so 
geht  er  zum  Theil  in  diese  polymere  Modification  über.  Auch  bei 
Einwirkung  von  Ghlorzink  auf  Olycol  entsteht  diese  Modification 
neben  gewöhnlichem  Aldehyd.  Der  Acraldehyd  ist  eine  stechend  rie- 
chende Flüssigkeit,  die  sich  in  Aether,  Alkohol  und  Wasser  löst  und 
Silbersalze  reducirt.  Er  siedet  bei  110®.  Seine  Dampfdichte  (ge- 
funden: 2,877)  führt  zur  Molecularformel:  6411,02  =  262H4O  (vgl. 
S.  849). 

Mit  dem  Aldehyd  ist  ferner  isomer  das  Aethylenoxyd  (§.  966). 

Verbindungen  des  Aldehyds.    Kalium  und  Natrium  lösen  sich  840. 
in  Aldehyd  unter  Wasserstoffentwicklung  auf.     Die  entstehenden  Verbin- 
dungen sind  noch  nicht  näher  untersucht. 

Aldehydammoniak  ff).  Der  Aldehyd  vereinigt  sich  direct  mit 
Ammoniak  zu  einer  kr^'stallisirbaren  Verbindung,  die  leicht  durch  Ein- 
leiten von  Ammoniak  in  ein  Gemisch  von  Aldehyd  (selbst  unreinem)  mit 
Aether  erhalten  wird.  Man  kann  diese  Verbindung  betrachten  als  Al- 
dehyd,   dessen  typischer  Wasserstoff  durch  Ammonium  ersetzt  ist,   d.  h. 


•)  Ann.  Cbem.  Pharm.  CXII.  16. 

••)  Sitzungflb.  d.  Wiener  Akademie. 

•••)  Ami.  Chem.  Pharm.  XXVÜ.  319. 

t)  Wartz,  A  Bauer.  Repwt  de  Chimie.  1860.  244. 
tt)  Döbereiner,  1885.    liebig,  Ann.  Chem.  Pharm.  XIV.  133. 


552  Acetylverbindangen. 

ÜB  Amtkioniümacetylür;  oder  auch  als  dem  Typus  Ammoniumozjdhydrat 
zugehörige  VerbinduDg  des  Radicals:  GJB^  (vgl  §.  849). 

e^E^Q)  oder  H{N 


2H,e>  oder  El 

NH4I  gIeA 


HJ 


e 


Das  Aldehjdammoniak  krjstallisirt  in  durchsichtigen  Bhomboedern ,  die 
bei  70  —  80®  schmelzen  und  bei  100®  zum  grossen  Theil  unverändert  de- 
stiUiren.  Es  löst  sich  leicht  in  Wasser,  weniger  in  Alkohol,  noch  weni- 
ger in  Aether.  Beim  Aufbewahren  ftrben  sich  die  Krjstalle,  besonders 
wenn  sie  feucht  sind,  gelb;  werden  sie  unier  Aether  aufbewahrt,  so  zer- 
fliessen  sie  zu  einem  gelben  Oel.  Das  Aldehjdammoniak  wird  von  8&a- 
ren  leicht  zersetzt  unter  Freiwerden  von  Aldehyd;  es  entwickelt  aber  mit 
Alkalien  in  der  Kälte  kein  Ammoniak.  Bei  trockner  Destillation  liefert 
es  eine  eigenthümliche  Base  (§.  850). 

Schwefligsaures  Aldehydammoniak.  Das  Aldehydammo- 
niak verbindet  sich  direct  mit  schwefliger  Säure  zu  einer  krystallisirbaren 
Verbindung:  O2H40.KH3.SO29  ^^^  ^^^^  leicht  in  Wasser  löst  und  von 
Säuren  in  ihre  Bestandtheile  zerlegt  wird  (Redtenbacher)  ♦).  Diese  Ver- 
bindung ist  isomer  mit  Tau r in. 

Beim  Erhitzen  von  schwefligsaurem  Aldehydammoniak  in  einem  zugeschmol- 
zenen Rohr  auf  150^  oder  auch  bei  Destillation  mit  Kalk  entsteht  neben  andexen 
Producten  eine  flüchtige  Ba^e,  die  anfangs  ftir  AeÜiylamin  gehalten,  später  aber 
^8  Dimethylamin  erkannt  wurde  ••)  (§.  716.). 

Eine  beständigere  Modification  dieses  schwefligsauren  Aldehydammoniaks 
wird  erhalten,  wenn  man  auf  das  oben  erwähnte  braune  zerflossene  Aldeh3''dam- 
moniak  schweflige  Säure  einwirken  lässt  (Petersen)  •♦•). 

Durch  Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  auf  Aldehydammoniak  entsteht 
Thialdin  (§.  848).  —  Durch  Einwirkung  von  Schwefelkohlenstoff  erhält  man  Carbo- 
thialdin  =  65HHJN2S2  (^'gl-  b^i  Schwefelkohlenstoff).  ■—  Wird  Aldehydammoniak 
mit  Blausäure  und  Salzsäure  zusammengebracht,  so  entsteht  Hydrocyanaldin  = 
69H13N4  und  beim  Erhitzen  Alanin  (=  Lactaminsäure). 

Der  Aldehyd  verbindet  sich  ferner  direct  mit  sauren  schwefligsauren 
Alkalien  zu  krystallisirbaren  Verbindungen,  die  gerade  wie  die  entspre- 
chenden Verbindungen  der  andern  Aldehyde,  durch  Schütteln  von  Aldehyd 
mit  der  Lösung  des  sauren  schwefligsauren  Salzes  erhalten  werden. 

Die  so  dargestellte  Ammoniakverbindung  scheint  wasserhaltig  und  von  dem 
oben  erwähnten  schwefligsauren  Aldehydammoniak  verschieden  zu  sein. 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXV.  40. 
••)  Gössmann,  ibid.  XCI.  122.  --  Petersen,  ibid.  CIL  317. 
•••)  ibid.  CIL  824. 


Aldehyd  553 

Abkömmlinge  des  Aldehyds. 

Der  Aldehyd  zeigt,  bei  Einwirkung  verschiedener  Substanzen,  ein  841. 
höchst  eigenthümliohes  Verhalten.  Je  nach  der  Natur  der  einwirkenden 
Substanz  erfolgt  der  Angriff  auf  das  Aldehydmolecül  bald  von  der  einen, 
bald  von  der  andern  Seite.  Bei  einzelnen  Reactionen  wird  zunächst  der 
Wasserstoff  (1  Atom)  entzogen  und  durch  andere  Elemente  vertreten; 
bei  anderen  ist  der  Sauerstoff  zunächst  der  zersetzenden  Wirkung  ausge- 
setzt; bei  einer  dritten  Gruppe  von  Zersetzungen  löst  sich  gleichzeitig  der 
Sauerstoff  und  1  Atom  Wasserstoff  vom  Aldehydmolectll  los;  bei  noch 
anderen  Reactionen  endlich  verbindet  sich  der  Aldehyd  direct  mit  der 
einwirkenden  Substanz. 

I.  Lässt  man  Chlor  auf  Aldehyd  einwirken ,  indem  man  trocknen 
Aldehyd  in  einen  mit  Chlor  gefüllten  Ballon  einträgt,  so  entsteht  wesent- 
lich Acetylchlorid  ♦). 

Aldehyd.  Acetylchlorid. 

e,H,o[g ,^v^       ^^)ci  =  eAo.ci  +  hci 

Der  Aldehyd  verhält  sich  also  bei  dieser  Reaction  wie  das  Hydrür  des 

Radicals  Acetyl  (=  eaHjO). 

IL     1)  Bei  Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  auf  wässrigen  AI-  842. 
dehyd  wird   der  Sauerstoff  durch  Schwefel  ausgetauscht  und  es  entsteht 
eine  weisse,  krystallisirte,  in  Alkohol  und  Aether  lösliche,  schon  bei  46^ 
sublimirende  und  knoblauch artig  riechende  Substanz:  Der  Sulfal dehyd 

Aldehyd.  Sulfaldehyd. 

Es  wird  bei  dieser  Einwirkung  zunächst  ein  nach  Knoblauch  riechendes  Oel 
gebildet  (6-62H4S,  Haß),  das  beim  Erhitzen  sich  zersetzt  mit  Zurücklassung  von 
krystallinisch  erstarrendem  Sulfaldehyd,  und  aus  welchem  Säuren  unter  Schwefel- 
wasserstoffentwicklung Sulfaldehyd  ausscheiden  ♦•). 

2)  Setzt  man  zu  einer  Lösung  von  Aldehyd  in  Wasser  Ammoniak  848. 

und  leitet  dann  Schwefelwasserstoff  ein,    so  scheiden  sich  bald  Erystalle 

einer  schwefelhaltigen  Base:   Thialdin  =  CeHisNSj  aus.      (Liebig  und 
Wöhler)  **).     Man  hat: 

3  Mol.  Aldehyd.  Thialdin. 

3  e^ä^e     +     NH3    +  2  HjS    =    eeHisNSj    +    3  H^e 


•)  Wurtz,  Ann.  Chem.  Pharm.  CIL  324.    Jahresb.  18Ö7.  346. 
••)  Weidenbusch,  ibid.  LXVL  168. 
•••)  Liebig  und  Wöhler,  ibid.  LXL  1. 


554  Acetylverbindungen. 

Dieselbe  Verbindung  entsteht  auch,  wenn  auf  das  oben  erwähnte,  als 
Vereinigung  von  Schwefelwasserstoff  mit  Schwefelaldehyd  zu  betrachtende 
Oel,  Ammoniak  einwirkt.    Man  hat: 

3  Mol.  Schwefelaldehyd.  Thialdin. 

3G2H4S      +      2NH3      =      GeHiaNSa      +      NH4Jg 

Das  Thialdin  krystallisirt  in  wohlansgcbildeten  Krystallen,  die  bei  4S* 
schmelzen,  bei  gewöhnlicher  Temperatur  allmfilig  sublimiren,  mit  Wasserdämpfen 
unverändert  flüchtig  sind,  während  sie  beim  Erhitzen  für  sich  Zersetzung  erleiden. 
Es  ist  in  Wasser  wenig  löslich,  leicht  löslich  in  Alkohol  und  Aether. 

Das  Thialdin  bildet  mit  Säuren  krystallisirbare  Salze.    Z.  B. : 

Salzsaures  Thialdin.  Salpetersaures  Thialdin. 

e.H„NSa .  HCl  6eHi,NSa .  HO^N. 

Es  bildet  mit  Metallsalzen  Niederschläge,  die  sich  meist  allmäüg  zersetzen, 
indem  Schwefelmctall ,  ein  Ammoniaksalz  und  Aldehyd  gebildet  wird. 

Durch  Einwirkung  von  Methyljodid ,  Aethy^odid  oder  Amyljodid  kann  1  At 
Wasserstoff  des  Thialdins  durch  ein  Alkoholradical  ersetzt  werden  (Hofmann)  ^}. 
Man  erhält  so  z.  6.  das: 

Methylthialdinjodid. 
e,Hja(eH,)NSa.HJ. 

Lässt  man  auf  dieses  Salz  Silberoxyd  einwirken,  so  entsteht  augenblicklich  Jod- 
silber und  gleich  darauf,  unter  Zersetzung  der  Base :  Schwefelsilber,  Aldehyd,  Am- 
moniak und  Tetramethylammoniumoxydhydrat. 

Durch  Einwirkung  von  Selenwasserstoff  auf  Aldehydammoniak  wird  eine 
dem  Thialdin  entsprechende  Selen  Verbindung ,  das  Selenaldin  =  G^Hi^NSe^  er- 
halten, (licbig  und  Wöhler). 

844.  3)  Phosphorsuperchlorid   wirkt  auf  Aldehyd   unter  Wärmeenlwick- 

lung  ein  **). 

Aldehyd.  Aethylidenchlorid. 

e.Hjo       jX^      c^2]ciaP  =  6,H4Ci  4-  pecia 

Das  Product  (Aethylidenchlorid)  siedet  bei  60';  es  ist,  nach  Beil- 
stein***),  identisch  mit Monochloräthylchlorid  (§.  G90),  aber  verschieden 
von  dem  isomeren  Aethylenchlorid  (§.  953). 

4)  Phosphorsuperbromid  wirkt  in  derselben  Weise  wie  die  entApre- 
chende  Chlorverbindung.  Es  entsteht:  Aethylidenbromid  =:62H4Br2, 
eine  gelbe  in  Wasser  unlösliche  Flüssigkeit,  die  schon  bei  geringer  Tem- 


•)  Hofmann,  Ann.  Chem.  Pharm.  CHI.  98. 
••)  Wurtz  —  Geuther,  ibid.  CV.  321.  —  Jahresb.  1858.  288. 
••*)  Ann.  Chem.  Pharm.  CHI.  110.  —  Jahresb.  1859.  330. 


Aldehyd.  555 

peraturerhöhung  unter  steter  Entwicklang  Ton  Bromwasserstoffdämpfen 
zersetzt  wird  *). 

5)  Salzsäuregas  wird   von  reinem  Aldehjd  absorbirt,   es   entsteht:  845. 

Aethylidenoxychlorid  =  e4H8eCl2  =  I^h^cIj!'  ^^  ^^^  ^^^*^ 
117*  siedet  (Lieben)**).    Die  Reaction  erfolgt  nach  dem  Schema: 

2  Mol.  2  Hol.  Aethyliden- 

Aldehyd.  Salzsäure.  oxychlorid. 

■G  H    O 

6)  Nach  Geuther  u.  Cartmell  ♦**)  geht  der  Bildung  des  Aelhy- 
lldenoxychlorid's ,  die  Bildung  eines  Körpers  voraus,  der  die  Zusammen- 

Setzung:   GgHijejClj  =  ©2^4. 0  \  besitzt,   und  der  leicht   (z.  B.  wenn 

e,H4.Cl3\ 
durch  die  auf  60«  —  80»  erhitzte  Substanz  KohlensÄure  geleitet  wird)  in 
Aldehyd  und  Aethylidenoxychlorid  zerfällt. 

7)  Leitet  man  durch  ein  Gemenge  von  Aldehyd  mit  abs.  Alkohol 
trocknes  Salzsäuregas,   so  entsteht   eine   bei  96  — 100^  siedende  Verbin- 

düng  von  der  Zusammensetzung  f ) :  G4H9©C1  =  ^^jj* '  Cl  \  '  ^^^  *'® 
eine  Vereinigung  von  Aldehyd  mit  Aethylchlorid  betrachtet  werden 
kann. 

8)  Erhitzt  man  Aldehyd  mit  Acetyl chlor id  im  Wasserbad,   so  846. 

GH       O  ^ 
verbinden  sich  beide  und  es  entsteht:  G4HYG2CI  =  g^H*0*cil  tt)» 

Dieselbe  Verbindung  wird  auch  (neben  Acetylchlorid  §.  859)  erhalten ,  wenn 
Chlor  auf  Aldehyd  einwirkt  fff).  Sie  siedet  bei  120—  124<>  und  wird  von  Alka- 
lien und  von  heissem  Wasser  zersetzt  zu:  Aldehyd,  Essigsäure  und  Salzsfturc. 

9)  Wird  Essigs&ureanhydrid  (§.  862)  mit  Aldehyd  auf  180« 
erhitzt,  so  treten  beide  Körper  direct  zusammen  und  bilden  eine  bei 
168^,8  siedende  Flüssigkeit,  von  der  Zusammensetzung*):  G5HJQ04  = 
G2H4  .  B 
GaHgO^rv 
GjHaOr 


*)  Wurtz  u.  FrapoUi,  Ann.  Chem.  Pharm.  CVIII.  223.  —  Jahresber.  1858.  290. 
••)  Ann.  Chem   Pharm.  GVL  336.  —  Jahresber.  1858.  291. 
•••)  ibid.  CXn.  1.  —  ibid.  1869.  385. 
+)  Wurtz  u.  Frapolli,  loc.  cit. 

++)  Simpson,  Ann.  Chem.  Pharm  CIX.  156.    Jahresb.  1858.  293. 
ttt)  Wurtz,  loc.  cit.  S.  553. 

•)  Geuther,  Ann.  Chem.  Pharm.  CVI.  249.  —  Jahresb.  1858.  "092. 


556  Acetylverbindnngen. 

847.  An  die  zuletzt  beschriebenen  Körper  schlieast  sich  eine  schon  seit 

länger  bekannte  Substanz  an.    Das: 

Acetal  =  ©«Hi^e  =  ©^H*)*     (. 

Das  Acetal  wurde  von  Döbereiner  als  Product  der  Oxydation  des  Alko- 
hols durch  Platinmohr  entdeckt  und  als  schwerer  Sanerstoffäther  beschrieben; 
es  wurde  dann  von  Lieb  ig  •),  vonStas  ••)  und  zuletzt  von  Wurtz  •♦•)  genauer 
untersucht.  Man  erhält  es  durch  Oxydation  des  Alkohols  *,  am  zweckmässigsien,  in- 
dem man  Alkohol  mit  Braunstein  und  Schwefelsäure  destillirt  (Verhältnisse  wie 
bei  der  Darstellung  des  Aldehyds  nach  Liebig  §  8S7)  und  den  über  60®  siedenden 
Theil  durch  Chlorcalcium,  Kalilauge  und  fractionirte  Destillation  reinigt. 

Das  Acetal  siedet  bei  104<>,  es  löst  sich  in  18  Th.  Wasser  von  25* 
und  ist  mit  Alkohol  und  Aether  mischbar.  Bei  Einwirkung  von  Salzsäure 
liefert  es  Aethylchlorid  und  charakterisirt  sich  so  als  eine  Aethylver- 
bindung. 

Wird  ein  Geraenge  von  Aethylalkohol  und  Methylalkohol  mit  Braun- 
stein und  Schwefelsäure  destillirt,  so  erhält  man  ausser  Acetal  noch  zwei 
dem  Acetal  ähnliche  Substanzen:  Das  Dimethyl-acetal  (Sied.  55^ 
und  das  Methyl-äthyl-acetal  f)    (Siedep.  85).    Man  hat: 


Dimethylacetal. 

Hetbjlftthylacetal. 

Di&thylacetal 
(Acetal). 

GiH«  .  e 

^2l^4  •  ^ 

G,H4.0 

OH.U 

Das  Acetal  (Diäthylacetal)  zerfällt  bei  manchen  Zersetzungen  in  Al- 
dehyd und  eine  Aethylverbindung  und  es  kann  umgekehrt  aus  Aldehyd 
und  einer  Aethylverbindung  künstlich  erhalten  werden. 

So  entsteht  z.  B.  bei  längerem  Erhitzen  von  Acetal  mit  Essigsäurehydrat  auf 
150—200«,  Aldehyd  und  Essigsäureäthylätlier  ft): 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  V.  27. 
••)  ibid.  LXIV.  322. 
•••)  ibid.  C.  116. 
f)  Eine  andere  dem  Acetal  wahrscheinlich  entsprechende  Verbindung,    die  sich 
aus    dem  Methylalkohol   herleitet  und   durch  Destillation  von  Methylalkohol 
mit  Braunstein    und  Schweielsfiure   erhalten  wird,   ißt  das  Methylal   = 

9,HgOa  =  ^Hjl^  ]  Siedep.   42®.     Das  s.  g.  Form o methylal   ist  nach 

6H,f 
Malaguti   ein  Gemenge   von  Ameisensäuremethyläther   und   Methylal.     [Vgl. 
Kaue,  Ann.  Chem.  Pharm.  XIX.  176;   Dumas,  ibid.  XXVIL  135;    Malaguti, 
ibid.  XXXII.  66.] 
tt)  Hofacker  n.  Beilsteiu,  Ann.  Chem.  Pharm.  CXU.  239.  —  Jahresb.  1859.  881. 


AcetaL  557 

Acetal.  Essigsäure.  Aldehyd.  Essigäther. 

Bei  Einwirkung  von  Phosphorsuperchlorid  auf  AcetaJ  entsteht:  Aethylchlorid, 
Phosphorozychlorid  und  wahrscheinlich  auch  Aethylidenchlorid  *).  Umgekehrt  kann 
nach  Wurtz  und  Frapolli  **)  Acetal  erhalten  werden,  wenn  Aethylidenbromid 
(§.  844)  auf  Natriumäthylat,  oder  auch  wenn  Aldehydäthylchlorid  (§.  845)  auf  Na- 
triumäthylat  einwirkt    Man  hat: 


+      2  NaBr. 


NaCl. 


Bei  allen  im  Vorhergehenden  zusammengestellten  Reactionen  verhält  848. 
sich  der  Aldehyd  wie  ein  Oxyd  des  zweiatomigen  Radicals:    ^2^^;  also 

0 

entsprechend  der  Formel:  €2114.0. —  Es  werden  später,  gelegentlich  des 
Olycols,  Verbindungen  beschrieben  werden,  die  mit  den  oben  bespro- 
chenen Abkömmlingen  des  Aldehyds  isomer,  d.  h.  die  bei  gleicher  Zu- 
sammensetzung in  den  Eigenschaften  verschieden  sind  ($.  939). 

Zu  denjenigen  Abkömmlingen  des  Aldehyds,  deren  Bildung  durch  Annahme 
des  iweiatomigen  Radicals:  O3H4  in  einfacher  Weise  gedeutet  werden  können,  ge- 
hören noch  das  oben  (§.  840)  beschriebene  Aldehydammoniak,  die  bei  Ein- 
wirkung von  Cyansäure  auf  Aldehyd  entstehende  Tri  gensäure  (vgl.  Amide  der 
Kohlensäure)  und  dad  bei  Einwirkung  von  Schwefelkohlenstoff  auf  Aldehydammo- 
niak entstehende  Garbo thialdin. 

Im  Folgenden  sind  die  oben  beschriebenen  Abkömmlinge  des  AI-  849. 
dehyds  nochmals  zusammengestellt***). 


Aethylidenbromid. 

NatriumOthylat. 

AcetaL 

OaH^Br,      + 

ii«.J;)9    = 

Aldehydäthylchlorid. 

e,H,.ci    + 

«■?!j»    = 

IS« 

•)  Beilstein ,  ibid.  CXII   240. 
••)  loco  cit.  S.  555. 

***)  Das  Aldehydammoniak,  das  Thialdin,  das  Carbothialdin  und  die 
Trigensäure  kinnen  durch  entsprechende  Formeln  dargestellt  werden: 

Aldehydammoniak.  Thialdin.  Carbothialdin.  Trigensäure. 

«»^^jo  e^,U  eA|g  ^  >n.. 


558 

Acetylverbindungcn 

Aldehyd. 

Aethyliden- 
chlorid. 

Aethyliden- 
bromid. 

6364.0 

eaH4.Cla 

e2H4.Bra 

Aldehydäthyl- 
chlorid. 

Aldehydacetyl- 
Chlorid. 

eaH,efci 

Typus;  HjO  oder  2HCI 


Typua:  Hje  +  HCl 


Acraldehyd  •).        Acetal. 


Aldehydacetyl-      Aldehydäthy- 
anhydrid.  lidenchlorid. 


e2H4i0  eaH4>e 

(e2H5)2fe       e2H,e)aJo 


gX)^         Typus:  2H,e 
e;H4(cia    oderH,e+2HCl 


Paraldehyd  ••). 


Acetoäthyl- 
nitrit  •♦•). 

(NO,),   0 


Dialdehydäthy- 
lidenchlorid. 


e,H4^e 
eX'ci» 


Typus:  SH^O 
oder  2Hae  + 
2HC1 


850.  IIL   Es  sind  jetzt  noch  diejenigen  Metamorphosen  des  Aldehyds  zu 

besprechen,  bei  welchen  nur  die  Atomgruppe:  62H3  unangegriffen  bleibt 

1)  Lässi  man  Carbonjlchlorid  (Phosgen)  auf  dampfförmigen 
Aldehyd  einwirken,  so  entsteht  Salzsäure,  Kohlensäure  und  eine  bei  45^ 
siedende  Flüssigkeit,  welche  beim  Abkühlen  zu  Erystallblättchen  erstarrt, 
die  bei  etwa  0®  schmelzen.  Diese  Verbindung  wird  von  Harnitz-Har- 
nitzkjf)  als  Chloraceten  bezeichnet:  62H3GI.  Sie  ist  isomer  mit 
Honochloräthylen  (§.  949).    Ihre  Bildung  erfolgt  nach  der  Gleichung: 


Aldehyd.     Carbonjlchlorid.    Chloraceten. 

€aH40     +     eecij     ==     ejHaCl     + 


60,    4-     HCl 


♦)  Vgl.  S.  839.  8. 
♦•)  Vgl.  889.  2. 
••*)  Das  AcetoÄthylnitrat  wurde  von  Nadler  (Ann.  Cham. Pharm. CXVL 173) 
durch  Destillation  von  äthylschwefelsaurem  Kali  mit  Salpeter  erhalten,  es 
siedet  bei  82  —  86^ ,  redacirt  Silbersalze  und  gibt  mit  weingeistiger  Kali- 
lauge Aldehydharz.  Es  kann  als  Addition  von  Aldehyd  mit  2  Mol.  Sal- 
peter Säureäther  betrachtet  werden. 

Aldehyd.         Salpetersäureftther.         Acetoäthylnitrat 
f )  Ann.  Chem.  Pharm.  CIL  192.  —  Jahresb.  1859.  882. 


Aldehyd,  539 

sie  scheint  bei  Erw&nnen  mit  Wasser  in  Salzsäure  und  Aldehyd  zersetzt 
zu  werden. 

2)  Wird  Aldehyd  längere  Zeit  mit  einer  concentrirten  Lösung  yon 
ameisensaurem  Kali,  essigsaurem  Natron  oder  weinsaurem  Natronkali  auf 
100^  erhitzt*),  so  wird  eine  wasserhelle  neutrale  Flüssigkeit  gebildet,  die 
sich  in  Wasser  etwas  löst,  bei  100^  siedet,  einen  durchdringenden  Geruch 
besitzt  und  eine  ammoniakalische  Silberlösung  genau  so  reducirt  wie  Al- 
dehyd. Diese  Substanz  hat  die  Zusammensetzung:  64H«0  und  entsteht 
wahrscheinlich  aus  Aldehyd  unter  Austritt  yon  Wasser.    Man  hat: 

Aldehyd. 

2  GÄO      =      G^O      +      HaO 

Man  sieht  leicht,  dass  diese  Substanz  zum  Aldehyd  in  derselben  Bezie- 
hung steht,  wie  der  Aether  zum  Alkohol;  während  das  Chloraceten  zum 
Aldehyd  dieselbe  Beziehung  zeigt,  wie  diejenige,  welche  zwischen  Aethyl- 
chlorid  und  Alkohol  stattfindet.  Man  könnte  also  diese  drei  Substanzen 
ausdrücken  durch  die  Formeln:  (vgl  auch  §.  886.) 

Aldehyd.  Aldehydäther.  Chloraceten. 

Der  Aldehydäther  kann  einerseits  als  Aether  des  Aldehyds,  anderer- 
seits aber  auch  als  Aldehyd  des  Aethyläthers  betrachtet  werden. 

3)  Auch  die  beim  Erhitzen  des  Aldehjdammoniaks  entstehende  harz- 
artige Base,  das  Tetrelallylammonium  *'*')  kann,  wenn  anders  die 
ihr  und  resp.  ihren  Salzen  beigelegten  Formeln   richtig  sind,  durch  eine 

das  Radical:  G2H3  enthaltende  Formel  ausgedrückt  werden: 

Tetrelallylammoninmplantinchlorid. 

N(G3H3)4Cl,HCl3 

Fasst  man  Alles  zusammen,  was  im  Vorhergehenden  über  die  Me-  851. 
tamorphosen  des  Aldehyds  mitgetheilt  wurde,  so  sieht  man,  dass  der 
Aldehyd,  je  nachdem  man  die  eine  oder  die  andere  Metamorphose  be- 
trachtet, durch  verschiedene  rationelle  Formeln  ausgedrückt  werden  kann. 
Nach  der  sub  I.  erwähnten  Reaction,  und  nach  seinen  Beziehungen  zur 
Essigsäure  und  den  übrigen  Acetylverbindungen   erscheint  er  als  Bydrür 

des  Radicals :  Acetyl  =:  G2H3O.      Nach  den  sab  II.  zusammengestellten 


*)  Lieben. 
**)  Heintz  und  Wislieenns. 


560  Acefylverbindangen. 

Metamorphosen  kann  er  als  Oxjd  des  Radicals:  62H4  betrachtet  werden. 
Die  unter  III.  erwähnten  Zersetzungen  endlich  finden  ihre  einfachste  Deu- 
tung, wenn  man  ihn  als  Hydrat  des  Radicals:  GJS^  betrachtet.  Man  hat 
also  die  drei  Formeln: 


e 


Lieben  hat  in  neuester  Zeit  vorgeschlagen,   den  Aldehyd  als  das 

Oxyhydrtir  des  dreiatomigen  Radicals:  62H3  zu  betrachten,  ihm  also  die 
folgende  Formel  beizulegen: 

Ö2H3 1  g 

die  gewissermassen  die  drei  oben  gegebenen  Formeln  zusammenfasst, 
und  ausserdem  zeigt,  dass  das  Radical:  O2H3.O  einbasisch,  das  Radical: 
€2113 .  H  zweibasisch  ist. 

Man  überzeugt  sich  in  der  That  leicht,  dass  jede  einzelne  dieser 
Formeln  die  chemische  Natur  des  Aldehyds  innerhalb  gewisser  Oruppen  von 
Metamorphosen  ausdrückt,  dass  sie  aber  alle  vereinigt  werden  müssen,  um 
ein  vollständiges  Bild  von  der  chemischen  Natur  des  Aldehyds  zu  geben. 
Mit  andern  Worten  der  Aldehyd  enthält  2  At.  6,  4  At.  H  und  1  At  O 
zu  einem  Molecül  vereinigt.  Unter  dem  Einfluss  verschiedenartiger  Be- 
dingungen zersetzt  sich  dieses  Molecül  nach  verschiedenen  chemischen 
Spaltungsrichtungen.  Entweder  so,  dass  nur  der  Sauerstoff,  oder  so,  dass 
nur  der  Wasserstoff,  oder  so,  dass  beide  gleichzeitig  sich  ablösen  und 
dass  mithin  entweder  die  Gruppe:  62H3O,  oder  die  Gruppe:  ©2^4,  oder 
endlich  die  Gruppe:  €2^3  ^^^  Rolle  eines  Radicals  spielt  (vgl.  S§-  239  ff.). 


G  H  Ol 
852.  Aceton:   G^^^^  =     '^ij  1.    Das  Aceton  kann  nach  seiner  Zu- 

sammensetzung und  nach  seinen  Bildungsweisen  als  der  Methyläther  dea 
Aldehyds  betrachtet  werden;  d.  h.  als  Aldehyd,  in  welchem  1  At  Was- 
serstoff durch  Methyl  ersetzt  ist.  Da  indess  bei  den  meisten  Zersetzungen 
des  Acetons  Substanzen  gebildet  werden,  die  zu  den  Acetyl Verbindungen 
in  keiner  näheren  Beziehung  stehen,  so  soll  es  später  speciell  beschrie- 
ben werden  (§.  923). 

863.  Essigsäure:  G2H4e2  =  ^^^^gjo. 

Histerische  Notizen.  Schon  die  Alten  kannten  die  verdtUmte  Essigsäure 
(rohen  Weinessig),  sie  ist  z.  B.  im  alten  Testament  erwähnt  Das  Reinigen  der 
Bssigsfture  durch  Destillation  lehrte  Gerber  im  8.  Jahrhundert.  Basilius  Valentinus, 
im  15.  Jahrhundert,  beschreibt  die  bei  Destillation  des  Grünspans  entstehende  con- 


E88ig8fture.  56J 

ccntarirte  Esaigaftare,  den  Spiritus  veneris.  Der  Holzessig  wird  von  Glauber  1648 
erwähnt  —  Auch  einzelne  essigsaure  Salze  waren  schon  den  Alten,  viele  den  Al- 
chimisten bekannt. 

Vorkommen  und  Bildung.  Die  Essigs&ure  findet  sich  nach 
Vauquelin,  Hermbstädt  u.  A.  fertig  gebildet  in  einigen  Pflanzensäften  und 
selbst  in  einigen  thierischen  Flüssigkeiten. 

Die  meisten  Bildangsweisen  der  Essigsäure  sind  schon  oben  aus- 
ftlhrlich  besprochen  worden,  vgl.  besonders  §§.  818)  819,  826. 

Hier  mögen,  als  theoretisch  besonders  wichtig,  nochmals  erwähnt 
werden:  1)  die  Bildung  der  Essigsäure  durch  Oxydation  von  Alkohol 
(§.  647),  2)  die  synthetische  Bildung  von  essigsaurem  Natron  bei  Ein- 
wirkung von  Kohlensäure  auf  Natriummethyl  (vgl.  $.  767),  und  die  syn- 
thetische Bildung  der  Essigsäure  durch  Zersetzung  des  Methylcyanids 
(vgl.  J.  667).  Ausser  diesen  beiden  Synthesen  der  Essigsäure  müssen 
noch  zwei  andere  hier  angedeutet  werden:  1)  durch  Einwirkung  von  Chlor 
auf  Chlorkohlenstofif :  62014  (§.  957) ,  bei  Gegenwart  von  Wasser  ent- 
steht Trichloressigsäure  *)  (§.  872),  diese  kann  durch  Zink  oder  Natrium- 
amalgam in  Essigsäure  umgewandelt  werden.  Da  der  Ohlorkohlenstoff: 
62^14  aus  Schwefelkohlenstoff:  6S2,  und  dieser  direct  aus  den  ihn  zu- 
sammensetzenden Elementen  erhalten  werden  bann,  so  ist  demnach  eine 
vollständige  Synthese  der  Essigsäure  aus  den  Elementen  selbst  möglich. 
2)  Der  durch  Einwirkung  von  Ohlor  auf  Ameisensäure -methyläther  ent- 
stehende Perchlorameisenmethyläther  (§.  836),  gibt  mit  Ammoniak  Tri- 
chloracetamid,  aus  diesem  kann  Trichloressigsäure  erhalten  werden,  die 
ihrerseits  in  Essigsäure  überführbar  ist. 

Für  die  Darstellung  der  Essigsäure  im  Grossen  wird  entweder  die  864. 
Oxydation  des  Alkohols  oder  die  Zersetzung  vegetabilischer  Substanzen 
namentlich  des  Holzes,  durch  trockene  Destillation  angewandt.  Reine 
Essigsäure  wird  stets  aus  essigsauren  Salzen  gewonnen.  Eine  verdünnte 
Essigsäure,  die  je  nach  der  Darstellung  mit  verschiedenen  anderen  Pro- 
ducten  gemengt  ist,  wird  fabrikmässig  dargestellt  und  als  Essig  be- 
zeichnet. 

Essigfabrikation.  1)  Weinessig.  In  Deatschland  und  namentlich  in 
Frankreich  werden  beträchtliche  Mengen  von  Essig  aus  Wein  dargestellt  Da  der 
Wein,  für  sich  der  Luft  ausgesetzt,  nur  langsam  in  Essig  Übergeht,  während  die 
Gegenwart  von  Essig  diese  Umwandlung  sehr  erleichtert,  so  füllt  man  zuerst  in 
die  zur  Darstellung  dienenden  Fässer  (Mütter)  heissen  Essig  ein  und  setzt  dann 
in  Perioden  von  einigen  Tagen  Wein  zu.  Man  zieht  dann  von  Zeit  zu  Zeit  einen 
Theil  des  gebildeten  Essigs  ab  und  füllt  nach  und  nach  mit  Wein  auf.  Eine  Tem- 
peratur von  24^  —  27®  ist  für  den  Verlauf  der  Umwandlung  am  günstigsten.  Bei 
dieser  Essigbildung  (Essiggährung)  entsteht  eine  eigenthümliche  Pflanzenspeciea 
(Mjcoderma  vini  oder  cerevisiae),  die,  wie  es  scheint,  als  Ferment  (Essigmutter) 


*)  Kolbe,  Ann.  Cham.  Pharm.  LIV.  182. 

keknlö,  organ.  Chemie.  g^ 


562  Acetylverbindungen. 

wirkt.  2)  Malz-  oder  Bieressig.  In  England  wird  der  grösste  Theil  des  EssigB 
aus  Würze  dargestellt,  d.  h.  siis  eingemaischtem  Gerstenmalz.  Man  lässt  die 
Würze  erst  durch  Zusatz  von  Bierhefe  gähren  und  führt  die  so  erhaltene  alkohol- 
haltige Flüssigkeit  genau  so  wie  bei  Darstellung  des  Weinessigs  in  Essig  über.  Die 
grössere  Unreinheit  der  Materialien  macht  noch  ein  Klären,  d.h.  ein  Abziehen  über 
Hobelspäne  oder  am  zweckmässigsten  Weintrebern  nöthig. 

3)  ßchnellessigfabrikation.  Dieses  von  Sehützenbach  1823  angege- 
bene Veiiahren  gestattet  eine  verhältnissmässig  rasche  UeberfUhrung  des  Alkohols 
in  Essigsäure.  Man  füllt  aufrechtstehende  Fässer  (Essigbilder)  mit  Holzspänen,  die 
man  vorher  mit  Essig  getränkt  hat.  Die  weingeisthaltige  Flüssigkeit  (verdünnter 
Spiritus,  gegohrene  Wüi'ze  etc.)  fliesst  durch  feine  Löcher  eines  im  oberen  Theü 
der  Tonne  angebrachten  doppelten  Bodens  ein,  tropft  über  die  Holzspäne  und  bietet 
so  dem  aufsteigenden  Luftstrom,  welcher  unten  durch  einen  Ring  seitlicher  Oeff- 
nungen  ein-  und  oben  (unterhalb  des  doppelten  Bodens)  durch  einen  Ring  seit- 
licher Oeffnungen  austritt,  eine  sehr  gi-osse  Oberfläche  dar.  Der  schon  vorhandene 
Essig  wirkt  als  Ferment  und  vermittelt  die  Oxydation  des  Alkohols.  Anfangs  mns& 
das  Local  und  der  Essig  gut  gewärmt  werden,  sobald  die  Essigbildung  im  Gang 
ist  genügt  die  durch  die  Reaction  erzeugte  Wärme  zur  Erhaltung  der  geeigneten 
Temperatur  (26®  —  27®).  Zur  Darstellung  eines  stärkeren  Essigs  (Essigsprit)  wird 
das  Product  nach  Zusatz  von  neuem  Alkohol  noch  ein-  oder  mehrmals  in  die  & 
sigbilder  gebracht.  Bei  dieser  Methode  der  Essigfabrikaiion  kann  leicht,  dann  nSm- 
lieh  wenn  es  an  Luft  fehlt,  die  Oxydation  des  Alkohols  nur  bis  zur  Bildung  von 
Aldehyd  gehen  und  so  beträchtlicher  Verlust  veranlasst  werden 

4)  Holzessig.  Zur  Darstellung  der  Essigsäure  aus  Holz  wird  dieses  darch 
trockne  Destillation,  gewöhnlich  in  eisernen  Oylindern,  zersetzt.  Der  wässrige  Theü 
des  Destillats  wird  nochmals  destillirt,  zur  Abscheid ung  harzartiger  Prodacte.  Das 
anfangs  übergehende  enthält  wesentlich  Holzgeist,  das  später  destillirende  wesent- 
lich Essigsäure.  Man  neutralisirt  entweder  das  ganze  Destillat  oder  nur  die  später 
destillirendcn  Theilc  mit  Kalk  und  reinigt  dann  entweder  den  essigsauren  Kalk 
direct,  oder  man  führt  ihn  durch  Zersetzung  mit  schwefelsaurem  Natron  in  essig- 
saures Natron  über  und  reinigt  dieses.  Beide  Methoden  verwenden  die  Eigenschaft 
der  erwähnten  essigsauren  Salze  ohne  Zersetzung  ein  Erhitzen  auf  so  hohe  Tem- 
peraturgrade aiiszuhalten ,  dass  die  meisten  brcnzlichen  Producte  zerslöii;  werden. 
Man  erhitzt  z.  B.  das  zur  Trockne  eingedampfte  essigsaure  Natron  längere  Zeit  aaf 
250®,  löst  in  Wasser,  trennt  von  den  harzartigen  Substanzen  und  destillirt  mit 
Schwefelsäure.  Oder  man  dampft  den  essigsauren  Kalk  zur  Hälfte  ein ,  setzt  Salz- 
säure zu  bis  zur  sauren  Reaction.  entfernt  das  sich  ausscheidende  Harz,  dampft 
zur  Trockne,  röstet  gelinde,  löst  die  geröstete  Masse  in  Wasser,  setzt  die  zur  Zer- 
setzung gerade  nöthige  Menge  Salzsäure  zu  und  destillirt.  —  Die  nach  solchen 
oder  ähnlichen  Methoden  gewonnene  Essigsäure  besitzt  häufig  noch  einen  empy- 
rcumatischen  Geruch  und  muss,  wenn  reine  Essigsäure  dargestellt  werden  soll, 
noch  weiter  gereinigt  werden. 

Prüfung  der  Essigsäure,  Acetomctrie.  Der  Gehalt  einer  verdflnn- 
ten  Essigbäure  kann ,  selbst  wenn  keine  andern  Substanzen  zugegen  sind ,  nur  bei 
sehr  verdünnten  Lösungen  annähernd  aus  dem  spec.  Gewicht  erkannt  wcfdeö. 
Für  starke  Essigsäure  ist  die  Methode  nicht  anwendbar,  weil  Mischungen  von  £^ 
sigsäurc  und  Wasser  bei  einer  gewissen  Goncentration  ein  Maximum  des  spec  G^ 
Wichts  zeigen  (§.  488),    so  dass  Säuren,   die  mehr  als  B0%  Essigsäufehydrltt  cnt- 


Essigsäure.  563 

halten  und  ebenso  solche,  die  weniger  enthalten,  leichter  sind  als  dieses  Gemisd^ 
welches  die  grösste  Dichte  besitzt. 

Die  meisten  zur  Prüfung  des  Essigs  auf  seinen  Gehalt  an  Essigsäure  vorge- 
schlagenen Methoden,  auch  das  acidimetrische  Verfahren  (Titration  mit  kohlensau- 
rem Natron) ,  geben  nach  Versuchen  von  Stein  *)  sehr  ungenaue  Resultate.  Am 
zweckmässigsten  neutralidirt  man  mit  Aetzbaryt,  fällt  den  Barytüberschuss  durch 
Kohlensäure  und  wägt  entweder  den  essigsauren  Baryt  (100^)  oder  verwandelt 
ihn  in  schwefelsauren  Baryt  und  wägt  diesen. 

Essigsäurehydrat.     Eisessig  =     '   *H(^'  ^^ 

Darstellung.  Han  bereitete  das  Essigsäurehydrat  früher  durch 
trookeDe  Destillation  von  essigsaurem  Kupfer;  später  durch  Destillation 
von  Bleizucker  mit  concentrirter  Schwefelsäure.  Jetzt  wird  gewöhnlich 
trocknes  essigsaures  Natron  (5  Th.),  mit  concentrirter  Schwefelsäure  (6  Th.) 
destillirt,  das  Product  zur  Entfernung  von  schwefliger  Säure  mit  Braun« 
stein  zusammengestellt  und  über  etwas  essigsaures  Natron  rectiflcirt*  — 
Auch  durch  Erhitzen  des  flbersauren  essigsauren  Kali's  kann  trockne  Es- 
sigsäure erhalten  werden  (Melsens). 

Eigenschaften.  Das  Essigsäurehydrat  ist  bei  Temperaturen  un- 
ter -]-  17^  fest  und  in  grossen  Blättern  krystallisirt.  Bei  höheren  Tem;- 
peraturen  ist  es  eine  farblose  Flüssigkeit,  von  stechend  saurem  Geruch. 
Es  ist  brennbar  und  siedet  bei  120^.  Es  ist  sehr  ätzend  und  zerstört  die 
Epidermis.  Die  Essigsäure  mischt  sich  mit  Alkohol  und  mit  Wasser  in 
allen  Verhältnissen. 

Die  folgende  Tabelle  enthält  die  spec.  Gewichte  der  Gemenge  von  Essigsäare 
und  Wasser  (nach  Mohr);  man  sieht,  dass  beim  Vermischen  beider  Flüssigkeiten 
Contraction  stattfindet  und  dass  ein  Gemenge  von  4  Th.  Essigsäure  mit  1  Th. 
Wasser  das  grösste  spec.  Gewicht  besitzt  (S.  488). 

Gehalt  an  Essigsäure-      Sp.  Gew.       Gehalt  an  Essigsäure-    Sp.  Gew. 


hydrat  io  Procent. 

hydrat 

in  Procent. 

1 

100 

1.0685 

60 

1.067 

95 

1.070 

60 

1.060 

90 

1.0780 

40 

1.061 

85 

1.0780 

30 

1.040 

80 

1.0785 

20 

1.027 

76 

1.072 

10 

1.016 

70  1.070  0  1.000. 

Die  wässrige  Essigsäure  von  grösster  Dichte  besitzt  annährend  die  Zusam- 
mensetzung €2H402  4"  ^a^  (berechnet:  77 •/o  Essigsäurehydrat),  sie  siedet  bei 
gewöhnlichem  Druck  bei  104^,  ohne  ihre  Zusammensetzung  wesentlich  zu  ändern. 

Zersetzungen.  Die  Zersetzungen  der  Essigsäure  sind  schon  oben  be- 
sppochen,     Diejenigen,  bei  welchen  andere  Verbindungen  des  Radicals  Acetyl  ent- 


*)  Vgl.  PolTteohn.  CentralbL  1869.  622. 

86 


564  Acetylvarbindung^en. 

stehen,  werden  zudem  als  Bildungs weisen  dieser  Verbindungen  nochmals  erwfihot 
werden. 

Erkennung  der  Essigsäure.  Zur  Erkennung  der  Essigsäure 
und  der  essigsauren  Salze  können  die  folgenden  Reaetionen  benutzt  wer- 
den. Essigsaure  Salze  geben  beim  Erhitzen  mit  Schwefelsäure  Essigsäure, 
beim  Erhitzen  mit  Schwefelsäure  und  Alkohol  Essigäther,  die  beide  am 
Geruch  kenntlich  sind.  Sie  geben  mit  Eisenchlorid  eine  rothe  Färbung, 
mit  salpetersaurem  Silber  einen  weissen ,  in  heissem  Wasser  etwas  lös- 
lichen und  beini  Erkalten  krystaUisirenden  Niederschlag.  Die  trocknen 
Alkalisalze  geben  beim  Erhitzen  mit  arseniger  Säure  das  an  seinem  wi- 
derlichen Geruch  leicht  kenntUche  Kakodyl  (§.  753). 

Freie  Essigsäure  löst  Bleioxyd  auf  und  gibt,  wenn  das  Bleiosjd 
im  Ueberschuss  angewandt  wurde,  eine  basisch  reagirende,  also  roUiea 
Lakmus  bläuende  Lösung  (Bleiessig). 

S5Q,  Essigsaure  Salze.    Die  Essigsäure  ist  einbasisch;   sie  gibt  also 

mit  derselben  Base  im  Allgemeinen  nur  ein  Salz.  Indessen  existiren  fOr 
die  Alkalien  (namentlich  Kali)  s.  g.  übersaure  Salze  (vgl.  $.  810)  und 
ferner  fOr  viele  zweiatomige  Metalle,  namentlich  Kupfer  und  Blei,  zahl- 
reiche basische  Salze. 

Die  meisten  essigsauren  Salze  sind  krystallisirbar,  viele  enthalten 
Krystallwasser.  Sie  lösen  sich  fast  sämmtlich  in  Wasser,  grossentlieils 
auch  in  Alkohol. 

Viele  essigsaure  Salze  werden  in  der  Färberei  und  Kattundruckerei 
als  Beizen  angewandt 

Essigsaures  Ammoniak.  Durch  Sättigen  von  Eisessig  mit  Ammoniak 
wird  ein  krystallisirendes  sehr  lösliches  Salz  erhalten.  Es  zerfUlU  beim  Erhitzen, 
indem  zuerst  Ammoniak,  später  Essigsäure  (vielleicht  ein  saures  Salz)  und  zuletzt 
Acetamid  übergeht  (§.  865).  —  Durch  Destillation  von  essigsam-em  Kali  mit  Sal- 
miak wird  ein  essigsaures  Ammoniak  von  wechselnder  Zusammensetzung  erhalten 
(Spiritus  Minderen). 

Essigsaures  Kali.  1)  Neutrales  (Terra  foliata  tartari).  Kry- 
stallisirt  in  kleinen  wasserfreien  Nadeln,  es  ist  sehr  zerfliesslich,  schmilzt 
bei  292<^  und  erstan't  zu  blättrig  krjstallinischer  Masse.  Seine  gesättigte 
Lösung  (1  Th.  Salz  auf  0,125  Th.  Wasser,  siedet  bei  1G9<^).  Es  zersetzt 
sich  erst  bei  sehr  hohen  Temperaturen.     2)  Ueber saures  oder  saures 

essigsaures   Kali    =      *   ^K\^  "^  (72H4O,    krystallisirt  aus  der  Lösung 

des  neutralen  Salzes  in  starker  Essigsäure  in  Form  platter  Nadeln  oder 
langer  Platten.  Es  schmilzt  bei  148<^  und  fängt  bei  200®  an  Essigsäure- 
hydrat abzugeben  (Melsens). 

Essigsaures  Natron  krystallisirt  in  grossen  wasserhaltigea  K17- 

stallen  ^^^|^|o  +  SHaO,  die  an  der  Luft  verwittern.    Es  löst  aieh  in 

4  Th.  Wasser  von  8<>;    die  siedend  gesättigte  Lösung  enthält  2  Th.  Sals 


Esßigs&ure.  565 

auf  1  Tb.  Wasser,  sie  siedet  bei  124^,4.  Das  krystallisirte  Salz  schmilzt 
unter  100^  in  seinem  Krjstallwasser,  das  trockne  Salz  schmilzt  bei  319^ 
Dass  ein  Oemenge  von  essigsaurem  Kali  mit  essigsaurem  Natron  zu  glei- 
chen Aequivalenten  leichter  schmilzt  (224^),  als  jedes  der  Salze  fttr  sich, 
in^nrde  früher  schon  erwähnt  *)  (J.  489). 

Die  essigsauren  Salze  Yon  Kalk,  Baryt,  Strontian,  Zink  und  Mangan 
sind  krystallisirbar  und  in  Wasser  sehr  löslich. 

Essigsaures  Eisen.  Durch  Auflösen  von  Eisen  in  Essigsäure  wird  eine 
fast  farblose  Lösung  von  essigsaurem  Eisenox3'dul  erhalten,  die  aus  der  Luft 
Saaerstoff  aufnimmt  und  in  Oxydsalz  übergeht.  '  Fnsch  gefälltes  Eisenoxyd  löst 
sich  in  Essigsäure  mit  rother  Farbe;  die  Lösung  scheidet  beim  Kochen  sämmt- 
liohes  Eisenoxyd  als  basisches  Salz  aus. 

Essigsaure  Thonerde,  durch  doppelte  Zersetzung  von  essigsaurem  Kalk 
mit  schwefelsaurer  Thonerde  oder  mit  Alaun  erhalten,  ist  eine  nicht  krystaliinische 
gnmmiartige  Masse. 

Essigsaures  Zinn  wird  durch  doppelte  Zersetzung  von  Bleizucker  und 
Zinnchlorür  erhalten,  es  krystallisirt  schwer. 

Essigsaures  Bleioxyd.  Das  neutrale  essigsaure  Bleioxyd  oder 
einfach  essigsaure  Bleioxyd  (Bleizucker)  wird  meist  durch  Auflösen  von 
Bleiglätte  in  Essig  erhalten.  Es  krystallisirt  in  farblosen,  vierseitigen 
Prismen  ejKaPbO  +  1^2^,0,  die  sich  in  IV2  Th.  kaltem  Wasser  und 
in  8  Th.  Alkohol  lösen.  Es  besitzt  einen  anfangs  süssen,  dann  widerlich 
metallischen  Geschmack.  —  Die  Lösung  des  Bleizuckers  in  Wasser  löst 
schon  beim  Schütteln  und  rascher  beim  Erwärmen  Bleioxyd  auf  und  bil- 
det basische  Salze  (häufig  als  Bleiessig  bezeichnet),  die  durch  Alkohol 
geftllt  werden  können.  Man  erhält  so,  je  nach  der  Menge  des  ange- 
wandten Bleioxyds,  halbessigsaures  Bleioxyd:  62TT3Pb02,  PbHOj  oder 
drittelessigsaures  Bleioxyd:  62H3Pb02  +  PbjG.  Das  letztere  Salz  schei- 
det sich  in  Gestalt  feiner  Nadeln  aus,  wenn  man  Bleizuckerlösung  mit 
concentrirter  Ammoniakflüssigkeit  (Vft  Vol.)  mischt.  —  Sechstelessigsaures 
Bleioxyd  62H3Pb02  -f-  Pb^HG},  wird  als  weisses  Pulver  erhalten,  wenn 
überschüssiges  Bleioxyd  auf  die  Lösung  eines  der  andern  Salze  einwirkt. 
Es  ist  in  Wasser  nur  sehr  wenig  löslich. 

Essigsaures  Kupferoxyd.  Das  neutrale  essigsaure  Kupferoxyd 
(einfach-essigsaure  Kupferoxyd),  wird  durch  Auflösen  von  Kupferoxyd  in 
Essigsäure  erhalten  und  krystallisirt  in  dunkelgrünen,  rhombischen  Säulen 
(destillirter  Grünspan):  e2H,Cue  +  V2H2Ö.  —  Der  gewöhnliehe 
Grünspan  ist  ein  Gemenge  verschiedener  basischer  Salze.  Er  wird  mei- 
stens dargestellt,  indem  man  Kupferplatten  mit  Essig  oder  mit  säurenden 
Weintrestern  zusammenstellt.  Das  Kupfer  überdeckt  sich,  unter  Aufnahme 
von  Sauerstoff  aus  der  Luft,  mit  einer  dicken  Schicht  von  Grünspan ,  der 
abgeschabt  und  meist  in  Form  blassblauer  oder  blassgrüner  Kugeln  in  den 


*)  Schaffgotsch ,  Jahresb.  1867.  18. 


566  AcetylTerbindimgen. 

Handel  gebracht  wird.  Er  enthält :  halbessigsaares  Eupferoxyd  GJi^OaB 
-f-  CuHO,  neben  zweidrittelessigsaurem  Eupferoxyd :  2B2B^0vlO2  +  GaHO 
(beide  Salze  enthalten  Erystallwaseer). 

Ein  Doppelsalz,  das  arsenig-essigsaure  Eupferoxyd  OiHsCaOi 
4-  AsGuOj  wird  wegen  seiner  lebhaft  hellgrünen  Farbe  als  Halerfarbe  ete. 
angewandt  (Schweinfurter  Grün).  Zu  seiner  Darstellung  wird  eine 
kochende  Lösung  von  arseniger  Säure  mit  einem  dQnnen  Brei  von  Grfln* 
span  gemischt,  einige  Zeit  gekocht  und  etwas  Essigsäure  zugesetzt.  Man 
erhält  einen  anfangs  schmutzig-grünen  Niederschlag,  der  sich  bald  in  ein 
schweres  lebhaft  grünes  Pulver  umwandelt  *). 

Essigsaures  Silber:  OsHjAgOj-  Wird  als  weisser  krystallini- 
scher  Niederschlag  erhalten,  wenn  concentrirte  Lösungen  von  essigsaurem 
Natron  und  salpetersaurem  Silber  gemischt  werden.  Es  ist  in  kaltem 
Wasser  wenig  löslich  und  krystallisirt  aus  heisser  Lösung  in  perlmutter- 
glänzenden  platten  Nadeln. 

857.  Aether  der  Essigsäure  (vgl.  auch  $.  812). 

Essigsäure  -  Methyläther:  ^^H  1^^  ^^'^  ^^^^  ^^"  ^^' 
Darstellung  der  Aetherarten    überhaupt  dienenden   Methoden  gewonnen. 


*)  Die  essigsauren  Salze  worden  oben  durch  Aequivalentformeln  dargestellt 
(vgl.  S.  529  Anmerk);  wenn  man,  wie  dies  aus  dem  Qesammtverhalten  der 
betreffenden  Metalle  hervorzugehen  scheint,  das  Kupfer  und  das  Blei  zwei- 
atomig annimmt,  so  sind  die  einfachsten  essigsauren  Salze  dieser  Metalle 
in  atomistischen  Molecularformeln: 

Essigsaures  Kupfer.         Essigsaures  Blei. 
Keutralc  Salze  (e,ü,&)}^*  (W)J^' 

Halb-essigsaures  Klopfer.    Halb-essigsaures  Blei. 

Basische  Salze  eSoU,  6,H,OJe, 

H'  H' 

Das  Schweinfurter  Grün  wird  in  dieser  Schreibv^eise  ausgedräckt  durch  die 
Formel: 

Ctt) 

Ca>e4 

tu    i        ^ 

AsX 
e^HaO ' 

Die  Formeln  der  Bleisalze  müssen  yielleicht  verdoppelt  und  das  Blei  vier- 
atomig  angenommen  werden.  Die  Zusammensetzung  der  Bleiftthyle  (§.  789) 
spricht  zu  Gunsten  dieser  Atomgrösse  des  Bleis;  und  es  erklärt  sich  viel- 
leicht  daraus  die  Existenz  der  verhältnissmässig  grossen  Anzahl  basischer 
Salze,  welche  dieses  Metall  bildet. 


EBsigefioreäther.  567. 

Z.  B.:  3  Th.  Holzgeist,  14Vt  Th.  Bleizucker  und  5  Th.  Schwefelsäure 
werden  destillirt,  das  Product  mit  Kalkmilch  geschüttelt,  das  aufschwim-, 
mende  Oel  Ober  Chlorcaicium  getrocknet  und  rectificirt  (H.  Kopp).  — , 
Angenehm  riechende  Flüssigkeit^  die  bei  58^  siedet  und  sich  mit  Wasser^ 
Alkohol  und  Aether  mischt. 

O  H  Oi 

Essigsäure-Aethjläther.    Essigäther:     ^  ||  >0.      Zu    seiner 

Darstellung  können  die  folgenden  Methoden  verwandt  weiden.  Man  de- 
stillirt: 3  Th.  essigs.  Kali,  3  Th.  abs.  Alkohol  und  2  Th.  Schwefelsäure; 
oder:  10  Th.  essigs.  Natron,  6  Th.  Alkohol,  15  Th.  Schwefelsäure;  oder: 
16  Th.  essigs.  Blei,  4V2  Th.  Alkohol,  6  Th.  Schwefelsäure.  Das  Product 
wird  mehrmals  mit  wenig  Wasser  gewaschen,  mit  Chlorcaicium  getrock- 
net und  rectificirt.  Der  Essigäther  bildet  mit  Clorcalcium  eine  Verbin- 
dung, die  schon  bei  100^  den  Essigäther  abgibt.  Man  kann  daher  durch 
Destillation  des  unreinen  Essigäthers  über  Chlorcaicium  im  Wasserbade, 
den  Alkohol  und  das  Wasser  entfernen. 

Der  Essigsäure  -  Aethyläther  siedet  bei  74®,  er  löst  sich  in  7  Th. 
Wasser  und  mischt  sich  mit  Alkohol  und  Aether. 

Der  Essigäther  findet  sich  in  geringer  Menge  im  Weinessig  (§.  854). 

O  H  O^ 
Essigsäure-Butyläther:      ^  |j  >0;    von  Wurtz  durch  Einwir- 
kung von  Butyljodid  auf  essigsaures  Silber  erhalten,  siedet  bei  114®. 

O  H  O) 

Essigsäure-Amyläther:     9  if    (^5    durch  Destillation  von  2  »    '■ 

Th.  essigs.  Kali,  1  Th.  Amylalkohol  und  1  Th.  Schwefelsäure  erhalten, 
ist  eine  angenehm  riechende,  in  Wasser  fast  unlösliche  Flüssigkeit,  die 
bei  125®  siedet.  Eine  Lösung  des  Aethers  in  Alkohol  wird  unter  dem 
Namen  Birnöi  (Pear-oil)  in  der  Parfümerie  verwendet. 

G  H  Oi 
Thiacetsäure  *):        ^   ^H\®*     ^*^®®  Verbindung  steht  zum  Es-  858. 

sigsäurehydrat  in  derselben  Beziehung  wie  das  Mercaptan  (§.  673)  zum 
Alkohol  und  wie  der  Schwefelwasserstoff  zum  Wasser.  Sie  kann  durch 
zwei  Reactionen  erhalten  werden.  Entweder  durch  Einwirkung  von  drei- 
fach oder  fünffach  Schwefelphosphor  auf  Essigs&urehydrat,  wobei  der  ty- 
pische Sauerstoff  der  Essigsäure  durch  Schwefel  ersetzt  wird;  oder  durch 
Einwirkung  von  Acetylchlorid  (§.  85Ö)  auf  Schwefelwasserstoffkalium, 
wo  das  Radical  Acetyl  an  die  Stelle  des  Kaliums  tritt. 

Zur  Darstellung  der  Thiacetsäure  destillirt  man  am  zweckmässigsten 
1  Th.  Essigsäurehydrat  mit  2  Th.  fünffach  Schwefelphosphor  und  rectifi- 
cirt das  Product  zur  Entfernung  der  unzersetzt  gebliebenen  Essigsäure 
nochmals  über  Schwefelphosphor. 


•)  Kekuld  1854,   Ann.  Cliem.  Pharm.  XC.  309.  -    Ulrich,   ibid.  CIX.  272;   Ja- 
quemin  u.  Yosselmann,  Jahresb.  1859.  854. 


568  Aceiylverbindimgen 

Die  Thiacetsäare  ist  eine  farblose,  beim  Aufbewahren  gelb  wer- 
dende Flüssigkeit,  von  unangenehmen  an  Essigsäure  und  an  Schwefel- 
wasserstoff erinnernden  Geruch.  Sie  siedet  bei  920  und  löst  sich  in  Was- 
ser, Alkohol  und  Aether.  Concentrirte  Salpetersäure  zersetzt  sie  bei 
gelindem  Erwärmen,  i-auchende  schon  in  der  Kälte,  mit  Explosion.  Bei 
Einwirkung  von  Phosphorsuperchlorid  gibt  sie  Acetjlchlorid  and  Phos- 
phorsulfochlorid : 

Thiacetsäare.  Acetylchlorid. 

4-  Salzsfiure. 

Von  den  Salzen  der  Thiacetsäure  sind  das  Kali-,  Natron-,  Kalk-, 
Baryt-  und  Strontiansalz  löslich  und  krystallisirbar.  Das  Blei  salz  wird 
als  weisser,  rasch  grau  werdender  Niederschlag  erhalten,  wenn  eine  Lö- 
sung von  Thiacetsäure  in  Wasser  oder  Alkohol  zu  Bleizuckerlösung  ge- 
setzt wird;  das  Salz  kann  aus  heissem  Wasser  oder  Alkohol  umkrystal- 
lisirt  werden  und  stellt  dann  seidenglänzende  weisse  Nadeln  dar,  die  sich 
rasch  unter  Bildung  von  Schwefelblei  zersetzen. 

Thiacetsäurcätker  kann  durch  Einwirkung  von  Scliwefelphosphor  anf 
Essigsäareftthyläther  erhalten  werden. 

Acetylchlorid,  Chloracetyl:  esHaO.Cl  (vgl.  auch  §.  807).  Das 
Acetylchlorid  entsteht  bei  Einwirkung  von  Chlor  auf  Aldehyd  (S.  841) 
und  bei  Einwirkung  von  Phosphorchlorür,  Phosphorchlorid  und  Phosphor- 
oxychlorid  auf  Essigsäure  oder  trockne  essigsaure  Salze. 

Zur  Darstellung  dient  zweckmässig  eine  der  folgenden  Methoden: 

1)  Man  Ifisst  PhoBphorchlorid  (7  Th.)  auf  Essigsäurehydrat  (2  Th.)  einwirken. 
Die  Reaction  tritt  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  ein,  es  findet  starke 
Wärmeentwicklung  statt  und  entweicht  viel  Salzsäure.  Man  kann  entweder 
die  Essigsäure  allmälig  zu  dem  Phosphorchlorid  fliessen  lassen,  oder  das 
Phosphorchlorid  allm&lig  in  die  Essigsäure  eintragen.  Das  durch  Destilladon 
erhaltene  Product  wird  durch  fractionirte  Rectification  in  Phosphoroxychlorid 
und  Acetylchlorid  zerlegt 

2)  Man  mischt  9  Th.  Essigsäure  mit  7  Th.  Phosphorcblorfir  und  erwärmt  im 
Wasserbad.    Die  Reaction  beginnt  bei  40®.    (B^champ.) 

8)  Man  lässt  Phosphoroxychlorid  auf  geschmolzenes  essigsaures  Kali  oder  Na- 
tron einwirken.  Dabei  ist  e»  zweckmässig  das  essigsaure  Kali  (10  Th.) 
oder  essigsaure  Natron  (8  Th.)  allmfilig  in  das  abgekühlte  Phosphoroxy- 
chlorid (6  Th.)  einzutragen,  weil  bei  umgekehrter  Operation  das  gebildete 
Acetylchlorid  auf  das  im  Ueberschuss  vorhandene  essigsaure  8alz  einwirken 
nnd  Essigsänreanhydrid  erzeugen  würde.  Wenn  alles  Salz  in  die  Retorte 
eingetragen  ist,  wird  bei  gelinder  Hitze  destillirt. 

Alle  diese  Operationen  müssen,  weil  die  mit  der  Salzsäure  entweichenden 
Dämpfe  des  Acetylclilorids  und  Phosphoroxychlorids  auf  die  Schleimhaut  der  Bron- 
chien eine  fürchtbar  zerstörende  Wirkung  ausüben,  in  Apparaten  ausgeführt  wer 


Acetylchlorid. 


569 


den,  die  withrend  der  Operation  y5]lig  verschlossen  bleiben.   Wird  eine  FlflsBigkeit 
allmälig  eingetragen,  so  dient  zweckmässig  der  folgende  Apparat 


Soll  dagegen  ein  fester  Körper  (Phosphorchlorid,  essigsaures  Salz  etc.)  all- 
mftlig  eingetragen  werden,  so  bringt  man  die  einzutragende  Substanz  in  ein  Glas- 
kölbchen  und  setzt  dieses  mittelst  eines  weiten  Eautschukschlaugs  mit  dem  Tabulas 
der  Retorte  in  Verbindung.  Bei  jedem  Heben  des  Kölbchens  ßUt  von  der  Sub- 
stanz in  die  Retorte;  sobald  man  das  Kölbchen  senkt,  bildet  der  sich  knickende 
Kautschnkschlaug  einen  Verschlnss.  Die  aus  der  Vorlage  entweichende  Salzsäare 
wird  in  einer  mit  Kalk  gefüllten  Flasche  aufgefangen. 


Zur  Reinigung  des  Acetylchlorids  von  beigemengtem  Phosphorozy Chlo- 
rid destillirt  man  so  oft  Über  kleine  Mengen  von  trocknem  essigsaurem  Salz ,  bis 
das  Froduct,  nach  Zersetzung  mit  Wasser,  keine  Phosphorsäurereaction  mehr  zeigt 


570  Acetylverbindungen. 

Das  Äcetjl Chlorid  ist  eine  farblose,  leiobt  bewegliche  FlOseig- 
keit,  die  bei  55®  siedet  Es  riecht  stechend  (nach  Salzsäure  und  Essig- 
säure), seine  Dämpfe  greifen  die  Augen  stark  an  und  bewirken  eingeath- 
met  heftigen  Husten  und  bei  grösseren  Mengen  Blutspeien.  Es  sinkt  in 
Wasser  anfangs  unter,  löst  sich  aber  dann  unter  Wärmeentwicklung  aaf, 
indem  es  in  Salzsäure  und  Essigsäure  zerfällt. 

860.  Acetylbromid:  ©jHjO.Br,  wurde  von  Ritter  *)  durch  Einwir- 
kung von  Phosphorsuperbromid  auf  Essigsäurehydrat  erhalten.  Es  ist 
eine  farblose  Flüssigkeit,  die  bei  81<^  siedet. 

861.  Acetyljodid:  ©2H3OJ,  von  Guthrie  **)  durch  gleichzeitige  Ein- 
wirkung von  Jod  und  Phosphor  auf  Essigsäureanhydrid  dargestellt,  ist 
eine  braune  durchsichtige  Flüssigkeit     Siedep.  108®. 

862.  Essigsäureanhydrid.    Wasserfreie  Essigsäure:  q^q^q\^' 

Von  Gerhardt  1852  entdeckt***). 

Das  Essigsäureanhydrid  wird  zweckmässig  nach  der  §.  813  angege« 
benen  Reaction,  d.  h.  durch  Einwirkung  von  Acetylchlorid  auf  ein  troek- 
nes  essigsaures  Salz  dargestellt 

Man  läset  Acetylclilorid  (1  Th.)  in  essigsaures  Natron  (1  Th.)  oder  essig- 
saures Kali  (1^4  Th.)  einfliessen  und  dcstillirt.  —  Da  bei  Einwirkung  der  Chlor- 
verbindungen des  Phosphors  auf  essigsaure  Salze  Acetylchlorid  erzeugt  wird,  so  ist 
es  einleuchtend ,  dass  dos  zur  Darstellung  von  Essigsäureanhydrid  bestimmte  Ace- 
tylchlorid nicht  völlig  von  Phosphoroxychlorid  gereinigt  zu  sein  braucht;  und  man 
sieht  ferner,  dass  das  Verfahren  zur  Darstelhing  des  Essigsäureanhydrids  in  man- 
nigfacher Weise  modificirt  werden  kann.  Man  kann  z.  B.  Phosphoroxychlorid 
(3  Th )  direct  auf  einen  üeberschuss  von  essigsaurem  Natron  (10  Th.)  oder  essig- 
saurem Kali  (12  Th)  einwirken  lassen,  oder  man  kann  durch  Einwirkung  von 
Phosphorsuperchlorid  (7  Th.)  auf  Essigsäurehydrat  (2  Th.)  ein  Gemenge  von  Phos- 
phoroxychlorid und  Acetylchlorid  darstellen  und  dieses  dann  direct  mit  essigsau- 
rem Natron  (20  Th.)  oder  essigsaurem  Kali  (24  Th.)  destilliren. 

Bei  allen  diesen  Darstellungen  ist  es  nöthig  gegen  Ende  der  Destillation 
stark  zu  erhitzen,  weil  ein  Theil  des  Essigsäureanhydrids  mit  überschttssig  vor- 
handenem essigsaurem  Salz  eine  Verbindung  bildet^  die  erst  bei  hoher  Temperatar 
zersetzt  wird.  Durch  fractionirte  Kectitication  wird  dann  das  Essigsäureanhydrid 
von  etwa  noch  vorhandenen  Chloriden  und  von  Essigsäurehydrat  getrennt 

Das  Essigsäureanhydrid  kann  auch  durch  Einwirkung  von  Bensoyl- 
chlorid  (7  Th.)  auf  essigsaures  Natron  (4  Th.)  oder  essigsaures  Kali 
(5  Th.)  erhalten  werden.  Es  entsteht  dann  zuerst  Acetyl-benzoyl-anhydrid, 
welches  sich  bei  der  Destillation  in  Benzoylanhydrid  und  Essigsäureanhy- 
drid umsetzt,  von  welchen  das  letztere  (iberdestillirt.    Man  hat: 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  XCV.  209. 
••)  ibid.  CIIL  836. 
♦••)  ibid.  LXXU.  127.  —  LlütVlI.  149. 


E68ig8äiireanhydrid.  571 

Essigs.  Kali.        Benzoylchloiid.     Acetyl-benzoyl-anhydrid. 

Acetylbenzoyl-      Acetylbenzoyl-  Essigsäure-       Benzoesänre- 

anhydrid.  anhydrid  anhydrid.  anhydrid. 

Das  Essigsäureanhydrid  ist  eine  farblose  Flüssigkeit,  welche  dem 
Essigsäurehydrat  sehr  ähnlich  rieht.  Speo.  Oew.  1.073.  Siedep.  138o.  — 
Es  sinkt  in  Wasser  unter,  zersetzt  sich  aber  allmälig  in  Essigsäurehydrat ; 
mit  Alkohol  gibt  es  Essigälher;  mit  Phosphorchlorid  erzeugt  es  Acetyl- 
chlorid;  durch  Ammoniak  entsteht  Acetamid  (vgl.  auch  §•  8^3).  Von 
Gyansäureäther  wird  es  zersetzt  unter  Bildung  von  Aethyldiacetamid  (§.  869). 

Kalium  und  Natrium  lösen  sich  unter  Wasserstofifentwicklung 
im  Essigsäureanhydrid  auf,  es  entsteht  dabei  eine  ätherartig  riechende, 
in  "Wasser  wenig,  lösliche  Flüssigkeit,  die  noch  nicht  näher  untersucht  ist 
Bei  Einwirkung  von  Kalium  entsteht  gleichzeitig  eine  Verbindung  von 
Essigsäureanhydrid  mit  essigsaurem  Kali,  die  in  weissen  Nadeln  krystal- 
lisirt.  Dieselbe  Verbindung  kann  auch  durch  Auflösen  von  essigsaurem 
Kali   in  heissem  Essigsäureanhydrird   erhalten   werden.     Sie  hat  die  Zu- 

sammensetzung :    2  62H8KO2  +  a^h'o  I  ^'  ^^^  zersetzt  sich  beim  Erhitzen 
in  Essigsäureanhydrid  und  zurückbleibendes  essigsaures  Kali.   (Gerhardt.) 

Thiacetsäureanhydrid  *):    e^H^ol®'    ^'^^    ^^^   Destillation  863. 
von  Essigsäureanhydrid  mit  Phosphorsulfid  erhalten ;  es  siedet  bei  etwa  121^ 
und  zersetzt  sich  mit  Wasser  zu  Essigsäure  und  Thiacetsäure,  vgl.  $.813. 
Unterchlorig  -  essigsäureanhydrid.       Essigsäure  -  Ghlor: 

'  'qiiO.      Dieses    intermediäre   Anhydrid    wird,    nach    Angaben    von 

Schtttzenberger  **) ,  erhalten ,    wenn  wasserfreie  unterchlorige  Säure   bei 
niederer  Temperatur  auf  Essigsäureanhydrid  einwirkt. 

Essigsäure-  Unterchlorige  Essigsäure- 

anhydrid. Säure.  chlor. 

Es  hat  dieselbe  Znsammensetzung  wie  Monochloressigsäure  ($.  871),  be- 
sitzt aber  völlig  verschiedene  Eigenschaften. 

Es  ist  eine  schwach  gelb  gefärbte  Flüssigkeit,  die  im  luftleeren  Raum  destil- 
lirbar  und  in  Eis  haltbar  ist.    Bei  gewöhnlicher  Temperatur  zersetzt  es  sich  all- 

*)  Kekul^,  Ann.  Chem.  Pharm.  XC.  312. 
••)  Compt  rend.  HL  186. 


572  Acetylverbindungen. 

mälig,  beim  Erhitzen  auf  100^  mit  Explosion,  in  Chlor,  SauerBtoff  nnd  Esaigsäare- 
anhydrid. 

Von  Wasser  wird  es  gelöst,  indem  es  in  Essigsäurehydrat  und  Unterchlorig- 
Säurehydrat  zerßült: 

Essigsäure-  Essigsäure.  Unterchlorige 

chlor.  Säure. 

Quecksilber  und  Zink  wirken  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  auf  Essig- 
säurechlor ein,  indem  das  Chlor  durch  Metall  ersetzt  wird,  so  dass  essigsaures 
Salz  und  Chlormetall  erzeugt  werden  (bei  Quecksilber  unter  gleichzeitigem  Frei- 
werden von  Chlor). 

Lässt  man  Jod  auf  Essigsäure- Chlor  einwirken,  so  entsteht  Essigsäure- 
Jod  und  Chloijod: 

Essigsäurechlor.  Essigsäurejod.  Chlorjod. 


Das  Essigsäurejod  explodirt  bei  etwas  über  100®.  Es  zerfällt  mit  Wasser 
augenblicklich  zu  Jod,  Jodsäure  und  Essigsäurehydrat  Auch  von  Alkohol  wird 
es  in  der  Kälte  zersetzt,  indem  Jod,  Jodsäure,  Essigsäurehydrat  und  Essigsäure- 
äthyläthcr  entstehen.  Die  Zersetzung  durch  Hitze  erfolgt,  wie  es  scheint,  nach  der 
Gleichung : 

Essigsäure-  Essigsäure- 

jod, methyläther. 

gOaE^oj^      =      j,     +     ee,    4-    ^'Sl^j^ 

Bei  Einwirkung  von  Chlorjod  auf  essigsaures  Natron  scheint  ebenfalls  Esaig- 
Säurejod  zu  entstehen.  Wird  Chlorjod  im  Ueberschuss  angewandt,  so  entsteht 
Methylchlorid,  nach  dem  Schema: 

Essigs.  Natron.  Methylchlorid, 

^a^^je    +    2JC1    =    Jj    +    NaCl    +    eOa    +    G  H,C1. 

Durch  Einwirkung  von  Brom  auf  Essigsäure-Chlor  wird  Essigsäure-Brom 
erhalten,  welches  sich  bald  von  selbst  mit  Explosion  zersetzt. 

Lässt  man  Schwefel  auf  Essigsäurechlor  einwirken,  so  entsteht  Essigsäure- 
anhydrid,  nach  dem  Schema: 

4^'^ah    +    ^>     =     ^g'hJo)^    +    S^a    +    S    +    2C1, 

864.  Aethylhyperoxyd*).  |^H*e(^*  ~  ©Äöa-  Von  Brodie  1858 
entdeckt.  Man  mischt  allmälig  äquivalente  Gewichtsmengen  Essigsäure- 
anhydrid  und  Baryumhyperoxjd  in  trocknem  Aether,  iiltrirt  vom  ausge* 
schiedenen  essigsauren  Baryt  ab  und  dampft  bei  niederer  Temperatur  ein. 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  CVUI.  81. 


Acetamid.  573 

Der  Raekstand,  mit  Wasser  gewaschen,  hinterlässt  das  Acefylbjperoxyd 
als  zähe  Flassigkeit. 

Das  Aoetylhyperoxyd  schmeckt  ungemein  stechend,  es  entfärbt  In- 
digolösung, oxydirt  Manganoxydul  und  wandelt  das  gelbe  Blutlaugensalz 
in  rothes  um.  Von  Barytwasser  wird  es  zerlegt,  indem  essigsaurer  Baryt  und 
Baryumhyperoxyd  entstehen.  —  Beim  Erhitzen  zersetzt  es  sich  mit  Explosion. 

Amide  der  Essigsäure. 

Eb  wurde  schon  oben  erwfihnt  (§.  815),  daas  von  den  nach  der  typischen 
Betrachtungsweise  möglichen  Amiden  des  Acetyld  nur  das  Acetamid  und  das  Dia- 
cctamid  bekannt  sind ,  während  die  Darstellang  des  Triacetamids  bis  jetzt  nicht 
gelungen  ist. 

Acetamid:  H>N.    Von  Dumas,  Malaguti  und  Leblanc  866. 

Hi 

1847  entdeckt.  Es  entsteht  durch  Einwirkung  von  Essigäther  auf  Am- 
moniaklösung, durch  Einwirkung  von  Essigsäureanhydrid  auf  Ammoniak 
oder  von  Acetylchlorid  auf  kohlensaures  Ammoniak;  femer  durch  De- 
stillation von  essigsaurem  Ammoniak  (vgl  §$.  814,  856,  857). 

Zur  Darstellung  des  Acetamids  sättigt  man  käuflichen  Eisessig  mit  Ammo- 
niak und  destillirt,  sobald  das  Thermometer  auf  etwa  200<^  gestiegen  ist,  geht 
fast  reines  beim  Erkalten  krystallisirendes  Acetamid  über.  Man  erhält  ^/^  def 
angewandten  Essigsäure  als  Acetamid.  Durch  nochmaliges  Sättigen  des  imter  200^ 
Übergegangenen  Antheils  mit  Ammoniak  und  Destilliren  werden  neue  Mengen  er- 
halten (Kündig)  •). 

Mischt  man  Essigsliureäther  mit  concentrirtem  wässrigem  Ammoniak  und 
erhitzt  man  das  Gemenge  mehrere  Stunden  auf  120 — 180^  oder  lässt  man  es  bei 
gewöhnlicher  Temperatur  mehrere  Monate  stehen,  so  wird  ebenfalls  Acetamid  ge- 
bildet, das  bei  nachheriger  Destillation  als  der  über  200^  destillirende  Theil  ge- 
wonnen wird. 

Das  Acetamid  ist  eine  farblose  krystallisirte  Substanz;  es  schmilzt 
bei  78®  und  bildet  beim  Erkalten  grosse  Krystalle,  es  siedet  bei  222^ 
Es  besitzt  einen  eigenthümlichen  Geruch,  löst  sich  leicht  in  Wasser, 
Alkohol  und  alkoholhaltigem  Aether;  in  reinem  Aether  ist  es  nur  wenig 
löslich. 

Der  chemische  Charakter  des  Acetamid's  ist  von  eigenthümlichem 
Interesse.  Während  es  einerseits,  als  dem  Ammoniaktypus  zugehörige 
Substanz,  sich  direct  mit  Säuren  vereinigt  und  so  salzartige  Verbindungen 
erzeugt,  die  den  Ammoniaksalzen  entsprechen;  verhält  es  sich  anderer- 
seits wie  eine  schwache  Säure,  d.  h.  es  ist  fähig  1  Atom  Wasserstofif 
gegen  Metalle  auszutauschen  und  so  wiederum  salzartige  Verbindungen 
zu  erzeugen  (Strecker**);  vgl.  auch  8,  212). 

Salpetersaures  Acetamid:  OjBftON,  NOjH,  scheidet  sich  beim  Stehen 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CV.  278. 
••)  ibid.  cm.  381. 


5T4  AcetylTerbindungen. 

einer  Lösung  von  Acetamid  in  concentrirter  Salpeters&ore  in  farblo$en,  leicht 
schmelzbaren  und  verpuffenden  Erystallen  aus.  —  Salzsaures  Acetamid: 
(GaH^ON)],  HCl,  ist  in  Aether  unlöslich  und  wird  durch  Einleiten  von  Salzsfiure- 
gas  in  eine  Lösung  von  Acetamid  in  Aetheralkohol  erhalten ,  es  kann  aus  Alkohol 
umkrystallisirt  werden. 


G2H30 )  C^aHjOjj 

i— .,^         ----  --  » 


^1» 


Silberacetamid:         Ag(K  und  Quecksilberacetamid: 


Hg>N, 


werden  durch  Auflösen  der  frisch  gefällten  Metalloxyde  in  einer  wässrigen  Lösung 
von  Acetamid  erhalten;  sie  sind  beide  krystallisirbar. 

866.  Zersetzungen  des  Acetamids   (vgl.  auch  $.  815).    Das  Acet- 

amid zerfällt,  wenn  man  es  mit  Wasser  in  einer  zugeschmolzenen  Röhre 
erhitzt,  oder  wenn  man  es  mit  Alkalien  oder  Säuren  kocht,  in  Essigsäure 
und  Ammoniak.  Bei  Einwirkung  von  Phosphorsäureanhjdrid  gibt  es 
Acetonitril;  durch  Phosphorchlorid  entsteht  eine  Verbindung  des  Ace- 
tonitrils  mit  Phosphorchlorür.  Rauchende  Schwefelsäure  erzeugt  Salfo- 
essigsäure  und  bei  weiterer  Einwirkung  Disulfometholeäare 
(8.  998). 

Erhitzt  man  salzsaures  Acetamid  in  einem  zugesehmoIaEenen 
Rohr  auf  200^  und  destillirt  dann,  oder  leitet  man  über  schmelzendes 
Acetamid  Salzsäuregas  und  destillirt,  so  bleibt  in  der  Retorte  ein  wenig 
flüchtiger  Rückstand,  der  neben  Salmiak  salzsaures  Acediamin  ent- 
hält: 62H11N2,  HCl,  während  viel  Essigsäure,  etwas  Acetjlchlorid  und 
eine  in  der  Vorlage  krjstallisirende  Substanz  übergehen.  Diese  letz- 
tere lässt  beim  Behandeln  mit  Aether  salzsaures  Acetamid  ungelöst;  die 
Lösung  hinterlässt  beim  Verdunsten  Erystalle  einer  Vei-bindung  von  Acet- 
amid mit  Diacetamid  (eeHije,Nj  =  ejHjON  +  e4H^e,N).  Löst 
man  diese  Verbindung  in  Aether  und  leitet  Salzsäure  ein,  so  ftllt  salz- 
saures Acetamid  aus,  während  Diacetamid  in  Lösung  bleibt  (Strecker). 

357,  Diacetamid:  6411702^  =  €2Hs^>N,  nach  der  oben  beschriebe- 

H) 
nen  Methode  erhalten,   ist  eine  in  Wasser,  Alkohol  und  Aether  lösliche 
Substanz,  die  beim  Verdunsten  der  ätherischen  Lösung  in  nadeiförmigen 
Erystallen  erhalten    wird.     Es  zersetzt  sich  beim  Kochen  mit  Säuren  in 
Essigsäure  und  Ammoniak.    Man  hat: 

Diacetamid.  Essigsäure. 

G4H^e2N    +    2H2e    =    2G2H4e2    +    NH, 

Das  Diacetamid  entsteht  auch,  wenn  gleich  in  geringer  Menge,  bei  Einwir- 
kung von  Acetylchlorid  auf  Acetamid: 


Acetamid.         Acetylchlorid.  Diacetamid. 

{  ^»^»^  (€  H  O 

^)[h       i"^v^€iaH3ejci    =    NJejHje    +    Ha 


Amide  der  Easigsttore.  575 

Es  bildet  sich  ferner,   wonn  Acetonitril  mit  Essigsfturehydrat  in  zngeschmolzenen 
Röhren  auf  200«  erhitzt  wird : 

Acetonitril.  Essigsäure.  Diacetamid. 

Es  scheint  endlich  bei  jeder  Rectification  des  Acetamids  in  geringer  Menge  erzeugt 
zu  werden,  indem  das  Acetamid  zu  Ammoniak  und  Diacetamid  zerflQlt.  (Kekul6.) 

Aethylacetamid:       62H5VN;  ist  von  Wurtz*)  durch  zwei  Be-  868 

sctioneD  erhalten  worden.    Es  entateht  beim  Verdampfen  einer  Auflösung 
▼on  Essig&ther  in  wässrigcm  Aethylamin  (vgl.  $.  721). 

Essigäther.  Aethylamin.  Alkohol.        Aethylacetamid. 

0  H     ) 

f   62H5  H  )  ' 

oder  bei  gelindem  Erwärmen   von  Cyansftureäther  mit  EsBigsfturehydrat 
(vgl.  8.  670): 

Cyansäure-  Essigdäure.  Acthylacet-  Kohlensäure, 

äthyläther.  amid. 

J*        +     ee. 


Das  Aethylacetamid  siedet  bei  205®;  es  zerflLllt  beim  Kochen  mit  Kali  in 
essigsaures  Salz  und  Aethylamin. 

Aethyldiacetamid:  ©jHaOjN.    Von  Wurtz**)  durch  Erhitzen  8e9. 

von  Cyansäureäther  mit  Essigs&ureanhydrid  auf  180— 200<^  erhalten: 

Cy  ansäure-  EsHigsüurc-  Acthyldiacet-  Kohlensäure, 

älhyläther.  anhydrid.  amid. 


es  ist  eine  bei  185  —  192®  siedende  FlQssiglieit. 

Das  Aethylacetamid  steht  zum  Acetamid,  das  Aethyldiacetamid  zum 
Diacetamid  in  derselben  Beziehung  wie  der  Essigsäureäthyläther  zur  Essig- 
säure. 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXVI.  —  LXXXVIII.  316. 
••)  ibid.  LXXXVIIL  375. 


576  Acetylverbindongen. 

Substitutionsproducte  der  AcetylyerbindungeiL 
Substitutionsprodacte  der  Essigsäure. 

870.  Chlorsubstitutionsprodacte.  Die  bei  directer  Einwirkung  von 
Chlor  auf  Essigsäurehjdrat  entstehenden  Substitutionsproducte  sind  schon 
seit  lange  bekannt.  Ihre  Entdeckung  und  ihr  Verhalten  sind  von  nicht 
geringem  Einfluss  auf  die  Entwicklung  der  chemischen  Theorien  gewesen 
(vgl.  110,  116,  119).  Die  Trichloressigsäure  wurde  1838  von  Du- 
mas*) entdeckt;  die  Monochloressigsäure,  von  Leblanc  schon 
1844  beobachtet,  wurde  in  neuerer  Zeit  von  R.  Hoffmann**)  genauer 
untersucht.  —  Die  Bichloressigsfture  ist  bis  jetzt  noch  nicht  darge- 
stellt; da  indess  das  Rohproduct  der  Einwirkung  von  Chlor  auf  Essig- 
säure an  Chlor  um  so  reicher  wird  je  höher  der  Siedepunkt  und  ohne 
dass  Trichloressigsäure  darin  enthalten  ist  (die  an  dem  durch  Zersetzung 
entstehenden  Chloroform  leicht  nachzuweisen  wäre)  (Hoffmann) ;  und  da 
dieses  Product  beim  Behandeln  mit  Alkohol  ein  Gemenge  von  Aethe^ 
arten  bildet,  aus  welchem  Bichloressigäther  gewonnen  werden  kann  (vgl. 
§.  878),  so  ist  ihre  Existenz  kaum  zweifelhaft. 

fi  TT  CIf^# 

871.  Monochloressigsäure:  e,H,Cie,  =  ^  '    gje.  Sie  entsteht, 

wenn  Chlor  bei  zerstreutem  Licht  oder  besser  bei  Einwirkung  von  dire^ 
tem  Sonnenlicht  auf  den  Dampf  von  überschassiger  Essigsäure  einwirkt 
Zur  Darstellung  leitet  man  trocknes  Chlorgas  auf  die  Oberfläche  von  Eu- 
essig ,  welcher  in  einer  Retorte  durch  ein  Bad  von  salpetersaurem  Natron  auf  120* 
erhitzt  und  der  Einwirkung  der  Sonnenstrahlen  ausgesetzt  ist  An  hellen  Sommer- 
tagen  wird  selbst  bei  raschem  Chlorstrom  alles  Chlor  absorbirt  Die  Retorte  wird 
so  gestellt,  dass  die  im  Itetortenhals  und  im  Kühlrohr  sich  verdichtenden  D&npie 
stets  wieder  zurückfliessen.  Nach  beendigter  Einwirkung  wird  das  Product  der 
Destillation  unterworfen,  wobei  die  Monochloressigsäure  zwischen  186 — 187*  Aber- 
destillirt.  (Hoffmann.) 

Die  Monochloressigsäure  entsteht  auch  durch  Einwirkung  von 
Honochloracetjlchlorid  auf  Wasser  (vgl.  $.  883). 

Die  Monochloressigsäure  bildet  wohlausgebildete  Krjstalle,  sie 
schmilzt  bei  62<^  und  siedet  bei  ISö^'  —  187<>,8.  —  Sie  zerfliesst  an 
feuchter  Luft  und  ist  in  Wasser  äusserst  löslich.  Sie  bildet  wie  die 
Essigsäure  mit  Kali  ein  sehr  lösliches,  neutrales  Salz:  62H2GIKO3  -f 
IV2H2O  und  ausserdem  ein  übersaures  Salz:  [esHsClEGs,  e2H,eiOJ, 
welches  bei  Zusatz  von  Monochloressigsäure  zur  Lösung  des  neutralen 
Salzes  in  Krjstallschuppen  gefällt  wird. 

Das  Barytsalz  krystallisirt  entweder   in  durchsichtigen   wasserhaltigen  Kiy. 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  XXXII.  101. 
••)  ibid.  Cn.  1. 


Chloresslgsttiire.  577 

stallen  ^aHadBaO^  4*  ^3^)  ^^^^  ^  weissen  Warzen,  die  das  wasserfreie  Salz 
sind  *).  (Kekul6).  Das  Sübersalz  ist  wasserfrei  and  in  kaltem  Wasser  schwer 
löslich. 

Beim  Erhitzen  der  monochloressigsauren  Salze  in  trocknem  Zustand 
entsteht   Ghlormetall   und   Glycolid  (vgl.  §.  797): 

Monochloressig-  Glycolid. 

saures  Kali. 

eAciej^     _     eaHjO.e    .+     kci 

Bei  anhaltendem  Kochen  der  wässrigen  Lösung  oder  besser  beim  Erhitzen 
dieser  Lösung  auf  120^  tritt  dieselbe  Zersetzung  ein,   nur  wird  statt  des 
I  Olycolid's  Olycolsäure  erzeugt: 

'  Honoehloressigsaures  Kali.  Oljcols&are. 

Das  Ammoniaksalz  der  Monochloressigsäure  wird ,  wenn  man  es  für  sich 

erhitzt,  gerade  so  zersetzt  wie  das  Kalisalz,  es  bildet  neben  Ghlorammo- 

'  nium    Glycolid  und  Glycolsäure  **);   wird  es   dagegen   mit  einem 

t  Ueberschuss  von  starker  Ammoniaklösung  in  einer  zugeschmolzenen  Röhre 

i  erhitzt,  ao  entsteht  Glycocoll  ***). 

'  Honoehloressigsaures  GlycocolL 

Ammoniak. 


^^^M^i^    +    NHa    =    e^H^NGa    +    NH4CI. 


I  Trichloressigsäure:  GaClaHej  =  ^^^'^g|e.     Sie  entsteht  bei  872. 

Einwirkung  von  überschüssigem  Chlor  auf  Essigsäure  (Dumas),  bei  Ozy- 
'  dation  des  Ghlorals  (§.  885)  (Kolbe),   bei  Einwirkung  von  Wasser  auf 

Trichloracetylchlorid  (§•  884),  als  Zersetzungsproduct  des  Perchloräthyl- 
äthers  und  der  Chloroxethose  (vgl.  §.  689).  —  Sie  bildet  sich  endlich  wenn 
unter  Einwirkung  der  Sonnenstrahlen  Chlor  bei  Gegenwart  von  Wasser 
auf  den  Chlorkohlenstoflf :  GjCl^  einwirkt  (Kolbe)  f). 

Diese  letztere  Bildungsweise  ist  desshalb  von  besonderem  Interesse,  weil  sie 
)  eine  vollständige  Synthese  der  Essigsäure ,   d.  h.   eine  künstliche  Bildung  aus  den 

I  Elementen  selbst,  möglich  macht  (vgl  §.  853). 


*)  Vgl.  Hoffmann,  loc.  cit  8.  16. 

••)  Kekiil6,  Ann.  Chem.  Pharm.  CV.  286;  und  neuere  Versuche. 
•••)  Cahours,  ibid.  CVIL  148. 

t)  Kolbe,  ibid.  UV.  181. 
KtkaK»  orgaa.  Chemid.  37 


S78  AMito'lv^irbiiidaagen. 

Wird  flüssiges  Eohlenchlorid  (63CI4)  nnter  einer  Wassenchicfat  in 
Chlorgas  gefüllten  Flasche  dem  Sonnenlicht  ausgesetzt,  so  entsteht,  neben  viel  Aa- 
derthalbchlorkohlenstoff  (OaCl«),  Trichloressigsfture.  Der  Vorgang  ist  offen- 
bar folgender!  durch  Einwirkung  Yon  Chlor  anf  Kohlenchlorid  (ß2Ci^  entsteht 
zuerst  Anderthalbchlorkohlenstoff  (^aCl«) ,  dieser  wirkt  im  Moment  des  Entstehens 
anf  2  Holecfile  Wasser  ein,  indem  Trichloressigsfture  und  Salzsäure  erzeugt 
werden: 

Anderhalb-  Trichloressig- 

chlorkohlenstoff.  säure. 

^jCl,       +       2Hae       =       ejClaHe,       +       3  Ha 
Der  Anderthalbchlorkohlenstoff  verhält  sich  also  bei  dieser  Reaction  wie  das  Chlorid 

m 

eines  dreiatomigen  Radicals  (63CI3 .  Cl,)  und  die  Bildung  der  Trichloressigslore  ist 
völlig  analog  der  Bildung  der  Ameisensäure  aus  Chloroform  (vgl.  §.  823). 

Da  nun  das  Eohlenchlorid  62CI4  durch  Einwirkung  von  Glühhitze  auf  Doppdt- 
Chlorkohlenstoff  CfCl«  (§.  640)  erzeugt  wird,  da  dieser  bei  Einwirkung  von  Chlor 
auf  Schwefelkohlenstoff  (6S3)  entsteht  und  da  der  Schwefelkohlenstoff  leicht  durch 
directe  Yereinigung  der  ihn  zusammensetzenden  Elemente  erhalten  werden  kann;  ao 
ist  die  DarsteUung  der  Trichloressigsäure  aus  den  Elementen  selbst  möglich.  Nun 
kann  aber  die  Trichloressigsäure  mit  Leichtigkeit  in  Essigsäure  übergeführt  werden 
(siehe  unten),  es  ist  also,  freilich  anf  nicht  gerade  kurzem  Weg,  die  Möglichkeil 
gegeben,  die  Essigsäure  aus  den  Elementen  selbst  künstlich  darzustellen. 

Zur  Darstellung  der  Trichloressigsäure  aus  Essigsäure  und  Chlor  wird  Ela- 
essig  in  mit  trocknem  Chlorgas  gefüllte  Flaschen  eingebracht  und  die  Flaschen 
dann  dem  directem  Sonnenlicht  ausgesetzt.  (Auf  ein  Liter  Chlorgas  dürien  höch- 
stens 0,9  Gr.  Eisessig  angewandt  werden.)  Das  Product  wird  in  Wasser  gelöst 
und  die  Trichloressigsäure  durch  Erystallisation  von  der  gleichzeitig  gebildeten 
Oxalsäure  getrennt. 

Die  Trichloressigsäure  krystallisirt  in  wohlausgebildeten  rhom- 
boedrischen  Erjatallen;  sie  schmilzt  bei  46®  und  siedet  bei  195® — 200^. 
Sie  ist  zerfliesslich.  Von  den  Salzen  der  Trichloressigsäure  ist  das 
Kali  und  Ammoniaksalz  sehr  löslich,  selbst  das  Silbersalz  ist  in  Was- 
ser löslich« 

Die  Trichloressigsäure  wird  von  Kalilauge  und  wässrigem  Ammo- 
niak schon  bei  gelindem  Erwärmen  zersetzt,  in  Kohlensäure  und  Chloro- 
form: 

Trichloressigsäure.     Chloroform. 

eiHClaOa      =      eHCl,      +      60, 

Diese  Zersetzung  ist,  wie  früher  schon  erwähnt,  völlig  analog  der 
Bildung  von  Grubengas  bei  Einwirkung  von  Kali  auf  ein  essigsaures  Sah 
(88.  819,  236). 

Durch  Kalium-  oder  Natriumamalgam,  durch  Zink  oder  durch  den 
galvanischen  Strom  kann  die  Trichloressigsäure  wieder  in  Essig- 
säure übergefohrt  werden  (MeLsens,  Kolbe). 


B^omessigsKar^.  57g 

Bromsubstitutionsproducte.      Die    Bromsubstitationsproducte  878. 
der  Essigsäure   sind   von   Perkin   und  Duppa*)    untersucht  worden. 
Brom  wirkt  auf  Essigs&ure  bei  der  Temperatur  von  100®  selbst  im  Son- 
nenlicht nicht  ein.    Bei  etwa  146<>  erfolgt  die  Einwirkung  schon  im  Dun- 
keln sehr  rasch. 

Zur  Darstellung  der  gebromten  Essigsftoren  erhitzt  man  am  besten  3  Th. 
Essigsäu^ehydrat  mit  4  Th.  Brom  in  einer  zugeschmolzenen  Röhre  auf  150^.  Der 
Ueberschuss  von  Essigsfture  dient  zur  Absorption  der  gebildeten  Bromwasserstoff- 
säure. Das  Product  wird  abdestillirt  bis  das  Thermometer  auf  200^  gestieged  ist. 
Die  rückständige  Masse,  ein  Gemenge  von  Monobromessigsäure  und  Bibromessig- 
sänre,  erstarrt  beim  Erkalten  krystallinisch  ^  sie  wird  auf  180^  erhitzt  und  Kohlen- 
säure durchgeleitet  bis  kein  Bromwasserstoff  mehr  entweicht  Man  verdünnt  dann 
mit  dem  lOfachen  Volum  Wasser,  sättigt  in  der  Siedhitze  mit  kohlensaurem  Blei, 
lässt  einige  Stunden  stehen,  und  filtrirt  ab.  Da  das  bibromessigsaure  Blei  weit  lös- 
licher ist  als  das  monobromessigsaure ,  so  bleibt  alle  Bibromessigsaure  als  Bleisalz 
in  Lösimg  und  der  krystallinische ,  auf  dem  Filter  bleibende  Niederschlag  gibt  bei 
Zersetzung  mit  Schwefelwasserstoff  reine  Monobromessigsäure. 

Zur  Darstellung  der  Bibromessigsaure  leitet  man  durch  siedende  Mono- 
bromessigsäure im  Sonnenlicht  Bromdämpfe  und  entfernt  aus  dem  Product  die  ge- 
löste Bromwasserstoffsänre  indem  man  auf  120®  erhitzt  und  Kohlensäure  dnrch- 
Idtet 

Monobromessigsäure:  ejHaBrO,  =  ^*^»^'gje.  Sie  krystal-  874. 

lirt  leicht  in  Rhomboedem;  sie  schmilzt  unter  100®  und  siedet  bei  208^ 
Sie  ist  in  Wasser  und  Alkohol  löslich  und  an  feuchter  Luft  sehr  zer- 
fliesslich. 

Durch  Zink  wird  sie  in  Essigs&ure  ttbergeführt  Beim  Erhitzen  in 
einer  verschlossenen  Röhre  erleidet  sie  eine  sonderbare  Zersetzung,  es 
entsteht  Bibromessigs&ure  neben  Kohlenoxyd  etc.,  yielleicht  nach 
der  Gldchnng: 

Honobromessig-       Bibromessig- 
saure. säure. 
3  eABrO,    =    e,H,Br,e,    +  3  60  +    €£4  +  HBr  +  H^O 

Die  Alkalisalze  der  Monobromessigsäure  sind  löslich  und  krystallisirbar.  Das 
Blei-  und  Silbersalz  sind  krystallinische  ^Niederschläge.  Das  Bleisalz  kann  aus 
heissem  Wasser  umkrystallisirt  werden,  das  Silbersalz  zerfällt  beim  Kochen  mit 
Wasser  in  Bromsilber  und  Glycolsäure.  Das  Ammoniaksalz  gibt  beim  Erhitzen 
mit  flberschtlssigem  Ammoniak  Glycocoll. 

6  HBr  f^) 
Bibromessigs&ure:   G2E^BT2i^2  =     ^       'hI^*     ^^  ^^  ^^^  ^^' 

lose  Flflssigkeit,  die  bei  225® — 230®  siedet  und  sich  in  Wasser,  Alkohol 
und  Aether  löst    Das  Ammoniak-  und  das  Kali-salz  sind  löslich  und  kry- 


•)  Ann.  Chem«  Phann.  C?.  61 ;  OVm.  106;  CX.  115. 

87  • 


580  Aeetylverbindimgen. 

stallisirbar,  das  Bleisalz  ist  selbst  in  kaltem  Wasser  sehr  löslidi;  du 
Quecksilber-  and  Silbersalz  sind  krystallinische  Niederschläge. 

Erhitzt  man  das  bibromessigsaure  Silber  mit  Wasser  auf  100®,  so 
entsteht  Bromsilber  und  Bromglycolsäure: 

Bibromessigs.  Silber.  Bromglycolsäure. 

e,HBr,Oj^      +      H,e      =      ^'™gje,    +    AgBr. 

Erhitzt  man  dasselbe  Salz  mit  fiberschflssigem  Silberoxyd,  so  wird 
alles  Brom  eliminirt  und  es  entsteht  Glyoxylsäure: 

Bibromessigsaure.  Glyoxylsäure. 

ejHjBrjOz     +     AgjO     +     H,e      =      G2H4e4    +    2  AgBr. 

876.  Jodsubstitutionsproducte   der  Essigsäure.    (Perkin  und 

Duppa)  *).  Das  Jod  wirkt  selbst  beim  Erhitzen  auf  200®  nicht  substi- 
tuirend  auf  die  Essigsäure  ein;  aber  man  kann  auf  indirectem  Weg  die 
JodsubstitytioDsproducte  der  Essigsäure  darstellen.  Erhitzt  man  nämlich 
Monobromessigsäure- äthyläther  oder  Bibromessigsaure -äthyläther  mitJod- 
kalium,  so  wird  das  Brom  gegen  Jod  ausgetauscht  und  man  erhält  den 
Aether  der  Monojod-  oder  der  Bijod-essigsäure.    Man  hat: 

Monobromessig-  Monojodessig- 

sfiureäther.  säureäther. 

^^e^W      +      KJ       =       ^*e^|^     +     ™' 

Bibromessig-  Bijodessig- 

sftureäther.  säureäther. 

Zur  Abscheidung  der  Monojodessigsäure  wird  ihr  Aether  mit  Baiyt- 
wasser  gekocht  und  das  erhaltene  Barytsalz  mit  Schwefelsäure  zersetzt 
Die  Bijodessigsäure  erhält  man  aus  ihrem  Aether,  indem  man  diesen  durch 
Schüttehi  mit  Kalkmilch  zersetzt  und  aus  dem  Ealksalz  die  Säure  dnrdi 
Zusatz  von  Chlorwasserstoffsäure  fällt 

Monojodessigsäure:         ^       H(^*     ^^^   krystallisirt   leicht   in 

farblosen  rhombischen  Tafeln;  sie  schmilzt  bei  82®  und  ist  nicht  zerfliess- 

lioh.    Beim  Erhitzen  wird  sie  zersetzt     Das  Silbersalz  zerfällt  leicht  in 

Jodsilber  und  Glycolsäure. 

G  HJ  O) 
Bijodessigsäure:      ^     ^h1^*    ^^^  ^^^  ^  Wasser  wenig  löslieh, 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  CZSL  125.  —  Gompt  rend.  Juni  18d0.  p.  1161k 


SubstitationBproduete  der  EsBigsänreSther.  S8i 

löst  sich  aber  leicht  in  Alkohol  und  Aether  und  krystallisirt  beim  Ver- 
dunsten dieser  Lösungen  in  grossen  Erjstallen.  Zersetzt  man  ein  bijod- 
essigsaures  Salz  durch  eine  Säure,  so  fällt  die  Bijodessigs&ure  als  schwe- 
res, bald  krjstallinisch  erstarrendes  Oel  aus. 

Das  bijodessigsaure  Silber  zerfällt  beim  Kochen  mit  Wasser  in  Jod* 
Silber  und  Jodgljcol säure: 

Bijodessigs.  Silber.  Jodglycolsäure. 

WOj^     +     H,e     =     ^'%^je,    +    Agj 

Substitutionsproducte  der  Essigsäureäther. 

Substitutionsproducte  der  Aetherarten  der  Essigsäure  können  durch  ^^* 
i  zwei  Töllig  verschiedene  Reactionen  dargestellt  werden.     Man  kann  ent- 

weder 'aus  einer  substituirten  Säure   (oder  dem  entsprechenden  Chlorid) 
durch  Einwirkung  eines  Alkohols  den  Aether  der  substituirten  Säure  dar- 
'  stellen,    oder  man  kann   auf  einen  Aether   der  Essigsäure  Chlor   oder 

t  Brom  einwirken  lassen  und  so  Substitutionsproducte  des  schon  gebildeten 

^  Aethers  darstellen.    Für   die  nach   der  ersten   Art  erhaltenen  Aether  ist 

es  durch  die  Art  der  Darstellung  nachgewiesen,  dass  der  Wasserstoff  des 
Essigsäureradicals  und  nicht  der  des  Alkoholradicals  durch  Chlor  oder 
Brom  vertreten  ist.  Bei  den  nach  der  zweiten  Methode  dargestellten  sub« 
stituirten  Aethern  ist  es  völlig  unentschieden,  ob  die  Substitution  im 
Säureradical  oder  im  Alkoholradical  stattgefunden  hat. 

I.   Aether  der  substituirten  Essigsäuren. 

Die  chlor-,  brom-  oder  jodhaltigen  Essigsäuren  bilden  im  Allgemei-  678. 
nen   sehr  leicht  Aetherarten.     In  den  meisten  Fällen  entsteht  schon  bei 
längerem  Stehen  eines  Gemenges  der  freien  Säure  mit  Alkohol,  oder  we- 
nigstens bei  Erhitzen  dieses  Gemenges,  die  betreffende  Aetherart 

Man  kennt  bis  jetzt  die  folgenden  Aether  Bubstituirter  Eosigsänren: 

Monochloressig-äthyläther  ßfi^de^  =  ^^^^^^jo     Siedep.  148ö,6 

Trichloresßig^thyläther  Gfi^Cl^e^  =       ^0^'^}^           «      164* 

Monobromessig-niethyläther  GaH^Brea  =  ^^^'^^j^  „      144« 

Monobromessig-Äthylfitiier  e4H,Brej  =  ^*°^^|e          „      169* 

MonobromesBig-amylfither  G^HijBrea  =  ^*^^|o           „      207» 

Bibromeasig-äthyläther  eABrjOa  =  ^^""^[^ 

Monojodessig-äthyläther  e4H,Je,  «       ^*e*^|^ 

Bycdeesig-Äthyläther  Ofi^^^^  =       ^^^^^\^ 


562  Acpif lTÄprbijw*^PDi,gfwu 

Der  Monochloressig-älJiylfither  ist  Ton  Willm  *)  durch  Einwirlnmg  von 
Chloracetylchlorid  (§888)  auf  Alkohol,  der  Trichloressig-äihyläiher  von  Dumas  ^) 
durch  Destillation  von  Alkohol,  Schwefelsäure  und  trichloressigsaurem  Kali  erhal- 
ten worden. 

Die  Aether  der  gebromten  Essigs&uren  sind  von  Perkin  n.  Duppa  **^') 
durch  Einwirkung  der  Säure  auf  den  betreffenden  Alkohol,  die  Aether  der  jod- 
haltigen Essigsäuren  durch  Zersetzen  der  entsprechenden  bromhalügen  Yerbindiiii- 
gen  mittelst  Jodkalium  dargestellt  (vgl.  §.  876). 

Lässt  man  auf  den  bei  185®  — 190®  destillirenden  Theil  des  Productes  der 
Einwirkung  von  Chlor  auf  Essigsäurehydrat  (§.  870)  Alkohol  einwirken ,  so  wird 
ein  Gemenge  von  Aethem  erhalten,  deren  Chlorgehalt  um  so  grösser  ist,  je  höher 
der  Siedepunkt: 

Siedepunkt.  Chlorgehalt 
143«-144®  81,4  % 

146«~148*  88,8  % 

148®- 162*  87,8  % 

152® -167®  42,7  % 

157®--164®  46,9  % 

Das  erste  Product  entspricht  in  Siedepunkt  und  Chlorgehalt  nahezu  dem  Mono- 
chloressig-älhyläther  (29®/^  Chlor);  die  beiden  letzten  enthalten  annähernd  die  dem 
Bichloressig-äthyläther  entsprechende  Menge  Chlor  (45,22 ®/0) f). 

n.   SubstitutioDsproducte  der  Essigsäureäther. 

879.  Essigsäuremetbyl&ther.    Bei  Einwirkung  von  Chlor  aofEssig- 

säuremethyläther  im  zerstreuten  Tageslicht  entsteht  Bichloressigsfture- 
methjläther  ff )  =:  ejH^CljOj,  eine  bei  148<>  unter  theilweiser  Zersetzung 
siedende  Flüssigkeit,  die  beim  Kochen  mit  Wasser  oder  Alkalien  in 
Ameisensäure,  Essigsäure  und  Salzsäure  zerf&Ut: 

Bichloressigsäure-  Ameisen-      Essigsäure, 

methyläther.  säure. 

esH4Clje,     +    2H,0    =    GH,0,   +    €aH40,    +    2  HCl 

Nach  dieser  Zersetzung  scheint  es,  als  ob  das  Chlor  im  Alkoholradical  und 
nicht  im  Säureradical  enthalten  sei. 

Lässt  man  Chlor  im  Sonnenlicht  auf  Essigsäuremethyläther  einwir- 
ken, so  wird  aller  Wasserstoff  durch  Chlor  vertreten  und  es  entsteht: 
PerchloressigsäuremethylätherfffjzzrGaCl^O,.  Der  soerhaltene 
Aether  ist  identisch  mit  Perchlorameisenäthyläther  (§.  836). 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CII.  109. 
••)  ibid.  XXXII.  112. 

•••^  Vgl  die  bei  den  betreffenden  Säuren  angegebenen  Abhandlungen, 
f)  G.  C.  Foster,  Privatmittheilung. 
•H*)  Malaguti,  Ann.  Chem.  Pharm.  XXXH  89. 
tH-)  Clofiz,  ibid.  LX.  261. 


8Tib0titatK«sinrodiieto  4es  BMgftthers.  5g3 

Hau  hat 

Perchlorameisen-  PerchloresBigsftiire- 

sänre&thylttther.  .  meihyläther. 

Man  hfttte  danach  erwarten  sollen  zwei  isomere  aber  in  ihren  Eigenschaften  ver- 
schiedene Substanzen  za  erhalten.  Der  Versuch  hat  dagegen  gezeigt,  dass  beide 
Substanzen  nicht  isomer,  sondern  in  ihren  physikalischen  Eigenschaften  und  ihren 
diemischen  Zesetzungen  identisch  sind. 

Essigs&ureäthyläther.  Chlor  wirkt  auf  EBsigsäure&thylftther  880. 
selbst  in  zerstreutem  Tageslicht  stark  ein.  NachMalaguti  undLeblano 
wird  wesentlich  Bichloressigsäureäthjläther  erhalten.  Nach  Ver- 
suchen vonSchillerup  *)  entsteht,  wenn  man  die  Einwirkung  des  Chlors 
so  lange  fortsetzt,  bis  dasselbe  bei  100®  unabsorbirt  entweicht,  ein  Ge- 
menge verschiedener  Substitutionsproducte ,  die  durch  fractionirte  Destil* 
lation  nicht  getrennt  werden  können. 
^  Die  analytischen  Resultate  machen  es  wahrscheinlich,   dass  dieses  Gemenge 

I  aus  den  drei  ersten  Chlorsubstitutionsproducten  des  Essigäthers,  d.  h.  aus  einfach-, 

zweifach-  und  dreifach -gechlortem  Essigftther  besteht    Ifan  fand: 

Siedepunkt  Chlorgehalt 

100»-106*  88.4  % 

lOÖ^—llO»  37.8  % 

'                                                       110«-116«  40.8  % 
^              Das  letzte  Product  rectifidrt  gab : 

\                                                       100«-106*  87.1  % 

I                                                        115«— 120»  43.6  % 

Das  bei  der  ersten  Destillation  über  120^  Siedende  gab  bei  Rectification: 

100«- 110«  40.6  «lo 

110«— 120«  46.8  «/o 

120®— 130«  48.6  % 

180*— 140»  60.6  % 
Die  Rechnung  verlangt: 

e4H,C10a  28.9  % 

e4H.Claea  46.2  % 

OAClae,  66.6  % 

Bemerkenswerth  ist  noch,  dass  die  Siedpunkte  der  so  erhc^tenen  gechlorten 
Essigäther  weit  niedriger  liegen  als  die  der  aus  Chloressigsäure  dargestellten  Aether 
von  entsprechendem  Chlorgehalt 

Wird  Essigs&ureäthylather  zuerst  im  zerstreuten  Tageslicht  mit  Chlor 
ges&ttigt  und  dann  bei  Einwirkung  des  directen  Sonnenlichtes  und  unter 
gleichzeitigem  Erhitzen  auf  110^  noch  andauernd  mit  Chlor  behandelt,  so 
wird  aller  Wasserstoff  durch  Chlor   vertreten.     Man  erh&lt  Perchlor- 


*)  Ann«  Cbem.  Fhann.  GZL  129. 


584  AeelylTerbliidiiiigeiL 

essigsäureathylather  =  64CISO2  =  ^ecf |^»  *^®  durchdrin- 
geDd  riechendes  schweres  Oel,  welches  sich  beim  Erhitzen  auf  245®  in 
Trichloracetjlchlorid  (§.  884)  umsetzt.    Man  hat: 

Perchloressigsäure-  Trichloraoetyl- 

äthyläther.  chlorid. 

e4Cig03        =       2  6201,0. a. 

Diese  Zersetzung  des  Perchloressigsäureäthyläthers  entspricht  ▼oll- 
ständig der  Spaltung  des  Perchlorameisenmethylfithers  in  Carbonyl- 
chlorid  (Phosgen)  und  der  des  Perchlorameisenäthyläthers  oder  des 
identischen  Perchloressigsäuremethyläthers  in  Trichloracetylchlorid 
und  Carbonylchlorid  (§.  886).  Das  Carbonylchlorid  steht  zur  Ameisensäure 
und  zum  Methyl  genau  in  derselben  Beziehung  wie  das  Trichloracetylchlorid  zur 
Essigsäure  und  zum  Aethyl;   es  kann   als  Chlorformylchlorid   betrachtet  werden: 

(ee.cia  =  ecie.ci). 

Der  Perchloressigsäureäthyläther  zerfällt  mit  Wasser,  mit  Alkalien^ 
mit  Alkohol  und  mit  Ammoniak  genau  wie  das  mit  ihm  isomere  Trichlor- 
acetylchlorid. 

Substitutionsproducte  des  Acetamids. 

881.  Die  bis  jetzt  bekannten  Substitutionsproducte  des  Acetamids  sind 

nicht  durch  substituirende  Einwirkung  aus  schon  gebildetem  Acetamid 
erhalten  worden ,  sie  sind  vielmehr  Producte  der  Einwirkung  von  Ammo- 
niak auf  einen  Aether  einer  substituirten  Essigs&ure  oder  auf  ein  diesen 
Säuren  entsprechendes  Ghorid. 

(ejHjCie 

Monochloracetamid    =    ©2H4CI0N    =    NJh  ;    von 

/H 
Willm  *)  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  Honochloracetylchlorid 
(S.  883)    erhalten,    krystallisirt  in  glänzenden  Blättern,   es  ist  in  10  Th. 
Wasser  von  24®  löslich;  Alkohol  löst  es  etwas  leichter,  Aether  nicht. 

(6201,0 
Trichloracetamid  =  G2H2ClaeN  =  Nm  ;   von  Cloö* 

/H 
1845  entdeckt;  entsteht  bei  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  Triohloressig- 
Säureäthyläther  (§.  878) ,  oder  auf  Trichloracetylchlorid  (§.  884). 

Auch  bei  Einwirkung  von  Perchloräthyläthcr  (§.  689) ,  Perchlorameisensäure. 
äthyläther  (§.  836)  sowie  dem  mit  diesem  identischen  Perchloressigsäuremethyl&tfaer 
(S.  879)  und  Perchloressigsäureäthyläther  (§.  880)  auf  Ammoniak  wird  Trichlor- 
acetamid gebildet,  was  leicht  erklärlich  ist,    wenn  man  sich  erinnert,   dass  alle 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  OL  110. 


SnbBÜtaiionBprodacte. 


585 


diese  Körper  beim  Erhitzen  Chloracetylcblorid  und  bei  Einwirkung  von  Wasser 
oder  Alkalien  TrichloressigBäare  erzeugen. 

Das  Triohloracetamid  ist  in  Wasser  kaum  löslich;  es  krystalli- 
sirt  in  farblosen  Prismen,  die  bei  135®  schmelzen,  es  siedet  bei  etwa  230® 
unter  theilweiser  Zersetzung: 

Lässt  man  auf  feuchtes  Trichlofacetamid  im  Sonnenlicht  Chlorgas 
einwirken,  so  entsteht  ein  krystallisirbares  in  Aether  und  in  Alkohol  lös- 
liches, in  Wasser  unlösliches  Product:  62HCI4ON,  welches  von  Glo6z 
Chloracetaminsäure  genannt  worden  ist,  weil  es  mit  Kali  und  mit 
Ammoniak  krystallisirende  Verbindungen  bildet     Dieser  Körper  ist  wahr- 

lejCijO 

scheinlich:   N{C1  und  steht  demnach  zum  Trichloracetamid  in  ahn- 

lieber  Beziehung  wie  das  Aethjlbichloramin  zum  Aethjlamin  (vgl.  §.  722). 

iGjHßrje 
Dibromacetamid  =  02H3Br20N  =  N<H  ;  entsteht,  wenn 

/H 
ein  Aether  der  Dibromessigsäure  durch  Ammoniak  zersetzt  wird.  Durch 
eine  entsprechende  Reaction  wird  aus  einem  Aether  der  Bijodessigsäure 
das  Bijodacetamid  =  62H3J2ON  erhalten.  Beide  Amide  sind  kry- 
stallisirbar,  in  Alkohol  und  Aether  leicht,  in  Wasser  wenig  löslich.  (Per- 
kin  und  Duppa). 


Substitutionsproducte   des   Aldehyds  und   des   Acetyl- 

chlorids. 

Wenn  man  den  Aldehyd  als  Hydrür  des  Radicals  Acetyl  und  das  882. 
Acetylchlorid  als  das  Chlorid  desselben  Radicals  betrachtet,  und  wenn 
man  annimmt,  der  Wasserstoff  des  Radicals  könne  durch  Chlor  vertreten 
werden,  ohne  dass  die  Verbindung  ihren  Typus  und  ihren  chemischen 
Charakter  ändert,  so  hätte  man  die  folgenden  Reihen  von  Verbindungen, 
in  welchen  je  drei  Glieder  gleiche  Zusammensetzung  zeigen : 


empirische  Formel. 

Aldehyd 

GaH,     G.H 

OaH^     G 

eaHjCl  e  .H 

GaHaCl  G 

GjH,    G.Cl 

Acetylchlorid. 

OaHClaO.H 

eaHjClaG 

GaHaClO.Cl 

Monochloracetyl- 
chlorid. 

Chloral 

e,  ci,e.H 

GaH  ClaO 

GaHClaG.Cl 

Ga     CI3G 

Ga    CI3G.CI 

Trichloracetyl- 
chlorid. 

Man  sieht  leicht,  dass  in  jeder  Reihe  einzelne  Glieder  fehlen  und 
zwar  gerade  diejenigen,  die  in  der  andern  Reihe  vorhanden  sind;  so 
also,  dass,  wenn  man  beide  Reihen  in  einander  schiebt,  eine  fortlaufende 


586  AoetflverUndimgen. 

Reihe  von  Verbindungen  erhalten  wird,  die  der  empirischen  Formel  nach 
als  Substitutionsprodacte  des  Aldehyds  betrachtet  werden  können.  Es 
liegt  demnach  der  Gedanke  nahe,  dass  es  wirklich  nur  Eine  Reihe  sol- 
cher Verbindungen  gibt  und  dass  es  von  der  Anzahl  der  in  der  Verbin- 
dung enthaltenen  Chloratome  abhängig  ist,  ob  dieselbe  das  Verhalten 
eines  Aldehyds  (Hydrürs)  oder  das  Verhalten  eines  Chlorids  zeigt  Be- 
merkenswerth  ist  jedenfalls,  dass,  nach  neueren  Versuchen  von  Wurtz  •), 
bei  Einwirkung  von  Chlor  auf  Aldehyd  das  Acetylchlorid  (vgl.  $.  841) 
und  bei  weiterer  Einwirkung  von  Chlor  auf  dieses  das  Honochlor- 
acetylchlorid  erhalten  wird;  während  nach  einer  älteren  Angabe  von 
Fehling  *•)  unter  den  Producten  der  Einwirkung  von  Chlor  auf  Aldehyd 
Chlor al  enthalten  ist. 
888.  Monochloracetylchlorid:    GjHjCljO  =  ejHjClO.Cl;    wurde 

von  Wurtz  durch  Eintragen  von  Acetylchlorid  in  mit  Chlor  gefüllte 
Ballons  erhalten;  es  entsteht  auch  bei  Einwirkung  von  Phosphorchlorid 
auf  Olycolsäure  (vgl.  §.  821.  L).  Es  siedet  bei  etwa  105<^.  Es  zersetzt 
sich  mit  Wasser  zu  Salzsäure  und  Monochloressigsäure ;  es  bildet  mit 
Alkohol  Monochloressigsäure -äthyläther  (§.  878),  mit  Ammoniak  Mono- 
chloracetamid  (§.881);  verhält  sich  demnach  wie  das  Chlorid  des  einfach 
gechlorten  Essigsäureradicals. 

884.  Trichloracetylchlorid:    CjCUO  =  6,0,0. Cl.      Von   Mala- 

guti  '*'**)  1844  entdeckt.  Es  entsteht,  wie  mehrfach  erwähnt,  sehr  häufig 
bei  Zersetzung  völlig  gechlorter  Aether  durch  Hitze. 

Der  Perchloressigsftureäthyläther  zerfiUlt  gerade  auf  in  2  Molectüe 
Trichloracetylchlorid  (vgL  §•  880);  der  Perchloressigsäuremethyläther 
(§.879)  und  der  identische  Perchlorameisensäureäthyläther  ($.  8S6)  lie- 
fern Trichloracetylchlorid  neben  Carbonylchlorid ;  der  Perchloräthyl&ther 
(S.  689)  Trichloracetylchlorid  neben  Chlorkohlenstoff  (6aCl«);  der  Perchlor- 
kohlensäureäthyläther  gibt  Trichloracetylchlorid  neben  Chlorkohlenstoff 
(62CI9)  und  Kohlensäure;  der  Perchlorozalsäureäthyläther  zerflUlt  in  Tri- 
chloracetylchlorid, Carbonylchlorid  und  Eohlenozyd. 

Es  ist  eine  farblose,  rauchende  Flüssigkeit,  die  bei  118®  siedet; 
spec.  Oew.  1,6.  Es  zersetzt  sich  mit  Wasser  allmälig  zu  Salzsäure  und 
Trichloressigsäure ;  mit  Alkohol  gibt  es  Trichloressigsäure- äthyläther 
($.  878);  mit  Ammoniak  Trichloracetamid  ($.  881).  Durch  Einwirkung 
von  Phosphorwasserstofif  entsteht  ein  phosphorhaltiges  Amid,  das  T ri- 
eh loraoetylphosphid  =  62H2C130P;  eine  krystallisirbare  Substanz, 
die  bis  jetzt  der  einzige  Repräsentant  der  vom  Phosphorwasserstoff  sich 
ableitenden  und  den  phosphorhaltigen  Basen  (§§.  731  ff.)  entsprechenden 
Amide  ist 


*)  Ann.  Chem.  Pharm,  dl.  98. 
••)  ibid.  XXXn.  26. 
•••)  ibid.  LVL  268. 


CUona.  587 

Chloral,  Triehloraldehyd:  e^UCi^O  =2  e^CitB .E.    Von  Lie-  88ß. 
big*)  1832  entdeokt,    von  Dumas  und  von  Stftdeler  **)  untersucht 
Es  entsteht  bei   lange   fortgesetzter  Einwirkung  von  Chlor  auf  Alkohol 
(vgl.  S.  647)  (Liebig)  und  bei  Destillation  von  Stärke  oder  Zucker  (1  Th.) 
mit  Salzsäure  (7  Th.)  und  Braunstein  (3  Th.)  (Städeler). 

Zur  Darstellung  des  Chlorals  aus  Alkohol  leitet  man  durch  möglichst  abso* 

>  loten  Alkohol  anfangs  unter  Abkflhlen   später  unter  Erhitzen  trocknes  Chlorgas; 

I  der  Alkohol  geht,  während  Ströme  von  Salzsäure  entweichen,  in  eine  dicke  Flüs- 

sigkeit über,  die  sich  während  der  Operation  in  zwei  Schichten  trennt,  durch  fort- 
gesetztes Chloreinleiten  aber  wieder  homogen  wird.  Das  Einleiten  des  Chlors  muss 
möglichst  lange  fortgesetzt  werden,  sonst  wird  statt  des  Chlorals  wesentlich  ein 

I  Gemenge  von  gechlorten  Acetalen  (§.  892)  erhalten.    Das  Endproduct  der  Reaction, 

unreines  Chloralhydrat,    erstarrt  bei  längerem  Stehen  krystallinisch.     Schüt- 

I  telt  man  es  direct  mit  dem  mehrfachen  Volum  Schwefelsäure,  so  scheidet  sich  eine 

l  oben  aufschwimmende  Schicht  von  Chloral  aus,   die  bei  mehrstündigem  Stehen 

in  die  unlösliche  Modification  übergeht  Zur  Darstellung  von  reinem  Chloral  aus 
diesem  Rohproduct  kann  man  entweder  direct  mit  dem  mehrfachen  Volum  Schwe- 
felsäure schütteln  und  destilliren;  oder  man  lässt  das  nach  dem  Schütteln  mit 
Schwefelsäure  abgeschiedene  Chloral  in  unlösliches  Chloral  übergehen,  wascht  die- 

*  ses  mit  Wasser,  trocknet  es  gut  und  erhitzt  es,  wobei  es  sich  bei  180<^  in  flüssiges 

i  Chloral  umwandelt,  welches  überdestillirt.     Jedenfalls  muss  das  Product  nochmals 

über  Schwefelsäure  und  zuletzt  zur  Entfernung  der  Salzsäure  Über  gebranntem  Kalk 
rectificirt  und  nur  das  bei  94 — 99®  überdestiliirende  aufgefangen  werden.  —  Will 
man  neben  dem  Chloral  auch  die  gechlorten  Acetale  gewinnen ,   so  schüttelt  man 

'  das  Rohproduct  mit  Wasser,  trennt  das  unlösliche  Gel  von  der  wässrigen  Lösung 

des  Chloralhydrats,  dampft  diese  letztere  ein  und  destillirt  mit  Schwefelsäure. 

'  Das  Chloral  ist  eine  farblose,  leicht  bewegliche  Flüssigkeit,    von 

durchdringendem  eigenthümlichem  Geruch;  seine  Dämpfe  greifen  die  Au- 
gen heftig  an.    Es  siedet  bei  94,4®,  Dumas  (99®  Kopp) ;  spec.  Gew.  1,502. 

.  —  Es-  löst  sich  leicht  und  unter  Erhitzen  in  Wasser,  indem  Chloralhydrat 

,  entsteht. 

I  Es  verhält  sich  in  vielen  Reactionen  dem  Aldehyd  analog;  es  bildet 

mit  sauren  schwefligsauren  Salzen  krystallisirende  Verbindungen ;  mit  Am- 

,  moniak  entsteht  eine  Verbindung,  die  das  Silber  in  spiegelnder  Form  re- 

,  ducirt;   Schwefelwasserstoff  fällt   aus   der  wässrigen  und  aus  der  ammo- 

^  niakalischen  Lösung  schwefelhaltige  Verbindungen,  von  denen  die  erstere 

wahrscheinlich  dem  Sulfaldehyd  (§.  842),  die  letztere  dem  Thialdin  (§.  843) 
entspricht  (Städeler)  ♦♦*).  Durch  Kochen  mit  concentrirter  Schwefelsäure 
wird  es  oxydirt  und  zum  Theil  in  Trichloressigsäure  übergeführt  (Eolbe). 

Nach  allen  diesen  Reactionen  entspricht  das  Chloral  dem  Aldehyd.  Betrach-  886. 
tet  man  diesen  als  Hydrür  des  Radicals:  O^H^O  (vgl.  §.841),  so  ist  das  Chloral 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  I.  189. 
••)  ibid.  LXL  101. 
•••)  ibid.  CYL  268. 


588  AeetylverUndmigen. 

das  Hydrfir  des  gechlorten  Radicals:  63CI30,  welches  auch  in  der  TrichloressigsSnre^ 
dem  Trichloracetamid  und  dem  Trichloracetylchlorid   angenommen  werd^L  kann. 

Betrachtet  man  dagegen  den  Aldehyd  als:  ^^>0,    (vgl.   §.  850),     so    ist   das 

ö  Gl  I 
Chloral:     ^  J|0.    Diese  letztere  Formel  bringt  das  Chloral  in  einfache  Beziehnng 

zu  der  §.  689  beschriebenen  Ozethose.  Die  Ozethose  verhält  sich  zum  Chloral 
wie  der  Aldehydäther  (§.  850.2)  zum  Aldehyd;  sie  kann  als  ein  Substltationapro- 
duct  des  Aldehydäthers  betrachtet  werden: 

Aldehyd.  Chloral.  Aldehydäther.  Ozethose. 

€^^j^  €.a^j^  eAj^  e,a.j^ 

Die  Ozethose  steht  demnach  zum  Trichloräthyläther  (§.  689)  genau  in  der- 
selben Beziehung,  wie  der.  AldehydSther  zum  Aethyläther  und  wie  der  Aldehyd 
zum  Alkohol. 

887.  Wässrige  Alkalien  zersetzen  das  Chloral  in  Chloroform  und  amei- 
sensaures  Salz.     Man  hat: 

ChloraL  Kalihydrat.  Chloroform.  Ameisens.  EalL 

-1% S}»       =       «HCU        +       »f(«         ■ 

H 
Erhitzt  man  Chloral  mit  Salpetersäure,   so  entsteht  (neben  der  Tri- 
Chloressigsäure)  auch  Chlorpikrin  (EekuM)  *).    Die  Zersetzung  kann  durch 
das  Schema  versinnlicht  werden: 

Chloral.  Salpetersäure.  Chlorpikrin.  Ameisensäure. 

1% 5^]0     =     e(Ne,)ci,     +     6H,o, 

H     ■ 
Mischt  man  Chloral  mit  einer  Lösung  von  Alkoholnatrium  in  Alko- 
hol,   80  wird   es  unter  Erhitzung  zersetzt;   es  entsteht:   Chloroform  und 
Ameisensäure- äthyläther  (Eekul^). 

ChloraL  Alkohol.  Chloroform.  Ameisensäure- 

äthylftüier. 

H 
Beide  Zersetzungen  entsprechen  vollständig   der  Bildung  von  Methylwasser- 
stoff beim  Erhitzen  eines  essigsauren  Salzes  mit  Ealihydrat  (§.  795)  und  femer  der 
Bildung  der  Aldehyde  und  der  Acetone  beim  Erhitzen  der  Salze  oder  Salzgemenge 
der  fetten  Säuren  (§.  808). 

888.  Chloralhydrat:  esHClaO  +  H^O.    Lässt  man  Chloral  an  feuch- 
ter Luft  stehen,  oder  verdunstet  man  eine  Lösung  von  Chloral  in  Wasser, 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  CVI.  144i 


SnbBtitairte  Acetale.  .  5g9 

80  erhält  man  schöne  Erystalle  von  Chloralhydrat.  Es  riecht  eigenthüm- 
lieh,  von  Ghloral  völlig  verschieden;  es  sublimirt  schon  bei  gewöhnlicher 
Temperatur,  siedet  aber  erst  bei  120®.  Durch  Schattein  mit  Schwefel- 
säure wird  es  durch  Wasserentziehung  in  Ghloral  verwandelt. 

Die  D&mpfe  des  Chloralhydrats  scheinen  ein  Gemenge  von  Wasserdampf  und 
Ghloral  zu  sein;  wenigstens  ist  die  Dampfdichte  nur  halb  so  gross,  als  die  ans 
dem  Moleculargewicht  berechnete;  gefanden:  2.76,  berechnet:  5.06;  (vgl.  §.  402). 

Metachloral,  unlösliches  Ghloral,  hat  man  die  weisse,  ^^' 
amorphe,  mit  dem  Ghloral  isomere  Substanz  genannt,  in  welche  selbst 
reines  Ghloral  beim  Aufbewahren  allmälig  übergeht,  und  die  besonders 
leicht  entsteht,  wenn  flQssiges  Ghloral  bei  gewöhnlicher  Temperatur  mit 
Schwefelsäure  in  Berührung  ist.  Das  unlösliche  Ghloral  wird  von  Wasser 
nicht  gelöst,  es  geht  beim  Erhitzen  auf  ISO-— 200®  in  gewöhnliches  Ghloral 
über;  es  steht  also  wahrscheinlich  zum  Ghloral  in  derselben  Beziehung 
wie  der  Hetaldehyd  (§.  839)  zum  Aldehyd. 

Ghloralid  =  BiU^Gl^B^  *).      Entsteht  beim  Erhitzen  von  flüssi-  890. 
gern  Ghloral  mit  concentrirter  oder  mit  rauchender  Schwefelsäure.    Es  ist 
in  Wasser  und  in  kaltem  Alkohol  fast  unlöslich.     Aus  heissem  Alkohol 
oder  aus  Aetheralkohol  krystallisirt  es  in  weissen  Nadeln  oder  in  grossen 
Prismen.    Es  schmilzt  bei  112®  und  siedet  bei  260®. 

Die  chemische  Natur  des  Chloralid's  ist  noch  nicht  erkannt.  Es  enthalt  die 
Elemente  von  8  Ghloral  —  1  Chloroform  oder  von  2  Ghloral  4-  Eohlenozyd. 

Bromal:  OaHBrj^.    Durch  Einwirkung  von  Brom  auf  absoluten  Alkohol  891. 
hat  Löwig  **)   ein  dem  Ghloral  entsprechendes  Bromal  dargestellt,  welches  mit 
Wasser  eine  krystallisirende  Verbindung:  Bromalhydrat  liefert. 

Snbstitutionsproducte  des  Acetals. 


>  Durch  Einwirkung  oxydirender  Substanzen  auf  Alkohol,  z.  B.  durch  i 

I  Destillation  mit  Braunstein  und  Schwefelsäure,   entsteht  Acetal  (§.  847). 

Lässt  man  Ghlor  auf  wässrigen  Alkohol  einwirken,  so  entsteht  ebenfalls 
Acetal  (Stas) ;  bei  längerer  Einwirkung  des  Ghlors  findet  dann  Substitu- 
tion des  gebildeten  Acetals  statt  und  es  entstehen  gechlorte  Acetale 
(Dumas ,  Lieben  ***).    Man  kennt  bis  jetzt  die  folgenden  : 

Monochloracetal    =    e,Hi,Cl  Oj      =       m  H')1e  ^^®^®P'  l^-^^** 
I  Dichloracetal         =    B^Ei^Cia^i      =      feaHSa}S       "        170-185«. 

Trichloracetal         =    e^ü^iCi^e^      =      ^^'jS 


•)  Stftdeler,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXI.  104;  GVI.  258;  Kekol^,  ibid.  GV.  298. 
••)  Ann.  Ghem.  Pharm.  IDL  288. 
•••)  ibid.  CIV.  114. 


590  ^^^  BSXöteä. 

I 

Die  beiden  ersteren  entstehen  bei  Einwirkung  von  Chlor  auf  80  procentigen 
Alkohol  j  das  Trichloracetel  wird  bei  Anwendung  von  absolutem  Alkohol  erhalten, 
seine  Bildung  geht  der  des  Chlorals  voraus  (vgl.  §.  885) ,  und  dieses  ist  vielleicht 
ein  Zersetzungsproduct  des  Trichloracetals.  Man  könnte  dann  die  Einwirkung  des 
Chlors  auf  Alkohol  (§.  647)  ausdrücken  durch  die  Formeln: 

ejH,  O         +    Qj       =  2HC1  4-    6aH40  Aldehyd. 

^2^4  e         +  2e2H.0=  Ha^  4-    6,Hji40a  AcetaL 

^•1^14^2       +    Cla       =  Ha   4-    6eH„Ciea  MonochloracetaL 

€eH,,Cie2    +    Cla       =  HCl    +    eeHuClaO,  Bichloracetal 

eeH,aCl202  4-    Cla       =  HCl   4-    6eH„Cl,ea  Trichloracetal. 

6eHiiCl,ea  +  2HC1      =  HaO  +  2eaH5Cl     4-  eaHCl,e  Chloral. 

An  die  eben  besprochenen  Körper  schliesst  sich  noch  ein  chlorhal- 
tiges, bei  120^  siedendes  Product  an,  welches  Wurts*)  bei  Einwirkung 
Yon  Chlor  auf  Aldehyd  erhielt,  und  das  seiner  Zusammensetzung  nach 
(64H7CI92)  als  ChlorsubstitutioDsproduot  einer  mit  dem  Aldehyd  polyme- 
ren  Substanz,  vielleicht  des  Acraldehyds  (§.  839)  betrachtet  werden  kann. 

Durch  Einwirkung  von  Chlor  und  von  Brom  auf  Methylalkohol 
hat  Glogz**)  zwei  Substanzen  erhalten,  die  mit  dem  Chloral  undBromal 
isomer  zu  sein  scheinen  und  als  Parachloralid:  Oj^^'s^  ^^^  Para- 
bromalid  bezeichnet  werden.  Beide  Körper  lassen,  wenn  anders  die 
fUr  sie  mitgetheilten  Formeln  richtig  sind,  bis  jetzt  keinerlei  Deutung  zu. 


Fette    Säuren:    enEuO^. 

Ein  Verzeichniss  der  bis  jetzt  bekannten  fetten  S&uren  wurde  §.  828 
gegeben.  Es  sind  dort  gleichzeitig  die  wichtigsten  physikalischen  Eigen- 
schaften (Siedepunkt  und  Schmelzpunkt)  für  jede  einzelne  Säure  beigeflQgt, 
die  Beziehungen  der  physikalischen  Eigenschaften  zur  Zusammensetzung 
besprochen  und  ausserdem  allgemeine  Bemerkungen  über  Vorkommen, 
Bildung  etc.  zusammengestellt  (vgl.  ferner  §$.  817).  Die  zwei  ersten 
Glieder  der  Reihe,  Ameisensäure  und  Essigsäure,  sind  im  Vorher- 
gehenden ausführlich  mit  allen  Abkömmlingen  abgehandelt.  Da  nun  die 
übrigen  fetten  Säuren  und  ihre  Abkömmlinge ,  soweit  dieselben  bis  jetzt 
untersucht  sind,  die  grösste  Analogie  mit  der  Essigsäure  und  den  von 
diesen  sich  herleitenden  Verbindungen  zeigen,  so  genügt  eine  kurze  An- 
gabe von  Vorkommen  und  Darstellung  dieser  Substanzen  und  es  ist  nur 
dann  eine  speciellere  Beschreibung  nöthig,  wenn  die  betreffende  Verbin- 
dung praktisch  wichtig  ist,  oder  wenn  sie  ein  theoretisch  interessantes 
und  von  dem  der  t\J>rigen  fetten  Säuren  abweichendes  Verhalten  zeigt. 


•}  Ann.  Chem.  Pharm.  GH.  94 
•♦)  ibid.  CXL  17a 


Fette  Säarai.  591 

Zunftchst  mag  erw&hnt  werden,  dass  man  häufig  die  Reihe  der  fei- 
ten Säuren  in  zwei  Abtheilungen  trennt;  indem  man  als  flflssige  Fett- 
säuren die  niederen,  meist  bei  gewöhnlicher  Temperatur  flüssigen  und 
und  unzersetzt  flüchtigen  Säuren  (etwa  bis  zur  Caprinsäure)  zusammen- 
fasst,  während  man  die  an  Kohlenstoff  reicheren,  bei  gewöhnlicher  Tem- 
peratur festen  und  nur  unter  theil weiser  Zersetzung  flüchtigen,  als  feste 
Fettsäuren  bezeichnet 

In  Betreff  der  Darstellung  der  fetten  Säuren  muss  noch  bemerkt 
werden,  dass  viele,  namentlich  die  festen  Fettsäuren,  einzig  aus  den  sie 
fertig  gebildet  enthaltenden  Substanzen,    den  Fetten  dargestellt  werden 
können;   mit  Ausnahme  der  Margarinsäure,  die  sogar  nur  künstlich, 
aus  dem  Cyanid  des  nächst-kohlenstofiarmeren  Alkohols  erhalten  worden 
le        ist  (während  ihre  Existenz  in  den  Fetten  zum  mindesten  zweifelhaft  ist); 
jjr       und  der  Melis  sin  säure,  die  ebenfalls  nicht  fertig  gebildet  in  der  Natur 
ai        gefunden,  sondern  durch  Oxydation  des  Alkohols  von  gleichviel  Eohlen- 
Ki        Stoffatomen   erhalten  wurde.     Für   manche  der  flüchtigen  fetten  Säuren 
n        bieten  einzelne  der  früher  erwähnten  künstlichen  Bildungsweisen  gleich- 
i;        zeitig  zweckmässige  Methoden  der  Darstellung  dar.     Da  z.  B.  jeder  Al- 
;x;        kohol  entweder  in  die  fette  Säure  von   gleichem  Eohlenstoffgehalt  oder 
g(        in  die  um  1  Atom  Kohlenstoff  reichere  Säure  übergeführt  werden  kann, 
0        so  sind  diejenigen. Alkohole,  die  man  sich  leicht  in  grösserer  Menge  ver- 
^        schaffen  kann,  zweckmässige  Ausgangspunkte  für  die  Darstellung  zweier 
fetten  Säuren.      Die  Baldriansäure  wird  z.  B.  vortheilhaft  durch  directe 
Oxydation  des  Amylalkohols  gewonnen.   Die  Oenanthsäure  kann  mit  Yor- 
theil  aus  dem  Cyanid   dieses  Alkohols,   dem  Cyanamyl  erhalten  werden. 
Ebenso  kann  das  Cyanid  des  gewöhnlichen  Alkohols,  das  Oyanäthyl,  mit 
Vortheil  zur  Darstellung  der  Propionsäure  dienen.     Für  (}ie  Propionsäure 
ist  ausserdem   eine  andere  Bildungsweise,    die  indirecte  Reduction  der 
Milchsäure,  eine  zweckmässige  Darstellungsmethode.   Die  Buttersäure  end- 
lich wird  am  einfachsten  durch  Oährung  des  Zuckers,  besonders  des  Milch« 
Zuckers,  gewonnen. 

Da  die  natürlichen  Fette  stets  Gemische  verschiedener  fetten  Säuren  894 
sind  und  da  auch  bei  anderen  Darstellungen,  z.  B.  bei  Oxydationen  und 
selbst  bei  Gährung,  meist  verschiedene  fette  Säuren  neben  einander  erhal- 
ten werden,  so  bieten  diejenigen  Methoden,  nach  welchen  eine  vollstän- 
dige Trennung  der  verschiedenen  fetten  Säuren  möglich  ist,  ein  beson- 
deres Interesse. 

Flüchtige  fette  Säuren  können  durch  öfter  wiederholte  fractio- 
^         nirte  Destillation  nur  sehr  unvollständig  getrennt  werden.    Eine  vollstän- 
dige Trennung  ist  nur  durch  partielles  Neutralisir en  und  Abdestil- 
liren  der  nicht  gebundenen  Säure  möglich. 

Will  man  z.  B.  Battersäure  von  Valeriansäure  scheiden,  so  sättigt  man  einen 
Theil  des  Säuregemenges  mit  Kali  oder  Natron,  fügt  die  übrige  Säure  zu  und 
destUlirt     Man  erhfilt  dann,  je  nach  den  Mengenverhfiltnissen  in  welchen  beide 


592  Fette  Sftoren. 

Säuren  vorhanden  waren,  entweder  im  Destillat  reine  Battersftnre,  während  der 
Rückstand  beide  Säuren  enthält,  oder  man  hat  im  Destillat  beide  Säuren  and  der 
Rückstand  enthält  nur  Valeriansäure.  Die  erste  Operation  gibt  also  eine  der  bei- 
den Säuren  rein.  Durch  ein-  oder  mehrmaliges  Wiederholen  der  Operation,  d.  h 
durch  partielle  Sättigung  und  Destillation  des  gemengten  Destillats  oder  des  aus 
dem  Rückstand  mit  Schwefelsäure  abgeschiedenen  Säuregemenges,  kann  auch  die 
andere  Säure  rein  erhalten  werden.  —  Enthält  das  Gemenge  Essigsäure,  so  bleibt 
diese  stets  als  saures  essigsaures  KaU  im  Destillationsrückstand  (Liebig)  *). 

Die  festen  fetten  Säuren  können  durch  mehrfach  wiederholtes 
Erjstallisiren  aus  Alkohol  nur  in  den  wenigsten  Fällen  getrennt  werden. 
Eine  vollständige  Trennung  wird  dagegen  erreicht  durch  die  von  Heintz  **) 
empfohlene  Methode  der  partiellen  Fällung  ♦♦♦). 

Man  fällt  eine  alkoholische  Lösung  des  Säuregemenges  mit  einer  zur  völli- 
gen Zersetzung  bei  weitem  ungenügenden  Menge  von  in  Alkohol  gelöstem  essig- 
saurem Blei  oder  essigsaurer  Magnesia  oder  von  in  Wasser  gelöstem  essigsaurem 
Baryt  Man  wiederholt  mit  der  aus  jedem  Niederschlag  abgeschiedenen  Satire  diese 
Behandlung  so  oft,  bis  man  eine  Säure  erhält,  die  durch  partielle  Fällung  nicht 
mehr  weiter  zerlegt  werden  kann,  bis  also  die  ans  den  zuerst  und  aus  den  »t 
letzt  gefällten  Salzen  abgeschiedenen  Säuren  gleiche  Zusammensetzung  und  gleiche 
Schmelzpunkte  zeigen. 

Nach  dieser  Methode  hat  man  gefunden,  dass  manche  der  aus  Fet- 
ten dargestellten  Säuren,  die  man  früher  für  chemische  Individuen  hielt, 
Gemenge  verschiedener  fetter  Säuren  sind.  Man  hat  z.  B.  die  frOher  als 
Margarinsäure  bezeichnete  Säure  als  ein  Gemenge  von  Palmitin- 
säure und  Stearinsäure  erkannt.  Die  nach  dieser  Methode  ange- 
stellten Untersuchungen  haben  es  ferner  wahrscheinlich  gemacht,  dass  in 
den  natürlichen  Fetten  nur  diejenigen  fetten  Säuren  vorkommen,  für  welche 
die  Anzahl  der  Eohlenstoffatome  durch  2  theilbar  ist 

Dass  für  die  festen  fetten  Säuren  der  Schmelzpunkt  das  hauptsäch- 
lichste Kriterium  der  Reinheit  ist,  ist  früher  schon  erwähnt  worden; 
ebenso,  dass  Gemenge  verschiedener  fetten  Säuren  immer  einen  niedrige- 
ren Schmelzpunkt  zeigen  als  die  am  schwersten  schmelzbare  Säure  des 
Gemenges,  und  häufig  sogar  Schmelzpunkte,  die  niedriger  sind  als  der 
des  am  leichtesten  schmelzbaren  Gemengtheils  (§.  489). 


896. 


Propionsäure  =  B^E^Oi  =  ^'^^glo. 


Sie  wurde  zuerst  1844  von  Gottlieb  f)  durch  Oxydation  desMet- 
acetons  ($.  929J  und  durch  Einwirkung  von  concentrirter  Kalilauge  auf 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXL  855. 
••)  ibid.  LXXX.  298.  —  Fogg.  Ann.  LXXZIV.  221.  u.  bes.  Joum.  prakt  Cbm. 

LXVL  1. 
***)  VgL  auch  Pebal,  Ann.  Chem.  Pharm.  ZCL  188. 
t)  Ann.  Chem.  Phann.  HL  121. 


Proploiiittara.  593 

Zucker  erhalten.  Redtenbaoher  *)  beobachtete  ihre  Bildang  bei  GHÜi- 
rong  des  Olycerins.  Strecker**)  erhielt  sie  einmal  als  er  Zucker  mit 
Kreide  und  Käse  bei  einer  22*  nicht  abersteigenden  Temperatur  g&hren 
liess.  Dumas,  Malaguti  und  Leblanc  ***),  so  wieFrankland  und 
Kolbef)  lehrten  zuerst  ihre  synthetische  Darstellung  aus  CyanäthyL 
Wanklyn  ff)  zeigte,  dass  sie  durch  directe  Vereinigung  von  Natrium- 
athyl  mit  Kohlensäure  entsteht  (§.  767);  Ulrich  fff)  erhielt  sie  durch 
indirecte  Reduction  der  Milchs&ure. 

Zur  Darstellung  der  Propionsäure  zersetzt  man  Cyanäthyl  durch  Kochen 
mit  Kalilauge,  destillirt  mit  Schwefelsäure  und  trennt  die  Propionsäure  von  der 
gleichzeitig  gebildeten  Ameisensäure  und  Essigsäure,  indem  man  die  Ameisen- 
säure durch  Quecksilberoxyd  zerstört  und  dann  die  Essigsäure  dadurch  entfernt, 
dass  man  Natronsalze  darstellt  und  krystallisiren  lässt,  wobei  das  Propionsäure 
I  Katron  stets  in  der  Mutterlauge  bleibt  (Williamson).  —  Oder  man  destillirt  milch- 

i  sauren  Kalk  mit  Phosphorsuperchlorid  und  zersetzt  das  Destillat  (Lactylchlorid  =: 

Chlorpropionylchlorid)  mit  Wasser  und  2iink. 

Die  Propionsäure  riecht  der  Essigsäure  ähnlich;  sie  löst  sich  in 
Wasser  in  jedem  Verhältniss,  wird  aber  durch  Salze  (z.  B.  Chlorcalcium) 
aus  dieser  Lösung  abgeschieden.  Ihre  Salze  sind  in  Wasser  löslich  und 
krystallisirbar. 

Chlorpropionsäure:  ^»^^^|0.  Diese  der Monochloressigsänre ($. 871) 

entsprechende  Verbindung  wurde  bis  jetzt  nicht  durch  Einwirkung  von  Chlor  auf 
Propionsäure,  sondern  durch  Zersetzung  des  bei  Destillation  von  milchsaurem 
Kalk  mit  Phosphorsuperchlorid  entstehenden  Chlorids  (Lactylchlorid)  durch  Wasser 
erhalten.  Ihr  Silbersalz  zerfällt  beim  Kochen  mit  Wasser  in  Chlorsilber  und  Müeh- 
sänre  (Ulrich). 

Nitropropionsäure:  ^«^(^^a)^|e.    Durch  Erhitzen  vonButyral  oder 

Butyron  (§§.  920,  922)  mit  Salpetersäure  und  Fällen  des  Productes  mit  Wasser 
erhielt  Chancel  *)  ein  gelbes  Gel;  aus  diesem  wird  durch  Kali  ein  in  goldgelben 
Schuppen  krystallisirendes,  beim  Erhitzen  verpuffendes  Kalisalz  erhalten,  aus  wel- 
chem durch  Mineralsäuren  die  Ölartige  Säure  wieder  abgeschieden  werden  kann. 
Die  Analyse  der  Salze  führt  zu  der  angegebenen  Formel  *,  Beziehungen  zur  Propion- 
säure sind  indessen  bis  jetzt  nicht  nachgewiesen.  Die  Substanz  hat  desshalb  In- 
teresse, weil  Nitrosubstitutionsproducte  der  fetten  Säure  bis  jetzt  nur  sehr  wenig 
bekannt  sind  (vgl.  §.  898). 

ButtersÄure:  G^H^B^  =     *^g>0.    Sie  wurde  ron  Chevreul  896. 
gelegentlich  seiner  klassischen  Untersuchungen  aber  die  Fette  (1814)  in 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  LVIL  174. 
••)  ibid.  XCIL  80. 
•••)  ibid.  LXIV.  882. 
i)  ibid.  LXV.  228. 
t+)  ibid.  CVn.  126. 
ttt)  ibid.  CDL  271. 
•)  ibid.  LEL  896. 
K«ksU,  orgam.  Oktal«.  33 


594  Pette  S&nren. 

der  Batter  entdeckt;  seitdem  ist  sie  vielfaeh  in  thierischen  Sftften,  z.  E 
der  Fleischflassigkeit,  und  in  Secreten  (namentlich  Schweiss)  beobachtet 
worden. 

Man  hat  sie  femer  im  Johannisbrod  (den  Früchten  von  Geratonia 
siliqua)  nnd  in  den  Früchten  der  Tamarinde  (Tamarindus  indica)  gefun- 
den. Sie  entsteht  ferner  bei  Oxydation  und  bei  Fäulniss  eiweissartiger 
Substanzen  und  in  besonders  grosser  Menge  bei  der  fauligen  Oährung 
der  Zuckerarten. 

Zur  Darstellung  der  Buttersäure  empfiehlt  Bensch*)  8  Eilogr.  Rohrzucker 
mit  15  Gr.  Weinsfture  in  13  Eilogr.  siedendem  Wasser  zu  lösen  und  einige  Tage 
stehen  zu  lassen;  dann  etwa  120  Gr.  faulen  ESse,  den  man  in  4  Eilogr.  saurer 
Kilch  Tertheilt  hat  und  1,5  Eilogr.  Ercide  zuzusetzen  und  das  Gemenge  an  einem 
etwa  80^  —  85®  warmen  Ort  sich  selbst  zu  überlassen.  Nach  etwa  10  Tagen  ist 
die  Masse  unter  Bildung  von  milchsaurem  Ealk  breiartig  geworden;  spfiter 
tritt  Gasentwicklung  ein  und  die  Masse  wird  wieder  dünnHOssig;  nach  5  —  6  Wo- 
chen ist  die  Gährung  beendigt  Man  setzt  zu  der  mit  dem  gleichem  Volum  Wasser 
verdünnten  Lösung  4  Eilogr.  krystallirte  Sode,  iiltrirt  vom  geföllten  kohlensauren 
Kalk  ab,  dampft  auf  etwa  5  Eilogr.  ein  und  setzt  2,75  Eilogr.,  vorher  mit  Wasser 
verdünnte  Schwefelsäure  zu.  Ein  Theil  der  Buttersäure  scheidet  sich  als  Oelschicht 
aus,  durch  Destillation  der  Salzlösung  kann  die  darin  gelöste  gewonnen  werden. 
Durch  Rectificatlon  des  mit  Chlorcalcium  getrockneten  Productes  wird  reine  bei 
166*  siedende  Buttersäure  gewonnen. 

Die  Butters&ure  ist  eine  farblose  Flüssigkeit,  die  sich  in  Wasser, 
Alkohol  und  Aether  löst  Da  sie  in  Salzlösungen  weniger  löslich  ist  als 
in  Wasser,  wird  sie  durch  leicht  lösliche  Salze  aus  der  wässrigen  Lösung 
ausgeschieden.  In  völlig  reinem  Zustand  riecht  sie  nicht  unangenehm; 
nach  längerem  Aufbewahren  dagegen  widerlich  nach  ranziger  Butter. 

Bei  längerem  Eochen  mit  Salpetersäure  geht  die  Buttersäure  in  Bernstein- 
säure  über  (vgl.  §.  822).  Bei  Einwirkung  von  Chlor  auf  Buttersäurc  im  Sonnen- 
licht entstehen  Substitutionsproducte ,  die  nocli  nicht  näher  untersucht  sind  **). 
Phosphorsuperchlorid  erzeugt  mit  Buttersäure  Butyrylchlorid  (§.  909).  Lässt  man 
Bromdampf  bei  gewöhnliclier  Temperatur  auf  buttersaurcs  Silber  einwirken,  so  ent- 
steht Honobrombuttersäure  (Borodine). 

£1  IT   A» 

Thiobu^tyrylsäure:        *   'j;>S     von    Ulrich    durch    Einwirkung    von 

Schwefelphosphor  auf  Buttersäure  erhalten,  ist  eine  widerwärtig  riechende  bei  130^ 
siedende  Flüssigkeit,  die  sich  in  Wasser  wenig,  leicht  in  Alkohol  löst. 

397  Butteressigsäure.    Nöllner***)   erhielt  1841  als  Product  der 

Oährung  von  rohem  weinsaurem  Ealk  eine  eigenthttmliche  Säure  von  der 
Zusammensetzung  der  Propionsäure  GaHeO].    Limpricht  u.  v.  Uslarf) 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXI.  177. 
**)  Pelouze  und  G61is ,  Ann.  Chem.  Pharm.  LU.  289. 
•••)  Ann.  Chem.  Pharm.  XXXVIU.  299.    Vgl.  femer:    NicUös,   ibid.  LXI.  848; 
Dumas,  Malaguti  u.  Leblanc,  ibid.  LXIV.  329. 
t)  ibid.  XCIV.  321. 


ValeriaiiBttiire.  595 

zeigten  sp&ter,  duss  diese  Säare  eigenthfimliche  Salze  zu  bilden  im  Stande 
ist,  dass  sie  aber  bei  fractionirter  Destillation  in  Essigsäure  und  But- 
tersäure zerfällt  (eeHi204  =  ejH^Oj  +  ©A^a). 

Valeriansäure.   Baldriansäure:   ^*^*g|e.  Von  Chevreul  1817  898. 

im  Delphinöl  entdeckt.  Die  Baldriansäure  scheint  im  Pflanzenreich  ziem- 
lich verbreitet  zu  sein  \  man  hat  sie  in  der  Baldrianwurzel,  der  Angelika- 
wurzel, der  Wurzel  vnn  Athamanta  oreoselinum,  den  Früchten  von  Vi- 
bumum  opulus  etc.  gefunden.  Sie  entsteht  häufig  bei  Oxydation  von 
,  Fetten ,  bei  Oxydalion  und  auch  bei  Fäulniss  eiweissartiger  Substanzen  etc. 

I  Der  Amylalkohol  (§.  694)  liefert  bei  Oxydation  Valeriansäure  ♦)    (neben 

Valeraldehyd  und  Valeriansäure- Amyläther). 
t  Zar  Darstellung  der  V&leriansfiare  eignet  sich  am  besten  die  folgende  Me- 

i  thode.    Man  lässt  ein  Gemenge  Ton  Amylalkohol  (iTh.)  mit  Schwefelsäure  (2Th.) 

I  langsam  zu  einer  Lösung  von  saurem  chromsaurem  Kali  (5  Th  )  in  Wasser  zuflies- 

I  sen  und  erhitzt,   sobald  ohne  Erwärmung  keine  Reaction  stattfindet,  längere  Zeit 

I  mit  aufwärts  gerichtetem  Kahlrohr,   nm    den    anfangs  gebildeten  Valeraldehyd  zu 

t  Yalerianräure  zu  oxydiren.      Man  destillirt  dann  ab,  sättigt  das  Destillat  mit  koh- 

\  lensanrem   Natron,    entfernt  den  Valeriansäure  -  Amyläther  durch  Destillation  und 

I  destillirt  die  trockne  Masse  mit  ^/^  ihres  Gewichtes  Schwefelsäure,   die  mit  der 

Hälfte  Wasser  verdünnt  ist 

'  Die  Valeriansäure   ist  eine  farblose  Flüssigkeit  von  eigenthflm- 

lichem  Geruch;  sie  löst  sich  in  30  Th.  Wasser  von  12<';  mit  Alkohol 
und  Aether  ist  sie  mischbar. 

Die  Valeriansäure  liefert  bei  Zersetzung  ihres  Kalisalzes  durch  den  galvani- 
schen Strom  Butyl  (§.  698)  *,  durch  Oxydation  mit  Übermangansaurem  Kali  in  alka- 
lischer Lösung  gibt  sie:  Buttersäure,  Propionsäure,  Essigsäure  und  Oxalsäure  (Neu- 
bauer) **).  Leitet  man  Valeriansänrc  in  DampfTorm  durch  eine  glühende  Röhre, 
so  entsteht  Kohlenoxyd,  Kolilensäurc  und  ein  Gemenge  von  Kohlenwasserstoffen, 
in  welchem  viel  Propylen;  63!!,  enthalten  ist  (Hoümann)  •♦♦). 

Nitrovaleriansäure:  65H9(N02)^a  wurde  von  Dessaignes  f)  durch 
IStägiges  ununterbrochenes  Kochen  von  Valeriansäure  mit  concentrirter  Salpeter- 
säure erhalten.    Sie  krystallisirt  in  gelben  Tafeln,  die  bei  etwa  100^  sublimiren. 

Chlorsubstitutionsproducte  der  Valeriansäure  (6511,01303  und 
65H,Cl.|Oj)  ++)  sind  von  Dumas  und  Stas  durch  Einwirkung  von  Chlor  auf  Va- 
leriansäure. erhalten  worden.  Durch  Einwirkung  von  Brom  auf  valeriansaures  Sil- 
ber wird  Monobromvaleri  an  säure:  O^H^BrO^  erhalten,  sie  ist  eine  farblose 
Flüssigkeit,  die  sich  bei  der  Destillation  zersetzt  (Borodine). 


*)  Dumas  u.  Stas,  Ann.  Chem.  Pharm.  XXXV.  145.    Baiard,  ibid.  lÄL  811. 
••)  Ann.  Chem.  Pharm.  CVI.  62. 
•••)  ibid.  LXXVIL  161. 

t)  ibid.  LXXIX.  374. 
tt)  ibid.  XXXV.  149. 

38  ♦ 


596  P«^  Säuren. 

699.  Caprons&ure:  OnHi^Oj*    ^i^  findet  sich  in  vielen  Fetten.   Che* 

yreul  entdeckte  sie  1818  in  der  Butter;  Fchiing*)  lehrte  ihre  Dar- 
stellung aus  Cocosnussöl.  Sie  entsteht  sehr  h&ufig  bei  Oxydation  von 
Fetten  mit  Salpetersäure,  bei  Oxydation  eiweissartiger  Substanzen  etc. 
Sie  entsteht  femer  beim  Erhitzen  des  Caproylalkohols  ($.  696)  mit  Kali 
und  kann  synthetisch  durch  Zersetzung  des  Amylcyanids  ($.  695)  gewon- 
nen werden  (Frankland  u.  Kolbe)  **).  Die  nach  der  letzteren  Methode 
dargestellte  Capronsäure  lenkt,  wie  der  Amylalkohol  selbst,  die  Ebene 
des  polarisirten  Lichtes  nach  rechts  ab,  während  die  Säure  aus  Cocos- 
nussöl optisch  unwirksam  ist  (Wurtz)  •*♦). 

Die  Capronsäure  löst  sich  in  96  Th.  Wasser  und  ist  mit  Alkohol 
mischbar. 

Vaccinsfiure  hat  Lerchf)  eine,  wie  es  scheint,  der  Batteressigsänre  enU 
sprechende  Säure  genannt,  deren  fiar3rtsalz:  G^H^BaO^  ausBatter  erhalten  wurde. 
Frisch  dargestellt  kann  dieses  Barytsalz  umkrystallisirt  werden,  ohne  sich  zu  ver- 
ändern; ist  es  dagegen  durch  Liegen  an  der  Luft  verwittert,  so  krystallisiren  aus 
der  Lösung  buttersaurer  und  capronsaurer  Baryt  neben  einander  i2BJIipO^ 

900.  Oenanthylsäure  —  €7H|403|.    Von  Laurent  1837  als  Oxyda- 

tionsproduot  mancher  Fette  entdeckt  Sie  bildet  sich  namentlich  bei  Oxj- 
dation  des  Ricinusöls  (Tilley)  ff)  und  bei  Oxydation  des  aus  diesem 
durch  Destillation  entstehenden  Oenanthols  (Bussy  vgl.  $.918).  Sie  riecht 
angenehm  aromatisch  und  ist  in  Wasser  nur  wenig  lösUch. 

Caprylsäurefff)  —  ©sHiaOj.  Von  Lerch  1844  in  der  Butter 
entdeckt  und  seitdem  auch  in  andern  Fetten  z.  B.  dem  Cocosnussöl  auf- 
gefunden. Sie  krystallisirt  bei  10®  in  feinen  Nadeln  oder  in  Blättchen, 
die  bei  14  — 15®  schmelzen;  sie  siedet  bei  236^  —  240®. 

Pelargonsäure  *)  O^HjgOj.  Sie  wurde  vonPless  1846  in  dem 
bei  Destillation  der  Blätter  von  Pelargonium  roseum  mit  Wasser  ent- 
stehenden ätherischen  Oel  aufgefunden.  Redtenbacher  erhielt  sie  bei 
Oxydation  der  Oelsäure;  Gerhardt  u.  Cahours  durch  Oxydation  des 
Rautenöls. 

Bei  dieser  letzteren  Darstellung  entsteht  bisweilen   eine  eigenthümliche  als 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  LIIL  406. 

•^)  ibid.  LXIX.  803.  und  Brazier  u.  Gossleth,  ibid.  LXXV.  249. 
•••)  ibid.  CV.  295. 

t)  ibid.  XT.IX.  227. 
tt)  ibid.  XXXIX.  160. 
tft)  Vgl.  bes.  Lerch,  Ann.  Chem.  Pharm.  XUX.  223.  —  Fehling,  ibid.  LOI.  899. 
*)     „      „    Pless,  ibid.  LIX.  54.  —  Redtenbacher,  ibid.  LIX.  62.  —  Gerhardt 
u.  Cahours,  ibid.  LXVII.  245. 


PalmltixiBftiire.  597 

Stickoxyd-Pelargonsäure  *)  bezeidinete  Substanz  ß^Ei^^^i  ^a^a;   <^®  l>ü 
jetzt  fast  ohne  Analogie  dasteht 

Oenanthsfiure.  Aus  Oenanthäther  (§.907)  haben  Liebig  und  Pelouze 
eine  S&ure  erhalten,  die  mit  der  Pelargonsfture  grosse  Aehnlichkeit  zeigt  und  von 
manchen  Chemikern  für  mit  dieser  identisch  angesehen  wird  **). 

Gaprinsfture,  RatiDsäure  ***) :  Oi^HscOa-  Sie  findet  sich  in  vielen 
Fetten,  namentlich  in  der  Butter  und  im  Cocosnussöl.  Sie  entsteht  bei 
Einwirkung  von  verdflnnter  Salpetersäure  auf  Rautenöl,  welches  wesentlich 
aus  dem  Aldehyd  der  Gaprinsäure  ($.  916)  besteht  (Gerhardt)  (vgl.  auch 
S.  430  Anm.). 

Laurinsäure.    Laurostearinsäure  f ) :     G12H22O2.      Die   Glycerin-  901. 
Verbindung  dieser  Säure  ist  in  den  Lorbeeren  (Laurus  nobilis),  den  Pichu- 
rimbohnen  (Nectandra  Pichury)  und   dem  Gocosnussfett  (Gocos  nucifera) 
aufgefunden  worden. 

Cocinsfture.  Cocostearinsäure  G^HsiO).  Die  Existenz  dieser  ans  dem 
Cocosnussöl  dargestellten  Säure  ist  durch  neuere  Versuche  zweifelhaft  geworden. 
Sie  ist  wahrscheinlich  ein  Gemenge  verschiedener  Säuren. 

Myristinsäure  ft)'  ^lÄs^a»  VonPlayfair  1841  in  der  Mus- 
katbutter (Myristioa  moschata)  gefunden,  kommt  nach  Heintz  auch  im 
Wallrath  vor. 

Bensäure:  G15H30O2  ist  nach  Walter  in  den  Nüssen  von  Moringa  aptera 
enthalten ;  sie  schmilzt  bei  62  —  68^ 

Palmitinsäure  fff):  Gi^E^Q^.  Die  Palmitinsäure  scheint  eine 
der  am  häufigsten  vorkommenden  fetten  Säuren  zu  sein;  wenigstens  ma- 
chen es  die  Versuche  von  Heintz  wahrscheinlich,  dass  alle  früher  als 
Margarinsäure  bezeichneten  fetten  Säuren  Gemenge  sind  von  Palmitinsäure 
mit  Stearinsäure,  die  nach  der  Methode  der  partiellen  Fällung  ($.  894) 
getrennt  werden  können.  Sie  findet  sich  in  besonders  reichlicher  Menge, 
und  zwar  zum  Theil  (oft  bis  1/3)  in  freiem  Zustand,  im  Palmöl.  Sie  ent- 
steht beim  Erhitzen  von  Getylalkohol  ($.  699)  mit  Ealihydrat  oder 
Kalikalk  (Dumas  u.  Stas)  und  beim  Erhitzen  der  Gel  säure:  GieHsoO^ 
mit  Ealihydrat  (Varrentrapp)  vgl.  $.  824. 

Die  Palmitinsäure  krystallisirt  aus   alkoholischer  Lösung  in  feinen 


*)  Vgl.  auch  Chiozza,  ibid.  LXXXV.  226. 
••)  liebig  u.  Pelouze,  ibid.  XIX  241. 
•••)  Vgl.  bes.  Lerch,  ibid.  XUX.  223.  —  Görgey,  ibid.  LXVI.  290.  -    Gerhardt, 
ibid.  LXVII.  246. 
t)  Vgl.  bes.  Marsson,  [ibid.  XLL  883.  —    Sthamer,  ibid.  LIIL  890.  —   Görgey, 
ibid.  LXVI.  290. 
+t)  Playfair,  Ann.  Chem.  Pharm.  XXXVII.  162. 
fff)  Vgl.    bes.    Heintz,    Ann.    Chem.   Pharm.    LXXX.    299;      LXXXIV.    297; 
LZXXVm.  296. 


598  Fette  Sftüren. 

weissen  Nadeln;  die  geschmolzene  Sfture  erstarrt  beim  Erkalten  schuppig 
krjstallinisch« 

Durch  Einwirkung  von  Chlor  auf  Palmitinsäure  hat  Fremy  verschiedene  Sab- 
stitutionsproducte  erhalten,  die  noch  nicht  näher  untersucht  sind. 

902.  Margarinsäure:  O17H34O2.     Durch  Zersetzung  von  Cyancctyl  mit 

Kalilauge  hat  Becker*)  eine  feste  fette  Säure  erhalten,  die  schuppig 
krystallinisch  erstarrt.  Nach  Bildungsweise  und  Analyse  ist  diese  Säure 
wirkliche  Margarinsäure,  der  niedrige  Schmelzpunkt  (53®)  scheint  anzu- 
deuten, dass  die  untersuchte  Säure  nicht  völlig  rein  war. 

Dass  die  von  Chevreul  als  Maigarinsäure  bezeichnete  Säure,  die  in  üast 
allen  Fetten  enthalten  ist,  wahrscheinlich  keine  selbststfindige  Säure,  sondern  ein 
Gemenge  von  Palmitinsäure  und  Stearinsäure  ist,  wurde  oben  schon  erwähnt.  Es 
ist  in  der  That  für  alle  s.  g.  Margarin säuren,  die  in  neuerer  Zeit  untersucht  wor- 
den sind,  gelungen  durch  partielle  Fällung  Palmitinsäure  und  Stearinsäure  abzu- 
scheiden; und  man  erhält  ferner  durch  Zusammenschmelzen  von  1  Th.  Stearinsäure 
mit  9  Th.  Palmitinsäure  ein  Gemenge,  welches,  wie  die  aus  Fetten  dargestellte 
s.  g.  Margarinsäure  bei  60®  schmilzt  und  nadlich  krystallinisch  erstarrt. 

908.  Stearinsäure  •♦):  Gi^U^^O^*  Diese  ebenfalls  von  Chevreul  ent- 

deckte Säure  findet  sich  mit  der  Palmintinsäure  in  fast  allen  Fetten. 

Zur  Darstellung  reiner  Stearinsäure  löst  man  gewöhnliche  Seife  in  6  Th. 
hdssem  Wasser  und  setzt  40  —  50  Th.  kaltes  Wasser  zu,  wodurch  sich  perimutter- 
glänzende  Schuppen  ausscheiden,  die  ein  Gemenge  von  saurem  palmitinsaurem  und 
saurem  stearinsaurem  Katron  sind.  Man  löst  in  heissem  Alkohol  und  lässt  eiical- 
ten;  das  weniger  lösliche  Stearinsäure  Salz  scheidet  sich  zuerst  aus  und  wird  durch 
eine  Säure  zersetzt.  Die  so  erhaltene  Säure  kann  durch  mehrmaliges  Umkrystalli- 
siren  völlig  von  der  löslicheren  Palmitinsäure  getrennt  werden.  Auch  durch  par- 
tieUe  Fällung  kann  die  Stearinsäure  leicht  von  andern  fetten  Säuren  getrennt  wer- 
den, sie  wird  dabei  vor  der  Palmitinsäure  gefällt. 

Die  reine  Stearinsäure  krystallisirt  aus  Alkohol  in  Blättchen  und 
erstarrt  schuppig  krystallinisch.     Sie  schmilzt  bei  69^,2. 

Gemenge  von  Stearinsäure  mit  Palmitinsäure  schmelzen,  wie  schon 
erwähnt  (§.  489)  bei  Temperaturen,  die  niedriger  liegen  als  die  Schmelzpunkte  der 
beiden  Gemengtheile  in  reinem  Zustand.    Man  fand  z.  B.: 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CII.  209.    —    Hcintz,  Pogg.  Ann.  CIL  257;    Jahresber. 
1657.  855. 

^*)  Vgl.  bes.  Redtenbacher,  Ann.  Chem.  Pharm.  XXXV.  46.  Gottlieb,  ibid.  LVJL 
88.  —  Heintz,  ibid.  LX2CXIV.  297. 


Anhydride.  599 


Steftrinsänrc. 

Palmitinsäare. 

Schmelzpunkt. 

100 

0 

69.2 

80 

20 

65.3 

60 

40 

60.3 

40 

60 

56.8 

80 

70 

66.1 

10 

90 

60.1 

0 

100 

62.0 

Die  gewöhnlichen  Stearinkerzen  Bind  solche  Gemenge  dieser  beiden  fetten 
Säuren.  Die  Methoden  der  fabrikm&ssigen  DarsteUung  derselben  werden  spftter 
gelegentlich  der  Oelsäure  mitgetheilt. 

Arachin säure  *):  620H40O3  warde  im  Erdnussöl  (Arachis  hypo- 
goea)  Yon  Gössmann  aufgefunden. 

Behensäure  **):  O22H44O2  1^^  ^^  ^^^^  ^^^  Behennasse  (Horinga 
Nux  Beben,  Moringa  oleifera)  enthalten.    Sie  schmilzt  bei  76®. 

Gerotinsäure  ***):   G27H54O29    findet  sich  im  freien  Znstand  im  904. 
Bienenwachs   und  als  Gerotinsäure -Geryläther    im    chinesischen   Wachs. 
(Brodle.)     Sie  schmilzt  bei  78®  und  krystallisirt  aus  der  alkoholischen 
Lösung  in  Körnern. 

Behandelt  man  Bienenwachs  mit  siedendem  Alkohol,  so  löst  eich  die  Cero- 
tinsänre  (Cerin)  auf  und  es  bleibt  Myricin  (Palmitinsäure -Myricyläther).  Zur 
völligen  Reinigung  der  Ccrotinsfinre  föllt  man  die  heisse  alkoholische  Lösung  mit 
einer  heissen  alkoholischen  Lösung  von  Bleizucker,  zieht  den  Niederschlag  mit 
Alkohol  und  mit  Aether  aus,  zersetzt  ndt  concentrirter  Essigsäure,  wascht  die  ab- 
geschiedene Sfture  mit  siedendem  Wasser  und  krystallisirt  aus  Alkohol  um. 

Melissinsäuref):  G2oH^02,  sie  ist  nicht  fertig  gebildet  in  der 
Natur  gefunden  worden.  Man  erhält  sie  durch  Erhitzen  des  Myricylalko- 
hols  (§.  704)  mit  Natronkalk.  Sie  gleicht  der  Gerotinsäure  und  schmilzt 
bei  88»  — 89<>. 

Anhydride  der  fetten  Säuren. 

Die  Anhydride  der  fetten  Säuren  wurden  von  Gerhardt  1852  ent-  906. 
deckt.    Die  Bildung  und  das  chemisoheYerhalten  der  Anhydride  ist  oben 
(J.  813)  besprochen;  es  genügt  iiier   die  bis  jetzt  bekannten  Anhydride 
zusammenzustellen. 


*)  Gössmann,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXXIX.  1.  ~   Gössmann  u.  Scheren,  ibid. 

XCVn.  257. 
•♦)  Völcker,  ibid.  LXIV.  342.  -  Strecker,  ibid.  LXIV.  346. 
••♦)  Brodie,  ibid.  LXVIL  180. 
t)  Brodie,  ibid.  LXXL  149. 


600 


Fette  Staren. 


Formel. 

Schmels- 
ponkt 

Siedepunkt 

Esfligsfture-aiihydrid  *) 

188« 

Propionsftare-anhydrid  **) 

lÄII» 

16Ö« 

Battenftore-anhydrid  •••) 

190*  (etw») 

Valerianstture-anhydrid  f  ) 

ISIt* 

216«  (etwa) 

Capronsänre-anhydrid  ff) 

OenaBthyMnre^hydrid  fff ) 

unter  0* 

290*  (etwa) 

Pelargonsänre-ftohydrid  **) 

+  »• 

PalmitiiiBftiirMiihydrid  «•*) 

+  68»8 

Aether   der   fetten   Sfturen    mit    den    einatomigen    Alkohol- 

radicalen:   GoHsa-fi. 

906.  Im  Folgenden  sind  zan&ohst  die  bis  jetzt  bekannten  Aeiber  Eusam- 

mengestellt 


•)  VgL  5.  862. 

••)  limpricht  nnd  v.  Uslar,  Ann.  C9iem.  Pharm.  ZCIY.  822. 
•••)  Gerhardt,  ibid.  LXXXVn.  165. 
f)  Ghioaaa,  ibid.  LXZXIV.  106. 
ff)  Oüoua,  ibid.  LZXXVI.  269. 
fff)  Malerba,  ibid.  XCl.  102. 
^)  Chioua,  ibid.  LXXXV.  229. 
••)  Chiossa,  ibid.  LXXXV.  281. 
^«)  Makrba,  ibid.  Xa  104. 


AcuorartUL 


601 


Empirische 
Formel. 

RationeUe 
Formel. 

Siedepnnkt 
berechnet  geftinden. 

Schmelz- 
pnnkt 

AmeiBensfture-Methyläther 

^2^40, 

eH0U 

86» 

88« 

Essigs&Bre-Methylftiher 

OjH^Oj 

^•1^1^ 

66« 

66» 

AmdBens.  Aethylftther 

^J^ 

66» 

E«8ig8.  Aethylftther 

« 

^§fj^ 

74» 

74« 

Bntters.  MethyUther 

^A»ö'» 

^*lt1h 

98» 

96» 

PropionB.  Aethylftiher 

^•e^lh 

96»- 
98« 

Essigs.  Propylftther 

^'Äj^ 

cjrea 

AmeisenB.  Batyläther 

gegot 
100« 

Valerians.  Methylftiher 

Qfiii&i 

^•5i,!l^ 

112» 

116» 

Bntters.  Aethylfither 

^&^^ 

1U»6 

Essigsfture-Bntylftther 

^^^th 

lU« 

Ameisens.  Amyläther 

114» 

Caprons.  Methyläther 

€,H,«0, 

^•Xh 

181» 

180  (?) 

Yalerians.  Aethylftther 

^^^ 

188* 

Butten.  Propylftther 

^^.ia^ 

um 

ISO« 

Essigs.  Amyiather 

^fjty 

188» 

Caprons.  Aethylftther 

Bfiifßt 

%'^ji^ 

160» 

162  (?) 

Propions.  Amylftther 

Wi^ 

165 
(etwa) 

602 


Fette  Slnrai. 


Empirische 
Formel 

RaüoneUe 
Formel 

Siedi»unkt 
berechnet  gefanden. 

Schmeb- 
ponkt 

Caprjls.  Methyläther 

OjHjgOj 

^•Xl^ 

169* 

Oenaathfl.  Aethyläther 

^'Ifi^ 

Bauers.  AmyliUher 

e4H,ou 

173- 
176* 

1 

Capryls.  Aethyläther 

OioHj(|0a 

^'If}^ 

I8S0 

214  (?) 

Valerians.  Amyläther 

^f^y 

188« 

Essigsäure-Capryläther 

19S* 

Pelargonsäure-Aethyläther 

OiiHja^j 

^•?ik!l^ 

207* 

216- 
218* 

Capronsäure- Amyläther 

211« 

Caprinsäure-Aethyläther 

612H3403 

^"SiCI^ 

226» 

Laurinsäure-Aethyläther 

^lAs^j 

®'»|»»i^jo 

264« 

264« 

— lO* 

Myristinsäare-Aethyläther 

^ifHjjOj 

^"e^hl!^ 

Palmitinsäare-Aethyläther 

^is^if^a 

^"SVh!^ 

24*^ 

Essigsänre-Getylätlier 

6jH3O)0 

18*,5 

Stearins.  Methyläther 

^i»H„Oa 

^"Xh 

85*(?) 

Stearins.  Aethyläther 

^"e^!K| 

83*7 

Arachins.  Methyläther 

öaiH4jOj 

^'•^K 

54* — 
54«,5 

Palmiüns.  Amyläther 

^"6^3^ 

IS*^ 

Aethenrten. 


603 


Empirische 
Formel. 

Rationelle 
Formel. 

Siedepunkt 
berechnet,  geftinden. 

Schmelz- 
ponkt 

ArachiDS.  Aethyläther 

^21^44^2 

^"eVHÜ^ 

60« 

Stearins.  Amyläther 

O23H4,02 

^"i^y\ 

25»,ö 

Arachins.  Amyläther 

^25Hm^2 

•46* 

Cerotins.  Aethyläther 

^2f^ö8^2 

^"if}^ 

69* - 
60« 

Palmitins.  Cetyläther 

OssHg^O) 

x^y 

49* 

Palmitins.  Myricylathcr 

^4€^f2^2 

729 

Cerotins.  Geryläther 

^•4^108^2 

^eM^ 

82» 

Man  sieht  leicht  aus   den    mitgetheilten  Formeln ,   dass  unter  den  907. 
Aethem  der  fetten  Säuren  zahlreiche  Metamerieen  stattfinden  (vgl.  §.314); 
diese  Aether  sind  zudem  isomer  mit  den  fetten  Säuren;  sie  sind  ferner 
polymer  mit   den  Aldehyden,   den  Acetonen  (§.  912)  und  mit  einzelnen 
andern  Körpern,  wie  Aethylenoxyd ,  Allylalkohol  etc. 

Die  Siedepunkte  steigen  mit  zunehmendem  Moleculargewicht;  die 
Siedepunktsdifferenz  beträgt  annähernd  19®  für  die  Zusammensetzungs- 
differenz  OHj  (vgl.  §.  477).  Alle  Aether  sind  ohne  Zersetzung  flüchtig; 
die  meisten  sind  bei  gewöhnlicher  Temperatur  flüssig;  die  mit  höherem 
Moleculargewicht  sind  fest  und  krystallisirbar.  Alle  Aetherarten  der  fetten 
Säuren  sind  in  Alkohol  und  in  Aether  löslich;  die  Anfangsglieder  der 
Reihe  lösen  sich  aach  in  Wasser,  werden  aber  durch  Salze  aus  der  wäss- 
rigen  Lösung  ausgeschieden. 

Bildung,  Darstellung  und  Eigenschaften  dieser  Aether  sind  früher 
besprochen  worden  (vgl.  $.  812  und  $$•  B35.  857);  dass  einzelne  Aether, 
namentlich  der  Yaleriansäure-Amyläther  auch  bei  directer  Oxydation  des 
betreffenden  Alkohols  (Amylalkohol)  entstehen,  wurde  $.  812  erwähnt 
(vgl.  auch  8.  917). 

Oenanthäther.  Als  Oenanthäther  wurde  von  Pelonze  und  liebig  *)  die 
ätherartige  Flüssigkeit  beschrieben,  die  bei  Destillation  von  Wein  oder  von  Wein- 
hefe  erhalten  wird  und  die  dem  Wein  seinen  Gerach  (Blnme,  Boaquet)  verleiht 


^)  Ann.  COiem.  Pharm.  ZIX.  241. 


604 


Chloride  der  fetten  Sftoxen. 


Es  wurde  §.  900  schon  erwfihnt,  dass  viele  Chemiker  die  aus  diesem  Aether  abge- 
schiedene Oenanthsäore  fOr  identisch  mit  Pelargonsäare  halten. 

906.  Dass  elDzelne  Aetberarten   der  fetten  S&uren,  namentlioh  die  ycd 

höherem  Moleculargewicht,  fertig  gebildet  in  der  Natur  vorkommen,  wurde 
S.  826  erwähnt  Es  sind  dies:  Palmitinsäure-Cetyläther  (Cetin), 
der  in  Olein  gelöst  in  den  Höhlen  der  Schädelknochen  einiger  Phjseter- 
und  Delphinusarten  Yorkommt  und  den  Hauptbestandtheil  des  sogenannten 
Wallrath's  ausmacht;  und  ferner  die  sogenannten  Wachsarten.  Von 
diesen  sind  die  wichtigsten:  das  Bienenwachs  (Hauptsubstanz  der  Bie- 
nenzellen), bestehend  aus:  Cerotinsäure (Gerin)  und  Hyristin  (Palmitin- 
säure-HyricjIäther)  und  das  chinesische  Wachs  (Cerotinsäure-Ceryl- 
äther) ,  welches,  ähnlich  wie  das  Bienenwachs,  von  Insecten  (Coccus  ceri- 
ferus)  abgesondert  wird. 

Chloride,  Bromide,  Jodide  der  fetten  Säuren. 

909.  Die  Chloride  der  fetten  Säuren,   von  welchen  Cahours*)  schon 

1847  einige  (namentlich  das  Butyrylchlorid)  darstellte,  waren  längere  Zeit 
vergessen  und  verkannt**),  bis  sie  Gerhardt  1852  — 1854  genauer 
untersuchte. 


Formel. 

Sied^ankt. 

Aeetylehlorid  ***) 

e,H,  0.C1 

66» 

ButTTylcblorid  f) 

e^B,  e.ci 

95» 

Valeiylchlorid  ff) 

e5H,e.ci 

115» 

Pelargylchlorid  ftt) 

e,H„e.ci 

220» 

Aoetylbromid  *) 

e,H,  O.Br 

81« 

Aoetyljodid  *•) 

ejH,  e.j 

108» 

ButTTjrljodid  *••) 

e,E,  o.  j 

146«— 148» 

Yaleiyljodid 

ecH,  e.j 

168» 

•)  Compt  rend.  XXY.  724. 

*•)  Vgl.  z.  B.  Gmelin,  Handb.  d.  org.  Chemie.  4.  Anfl.  Bd.  U.  5.  241. 
•••)  Vgl.  S-  869. 
t)  Gerhardt,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXXVÜ.  71. 
ff)  Moldenhaner,  ibid.  XCIY.  102. 
ftt)  Cahonrs  1850.  Quart  Joum.  of  the  Chem.  Soa  m.  240. 
•)  Ritter,  Ann.  Chem.  Pharm.  XCV.  209.  vgl.  §.  860. 
••}  Guthrie,  ibid.  CIIL  885.  vgl.  S-  861. 
•^)  Cahonrs,  ibid.  CIV.  111. 


Amide  der  fetten  SftnieiL 


605 


Dem  froher  (§.  807)  über  Bildung  und  Eigenschaften  dieser  Körper 
Hitgetheilten  ist  hier  nichts  Weiteres  beizufflgen ;  far  die  Darstellung  kön- 
nen die  betreffenden  Acetylverbindungen  ($$.  859  —  861)  als  Huster 
dienen. 

Es  mnss  hier  nur  noch  eines  Versuches  von  Freund*)  erwähnt  910. 

werden,   nach  welchem  es  wahrscheinlich  ist,   dass  bei  Einwirkung  von 

Natriumamalgam  auf  die  Chloride  der  fetten  Sfturen ,  die  Radicale  dieser 

Säuren  isolirt  werden  können.     Lässt  man  nämlich  Natriumamalgam  auf 

Butjrylchlorid   einwirken  und  destillirt,  so  wird  eine  bei  der  Recti- 

fication  zwischen  250®  und  260®  siedende  neutrale  Flüssigkeit  erhalten, 

G  H  0> 
die  nahezu  die  Zusammensetzung  des  Butyryls:  g'g^^f  zeigt 


Amide  der  fetten  Säuren. 


911. 


Formel 


Schmelz- 
punkt. 


Siedepunkt 


Aoetamid 
Propionamid  *) 
Bntyramid  •*) 
Yaleramid  •♦*) 
Oenanthamid  f  ) 
Caprinamid  ff) 
Palmitamid  fff) 


HVN 

h(n 

hSn 
h\ 

hJn 
Hi 

H  N 
H 


79« 


223® 


über:  210 


115« 


216« 


95» 


unter  100* 


etwa  60* 


^)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXYIII.  88. 

••)  Dumas,  MalaR^ti,  Leblanc,  Ann.  Chem.  Pharm.  LIQV.  884. 
*^^)  Chancel,  Compt  rend.  XVHL  949. 

t)  Cbiozza  o.  Malerba,  Ann.  Chem.  Pharm.  XCL  108. 
tt)  Bowney,  ibid.  T.XTffX.  248. 
ttt)  BouUay,  Journal  de  Pharm.  [8]  V.  829. 


606  Fette  Siucn. 

Alle  diese  Amide  sind  durch  EinwirkoDg  yon  Anunoniak  anf  die 
betreffenden  Aeiher  dargestellt,  das  Acetamid  und  Batjramid  aus- 
serdem durch  Destillation  der  Ammoniaksalze.  Das  Palmitamid  (Margai^ 
amid)  entsteht,  nach  Bonllay,  durch  Einwirimng  von  Ammoniak  anf 
Olivenöl.  In  Betreff  der  Bildung  und  Eigenschaften  der  Amide  vgl. 
SS.  815  und  865. 

Aldehyde  und  Acetone  der  fetten  Säuren. 

912.  Die  Aldehyde  und  Acetone,  aber  deren  Bildung  und  Verhalten  schon 

fraher  das  Wichtigste  mitgetheilt  wurde  (vgl  58.  803,  805,  808)  zeigen 
häufige  Isomerieen,  was  leicht  schon  aus  den  folgenden  aUgemeinen 
Formeln  ersichtlich  ist. 

Empirische  Formel.      Aldehyd.  Aceton.  Aceton. 

G.Ho.e         GaHia-iO^       e.nin_,e(       G«Hi._iet 

Sie  sind  ferner  polymer  mit  den  Hydraten  der  fetten  Säuren  und  mit 
den  mit  diesen  Säurehydraten  isomeren  Aetherarten  der  fetten  Säuren: 

Säurehydrat  Aether. 

t 

Auch  Aethylenoxyd:  e^E^.(^  und  AUylalkohol:  ^'^JO  sind  mit 
Aldehyd  und  Aceton  isomer. 

918.  Die  wirklichen  Aldehyde  sind  wesentlich  charakterisirt  durch 

die  Leichtigkeit,  mit  welcher  sie  durch  Oxydation  in  fette  Säuren  Ober- 
gehen. Sie  verbinden  sich  mit  Ammoniak  zu  Aldehydammoniaken  und 
geben  mit  sauren  schwefligsauren  Salzen  krystalüsirbare  Verbindungen. 
Sie  entstehen  bei  directer  Oxydation  der  Alkohole,  und  bei  manchen  an- 
dern Reactionen,  z.  B.  bei  Oxydation  eiweissartiger  Körper.  Jede  nach 
der  Formel:  6bH<2i,0  zusammengesetzte  Substanz,  welche  die  oben  ange- 
gebenen charakteristischen  Eigenschaften  besitzt,  kann  als  wirklicher 
Aldehyd  angesehen  werden. 

914.  Die  Acetone  können  wie  oben  (§.  808)  erwähnt,  als  Aetherarten 

der  Aldehyde  betrachtet  werden.  Sie  geben  zum  Theil,  wie  die  Aldehyde, 
mit  sauren  schwefligsauren  Alkalien  kiystallisirte  Verbindungen ,  sind  aber 
weit  weniger  leicht  oxydirhar  und  geben,  wenn  die  Oxydation  gelingt, 
nicht  die  entsprechende  fette  Säure  von  gleichviel  Eohlenstoffatomen. 

Die  Acetone  werden  wesentlich  durch  zwei  Reactionen  gebildet. 
Die  erste  (synthetische)  Bildungsweise  —  Einwirkung  des  Chlorids  eines 
Säureradicals  auf  die  Zinkverbindnng  eines  Alkoholradicals  — ^  liefert  Fto- 


I 


Aldehyde  und  Acetone.  607 

ducte,  die  darch  eine  die  Bildung  ausdrflckende  radonelle  Formel  darge- 
Btellt  werden  können.  Bei  den  nach  der  zweiten  Bildungsweise  —  De- 
Bliilation  der  Salze  der  fetten  Säuren  —  dargestellten  Acetonen  ist  dies 
nicht  oder  wenigstens  nicht  mit  voller  Sicherheit  möglich. 

Die  durch  Destillation  der  Salze  der  fetten  Säuren  erhaltenen  Ace- 
tone können  in  zwei  Gruppen  gebracht  werden: 
1)  Normale  oder  gewöhnliche  Acetone,  entstehend  bei  Destilla- 
tion des  Salzes  einer  einzigen  Säure*  Sie  enthalten  2n — 1  Eohlen- 
stoffatome,  wenn  die  Säure  aus  der  sie  entstanden  n  Eohlenstoff- 
atome  enthält,  und  können  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  als  Ver- 
bindungen des  Radicals  der  Säure  mit  dem  um  1  At.  Kohlenstoff 
ärmeren  Alkoholradical  betrachtet  werden;  oder,  wenn  man  das 
Säureradical  auflöst  in  Kohlenoxjd  (60)  und  ein  Alkoholradical 
(vgl.  $.  796),  als  Verbindung  von  Kohlenoxyd  mit  zwei  gleich  zusam- 
mengesetzten Älkoholradicalen.    Man  hat  z.  B.: 


Essigsäure.  Aldehyd.  Aceton. 

i  e\^  e\  GH,| 


oder: 


eem,  eejf.  eej|H. 


2)  Gemischte   oder   intermediäre  Acetone,   das   heisst  solche, 
I  bei  welchen   diese  einfachen  Beziehungen  der  beiden  Radicale  nicht 

stattfinden.    Sie  enstehen: 

a)  bei  Destillation  eines  Gemenges  der  Salze  zweier  fetten  Säuren. 
Dann  sind  der  Art  der  Entstehung  nach  zwei  rationelle  Formeln 
>  gleich  wahrscheinlich.    Man  hat  z.  B.  für  den  bei  Destillation  von 

I  baldriansnurem  Salz  mit  essigsaurem  Salz  entstehenden  Aceton: 

'  entweder  oder 

G5H9O  l  G2H3O ) 

eH,i  gäI 

Die  zweite  Art  der  Auffassung   dagegen  gibt  für  solche  interme- 
diäre Acetone  nur  eine  rationelle  Formel,  z.  B. : 

DasB   die  Aldehyde  im  Grand  genommen  nur  ein  specieller  Fall  der  inter- 
mediären Acetone  sind  und  dass  sie  auch  in  entsprechender  Weise  entstehen  kön- 
I  ncn ,  wurde  oben  erwähnt  (§.  804). 

^  b)  Gemischte  Acetone  entstehen  femer,   neben  den  normalen 

^  Acetonen,  bei  trockner  Destillation  der  Salze  einer  einzigen  fet- 

ten Säure.     Wenigstens  hat  man  in  neuerer  Zeit  gefunden,  dass 


608 


Aldehyde  und  Acetone. 


bei  Destillation  yon  essigsaarem  und  von  buttenaurem  Salz  em 
Prodaot  erhalten  wird,  welches  bei  fractionirter  Destillation  io 
Körper  zerlegt  werden  kann,  die  alle  nach  der  Formel:  OhH^bO 
zusammengesetzt  sind  und  bei  welchen,  mit  steigendem  Siedepunkt, 
das  Holeculargewicht  zu-  der  Sauerstoffgehalt  dagegen  abnimmt, 
so  dass  sie  sich  also  in  ihrer  Zusammensetzung  immer  mehr  einem 
Kohlenwasserstoff:  OnHin  n&hem. 

Für  solche  Producte  ist  es  bis  jetzt  nicht  möglich  rationelle  Fonneh 
aufzustellen. 

Ein  gemischtes  Aceton  scheint  auch  das  bei  Destillation  von  Ridniuöl 
mit  Kali  entstehende  s.  g.  Methylönanthol  ($.  921)  zu  sein. 

916.  L   Wirkliche  Aldehyde. 


Empirische 
Formel. 

Rationelle 
Formel. 

Rationelle 
Formel. 

Siedeponkt. 

Schmd*- 
pankL 

Acetaldehyd 

e  Ao  • 

«A») 

eejf. 

21» 

Fropionaldid 

6,H,0 

e:&j|A 

(66»-66«) 

Butylaldid 

64H.0 

Wj 

eejgÄ 

(68»-76») 

Yaleraldid 

^A^O 

e.H.|j 

€egA 

93« 

Oenanthol 

6,Hi40 

Hf 

60  j§«^" 

162» 

nnter 
—  12 

Caprinaldehyd 

6ioH300 

€ioH|,0J 

eejg»^» 

228»  (?) 

-2» 

Enodylaldehyd  (?) 

OjiHjaO 

Hf 

eejl'«^" 

218» 

4-7« 

Lamylaldehyd 

^11^24^ 

OiaHssO 

e^jJiiH», 

232* 

Palmitylaldehyd 

^le^aa^ 

€0J®"H,x 

62* 

Nur  wenige  dieser  Aldehyde  sind  durch  Oxydation  der  entsprechen- 
den Alkohole  dargestellt  worden,  nftmlich:  Acetaldehyd,  Valeraldehjd 
und  Pahnitylaldehyd  *).     Durch  Destillation  von  ameisensaurem  Salz  mit 


*)  Fridau^  Ann.  Chem.  Phann.  IiJiXK^ii.  23. 


I 


Aldehyde.  609 

dem  Sals  der  entsprechenden  fetten  Säure  wurde  nur  der  Acetaldehyd  er- 
halten. Die  vier  ersten  Aldehyde  entstehen  auch,  neben  zahlreichen  an- 
dern Oxydationsproducten,  wenn  eiweissartige  Substanzen  (Albumin,  flbrin» 
Casein  oder  Kleber)  mit  Braunstein  oder  chromsaurem  Kali  und  Schwefel- 
i  s&ure  destillirt  werden  *}.    Die  so  erhaltenen  Producte  zeigen  alle  für  die 

)  wirklichen  Aldehyden  charakteristichen  Eigenschaften  (nur  von  dem  Pro- 

pylaldehyd  oder  Metacetal  konnte  dies  wegen  Hangel  an  Substanz  nicht 
I  nachgewiesen  werden  '^).     Der  Butylaldehyd  wird  auch  bei  Oxydation 

des  Leucins  gebildet  ***). 
i  Das  Oenanthol,   durch  Destillation  des  Ricinusöls  erhalten,  ist 

durch  alle  seine  Eigenschaften  bestimmt  als  Aldehyd  charakterisirt* 

Der  Gaprinaldehyd  bildet  nach  Gerhardt  f)  den  Hauptbestand- 

theil  des  ätherischen  Bautenöls  (Ruta  graveolens);  er  gibt  mit  Ammoniak 

^  und  mit  sauren  schwefligsauren  Salzen  krystallisirbare  Verbindungen  und 

I  geht  bisweilen  in  eine  polymere  Modiflcation  über,  die  krystallisirbar  ist, 

5  bei  +13»  schmilzt  und  bei  230<>  — 235«  siedet.  —  Nach  Williams  ff) 

enthält  das   Rautenöl   nicht   Gaprinaldehyd,   sondern  Enodylaldehyd 

und  in  geringer  Menge   Laurylaldehyd;    beide    verbinden   sich    mit 

sauren  seh wefiigsauren  Alkalien.    Auch  Hallwachs  fff)  fand,  dass  das 

Rautenöl  wesentlich  aus  Enodylaldehyd  besteht.   Nach  Strecker  hat 

der  Hauptbestandtheil    des  Rautenöls    allerdings    die   Zusammensetzung 

^ii^ssO,  ist  aber  kein  Aldehyd,  sondern  ein  intermediäres  Aceton ,  näm- 

Kch  Methyl- caprinal:  ^'®^ff  j. 

Yaleraldehyd.   Valeral.     Von  Dumas  und  Stas  ♦)  entdeckt,  917. 
als  Oxydationsproduct  des  Amylalkohols  mit  Salpetersäure.    Man  bereitet 
«  es  zweckmässig   nach  Parkinson**),   indem   man   in  eine  lauwarme 

Lösung  von  12^/3  Th.  chromsaurem  Kali  langsam  ein  Gemisch  von  11  Th. 
Amylalkohol,  16^/3  Schwefelsäure  und  16^/3  Th.  Wasser  zufliessen  lässt 
Der  meiste  Aldehyd  destillirt  von  selbst  über,  zuletzt  wird  erwärmt  Man 
hebt  die  Oelschicht  des  Destillates  ab,  schüttelt  sie  mit  saurem  schweflig- 
saurem Natron,   presst   die  Krystalle  aus,  wascht  sie  mit  Alkohol  und 


^ 


•)  Guckdberger,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXIV.  89.  —  KeUer,  ibid.  LXXII.  24.  — 
Bei  diesen   Oxydationen   der   eiweissartigen  Körper    entstehen  ausserdem: 
AmeisenBäure,  Essigsfiure,  Propionsäure,  ValerianBäure,  Capronsfture;  Bitter- 
mandelöl, BenzoSsänre-,  Blansäure,  Valeronitril. 
**)  Stftdeler  hat  (Ann.  Chem.  Pharm.  CXI.  286)  darauf  aufinerksam  gemacht, 

dass  das  so  erhaltene  Metacetal  wahrscheinlicher  Aceton  sei. 
♦•♦)  liebig,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXX.  813. 
t)  Gerhardt,  ibid.  LXVII.  242.  —  Bertagnini,  ibid.  LXXXV.  288. 
^  tt)  Williams,  ibid.  CVE.  874. 

i  ttt)  Hallwachs,  ibid.  CXIIL  107. 

♦)  Ann.  Chem.  Pharm.  XXXV.  166. 
•♦)  ibid.  XC.  114. 
K«kiiU,  orgu.  Chemie.  39 


610  Fette  Sftnren. 

zersetzt  durch  Destillation  mit  kohlensaurein  Natron.  Der  Valeraldehyd 
riecht  angenehm  äpfelartig  und  reizt  wie  die  meisten  AmylverbindungeB 
zum  Husten.  Er  ist  in  Wasser  nur  wenig  löslich,  mit  Alkohol  und  Aether 
mischbar.  Frisch  dargestellt  siedet  er  bei  98®;  nach  längerem  Aufbewah- 
ren steigt  der  Siedepunkt  und  ein  beträchtlicher  Theil  geht  in  eine  höher 
siedende  wahrscheinlich  polymere  Modification  Ober. 

Der  Valeraldid  gibt  mit  sauren  schwefligsauren  Alkalien  *)  und  nut 
Ammoniak  krystallisirbare  Verbindungen.  Die  Ammoniakyerbindnng  er- 
hält man  leicht,  wenn  man  die  wässrige  Lösung  des  Aldehyds  (luftfrei, 
so  wie  sie  bei  der  Destillation  erhalten  wird)  mit  wenig  Ammoniak  Iftn- 
gere  Zeit  stehen  lässt  (Parkinson) ,  oder  indem  man  Valeraldid  mit  sehr 
concentrirtem  Ammoniak  zusammenbringt  (Hühner). 

Lässt  man  Chlor  auf  Valeraldid  einwirken ,  so  wird  nicht  Valerylchlorid  er- 
zengt (vgl.  §.  841),  es  entsteht  vielmehr  ein  Sabstitationsprodact,  der  BichlorYaler- 
aldid:  OsHsClaO,  der  mit  sauren  schwefligsaaren  Salzen  krystallisirbare  Yerbiii- 
düngen  gibt  (Kündig)  ••). 

Destillirt  man  Valeraldid  mit  Phosphorchlorid ,  so  entsteht  ein  bei  ISO*  n^ 
dendes  Chlorid:  65H10CI2,  das  an  alkoholische  Kalilösung  Salzsäure  abgibt  nod 
wahrscheinlich  65H9CI  erzeugt  (Ebersbach).  —  Erhitzt  man  Valeraldid  mit  Essig- 
säureanhydrid auf  200^,  so  findet  directe  Vereinigung  statt  (Guthrie  u.  Kolbe)***). 
vgl  Acetaldehyd  §.  846. 

Erhitzt  man  Valeraldid  mit  Aetzkalk,  so  wird  Amylalkohol  und  bal- 
driansaurer  Kalk  erzeugt.  Bei  der  Destillation  entstehen  dann  Zersetzungspro- 
ducte  dieses  letzteren,  unter  welchen  zwei  gemischte  Acetone  6«Hi20  und  6iH|40 
zu  sein  scheinen  (Fittig)  f)* 

Das  von  Chancel  als  Destillationsproduct  des  valeriansauren  Kalks  eriiil- 
tene  Valeral  (Siedepunkt:  100^  — 110®)  scheint  mit  Valeraldid  identisch  zu  sein. 

918.  Oenanthylaldehyd.  Oenanthol.   1827  von  Bussj  und  Lecana 

entdeckt;  von  VVilliamson  ff ) ,  Tillej  fff),  Bertagnini  *)  untersucht  Ei 
entsteht  bei  trockner  Destillation  von  ricinölsaurem  Natron  oder  bei  troek- 
ner  Destillation  von  Ricinusöl.  Zur  Reindarstellung  schüttelt  ncian  dai 
Bohproduct  mit  saurem  schwefligsaurem  Natron  und  destillurt  die  ausge- 
pressten  und  mit  Alkohol  gewaschenen  Krystalle  mit  kohleasaoran 
Natron. 

Das  Oenanthol  oxjdirt  sich  leicht  zu  Oenanthjisäure.  Es  absor- 
birt  Ammoniakgas  und  gibt  so  eine  von  Wasser  zersetzbare  und  anfangs 
kiystallisirte  Verbindung. 


^)  Ebersbach,  Ann.  Chem.  Pharm.  CVI.  264 
••)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXIV.  1. 
•♦•)  ibid.  CIX.  296. 

t)  ibid.  CXVII.  68. 
tt)  ibid.  LXI.  88. 
ttt)  ibid.  LXVIL  106. 

•)  ibid.  LXXXV.  278. 


^ 


Acetone. 


611 


Das  OeDftoihol  verbindet  sich  nioht  nur  mit  sauren  schwefligsauren 
Salzen  zu  krystallisirbaren  Verbindungen,  man  kann  sogar  die  önanthol- 
schweflige  Säure:  6<xHx40,  QB^  in  freiem  Zustand  darstellen,  ent- 
weder durch  Zersetzung  eines  ihrer  Salze  oder  indem  man  schweflige 
Säure  in  eine  Mischung  Ton  Oenanthol  und  Wasser  einleitet  (Mendelejef  *)« 

Erhitzt  man  önantholschwefUgsaures  Ammoniak  fEir  sich,  oder  destillirt  man 
es  mit  Aetzkalk,  so  entsteht  Tricaprylamin :  N(9«Hi,),. 

Bei  Einwirkung  Yon  Phosphorchlorid  auf  Oenanthol  entsteht  das  bei  191^ 
siedende  Oenantholchlorid:  67H14CI3;  dieses  gibt  beim  Kochen  mit  alkoholi- 
scher Ealilösang  das  Chlorönanthol :  67Hi,Cl  (Siedep.  165®);  und  bei  Einwirkung 
yon  Natrium  das  Oenanthylen:  61H14  (limpricht)  ^^). 

Wird  Oenanthol  mit  Aetzkalk  erhitzt,  so  entsteht  Oenanthylalkohol 
und  önanthsaurer  Kalk,  als  dessen  Zersetzungsproducte  dann  Oenanthaceton 
(§.  920),  Oenanthylen:  61H14  und  andere  mit  diesem  homologe  Kohlenwasserstoffe 
auftreten  (Pittig)  ♦♦♦). 


n.      Acetone. 
A.  Synthetisch  dargestellte  Acetone. 


919. 


Rmpiridche 
Formel. 

RationeUe 
Formel. 

Rationelle 
Formel. 

Siedepunkt 

Acetyl-mcthyl 

Acetyl-äthyl 

Propionyl-äthyl 

77«,6-80«,6 
100»-101« 

Diese  Verbindungen  wurden  von  Freund  f)  durch  Einwirkung  von 
Acetylchlorid  und  Propionchlorid  auf  Zinkmethyl  und  Zinkäthyl  erhalten. 
Das  Acetyl-methyl  ist  identisch  mit  gewöhnlichem  Aceton  (§.  923);  das 
Acetyl-methyl  und  das  Acetyl-ätbyl  verbinden  sich  mit  saurem  schweflig- 
saurem Natron;  das  Propionyläthyl  besitzt  diese  Eigenschaft  nicht 


^)  Ann.  Chem.  Pharm.  CK.  241. 
••)  ibid.  cm.  80. 
••♦)  ibid.  CXVIL  76. 
t)  ibid.  CXVm.  1. 


39 


gJ2  ^^^  Sfturen. 

920.  B.  Normale  Acetone,  erhalten  dnroh  Deatillation  von  einem 

Salz. 


Empirische 
Formel. 

Rationelle 
Formel. 

Rationelle 
Formel. 

Siede- 
punkt 

Schmelz- 
punkt 

Dargestellt  ans: 

Aceton 

e,He0 

.«^P. 

66* 

Essigsauren  Saken. 

Propion 

65H100 

«^ie5: 

100«- 
llO* 

Propiona.  Baryt*). 
Buttereasigsaurem 
Baryt  ♦♦). 

Batyron 

6,Hi40 

*««( 

^leÄ 

144« 

Butters.  Kalk»»^. 

Valeron 

OgHijO 

e'^lSÄ 

166« 

Valerians.  Kalk  f). 

Capron 

^iiHjaO 

^«! 

Caprons.  Baryt  ü). 

Oenanthon 

^ijl^ae^ 

264« 

+  80« 

Kalki-H-). 

Caprylon 

^lÄo^ 

278« 

+  40» 

Caprylaanrem 
Baryt*). 

Lanron 

^uß4fß 

*« 

^ßä; 

+  66« 

Uurina.  Kalk**). 

MyriBton 

^i-flb^ß 

Xfi3 

+  76* 

Myristina.  Kalk. 

Von  diesen  Acetonen  ist  nur  das  erste,  das  gewöhnliche  Aceton,  g^ 
nauer  untersucht;  es  soll  nachher  (§.  923)  specieller  beschrieben  werden. 
In  Betreff  der  andern  mag  nur  Folgendes  erwähnt  werden :  das  Propion  ans 
Butteressigsäure  verbindet  sich  mit  saurem  schweflig-saurem  Kali  (vgl.  Pro- 
pionyl-äthyl  S^919);  dasButyron  gibt  bei  Einwirkung  von  Salpetersäurt 
Nitropionsäure  (S.  895),  bei  Einwirkung  von  Phosphorchlorid  ein  Chlorid 
von  der  Formel:  O^Hi^Cl  Die  vier  in  der  Tabelle  zuerst  aufgeflüuten 
Acetone  sind  krystallisirbar. 


*)  Morley,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXVIII.  187. 
♦•)  limpricht  und  v.  Uslar,  ibid.  XCIV.  327. 
•••)  Chancel,  ibid.  LH.  295. 

t)  Ebersbach,  ibid.  GVL  268. 
tt)  Brazier  u.  Gossleth,  ibid«  LXXV.  256. 
ttt)  ▼.  üslar  u.  Seekamp,  ibid.  CVm.  179 
*)  Gnckelberger,  ibid.  LXIX.  201. 
**}  Overbeck,  ibid.  LXXXIV.  289. 


Acetone. 


613 


C.  Gemischte  Acetone,  erhalten  durch Deetillation  von  Sali.  921. 
gemengen. 


Empirische 
Fonnel. 

Rationelle 
Formel. 

Rationelle 
Formel. 

Siede- 
punkt. 

Erhalten  aus: 

Methyl-Valeral 

Metbyl-Oenan- 
thol 

eH,| 
eH,f 

120* 
171» 

Valerians.  EaU  mit 
esaigs.  Natron^). 

Oenanths.  Natron 
mit    essigs.    Na- 
tron ••). 

Das  Hetbyl-Oenanthol  entsteht  auch  bei  Destillation  von  Ri- 
cinusöl  oder  besser  von  ricinölsaurem  Natron  mit  überschüssigem  Natron- 
hydrat. 

Es  wird  von  dem  gleichzeitig  gebildeten  Oenanthylalkohol  (§.  679)  durch 
Schütteln  mit  saurem  schwefUgsaurem  Natron  und  Destilliren  der  ausgepressten 
Krystalle  mit  Natronlange  getrennt.  Es  ist  in  Wasser  imlöslich,  mischbar  mit  Al- 
kohol und  Aether.  Es  reducirt  ammoniakalische  Silberlösung,  gibt  mit  Phosphor- 
chlorid  ein  bei  190®  —  200®  siedendes  Chlorid:  OgHi^Cl^  und  geht  mit  sauren 
schwefligsauren  Alkalien  krystallisirbare  Verbindungen  ein.  —  Es  wurde  früher  ftlr 
Caprylaldehyd  gehalten  •••). 

D«  Gemischte  Acetone,  erhalten  bei  Destillation  von  einem  922. 
Salz. 


Aus  essi 

i^aurem  Blei+): 

Aus  butte 

rsaurem  Kalk 

++): 

Empirische 

Siede- 

Empirische 

Siede- 

Formel. 

punkt. 

Formel. 

punkt. 

neben  Aceton 

e,H,  0 

66« 

Methylaceton 

e^HgO 

750^770 

Butyral 

e^e 

96* 

Aethylaceton 

OjHioO 

90*-95» 

Methylbutyral 

^5^10^ 

gegen  111« 

Aethylbutyral 

6tH,j0 

„      1280 

Butyron 

67H140 

144* 

Methylbutyron 

ös^nO 

ISO« 

Butylbutyron 

^11^1"^ 

222« 

*)  Williamson,  Ann.  Chem.  Pharm.  TiXXXT.  86. 
*•)  Stfideler,  Chem.  Centralbl.  1858.  81.  Joum.  pr.  Chem.  LXXU.  241.  Jahresb. 

1867.  359. 
•••)  Vgl.   auch:    Bouis,    Ann.   Chem.   Pharm.   XCVII.    34.    —    limpricht,  ibid. 
XCIIL  242. 
t)  Fittig,  Ann.  Chem.  Pharm.  CX.  17. 
+t)  Chancel,  ibid.  LIL  296.  —    Friedel,  ibid.  CVm.  122.  —    limpricht,  ibid. 
CVIIL  183.  ' 


614  Fette  Sftiuren. 

Alle  diese  Verbindangen,  mit  Ausnahme  des  M ethyl-butyrons  undButyl- 
bntyrons,  gehen  mit  saoren  schwefligsaaren  Alkalien  krystallisirende  Yerbindon- 
gen  ein.  Das  Bntyral,  obgleich  mit  dem  Aldehyd  der  Battersänre  gleich  susam- 
mengesetzt,  scheint  doch  von  diesem  verschieden  zu  sein;  es  verbindet  sich  nicht 
mit  Ammoniak,  während  der  bei  Oxydation  eiweissartiger  Körper  entstehende  Ba- 
tjrraldid  mit  Ammoniak  eine  schön  krystallisirende  Verbindung  gibt  (Gnckelberger). 
Das  Butyral  gibt,  wie  das  Butyron,  bei  Einwirkung  von  Salpetersäure  Kitro- 
propionsäure.  Bei  Einwirkung  von  Chlor  erzeugt  es  Substitutionsproducte 
[^«H^CIO,  e4HeCla0,  64H4CI4O];  mit  Phosphorchlorid  liefert  es  ein  bei  etwas 
über  100<^  siedendes  Chlorid:  64H,C1  (Chancel). 

Zu  diesen  gemischten  Acetonen  gehören  noch  zwei  Körper,  die  vonFittig*) 
bei  Destillation  von  Valeraldid  mit  Kalk  erhalten  wurden  und  die  wahrscheinlich 
Zersetzungsproducte  des  anfangs  gebildeten  valeriansauren  Kalkes  sind.  Die  For 
mehi  dieser  Verbindungen  sind:  BJSLi^^  (Siedep.  182<>  — 184^) ;  61H14O  (Siedep. 
161^  —  164®) ,  beide  geben  mit  Phosphorchlorid  entsprechende  Chloride ,  verbinden 
sich  aber  nicht  mit  sauren  schwefligsauren  Alkalien. 

Auch  der  Hauptbestandtheil  des  Rautenöls  ist  nach  Strecker  ein  gemischtes 
Aceton  (§.  916). 

Aceton  *♦). 

928.  Das  Aceton:  G^B^O  entsteht  bei  trockner  Destillation  essigsaurer 

Balze,  namentlich  des  Kalk*,  Baryt-  und  Bleisalzes.    Es  bildet  sich  auch, 
wenn  Essigeäured&mpfe  durch  eine  glühende  Röhre  geleitet  werden: 

Bssigs&ure.  Aceton. 

2e,H4e,    =    e,Hee    +    ee,    +    H,e 

Es  entsteht  femer  bei  trockner  Destillation  von  Weinsäure,  Citro- 
nensäure,  Zucker,  Holz  etc.  und  ist  daher  ein  Bestandtheil  des  rohen 
Holzgeistes. 

Zur  Darstellung  des  Acetons  unterwirft  man  entweder  essigsauren  Kalk  der 
trocknen  Destillation  oder  man  destillirt  ein  Gemenge  von  essigsaurem  Blei  (4  Th.) 
mit  Aetzkalk  (1  Th.)  in  einer  eisernen  Flasche.  Das  Product  wird  mit  etwas 
chromsaurem  Kali  und  Schwefelsfture  destillirt,  mit  Chlorcalcium  entwässert  und 
aus  dem  Wasserbad  rectificirt  Völlig  reines  Aceton  erhält  man  am  besten  aus 
der  Verbindung  des  Acetons  mit  saurem  schwefligsaurem  Natron. 

Das  Aceton  ist  eine  wasserhelle  Flüssigkeit  von  angenehmen  Oe- 
ruch,  die  sich  mit  Wasser,  Alkohol  und  Aether  mischt  und  bei  56®  sie- 
det; speo.  Gew.  0,814  bei  (fi. 

Sättigt  man  Aceton  mit  Ammoniak  und  erhitzt  mehrere  Tage  auf  100®,  so 
werden  beim  Verdunsten  grosse  Krystalle  erhalten,  die  eine  polymere  Modifi- 


•)  Vgl.  $.  917. 

*^)  ^?l*  l>^8*  Gmelin,  Handb.  der  org.  Chemie.  I.  782 ff.,  femer:  Hofmann,  Ann. 
Chem.  Pharm.  LXXI.  121;  Maule,  ibid.  LXXI.  187;  Fittig,  ibid.  CX.  28; 
Stftdeler,  ibid.  CXL  277;  Bouis,  ibid.  LXIV.  816;  Friedel,  ibid.  CXIL  286) 
Biche,  ibid.  CXU.  821. 


.  Aceton.  615 

eaiion  des  Acetons  zu  sein  scheinen  (Fittig).  —  Trftgt  man  Natrium  in  Aceton 
ein  und  destillirt  die  breiartige  Masse,  so  geht  erst  unverändertes  Aceton  über, 
später  ein  dickes  Oel,  ans  welchem  sich  beim  Stehen  schöne  Krystalle  abscheiden, 
die  nach  Städeler  die  Zusammensetzung  'Be^ie^s  =  ^s^ia*^  4"  ^H^O  besitzen. 
Sie  schmelzen  bei  42®,  destilliren  bei  raschem  Erhitzen  auf  etwa  200®  als  krystal- 
linisch  erstarrende  Flüssigkeit  über,  verlieren  aber  bei  längerem  Erhitzen  schon 
unter  100®  Wasser  und  geben  zuletzt  ein  Oel,  wahrscheinlich:  -SsHi^O  das  als  Pa- 
racet on  (Fittig)  oder  Pinakon  (Städeler)  bezeichnet  wird.  Die  Bildang  dieses 
Körpers  erklärt  sich  aus  der  Gleichung: 

Aceton.  Pinakon. 

2  OaH.e      +      Naj      =      e^HijO      +      Na^O 

Der  Aceton   verbindet  sich   mit   sauren   schwefiigsauren  Salzen   zu 
krystallisirenden  Verbindungen  (Städeler,  Limpricht). 

Zersetzungen  des  Acetons.  Leitet  man  Acetondampf  über  9^* 
erhitzten  Natronkalk,  so  wird  Aroeisensäure  und  Essigsäure  erzeugt  (Oott- 
lieb).  Erhitzt  man  Aceton  mit  chromsaurem  Kali  und  Schwefelsäure,  so 
entsteht  Essigsäure  und  Kohlensäure.  Wird  ein  Gemenge  von  Aceton 
und  verdünnter  Schwefelsäure  durch  den  galvanischen  Strom  zerlegt,  so 
bilden  sich  Essigsäure,  Ameisensäure  und  Kohlensäure  (Friedel)«  Ein 
Gemisch  von  Aceton  mit  verdünnter  Salpetersäure  gibt  bei  elektrolytisoher 
Zersetzung  Essigsäure,  Ammoniak  und  Methylamin  (Riche). 

Abkömmlinge  des  Acetons.  Substitutionsproducte.  925. 
Wird  ein  Gemisch  von  Aceton  und  Salzsäure  durch  den  galvanischen 
Strom  zerlegt,  so  entsteht  bei  117®  siedendes  Monochloraceton: 
63H5CIO;  ein  Gemisch  von  Aceton  mit  BromwasserstoffsSure  liefert  bei 
derselben  Behandlung  das  bei  140^—145®  siedende  Monobromaceton: 
GaHsBrO  (Riche).  —  Leitet  man  Chlor  in  Aceton,  so  entsteht  zunächst 
Bichloraceton:  63H4GI3O,  welches  bei  1 1 6®,5  siedet  und  sich  mit  saurem 
schwefligsaurem  Natron  verbindet.  Bei  längerer  Einwirkung  von  Chlor 
im  Sonnenlicht  wird  Trichloraceton:  63H3CI3O  erzeugt  (Fittig).  — 
Auch  aus  Holzgeist  *)  entstehen  durch  Chlor  Substitutionsproducte  dea 
Acetons,  nämlich  Trichloraceton  undTetrachloraceton:63H2Cl40; 
das  letztere  gibt  durch  Wasserauinahme  ein  krystallisirtes  Hydrat,  wel- 
ches   bei   35<^    schmilzt:    e3H2Cl4e,   4H2O    (Bouis).   —    Aus   China- 


*)  Man  hat  mehrfach  die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass  dem  von  Bouis  an- 
gewandten Holzgeist  Aceton  beigemengt  gewesen  sei.  Neuere  Versuche  von 
CI06Z  (Compt.  rend.  XLVIII.)  zeigen  indess  ebenfalls,  dass  die  Producte  der 
Einwirkung  Yon  Chlor  auf  Methylalkohol  mehr  Kohlenstoffatome  im  Molecül 
enthalten  als  der  angewandte  Alkohol.  Die  Bildung  von  Substitutionspro- 
ducten  des  Acetons  aus  Methylalkohol  ist  zudem  leicht  verständlich,  wenn 
man  bedenkt,  dass  das  Aceton  als  Verbindung  von  Methyl  mit  Kohlenoxyd 
angesehen  werden  kann  (§.  914)  (vgl.  $.  680). 


616  P«tte  SlMiren. 

säure,  Gitronensfture,  Gallussäure  etc.,  entsteht  durob  Eiiiwir- 
kupg  Yon  chlorsaurem  Kali  und  Salzsäure  das  Pentachloracetoo, 
dessen  krystallisirendes  Hydrat:  6^RC]^0^  4H2O  beim  Erhitzen  zu  Was- 
ser und  dem  bei  etwa  130®  siedendem  Pentachloraceton:  ÖjHClj© 
zerfällt (Städeler).  —  Perchloraceton:  OaCl^iO  wird  aus  Citronensäure 
durch  Einleiten  von  Chlor  im  Sonnenlicht  erhalten,  es  siedet  bei  etwa 
100®  und  gibt  mit  Wasser  ein  krystallisirendes  Hydrat  (Plantamour). 

Behandelt  man  Aceton  mit  Phosphorchlorid,  so  entsteht  ein  mit 
Propylenchlorid  isomeres  Chlorid,  das  Methylchloracetol:  OjH^CIi 
(Siedepunkt  70®) ;  gleichzeitig  wird  ein  Zersetzungsproduct  dieses  Chlorids 
erhalten,  welches  aus  demselben  auch  bei  Einwirkung  von  Silbersalzen, 
von  Ammoniak  und  von  Natriumalkoholat  entsteht,  es  siedet  bei  30®  und 
ist  identisch  mit  Monochlorpropylen :  OaHsCl  (§.  958)  (Friedel). 

Wird  ein  Gemenge  von  Aceton  und  Aether  mit  Ammoniak  gesättigt 
und  auf  100®  erhitzt,  oder  auch  nur  nach  längerem  Stehen  verdunstet,  so 
entsteht  eine  ölartige  Base,  das  Acetonin*):  69HX8N2,  die  mit  Oxal- 
säure ein  krystallisirendes  Salz  bildet.  Lässt  man  gleichzeitig  Schwefel- 
wasserstoff und  Ammoniak  auf  Aceton  einwirken,  so  entsteht  Thi aceto- 
nin: egHigNS,  (Städeler)." 

Wird  Schwefelkohlenstoff  und  Ammoniak  mit  Aceton  zusammenge- 
stellt, so  entsteht  die  krystallisirende  Schwefelwasserstoffverbindung  des 
Carbothiacetonins:  OiQHisNjda  (Hlasiwetz). 

Lässt  man  Aceton  längere  Zeit  mit  Salzsäure  und  Blausäure  stehen, 
so  wird  eine  Säure  erhalten,  die  Städeler  als  Acetonsäure:  64HgO| 
bezeichnet,  sie  ist  wahrscheinlich  identisch  mit  Butylactinsäure. 

926.  Einwirkung  von  Schwefelsäure  auf  Aceton.    Mischt  man  Aceton  mit 

con centrirter  Schwefelsäure ,  so  entsteht  Mesitylschwe feisäure,  deren  krystalÜ- 
sirtes  Eupfersalz  die  Zusammensetzung  hat:  03H5CUS03,  H3O  (Blasiwetz). 

Destillirt  man  Aceton  mit  Schwefelsäure,  so  entsteht  Mesitäther  (Medtrl- 
ozyd):  ßfii^B'  als  angenehm  riechende,  bei  120*  siedende  Flüssigkeit  Dieselbe 
Verbindung  wird  auch  erhalten,  wenn  das  bei  Einwirkung  von  Salzsäure  oder 
besser  von  Phosphorchlorid   auf  Aceton   entstehende  Mesitylchlorid:  0«H^Q 


*)  Die  Beziehungen  des  Methylchloracetols ,  des  Acetonins,  Thiacetonins  und 
Carbothiacetonins  zum  Aceton  können  durch  die  folgenden  Formeln  ansge- 
drückt  werden: 

Aceton.         Methylchlor-  Acetonin.        Thiacetonin.         Carbothi- 

acetol.  acetonin. 


CfjHf .  0  ^3^9  •  Cl j 


Aceton.  617 

'       (i<l«ntiBch  mit  Frieders:  Monochlorpropylen?)  mit  alkoholischer EalilÖBang  «ersetzt 

wird  (Eane). 

Bei  der  Destillation   des  Acetons  mit  Schwefelsftare  wird  neben  Mesitäther 

noch  ein  bei  166®  — 160®  siedender  Kohlenwasserstoff,  das  Hesitilol  oder  Mesi- 
I       tylen:  B9H12*)   erhalten   (Eane,  Hofmann).     Aus  diesem  wird  durch  rauchende 

Schwefelsäure  Meritylol schwefelsaure:  O^HiiMSO,  erzeugt;  bei  Einwirkung 

von  Chlor,  Brom  oder  Salpetersäure   entstehen  die  folgenden  Producte  (Cahours, 

Hofmann) : 

Mesitylen.       Trichlor-  Tribrom-  Dinitro-  Trinitro- 

mesitylen.  mesitylen.  mesitylen.  mesitylen. 


I 


Durch  Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  auf  eine  alkoholische  Lösung  von 
Dinitromesitylen  wird  eine  krystallisirte  Base,  das  Nitromesidin:  O^Hi^N^O^ 
(=  6,H,o(Nea)HaN)  erhalten  (Maule). 

Zersetzt  man  Aceton  mit  Ealihydrat,  so  entsteht  ein  über  200®  sieden- 
der Eörper:  Xylitöl:  OiaHigO  (Löwig  u.  Weidmann).  Wird  Aceton  mit  ge- 
branntem Ealk  destillirt,  so  erhält  man  neben  Mesitäther  noch  eine  bei  210®  — 
220®  siedende  Substanz:  OtHi^B-,  welche  Phoron  zu  sein  scheint  (Fittig). 

Die  Bildung  der  oben  erwähnten  Substanzen  ist  leicht  verständlich,  da  sie 
aus  2,  8  oder  4  Acetonmolectüen  durch  einfachen  Austritt  von  Wasser  entstehen 
können.    Man  hat: 


Aceton. 

2  e,H,e    - 

HaO 

= 

^f  ^10^ 

Mesitäther. 

3  e^H^e    - 

-      2Hae 

= 

6,  Hj^O 

Phoron« 

4  e,H,0    - 

-      8  Hje 

= 

^w^is^ 

Xylitöl. 

8  6aH.0      - 

-     8  H,e 

= 

6,  Hjj 

Mesitylen. 

Die  chemische  Natur  dieser  Verbindungen  ist  dagegen  noch  wenig  aufge- 
klärt Der  Mesitäther,  das  Mesitylchlorid  und  die  Mesitylschweielsäure  können 
durch  Annahme  des  einatomigen  Radicals:  €f3H5  gedeutet  werden.    Man  hat: 

Aceton.  Mesitäther.  Mesitylchlorid.  Mesitylschwefelsäure. 

Während  aus  diesen  Abkömmlingen  für  das  Aceton  die  rationelle  Formel: 
'  Hi^  abgeleitet  werden  kann,   führen  die  §.  925  ei wähnten  Substanzen  zu  der 

m 

Formel:  6aH|.0.  Das  Aceton  zeigt  in  diesem  doppelten  Verhalten  eine 
grosse  Aehnlichkeit  mit  dem  ihm  homologen  Aldehyd,  vgl.  §.  851. 


®)  Isomer  mit  C^nmol:  6^1). 


618  Aceton. 

Die  Abkömmlinge  des  Meeitylens  berechtigen  zur  Annahme  des  R«dicali: 
69H11 : 

Meeitylen.  Kitromesidin.  Hesitylenschwefelsäare. 

e,H„.H  €.H,o(N0^)  €.H„» 


H 


h!» 


927.  An  das  Aceton  schliesst  sich  ein  aus  rohem  Holzgeist  abgeschiedener,  bd 
etwa  60®  —  61®  siedender  Körper  an,  der  als  Lignon  *)  oder  Xylit  bezeidnet 
wurde  und  der  wahrscheinlich  nur  unreines  Aceton  ist  Er  gibt  bei  Einwirkung 
von  Ealihydrat  oder  von  Schwefelsäure  Producte,  die  den  aus  Aceton  enengta 
sehr  ähnlich  und  wahrscheinlich  identisch  sind.  Neben  XylitÖl  (dessen  IdeadUt 
nachgewiesen  ist)  wurde  ein  in  Eigenschaften  und  Zusammensetzung  mit  dem  Ib- 
sitylen  nahezu  übereinkommender  Kohlenwasserstoff  und  ausserdem  eine  bei  100*— 
120®  siedende  Flüssigkeit,  Xylitnaphta,  erhalten,  deren  Bildung  leicht  Terständ- 
lich  ist,  wenn  man  das  lignon  fär  mit  Aceton  identisch  hält 

Aceton.  Xylitnaphta. 

Der  niedrige  Siedepunkt  macht  es  indessen  wahrscheinlich,  dass  der  Sabstam 
kein  so  hohes  Holeculargewicht  zukommt;  sie  ist  vielleicht  nur  ein  Gemenge  (oder 
eine  lose  Verbindung)  von  Aceton  mit  Mesitäther. 

928.  Dumas  in:  6eH|oO**).  Als  Zer^etznngsproduct  des  Acetons  entsteht  beiDe> 
stillation  essigsaurer  Salze,  beim  Durchleiten  von  Essigsflure  oder  von  Aceton  dnrd 
eine  glühende  Röhre,  ein  bei  120®  — 125®  siedender  Körper,  der  mit  dem  Mesit- 
äther gleiche  Zusammensetzung  zeigt,  aber  von  demselben  verschieden  za  Mii 
scheint,  insofern  er  mit  sauren  schwefligsauren  Alkalien  Verbindungen  eingeht, 
was  der  Mesitäther  nicht  thnt  (Fittig)  •*•). 

929.  Metacetonf)  hat  man  ein  bei  Destillation  von  Zucker  (1  Th.)  mit  g^ 
branntem  Kalk  (3  Th.)  entstehendes  Zersetzungsproduct  genannt,  welches  bei  84* 
siedet,  in  Wasser  unlöslich  ist  und  bei  Oxydation  mit  chromsaurem  Kali  md 
Schwefelsäure  neben  Kohlensäure  und  Essigsäure  auch  Propionsäure  liefert  h 
scheint  mit  dem  Dumasin  isomer  zu  sein. 


•)  Vgl.  Gmelin,  Handbuch  der  org.  Chemie.  I.  808  —  816. 
**)  Kane,  Heintz,  vgl.  Gmelin,  Handbuch  der  org.  Chemie.  I.  796. 
♦♦•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CX  21. 
t)  Fremy,  Ann.  Chem.  Pharm.  XV.  278;  Gottlieb,  ibid.  LIL  127. 


ZwÖAtomige  Radicale:  ChiHto.  619 

Dritte  Grnppe. 
Zweiatomige  Kohlenwasserstofiradicale :  OaH^n. 

Ad  die  einatomigen  Alkohole:  GnHio+tO,  und  die  von  den-  930. 
selben  durch  Vertretung  von  Hj  durch  O   sich   ableitenden  einatomigen 
S&uren:  OnH^nO),  sohliessen  sich  zunächst  zwei  Eörpergruppen  an,  deren 
empirische  Formeln  schon  höchst  einfache  Beziehungen  zu  den  Formeln 
jener  Körper  erkennen  lassen.    Man  hat: 


Einatomige  Alkohole:    6nH2D-|-20 
Zweiatomige  Alkohole:  6nH2a4-202 

Oder  in  Beispielen: 

Alkohol:  eaH,0 
Glycol:     6jH.ea 


OdH^dO)    einatomige  Sfioren. 
ObH^d^s    zweiatomige  Säuren. 

62H403    Essigsäure. 
^2^40,    Glycolsäure. 


Die  zweiatomigen  Alkohole  unterscheiden  sich  von  den  ein- 
atomigen,^ und  ebenso  die  zweiatomigen  Säuren  von  den  einatomigen, 
nur  dadurch,  dass  sie  bei  gleichem  Oehalt  an  Kohlenstoff-  und  Wasser, 
stoffatomen  ein  Atom  Sauerstoff  mehr  enthalten. 

In  ihrem  chemischen  Charakter  zeigen  die  Gljcole  ebenfalls  eine  981. 
grosse  Analogie  mit  den  einatomigen  Alkoholen,  aber  es  findet  dabei 
die  charakteristische  Verschiedenheit  statt,  dass  in  den  Glycolen  zwei 
Atome  Wasserstoff  durch  Badicale  yertretbar  sind,  während  in  den  ein- 
atomigen Alkoholen  nur  ein  Atom  Wasserstoff  durch  Radicale  ersetzbar 
ist.  Dieselbe  Verschiedenheit  findet  sich  wieder  bei  den  beiden  Säure- 
gruppen  *). 

Diese  Verschiedenheit  wird  ausgedrückt  durch  die  typischen  Formeln : 


Einatomige  Alkohole:    ^"^^"Hje 

Zweiatomige  Alkohole :      ^"^"|  O, 
Oder  in  Beispielen: 

Alkohol:  ^»^^}e 

Glycol:    ^»J*}^, 


©nHin-iö»^    ematomige  SSuren. 
enH2n-^|^^  zweiatomige  Säuren. 

^A^|e    Essigsäure, 
^»^^je,  Glycolsäure. 


Man  sieht  leicht,  dass  die  in  den  Formeln  der  zweiatomigen  Alko- 
hole und  Säuren  als  Radicale  angenommenen  Atomgruppen  sich  Ton  den 
Radicalen  der  einatomigen  Alkohole  und  Säuren  durch  ein  Atom  Was- 

*)  Dass  in  der  Glycolsäure  und  den  mit  ihr  homologen  Säuren  nur  ein  Atom 
Wasserstoff  mit  Leichtigkeit  gegen  Metalle  ausgetauscht  wird,  während  das 
andere  leichter  durch  andere  Radicale  ersetzt  wird,  wurde  mehrfach  erwähnt 
(z.  B.  SS-  216,  298)  und  wird  gelegentlich  dieser  Säuren  noch  besprochen. 


cfV*] 


620  Zweiatomige  Radieale:  €iAa. 

serstoff  unterscheiden,  welches  sie  weniger  enthalten.  Durch  den  Ver- 
lust dieses  Wasserstoffs  sind  die  Radieale,  die  vorher  einatomig,  d.  h. 
einem  Atom  Wasserstoff  äquivalent  waren,  jetzt  zweiatomig,  d.  h.  zwei 
Atomen  Wasserstoff  äquivalent  geworden,  wie  sich  dies  aus  den  fniher 
entwickelten  Ansichten  über  die  Atomigkeit  und  Aneinanderlagerung  des 
Kohlenstoffs  ergibt. 

Die  zweiatomigen  Alkohole  und  Säuren  können  demnach  betrachtet 
werden  als  zwei  Molecüle  Wasser,  die  dadurch  zu  einem  Holecül  zusam- 
mengehalten sind,  dass  zwei  den  verschiedenen  Wassermolecfllen  zoge- 
hörige Wasserstoffatome,  durch  ein  zweiatomiges  Radical  vertreten  sind. 
Z.  B.: 

Typus.  Glycol.  Glycolsäure. 

Es  ist  vielleicht  nicht  ungeeignet,  bei  dieser  Gelegenheit  wieder  darauf  auf- 
merksam zu  machen ,  dass  die  typische  Auffassangs  -  und  Schreibweise  nichts  an- 
deres ist  als  ein  conventionell  gewählter  Ausdruck  der  Thatsachen.  Die  Thateache 
selbst  ist  die ,  dass  darch  Einzutreten  von  einem  Atom  Sauerstoff  zu  dem  sonst 
unverändert  bleibenden  Holecül,  ein  Atom  Wasserstoff  seinen  Charakter  in  der 
Weise  umändert ,  dass  es  sich  jetzt  leichter  von  der  Gruppe  der  Eohlenstoffatome 
loslöst 

Alle  Abkömmlinge  der  zweiatomigen  Alkohole  und  alle  Metamor- 
phosen, durch  welche  solche  Verbindungen  entstehen,  können  in  einfacher 
Weise  durch  typische  Formeln  dargestellt  werden,  in  welchen  Atom- 
gruppen von  der  Form:  OqH^o  als  zweiatomige  Radieale  angenonunen 
sind. 

In  allen  solchen  Formeln  drückt  die  typische  Schreibart  genau  das> 
selbe  aus,  was  bei  den  einatomigen  Alkoholen  und  Säuren  durch  eine 
entsprechende  Schreibart  angedeutet  wurde. 

So  zeigt  z.  B.  die  Formel  des  Glycols,  dass  in  diesem  Körper  zwei  Atome 
Wasserstoff  durch  Radieale  vertretbar  sind.    Z.  B. : 

We,    ^Ä)  Ä/  e^]  eA) 


H)  Na^  H 


Sie  zeigt  femer,  dass  die  beiden  typischen  Sauerstoffatome  durch  Chlor  er- 
setzbar sind  (bei  Einwirkung  von  Phosphorchlorid  z.  B.)«  Dabei  kann  nun  ent- 
weder ein  Atom  Sauerstoff  durch  die  äquivalente  Menge  Chlor,  oder  es  können 
zwei  Atome  Sauerstoff  durch  4  At  Chlor  ersetzt  werden;  im  ersteren  Fall  löst 
sich  ein  Molecül  Salzsäure  los,  im  zweiten  treten  zwei  Atome  Wasserstoff  des 
Qlycols  in  Verbindung  mit  Chlor  aus.    Man  hat: 


AUgemeine  Batnchtongen. 


621 


h(« 


H(0 

H  a 


H  Gl 


H  Gl 


Die  zweiatomigen  Alkohole  bilden  also  ein  Ghlorid  mehr  als  die  einatomi- 

gen.  Ausser  dem  eigentUchen  Ghlorid:  B^^^-^^i  erzeugen  sie  noch  ein  zwischen 
diesem  und  dem  Glycol  selbst  intermedifires  Ghlorid,  ein  Oxychlorid:  Bfi^BCL 
Diese  Verbindangen  leiten  sich  ab  von  den  folgenden  Typen: 


Hi 


)e 


Hj 


je 

r 

)H  Gl 


jHGl 
IHGl 


Diese  Beispiele  zeigen  schon,  dass  die  zweiatomigen  Radicale  mehrere  Mo- 
lecflle  von  gleicher  oder  von  verschiedener  Natur  zusammenhalten  können  (vgL 
SS-  200  ff.)  und  daäs  sie  so  eine  weit  grössere  Anzahl  von  Verbindungen  zu  er- 
zeugen im  Stande  sind,  wie  die  einatomigen.  (Vgl.  auch  die  typische  Zusammen- 
stellung des  vom  Aethylglycol  sich  ableitenden  Verbindungen  $.  962.) 


Die  zweiatomigen  Radioale:  OnH^  sind  in  isolirtem  Zustand  9^- 
bekannt  Das  Verhalten  dieser  Kohlenwasserstoffe  und  viele  ihrer  Bil- 
duDgsweisen  stehen  mit  der  oben  mitgetheilten  Ansicht  Ober  ihren  chemi- 
schen Charakter  in  Uebereinstimmung.  Diese  Kohlenwasserstoffe  entstehen 
nämlich  —  ausser  bei  tiefer  gehender  Zersetzung  verschiedener  Substan- 
zen von  complicirterer  Zusammensetzung  —  auch  aus  den  einatomigen 
Alkoholen:  €nH2ii4.20;  oder  aus  anderen  Verbindungen  derselben  Radi- 
cale; und  zwar  durch  Reactionen  die  deutlich  zeugen,  dass  die  einato- 
migen Radicale:  GnHtD-i-i  ein  Atom  VPasserstoff  verlieren  und  so  die 
Kohlenwasserstoffe  GnEm  erzeugen. 

Die  einatomigen  Alkohole  zerfallen  bei  Einwirkung  wasserentziehen- 
der Substanzen  (Chlorzink,  Phosphorsäureanhydrid,  Schwefelsäure  etc.), 
bisweilen  auch  bei  Einwirkung  hoher  Temperaturen  allein,  in  Wasser  und 
Kohlenstoffe.    Z.  B.: 


Aethylalkohol. 


Aethjlen. 


H 


ije    =    ®>«*gje  =  €A  +  H,e 


Die  Chloride  (Bromide,  Jodide)  der  Alkoholradicale  zerfallen  häufig 
schon  beim  starken  Erhitzen  ihrer  Dämpfe  oder  bei  Einwirkung  erhitzter 
Hetallozyde,  in  Salzsäure  und  Kohlenwasserstoffe.    Z.  B.: 


Aeibylchlorid.  Aethylen. 


HCl 


622  Zweiatomige  Radicale:  6ttH2D. 

Auch  bei  Zersetzung  anderer  Verbindangen  der  einatomigen  Alkoholndieak 
treten  häufig  die  Kohlenwasserstoffe :  6nH)n  auf.  So  entsteht  z.  B.  Aethylen  bdo 
Erhitzen  von  Teträthylammoniumhydrat  (§.  725),  bei  Einwirkung  von  Aethyljodid 
auf  Natriumäthyl  (§.  767).  Ferner  entsteht  Ceten  bei  Destillation  von  Wallntk 
(§.  699);  Helen  bei  Destillation  von  Wachs  (§.  908)  etc. 

Die  Kohlenwaaserstoffe  OnH^a  zeigen  das  Verhalten  zweiatomiger 
Radicale.  Sie  verbinden  sieh  direet  mit  zwei  Atomen :  Chlor,  Brom  ode 
Jod;  z.  B.: 

Aethylen«      Aethylenchlorid.      Aethylenbromid.       Aethjlenjodid. 
Ö1H4  e,H4.Cl,  ejH^.Br,  ejH4.J, 

Die  so  erzeugten  Substanzen  verhalten  sich  wie  die  Chloride,  Bio- 
mide  oder  Jodide  zweiatomiger  Radicale,  d.  h.  sie  sind  fähig,  bei  Ein- 
wirkung auf  gewisse  Substanzen,  die  mit  dem  Chlor  oder  Brom  yerboii- 
dene  Atomgruppe  gegen  zwei  Atome  Wasserstoff  oder  gegen  zwei  Atome 
Silber  etc.  auszutauschen.  So  entsteht  z.  B.  bei  Einwirkung  von  Aetby- 
lenjodid  auf  essigsaures  Silber  das  Diacetylgljcol,  aus  welchem  dami 
Glycol  erhalten  werden  kann.    Man  hat: 

Aethylenjodid.        2  Mol.  essigs.  Silber.     Jodsilber.     DiacetylglycoL 

— — \    r^t^  ^M^ 

—  ^wr  «Aer 

984.  Die  Kohlenwasserstoffe:  €nH2n  zeigen  indess  noch  eine  andere  Seite 

ihres  chemischen  Verhaltens.  Aus  den  eben  erwähnten  Chloriden  (md 
Bromiden)  wird  nämlich,  bei  Einwirkung  von  Alkalien  (besonders  in  al- 
koholischer Lösung)  Salzsäure  eliminirt.  Das  entstandene  Prodnct,  du 
als  Substitutionsproduct  des  ursprünglich  angewandten  Eohlenwassersfolb 
betrachtet  werden  kann ,  ist  wieder  fähig  sich  mit  2  Atomen  Chlor  n 
verbinden.  Das  so  erzeugte  Chlorid  kann  wieder  Salzsäure  verlieren  und 
so  weiter  fort,  bis  schliesslich  aller  Wasserstoff  des  angewandten  K(A- 
lenwasserstoffs  durch  Chlor  ersetzt  ist  Jeder  Kohlenwasserstoff  kann  so 
als  Ausgangspunkt  von  zwei  Reihen  chlorhaltiger  Körper  dienen,  tob 
welchen  die  der  einen  als  Substitutionsproducte  des  Kohlenwasserstob 
selbst,  die  der  andern  als  Substitutionsproducte  seines  Chlorids  betrachtet 
werden  können  (vgl.  $.  999). 


985.  Genetische  Beziehungen  der  zweiatomigen  Kohlenwassentoff- 

radicale:  OdH^b  zu  den  Verbindangen  anderer  Radicale. 

L  Einatomige  Alkoholradicale:  GnHsn+i. 

Dass  die  Kohlenwasserstoffe  CaHio  aus  den  einatomigen  Alkoholen 
und  auch  aus  andern  Verbindungen  derselben  Radicale  entstehen  könneo, 
wurde  oben  erwähnt  ($*  933). 


Genetische  Beüehnngen.  023 

Zu  diesen  üebergftngen  einatomiger  Alkoholradicale  in  zweiatomige  gehört 
auch  die  Bildung  von  Carbylsulfat,  Aethionsäure  und  IsäthionBäure  bei 
Einwirkung  von  Schwefelsäureanhydrid  auf  Aethylalkohol  und  Aethyläther.  Da 
dieselben  Substanzen  auch,  und  zwar  leichter,  aus  Aethylen  (O^H^)  erhalten  wer- 
den können,  so  kann  man  sie  als  Verbindungen  dieses  zweiatomigen  Radicals  be- 
trachten S.  992. 

Umgekehrt  können  die  Kohlenwasserstoffe:  OnH^n,  indem  sie  sich 
an  ein  Atom  Wasserstoff  anlagern  einatomige  Alkoholradicale  und  resp. 
Yerbindungen  dieser  Radicale  erzeugen.  Sie  verbinden  sich  z.  B.  mit 
mehr  oder  weniger  grosser  Leichtigkeit,  mit  Salzsäure,  Bromwasserstoff- 
säure oder  Jodwasserstoffsäure  und  erzeugen  so  die  Chloride,  Bromide 
und  Jodide  der  einatomigen  Alkoholradicale;  sie  verbinden  sich  ebenso 
direct  mit  Schwefelsäurehydrat  und  erzeugen  die  betreffenden  Aether- 
schwefelsäuren. 

Das  Aethylen;  6aH4  verbindet  sich  verhftltnissmttssig  leicht  (bei  öOetündi- 
gern  Erhitzen  auf  100*)  mit  Jodwasserstoff,  weniger  leicht  mit  Chlor-  oder  Brom- 
wasserstoff; Propylen:  C^H«;  Amylen:  65H10;  Caprylen:  G^Hi«  undCeten:  Ci^H^s 
vereinigen  sich  ebenfalls  bei  lang  anhaltendem  Erhitzen  aui  100®  mit  Chlor-,  Brom- 
oder Jodwasserstoffsäure  *). 

Das  Aethylen  wird  von  Schwefelsäurehydrat  erst  bei  lang  anhaltendem 
Schütteln  absorbirt;  das  Propylen  und  Butylen  dagegen  verbinden  sich  leicht  mit 
Schwefelsaure  ••). 

Da  die  so  erhaltenen  Verbindungen  (Chloride,  Bromide,  Jodide  und  Aether- 
schwefelsäuren)  f&hig  sind  beim  Kochen  mit  Wasser  oder  Metallozyden  die  betref- 
fenden Alkohole  zu  erzeugen,  so  gibt  diese  Reaction  ein  Mittel  in  die  Hand,  aus 
vielen  Kohlenwasserstoffen  die  zugehörigen  einatomigen  Alkohole  synthetisch  dar- 
zustellen ♦••). 

Zu  diesen  Rückbildungen  von  Yerbindungen  einatomiger  Alkohol- 
radicale aus  den  zweiatomigen  Kohlenwasserstoffen,  gehören  auch  die  bei 
Einwirkung  der  Chloride  des  Schwefels  auf  Aethylen  und  Amylen  ent- 
stehenden Producte. 

Die  beiden  Chloride  des  Schwefels  verhalten  sich  bei  dieser  Reaction  wie 
das  Sulfid  und  Bisulfid  des  Chlors  (dem  Kaliumsnlfid  und  Kaliumbisulfid  ent- 
sprechend): 


*)  Berthelot,  Ann.  Chem.  Pharm.  CIV.  184;   CXV.  114. 

••)  Berthelot,  ibid.  XCIV.  78. 

***)  Dass  das  Aethylen  sich  mit  Schwefels&urehydrät  direct  zu  Aethylschwefel- 
säure  verbindet,  war  schon  1826  von  Faraday  und  1826  von  Hennel  beob- 
achtet worden.  Die  Bildung  des  Alkohols  aus  Aethylschwefelsäure  war  da- 
mals bekannt,  und  es  war  somit  ein  Mittel  gegeben,  den  Alkohol  aus 
Aethylen  synthetisch  darzustellen  (vgl.  Gmelin,  Handb.  der  org.  Ch.  L  526, 
272).  In  neuerer  Zeit  haben  Berlhelof  s  umfassende  synthetische  Versuche 
diese  Thatsachen  völlig  festgestellt  und  ihnen  von  neuem  die  Aufinerksam- 
keit  der  Chemiker  sagewendet. 


624 


Zwdatomige  Radicale:  OnHan. 


Chlorsulfid. 


<%lorbisalfid. 


eil 
eil 


II». 


Wirkt  Aethylen:  62H4  auf  diese  Chloride  ein,  so  lagert  sich  dieGrappe€|1I| 
an  Chlor  an»  gerade  so,  wie  sie  bei  den  eben  erwähnten  Reactionen  sich  «nda 
Wasserstoff  der  SalzsKure  oder  des  Schwefelsäurehydrats  anlagert;  es  entstehen*): 

Aethylendichlorosulfid.  Aethylendisuliochlorid. 


e^ciig 


eAcii« 
eAcir» 


Beide  Körper  können  betrachtet  werden  als  Substitutionsproducte  da  Ib- 
captans  (§.  678)  und  des  Aethylbisulfids  ($.  674).    Man  hat: 

Mercaptan.  Aethylbisulfid. 


i:ll^' 


Dichlormercaptan.  Monochloräthylbisulfid. 

«r  eaH^Cir« 

Bei  Einwirkung  von  Aethylen  auf  Chlorbisulfid  entsteht  noch:  Chlorlthylft 
bisulfochlorid  (Dichloräthylbisulfid)  und  aus  diesem  wird  durch  Chlor  das  Dicfal» 
'  äthylenbisulfochlorid  erhalten ,   dessen  Identität  mit  dem  aus  Aethylbisulfid  dai{^ 
steUten  Trichloräthylbisulfid  nachgewiesen  wurde.    Van  hat: 


Dichloräthylbisulfid. 
ejH,Cl,U 


Trichloräthylbisulfid. 
O^HjClsio 


(Vgl.  femer  die  entsprechenden  Amylverbindnngen  $•  972). 

Die  folgende  ZusammenstelluDg  zeigt,  dass  ein  SabstitationsproM 
eines  einatomigen  Alkohols  dieselbe  Formel  besitzt,  wie  das  Oxyehloä 
eines  zweiatomigen ;  z.  B.  Monochloräthylalkohol  gleich  salzsaures  Oljeol: 


Alkohol 

Monochloralkohol. 

Essigsäure. 

Monochloressigs&mt 

^A}o 

eAOj^ 

e ACie  ^ 

Alkohol. 

Salzs.  GlycoL 

Essigsäure. 

Honochloressigsimt 

^g 

«.^j« 

h(0 

Glycol. 

Glycolsäure. 

•)  Guthrie,  Ann.  Chem.  Pharm.  CXm.  266;  CXVL  284.  —  Vgl  auch:  IBcbm 
ibid.  CXUL  288. 


Genetische  Beriehniigen.  Q25 

Da  nun  bei  den  entsprechenden  8&aren,  deren  Formeln  beigefllgt 
sind,  eine  einatomige  Säure  in  eine  zweiatomige  und  umgekehrt  eine 
zweiatomige  in  eine  einatomige  umgewandelt  werden  kann  (k.  B.  Essig- 
säure in  Olycokäure  uud  umgekehrt),  indem  man  die  dem  salzsau- 
I  Ten  Olycol  entsprechende  Verbindung  (Honochloressigsäure  =  salzsaure 
Glycolsäure)  als  Zwischenglied  benutzt,  so  ist  es  sehr  wahrscheinlich, 
dass  in  der  Gruppe  der  Alkohole  die  entsprechende  Reaction  ausfähr- 
bar ist.  Wenn  auch  aus  Alkohol  kein  Olycol  erhalten  werden  kann, 
weil  bei  Einwirkung  von  Chlor  auf  Alkohol  nicht  Substitutionsproducte 
sondern  Oxydationsproducte  entstehen,  so  wird  sich  doch  das  Glycol  zu 
Alkohol  reduciren  lassen,  indem  man  zuerst  salzsaures  Olycol  darstellt 
und  in  diesem  dann,  durch  Zink  oder  Natriumamalgam  das  Chlor  durch 
Wasserstoff  ersetzt. 

l  IL  Beziehungen  der  zweiatomigen  Eohlenwasserstofiradicale  zu  den  986« 

einatomigen  Säuren  OnH^nOs. 

Aus  den  fetten  Säuren  entstehen  bei  einigen  Reactionen  diejenigen 
^]  Kohlenwasserstoffe  OnH^n  (oder  auch  Verbindungen  dieser  zweiatomigen 
^     Badicale),  die  1  At.  6  weniger  enthalten  als  die  fette  Säure. 

So  entsteht  z.  B.   aus  BaldrianBäure  bei   elektrolytischer  Zersetzung    ihres 
Kalisalzes  neben  Butyl  (§.  698)  auch  Butylen. 

Hierher  gehört  auch   die  Bildung  der  Disulfometholsfture  und  der  Disulfo* 
ätholsäure  bei  Einwirkung  tou  Schwefel  Säureanhydrid  auf  Essigsäure  oder  Propion- 
säure (vgl.  $.  996).    Da  die  fetten  Säuren  bei  vielen  Reactionen  sich  verhalten  als 
enthielten  sie  das  einatomige  Alkoholradical  von  1  At  Kohlenstoff  weniger  (S* .796), 
^      entsprechend  der  Formel: 

»"  ©H, 

ji*  Essigsäure    =      ^^0 

so  ist  die  Bildung  der  Kohlenwasserstoffe  6aH2n  und  ebenso  die  Bildung  der  er- 
^.      wähnten  Sulfosäuren  aus  einer  fetten  Säure  von  1  At  6  mehr,  im  Grund  genom- 
men nur  eine  Umwandlung  eines  einatomigen  Alkoholradicals :  €fDH2o-fi  in  ein 
^     zweiatomiges:  6nHin. 


in.  Beziehungen  zu  zweiatomigen  Säuren.  987. 

1)  Die  Olycole  sind  fähig  durch  directe  Oxydation  (Einwirkung  von 
Salpetersäure  oder  von  Sauerstoff  unter  Vermittlung  von  feinzertheiltem 
Platin)  in  zweiatomige  Säuren  fiberzugehen.  Dabei  werden  (genau  wie 
bei  der  Bildung  der  fetten  Säuren  aus  den  Alkoholen)  2  Atome  Wasser- 
stoff durch  ein  Atom  Sauerstoff  ersetzt  und  es  entstehen  so  Hydrate  der 
zweiatomigen  OzykohlenwasserstoflBradicale.  Da  diese  letzteren  durch  Wie- 
derholung derselben  Oxydation  in  die  Hydrate  der  zweiatomigen  Dioxy- 

KekoU,  orfu.  Ckeala.  40 


626  Zweiatomig«  Radicale:  CfnH^n. 

koUenwasseratoffi-adicale  abergehen  köDDen,  so  können  ans  jedem  Gljtd 
durch  Oxydation  zwei  verschiedene  zweiatomige  Sftoren  erhalten  weidet 
Z.  B.: 

Glycol.  Olycolfläure.  Oxals&are. 

öAU  eAO)^  «i^iU 

H,r^  Hjj^»  H,i^> 

2)  Die  zweiatomigen  Kohlen wasserstoflfe:  OnH^o  sind  fähig,  anfv- 
directem  Weg  zweiatomige  Säuren  zu  erzeugen,  welche  2  Atome  6  meb 
enthalten. 

Gerade  so  wie  die  Cyanide  der  einatomigen  Alkoholradicale  imla 
Aufnahme  von  Wasser  zu  den  Ammoniaksaizen  der  fetten  Säuren  Ver- 
den; z.  B.: 

Aethylcyanid.  Propionsäure. 

e^.GN    +    2Hjie    =    G,H«0,    +    NH, 

so  entsteht  aus  Aethylencyanid  bei  Behandeln  mit  Ealihydrat  Bemstdn- 
säure  und  Ammoniak  (Simpson): 

Aethylencyanid.  Bemsteinsäure. 

©jH^jlg    +    4H,e    =    G4H,G4    +    2NH, 

938.  IV-    Beziehungen    zu    dreiatomigen   Kohlen wasserstofiBradiaü» 

Reactionen  der  Art  sind  bis  jetzt  nur  wenige  bekannt  Bei  Einwiikag 
von  Phosphorjodür  (P2J4)  auf  Glycerin  entsteht  Propylen  und  gleichzdtii; 
AUylbromid,  welches  als  Jodsubstitutionsprodtu  l  des  Propylens  betrachtei 
werden  kann: 

Glycerin.  Propylen.  Allyljodid. 

G,H.U  G,H.  G,H,J. 

Umgekehrt  kann  aus  Allyljodid  das  Allyltribromid  erhalten  werden; 
dieses  gibt  mit  essigsaurem  Silber  das  Triacetglycerin  (Triacetin)  aus  wel- 
chem durch  Zersetzen  Glycerin  gewonnen  werden  kann: 

Allyljodid.  Allyltribromid.  Triacetin.  Glycerin. 

m  IM  m 

(GAe),i   •  ^^ 

Hierher  gehört  auch  die  Bildung  des  Methylenjodids  und  la- 
derer  Methylenverbindungen  aus  Jodoform : 

Jodoform.  Methyleigodid. 

m  a 

^H.Jj  Gfl(2.J2 


627 


Isomerieen  der  Kohlenwasserstoffe:  OnHta  und  ihrer 
Verbindungen  untereinander  und  mit  andern  Substanzen. 

X)  Die  Kohlenwasserstoffe:  6nH2n  sind  alle  untereinander  isomer, 
resp.  mit  einander  p  o  1  y  m  e  r. 

Da  häufig  bei  Zersetzungen,  z.  B.  bei  trockner  Destillation  organischer  Sub- 
stanzen, verschiedene  dieser  Kohlenwasserstoffe  neben  einander  entstehen;   da  fer- 
ner in  manchen  in  der  Natur  vorkommenden  Stoffen  z.  B.  in  einigen  Steinölen, 
!        verschiedene  dieser  Kohlenwasserstoffe  neben  einander  enthalten  sind ;  so  ist  es  ein- 
I        leuchtend,  der  Polymerie  wegen,  dass  die  Elementaranalysc  nicht  zeigt,  mit  welchem 
Kohlenwasserstoff  man  es  gerade  zu  thun  hat,   dass  vielmehr  zur  Entscheidung 
I        dieser  Frage  die  physikalischen  Eigenschaften  und  ganz  besonders  die  Zusammen- 
setzung und  Eigenschaften  der  Abkömmlinge   studirt  werden  müssen.     Bisweilen 
entstehen  bei  einer  Reaction,    durch  welche   ein  bestimmter  Kohlenwasserstoff  er- 
halten werden  sollte,   gleichzeitig  polymere  Modiücationen  dieses  Kohlenwasser- 
stoffs.   So  wird  z.  B.  bei  Destillation  von  Amylalkohol  mit  Chlorzink  neben  Amy- 
len  auch  Paramylen  erhalten. 

2)  Die  Chloride  der  Kohlenwasserstoffe  sind  isomer  mit  den  einfach 
i      gechlorten  Chloriden    der  Alkoholradicale.     So  ist  z.  B.  Aethylenchlorid 
isomer  mit  Moi^chloräthylchlorid  (§.  690). 

Aethylenchlorid.  Monochloräthylchlorid. 

©A-Clj  eÄCLCl 


Die  Substitutionsproducte  des  Aethylenchlorids  sind  isomer  mit  den 
an  Chlor  reicheren  Substitutionsproducten  des  Aethylchlorids  (vgl  §.  690). 

Die  Chloride  der  Kohlenwasserstoffe:  Collen  sind  ferner  isomer  mit 
den  aus  den  Aldehyden  sich  ableitenden  Chloriden.  So  ist  das  Aethylen- 
chlorid (§.  953)  isomer  mit  Aethylidenchlorid  (§.  844).  Bemerkenswerth 
ist,  dass  diese  beiden  in  ihren  Eigenschaften  verschiedenen  Verbindungen 
durch  alkoholische  Kalilösung  eine  und  dieselbe  Substanz  des  Chloräthy- 
len :  G2H3CI  (§.  953)  liefern.  In  ganz  ähnlicher  Weise  ist  das  Propylen- 
chlorid :  63H(|C]2  (§.  958)  isomer  mit  dem  aus  dem  Aceton  sich  herleiten- 
den Methylchloracetol  (§.925);  und  auch  diese  beiden  Chlorverbindungen 
geben  beim  Behandeln  mit  alkoholischer  Kalilösung  ein  und  dasselbe  Sub- 
stitutionsproduct  des  Propylens,  das  Chlorpropylen :  63H5CI. 

Mit  dem  Brompropylenbromid :  G3H5Br3  sind  isomer  das  AUyltri- 
bromid  und  des  Tribromhydrin. 

3)  Die  Oxyde  der  Kohlenwasserstoffe:  CoH^n  sind  isomer  mit  den 
Aldehyden.    Z.  B.: 

Aethylenoxyd.  Aldehyd. 

O2H4 . 0  üjH^O 

Das  Aethylenoxyd  ist  folglich  auch  isomer  und  resp.  polymer  mit 
all  den  beim  Aldehyd  erw&hnten  Substanzen  ($§,  839,  912). 

40  • 


C28  Zweiatomige  Radicale:  BuEbtm. 

Bemerkenswerth  ist,  das«  bei  Einwirkung  von  Chionink  auf  Oljooi 
statt  des  Aethylenoxyds,  dessen  Bildung  h&tte  erwartet  werden  solteH, 
der  mit  diesem  isomere  Aldehyd  auftritt  und  gleichzeitig  eine  der  poij- 
meren  Modificationen  des  Aldehyds,  der  Acraldehyd  ($.  839). 

4)  Einzelne  der  früher  ($$•  846  ff.)  beschriebenen  Abkömmlinge  da 
Aldehyds  sind  isomer  mit  entsprechenden  Deriyaten  des  Olycols.  Ni- 
mentlich  die  folgenden: 

aus  Glycol.  aus  Aldehyd. 

Diftthylglycol.  Acetal. 

Diacetylglycol.  Aldehyd-Acetanhydrid. 

Salzsaur.  AcetylglycoL  Aldehyd-Acetylchlorid. 

Bja^  jCl  OaH^e    I 

eaH,oje  (e,H,0)Cif 

Es  wurde  früher  schon  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  die  zuletzt  (3  ui 
4)  erwähnten  Isomerieen  zu  denjenigen  gehören,  über  deren  Ursache  man  sich  an 
wenigsten  Rechenschaft  zu  gehen  im  Stande  ist  (§.  819). 

940.  Für  einzelne  der  von  den  Kohlenwasserstoffen:  OdH^b  sich  ablete 

den  Substitutionsproducte  hat  man  beobachtet,  dass  sie  unter  gewiuci 
noch  nicht  näher  ermittelten  Bedingungen  sich  in  feste,  polymere  Modift- 
cationen  umwandeln.  So  wird  z.  B.  flüssiges  Üromäthylen :  O^B.^Bt  hm 
Aufbewahren  in  einer  zugeschmolzenen  Röhre  oft  und  bisweilen  sehr  rasdi 
zu  einer  festen  weissen  Masse  (Hofmann)  *).  Eine  ähnliche  Umwandluog 
hat  Regnault  schon  vor  längerer  Zeit  f&r  das  Bichloräthylen :  G^Q^ 
beobachtet 

In  der  folgenden  Specialbeschreibung  sind  zuerst  die  Eolllenwasee^ 
Stoffe  selbst  besprochen;  nachher  ihre  Chlor-,  Brom- und  JodverbindaiigeD 
und  die  von  ihnen  sich  herleitenden  Substitutionsproducte.  Man  hat  daifl 
alle  die  Substanzen  zusammengestellt,  in  welchen  die  Eohlenwasserstofle: 
€oH2o  die  Rolle  zweiatomiger  Radicale  spielen;  und  zwar  zunächst  die 
Olycole  und  ihre  Abkömmlinge,  dann  die  Stickstoff,  Phosphor  nnd  Axaei 
enthaltenden  Basen,  und  endlich  die  von  der  Schwefelsäure  sich  ableitea- 
den  Verbindungen  (s.  g.  Sulfosäuren)  dieser  zweiatomigen  Radioale. 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXY.  271. 


62» 


Kohlenwasserstoffe:    GuE^a. 


941. 


Schmelz- 

Namen. 

Formel. 

Siedepunkt 

pankt 

Mettiylen  (unbekannt) 

e  H, 

AeÜiylen  (Elayl) 

e,H^ 

Propylen  (Tritylen) 

e,H. 

Butylen  (Ditetryl,  Tetrylen) 

e4H, 

Amylen 

^»  H,o 

Hexylen  (Caproylen,  Oleen) 

€,  H,j 

Oenanihylen 

67   H,4 

86*  (89«) 

Caprylen 

^8  Hu 

56» 

(Nonylen,  ElaCn,  Naphten) 

6t  Hjg 

96» 

CParamylen) 

610H20 

125* 

— 

— 

110* 

Geten 

^ifHjj 

Ceroten 

6aiH^4 

276» 

67»-68» 

Helen 

0«oH«Q 

;870*-880» 

62» 

Paraffin 

OiAi 

8S»-68« 

Ozokerit 

e»H. 

76«  und  90» 

Viele  dieser  Kohlenwasserstoffe  können  aos  den  entsprechenden  ein- 
atomigen Alkoholen  erhalten  werden;  entweder  dureh  Einwirkung  was- 
serenteiehender  Substanzen  oder  durch  Zersetzung  dieser  Alkohole  oder 
ihrer  Verbindungen  durch  Hitze  (J.  933).  —  Auch  die  diesen  Alkoholen 
entsprechenden  Aldehyde  und  S&uren  (fette  B&uren)  liefern  bei  manchen 
Zersetzungen  solche  Kohlenwasserstoffe  ($.  936);  namentlich  entstehen 
dieselben,  wenn  die  fetten  8&nren  durch  glohende  Röhren  geleitet  oder 
wenn  Salze  der  fetten  Sfturen  der  trocknen  Destillation  unterworfen  wer- 
den. Auch  die  Oelsttare  gibt  bei  trockner  Destillation  Kohlenwasserstoffe 
von  der  Formel:  QtHu-  Viele  organische  Substanzen  yon  complicirter 
Zusammensetzung  liefern  ebenfalls  bei  trockner  Destillation  solche  Koh- 
lenwasserstoffe; so  enthalt  z.  B.  das  bei  Destillation  von  Fetten,  Harzen, 
Holz  oder  Steinkohlen  entstehende  Gas  (Leuchtgas),  Aethylen,  Buty- 
IcD  etc.  Bei  allen  diesen  Destillationen  entstehen  gleichzeitig  flüssige  und 
selbst  feste  Kohlenwasserstoffe  von  derselben  Zusammensetzung  (Paraffin). 
—  Bei  der  trocknen  DestiUation  des  Holzes  und  der  Steinkohlen  werden 
neben  diesen  Kohenwasserstoffen  auch  noch  kohlenstoffireichere  Snbstan- 


^0  Kohlenwasserstoffe:  6nHaa. 

zen  gebildet  (namentUoh :  Benzol,  PheDjlalkohol,  Kreosot  ete.);  bd  den 
Harzen  und  bituminösen  Schiefern  (Bogheadkohle),  dagegen  bestehen  die 
gasförmigen,  flüssigen  und  festen  Destillationsproducte  fast  ausschliessHck 
aus  den  Kohlenwasserstoffen  GnHin  (vgl.  §.  691). 

Fertig  gebildet  in  der  Natur  sind  flüssige  Kohlenwasserstoffe  in  yer- 
sohiedenen  Steinölen  aufgefunden  worden  *)  (vgL  aueh  $.  691);  feste 
Kohlenwasserstoffe  (ParaMn)  hat  man  in  Steinölen,  in  der  Boghead- 
Cannelkohle  etc.  gefunden.  Auch  die  s.  g.  Erdwachse,  Erdharze  (Ozo- 
kerit  etc.)  sind  feste  Kohlenwasserstoffe  von  der  Zusammensetzung  OdH«.. 

Besondere  Erwähnung  verdienen  noch  die  von  Berthelot  ^)  als 
Synthesen  ***)  der  Kohlenwasserstoffe  bezeichneten  Bildung»- 
weisen.  Wird  Schwefelkohlen  stoffdampf  mit  Schwefelwasserstoff  Ober 
glühende  Metalle  geleitet,  so  entsteht:  Aethylen.  Beim  Durchleiten  einer 
Mischung  von  Sumpfgas  und  Kohlenoxydgas  durch  eine  glühende  Röhre 
entsteht  Propjlen.  Bei  Destillation  von  ameisensaurem  Baryt  wird  Aethj- 
len  und  Propylen  gebildet.  Bei  Destillation  von  essigsaurem  Natron  mit 
gleichviel  Natronkalk  bilden  sich  neben  Methylwasserstoff  (§.  626)  aueh 
Aethylen,  Propylen,  Butylen  und  Amylen  etc. 


942.  Aethylen.    Elayl.    Oelbildendes  Oas:  O2H4.    Entdeckt  1795  vod 

den  holländischen  Chemikern:  Deimann,  Paets  van  Troostwyk,  Bondt 
und  Lauwerenburgh.  Es  entsteht  beim  Erhitzen  von  Aethylalkohol  mit 
concentrirter  Schwefelsäure,  bei  trockner  Destillation  der  ameisensanreo, 
essigsauren,  buttersauren  Salze,  der  Fette,  Harze,  des  Holzes,  der  Stein- 
kohlen etc.  und  ist  daher  Bestandtheil  aller  Leuchtgase. 

Zur  DarBtellung  des  Aethylens  erhitzt  man  zweckmässig  ein  Gemeoge  too 
1  Vol.  Alkohol  mit  4  Vol.  Schwefelsäure,  dem  man  um  das  Schäumen  zu  vermei- 
den soviel  Sand  zusetzt,  dass  ein  dicker  Brei  entsteht.  Man  wäscht  das  Gas  mit 
Kalilauge  zur  Entfernung  von  schwefliger  Säure  und  Kohlensäure. 

Das  Aethylen  ist  ein  farbloses  schwach  ätherisch  riechendes  Gib; 
bei  —  110^  kann  es  durch  starken  Druck  zur  Flüssigkeit  verdichtet  werden. 
Spec.  Gew.  0,97;  Löslichkeit  in  Wasser  und  Alkohol  vgl.  $.491.  Aether 
absorbirt  es  in  reichlicher  Menge;  auch  von  Eupferchlorür  wird  es  gelöst 


•)  Vgl.  z.  B.  Ann.  Chem.  Pharm.  CXIII.  169;  CXIV.  279;  CXV.  19. 
••)  Ann.  Chem.  Pharm.  CVIII.  188. 

•♦•)  Berthelot  bezeichnet  alle  künstlichen  Bildungsweisen  als  Synthesen.  Es  \A 
zweckmässiger  diesen  Ausdruck  füi*  diejenigen  Metamorphosen  zu  reseniien, 
bei  welchen  durch  verhältnissmässig  einfache  (und  folglich  durch  Fonidi 
darstellbare)  Reactionen  complicirtere  Substanzen  aus  einfacheren  gebildet 
werden. 


i 


l 


Aeäiylen.  631 

Das  Aedijlen  brennt  mit  lenchtender  Flamme.    Da  es  beim  Durcb- 
leiten  durch  ein  glflhendes  Rohr  zn  Onibengas  und  Kohle  zersetzt  wird« 

Aethjlen.  Methylwasserstoff. 

G,H4        =  eH4  +        G 


^  so  ist  es  wahrscheinlich,  dass  in  der  Flamme  des  Aethylens  dieselbe  Zer- 

setzung stattfindet,  so  dass  also  eigentlich  das  gebildete  Grubengas  brennt, 
während  die  abgeschiedene  Kohle  zum  Glühen  erhitzt  wird  und  dadurch 

I  die  Flamme  leuchtend  macht.    In  Chlorgas  brennt  das  Aethylen  mit  stark 

■  russender  Flamme: 

"  G2H4    +    2C1,    =    G,    +    4  HCl. 


(  Mischt  man  1  Vol.  Aethjlen  mit  2  Vol.  Chlor  und  zündet  das  Gemenge 

an ,  so  brennt  es  langsam  ab  und  es  scheidet  sich  viel  Kohle  aus. 

I  Das  Aethjlen  verbindet  sich  direct  mit  Chlor,  Brom  oder  Jod  ($.  933), 

I  mit  Untersalpetersäure   und    mit  den   Chloriden  des  Schwefels   (§.  935). 

Mit  wasserfreier  oder  mit  rauchender  Schwefelsäure  erzeugt  es  Carbjl- 
sulfat  und  Isäthionsäure  (§.  994).  —  Mit  Salzsäure,  Bromwasserstoffsäure 
oder  Jodwasserstoffsäure  verbindet  es  sich  bei  langanhaltendem  Erhitzen, 
mit  Schwefelsäureh jdrat  bei  andauerndem  Schütteln;  es  entstehen  Aethyl- 

;  ohlorid-,  bromid-  oder  Jodid  und  Aethjlsohwefelsänre  ($.  935). 

Propjl en:   G,He.    Es  entsteht,  wenn  die  Dämpfe  von  Amjlalko-  ^^^ 
i  hol  *)  oder  von  Valeriansäure  durch  ein  glühendes  Rohr  geleitet  werden, 

i  Es  wird  häufig  bei  trockner  Destillation  gebildet ;  in  besonders  reichlicher 

Menge  z.  B.  wenn  Oelsäure  (10  Th.)  mit  Kalkhjdrat  (3  Th.)  und  Natron- 
kalk (3  Th.)    destillirt  wird.     Auch  beim  Erhitzen   eines  Gemenges  von 
,  essigsaurem  Kali   mit  oxalsaurem  Kalk    wird  Propylen  erzeugt  **).    Es 

I  entsteht  femer  neben  Alljljodid  bei  Einwirkung  von  Phosphoijodür  (P2J4) 

i  auf  Gljcerin ;    und   endlich   bei  Behandeln   des  AUjljodids    (G3H5J)  mit 

Quecksilber  und  Salzsäure  (Berthelot  und  De  Luca). 

Das  Propjlen  ist  gasförmig,  durch   starken  Druck  verdichtbar;   bei 

[  —  40^  wird  es  noch  nicht  flüssig.     Es  löst  sich  in  6  —  10  Vol.  Wasser, 

I  Alkohol  löst  12  — 13  Vol.  Propjlen.     Rauchende  Schwefelsäure  absorbirt 

es  rasch ;    auch  Schwefelsäurehjdrat  absorbirt  es  weit  leichter  als  das 

Aethjlen.    Es  verbindet  sich  wie  dieses  mit  Chlor,  Brom  oder  Jod  und 

bei  langem  Erhitzen  mit  Salzsäure  etc. 

Butjlen:  G4H8.  (Ditetrjl).    Es  wurde  1825  von  Faradaj  aus  dem  944. 
durch  Destillation  von  Gel  dargestellten  Leuchtgas  durch  starken  Druck 
abgeschieden  und  seitdem  auch  in  andern  Leuchtgasen  nachgewiesen.    Es 


•)  Reynolds,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXVH.  114. 
••)  Dusart,  ibid.  XCVH.  127. 


632  Kohlenwasseraioffe;  ^oHsa. 

entsteht  häufig  neben  andern  Kohlenwasserstoffen  bei  troekner  DestOls- 
tion;  und  in  verhältnissmässig  grosser  Menge  bei  elektroljtiseher  Zet- 
Setzung  des  valeriansauren  Ealfs  *). 

Das  Butjlen  ist  bei  gewöhnlicher  Temperatur  gasförmig;  es  ve^ 
dichtet  sich  bei  etwa  0^  —  Von  rauchender  Schwefelsäure  wird  es  rasdi 
aufgenommen;  es  verbindet  sich  direcl  mit  Chlor  und  Brom. 

946.  Amylen:  65H1Q.    Es  entsteht  bei  Destillation  von  Amylalkohol  mit 

Ghlorzink  ^)  oder  mit  überschüssiger  Schwefelsäure;  femer  bei  troekner 
Destillation  aroylschwefelsaurer  Salze  *♦*).  Es  wurde  von  CouSrbe  ia 
durch  Druck  verdichtetem  Leuchtgas  aufgefunden. 

Das  von  Marchand  neben  andern  Producten  bei  Destillation  der  äthyl8chw^ 
felsanren  Salze  erhaltene  Aetheron  scheint  mit  Amylen  identisch  zu  sein. 

Das  Amylen  siedet  bei  35®;  es  verbindet  sich  direct  mit  Chlor  und 
Brom  und  wird  von  rauchender  Schwefelsäure  leicht  aufgenommen.  Ei 
verbindet  sich  langsam  mit  Salzsäure  etc. 

Das  Amylen  ist  vor  einiger  Zeit  als  Anaestheticum  vorgeschlagen  (Snov, 
1856)  und  versuchsweise  statt  des  Chloroforms  und  des  Aethylftthers  angewandt 
worden. 

Caproylen:  OeHx).  (Hexylen,  Oleen).  Von  Fremy  unter  den 
Destillationsproducten  der  Oelsäure  aufgefunden. 

Oenanthylen:  O^H^^.  Vom  Limprichtf)  durch  Einwirkung  von 
Natrium  auf  Oenanthylenchlorid  erhalten. 

Gaprylen:  Gg^ie-  (Octylen).  Entsteht  bei  Destillation  von  Cet 
prylalkohol  mit  Schwefelsäure  oder  Ghlorzink  ff) ;  und  bei  Destillation 
pelargonsaurer  Salze  (Cahours). 

Elaän:  Ö^Hig  (Nonylen)  wird  neben  Caproylen  bei  Destillation 
der  Hydroolelnsäure  und  Metaolelnsäure  gebildet  (Fremy). 

Das  von  Pelletier  und  Walter  aus  Steinöl  durch  Destillation  abgeschiedene 
Kaphten  (Siedep.  115®)  ist  vielleicht  mit  Elaen  identisch. 

Par amylen:  610H20.    Entsteht  neben  Amylen  bei  Destillation  Ton 
Amylalkohol  mit  Schwefelsäure. 
946.  Ceten:  ©leHj,.    Von  Dumas  und  Peligot  durch  Destillation  tob 

Cetylalkohol  mit  Phosphorsäureanhydrid  erhalten,  bildet  sich  auch  W 
Destillation  des  Wallraths  (§.  908).  Es  ist  eine  farblose  Flüssigkeit,  die 
bei  275®  siedet.  Es  verbindet  sich  langsam  mit  Salzsäure  oder  Brom- 
wasserstoffsäure  zu  Cetylverbindungen. 

Bei  Einwirkung  von  Schwefelsäure  auf  Alkohol   (Aetherdarstellung)  wird 


*)  Kolbe,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXIX. 
••}  Baiard,  ibid.  UI.  816. 
•••)  Kekul^,  ibid.  LXXV.  280. 

t)  limpricht,  ibid.  CHI.  85. 
tt)  BoQis,  ibid.  XCO.  896. 


Paraffin.  633 


hftnfig  eine  als  schweres  Wdnöl  bezeichnete  Sabstanz  gewonnen,  die  ein  Gemenge 
^  YOn  Schwefel8$Lareäihyläther  und  Kohlenwasserstoffen  von  der  Zusammensetzung 
6nH2a  zu  sein  scheint  Durch  Behandeln  mit  Wasser  und  Destillation  wird  ein 
bei  280®  siedender  Kohlenwasserstoff  erhalten,  das  leichte  WeinÖl,  Aetherin  oder 
Aetherol,  der  mit  dem  Ceten  grosse  Aehnlichkeit  zeigt. 

Aehnliche  Producte  entstehen  bei  trockner  Destillation  der  äthylschwefel- 
sauren Salze,  bei  Einwirkung  von  Chlorzink,  von  Phosphors&ureanhydrid  etc.  auf 
Alkohol 

Ceroten:    627H54.    KrystalllDische   Substanz,    die  bei  Destillation' 
des  chinesischen  Wachses  entsteht  und   durch  wiederholte  Destillation  in 
flüssige  Kohlenwasserstoffe  zersetzt  wird  *). 

Helen:  63oH^.  Entsteht  bei  trockner  Destillation  des  Bienen- 
wachses. Es  löst  sich  in  Aether  und  in  fetten  und  ilachügen  Oelen. 
Aus  siedendem  Alkohol  krystallisirt  es  in  Schuppen,  die  bei  62®  schmel- 
zen ♦♦). 

Paraffin.  Hit  dem  Namen  ParafBn  bezeichnet  man  im  AUgemei-  9^7. 
nen  diejenigen,  dem  Ceroten  und  Helen  ähnlichen  und  nach  der  Formel 
OsHsn  zusammengesetzten  festen  Kohlenwasserstoffe,  die  bei  Destillation 
Yon  Holz,  Braunkohle,  Torf  and  bituminösen  Schiefem  entstehen.  Das 
Holeculargewicht  dieser  Substanzen  hat  bis  jetzt  nicht  festgestellt  werden 
können,  da  man  dieselben  noch  nicht  in  wohlcbarakterisirte  Verbindun- 
gen ttberzufahren  vermochte.  DaParafHne  von  verschiedener  Darstellung 
völlig  verschiedene  Schmelzpunkte  zeigen  und  da  sie  femer  durch  fraotio- 
nirte  Krystallisation  aus  Alkohol  in  Producte  von  verschiedenem  Schmelz- 
punkt zerlegt  werden  können,  so  muss  man  annehmen,  dass  die  als  Pa- 
rafBn bezeichneten  Substanzen  Gemenge  von  verschiedenen  homologen 
und  nach  der  Formel  6qH2o  zusammengesetzten  Kohlenwasserstoffen  sind. 
An  die  durch  Destillation  erhaltenen  ParafBne  schliessen  sich  die  als  na- 
türliche ParafBne,  Erdwachs  etc.  bezeichneten  Substanzen  (Ozokerit, 
Scheererit,  Fichtelit  u.  b.  w.)  an;  ferner  die  festen  Bestandtheile  einiger 
Steinöle  z.  B.  des  Rangoon-Theers. 

Bollej  ***)  hat  in  neuester  Zeit  gezeigt,  dass  in  einzelnen  bituminö- 
sen Schiefern  z.  B.  in  der  Boghead-Gannelkohle  das  Parafßn  schon  fertig 
gebildet  enthalten  ist  und  durch  Alkohol  und  Aether  ausgezogen  werden 
kann. 

Die  Schmelzpunkte  einiger  Paraffine  sind  beispielsweise  die  folgenden. 

Parafffin  durch  Destillation: 

des  bituminösen  Schiefers  von  Antun 33^ 

von  Holz 33*,6— 47»,5 


*)  Brodie,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXYII.  210. 
«*)  Ettling,  Brodie,  ibid.  LXXL  166. 
*^«)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXV.  61. 


634  KohlenwasserBtoife:  €^iHtn. 

von  Torf 46V 

von  Boghead-Gannelkohle 45^,5—52 

von  rheinischem  Blfttterschiefer 50^,5 

von  bitaminösem  Schiefer  von  Glasgow 55^ 

[Aus  diesem  letzteren  darch  fractionirte  Krystallisation]  45® — 58* 

Natürliches  Paraffin: 

aus  Boghead-Cannelkohle 41* 

aus  Rangoon-Theer 61* 

Ozokerit  (von  Borystow  in  Galizlen) 60* 

aus  Galizischem  Erdwachs   durch  fractionirte  Krystalli- 

sation 65* 

Das  Paraffin  wurde  1830  ¥00  Relohenbach  in  den  Destülationspro- 
ducten  des  BucheDholzes  entdeckt.  Ueber  sein  chemisches  Verhalten  ist 
nur  sehr  wenig  bekannt.  Durch  längeres  Kochen  mit  Salpetersäure  wird 
es  oxjdirt  unter  Bildung  von  Buttersäure,  Valeriansäure,  Bemsteio- 
säure  etc. 

Chlor  wirkt  bei  gewöhnlicher  Temperatur  nicht  ein;  mit  geschmol- 
zenem Paraffin  gibt  es  Substitutionsproducte,  als  Endproduct  einen  Kör- 
per der  aonähernd  €5117013  zusammengesetzt  ist  *).  Das  Paraffin  ist  uh 
löslich  in  Wasser,  löslich  in  Aether  und  in  heissem  Alkohol. 


948.  Chlor-,  Brom-  und  Jodderivate  der  Kohlenwasserstoffe: 

Dass  die  Kohlenwasserstoffe:  GnHsn  sich  direct  mit  2Ci,  2  Br,  2J 
vereinigen,  wurde  oben  (§.933)  erwähnt.  Von  so  erhaltenen  Yerbindon- 
gen  kennt  man  die  folgenden: 


Chloride. 


Formel. 


Methylenchlorid 

Aethylenchlorid 

Propylenchlorid 

Batylenchlorid 

Amylenchlorid 


^  H2  CIq 
tjjH^  CI3 
ejH,  Cla 
BSb  Cla 
OsHigCla 


Siede- 
punkt. 


40» 

85® 

108» 

127« 


Bromide. 

Formel. 


Siede- 
punkt 


Jodide. 


Aethylenbromid 

ejH«  Bra 

129» 

Propylenbromid 

e^H,  Bra 

144« 

Butylenbromid 

e4H8  Bra 

160« 

Amylenbromid 

OsHioBra 

180* 

Methylenjodid 
Aethylenjodid 
Propylenjodid 


FormeL 


*)  Bolley,  Ann.  Chem.  Pharm.  GVL  281. 


Chloride,  Bromide  ete. 


635 


Die  80  erhaltenen  Chloride  und  Bromide  verlieren  bei  Einwirkung  949. 
von  alkoholiBcher  Ealilösnng  Salzsäure  oder  Bromwasserstoffsäure,  indem 
gleichzeitig  Körper  gebildet  werden,  die  als  Chlor-  oder  Bromsubstitu- 
tionsproduete  der  angewandten  Kohlenwasserstoffe  betrachtet  werden  kön- 
nen. Diese  sind  wieder  f&hig  sich  direct  mit  CI2  oder  Br^  zu  verbinden, 
zu  Substanzen,  die  wiederum  Salzsäure  oder  Bromwasserstoffsäure  elimi- 
niren  können  und  so  weiter  fort,  bis  endlich  aller  Wasserstoff  durch 
Chlor  oder  Brom  vertreten  ist.  Man  kann  so  aus  jedem  Kohlenwasser- 
stoff zwei  Reihen  Chlor-  (oder  Brom-)  haltiger  Substanzen  darstellen, 
von  welchen  die  eine  Substitutionsproducte  des  Kohlenwasserstoffs,  die 
andere  Substitutionsproducte  seines  Chlorids  enthält. 

Abkömmlinge  der  Art  sind  bis  jetzt  nur  von  dem  Aethylen  aus- 
führlich untersucht.    Man  kennt  die  folgenden  Körper: 


Substitationsproducte  von : 

Siede- 
punkt 

Aethylen. 

Chlorid. 

Siede- 
punkt. 

Aethylen 

«A     ^^ 

^^^^e^H^     .CI2 

850 

Aethylenchlorid. 

Chloräthylen 

+  180 

€,H,a  d;^ 

Bichloräthy- 
1«» 

+  3Ö» 

OaHaClacC;;^ 

^^^^eaH,Cl  .Cla 

1150 

Chloräthylen- 
chlorid. 

Jen 

^"---^eaHaCla.Cla 

187« 

Bichloräthylen- 

Trichloräthy- 

? 

OaHCla,--— 

'-'^"^ 

chlorid. 

len 

" — ::r^2H  Cl,.Cla 

154« 

Trichloräthylen- 

Perchloräthy- 

1160,7 

e,   ci,cc::;^ 

'^^ 

chlorid. 

len 

^"^-^Oj     CU.Cla 

182« 

Perchloräthylen- 
chlorid. 

(Anderthalb-chlor- 
kohlenstoff.) 

Das  Aethylenchlorid  ist  isomer  mit  dem  Monochloräthylchlorid ,  die 
von  ihm  sich  ableitenden  Substitutionsproducte  sind  isomer  mit  den  an 
Chlor  reicheren  Substitutionsproducten  des  Aethylchlorids  (§.  690).  Die 
Endglieder  beider  Reihen:  das  Perchloräthylenchlorid:  62CI4.CI2  und  das 
Perchloräthylchlorid :  62C15.C1,  sind  ein  und  derselbe  Chlorkohlenstoff: 
CaCl«  (§.  956). 

Es  mag  hier  schon  erwähnt  werden,  dass  die  eben  angefahrten 
Substanzen  wirklich  durch  die  beschriebene  und  in  der  Tabelle  angedeu- 
tete Aufeinanderfolge  von  Reactionen  erhalten  werden  können;  indessen 
erfolgen  diese  Reactionen  niemals  mit  vollständiger  Schärfe.  Schon  bei 
Einwirkung  von  Chlor  auf  Aethylen  wird  neben  dem  Aethylenchlorid  et- 
was Salzsäure  gebildet  und  es  entstehen  gleichseitig  Substitutionsproducte 


636 


KohlenwMflentoffe:  €hiHsn. 


960. 


des  AethylenchloridB.  Bei  fortgesetzter  BinwirkuDg  des  Oilors  auf  Aedij- 
lenchlorid  kann  nach  und  nach  aller  Wasserstoff  durch  CSilor  sabsti- 
tuirt  und  so  Perchloräthylenchlorid  (Anderthalbohlorkohlenstoff)  erhalten 
werden. 

Während  alle  wasserstoffhaltigen  Sabstitutionsproduote  des  Aethjlea* 
Chlorids,  wie  dieses  selbst,  von  alkoholischer  Ealilösung  zersetst  werden 
unter  Austritt  von  Salzsäure,  wird  das  Perchloräthylenchlorid  Ton  Ksli 
nicht  mehr  angegriffen;  bei  Einwirkung  von  Schwefelkalium  dagegen  Ter- 
liert  es  Chlor  und  wird  zu  Perchloräthylen. 

Aus  Aethylenbromid  können,  nach  kurzen  Angaben  von  Ci- 
hours  *),  Bromsubstitutionsproducte  des  Aetbylens  und  des  Aetfaylenbromidt 
erhalten  werden,  die  den  oben  aufgefohrten  Ghlorsubstitution8prodncte& 
vollständig  entsprechen.    Genauer  untersucht  sind  nur  die  folgenden: 

Aethylen  GA      --....^ 

Bromäthylen  6 ABr -^^ A     -Br,    Aethylenbromid 

Bibromäthylen  eABr,I^^^^==^ABr.Br,    Bromttthylenbromid 


Ferbromäthylen 


B^U 


Hau  kennt  femer  ein  Perchloräthylenbromid:  GsCl^.Brs,  welches 
durch  directe  Vereinigung  von  Perchloräthylen  mit  Brom  entsteht  (Hsdagati). 

Auch  aus  Aethylenjodid  wird  bei  Einwirkung  von  alkoholischer 
Ealilösung  Jodwasserstoffsäure  eliminirt  und  es  entsteht  ein  Jodaubstitii- 
tionsproduct  des  Aetbylens:  das  Jodäthylen  oder  Aldehydenjodid :  €iH|J 
(Siedep.  56«)  (Regnault). 

951.  Aus  Propylen  sind  die  folgenden  chlorhaltigen  Verbindungen  er- 

halten worden: 

Siedep. 


Propylen  6,H, 

Chlorpropylen  9«HtCl 

Bichlorpropylea  63114013; 

Trichlorpropylen  GsHsClt; 

Qaadrichlorpro- 

pylen  ejHjCU: 
Quintichlorpro- 

pylen  G,H  Cl, 

Perchlorpropylen  6^     Cl« 


98»-98« 

170« 

196« 
220«— 225« 
240»— 245» 


Propylenchlorid 


Chlorpropylen- 
Chlorid 

Bichlorpropylen- 
chlorid 

Trichlorpropylen- 
Chlorid 

Qnadrichlorpropy- 
lenchlorid 

Qnintichlorpropy- 
lenchlorid 


Percblo] 
chlorig 


•}  Gompt  rend.  ZXXL  298 


Chloride,  Bromide  etc. 


637 


Durch  Einwirkuiig  von  Brom  hat  man  die  folgenden  Yerbindungen 
erhalten : 


Siedep. 


Propylen 

efi. 

Brompropylen 

62« 

e,HjBr 

Bibrompropylen 

120* 

eABr,. 

Tribrompropylen 

e,H,Br3 

Siedep. 
146« 
192« 
226« 
2560 


Fropylenbromid 

Brompropylen- 
bromia. 

Bibrompropylen- 
bromid 


TribrompropyL 
bromid. 


ien- 


Die  flbrigen  Kohlenwasserstoffe  sind  noch  nicht  in  dieser  Richtung 
bearbeitet  worden. 


Hethylenderivate  *).    Das  Methylen  selbst  ist  bis  jetzt  nicht  ^^^ 
bekannt.     Einzelne  Abkömmlinge  des  Mediylens  sind  in  neuester  Zeit 
aus  dem  Jodoform:  GHJj  erhalten  worden. 

Methylenjodid:  OHyF).  Wird  durch  Einwirkung  yon  Jodoform 
(4  Hol.)  auf  eine  nicht  zu  concentrirte  alkoholische  Lösung  von  Natrium- 
ftthylat  (9  Hol),  und  Fällen  mit  Wasser  erhalten  (Buttlerow).  Es  ent- 
steht auch,  wenn  man  Jodoform  in  zugeschmolzenen  Röhren  einige  Stun- 
den auf  160^  erhitzt  und  mit  Wasser  destillirt  (Hofmann).  Das  Methylen- 
jodid ist  eine  gelbe  bei  181®  unter  theilweiser  Zersetzung  flQchtige  Flfls- 
sigkeit,  die  bei  -|-  2®  zu  breiten  Erystallbl&ttern  erstarrt  Es  gelingt  nicht 
aus  dem  Methylenjodid  das  Methylen  selbst  darzustellen;  bei  Einwirkung 
von  Kalium  oder  Natrium  erfolgt  die  Zersetzung  unter  Explosion;  bei 
Einwirkung  von  Natriumamalgam  entweicht  wesentlich  Wasserstoffgas« 

Der  Ton  BrÜning  **)  durch  Behandeln  von  Jodoform  mit  alkoholischer  Eali- 
Idsnng  erhaltene  Körper  (dem  die  Formel:  CaHJ^O  beigelegt  wurde),  ist  nach  allen 
Eigenschaften  identisch  mit  Methylei^jodid. 

Methylenchlorid:  eH^Gl^  entsteht  bei  Einwirkung  von  Chlor 
auf  Methylenjodid,  als  farblose,  dem  Chloroform  ähnlich  riechende  Flfls- 
sigkeit. 

Vgl.  femer:   Diozymethylen ,  Essigsfture-Methylglycol  etc.  ($.969). 

Aethylenderivate. 

Aethylenchlorid:  €2H4.Gla  (Elaylchlorid,  Oel  der  hoUftndischen  968. 
Chemiker)  1795  von  den  §.  942  genannten  Chemikern  entdeckt    Es  bil- 
det sich  leicht,  wenn  Aethylen  und  Chlor  in  feuchtem  Zustand  auf  ein- 


*)  Buttlerow,  Ann.  Ghem.  Pharm.  CVIL  110-,  CIL  242;  CUV.  204;  CXV.  822. 

Hoimann,  ibid.  CXV.  267. 
^)  Ann.  Chem.  Fhann.  dV.  187. 


638 


Kohlenwasserstoffe:  OnHtu. 


ander  einwirken;   sind  beide  Gase  völlig  trooken,  so  findet  bsi  kfm 
Wirkung  statt. 

Zur  Darstellang  des  Aethylenchlorids   läset  man  entweder  Chlor  und  Acth]* 
len  in  einen  Glasballon  zusammentreten: 


oder  man  leitet  Aethylen  durch  den  Tubulus  einer  Retorte  in  eine  schwaeh  s- 
wärmte  Chlormischung  (2  Braunstein,  3  Kochsalz,  4  Wasser,  5  Schwefelsaure) 
und  destillirt  dann  ab.  Auch  durch  Einleiten  von  Aethylen  in  Antimonsapercfalorid 
kann  Aethylenchlorid  dargestellt  werden.  Es  entsteht  femer  bei  Einwirkung  toi 
Phosphorsuperchlorid  auf  Glycol. 

Das  Aethylenchlorid  ist  eine  farblose,  angenehm  riechende,  in  Was- 
ser unlösliche  Flüssigkeit  (speo.  Gew.  1.27),  die  mit  grün  gefärbter,  stark 
russender  Flamme  brennt. 

Yen  Zink  wird  es  beim  Erhitzen  zersetzt  unter  Freiwerden  tob 
Aethylen  (Wanklyn  und  Tbann).  Bei  Einwirkung  von  Natrium  oder  Ka- 
lium entweicht  ein  Gemenge  von  Wasserstoff  und  Chloräthylen :  6)0,01 
Durch  alkoholische  Ealilösung  und  ebenso  durch  Natriumäthylat  zerfallt 
es  unter  Bildung  von  Chloräthylen: 


954. 


Aethylenchlorid. 
02n^C]2 


Chloräthylen. 


+    Ha 


Von  Schwefelsäure  wird  es  nicht  angegriffen,  Chlor  wirkt  subsö- 
tuirend  und  erzeugt  als  Endproduct  Anderthalbchlorkohlenstoff.  Einwi> 
kung  von  Schwefelkalium  und  Schwefelwasserstoffkalium  vgl.  5.  968. 

Aethylenbromid:  C^H^Br).  (Elaylbromid.)  Entdeckt  von  Ba- 
iard 1826.  Es  wird  leicht  erhalten,  indem  man  Brom  mit  Aethylen 
sättigt,  das  Product  mit  Kali  wäscht,  mit  Chlorcalcium  trocknet  and 
rectiflcirt. 

Da  durch  die  Reaction  beträchtliche  Erwärmung  stattfindet,  empfiehlt  mis 
unter  Wasser  befindliches  Brom  anzuwenden,  um  Verlust  an  Brom  au  vermeito 


\ 


Aethylenbromid.  639 

^  Das  Prödnct  ist  reiner,  wenn  trocknes  Brom  angewandt  und  die  Masse  stets  etwas 
abgekühlt  wird.    Hoimann  *)  empfiehlt  das  Brom  in  eine  vorher  über  Wasser  mit 

«  Elayl  gefüllte  Flasche  zn  bringen,  die  Flasche  dann  mit  einem  Kork  zu  verschlies- 

sen,  durch  welche  eine  bis  fast  zum  Boden  reichende  Glasröhre  eingeführt  ist  und 
dann  unter  öfterem  Umschütteln  das  Aethylen  aus  einem  Gasometer  einströmen 
zu  lassen. 

Das  Aethylenbromid  ist  eine  farblose,  angenehm  riechende  Flüssig- 
^        keit,   die  bei  niederer  Temperatur  (etwa  0^)  krystallinisch  erstarrt,  bei 
9®  schmilzt  und  bei  129®  siedet;  spec.  Gew.  2,16. 

Mit  weingeistigem   Kali   zerf&IIt   es   und   erzeugt  Bromäthylen: 
62H8Br  (vgl.  auch  §.  950).     Dieses  verbindet  sich  leicht  mit  Brom  und 
I        erzeugt  soBromäthylenbromid:  62H3Br3  **),  aus  welchem  durch  alko- 
holische Ealilösung  Bibromäthylen:  €3^2^^ 2  erhalten  wird (Sawitsch). 
I  Das   Aethylenbromid   zeigt    leichter    doppelte   Zersetzung    als    das 

Aethylenchlorid.    Mit  Schwefelkalium  und  Schwefelwasserstoffkalium  gibt 
f        es  dieselben  Producte  wie  dieses.     Mit  essigsaurem  Eali  erzeugt  es  Mon- 
acetylglycol  etc.  vgl.  §§.  965  ff. 

Das  Monobromäthylen  erleidet  bei  Einwirkung  von  Natriumäthylat 
oder  Natriumamylat  eine  sehr  merkwürdige  Zersetzung;   es  zerfällt  näm- 
Kc         lieh  zu  Bromwassertstoff  und  Acetylen  (Sawitsch)  '*'**).    Man  hat: 

Monobromäthylen.  Acetylen. 

eaH,Br  =      OjH,      +      HBr. 

Dieselbe  Zersetzung  tritt  ein,  wenn  Monobromäthylen  (oder  auch 

,j^         Monocbloräthylen)  in  eine  ammoniakalische  Lösung  von  salpetersaurem 

^  Silber  eingeleitet  wird;  man  erhält  dann  die  Silberverbindung  des  Aoety- 
lens  (Miasnikofi)  f). 

la  Aethylenjodid:   62H4.J2    (Faraday  1821).     Es  entsteht,  wenn  966. 

gl         Aethylen  im  Sonnenlicht  oder  bei  gelinder  Wärme  (50^  —  60^)  auf  Jod 

g:  einwirkt 

in£  Im  Kleinen  erhält  man  es  leicht  durch  Ueberleiten  von  Aethylen  über  er- 

hitztes  Jod;  ein  Theil  des  Productes  sublimirt  in  farblosen  Nadeln.  Zur  Darstel- 
lung grösserer  Mengen  erwärmt  man  das  Jod  in  einem  langhalsigen  Kolben  und 
leitet  das  Aethylen  auf  die  Oberfläche  des  Jods.  Man  steigert  die  Wärme  sehr 
allmälig  und  leitet,  sobald  die  Masse  flüssig  geworden  ist,  das  Aethylen  in  die« 
selbe  ein.    Man  erhält  zuletzt  eine  braune  Flüssigkeit,  die  beim  Erkalten  krystaUi« 

^  nisch  erstarrt.    Man  wäscht  mit  Kali  und  krystallisirt  aus  Alkohol  um. 

I  Das   Aethylenjodid    entsteht    auch   wenn  Aethyljodid   durch  Hitze, 

z*  B.  beim  Durchleiten  seines  Dampfes  durch  eine  glühende  Röhre  zer« 
setzt  wird: 

i'^         

ji 
s 


•)  Ann,  Chem.  Pharm.  CXV.  269. 
••)  Wurtz,  Ann.  Chem.  Pharm.  CIV.  248. 
•••)  Compt  rend.  UL  157.  —  Bull.  Soc  ehim.  1861.  S.  7. 
1^  t)  Bull  Soc  chlm.  1861.  S.  12. 


640  EohleiiwaaBarotoife:  6nH2a. 

Aethyljodid.        Aethylenjodid.       Aethjlen. 

2e,H5j     =     e2H4j,     +    ejH4    +    h. 

Das  AethyleDJodid  krjstallisirt  in  farblosen  Nadeln  oder  Prismen. 
Es  schmilzt  bei  73®  und  sublimirt  leicht,  zersetzt  sich  aber  dabei  stets 
zum  TheiL  Nur  in  einer  Atmosphäre  von  Aethjlengas  kann  es  in  farb- 
losen Krjstallen  sublimirt  werden.  Es  löst  sich  nicht  in  Wasser,  leicht 
in  Aether  und  siedendem  Alkohol,  beim  Erkalten  dieser  Lösung  krystal- 
lisirt  das  meiste  aus. 

Das  Aethylenjodid  zerfällt  leicht  in  Aethylen  und  Jod.  Diese  Zer- 
setzung findet  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  und  besonders  Im 
Lichte  statt;  sie  erfolgt  rasch  beim  Erhitzen  (ßb^.  Von  alkoholischer 
Ealilösung  wird  es  zum  Theil  zu  Jodwasserstoff  und  Jod&thjlen: 
GJI^  (siedet:  56®)  zersetzt  Chlor  oder  Brom  setzen  Jod  in  Freiheit 
und  bilden  Aethylen  -  chlorid  oder  bromid. 

Das  Aethylenjodid  zeigt  leicht  doppelte  Zersetzung. 

966.  Anderthalbchlorkohlenstoff:  O^ßU  (Perchloräthylenchlorid : 

6aCl4.CLi;  Perchloräthylchlorid :  GjClj.Cl).  Entdeckt  von  Faraday 
1821.  —  Der  Anderthalbchlorkohlenstofi  ist  das  Endproduct  der  Einwir- 
kung des  Chlors  auf  Aethylenchlorid  und  auf  Aethylchlorid  (vgl.  $.  690). 
Er  entsteht  auch  bei  Zersetzung  des  Doppeltchlorkohlenstoffs:  6C14  durch 
Hitze  ($.  640)  und  ferner  bei  Zersetzung  des  Perchloräthylftthers  ($.689) 
und  anderer  völlig  gechlorter  Aethylfttherarten. 

Zur  Darstellung  des  Anderthalbchlorkohlenstoffs  leitet  man  —  zweckmässig 
unter  directer  Einwirkung  der  Sonnenstrahlen  —  Chlor  durch  siedendes  Aethylen- 
chlorid. Bei  zerstreuten  Tageslicht  bleibt  die  Zersetzung  unvoUstftndig,  aber  man 
kann  leicht  den  gebildeten  ChlorkohleDStoff  vom  unzersetzten  Aethylenchlorid  oder 
den  zwischen  liegenden  Substitutionsprodacten  trennen. 

Der  Anderthalbchlorkohlenstofi  krystallisirt  in  farblosen  wohlausge- 
bildeten Krystallen ;  er  schmilzt  bei  160<^  und  siedet  bei  182®,  die  Dämpfe 
verdichten  sich  leicht  zu  Krystallen.  Er  ist  unlöslich  in  Wasser,  leicht 
löslich  in  Aether  und  in  heissem  Alkohol. 

Der  Anderthalbchlorkohlenstofi  zerfällt  leicht  zu  Chlor  und  Einfach- 
chlorkohlenstofi: 

Anderihalbchlor-        Einfachchlor- 
kohlenstoff, kohlenstoff. 

GaCle  =  e,Cl4  +  Cl, 

Diese  Spaltung  erfolgt  schon  durch  Einwirkung  der  Hitze,  z.  B.  bei 
öfter  wiederholter  Destillation ,  oder  wenn  die  Dämpfe  durch  ein  glühen- 
des Rohr  geleitet  werden;  sie  erfolgt  ferner  bei  Einwirkung  von  Phos- 
phor, Schwefel  oder  Jod;  am  leichtesten,  wenn  Anderthalbchlorkohlen- 
stoff mit  Zink  und  Schwefelsäure  oder  mit  einer  alkoholischen  Lösung 
von  Schwefelwasserstofikalium  behandelt  wird. 


Ghlorkohlenstoif.  641 

Erhitzt  man  Andertbalbdhlorkohlenstoff  mit  Metallen  oder  trocknen 
Metalloxyden,  so  findet  vollständige  Zersetzung  statt.  Bei  mehrtägigem 
Erhitzen  mit  festem  Kalibjdrat  auf  210^ — 220®  entstehen:  Chlorkalium, 
Wasser  und  oxalsaures  Kali  (Geuther)  '*');  bei  längerem  Erhitzen  mit 
alkoholischer  Kalilösung  auf  100®  wird  ebenfalls  oxalsaures  Kali  gebildet, 
neben  Chlorkalium,  Wa&serstoff,  Aethjlen  etc.  (Berthelot) '^j. 

Einfachchlorkohlenstoff.     Perchloräthylen :    62014    (Faraday  957. 
1821).    Entsteht  aus  Anderthalbchlorkohlenstoff  nach  einer  der  eben  an- 
gegebenen Methoden;  aus  Trichloräthylenchlorid :  OaHCly.Cl,  durch  Ein- 
wirkung alkoholischer  Kalilösung  etc. 

Zar  Darstellung  trägt  man  am  besten  Anderthalb chlorkohlenstoff,  oder  auch 
das  durch  Zersetzung  des  DoppeltchlorkohlenstoiTs  (§.  640)  erhaltene  Gemenge  von 
Einfachchlorkohlenstoff  und  Anderthalb chlorkohlenstoff,  allmällg  in  eine  mit  Schwe- 
felwasserstoff gesättigte  Lösung  von  Ealihydrat  in  Alkohol.  Man  destillirt,  sobald 
die  Gasentwicklung  aufgehört  hat,  f&llt  das  Destillat  mit  Wasser  und  reinigt  durch 
Destillation. 

Der  Einfachchlorkohlenstoff  ist  eine  leicht  bewegliche  FlQssigkeit, 
die  bei  122®  siedet  (Regnault);  spec.  Gew.  1,619.  Er  ist  unlöslich  in 
Wasser,  löslich  in  Alkohol  und  Aether. 

Er  verbindet  sich  im  Sonnenlicht  direct  mit  Chlor  zu  krystalliren- 
dem  Anderthalbchlorkohlenstoff.  Bei  gleichzeitiger  Einwirkung  von  Chlor 
und  Wasser  auf  Einfachchlorkohlenstoff  im  Sonnenlicht  entsteht  Tri  chlor- 
essigsäure  ($.  872).  Erhitzt  man  Einfachchlorkohlenstoff  mit  gepul- 
vertem Kalihjdrat  auf  200®,  so  wird,  und  zwar  leichter  als  aus  Andert- 
halbchlorkohlenstoff, oxalsaures  Kali  gebildet,  während  gleichzeitig 
Wasserstoff  frei  wird  (Geuther).  Leitet  man  die  Dämpfe  von  Binfach- 
chlorkohlenstoff  durch  ein  rothglühendes  Porzellanrobr,  so  entsteht  unter 
Freiwerden  von  Chlor  ein  von  Julin  entdeckter  und  nach  ihm  benann- 
ter Chlorkohlenstoff:  62CI29  der  entweder  das  Chlorsubstitutionsproduct 
des  Acetylens:  CjHj  oder  vielleicht  Perchlornaphtalinchlorid :  610CI0.CI3  ist 

Einfachbromkohlenstoff  (Perbromäthylen):  62Br4.  Entsteht 
nach  Löwig  ***)  bei  Einwirkung  von  Brom  auf  Alkohol  oder  auf  Aether. 
Kleine  Krystallblättchen,  die  bei  50®  schmelzen. 

Propylenderivate. 

Das  Propylenchlorid:  63H0.CI2  und  das  Propylenbr omid:  958. 
€3HeBr2  wurden  1851  von  Reynolds  f)  dargestellt. 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXI.  174. 

*^)  ibid.  CIX.  121.    Diese  Zersetzung  kann  aufgefasst  werden  als  directer  Aus- 
tausch der  sechsatomigen  Gruppe:   63   gegen  die  äquivalente  Menge,   d.  h. 
gegen  sechs  Atome  Wasserstoff  oder  Kalium. 
•••)  ibid.  m.  292. 
t)  ibid.  LXXVn.  114. 

KekaU,  orgao.  Chenie.  41 


642  Zweiatomig«  ßadicftle:  GnEia. 

Das  Pi-opylenohlorid  siedet  awischen  93*  und  98*;  es  gibt  ifeill  alko- 
holisoher  Kalilösung  das  bei  etwa  30*  siedende  Chlorpropjlea :  6tH|CI, 
welches  mit  dem  aus  Methylchloracetol  (vgl.  Aceton  J.  925)  dargestellten 
Chlorpropylen  identisch  ist,  und  sich  wie  dieses  mit  Brom  su  bei  etwa 
170*  siedendem  Chlorpropjlenbromid :  GsHsCl.Br^  verbindet  (Friedel)*). 

Aus  Propylenbromid  entsteht  durch  Einwirkaag  alkoholisefasr 
Kalilösung  leicht  Brompropylen:  G^HsBr  (Cahours).  Dieses  Brom- 
pylen  vereinigt  sich  mit  Brom  und  bildet  so  das  Brompropylenbromid: 
G^HsBr.Brj.  Ein  mit  diesem  wie  es  scheint  identisches  Brompropylen- 
bromid  entsteht  bei  Einwirkung  von  Bromdampf  auf  siedendes  Propyleo- 
bromid  (Wurtz)  **).  Das  nach  beiden  Methoden  dargestellte  Brooipropj- 
lenbromid  siedet  bei  195*  und  wird  beim  Abkühlen  nicht  fest. 

Eine  mit  dem  Brompropylenbromid  isomere  Verbindung,  das  Allyl- 
tribromid:  OiHg.Br^,  wird  erhalten,  wenn  Brom  auf  AUyljodid:  GJi^ 
einwirkt.  Es  siedet  bei  217*  — 218*  und  erstarrt  beim  Abkflhlen  au  fiiik- 
losen  Erystallen,  die  bei  16*  schmelzen.  Das  so  dargestellte  AHyltriiM^ 
mid  gibt  bei  Einwirkung  auf  essigsaures  Silber  Triacetin,  ans  welchem 
dann  Glycerin  erhalten  werden  kann  (Wurts)  ***).  Es  gibt  mit  Ammoniak 

eine  bromhaltige  Base,  das  Di-bromallylamin  =  6sH4Br>N  (Siaipson)  f ). 

Eine  dritte  isomere  Substanz  ist  das  bei  Einwirkung  von  Phosphor- 
bromid  auf  Glycerin  entstehende  Tribromhydrin:  6,HfBr|,  welches 
bei  180*  siedet  (Berthelot  und  de  Luca)  ft)- 

Propylenjodid:  GsHg.Jj  entsteht,  wenn  man  Propylengas  mit 
Jod  der  Einwirkung  des  Sonnenlichtes  aussetzt  odor  auf  50* — 60®  erhitit; 
es  ist  flüssig  (Berthelot  und  de  Luca)  fff). 

fiutylenderivate*).  Man  kennt  das  Butylenchlorid:  OJß^.Qf 
(Paraday  1825,  Kolbe)  und  das  Butylen bromid:  64H,.Br,  (Wurtz). 
Das  letztere  siedet  bei  etwa  158*  und  zerlUlIt  beim  Erwärmen  mit  alko- 
holischer Ammoniaklösung  zu  Bromammonium  und  Brombutylen :  64H)Br 
(Cahours). 

Amylenderivate  sind  noch  verh&llnissmässig  wenig  bekannt 
Man  erhält  aus  Amylen  das  bei  170* — 175*  siedende  Amylenbromid: 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXII.  286. 
••)  ibid.  Chem.  Pharm.  CIV.  245. 
♦••)  loc.  cit  und  Ann.  Chem.  Pharm.  CIL  839. 

f )  Ann.  Chem.  Pharm.  CIX.  862. 
tt)  ibid.  CL  76. 
ttt)  ibid.  XCn.  811. 

^)  Kolbe,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXIX.  278.  —  Wortz,  ibid.  CIV.  249. 


Qlycole.  643 

OsHio.Bri  und  aus  diesem:  Bromamylen,  BromamyleiibroiBid und Bibrom* 
amylen  (Cahoars)  *). 

Nach  Guthrie  **)  verbindet  sich  das  Amjlen  direct  mit  Untersalpe- 
ters&ure  und  erzeugt  so  Amylennitrit:  65Hii(N0))2. 

Das  Oenanthylenchlorid:  67H14.CI2  ist  bis  jetzt  nur  aus 
Oenanthylaldehyd  erhalten  worden  (vgl.  $.  918).  —  Vom  Caprylen 
weiss  man  nur,  dass  es  sich  mit  Brom  verbindet  zu  Gaprylenbromid; 
GgH|0.Br«|« 


Verbindungen  der  zweiatomigen  Radicale:  OnH^o. 

Es  wurde  oben  schon  erwähnt  ($.933),  dass  die  Kohlenwasserstoffe:  900. 
OnHsn  b&ufig  das  Verhalten  zweiatomiger  Radicale  zeigen.  80  zwar,  dass 
die  durch  directe  Vereinigung  dieser  Kohlenwasserstoffe  mit  Chlor,  Brom 
oder  Jod  entstehenden  Chloride,  Bromide  oder  Jodide  mit  einigen  Salzen 
doppelte  Zersetzung  zeigen,  bei  welchen  zwei  Holecüle  Chlor-,  Brom- 
oder Jodmetall  entstehen,  während  der  mit  den  zwei  Atomen  Chlor,  Brom 
oder  Jod  verbunden  gewesene  Kohlenwasserstoff  die  Stelle  von  zwei  Ato- 
men Metall ,  oder  —  typisch  ausgedrückt  —  die  Stelle  von  zwei  Atomen 
"Wasserstoff  einnimmt. 

Solche  Verbindungen  wurden  schon  1840  von  Low  ig  und  Weid- 
mann***) dargestellt.  Aber  die  von  diesen  Chemikern  durch  Einwirkung 
von  Aethylenchlorid  auf  alkoholische  Lösungen  von  Schwefelkalium  und 
Sehwefelwasserstoffkalium  erhaltenen  Substanzen :  Aethylensulfid  und 
Aethylensulfhydrat,  fanden,  weil  aller  Analogie  entbehrend,  während  län- 
gerer Zeit  nicht  die  gehörige  Würdigung.  —  1855  zeigten  dann  Buff  f) 
und  gleichzeitig  Sonnenschein  und  Meyer  ff),  dass  bei  Einwirkung 
von  Aethylen- Chlorid  oder  -bromid  aufSchwefelcyankalium  desAethylen- 
sulfocyanat  entsteht  —  Kurze  Zeit  nachher,  1856  stellte  Wurtzfff)  durch 
Einwirkung  von  Aethylenjodid  auf  essigsaures  Silber  das  Biacetylglycol 
und  aus  diesem  den  zweiatomigen  Alkohol:  Olycol  dar. 

Ausführliche  Untersuchungen,  die  Wurtz  selbst  und  einzelne  seiner 
Schüler  seitdem  veröffentlicht  haben,  zeigten  dann  einerseits,  dass  eine 
homologe  Reihe  solcher  zweiatomiger  Alkohole  ezistirt;  und  lehrten  an- 


*)  Vgl.  auch:  Bauer,  Bulletin  de  la  soc.  chimique.  148. 
•^)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXVL  247. 

***)  Pogg.  Ann.  XLUL  128.  —  Joum.  f.  pr.  Chem.  XIX.  482. 
t)  Ann.  Chem.  Pharm.  C.  229. 
it)  Joum.  t  pr.  Chemie.  LXV.  257. 
ttf)  Ann.  Chem«  Pharm.  C.  111. 

41 


644 


Zweiatomige  Radicale:  6nH9o. 


dererseits  eine  grosse  Anzahl  theoretisch  höchst  interessanter  Abkönui. 
linge  dieser  zweiatomigen  Alkohole  kennen. 

961.  Die  wichtigsten  dieser  Verbindungen  sind  die  zweiatomigen  Al- 

kohole oder  Oljcole.    Man  kennt  bis  jetzt  die  folgenden: 


Empirische 
Formel. 

Rationelle 
Formel. 

Siedepunkt 

Aethylglycol 

OjH^  0, 

^«. 

197«,6 

Propylglycol 

^jH,  Oa 

**3:l®' 

188«~189» 

Butylglycol 

^4^10^1 

*^«. 

183«— 184« 

Amylglycol 

ÖftHijOa 

«\^9. 

1770 

Das  AnfangsgHed  der  Reihe,    Methylglycol :   eH4e2  =  ^g'j^i^* 

bis  jetzt  nicht  bekannt,    aber   man    kennt  einzelne   seiner  Abkömmlinge 
(8.  969). 

Bemerkenswerth  ist,  dass  bei  den  zweiatomigen  Alkoholen  die  Siede- 
punkte nicht  mit  wachsendem  Moleculargewicht  steigen,  wie  dies  bei  den 
einatomigen  Alkoholen  und  den  von  diesen  sich  ableitenden  Verbindus- 
ge'h  der  Fall  ist,  dass  vielmehr  die  Siedepunkte  um  so  niedriger  liegen, 
je  höher  das  Moleculargewicht  ist  (vgl.  $.  477). 

Die  Bildungsweise  und  einzelne  Eigenschaften  der  zweiatomigen 
Alkohole  wurden  schon  $$•  ^31  ff.  erwähnt,  und  werden  bei  Aethjlgljool 
ausführlicher  besprochen. 

Da  das  Aethylglycol  und  seine  Abkömmlinge  am  voUst&ndigsteo 
untersucht  sind,  stellen  wir  zunächst  die  von  ihm  sich  ableitenden  Ver- 
bindungen in  typischer  Uebersicht  zusammen. 


Glycolc.  645 

Typische  Uebersicht  der  Aethylenverbindangen« 


Typuß. 
H, 

Aethylen. 

^^n 

Aethylen- 
oxyd. 

AeÜiylen- 
solfid. 

Aethylen- 
chlorid. 

Aethylen- 
bromid. 

H,e(und2HCl)   6,0,. 0 

gX« 

eX.cia 

e,H4.Br^ 

Aethylen- 
chlorhydrat 

Aethylen- 
bromhydrat 

«Ha 

1^^ 

Glycol. 

Aethylen- 
sulfliydrat. 

e,H4(Gl 
H|0 

eXjBr 

HU 

Diäthylenalkohol  *. 

f^.  ^J  ^.  . 

ZHO 

1^ 

Trifttbylenalkohol 
Hl 

O^Hio^a) 

4Hae 

^fHl4^4) 

/ 

Tetrfithylenalkoho 

H^ 
(öX)«^»  (= 

öHaO 

^•^1«^») 

Pentftthylenalkohol. 
H  \ 

eB^e 

Rexäthylenalkohol 

^lo^aa^t) 

THaO 

^w^a«^!^ 

*)  Der  Diäthylenalkohol  steht  zum  Glycol  und  zum  Aethylenozyd  genau  in 
derselben  Beziehung  wie  das  Nordhäuser  VitriolÖl  zum  Schwefelsäurehydrat 
und  zum  Schwefelsäureanhydrid. 


646  Qlycole. 

Mftn  Bieht,  daas  da«  sweiatonige  Radieal:  Aethylen,  zwei  ▼ersdue» 
dene  Holeoüle  (z.  B.  HCl  -f-  HjO)  zo  eiDem  Molecfll  yereiiiigen  kam 
und  dass  namentlich  eine  grosse  Anzahl  von  Verbindungen  existiren  (dk 
Polyäthylenalkohole},  die  bei  typischer  Betrachtung  als  eine  gröBsere  An- 
zahl von  Wassennoleealen  angesehen  werden  können,  welche  durch  ^lefa^ 
maligen  Eintritt  des  zweiatomigen  Radieals  zu  einem  Molecül  susammen- 
gehalten  sind  (ygl.  §.  204). 

In  vielen  dieser  Verbindungen  kann  der  typische  WasaerstofiF  noch 
durch  andere  Radicale  ersetzt  werden.  Man  erh&lt  so  aus:  Aethylen- 
bromhydrat  (Olycolbromhydrin,  Olycolozybromid)  die  Verbindangen : 

Glycol-äthyloxybromid.  Glycol-acetylozybromid« 

63H4lBr  6AiBr 

Im  Glycol  selbst  kann  entweder  die  Hälfte  oder  aller  typischer 
Wasserstoff  vertreten  werden.  Und  zwar  entweder  durch  Metalle,  wobei 
salzartige  oder  den  Alkoholaten  ($.  616)  entsprechende  Verbindangen  er- 
zeugt werden: 

Hononatriamglycol.  Dinatriamglycol. 

Oder  durch   Alkoholradicale ,    wobei  Verbindungen   entstehen,    die   den 
Aethern  (z.  B.  Aethyläther)  entsprechen: 

Honäthylglycol.  DiathylglycoL 

e 


Oder  endlich  durch  die  einatomigen  Radicale  der  fetten  S&uren,  wobei 
den  Aetherarten  (z.  B.  dem  Essigäther)  entsprechende  und  folglich  den 
Salzen  analoge  Verbindungen  entstehen,  von  welchen  die  eine  dem  neu- 
tralen, die  andere  dem  basischen  Salz  eines  zweiatomigen  Metalles  ent- 
spricht (vgl.  S.  498  Anm.). 

Monacetylglycol.  Diacetylglycol. 


Allgemeine  Reaetionen.  647 

Anüi  in.  eiBMlbeD  der  Polyftthylenalkohöle  ist  der  Waseenrtoff  dorch 
StareMtdiMle  vertrelbar;  man  kennt: 

EBrigaftnre.  Esugsäare-  Easigsäoie- 

dittthylenäther.  triäthylenftther.  tetrttthylenlttker. 

(eA)J^^  (^A)a)^  (^«H^W^ 

(eAe),}^3  (eAe),r^  ie^i^ej^^ 

Die  TerbinduDgen  des  Olycols  mit  zweiatomigen  Säuren,  z.  B.  Bernstein« 
s&nre,  werden  bei  dieser,  die  Benzojlverbindungen  des  Glyeols  bei  Benzoe- 
säure besprochen  werden. 

Die  Yom  Olycol  sich  ableitenden,  bei  Einwirkung  von  Aethylenozyd 
auf  Ammoniak  entstehenden  Basen  sind  },  983;  die  aus  Gljcol  und 
Schwefelsäure  entstehende  Sulfoglycolsäure  ist  $.  993  beschrieben. 

Die  Bildungsweisen  aller  dieser  Verbindungen  sind  leicht  ver-  ^^ 
ständlich.    Im  Folgenden  sind  die  wichtigsten  zusammengestellt. 

Aethylenjodid  wirkt  lebhaft  auf  essigsaures  Silber,  es  entsteht: 
Diacetylglycol  (vgl  auch  J.  933)  (Wurtz). 

Aethylenjodid.         Essigs.  Silber.  Diacetylglycol 

Wird  Aethylenbromid  mit  einer  alkoholischen  Lösung  von  essig- 
saurem Eal^  erhitzt,  so  entsteht  Monacetylglycol  (Atkinson).  Beide, 
das  Monacetylglycol  und  das  Diacetylglycol  werden  bei  Ein- 
wirkung von  Kalihydrat  oder  beim  Kochen  mit  Barytwasser  zersetzt  zu 
essigsaurem  Salz  und  Glycol  (Wurtz).    Man  hat  z.  B.: 

Diacetylglycol.  Glycol  Essigs.  Kali. 

Monacetylglycol  Glycol.  Essigs.  Baryt 


Wird  Olycol  mit  Salzsäure  erhitzt,  so  entsteht  Aethylenchloriiydrat 
(einfach  salzsaures  Olycol)  (Wurtz): 

Glycol  Aethylenchlor- 

hydrat. 


eAi 


•^je,       +        HCl        =        ^^^i{^      +      H.G 


648  Glycole. 

Pboapborsuperchlorid  wirkt  lebhaft  auf  Olycol  und  bildet  Aeihyleo* 
ohlorid,  identisch  mit  dem  durch  directe  Vereinigung  von  Aethylen  Mit 

Chlor  erzeugten  (Wurtz): 

GlycoL  Aethylenohlorid. 

^^ni^«    +    2PCI5    =    eaH4.Cla    4-    2P0C1,    +    2Ha 

Bei  Einwirkung  von  Jodwasserstoffsäure  auf  Olycol  entsteht  Aetbj- 
lenjodid  und  Aethylenjodhydrat  (Simpson).    Man  bat: 

GlycoL  Aethylenjodhydrat 

««^}e,     +     Hj     =     ^\^Q     +     H,e 

Glycol.  AethyleDJodid. 

^»Jje,    +  2HJ     =     eA.j,     +    2H,0 

Das  Aethylenchlorhydrat  wird  von  Kali  leicht  zersetzt  unter  Bildung 
von  Aethylenoxyd  (Wurtz): 

Aethylenchlorhydrat  Aethylenoxyd. 

^'^flle     +     hK    =   «»«.•«   +   KCl   4-   H,^ 

Das  Aethylenoxyd  verbindet  sich  direct  mit  Wasser  und  erzeugt  so 
Glycol  (Wurtz): 

Aethylenoxyd.  Glycol. 

ff 

Gleichzeitig  oder  auch  bei  Einwirkung  von  Aethylenoxyd  aufOlyool 
entstehen  auch  Polyäthylenalkohole^  vorwiegend  Diäthylenalkohol  (Wurtz): 

Aethylenoxyd.  Diäthylenalkohol. 

Ha) 

Das  Aethylenoxyd  verbindet  sich  direct  mit  Salzsäure  zu  Aethylen» 
chlorhydrat  (Wurtz): 

Aethylenoxyd.  Aethylenchlorhydrat 

«A-Ö      4.      HO      =       ^»^{g 


Allgemeine  Reacüonen. 


649 


Es  ▼erbindet  sich  ebenso  direct  mit  Essigeftiire  oder  mitBMigs&are- 
anbydfid  und  erzeugt  so  Acetjlglyool  und  Diaoetylgljool  (Wartz): 

Acetylglycol. 


Aethylenoxjrd.  EsBigsänre. 

AethyleDOxyd.      Essigsänre-anhydrid.  Diacetylglycol 


(€AO)J^> 


Dabei  entstehen  gleichzeitig  die  Essigsftureftther  der  Polyäthylen- 
alkohole,  aus  welchen  dann  durch  Kochen  mit  Kali  oder  Baryt  die  Poly- 
ftthylenalkohole  selbst  (Di-,  Tri*  und  Tetraftthylenalkohol)  erhalten  wer- 
den können  (Wurtz).    Z.  B.: 


Aethylenoxyd. 


Essigsäure. 


Essigsäure-dlAthylen- 
äther. 


2«A.e    +    2«»%}^     =     (gggj,je,     +     H,e 


Essigsäure-diäihylen- 
äther. 


Diäthylen- 
alkohol. 


mi^-  +  IS«- 


_        («A): 


h:)^» 


Essigsaares 
Bar3rt. 


Das  Glycol  selbst  liefert  beim  Erhitzen  mit  S&urehydraten  Aether- 
arten  des  Glycols,  indem  der  typische  Wasserstoff  durch  das  Säureradicai 
ersetzt  wird  (Louren^o).     Man  hat  z.  B.: 


Glycol. 

Essigsäure. 

Monacetylglycol. 

+     ^A|[o 

Glycol. 

Valeriansfture. 

Divalerylglycol. 

«»5j[0, 

+    2^AJje 

=     ceÄK«    +  '"'^ 

Erhitzt  man  Monacetylglycol  mit  Valeriansänre,  so  entsteht  ein  ge- 
mischter Aether  des  Olycols  (Louren9o): 


llonacetyiglycoL  Valeriansäure. 


H! 


Acetyl-valeryl- 
glycol. 

62H4J 


je.    +    «A|}e    =    e^lje.     + 


H,e 


650  Ol3Feol6. 

Eifaitst  naii  Olyeol  o4er  beMer  Hononitiriami^yeol  mit  Aetbyijodid, 
80  wird  MoD&thylgljool  ttod  wenn  diefto«  oder  dosseD  Natriamverbindng 
mit  neuem  Aethyljodid  erhitzt  wird,  Diftthylgljcol  gebildet  (Warte). 
Man  hat: 

Glycol.  Aethyljodid.         Monäthylglyco]. 


HJ 


Monttthylglycol.  Aethyljodid.  Diäthylglycol. 

Wird  Gljcol  mit  Acetylchlorid  erhitzt,  so  bildet  sich  Glycolacetyl- 
cblorid  (Louren^o): 

Glycol.  Acetylchlorid.      Glycolacetylchlorid. 

Butyrjloblorid  wirkt  in  derselben  Weise.  Dieselben  und  entspie- 
chende  Yerbindnngen  werden  auch  erhalten ,  wenn  man  Oljcol  mit  dem 
Hydrat  der  fetten  Säure  und  Salzsäure  oder  Jodwasserstoffsäure  eifaitit 
(Simpson).    Z.  B.: 

Glycol.  Essigsftare.  Glycolacetyljodid. 

«»H.)e.  +  «A|j^  +   HJ   =   ^frf^j^     +     aH.e 

Wird  Honacetylglycol  mit  Salzsäure  erhitzt,  so  entsteht  leicht  das- 
selbe Olycolacetylchlorid  (Simpson): 

MonacetylglycoL  Glycolacetylchlorid. 

m 

«S|je,      +       HCl        =        e^jg      +      H,e 

Erhitzt  man  Honacetylglycol  mit  Acetylchlorid,  so  bildet  sich  Di- 
acetylglycol  neben  Glycolacetylchlorid ;  erhitzt  man  es  mit  ButyryloUorid, 
so  wird  Acetylbutylglycol  erzeugt  neben  Glycolacetylchlorid  (LotireDfo). 
Man  hat  z.  B.: 


Acetylglycol        Butyrylchlorid.      Acetylbutyryl-        Glycolaeetyl- 

glycol.  Chlorid. 

»6,^1  je,   +  €^«.01   =   |.Ji|je,   +   e,^5|2 


+    H.» 


Allgemeiiie  Roäctionen.  651 

Lttset  man  Glyoolaeetyldilorid  anfBilberaalze  fetter  Staren  einwirken, 
80  entstehen  ebenfalls  gemischte  Aether  des  Oljools  (Simpson).    Z.  B. : 

Glycolacetyl-  Bnttersaures  Acctylbutyryl- 

chlorld.  Silber.  chlorid. 

Wird  Oljcolacetylchlorid  mit  Kali  behandelt,  so  entsteht  leicht 
Aethylenoxyd  (Simpson): 

Glycol-acetyl-  Aethylen-  Essigsaures 

Chlorid.  oxyd.  Kali. 

Lftsst  man  endlich  Aethylenbromid  bei  etwa  120*  auf  Olyeol  ein« 
wirken,  so  entstehen  (neben  Aetbylenbromhydrat)  verschiedene  Poly- 
ftthylenalkohole:  Di-,  Tri-,  Tetra-,  Penta-  und  Hexaäthylenalkohol ,  von 
welchem  die  letzteren  nur  bei  vermindertem  Druck  (im  luftleeren  Raum) 
destillirt  werden  können  (Louren9o).    Man  hat  z.  B«: 

Glycol.  Aethylenbromid.  Penta-äthylen- 

alkohol. 

Wird  bei  dieser  Darstellung  über  130*  erhitzt,  so  werden  statt  der 
Polyäthylenalkohole  entsprechende  Poly&thylenbromhydrate  erhalten  (Lou- 
ren^o). 

Alle  diese  Bildungsweisen  sind  völlig  analog  der  Bildung  der  Aetherarton 
der  einatomigen  Alkohole. 

Aethylenverbindungen  *)• 
AethylenglycoL     Glycol:   ^^h*!^«'    Dm  Aethylglycol  wird  966. 


♦)  Vgl.Wurt«i,  Ann.  Chem.  Pharm.  C.  110  u.  116;  Cm.866;  C1V.174-,  CVm.84; 
CX.  126;  CXin.  266;  CXIV.  61;  CXVI.  249;  CXVIL  186.    Ausführliche  Ab- 
handlung  über  Glycole.  Ann.  Chim.  Phys.  [8]  LV.  400.  u.  Ann.  Chem.  Phann. 
Suppl.  I.  86. 
Atkinson,  Ann.  Chem.  Pharm.  CIX.  282. 
Simpson,  ibid.  CXIL  146;  CXÜI.  116. 

LoureuQO,  ibid.  CXIIL  268;  CXIV.  122  n.  126;    CXV.  868  und  Repert  de 
Wurto.  1860.  Dec.  467. 
Debus,  ibid.  OX.  816. 


"^         652  Glyeole. 

aus  dem  Honaoetylglycol  oder  dem  Diaeetylglycol  durch  Zersetzen  mit 
Kalihydrat  oder  mit  BarjtlösuDg  dargestellt 

Bei  Zersetzung  des  Diacetylglycols  mit  Ealihydrat  darf  nicht  mehr  als 
2  Mol.  KH02  ^^  1  Mol.  Diacetylglycol  angewandt  werden,  weil  sonst  tieüer 
gehende  Zersetzung  eintritt  Zweckmässig  ist  es  zuerst  nur  mit  der  halben 
Menge  Kali  zu  destilliren  und  das  Destillat  dann  mit  neuem  Kali  vollständig  za 
zersetzen.  •—  Die  Zersetzung  mit  Barytlösung  ist  vorthoilhafter.  Man  kocht 
Diacetylglycol  (direct  den  zwischen  140*  — 200*  deatiDirenden  Theil)  oder  auch 
das  leichter  darzustellende  Monacetytglycol  mit  schwach  Überschüssiger  Baryt- 
lösung, fällt  den  Barytüberschuss  mit  Kohlensäure,  concentrirt  die  Lösung  dnrdi 
Abdampfen  im  Wasserbad,  setzt  dos  doppelte  Volum  Alkohol  zu,  filtrirt  vom 
essigsauren  Baryt  ab,  verdampft  den  Alkohol  im  Wasserbad  und  recUficirt  den 
Rückstand. 

Das  Glycol  ist  eine  färb-  und  geruchlose,  etwas  zähe  FlQssigkdt, 
die  sich  mit  Wasser  und  Alkohol  mischt,  in  Aether  aber  wenig  löelidi 
ist  Siedep.  1970,5;  Spec.  Gew.  1,125.  Es  löst  Kalihydrat  ^  Chlorcalciam, 
Ghlomatrium,  Chlorzink,  Quecksilberchlorid  etc.;  kohlensaures  Kali  ist 
etwas,  schwefelsaures  Kali  kaum  löslich. 

Es  ist  leicht  oxydirbar.  Tropft  man  es  auf  Platinschwarz,  so 
kommt  dieses  in's  Glühen  und  es  entsteht  Kohlensäure.  Mässigt  man  die 
Reaction,  indem  man  das  Gljcol  mit  Wasser,  und  den  Sauerstoff  der  Laft 
durch  Zusatz  von  Kohlensäure  verdünnt,  so  entsteht  Glycolsfture.  Ver- 
dünnte Salpetersäure  erzeugt  in  der  Kälte  Glycolsäure,  beim  Erhiteen 
Oxalsäure  (Wurtz).  Schichtet  man  wässriges  Gljcol  mit  oonccntrirter 
Salpetersäure,  so  entsteht  Glycolsäure,  Glyoxylsäure  und  vielleicht  61y- 
oxal  (Debus).  —  Beim  Erhitzen  mit  Kalihydrat  auf  250®  wird  das  Gljcol 
unter  Wasserstoffentwicklung  zu  Oxalsäure. 

Erhitzt  man  Glycol  mit  Ghlorzink,  so  entsteht  Aldehyd  und  deasen 
polymere Modification  der  Acraldehyd  ($.  839).  Das  Mononatrium-  und 
das  Dinatriumglycol  sind  undeutlich  krystallinische  und  serflieaslicfae 
Massen. 

Die  bei  Einwirkung  von  Salzsäure  (oder  Jodwassersloffsäure) ,  Phos- 
phorchlorid, fetten  Säuren  und  den  Chloriden  dieser  Säuren  auf  Olyool 
eintretenden  Reactionen  sind  §.  964  besprochen. 

966.  Aethylenoxyd,  Glycoläther:  62^4 -^^  Entsteht  leicht,  wenn  Gl j- 

colchlorhjdrat  auf  Kalihydrat  einwirkt.  Es  siedet  bei  13^,5,  mischt  aich 
mit  Wasser  und  wird  von  Phosphorsuperchlorid  rasch  zersetzt«  Das 
Aethjlenoxjd  ist  isomer  mit  Aldehjd,  aber  es  verbindet  sich  nicht  niit 
sauren  schwefligsauren  Alkalien  und  gibt  mit  Ammoniak  Jkeine  dem  AI- 
dehjdammoniak  entsprechende  Verbindung,  sondern  wohlcharakterisirte 
Basen.  Das  Aethjlenoxjd  hat  basische  Eigenschaften;  es  verbindet  aich 
nicht  nur  direct  mit  Säuren  z.  B.  Salzsäure,  Essigsäure  etc.  (vgl.  §.  964), 
es  fällt  sogar  Metalloxjde  aus  den  Lösungen  ihrer  Salze.  Es  fikllt  Eiaen- 
oxyd,  Thonerde,  Kupferoxyd  und  Magnesia  (als  Hydrate);  dagegen  wird 


Aethylen-giycol.  653 

es  von  Kali  and  von  Kalk  aus  seiner  Verbindung  mit  Salzsäure  (Aethy- 
lenehlorhydrat)  abgeschieden.  Werden  bei  diesen  Fällangen  der  Metall- 
oxyde dureh  Aethylenoxyd  Lösungen  von  Metallehloriden ,  z.  B.  Chlor- 
magnesium angewandt,  so  entsteht  Aethylenchlorhydrat     Man  hat: 

Aethylenoxyd.  Aethylenchlorhydrat. 

ejH^.e   +   Mgci  +  H,e   =  ^»^^«jgi    +    M|(e 

Monacety Iglycol.    (Einfach   essigsaures   Glycol,  basisch  Essig- 

s&ure-Glycoläther:  0^E^Q\B2,    Man  erhält  diese  Verbindung  am  zweck- 

H\ 
massigsten,  indem  man  Aethylenbromid  (1  Th.)  mit  essigsaurem  Kali 
(1  Th.)  und  Alkohol  (2  Th.)  in  einem  mit  aufsteigendem  Kühlrohr  ver- 
sehenen Apparat  längere  Zeit  im  Wasserbad  erhitzt,  dann  abdestillirt 
und  rectificirt.  Es  siedet  bei  132®,  und  ist  mit  Wasser  und  Alkohol 
mischbar. 

Diacetylglycol.  (Essigsäure - Glycoläther) ;  ro  a  Ol  l^**  Wird 
durch  Einwirkung  von  Aethylenjodid  oder  Aethylenbromid  auf  essigsaures 
Silber  erhalten. 

Man  mischt  5  Gr.  Aethylenjodid  mit  6  Gramm  eBsigsaurem  Silber  und  trägt 

'  das  Gemisch  rasch  in  einen  Kolben  ein.     Sobald  die  von  selbst  eintretende  Reac- 

tion  beendet  und  der  Kolben  abgekühlt  ist,   trägt  man  eine  neue  Menge  des  Ge- 

i  misches  ein  u.  s.  f.;  und  destillirt  schliesslich  im  Oelbad  (250®  —  300<^)  ab.    Oder 

man  reibt  Aethylenbromid   mit  essigsaurem  Silber  und  etwas  Eisessig  zu  einem 

.  Brei,  erhitzt  mehrere  Tage  im  Wasserbad   und  destillirt.     In  beiden  FäUen  wird 

das  Product  rectificirt;  was  unter  140®  übergeht,  ist  wesentlich  Essigsäure;   der 
zwischen  140®  — 200®  siedende  Theil  kann  zur  Darstellung  des  Glycols  verwendet 

'  werden. 

Das  Diacetylglycol  siedet  bei  186®— 187®;  es  löst  sich  in  7  Th. 
Wasser  bei  22®;  spec.  Gew.  1,128. 

Aethylenchlorhydrat.  Salzsaures  Glycol ,  Gly colchlorhy drin : 
^^^le  —  Ö2H4O,  HCl  ist  eine  farblose  bei  128®  siedende  mit  Wasser 
I  mischbare  Flüssigkeit. 

Man  erhitzt  mit  Salzsäure  gesättigtes  Glycol  längere  Zeit  im  Wasserbad, 
I  sättigt  (wenn  nöthig)  mit  neuer  Salzsäure  etc.  und  destillirt 

I  Bei  Einwirkung  von  Natrium -amalgam   geht  das  salzsaure  Glycol 

;  durch  umgekehrte  Substitution  in  Aethyl-alkohol  über  (Louren^o)  *). 


*)  Compt  rend.  LH.  1046.     Vgl  die  §.  986  als  Vermuthung  ausgesprochene 
Ansicht 


654  Qlycole. 

Für  die  übrigen  vom  Oljcol  sich  ableitenden  Verbindungen  genflgeB 
die  folgenden  Angaben. 

Das  Monäthjlglycol  löst  Kalium  unter  Wassentoffentwieklug 

und  bildet  eine  feste  Hasse  =  €2^5  >^* 

k\ 

Das  Diäthylglycol  ist  isomer  mit  Acetal  (§.847),  es  siedet  bei  123^5. 

Polj&thjlenalkohole  (vgl  $.962).  Der  Diäthylenalkohol 
siedet  bei  etwa  250^;  der  Essigs&ure-Di&thylenäther  bei  250^  Der  Tri- 
ftthylenalkohol  siedet  bei  2S6^ — 289<>,  sein  Essigs&ureäther  bei  etwa 
290®.  Beide  Poly&tbjlenalkohole  oxydiren  sieh  leieht  mit  Platiomohr  oder 
mit  Salpetersäure;  der  Diäthylenalkohol  liefert  die  mit  der  Aepfels&oie 
isomere  Diglycolsäure,  der  Triäthylenalkohol  gibt  Diglycol&thylensäiue 
(Wurtz).  —  Der  Tetrftthylenalkohol  siedet  bei  gewöhnlichem  Luftdruck 
über  300<>;  im  luftleeren  Raum  (bei  0,025  Mm.  Druck)  bei  230®.  Bei 
demselben  Druck  siedet  Pent&thylenalkohol  bei  281®,  Hexäthylenalkohol 
bei  325®  (Louren^o). 

Die  YerbiDdungen  des  GlycolB  mit  Säuren  haben  (annähernd)  die  folgenden 
Siedepunkte:  Monobutyrylglycol:  220®,  Dibutyrylglycol:  240* 5  Monovalerylglycol: 
240®,  Divalerylglycol:  256® j  Acetylbutyrylglycol :  212®;  Acetylvalerylglycol:  230». 
—  Das  Distearylglycol  krystallisirt  in  glänzenden.  Schüppchen^  die  bei  76* 
schmelzen. 

Das  Glycolacetylchlorid  siedet  bei  144®— 146®,  das  Glycolbutyrylchlorid 
bei  etwa  190®. 

9e7.  Aethyleneyanid  *).     Cyanäthylen):   ^sHijgw-       Entsteht    bd 

Einwirkung  von  Aethylenbromid  auf  Cyankalium«  Es  ist  eine  halbfeste 
krystallinische  Hasse ,  deren  TöUige  Reinigung  bis  jetzt  nicht  gelang.  Ei 
schmilzt  unter  50®  und  kann  nicht  destillirt  werden.  Bei  Einwirkung  tob 
alkoholischer  Kalilösung  zerAUt  es  und  bildet  unter  Ammoniakentwiek- 
lung  Bemsteins&ure  (vgl.  §.  937). 

Schwefelverbindungen  des  Aethylens. 

GH) 
968.  Aethylensulfhydrat.     Glyoolmercaptan :     'g^f^a-      Löwig  und 

Weidmann  erhielten  diese  Verbindung  in  alkoholischer  Lösung,  indem  sie 
Aethylenchlorid  mit  einer  alkoholischen  Lösung  von  Schwefelwaaserstoff- 
kalium  zusammenstellten  und  vom  gebildeten  Chlorkalium  abdeatUIirten. 
Die  Lösung  riecht  durchdringend,   dem  Mercaptan  fthnlidi  and  gibt  mü 

essigsaurem  Blei  ein  gelbes  Salz:  pb^l^i*  Oiesst  man  Aethylenbromid 
zu  einer  concentrirten  alkohoholischen  Lösung  von  Schwefelwaaserstoff- 


*)  M.  Simpson,  1860.  Ann.  Chim.  Phys.  [8]  LXL  224. 


Methylen*glycol.  655 

kalium,  so  scheidet  sich  unter  Erwärmung  viel  Bromkalium  aus  und  man 
kann  durch  Zusatz  von  Wasser  zur  alkoholischen  Lösung  das  Glycol- 
mercaptan  als  farbloses  Oel  fidlen ;  es  zersetzt  sich  etwas  bei  der  Destil* 
lation  (EekulQ. 

Aethylensulfid:  62H4.S  ist  ein  weisses,   Äethylenbisulfid: 

62H4 .  62  ^^^  gelbes  Pulver.  Beide  entstehen,  wenn  Aethylenchlorid  (oder 
Bromid)  auf  alkoholische  Lösungen  von  einfach  oder  von  zweifach  Schwe- 
felkalium einwirken. 

GH) 
Aethylensulfocyanat,  Schwefel cyanäthjlen :  m^/f^a)  bildet 

weisse  grosse  Erystalle,  die  bei  90^  schmelzen  und  bei  83®  erstarren  und 
kann  bei  vorsichtigem  Erhitzen  sublimirt  werden.  Es  ist  löslich  in  Al- 
kohol, Aether  und  in  siedendem  Wasser. 

Man  kocht  Aethylen-chlorid  oder  -bromid  mit  alkoholischer  Lösung  von 
Sulfocyankalinm,  dampft  den  Alkohol  ab,  zieht  die  Salze  mit  kaltem  Wasser  aas 
und  kiystallislrt  aus  siedendem  Wasser.  Bei  Oxydation  mit  Salpetersäure  gibt  es 
Disulfötholsfiure  (Bu£f). 

Methylenderivate*). 
DasHethylenglyeol  selbst  hat  bis  jetzt  nicht  erhalten  werden  kön- 

nen.  —  Diacetjlmethylglycol  (Essigsfture-Methjiglycoläther) :    /a  r  ^\  ( ^} 

entsteht  (neben  Acrylsäure  und  Aethylmilchsäure) ,  wenn  Methyleiyodid 
(§.  952)  mit  essigsaurem  Silber  und  Essigsäure  auf  100®  erhitzt  wird.  Es 
ist  eine  farblose,  stark  riechende  Flüssigkeit,  die  bei  etwa  170®  siedet 
und  sich  in  Wasser  nur  wenig  löst«  Beim  Erhitzen  mit  Ealihydrat  oder 
Bleiozjd  wird  es  unter  Bildung  von  essigsaurem  Salz  zersetzt,  aber  es 
entsteht  kein  HethylglyooL  —  Erhitzt  man  Essigsäure  -  Hethylglyool  mit 
einer  zur  Lösung  unzureichenden  Menge  Wasser  längere  Zeit  auf  100®,  so 
tritt  Zersetzung  ein;  es  entsteht  Essigsäure  und  Di-methylenoxyd  : 

Essigs.  Methyl-  Di-methylen-  Essigsaure, 

glycol.  oxyd. 

Auch  beim  Erhitzen  mit  Silberozyd  oder  besser  mit  oxalsaurem 
jSUberoxyd  wird  Dimethylenoxyd  erhalten: 

fissigs.  Methyl-  Oxalsaures      Di-methylen-  Essigsaures 

glycol.  Silber.  ozyd.  Silber. 

•)  Buüerow,  Ann.  Chem.  Pharm.  CYIL  110-,  CZL  242;  CZIV.  204;  CXV.  822. 


656  Glycole. 

6H  l 
Das   Di-methylenoxyd   (Dioxymethylen) :  .6sH402   =  GH^i®* 

(isomer  mit  Essigsäure)  ist  eine  weisse  krjstallisirbare  und  sublimirbvc 
Substanz,  die  bei  152®  schmilzt,  aber  schon  unter  100®  sublimirt;  es  ist 
in  Wasser,  Alkohol  und  Aether  selbst  bei  Siedhitze  fast  unlöslich.  Es 
oxjdirt  sich  leicht,  bei  Gegenwart  von  Platin  schon  durch  den  Sauenloi 
der  Luft,  zu  Kohlensäure  und  Wasser;  bei  Oxydation  mit  Bleihyperoxji 
entsteht  gleichzeitig  Ameisensäure;  es  reducirt  Quecksilber-  and  Silber- 
oxyd. Mit  Salzsäure  gibt  es  eine  wenig  beständige  Verbindung.  IGt 
Ammoniakgas  erzeugt  es  eine  krystallisirbare  Base  (§.  984).  Bei  Ehiwir- 
kung  von  PhosphorjodQr  auf  Dimethylenoxyd  entsteht  Methylenjodid. 

M  e  t  h  y  I  e  n  s  n  1  f i  d  *) :  GH^S.  Stellt  man  Schwefelkohlenstoff  nit 
Zink  und  verdünnter  Salzsäure  zusammen,  so  entsteht,  neben  andern  Pro- 
ducten,  eine  weisse  krystallinische  Substanz,  die  bei  150®  in  langen  Ka- 
dein  sublimirt,  in  Wasser  unlöslich,  in  Alkohol  und  Aetber  achwerlösüek 
ist,  aber  aus  Benzol,  Chloroform  oder  Schwefelkohlenstoff  in  quadratiseheD 
Prismen  krystallisirt  werden  kann. 

Die  Bildung  des  Hethylensulfids  ist  leicht  verständlich;  man  hat: 

GSa    +    2H,    =    GH,S    +    H,& 

Es  kann  einerseits  als  Sulfid  des  zweiatomigen  Methylens  betrachtet 
werden,  andererseits  aber  auch  als  Hydrür  des  Badioals:  69,  dessen 
Sulfid  der  Schwefelkohlenstoff  ist. 

970.  Propylenderivate  **). 

Durch  Einwirkung  von  Propylenbromid  auf  essigsaures  Silber  er- 
hält man  das  bei  186®  siedende  Diacetylpropylglycol.  Aus  diesen 
wird  durch  Zersetzung  mit  Ealihydrat  oder  besser  mit  Aetzbarjt  Propjl- 

glycol:  ^*H*|0,  erhalten,  Siedep.  1880— 189«. 

Das  Propylglycol  gibt  bei  langsamer  Oxydation  (mit  Platin)  Milek- 
säure;  bei  energischer  Oxydation  entsteht  wesentlich  Oxalsäure,  Olyool- 
säure,  Essigsäure  und  wie  es  scheint  auch  Malonsänre. 

Bei  Einwirkung  von  Phosphorsuperchlorid  auf  Propylglycol  entsteht 
Propylenchlorid ;  bei  Destillation  mit  Ghlorzink  Propylaldehyd  (Wurtz). 

Wird  Propylglycol  mit  Salzsäure  erhitzt,  so  entsteht  bei  127®  sie^ 
dendes  Propylenchlorhydrat,  oder  salzsaures  Propylglycol;  dieses  liefert  bd 

Destillation  mit  Kalilauge  das  bei  36^  siedende  Propylenoxyd :  6^%*^' 
(Oser). 


^)  Girard,  Ann.  Ohem.  Pharm.  C.  806. 

•«)  WurtK,  ibid.  C.  116;    CV.  902;    CX.  127.   —  Oser,  BoUelan  de  la  9oe.d 
Ck  286. 


Amylglyool.  657 

Butylenderivate  *).  971. 

Diacetjlbutylglycol,  wie  die  entsprechenden  Aethylglycol-  und  Pro- 
pyJglycolverbindungen  erhalten,  siedet  bei  etwa  200^;   es  Kefert  bei  Zer- 

GH) 
Setzung  mit  Kali  das  bei   1830—184«  siedende  Butylglycol:      *H*\^i- 

Bei  langsamer  Oxydation  des  Butylglycols  mittelst  verdflnnter  Salpeter* 
s&are  entsteht  Butylactinsäure  (Wurtz). 

Ämylenderivate  **).  972. 

Das  Amylglycol:      *  H^f^a  (Siedep.  177<>)   wird,   wie  die  andern 

Olycole  durch  Zersetzung  des  bei  Einwirkung  von  Amylenbromid  auf  es- 
sigsaures Silber,  entstehenden  essigsauren  Amylglycols  dargestellt  Es  gibt 
bei  Oxydation  mit  Salpetersäure  Butylactinsäure:  QJEL^Q^, 

Durch  Einwirkung  von  Salzsäuregas  auf  Amylglycol  (bei  100<^)  und 
Destillation  wird  salzsaures  Amylglycol  und  durch  Zersetzung  dieses  mit 
Kali  das  bei  etwa  95«  siedende  Amylenoxyd:  ©sH^o-^  erhalten  (Bauer). 

Zu  den  Verbindungen  des  zweiatomigen  Radicals :  65H10 ,  gehören  auch  zwei 
von  Guthrie  ****)  durch  Zersetzung  des  Amylendisulfochlorids  erhaltene  Körper. 

Das  Amylen  verbindet  sich  nämlich,    ähnlich  wie  das  Aethylen  (vgl.  §. 
direct  mit  den  Chloriden  des  Schwefels.    Man  erhält  aus: 


Chlorsulfid. 

Chlorbisulfid. 

§!« 

cn« 

cir* 

Amylendichlorosulfid. 

Amylendisulfochlorid. 

e,H,oCij^ 

e:K(s» 

Substanzen,  die  wie  die  entsprechenden  Aethylenverbindungen  als  Chlorsubstitu- 
tionsproducte  des  Amylmercaptans  und  des  Amylbilsulfids  angesehen  werden  kön- 
nen.   Man  hat: 

Bichloramylsulfhydrat.  Ohloramylbisulfid. 

Lässt  man  Chlor  auf  (Amylendisulfochlorid)  einwirken,  so  entsteht  vierfach 
gechlortes  Amylsulfid  (oder  Trichloramylendisulfochlorid): 

Tetrachloramylsulfid. 

e5H,ci3^ 


•)  Wurtz,  Ann.  Chim.  Phys.  [8]  LV.  462, 
••)  Wurtz,  Ann.  Chem.  Pharm.  CVI.  24;  CVII.  191.  —   Bauer,  Bull,  de  la  Soc. 

d.  Ch.  148. 
•••)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXHI.  266.  u.  CXVI.  244. 
K  e ko  1  < ,  orgaa.  Chemie.  42 


658  Zweiatomige  Radicale:  6nH?o. 

Bei  andern  Reactionen  dagegen  wird  das  Chlor  des  AmylendisnlfocUoiidi 
(Chloramylbisulfids)  eliminirt  und  es  werden  so  Verbindungen  des  £weiaU)mi|eB 
Amylens:  O^H^q  erzeugt  Erwärmt  man  nämlich  i^mylendisulfochlorid  mit  oki 
alkoholischen  Lösung  von  Ammoniak  oder  von  Kalihydrat,  so  entsteht  Cneben  Gbidr- 
ammonium  oder  Chlorkalium)  das  Disulfamylenoxydhydrat.  Kocht  man  eine  atte- 
holische  Lösung  von  Amylendisulfochlorid  mit  Bleiozyd  oder  lässt  man  Katrio» 
alkoholat  auf  Amylendisuliochlorid  einwirken,  so  wird  Disulfamylenoxyd  gebQdct 

Disulfamylenoxyd.  Disulfamylenoxydhydrat. 

H,    O 

Die  Bildung  beider  Substanzen  ist  leicht  verständlich.  Das  Chlor  des  Am- 
lendisulfochloiids  wird  entweder  durch  die  äquivalente  Menge  Sauerstoff  oder  (wie 
dies  bei  einer  grossen  Anzahl  analoger  Reactionen  der  Fall  ist)  durch  eine  iqn- 
valente  Menge  des  Restes:  Ü0  ersetzt*  dabei  wird,  aus  den  frtUier  entwidLelta 
Gründen  das  einatomige  Radical:  65H10CI  zu  dem  zweiatomigen:  Osll^o.  Das  Di 
sulfamylenoxyd  kann  demnach  als  Diamylenoxybisulfid  betrachtet  werden: 

Typus.  Diamylenoxybisulfid. 

Das  Disulfamylenoxydhydrat  ist  das  Hydrat  des  Diamylenoxybisalfids : 
Typus. 

n 
H2S3  ^ft^lO  1 A 

2  H,©  J-J'l^» 


e.H..J0. 


es  steht  zu  dem  (dem  Diäthylenalkohol  $.  966  analogen)  Diamylenalkohol  in  il» 
licher  Beziehung  wie  das  Aetliylbisulfid  zum  Aethyläther. 

Verbindungen  der  Kohlenwasserstoffe:  e„H^u  mit  den 
Elementen  der  Stickstoffgruppe. 

973.  Die  zweiatomigen  Radicale:    GnH^n   können    wie   die  einatomigei 

Alkoholradicale  den  Wasserstoff  des  Ammoniaks  ersetzen  und  so  Sub- 
stanzen von  basischen  Eigenschaften  erzeugen.  Man  kennt  vom  Aelhjlei 
die  drei  den  Aminbasen,  Imidbasen  und  Nitrilbasen  der  einatomigen  AI 
koholradicale  (vgl.  §.  70S)  entsprechenden  Verbindungen: 


Aethylendiamin.  Diäthylendiamin.  Triäthylendiamin. 

i©X  (gX  (e;H4 


IG,H4  (G,H4  (e,H4 


AmmoniAkbaeen  der  Kohlenwasseratoffe:  OnHtn.  Q5Q 

Dieae  SubBtanzen  leiten  sieh  von  dem  Typus:  2NH3  her,  in  wel- 
chem 2,  4  oder  6  Atome  Wasserstoff  durch  das  zweiatomige  Radioal 
vertreten  sind. 

Der  vom  Typus  noch  vorhandene  Wasserstoff  kann  stets,  z.  B.  bei 
Einwirkung  von  Aethyljodid,  noch  durch  einatomige  Alkoholradicale  ver- 
treten werden.  Dieselben  oder  analoge  Verbindungen  werden  auch  er- 
halten, wenn  Ammoniak,  in  welchem  schon  Alkoholradicale  enthalten 
sind,  oder  wenn  entsprechende  Phosphor-  oder  Arsenbasen  (§§.731,  743) 
auf  Aethylenbromid  einwirken. 

Das  Bromid  der  ersten  Base  entsteht  leicht  durch  directe  Aneinan-  974. 
derlagerung  von  2  Mol.  NH3  und  1  Mol.  Aethylenbromid.    Man  kann  es 
dorch  die  der  Formel  des  Salmiaks:  NH4CI  nachgebildete  Formel  aus- 
drücken : 

^-  NHHHP»***{Br. 

In  manchen  Fällen,  namentlich  wenn  Nitrilbasen  oder  diesen  entspre- 
chende Phosphor-  oder  Arsenverbindungen  angewandt  werden,  lagert 
sich  nun  statt  zweier  Molecüle  nur  ein  Molecül  der  dem  Ammoniaktypus 
zugehörigen  Basen  an  das  Aethylenbromid  an.  Man  erhält  Bromide,  die 
durch  die  allgemeine  Formel: 


n. 


NHHH 


i«A|!U 


ausgedrückt  werden  können,  in  welcher  der  Stickstoff  durch  Phosphor 
oder  Arsen  ersetzt  sein  kann,  während  der  Wasserstoff  durch  Alkohol- 
radicale ersetzt  ist  Diese  Bromide  verbinden  sich,  bei  geeigneten  Be- 
dingungen, mit  Ammoniak  oder  mit  dem  Ammoniaktypus  zugehörigen 
Basen  und  erzeugen  so  Verbindungen  vom  Typus  des  ersten  Bromids  (L). 
Diese  beiden  Bromide  zeigen  nun  ein  völlig  verschiedenes  Verhal- 
ten. Aus  den  Broroiden  des  ersten  Typus  (I)  werden  die  beiden  Brom- 
atome mit  gleicher  Leichtigkeit  eliminirt.  Die  Bromide  des  zweiten  Typus 
dagegen  verlieren  das  eine  Bromatom  leichter  wie  das  andere.  Die  Bro- 
mide des  ersten  Typus  liefern  z.  B.  direct  bromfreie  Basen;  die  Bromide 
des  zweiten  Typus  liefern  zunächst  bromhaltige  Basen.   Man  hat  typisch: 

Die  ersteren  Basen  können  vom  Typus:  2     g?0    abgeleitet    wer- 

43  ♦ 


660  Zweiatomige  Radicale:  OuHia. 

den;   von   den  zweiten  kann  man  annehmen,  sie  gehören   dem  Typ«: 

NR  ) 

4>0  an,  in  welchem  1  At  H  durch  das  einatomige  Badical:  Gfijk 

(Brom&thyl)  ersetzt  ist  (vgl.  §.  982). 

Durch  Einwirkung  von  Silberoxyd  kann  aus  den  bromhaKigen  Bi- 
sen II.  a.  das  Brom  eliminirt  werden  und  man  erhält  so  Basen,  die  daitb 
die  typische  Formel: 

ausgedrückt  werden.  Bei  Annahme  dieser  Formel  zeigen  die  Basen  Eh. 
eine  gewisse  Analogie  mit  den  Basen  I.  a.  Im  chemischen  Verhalten  bei- 
der findet  indess  eine  bemerkenswerthe  Verschiedenheit  statt.  Wfthreod 
die  Basen  I.  a.  2  Mol.  Salzsäure  neutralisiren  und  so  ein  Chlorid  erzeagea, 
welches  2  At.  Chlor  enthält,  sättigen  die  Basen  II.  b.  nur  1  Mol.  Sih- 
säure  und  bilden  ein  Chlorid ,  in  welchem  nur  1  At.  Chlor  enthalten  ist 
Man  hat  aus: 

"•  °'  '       g*e         [oder     NHHH(eaH,e).Cl] 

Die  Platinsalze  (und  ebenso  die  Ooldsalze)  sind  stets  den  Chlorida 
entsprechend  zusammengesetzt.    Man  hat  aus: 

^'''*    NHHHh>'«*|ci;  S        f'"'^'''    N,HaH,Ha(eX)Cl,  2PtCUl 
IL  a.   NHHHj^^'g  la,  PtClj        ^^^^^    NeHH(eaH4Br  )C1,  PtCl,l 

IL  b.  NHHHJß'W  iCl.PtCl, 

J^2"M  [oder    NHHH(e,H5e)Cl,  PtCl,] 

H)0 

975.  Man  sieht  leicht,  dass  diese  Verschiedenheit  des  Verhaltens  bedie^ 

ist  durch  die  Anzahl  der  Ammoniakmolecüle,  die  in  die  Basen  e]ngetI^ 
ten  sind.  Diejenigen  Basen,  bei  deren  Bildung  2  MolecQle  Ammoniak 
verwendet  wurden,  sind  zweiatomig  und  zweisäurig;  die  andern  dageget; 
bei  deren  Bildung  nur  ein  Molecül  Ammoniak  eintrat,  sind  einaton^ 
und  einsäurig. 


*)  Diese  von  Hofmann  u.  A.  gebrauchte  Formel  nimmt  an,  das  Radical:  Bfifi- 
Ozyäthyl  (Aetbylhyperozyd)  ersetze  1  At  H  des  Ammoniams. 


Ammoniakbasen  der  Kohlenwasserstoffe:  6oH2n.  661 

In  den  Basen  ü.  b.  besitzen  1  Atom  H  und  1  At.  O  dieselbe  Natur 
wie  die  entsprechenden  Elemente  in  dem  der  Base  correspondirenden 
Alkohol.  In  dem  Bromid  II.  und  in  der  Base  II.  a.  hat  das  eine  Atom 
Brom  noch  dieselbe  Natur  beibehalten  wie  die,  welche  es  im  Aethjlen- 
bromid  besass.  Dieses  eine  Bromatom  löst  sich  denn  auch  in  der  That 
bei  manchen  Reactionen  so  los,  wie  es  ein  Atom  Brom  des  Aethjlen- 
bromids  thut  (als  BrH)  und  es  entsteht  so  ein  neues  Bromid  und  eine 
neue  Base: 

U.  c.  NHHH(eaH,).Br 

NHHH(GjH,)}^ 

in  welchen  die  Gruppe  O2H3  (Vinjl)  als  einatomiges  Radical  angenom- 
men werden  kann.  Auch  in  diesem  Bromid  ändert  das  Brom  durch  An- 
lagerung des  Ammoniaks  seine  chemische  Natur  in  der  Weise  um,  dass 
es  jetzt  leicht  durch  doppelten  Austausch  entzogen  werden  kann,  wfth* 
rend  das  Brom  des  aus  dem  freien  Aethylenbromid  entstehenden  Brom- 
äthylens von  gewöhnlichen  Reagentien  nur  schwer  angegriffen  wird. 

Die  Mannigfaltigkeit  der  zu  besprechenden  Verbindungen  wird  da-  ^^' 
durch  noch  erhöht,  dass  zahlreiche  Substanzen  vom  Typus  I.  und  La. 
existiren,  in  welchen  zwei  verschiedene  Ammoniakbasen  enthalten  sind« 
So  zwar,  dass  statt  des  Wasserstoffs  verschiedene  Alkoholradicale  in  der 
Verbindung  enthalten  sind;  oder  auch  so,  dass  statt  zweier  Atome  Stick- 
stoff, Phosphor  oder  Arsen,  verschiedene  Elemente  der  Stickstoffgruppe 
in  die  Verbindung  eingetreten  sind ,  z.  B.  Stickstoff  neben  Phosphor  oder 
neben  Arsen,  oder  auch  Phosphor  neben  Arsen. 

Man  kennt  ferner  zwei,  durch  directe  Vereinigung  von  Aethylen- 
oxyd  mit  Ammoniak  entstehende  Verbindungen,  welche  von  gemischten 
Typen:  NHj  +  nH^O  abgeleitet  werden  können  f§.  983). 


Historische  Kotizen.  Stickstoffhaltige  Basen  des  Aethylens  wurden  1858  977. 
von  Cloez  •)  und  später  *von  Natanson**)  dargestellt.  In  neuerer  Zeit  hat 
Hof  mann  ***)  ausführliche  Untersuchungen  über  diesen  Gegenstand  angestellt, 
durch  welche  die  früher  bekannten  Basen  richtig  interpretirt  und  eine  grosse  Zahl 
neuer  Verbindungen  entdeckt  wurden.  Die  phosphor-  und  arsenhaltigen  Aethylen- 
basen,  so  wie  einige  aus  Methylenjodid  und  Methylenchlorid  sich  ableitende  Sub- 


♦)  Jahrcsber.  1853,  468;  1858,  844;  1869,  883. 
••)  ibid.  1864,  485  und  Ann.  Chem.  Pharm.  XCH.  48. 

•••)  ibid.  1868,  331,  338,  348;  1S59,  372,  384  und  femer  verschiedene  Mitthei- 
lungen in:  Compt.  rend.;  Proceedings  of  the  royal  society;  Quaterly  Journal 
of  the  ehem.  Soc. 


602  Zweiatomige  Radicale:  OnHto. 

stanzen  sind  ebenfalls  von  Hof  mann  in  neuester  Zeit  ontersucht  worden.  Ea 
grosser  Theil  dieser  Untersuchungen  ist  bis  jetzt  nur  darch  Torlänfige  Mittlieiln- 
gen  bekannt 

Die  aus  dem  Aethylenozyd  entstehenden  Basen  sind  von  Wurtz*)  entdedi 

ßtickstoffbasen  des  Aethylens. 

Ammoniakbasen  und   AmmoDiumbasen. 

978.  Bei  EinwirkuDg  von  Aethjlenohlorid  oder  besser  von  Aethylenbro- 

mid  auf  alkoholische  AmmooiaklösuDg  entstehen  schon  bei  gewöhDlieha 
Temperatur  (bei  Anwendung  w&ssriger  Ammonickklösung  erst  bei  l&ll»^  | 
rem    Erhitzen)   krystallisirende   Bromverbindungen    der   drei    einfachflta 
Aminbasen  des  zweiatomigen  Aethjlens.    Nftmlich: 

Aethylendiammonium-      Diäthylendiammoninm-  Triäthylendiammoniom- 

bromid.  bromid.  bromid. 

NHHHI^%  iBr  NHHip.''       «V  i^^  ^Hi^V    ^^         '    IBr 

NHHHf  ^>*^«  |Br  NHI^  ^^^ '  ^^^  (Br  NHf  ^»"« '  **»**« '  ^»***  JBr 

Die  Bildung   dieser  Bromide  erklärt  sich   aus  den   folgenden  Glei- 
chungen: 
Asthylenbromid.  Bromammonium. 

e^Br,    *f    2  NH,    =  N3H9(OaH4)Br»      Aethylendum» 

niumbromid. 

2  eaH4Bra    +    4  NH,    =    2  NH4Br    +    N2H4(e2H4)aBra   Diäthylcndiwim^ 

niumbromid. 

8  e^Bra    +    6  NH,    =    4  NH4Br    +    N,Ha(ejH4),Br,  Triäthylendian» 

niumbromid. 

Die  beiden  letzten  Gleichungen  zeigen,  dass  bei  Bildung  der  äthylenreiehenB 
Basen  gleichzeitig  Bromammonium  entstehen  muss. 

Destillirt  man  diese  Bromide  mit  Aetzkali,  so  werden  fiachtige 
Aminbasen  erhalten.    Nämlich: 

Aethylendiamin.  Diftthylendiamin.  Trifithylendiamin. 

Die  Dampfdichten  des  Aethylendiamins  und  des  Diäthylendiamins  entsprecba 
den  mitgetheilten  Molecularformeln.  Für  das  Aethylendiamin  hatte  man  anfoogs  fr 
Dampfdichte  zu  niedrig  gefunden  und  desshalb  die  Base,  in  annähernder  Ueberditfl» 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXIV.  51. 


SticketoffbaseQ  des  Aethyleos.  663 

mang  mit  den  Analysen,  durch  die  Formel :  G2H4NO  ausgedrückt.    Hofmann  zeigte 

dann,  dass  die  untersuchte  Substanz  ein  H^'drat  des  Aethylendiamins  war:  Na1l4(9aH4) 
4-  H^O;  dass  dieses  beim  Erhitzen  zerilKUt  zu  Wasser  und  Aethylendiamin  und 
dass  mithin  der  Dampf  dieses  Hydrats  ein  Gemenge  der  Dämpfe  seiner  Spaltungs- 
producte  ist  (vgl.  §.  402). 

Die  Zersetzungen  dieser  Aethjlenbasen  sind  noch  wenig  untersucht. 
Interessant  ist,  dass  bei  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  auf  Aethjlen- 
diamen  neben  anderen  Producten  auch  Aethjlenozyd  (§.  966)  entsteht: 

N,(G2H4)H4    +    NjOa    =    62114.0    +:i2N2    +    2  H,0 

Lässt  man  auf  diese  drei  Basen  von  Neuem  Aethylenbromid  ein- 
wirken, 80  werden  die  Bromide  der  an  Aethjlen  reicheren  Basen  gebil- 
det. Als  Endproduct  entsteht  eine  dem  Teträthjlammoniumbromid  (§.  723) 
sehr  ähnliche  Substanz,  die  wahrscheinlich  das  Teträthylendiammo- 

niumbromid:  N2(G2H4)4Br2  ist 

Der  Wasserstoff  dieser  Diamine  ist  durch  die  Radicale  der  einato-  979. 
migen   Alkohole  (Methyl ,  Aethyl)  ersetzbar.      Lässt  man  auf  Aethylen- 
diamin abwechselnd  Aethyljodid  und  Silberoxyd  einwirken,  so  entstehen 
zwei  flüchtige  Basen    und    eine  dritte  nicht  flüchtige,  deren  Jodide  die 
folgenden  Formeln  haben: 

Aethylendiammoniumjodid  ^2^9  i^i^^Vi 

Diäthyl-äthylendiammoniumjodid        NaTl4(GaH5)a(OaH4)J3 

Teträthyl-äthylendiammoniumjodid     ^'^J^^^J^ß^^i^^ 

Hexäthyl-äthylendiammoniumjodid     Nj     {ßT}^{)J<ß^\)i^\ 

Die  aus   dem   letzteren   Jodid   mit  Silberoxyd  in   Freiheit   gesetzte 

Base   verhält  sich  genau  wie  das  Teträthylammonium(hydrat)  ($.  723); 

sie  ist  nicht  flüchtig  und  nimmt  kein  Aethyl  mehr  auf. 

In  entsprechender  Weise  erhält  man  aus  Diäthylendiamin  und  Aethyl- 
jodid die  folgenden  Jodide: 

Difithylendiammoniumjodid  N2H4  ißj^\^ifi% 

I  n 

Diäthyl-difithylendiammoniumjodid  ^'fi^'Ji^'fi^Ci'x^^^dr^i 
Teträthyl-difithylendiammoniumjodid  N,  (fiJSL^JiGJ&^^'i 
von  welchen  das  letztere  bei  Einwirkung  von  Silberoxyd  eine  nicht  flüch- 
tige Ammoniumbase  liefert,  die  kein  Aethyl  mehr  aufzunehmen  im  Stande 
ist;  während  aus  dem  vorhergehenden  Jodid  eine  flüchtige  Aminbase  ent- 
steht ,  die  bei  neuer  Behandlung  mit  Aethyljodid  das  Teträthyldiäthylen- 
diammoniumjodid  liefert. 

Methyljodid  verhält  sich  gegen  die  Aethylenbasen  genau  wie 
gegen  Ammoniak.  Es  entsteht  schon  bei  der  ersten  Einwirkung  eine 
beträchtliche  Menge  des  Jodids  der  vollständig  methylirten  Base.  Man 
erhält  so: 


gg4  Zweiatomige  Radicale:  OnHtn. 

aus  Aeihyleiidiainin  das: 

Hexmethyl-äthylendiammoniunijodid        N3(6H3)«(03H4)J2 
aus  Diäthylendiamin  das: 
Tetramethyl-diäthylendiammoniumjodid  '^^iGil^z^i^J^^^^ 

Alle  Basen,  die  durch  Silberoxyd  aus  denjenigen  Jodiden,  in  wel- 
chen aller  Wasserstoff  darch  Alkoholradicale  vertreten  ist,  in  Freihes 
gesetzt  werden,  sind  in  Wasser  löslich  und  sehr  ätzend  (Diaromonioi- 
basen).  Ihre  Piatinsalze  sind  meist  in  Wasser  schwer  löslich  und  sehöi 
krystallisirbar. 
9g0.  Aus    den  Aminbasen    der    einatomigen   Alkoholradicale  werda 

durch  Einwirkung  von  Aethylenbromid  ebenfalls  äthyl-  und  methylhaltige 
Aethylenbasen  erhalten. 

Auf  Aethylamin  wirkt  z.  B.  Aethylenbromid  schon  in  der  Kälte  eu. 
Es  entstehen  verschiedene  Bromide,  namentlich  die  folgenden: 

Diäthyl-äthylendiammoniumbromid      N3H4(eaH5)a(63H4)  Er, 

Diäthyl-diäthylendiammoniumbromid  '^tB.^i^JSL^)^^^^  ^4)aBr2 

Aus  ersterem  wird  durch  Destillation  mit  wasserfreiem  Baryt  eioe 
ölige,  stark  ammoniakalisch  riechende,  krystallinisch  erstarrende  Flfissig- 
keit  erhalten;  die  man  als  Diäthyläthylendiammoniumoxyd  oder  auch  &b 
Hydrat  des  Diäthyläthylendiamins  betrachten  kann: 

Diäthyl-äthylendiammonium-  Hydrat  des  DiäÜiyl-äthylen- 

ozyd.  diamins. 

N  A(eX)2(^2H4) .  ^  NjHaCeaH5)a(eX)  +  H,e 

Diese  Verbindung  zeigt  wie  das  oben  erwähnte  Hydrat  des  Aethylendiamiis 
anomale  Dampfdichte. 

Das  zweite  Bromid  kann  auch  durch  Einwirkung  von  Aethylen- 
bromid auf  die  zuletzt  erwähnte  Base  erhalten  werden ;  es  liefert  &a 
flüchtige,  bei  185®  siedende  Base. 


981.  Ein  völlig    abweichendes  Verhalten  zeigen  die  Nitrilbasen  der 

einatomigen  Alkoholradicale  bei  Einwirkung  von  Aethylenbromid.  Wir- 
rend bei  Einwirkung  von  Ammoniak  (oder  von  Aminbasen)  zwei  lo- 
lecüle  Ammoniak  sich  mit  einem  Molecfll  Aethylenbromid  vereioigeo: 

2NH.      +      e,H.Br,      =     ägSJje.H.jlj 

und  so  das  Bromid  eines  Diammoniums  erzeugen;  tritt  bei  Einwiifaui{ 


StickBtoflfbasen  des  Aethylens.  665 

einer  Nitrilbase  nur  ein  Molecül  der  vom  Ammoniak  sich  ableitenden 
Base  mit  einem  Molecül  Aethylenbromid  zusammen.  Man  erhält  z.  B. 
aus  Trimethjlamin  und  Triftthylamin  die  folgenden  Verbindungen: 

Trimethylamin     N(e  H,),    +    e^H^Br    =    ^(6  H,)(e  H,)(e  H,)j^^"„^  jBr 

Triäthylamin      NcejH»),    +    OaH^Brj    =    N(e,H5)(e2H^)(eaH»)j^^''^^jBr 

Den  so  erhaltenen  Bromiden  wird  durch  Einwirkung  der  meisten 
Reagentien  nur  die  HäJfie  des  Broms  entzogen.  Sie  verhalten  sich  wie 
einatomige  Bromide  bromhaltiger  Basen: 

Trimethyl-bromäthylammonlumbroniid    N(9R,)3(G2H4Br) . Br 
Triäthyl-bromäthylammoniumbromid       N(G2H^,(0aW4B0  -Br 

Versucht  man  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  (oder  von  Amin- 
basen)  auf  diese  Bromide,  zweiatomige  Bromide  darzustellen  (entsprechend 
dem  Teträthyl&thylendiammoniumbromid  etc.),  so  wird  Bromwasserstoff- 
säure eliminirt  und  man  erhält: 

Trimeth3d-vinylammomuinbromid    N(0  ^^^^^^z)  •  Br 
Trifithyl-vinylammoniumbromid       ^(^2115)3(62113) .  Br 

Dieses  eigenthümliche  Verhalten  der  erwähnten  Bromidc  findet  seine  Erklä-  i 
rung  in  den  folgenden  Betrachtungen.  Das  Aethylenbromid  xeigt,  wie  die  meisten 
Bromide  der  nur  aus  Kohlenstoff  und  Wasserstoff  bestehenden  Radicale,  verhält- 
nissmfissig  schwer  doppelte  Zersetzung;  das  in  ihm  enthaltene  Brom  ist  den  ge- 
wöhnlichen Reagentien  nur  schwer  zugänglich.  Lagern  sich  zwei  Molecüle  Am- 
moniak an  Aethylenbromid  an,  so  verändern  beide  Bromatome  ihren  chemischen 
Charakter  in  der  Weise,  dass  sie  wie  das  Brom  des  Bromammoniums  leicht  durch 
doppelten  Austausch  entzogen  werden.  Tritt  dagegen  nur  ein  Molecül  Ammoniak 
(oder  einer  vom  Ammoniak  sich  ableitenden  Nitrilbase)  mit  Aethylenbromid  za- 
sammen,  so  verändert  nur  ein  Bromatom  seine  chemische  Natur  und  die  Verbin- 
dung verhält  sich  wie  das  Monobromid  des  mit  diesem  Bromatom  verbundenen 
bromhaltigen  Restes. 

Andererseits  weiss  man,  dass  das  Aethylenbromid  bei  Einwirkung  vieler 
Reagentien  (z.  B.  alkoholischer  Kalilösung)  zerfällt  in  Bromäthylen  (62^3Br)  und 
Bromwasserstoff.  In  den  durch  Anlagerung  vom  1  Mol.  Ammoniak  an  Aethylen- 
bromid entstehenden  Verbindungen  hat  das  eine  Bromatom  diesen  Charakter  bei- 
behalten; es  löst  sich  bei  Einwirkung  von  Ammoniak  etc.  als  Bromwasserstoff  ab 
und  es  entstehen  so  die  den  Rest:  62H3  (Vinyl)  enthaltenden  Verbindungen. 

Ein  ähnliches  Verhalten  zeigen  in  noch  ausgeprägterer  Weise  die  Phosphor- 
basen des  Aethylens  §.  985. 

Hydoramine. 

Das  Aethylenoxyd  (§.  966)  verbindet  sich  direct  mit  Ammoniak 
(Wurtz).    Stellt  man  Aethylenoxyd  mit  einer  concentrirten  wässrigen  Lö- 


666  Zweiatomige  Radicale:  eaH2i. 

BQDg  yon  Ammoniak  zusammen,  bo  findet  nach  wenig  Minaten  eioeM 
tige  Einwirkung  statt,  bei  welcher  zwei  sauerstoffhaltige  AethjlenbaM 
gebildet  werden: 

Aethylenoxyd. 

2  93H40    +    NH,    =    64H11N0S     Diäthylen-dihydoramin. 
8  63H40    4.    NRs    =    ^fHiftNe,     Triäthylen-trihydoramin. 

Man  verjagt  das  überschflssige  Ammoniak  im  Wasserbad,  neatnli- 
sirt  die  verdünnte  Lösung  mit  Salzsäure  und  trennt  die  gebildeten  CUo- 
ride  durch  Krystallisation.  Das  Chlorid  der  ersten  Base  ist  ankrystalli- 
sirbar  und  bleibt  in  der  Mutterlauge;  das  Chlorid  des  Tri&thylei- 
trihjdoramins  dagegen  krystallisirt  leicht  in  schönen  RhomboMen, 
die  in  Wasser  sehr  löslich  in  Alkohol  fast  unlöslich  sind: 

Tri&thjlen-trihydorammoniumchlorid  =  NG^Hi^Os.HCL 

Das  Platinsalz  des  Tri&thylen-trihydoramins  krystallisirt  in  kldaa 
orangegelben  Schuppen;  das  Di&thylen-dihydoramin-platincblorid 
wird  bei  freiwilligem  Verdunsten  in  grossen  wohlausgebildeten  Krjsttllei 
von  orangerother  Farbe  erhalten. 

Diftthylen-dihydoraminplatJnchlorid:    NefHuO,,  HCl,  PtCi, 
Triäthylen-trihjdoraminplatinchlorid:  NeeHijO,,  HCl,  PtCl, 

Die  freien  Basen  sind  syrupartige  Flüssigkeiten  von  stark  alkali- 
scher Reaction.     Man  kann  sie  durch  die  typischen  Formeln  darstellen: 


Typus. 
Nfl,  H,Ni  H. 


Dittthjrlen-dihydonunia. 


bI» 


8  H. 


0      Triftthylen-trihydoremm. 


Sie  entsprechen  den  Aminsäuren  der  zweibaaischen  Säuren.  Ihre  Wdu^ 
kann  als  Vereinigung  mehrerer  Molecüle  durch  Umlagerung  der  zweiatoinigen  Bft- 
dicale  anfgeflust  werden  ($.  226J. 


667 

Stickstoffbasen  des  Methylens. 

Methylenhaltige  Stickstoflfbasen  sind  bis  jetzt  noch  wenig  untersucht  984. 
Durch  Einwirkung  von  Methylenjodid  (S.  952)   auf  Trimethylemin  erhält 
man  eine  in  Nadeln  krystallisirende  Jodverbindung: 

Trimethylamin.     Methylenjodid. 

N(eH,),    +    ee,.j,    =    »'(«"»>»J€B,g 

Aus  dieser  wird    durch   Silberoxyd  die  Hälfte  des  Jods  eliminirt; 
es  entsteht  eine  jodhaltige  Base: 

Diese  verliert  bei  längerem  Kochen  mit  Silberoxyd  von  neuem  Jod 
und  bildet  die  Base: 

N(eH,veHj)u     =     NieHaWe'klh 

Beide  Basen  geben  krystalHsirbare  Platinsalze. 

Phosphorbasen  des  Aethylens. 

Triäthylphosphin  {%,  754)  wirkt  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  »86. 
auf  Aethylenbromid  ein,   bei  gelindem   Erwärmen  erstarrt  das  Gemisch 
unter  lebhafter  Reaction  zu  einer  blendend  weissen  krystallinischen  Hasse, 
die  zwei  verschiedene  Bromide  enthält: 

Triäthylphosphin.    Aethylenbromid. 

Pr«H^       J.      «H    Rr       -      P(ÖaH5M«"u  IBr     Trifithyl-äthylenphoB- 
neaHj),      +      e,H4.Bra      -  {^»"«jßr  phoniumbromid. 

P(öaHj)3  j     /'     1  Br       Hexäthjrl-äthylendi- 


2P(e,H,),     +     e;H,.Br,     ==     p[e'H|J'j^«"4 


Br    phosphoniumbromid. 


Bei  Uebersohuss  von  Aethylenbromid  entsteht  die  erstere  Verbin- 
dung in  überwiegender  Menge;  ist  überschflssiges  Triäthylphosphin  vor- 
handen, so  wird  wesentlich  das  letztere  Bromid  erzeugt. 

Das  erste  Bromid  verhält  sich  bei  vielen  Reactionen  wie  ein  ein- 
atomiges Bromid,  d.  h.  es  verliert,  ähnlich  wie  das  Triäthylbromäthyl- 
ammoniumbromid  ($.  981),  nur  die  Hälfte  seines  Broms.  Das  zweite 
Bromid  zeigt  ähnlich  den  $.  980  besprochenen  Aethylendiammonium- 
bromiden  das  Verhalten  eines  Dibromids  eines  zweiatomigen  Phos- 
phoniums;  es  ist  Hezäthyläthylendipbosphoniumbromid. 


668  Zweiatomige  Radicale:  OnHtu. 

Das  einatomige  Bromid  kann  aus  Alkohol  in  grossen  farblosen 
Oetagdern  erhalten  werden. 

Durch  Einwirkung  von  Silbersalzen  verliert  es  nur  die  Hälfte  des 
Broms.  Man  erhält  z.  B.  bei  Digestion  mit  Ghlorsilbcr  (oder  auch  bei 
Digestion  mit  salpetersaurem  Silberoxjd  und  Ausfällen  des  überschQssig 
zugesetzten  Silbersalzes  durch  Salzsäure)  das  Chlorid: 


^'ilÄTiSSr^'-    P(e;H.).(e.H.Br,.ci   =   P(W.je;H.{; 


iCl 
Br 


aus  welchem  durch  Platinchlorid  das  schwerlösliche  aus  Wasser  in  langen 
Prismen  krystallisirende  Doppelsalz  geiUllt  wird: 


Triäthyl-bromäthylphoB-  p,^ '    .  .^   '  ^  .p,    „  p,    _  ^(^i^Mf^''^  P^^ 
phoniumplatinchlorid.  ^(^i^M^i^t^G},  PtCIj  -  {^«»«(Br 


pta. 


Bei  Einwirkung  von  Silberoxyd  verliert  das  einatomige  Bromid  beide 
Bromatome.  Wird  eine  verdünnte  wässrige  Lösung  angewandt,  so  ent- 
steht die  stark  alkalisch  reagirende  Base: 


'riäthyl-fithylenphos-     Pce2H5),(e2H5e)i^    _     ^(^i^bhlß^u  f 
phoniumhydrat.  H(  f    *  *( 

Bf 


Sie  zeigt  mit  dem  Bromid  aus  dem  sie  entstanden  darin  Analogie, 
dass  nur  die  Hälfte  der  mit  dem  Triäthylphosphin  und  Aethylen  verbun- 
denen Elemente  leicht  entzogen  werden.  Man  erhält  z.  B.  durch  Zusatz 
von  Salzsäure  ein  Chlorid: 

PieaH.),(eaH»e).ci  =  ^^^^^^He^uA 

und  aus  diesem  ein  in  grossen  dunkelrothen  Octaädern  krjstallisirendes 
Platinsalz.  —  Wird  eine  concentrirte  Lösung  des  einatomigen  Bromids 
mit  Silberoxyd  behandelt,  so  entsteht  eine  der  eben  besprochenen  Base 
entsprechend  zusammengesetzte  Substanz,  die  nur  die  Elemente  von  1  MoL 
Wasser  weniger  enthält. 

Triäthyläthylenphosphoniumoxyd     =     ^(^a^*'a|  O^U^.B 

Diese  letztere  Verbindung  hat  einige  Analogie  mit  den  von  Wurtz  dargestell- 
ten Aethylenbasen  (§.  988).    Man  hat: 

Triäthyl-ftthylen-  Diäthylen-  Triäthylen- 

hydorphosphin.  dihydoramin.  trihydoramin. 

P(€,H,),|  NH,       J  NH,        » 

eja^.eS  2€,e4.e(  »«A-^i 


Phosphorbaseo  des  Aethylens.  669 

Bringt  man  das  einatomige  Bromid  mit  Zink  und  Schwefelsäure 
(Wasserstoff  im  Status  nascendi)  zusammen,  so  entsteht  Tetr&thylphos- 
phoniumbromid : 

Triftthyl-bromäthylen-  Teträthylphosphonium- 

phospboniumbromid.  bromid. 

P(eaH5),(eaH4Br).Br    +    Hj    =    P(eaH5),(e2H5)Br    +    HBr. 

Erhitzt  man  das  einatomige  Bromid,  so  zerfällt  es  unter  Bildung 
von  Triftthjlvinylphosphoniumbromid.    Man  hat: 


Triäthyl-bromäthylen-        Triäthylvinylphosphonium- 
phosphoniambromid.  bromid. 


4-      HBr 


Dieselbe  Zersetzung  findet  schon  bei  Einwirkung  von  Äethylenbromid  auf 
Triäthylphosphin  statt,  man  erbfilt  daher  bei  der  Darstellung  der  beiden  Triäthyl- 
ätliylenphosphoniumbromide  gleichzeitig  Triäthylenvinylphosphoniumbromid  und 
Triäthylphosphoniumbromid. 

Das  einatomige  Bromid  verbindet  sich  mit  Ammoniak  oder  mit  vom 
Ammoniak  sich  ableitenden  Basen  zu  Substanzen  vom  Typus  des  zwei- 
atomigen Bromids.  Mit  Triäthylphosphin  erzeugt  es  dieses  zweiatomige 
Bromid  selbst.  Wird  statt  des  Tri&thylphosphins  Ammoniak  oder  eine 
dem  Typus  Ammoniak  zugehörige  Stickstoff-  oder  Arsenbase  der  einato- 
migen Alkoholradicale  angewandt,  so  entstehen  zweiatomige  Bromide, 
die  gleichzeitig  zwei  verschiedene  Elemente  der  Stickstoffgruppe  enthalten 
(S.  990). 

Das  zweiatomige  Bromid,  Hexäthyläthy lendiphosphoniumbro-  987. 
mid,  wird  am  zweckmässigsten  durch  Einwirkung  von  überschüssigem 
Triäthylphosphin  auf  das  einatomige  Bromid  dargestellt.  Es  verliert  bei 
Einwirkung  von  Silbersalzen  seinen  ganzen  Bromgehalt  und  gibt  so  eine 
Reihe  wohlcharakterisirter  zweiatomiger  Verbindungen.  Durch  Silberoxyd 
entsteht  die  sehr  beständige  äusserst  kaustische  Base: 

Hexftthyl-fithylendlphos.    PaCe^X^ A)6 1 a    -  ^^^^i"*^'{« "r  1^ 
phoniumhydrat.  Hal^  "  P(öaHs)si^   *L 

Mit  Jodwasserstoffsäure  gibt  sie  ein  in  langen  Nadeln  krystallisiren^ 
des  Jodid.  Das  entsprechend  zusammengesetzte  Chlorid  gibt  ein  in  schö- 
nen Prismen  krystallisirendes ,  in  Wasser  fast  unlösliches  Platinsalz: 

und  ein  entsprechend  zusammengesetztes  in  Nadeln  krystallisirendesOoIdsalz« 


670  Zw«i&tomige  Radicale:  6iiH«d. 

Die  Cjanverbindnng  dieses  Diphosphoniums  entsteht  neben  Tri&thyl- 
phosphinsulfid ,  wenn  Aethylensulfocyanid  (§.  968)  auf  TriäthylphoBphin 
einwirkt: 

Aethylensulfo-  Triäthyl-  Triäthylphos-  Hexäthyl-äthylen- 

cyanid.  phospliin.  phinsulfid.  diphosplioniumcyanid. 


S!^»  +  4P(e,H,),  =  2P(eA),s  +  5[eA);(^»^*{eS 


Durch  Hitze  wird  die  freie  Base  zersetzt  unter  Bildung  von  Triätbyl- 
phosphinoxyd  und  von  Teträthylphosphoniumhydrat. 

Hezülhyl-ftthyleD-diphofl-  Tetrftthylphospho-  Triäthylphos- 

phoniumhydrat  niamhydrat.  phinozyd. 

HU 

Lässt  man  statt  Triäthylphosphin  das  Trimethylphosphin  auf  das 
einatomige  Bromid  einwirken,  so  wird  ein  gleichzeitig  Methyl  und  Aethyl 
enthaltendes  Bromid  erhalten,  das: 

P(e*HO»)    «    (Br 
Trimethyltriäthyl-fithylendiphoephoniumbromid  '        { ^a^«  1 1> 

aus  welchem  durch  Silberoxyd   die  entsprechende  Base  in  Freiheit  ge- 
setzt wird. 


Phosphorbasen  des  Methylens. 

988.  Phosphorhaltige  Methylenbasen   sind  noch  verhältnissm&ssig  wenig 

untersucht.  Nach  einer  vorläufigen  Mittheilung  von  Hofmann  wirkt  das 
durch  Einwirkung  von  Chlor  auf  Methylchlorid  dargestellte  Monochlor- 
methylchlorid  (§.  638)  auf  Triäthylphosphin  energisch  ein ;  man  erhält 
zunächst  ein  schön  krystallisirendes  einatomiges  Chlorid: 

Trittthyl-        Chlormethyl-      Triäthylchlormethyl- 
phosphin.  chlorid.  phosphoniamchlorid. 

P(ÖA).    +    ÖH,C!,    =    ^t^«^»>»jeH,{g    toder:  P(e,H,)»(«H,Cl),  CIJ 

aus  welchem  ein  in  schönen  Nadeln  krystallisirendes  Platinsalz  erhallen 
wird: 

P(««H,),»^^^ ja,  pta,    jjjgj.  p(e,Hj,(0H,cix  ci.ptci. 


AnefiTerbindangen  des  A^thylens.  671 

Dieses  eioatomige  Chlorid  verbindet  sieh  mit  einem  zweiten  Molecfil  Tri- 
äthylphosphin : 

und  erzeugt  das  zweiatomige  Hex&tbjl-meihylendiphosphoniumchlorid, 
welches  schon  beim  Eindampfen  mit  Wasser  nach  der  folgenden  Glei- 
chung zerflÜIt: 

Methyltriäihylphos-        Tiiäthylphos- 
phoniamchlorid.  phinoxyd. 

PcSHÄh'^'lci  +  ^«^  =  p(eA),(eH,)Ci  +  P(GA),e  +  hci. 

Das  aus  Jodoform  dargestellte  Methylenjodid  ($.  952)  verh&lt  sich 
gegen  Tri&thylphosphin  genau  wie  das  Chlormethylchlorid»  Das  Methylen- 
bromid  dagegen ,  durch  Einwirkung  von  Brom  auf  Methylenjodid  darge- 
stellt, zeigt  (nach  Hofmann*s  Ankündigung)  ein  völlig  verschiedenes 
Verhalten. 

Arsenbasen  des  Aethylens. 

Die  Arsenbasen  des  Aethylens  sind  den  Phosphorbasen  völlig  ana-  989. 
log.    Bei  Einwirkung  von  Triftthylarsin  auf  Aethylefibromid  erhält  man 
gleichzeitig  ein  einatomiges  und  ein  zweiatomiges  Bromid: 

TriÄthyl-lUliylen-arBoniambromid  ^«(^f  jH»),  |  ^^^^  i  Er 


HexfiUiyl-äthylen-diarsoniumbromid 


A8(6sH^, 
As(6/ 


Das  erstere  Bromid  verliert  bei  Einwirkung  von  Silbersalzen  nur 
die  H&lfte  seines  Broms,  es  verhält  sich  wie: 

Triäthyl-bromfithylarsoniombromid      Aaie^^M^^^J^T^)  •  Br 

Das  Platinsalz  ist  dem  Triäthylbromäthylphosphoniumplatinchlorid 
entsprechend  zusammengesetzt  und  mit  diesem  isomorph.  Setzt  man  zur 
Lösung  dieses  einatomigen  Bromids  einen  Ueberschuss  von  salpetersau- 
rem Silberoxyd  und  dann  zum  klaren  Filtrat  Ammoniak,  so  wird  die 
zweite  Hälfte  des  Broms  als  Bromsilber  gefiült  Aber  während  die  ana- 
loge Phosphorverbindung  bei  entsprechender  Reaction  das  Triäthyl-äthylen- 
phosphoniumhydrat  liefert,  entsteht  bei  der  Arsenverbindung  das: 

TriÄthyl-vinylsrsomumhydrat      a      A8(e,HJ,(e,H|)|^ 


g72  Zweiatomige  Radicale:  OoHso. 

als  stark  alkalische  Lösung,  aus  welcher  leicht  ein  octaßdrisch  kiystalli- 
sirendes  Platinsalz  erhalten  wird. 

Das  einatomige  Bromid  verbindet  sich  wie  die  entsprechende 
Phosphorverbindung  mit  Ammoniak  oder  Aminbasen  zu  Stickstoff  und 
Phosphor  enthaltenden  Verbindungen  (§.  9903- 

Bei  Einwirkung  von  Triäthylarsin  erzeugt  es  das  zweiatomige  Hex- 
äthjläthylendiarsoniumbromid.  Aus  diesem  entsteht  durch  Silberozyd 
eine  starke  Base,  das: 

Hexäthyl-äthylen-  AB^(ß2^A)i^2^i)% (  rx    —  Aß(e jHj), j     „^1^ 

diarBoniumhydrat.  ^^\^2  -  A8(eA),r^°ne 

Aus  dieser  können  leicht  Salze  dargestellt  werden,  von  welchen 
das  Jodid  besonders  schön  krystallisirt.  Das  Platinsalz  hat  die  Zusam- 
mensetzung. 

Das  Goldsalz  ist  entsprechend  zusammengesetzt 
Antimonbasen  desAethylens  sind  bis  jetzt  nicht  näher  untersuchL 

Gemischte  Basen  des  Aethjlens. 

990.  Es  wurde  oben  ($$.  986,  989)  erwähnt,  dass  die  einatomigen  Bro- 

mide des  Triäthyläthylenphosphoniums  und  des  Triäthyläthylenajrsonioms 
sich  direct  mit  Ammoniak  oder  vom  Ammoniak  sich  herleitenden  Basen 
verbinden  und  so  Bromide  von  Aethylenbasen  erzeugen,  die  gleichzeitig 
Stickstoff  und  Phosphor  oder  Stickstoff  und  Arsen  oder  auch  Phosphor 
und  Arsen  enthalten.  Hof  mann  hat  so  die  folgenden  Verbindungen 
erhalten,  für  welche  die  sie  bildenden  Substanzen  sich  direct  aus  den 
Formeln  und  den  Namen  ergeben: 

Triäthyl-ÄÜiylcn-phGsphammo.  ^(ßA)*\cLu  JBr 

niumbromid.  N    N,     \^^^^\Br 

Triäthyl-mcthyl-äthyien-phosph-  PC^aH^),  l^"^  «Br 

ammoniumbromid.  NfGH  "IH  '        ^^^^ 

Teträthyl-äthylen-phosphammo-  PC^aH»)!    1^  g  |Br 

niumbromid.  NCeiH^Hj»    "  *'^' 


Triäthyl-trimethyl-äthylen-phosph- 
ammoniambromid. : 


SulAirylTerbindaDgen  der  Radicale:  OnHio.  673 

Triäthyl-ftthylen-arsammomain-  AsrOaHa).)^!'^  i^^ 

bromid.  K      H,      f^^^^Br 


Hexfithyl-äthylen^phosphareo- 
niumbromid. 


Jt3«---i£ 


Alle  diese  Verbindungen  verhalten  sich  wie  zweiatomige  Bromide; 
sie  verlieren  leicht  die  beiden  Bromatome  und  geben  bei  Behandeln  mit 
Silberoxyd  stark  kaustische  Basen,  die  dem  Hexäthjläthylenphosphonium- 
hydrat  und  der  analogen  Arsenbase  entsprechen.  Die  Platin-  und  Goldr 
salze  sind  den  correspondirenden  Salzen  dieser  beiden  Basen  analog  zu- 
aammengesetzt 

Das  Hexäthylftthylenphospharspniumbromid  zerfollt  beim  Erhitzen 
in  Tri&Üiyl&ihylenphosphoniumbromid  und  Tri&thylarsin. 


Im  Folgenden   sind  die  bis  jetzt  bekannten  Bromide  vom  Typus :  991. 

2NH3.62H4Br2    in    empirischen    Formeln    (Bildungsformeln)   zusammen- 
gestellt: 

ejH^.Brj)     ejH^.Brj)     6,114. Bra)         eÄ-Br^i         ejH4.Br2)     eX-Br- 
(6H3),N        (62H,),N       (GaH,),?  (e^H,),?  (e^H,),?  [     (ejH,),? 

(eHa),N  S     (e2Hj)aN^    .      H3      n\        (eH,)H2N^      (eaH^)H2Ni     (eH,),N 


e3H4.Br2)         esHf.Br,)         eaH4.Br2  )         eaH4.Br,  \ 
(eaH5),P  [        (eaH.), As  [         (OaH,), As  (eaH,), As 

(eaH»),Pi  H,     nV        (GaH,),?   )        ißJ^^^t^S 


Sulfürjlverbindungen  der  Radicale:  QJivi. 

Man  kennt  eine  Anzahl  von  Substanzen ,   die  ihren  Bildungsweisen  992. 
nach  durch  Fx>Tmeln  ausgedrückt  werden  können,  in  welchen  die  zwei- 
atomigen Radicale:  OnH^n   und  gleichzeitig  das  zweiatomige  Radical  der 
Schwefelsäure  (Sulfuryl  =  SO2)  enthalten  sind.     Diese  Körper  können 
von  den  folgenden  drei  Typen  abgeleitet  werden: 

nH20 

nHjO  +     H, 

nHjO  +  2H, 

Dem  ersten  dieser  drei  Typen  gehört  die  Sulfoglycolsäure  an. 
Vom  zweiten  leiten  sich  ab  das  Carbylsulfat,  die  Aethionsäure 
und  die  Is&thionsäure.  Die  s.  g.  Disulfosäuren  (Disut&tholsäufe 
und  ihre  Homologen)  gehören  zum  dritten.  Typ..    . . 

KekaU,  orgu.  Cliaaie.  48 


674  Zweiatomige  Radicale:  SuHtti. 

993,  I.  Sttlfoglycolsfture.  Olycolschwefelfiftiire«  Sie  entsteht,  wenn 
Olycol  mit  Schwefelsäure  aaf  150®  erhitzt  wird,  nach  dem  Schema: 

Glycol.  Solfoglyools&ure. 

Dos  Barytsalz  ist  in  Wasser  sehr  lösli(^  und  kaum  krystallisirbar.  Nsck 
der  Zusammensetzung  dieses  Barytsalzes  scheint  die  Gljcolschwefelsäure  einbasisch 
zu  sein  (Simpson)  *). 

994.  IL  Carbylsulfat,  Aethions&ure  und  Is&thions&are.  Mag- 
nua  1833.  Regnault  1837.  Das  Aethylen  vereinigt  sich  direct  mit  Sehwe- 
felsäureanhydrid  zu  Garbylsalfat.  Dieses  yerbindet  sich  leicht  mit 
Wasser  und  erzeugt  so  Aethions&ure.  Beim  Kochen  dieser  Lösoog 
zer&llt  die  Aethionsäure  zu  Is&thionsäure  und  Schwefelsäure.  Man  hat: 

Aethylen.  Carbylsulfat. 

"GJä^  ^      2 90*2 '^    ^        ^iH4»CSOf)j.02 

Carbylsulfat.  Aethionsäure. 

eA.(S^a)a.O,  +         H,e        =     eaH4.(Se,),.H,.0, 

Aethionsäure.  Isftthionsäure. 

Nach  ihrer  Bildung  können  diese  Substanzen  durch  die  folgendeD  | 
typischen  Formeln  ausgedrückt  werden,  in  welchen  das  Radieal  Aetfaylea  j 
und  das  Radieal  der  Schwefelsäure  angenommen  sind  (vgl.  auch  §.  355):  | 

Carbylsulfat.  Aethionsäure.  Isäthionaäure.  \ 

) 
S0jj  Hx  H\  J 

6aH4>0a  SOjl  ^a^*(rv  M 

SOq/  ^ASOi  S0jt  A 

Die  Bildung  des  Carbylsulfats ,  seine  Umwandlung  in  Aethionsäure 
und  die  Spaltung  dieser  in  Isäthionsäure  und  Schwefelsäure,  kann  doieh 
Umlagerung  der  zweiatomigen  Radicale  erklärt  werden  (vgl.  $.  226). 

Das  Carbylsulfat  verhält  sich  wie  das  Anhydrid  der  Aethionsäue; 
die  Aethionsäure  ist  eine  zweibasische,  die  Isäthionsäure  eine  einbasische 
Säure. 


^)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXII.  146. 


^  SnlföBävren.  675 

Dieselben  Sabfitansen  werden  such  erhaUen,  wenn  Sohwefelsäure-  995. 
luibydrid  auf  Alkohol  einwirkt.  Ihre  Bildung  auf  diesem  Wege  ist  leicht 
verständlich,  wenn  man  sich  erinnert,  dass  der  Alkohol  die  Zusammen«- 
setsung  von  Aethylen  -|-  Wasser  hat.  Es  entsteht  dabei  stets  gleichzeitig 
Aethylschwefels&nre  (S.  677).  Wird  während  der  Einwirkung  alle  Er« 
wärmung  vermieden,  so  wird  wesentlich  Aethionsäure  und  Carbylsulfat 
gebildet;  lässt  man  die  Substanzen  während  der  Einwirkung  sich  erhitzen 
oder  kocht  man  nach  beendigter  Einwirkung  mit  Wasser,  so  entsteht 
wesentlich  Isäthionsäure.  Ueber  den  Vorgang  bei  Bildung  dieser  Sub- 
stanzen aus  Alkohol  vgl.  $.  356. 

Carbylsulfat,  Aethionsänreanhydrid,  bildet  farblose,  bei  etwa  80®  schmel-  99e. 
sende  Eiystalle. 

Aethionsäure.  Die  freie  Säure  zersetzt  sich  schon  beim  Verdunsten  der 
w&ssiigen  Lösung  in  der  Kälte.  Die  Salze  sind  etwas  beständiger,  sie  enthalten 
zwei  Aequivalente  Metall. 

Isäthionsäure.  Die  Isäthionsäure  ist  isomer  mit  der  Aethylschwefelsäure 
(S.  677)  und  einbasisch  wie  diese.  Man  erhält  den  in  glänzenden  Blättchen  kry- 
stallisirenden  isäthionsauren  Baryt  leicht  indem  man  Alkohol  mit  Schwefelsäure- 
anhydrid  sättigt,  mit  Wasser  verdünnt,  längere  Zeit  kocht  und  mit  kohlensaurem 
Baryt  neatralisirt.  Die  freie  Säure  kann  bis  zur  Syrupconsistenz  abgedunstet  werden, 
zersetzt  sich  aber  bei  weiterem  Eindampfen.  Sie  bildet  zerfliesslichc  Erys^llnadeln. 
Die  Salze  der  Isäthionsäure  sind  krystallisirbar  und  zersetzen  sich  meist  erst 
über  200*. 

Wenn  man  das  in  rhombischen  Taleln  krystallisirende  und  bei  180®  schmeL 
zende  Ammoniaksalz  längere  Zeit  auf  210® — 220®  erhitzt,  so  verliert  es  10— -12 
Proc.  Wasser  und  liefert  ein  Amid,  welches  identisch  ist  mit  Tau  r  in.  (Strecker)*). 

Durch  Ein^yirkung  von  Phosphorsuperchlorid  auf  isäthionsaures  Kali  ent- 
steht nach  einer  vorläufigen  Mittheilung  von  Eolbe  **)  ein  Chlorid,  aus  welchem 
Ghloräthylschwefelsäure ,  Aethylschwefelsäure  und  Tanrin  erhalten  werden  können. 

Die  Isätltionsäure  verhält  sich  bei  dieser  Reaction  der  Milchsäure  und  der 
Glycolsäure  analog.  Das  Taurin  ist  für  die  Isäthionsäure  genau  was  das  GlycocoU 
fElr  die  Glycolsäure  ist,  d.  h.  es  ist  das  Monamid  der  Isäthionsäure. 

Taurin,  Isäthionamid :   ^^HiNOaS.    Das  Taurin   wurde  1826  von  997. 
Gmelin  aus  Ochsengalle  dargestellt.    Strecker  zeigte,  dass  die  Galle 
eine  Stickstoff-  und  schwefelhaltige  Säure  enthält,   die  Taurocholsäure, 
und  dass  diese  sich  unter  Aufnahme  von  Wasser  spaltet  in  Taurin  und 
Cholsfture: 

Taurocholsäure.  Cholsäure.  Taurin. 


•>  Ann.  Chem.  Pharm.  LZVIL  SO. 
••)  ibid.  CXDL  241. 

4B* 


676  Zweiatomige  Ritdicale:  OnHia. 

Seitdem  hat  man  das  Taurin  im  Darminbalt,  im  Lungengewebe,  in 
den  Nieren  und  ferner  in  einzelnen  Mollusken,  im  Schliessmuskel  der 
Auster  etc.  aufgefunden.  Die  Bildung  des  Taurins  aus  Is&thionsftnre  un^ 
mithin  die  synthetische  [Bildung  aus  Aethylen  wurde  1854  von  Strecker 
entdeckt. 

Das  Taurin  kann  durch  die  typische  Formel  ausgedrückt  werden: 
H)  H 


W  TypoB:         P 


H 

H}N 

Man  erhftlt  das  Taurin  am  leichtesten  aus  Ochsengalle  indem  man  dieselbe 
längere  Zeit  mit  Salzsäure  kocht,  von  den  harzartigen  Substanzen  abfiltrirt,  da« 
beim  Verdunsten  des  Filtrats  sich  ausscheidende  Kochsalz  entfernt  und  die  rück- 
ständige Flüssigkeit  mit  Weingeist  vermischt,  wobei  sich  das  Taurin  nach  einigtr 
Zeit  ausscheidet.  Man  kann  auch  Galle  durch  längeres  Stehen  faulen  lassen,  mit 
Essigsäure  iUlen ,  das  Filtrat  eindampfen  und  durch  Alkoholzusatz  das  Taurin  ab- 
scheiden. 

Das  Taurin  krystallisirt  in  glasglftnzenden  monoklinometriscbeD  Pris- 
men. Es  löst  sich  leicht  in  heissem,  weniger  in  kaltem  Wasser;  in  Al- 
kobol  und  Aether  ist  es  unlöslich.  Es  schmilzt  und  kann  bis  240®  eriutii 
werden  ohne  Zersetzung  zu  erleiden.  Von  Mineralsäuren,  selbst  von  Sal- 
petersäure wird  es  nicht  angegriffen.  Beim  Abdampfen  mit  Kali  entweicht 
Ammoniak  und  der  farblose  Rflckstand  enthält  schwefligsaures  und  esag- 
saures  Salz. 

Das  Taurin  ist  isomer  mit  schwefligsaurem  Aldehydammoniak  (§.  840> 

998.  m.  Disulfosäuren.    Man  kann  die  als Disulfos&uren  bezdchnelei 

Säuren  durch  die  folgenden  typischen  Formeln  ausdrücken: 

Typus.  Disulfomethol-  DisulfUthol-  Disulfopropiol- 

säure.  säure.  säure. 

H, 

H^e  mJ^*  mS^»  eei?^» 


Die  erste  dieser  Säuren   wurde  schon  1835  von  Liebig  *)  entdeckt 
und  als  Hethions&ure  bezeichnet. 

Han  erhtflt  ihr  Baiytsalz,  wenn  man  Aether  ohite  abztikflhien  mit  SchmAI- 


eHa) 

«Ax 

€,H, 

*     i 

M          ^ 

• 

tSüjf 

t3U«i 

■ 

SO* 

0    \ 
trvTjf 

^. 

,«» 

H»; 

■ 

H, 

r 

H, 

*)  Ann.  Chem.  Pharm.  XIIL  85;  vgl.  femer:  Redtanbadierf  iUd.  OUSODUSMi 
Wetherill,  ibid.  LXVI.  122.  -   :   ..    .'      r 


'      SidfoBiimii.  S77 

s&nreanhydrid  sttttigt,  mit  Wasser  kocht,  mit  kohlensaurem  Barjt  nentralisirt  nnd 
das  eingeengte  Filtrat  mit  Alkohol  mischt 

Hofmann  und  Buckton*)  lehrten  die  Darstellung  der  Disulfo- 
Bfturen  durch  Einwirkung  von  Schwefelsäufeanhydrid  oder  von  rauchen- 
der Schwefelsäure  auf  die  Nitrile  oder  Amide  der  fetten  Säuren  oder 
auch  auf  die  fetten  Säuren  selbst.  Sie  zeigten,  dass  die  aus  Acetonitril 
erhaltene  Disulfometholsäure  identisch  ist  mit  Methionsäure.  Diese  Iden- 
tität wurde  durch  Versuche  von  Strecker**)  bestätigt  —  Buff***) 
fand  dann,  dass  die  Disulfätholsäure  auch  bei  Oxydation  des  Sulfocyan- 
äthylens  ($.968)  durch  Salpetersäure  entsteht.  In  neuester  Zeit  beobach- 
tete Strecker  f )  die  Bildung  von  Disulfometholsäure  bei  Einwirkung  von 
rauchender  Schwefelsäure  auf  Milchsäure. 

Die  Bildung  der  Disulfosäuren  aus  den  Nitrilen,  Amiden  oder  auch 
den  Hydraten  der  um  1  At.  0  reicheren  fetten  Säuren  erklärt  sich  aus 
der  Beobachtung,  dass  bei  Einwirkung  von  Schwefelsäureanhydrid  auf 
Acetonitril  oder  auf  Essigsäure  zuerst  Sulfacetsäure  gebildet  wird,  die 
dann  bei  Einwirkung  von  überschüssigem  Schwefelsäureanhydrid  unter 
Entwicklung  von  Kohlensäure  zu  Disulfometholsäure  wird. 

Die  Sulfacetsäure  kann  dorch  die  typische  Formel: 

Ha) 

aoBgedrtickt  werden  (vgl.  §.  855).    Diese  Formel  kann  dann  (ähnlich  wie  die  For- 
mel der  Essigsäure)  weiter  aufgelöst  werden  zu: 

S^a\ 

hJ 

Bei  Einwirkung  von  Schwefelsäureanhydrid  wird  nun  das  R4idical:  60  ausgetauscht 

gegen  das  Radical:  SO^;  man  hat: 

Sulfacetsäure.  Disulfometholsäure. 

e 


X     P — ^^ 


J   V 


Ha 


e      _-         .  »>e,     +      ee.e 


Die  Disulfosäuren  sind  zweibasisch   und  sehr  beständig;   ihre  Salze 
sind  zum  Theil  schön  krystallisirbar. 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  C.  129. 
••)  ibid.  C.  199.  >   , 
•••)  ibid.  C.  281. 
t)  ibid.  CXVIII.  290/ 


678 


Zweiatomige  Radioale:.  €lBHu-t0. 


Vierte  Gruppe. 
Verbindungen  der  zweiatomigen  Oxykohlenwasserstoffiradicale:  GaBu^^. 

999.  Dieselbe  Beziehung,   welche  zwischen  den  einatomigen  Alkoholen 

und  den  einatomigen  Säuren  (fetten  S&uren)  statt  hat  (vgl.  $.  792),  flndet 
sich  wieder  für  die  zweiatomigen  Alkohole  (Glyoole)  und  die  jetzt  lo 
besprechende  Gruppe  zweiatomiger  Säuren. 

Man  kennt  eine  mit  der  Reihe  der  Glycole  parallel  laufende  Rdbe 
von  Säuren,  die  für  gleichviel  Eohlenstoffatome  zwei  Atome  Wasserstoff 
weniger  und  dafür  ein  Atom  Sauerstoff  mehr  enthalten. 


Zweiatomige 

Zweiatomige 

Alkohole. 

Säuren. 

Methylglycol 

GH^e, 

G  H2O,    Kohlensäure  *)• 

Glycol 

GjH^  O2 

GsHfO,  .  Glyoolsäure. 

Propylglycol 

GjHg  Oj 

6,HeG,    MUchsäure. 

Butylglycol 

G4H10Ö1 

G4Hse,    Butylactina&ure. 

Diese  zweiatomigen  Säuren  stehen  andererseits  zu  den  feiten  Sin- 
ren  genau  in  derselben  Beziehung  wie  die  zweiatomigen  Alkohole  sn  dea 
einatomigen;  sie  enthalten  bei  sonst  gleicher  Zusammensetzung  geradeia 
ein  Atom  Sauerstoff  mehr  im  Holeottl  (vgl.  S-  930). 


Einatomige 

Zweiatomige 

Säuren. 

Säuren. 

Ameisensäure 

GH,e, 

G  H^G,    Kohlensäure. 

Essigsäure 

Ö1H4G, 

G2H4G,    Giyoolsäure. 

Propionsäure 

GjHeGj 

GsH^G,    Milchsäure. 

Buttersäure 

64H3GS 

G^HtGa    Butylactinsäare. 

eta 

eto. 

1000.  Diese  Beziehungen   treten  deutlich  hervor,  wenn  man  die  zweiato- 

migen Säuren  durch  Formeln  ausdrückt,  welche  den  Formeln  der  Gljoole 
und  gleichzeitig  den  Formeln  der  fetten  Säuren  analog  sind.    Z.  B.: 


*J  Die  Eohlensänre  ist  als  Hydrat  nicht  bekannt,  man  kennt  nur  ihre  Salw 
und  Aether.  Ebenso  kennt  man  vom  Methylglycol  nnr  Verbindungen  mä 
Säuren  z.  B.  das  Diacetyl- methylglycol  (vgL  SS*  962,  969). 


.  Zweiatomige 

8äaren. 

Alkohol. 

Esrigsftore. 

Qlycol, 

Oljcolsäure. 

679 


Solche  Formeln  —  in  welchen  Atomgnippen  von  der  Form:  OnH2o>20 
als  zweiatomige  Radicale  angenommen  sind  —  drücken  ausser  die- 
sen Beziehungen  noch  die  wichtigsten  Eigenschaften  der  betreffenden 
Säuren  aus,  sie  gjsstatten  ferner  die  wichtigsten  Abkömmlinge  dersel- 
ben durch  einfache  und  an  die  verwandtschaftlichen  Bande  erinnernde 
Formeln  darzustellen.  Aehnlich  indess  wie  bei  den  fetten  Säuren  die  ge- 
wöhnlichen Formeln  nicht  alle  Metamorphosen  und  nicht  alle  Beziehun- 
gen zu  andern  Körpern  umfassen,  so  auch  hier,  wenn  gleich  in  weniger 
hervortretendem  Grade,  weil  die  zweiatomigen  Säuren  noch  verhältniss- 
massig  wenig  erforscht  sind. 

Man  kann  znm  Hervortretenlassen  mancher  Analogieen  und  in  derselben 
Weise  wie  man  die  Formeln  der  fetten  Säuren  weiter  aufgelöst  hat  auch  die  For- 
meln dieser  zweiatomigen  Säuren  weiter  auflösen: 


Glycolsänre. 

Typus. 

H 

0       f 

H, 

1: 

Da  indess  die  einfacheren  Formeln  die  wichtigsten  Beziehungen  und  gleich- 
zeitig das  Gesammtverhalten  der  betreffenden  Säuren  hinlänglich  ausdrucken,  so 
sind  im  Folgenden  diese  einfacheren  Formeln  vorzugsweise  gebraucht. 

Die  wichtigsten  Glieder  dieser  Gruppe,    das  heisst  die  wichtigsten  1001. 
derjenigen  Verbindungen,   deren   chemische  Natur  durch  Annahme  zwei- 
atomiger Radicale:  ©nH^n-iO  in  typischen  Formeln  ausgedrtlckt  werden 
kann,  sind  die  Säuren  selbst,  also  die  vom  verdoppelten  Wassertyp  sich 
ableitenden  Verbindungen. 

Die  bis  jetzt  bekannten  Säuren  dieser  Gruppe  sind : 


980 


Zweiatomige  Rsdicale:  €^iHta— «&• 


/ 

' 

Empirische 
Formel. 

Rationelle 
Formel. 

GnH^oO, 

e„H2„-2eu 

Kohlensäure 

G  Mj  Oj 

OJjcols&ure 

6jH4  O, 

n^ö. 

Milchsäure 

©jHe  03 

e.H«ej^^ 

Butylactinsäure 

©4^8  ^3 

e.Mje, 

. 

LeuciDsäure 

©aHijOg 

^•^fj^. 

Diese  Sfture  sind  zweiatomig;  d.  h.  sie  leiten  sich  von  »wei 
Mol.  Wasser  als  Tjpus  ab,  das  in  ihnen  angenommene  Radical  ist 
zwei  Atomen  Wasserstoff  äquivalent  und  sie  enthalten  zwei  Atome 
durch  Metalle  oder  Radicale  vertretbaren  Wasserstoff. 

Bei  dieser  Analogie  zeigen  indess  die  verschiedenen  Glieder  dieser 
Säurereihe  eine  auffallende  Verschiedenheit  des  Verhaltens.  Das  erste 
Glied  der  Reihe,  die  Kohlensäure,  bildet  leicht  Balze  mit  zwei  Aequivft- 
leht  Metall,  sie  ist  entschieden  zwei  basisch.  In  den  Obrigen  Säuren 
dagegen  wird  von  den  zwei  typischen  Wasserstoffatomen  nur  das  eine 
mit  Leichtigkeit  gegen  Metalle  ausgetauscht,  das  andere  dagegen  niciit 
Mit  andern  Worten  diese  Säuren  sind,  obgleich  zweiatomig,  doch  nur 
einbasisch. 

Diese  Verschiedenheit  zwischen  der  Kohlensäure  und  den  mit  ibr 
homologen  Säuren  lässt  es  zweckmässig  erscheinen,  zunächst  die  Kohlen- 
säure und  alle  von  ihr  sich  ableitenden  Verbindungen  zu  besprechen  und 
dann  später  die  übrigen  Säuren  dieser  Reihe  nebst  ihren  AbkömmlingeB 
zusammenzustellen. 

Die  Erklärung  des  eigen thümlichen  Verhaltens  der  mit  der  Koblefl* 
säure  homologen  Säuren  und  ebenso  die  Erörterung  der  Frage,  wamin 
die  Kohlensäure  selbst  diese  Eigenthümlichkeit  nicht  zeigt,  bleibt  späte- 
ren Betrachtungen  vorbehalten. 


681 
Carbonyl  verbin  düngen. 

Das  Radical  Carbonyl  =  €0  kann  betrachtet  werden  als  Methy-  1002. 
len  (§.  952) ,   dessen  Wasserstoff  durch  die  äquivalente  Menge  Sauerstoff 
ersetzt  ist.    Es  ist  zweiatomig  wie  das  Methylen,  aus  dem  es  sich  ableitet 
und  wie  sich  dies  ausserdem   aus  den  früher  über  die  chemische  Natur 
des  Kohlenstoffs  mitgetheilten  Ansichten  ergibt  (vgl.  auch  $.  300). 

Die  einfachsten  Verbindungen   des  Radicals  Carbonyl  sind,  bei  ty- 
pischer Betrachtung,  die  folgenden: 


Typus. 

Eohlenozyd. 

:        H, 

KohlenBäore. 

Carbonylchlorid. 

Haeimd2HCl 

ee.e 

«^181 

Saure  kohlen- 

Neatrele kohlen- 

Aethyl-Kohlen- 

Kohlensänre- 

saure  Salze. 

saure  Salze. 

säure. 

&thyl&(her. 

2H,e 

(e,H,),r» 

Das  Eohlenoxyd  ist  das  isolirte  Radical  Carbonyl,  es  entspricht  dem 
Aethylen  (§.942).  Die  gewöhnlich  als  Kohlensäure  bezeichnete  Verbindung  ist 
das  eigentliche  Anhydrid,  sie  entspricht  dem  Aethylenoxyd  (§.  966).  Das  Carbo- 
nylchlorid oder  Phosgen  ist  die  dem  Aethylenchlorid  (§.  953)  correspondirende 
Verbindung.  Die  dem  61ycoI  (§.  965)  entsprechende  Substanz,  das  Kohlen- 
säurehydrat ezistirt  für  die .  Carbonyl  Verbindungen  nicht  j  es  spaltet  sich  bei 
all  den  Reactionen  bei  welchen  es  der  Theorie  nach  entstehen  sollte  in  Anhydrid 
und  Wasser.  Die  Kohlensäure  ist  indess,  wie  dies  den  übrigen  Analogieen  nach 
erwartet  werden  darf,  eine  zweibasische  Säure  *,  sie  bildet  saure  und  neutrale  Salze 
und  ebenso  saure  und  neutrale  Aetherarten. 

Als  Carbonylverbindungen  können  ferner  betrachtet  werden:  die 
Ameisensäure  (§.  830)  und  die  Chlorameisensäure  (Carbonyl- 
chlorhydrat) ,  von  welcher  übrigens  nur  die  Aetherarten  bekannt  sind 
(vgl.  S-  836).     Man  hätte  bei  dieser  Auffassung: 

Typus.  Ameisensäure.  Chlorkohlen- 

säureäther. 


«H 


Die   zahlreichen   amidartigen   Verbindungen    des    Garbonyls 
werden  nachher  besonders  zusammengestellt  (§.  1012). 

In  vielen   der   oben    erwähnten    Carbonylverbindungen   kann    aller  1008. 
Bauerstoff  durch  Schwefel  ersetzt  werden;   für  manche  ezistiren  ausser- 


682  Carbonylverbindnngen. 

dem  Abkömmlinge,   die  gleichseitig  Sanerstoff  und  Schwefel    enthalta. 
Alle  diese  schwefelhaltigen  Verbindungen  sind  $$.  1036  u.  ff.  beschrieben. 


Da  viele  Garbonylverbindungen  gewöhnlich  in  der  unorganisdieB 
Chemie  abgehandelt  werden,  so  genflgt  hier  eine  kurze  ZusammensteUimg 
ihrer  wichtigsten  Eigenschaften,  namentlich  derjenigen,  die  die  betreffai' 
den  Körper  als  Verbindungen  des  sweiatomigen  Carbonjls  ehcurakterisirei 
und  so  ihre  Stellung  im  System  der  Kohlenstoffverbindungen  besdehncB. 


1004.  Kohlenoxyd  60;  entdeckt  gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhanderts 

von  Lasonne  und  Priestley.  Es  entsteht  leicht  durch  Reduction  der  Koh- 
lensäure, z.  B.  wenn  man  Kohlensäure  über  glühende  Kohle  oder  glühe»- 
des  Eisen  leitet  oder  wenn  man  kohlensaure  Salze  (z.  B.  Kreide)  mit 
Kohle  oder  Eisen  glüht.  Es  bildet  sich  ferner,  wenn  Kohle  mit  schwer 
reducirbaren  Metalloxyden  (Zinkoxyd,  Eisenoxydul)  geglüht  wird  und 
auch  wenn  Wasserdampf  auf  glühende  Kohle  einwirkt.  Ob  der  Kohlen- 
stoff direct  zu  Kohlenoxyd  zu  yerbrennen  im  Stande  ist,  ist  noch  nicht 
mit  Sicherheit  nachgewiesen;  das  bei  Verbrennung  von  Kohle  bei  uDg^ 
nügendem  Luftzutritt  erzeugte  Kohlenoxyd  ist  vielleicht  Reducüonsprodoet 
der  anfangs  erzeugten  Kohlensäure. 

Das  Kohlenoxyd  entsteht  femer  häufig  als  Spaltungsproduet  organi- 
scher Substanzen.  So  zerfällt  z.  B.  Ameisensäure  (und  ebeoBO  amei- 
sensaure  Salze)  unter  dem  wasserentziehenden  Einfluss  von  concentrirter 
Schwefelsäure,  zu  Kohlenoxyd  und  Wasser: 

Ebenso  liefern  Cyanwasserstoff  und  Metallcyanide  (amidartige  Ve^ 
bindungen  der  Ameisensäure)  bei  Einwirkung  von  Schwefelsäure  Kob- 
lenoxyd. 

Oxalsäure  zeri&Ut  beim  Erwärmen  mit  Schwefebäure  in  gleidie 
Volume  Kohlenoxyd  und  Kohlensäure: 

e2Hae4  =  ee  +  eoa  +  H,e 

Zur  Darstellung  von  Kohlenoxyd  erwärmt  man  Oxalsäure  oder  ein  ozalsai- 
res  Salz  mit  etwa  dem  sechsfachen  Gewicht  Schwefelsäurehydrat  and  wascht  öm 
Gas  mit  Kalkmilch  oder  Natronlauge.  Oder  man  erwärmt  gepulvertes  Blaüaugea- 
salz  mit  dem  acht-  bis  zehnfachen  Gewicht  Schwefelsäure,  entfernt  sobald  d« 
Schäumen  beginnt  das  Feuer  und  unterstützt  erst  gegen  Ende  die  Reaction  dordi 
Erwärmen.  Das  schon  ziemlich  reine  Kohlenozyd  wird  noch  mit  Natronlauge  g^ 
waschen  *). 


*)  Fownes,  Ann.  Chem.  Pharm.  XLVIU.  88;  Ramdohrn.  Orimm,  ibid.  ZCVIUm 


Kohlenozyd.  683 

Das  Kohlenozyd  ist  ein  Äirbloses  permanentes  Gas,  es  wirkt 
«ingeafhinet  nicht  nnr  erstickend,  sondern  giftig.  Es  brennt  angezündet 
mit  blauer  Flamme  und  oxydirt  sich  so  leicht,  dass  es  bei  yerh&Itniss* 
m&ssig  niederen  Temperaturen  die  meisten  Hetalloxyde  reduoirt.  Von 
Kalium  und  Natrium  dagegen  wird  es  bei  höherer  Temperatur  nnter  Ab- 
scheidung von  Kohle  zersetzt 

Löslichkeit  in  Wasser  und  Alkohol  vgl.  §.  491. 

Eine  Lösung  von  EupferchlorÜr  in  Salzs&ure  oder  in  Ammoniak  absorbirt 
reichliche  Mengen  von  Eohlenoxyd;  die  salzsaore  Lösung  setst  nach  dem  Sättigen 
perlmntterglftnzende  BUttchen  .  ab,  die  ann&hemd  die  Zusammensetznng :  60, 
2Cn,Cl,  2H3e  zeigen  *). 

Das  Kohlenoxyd  verbindet  sich  direot  mit  Chlor  zu  Garbonjlchlorid. 

Bei  längerem  Erhitzen  mit  Kali-  oder  Natronhjdrat,  mit  Kalk  oder 
Baryt  wird  es  absorbirt,  indem  ein  ameisensaures  Salz  entsteht.  Bei  Ge- 
genwart von  Alkohol  oder  Holzgeist  erfolgt  diese  Vereinigung  leichter 
als  bei  Anwendung  wftssriger  Lösungen.  Natrium&thylat  (§.  650)  erzeugt 
bei  l&ngerem  Erhitzen  mit  Kohlenoxyd  neben  Ameisensäure  auch  etwas 
Propionsäure  (Berthelot)  ♦^  vgl.  §.  819. 

Carbonylchlorid,  Chlorkohlenoxyd,  Phosgen:  eO.Cl^;  entdeckt  1006. 
von  Davy  1812.  Es  entsteht  durch  directe  Vereinigung  von  Kohlen- 
oxyd mit  Chlor.  Beide  Gase  wirken  im  Dunkeln  nicht,  im  zerstreuten 
Tageslicht  langsam,  bei  Einwirkung  des  directen  Sonnenlichtes  rasch. 
Statt  des  freien  Chlors  kann  auch  erwärmtes  Antimonsuperchlorid  ange- 
wandt werden  ***).  Das  Carbonylchlorid  entsteht  femer  als  Zersetzungs- 
product  des  Perchlormethyläthers  ($.  838),  des  Perchlorameisenmethyl- 
ftthers  (§.  836),  des  Perchlorameisenäthyläthers  etc. 

Das  Carbonylchlorid  ist  ein  farbloses,  erstickend  riechendes  Gas. 
Es  wird  von  Arsen,  Antimon»  Zink  etc.  bei  höherer  Temperatur  zersetzt 
unter  Freiwerden  von  Kohlenoxyd;  beim  Erwärmen  mit  Zinkoxyd  liefert 
es  Kohlensäure  und  Zinkchlorid. 

Es  zerfällt  mit  Wasser  zu  Saksäure  und  Kohlensäure: 


^^r:>\[ 


0gr~7^\'   ^ 


Cl,    =    60.0    +    2HC1. 


Bei  Einwirkung  auf  Alkohole  verliert  es  nur  die  Hälfte  seines  Chlors 
und  erzeugt  Chlorkohlensäureäther.    Z,  B. : 

Carbonylchlorid.  ChlorkohlenBfturefither. 


'*)  VgL  Leblanc,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXVL278;  Berthelot,  ibid.  XCVIIL  392. 
••)  Ann.  Chem.  Phann.  XCYIL  125;  CVm.  188  und  Ann.  ehim.  phye.  LZI.  468. 


684  CarbanyWerbindiiiigen. 

Das  Carbonylcblorid  verhält -sich  bei  diesetBeaedikDil  wiediaChlonl 
der  gechlorten  Ameisensäure.  Die  erzeugten  AeÜier  können  als  GkUt 
am  ei  8  enäth  er  betrachtet  werden  ($.  836).   ,   '     •   - 

Diese  Aether  zersetzen  sieb  schon  bei  Einwirkung  von  Wasser,  b» 
sonders  beim  Erwärmen. 

Mit  Ammoniak  erzeugen  sie  Carbaminsäure&ther  (§.  1016): 

A'rA  Cl  Hl 

Sie  zeigen  demnach  das  Verhalten  von  Carbonylverbindungen. 

Die  Chlorkohlensäurefitber  *)  sind  stechend  riechende  FlüssigkeitEi 
Der  Methyläther  siedet  unter  100<^;  der  Aethyläther  bei  94^  Der  ChlorkoUensSo» 
smyläther  zersetzt  sich  beim  Erhitzen  unter  Abscheidung  von  Kohle  in  Kdik- 
säure,  Salzsäure  und  Kohlensäure-amyläther ;  auch  von  Wasser  wird  er  anter  Bä- 
dung  von  Kohlensäureamyiftther  zersetzt. 

1006.  Kohlensäure,    Kohlensäure -anhydrid:    GOj.      Schon  LibaTiw 

und  van  Helmont  kannten  die  Kohlensäure;  Lavoisier  zeigte  177S, 
dass  sie  eine  Sanerstoffverbindung  des  Kohlenstoffs  ist.  Die  KohlensioR 
ist  das  ständige  Oxydationsproduct  des  Kohlenstoffs  und  der  koUeostf 
faaltigen  Verbindungen.  Sie  bildet  sich  bei  den  als  Verbrennung  beKÜ 
neten  raschen  Oxydationen  mittelst  Sauerstoff  oder  sauerstoffhaltigen  Ver- 
bindungen; sie  entsteht  ebenso  bei  den  langsamen  Oxydationen,  die  na 
als  Fäulniss,  Verwesung,  Vermoderung  etc.  bezeichnet;  sie  wird  in  ib 
lieber  Weise  auch  bei  dem  Athmungsprocess  erzeugt.  Sie  ist  fener  es 
sehr  häufig  auftretendes  Spaltungs  -  und  Zersetzungsprodnot  kohlenstolhl- 
tiger  Verbindungen;  sie  entsteht  u.  A.  auch  bei  der  Oährung. 

Die  Kohlensäure  findet  sich  in  grosser  Menge  fertig  gebildet ii 
der  Natur.  In  freiem  Zustand  in  der  Luft;  gelöst  in  allen  Wassers ,  ib 
einzelnen  Quellwassern  (Säuerlingen)  in  besonders  reichlicher  Menge,  h 
Verbindung  mit  Basen  bildet  sie  eine  grosse  Anzahl  vdn  Mineralien,  tob 
welchen  einige,  besonders  der  kohlensaure  Kalk,  so  verbreitet  sind,  dtf 
sie  einen  grossen  Theil  der  festen  Erdrinde  ausmachen.  Sie  spielt  in 
Haushalt  der  Natur  eine  ungemein  wichtige  Rolle  und  ist  namentlich  eii» 
der  hauptsächlichsten  Nahrungsmittel  der  Pflanzen. 

Zur  Darstellung  der  Kohlensäure  zersetzt  man  gewöhnlich  ein  kohleosiVB 
Salz  durch  eine  Säure;  z.B.  Marmor  durch  Salzsäure.  Ein  sehr  regelmässiger  Str» 
von  Kohlensäure  wird  erhalten,  wenn  man  Kreide  mit  cöncentrirtcr  SchwcfdiSo« 
Übergiesst  und  allmälig  Wasser  zufliessen  lässt. 

Die  Kohlensäure  ist  ein  farbloseäGas  von  eigcnthümlichem,  *l>ff 


•)  Dnnlas  u,  Peligot,  Aan.  Cham.  Pharm.  XV.  39.  —  Dumas,  ibid..X2ff- 
Medlock,  ibid.  L2UX.  217  und  LXXI.  104. 


Kohlenaäure.  6^5 

Wenig  hervortretendem  Oeruch.  Spec.  6ew.  1,529.  Löslichkeit  in  Wasser 
und  Alkohol  vgl.  $.  491.  Sie  ist  nicht  brennbar  und  wirkt  erstickend j 
aber  nicht  giftig.  Die  gasförmige  Kohlens&ure  wird  durch  starken  Druck 
KU  einer  wasserhelien  FlOssigkeit  verdichtet.  (36  Atmosphären  bei  0^; 
45  Atmosphären  bei  l5^.)  Die  flassige  Kohlensäure  erstarrt  bei  —  70^ 
zu  einer  glasartigen  Masse;  durch  rasches  Verdunsten  der  flüssigen  Koh- 
lensäure wird  ein  Theil  fest,  als  weisse  schneeartige  Masse.  Bei  gewöhn- 
lichem Druck  kann  die  gasförmige  Kohleneäure  durch  die  beim  Verdun^ 
sten  von  flassigem  Ammoniak  im  luftleeren  Raum  erzeugte  Kälte  zur 
Flüssigkeit  verdichtet  werden.  Wird  dieselbe  Abkühlung  und  gleichzeitig 
ein  Druck  von  3  —  4  Atmosphären  angewandt,  so  erhält  man  durchsich-  ' 
sichtige  Krjstalle  von  fester  Kohlensäure  (Loir  und  Drion)  *). 

Die  Kohlensäure  ist  eine  schwache  Säure,   sie  wird  von  nahezu  1007. 
allen  andern  Säuren  aus  ihren  Salzen  ausgetrieben. 

Kohlei)sa,ure  Salze.    Die  Kohlensäure  ist  zweibasisch.    Sie  bil- 
det saure  und  neutrale  Salze.    Z.  B.: 


Saures  kohlen- 

Neutrales kohlen- 

Eohlensaarer 

saures  Natron. 

saures  Natron. 

Kalk. 

h.n4^* 

Na,r» 

Mit  Ammoniak  bildet  sie  ausserdem  noch  ein  Salz  von  complicir- 
terer  Zusammensetzung^  das  s.  g.  anderthalb  -  kohlensaure  Ammoniak 
(käufliches  kohlensaures  Ammoniak): 

ff 

60 


0»      4-      2Hae 


Aether  der  Kohlensäure.     Als  zweibasische  Säuren  bildet  die  1008. 
Kohlensäure  zwei  Arten  von  Aether.   Die  neutralen  Aether  und  die'Aether- 
säuren,  die  indess  nur  als  Salze  bekannt  sind. 

I.  Aethersäuren  der  Kohlensäure.  Leitet  man  Kohlensäure 
in  eine  alkoholische  Lösung  von  Alkoholkalium  oder  auch  in  eine  Lösung 
von  Kalihydrat  in  absolutem  Alkohol,  so  wird  äthyl-kohlensaures 
Kali  als  weisser  Niederschlag  gefällt.  Das  Salz  kann  in  absolutem, Al- 
kohol gelöst  und  durch  Aether  in  glänzenden  Blättchen  gelallt  wenden* 
Es  wird  schon  von  Wasser  in  kohlensaures  Salz  und  .Alkohol  zersetzt. 
Das  Natriumsalz  entsteht  in  derselben  Weise. 


*)  Compt.  rend.  LU.  748. 


6g6  CarboiiylTerbiiuii|]ig«ii. 

Leitet  man  Eohlens&ure  in  eine  Lösung  von  Baryt  in  MettyUkoU 
80  fallen  weisse  Schuppen  von  methylkohleasanrem  Baryt 

II.  Die  neutralen  Aether  der  Kohlens&ure  können  diri 
Destillation  von  äthyl-  oder  methylkohlensaurem  Sals  mit  einem  i&» 
schwefelsauren  Salz  erhalten  werden  (Chancel)  *);  sie  entstehes  uek 
wenn  das  Jodid  eines  Alkoholradioais  auf  kohlensaures  Silber  eioi 
(Wurtz)  **);  sie  bilden  sich  endlich  bei  Einwirkung  von  Kalium  aufOnl 
sftureftther  unter  Entweichen  von  Eohlenoxjd  (Ettling)  ^**}. 

Man  kennt  die  folgenden: 

// 

Kohlensäure-Methylftthylftther  t)    BE,  >e,        Siedep.        ? 
KohlensÄnre-Aethyläther  (^)  }^»        Siedep.    126« 

Koblensäure-BatylftÜier  (6^)  1^^        Siedep.    190« 

Kohlensäure-Amyläther  tt)       (0^)}^»       Siedep.    226* 

Der  Kohlensäure- Aethyläther  bildet  mit  Ammoniak  schon  beig^ 
wohnlicher  Temperatur  Carbaminsäure-äthyläther  ($.  1018);  wirderisi 
Ammoniak  auf  100®  erhitzt,  so  entsteht  Harnstoff  (§•  1016). 

Substitutionsproducte  des  Kohlensäure -üthyl&thers  sindT« 
Cahours  fff )  und  Halaguti  *)  untersucht  worden.  Man  erhält  in  lereta» 

tem  Tageslicht  den  Bichlorkohlensäureäther:  G0.(6fiiCl^,^ 
als  sfisslich  riechende  Flüssigkeit,  die  sich  bei  Destillation  zum  grössla 
Theil  zersetzt.  In  directem  Sonnenlicht  entsteht Perchlorkohlen8illr^ 

äther:  60. (62015)2.02*  Dieser  letztere  krystallisirt  in  weissen  Nadeh, 
die  bei  85®  schmelzen  und  bei  66®  wieder  erstarren.  Beim  EriiitieD  de- 
stillirt  ein  Theil  unverändert,  während  ein  anderer  Theil  zu  Triehlorseet)i 
Chlorid,  Anderthalb-chlorkohlenstoff  und  Kohlensäure  zer&lit: 

Perchlorkohlensftnre-         Trichloracetyl-  Anderthalb- 

ftthylttther.  chlorid.  chlorkohlenstoff. 

öftClioOa        =        OtClaO.Cl        +        B^Ci^       +       €0, 


•)  AmL  Chem.  Pharm.  IXKJX.  90. 
••)  ibid.  XCm.  119. 
•••)  ibid.  XIX.  17. 

f)  Chancel,  loc.  dt. 

ff)  Medlock,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXIX  217. 
ftt)  Ann.  Chem.  Pharm.  XLYIL  298. 

•)  ibid.  LVI.  279. 


Amlde.  687 

Bei  BinwirkuDg  von  Alkohol  entsteht  Kohlensäure&ther,  Trichlor- 
essigeäureftther  und  Salzsäure. 

Amidartige  Verbindnngen. 

Zum  besseren  Verständniss  der  amidartigen  Verbindungen  der  Eoh-  1009. 
lensäure  ist  es  geeignet  einige  Bemerkungen  über  die  Amide  im  Allge- 
meinen vorauszusohicken.  —  Wir  bezeichnen  als  Amide  oder  amid- 
artige Verbindungen  diejenigen  stickstoffhaltigen  Substanzen,  die 
durch  Vereinigung  einer  Säure  mit  Ammoniak  unter  Austritt  Ton  Wasser 
entstehen ;  oder  die  wenigstens,  nach  Eigenschaften  und  Zersetzungen,  so 
entstanden  gedacht  werden  können.  Die  allgemeine  Bildungsgleichung 
der  Amide  ist  demnach: 

n  Mol.  Säure    +    m  Hol.  l^Hg    —    p  Mol.  H^O. 

Normale  Amide.  Viele  Amide  stehen  in  einfacher  Beziehung  zu 
den  Ammoniaksalzen.  So  zwar,  dass  zu  ihrer  Bildung  Säure  und  Am- 
moniak gerade  in  den  Verhältnissen  mitwirken,  die  bei  den  Ammoniak- 
salzen der  betreffenden  Säuren  stattfinden.  Solche  Amide  können  dem- 
nach als  Ammoniaksalze  minus  Wasser  betrachtet  werden.  Es  ist  ein- 
leuchtend, dass  fflr  diese  normalen  Amide  die  Basicität  der  Säure 
wesentlich  in  Betracht  kommt:  insofern  nämlich  eine  einbasische  Säure 
nur  ein  Ammoniaksalz  bildet,  welches  als  Ausgangspunkt  für  Erzeugung 
der  Amide  dienen  kann;  während  bei  zweibasischen  Säuren  sowohl  die 
neutralen  als  die  sauren  Ammoniaksalze  durch  Wasserverlust  Amide  zu 
erzeugen  im  Stande  sind.  Da  der  Wasserstoff  des  austretenden  Wassers 
aus  dem  Ammonium  des  Ammoniaksalzes  herrührt,  so  sind  für  jedes  in 
dem  Salz  enthaltene  Ammoniumatom  zwei  yerschiedene  Amide  möglich; 
es  wird  entweder  die  Hälfte  oder  aller  Wasserstoff  des  Ammoniums  in 
Form  von  Wasser  eliminirt.    Man  hat  denmadi: 

Normale  Amide: 

einbasische  Säuren: 

Ammoniaksalz 
Ammoniaksalz 

-zweibasische  Säuren: 

saures  Ammoniaksalz 
saures  Ammoniaksalz 
neutrales  Ammoniaksalz 
neutrales  Ammoniaksalz 

Man  sieht  leicht,  dass  die  eigentlichen  Amide  sowohl  der  einbasi- 
schen als  der  sweibasischen  Säuren  stets  aus  dem  neutralen  Ammoniak- 
sabfi  entstehen  indem  die  Hälfte  des  Wasserstoflb  rom  Ammonium  aus- 


—    H,e  = 

Amid. 

—  2H,e  = 

Nitril. 

—    H,e  = 

Ambuftare. 

—    2H,0    = 

Imid. 

—    2HjO    = 

Amid. 

—    4Hje    = 

Nitril. 

C8g  Amidaiiige  Yerbindangen. 

tritt,  80  daes  also  der  Rest  NH^  (Amid  der  Radicaltheorie)  flbrigUek 
Bei  Bildung  der  Nitrile  verlieren  die  neutralen  Salze  der  einbafliieki 
oder  zweibasischen  Säuren  allen  Wasserstoff  des  Ammoniums,  so  du 
nur  der  Stickstoff  in  der  organischen  Gruppe  zurQokbleibt  AmioiU 
ren  und  Imide  sind  nur  für  zweibasische  Säuren  möglich.  Dieentaa 
sind  wohlcharakterisirte  und  zwar  einbasische  Säuren,  was  sich  lade 
daraus  ergibt,  dass  das  zweite  durch  Metalle  vertretbare  Wasserstolitoi 
der  Säure  in  dem  sauren  Ammoniaksalz  nicht  ersetzt  war  und  der  dun 
entstehenden  Aminsäure  erhalten  bleibt.  Auch  die  Imide  sind  b  da 
meisten  Fällen  einbasische  Säuren. 

Ausser  den  vier  oben  erwähnten  amidartigen  Verbindungen  zweibttücha 
Säuren  könnte  man  noch  zwei  andere  Körper  als  selbststSndige  Anoide  betnditB; 
nämlich: 

neutrales  Ammoniaksalz    —    IH^O 

neutrales  Ammoniaksalz    —    SH^O 

Die  erste  dieser  Verbindungen  8t«ht  zwischen  dem  neutralen  Ammoniaksak  vac 
dem  Amid;  sie  ist  ihrem  ganzen  Verhalten  nach  das  Ammoniaksalz  der  Amii' 
säure.  Die  zweite  liegt  zwischen  dem  Amid  und  dem  Nitril,  sie  kann  abin^ 
des  Imid*8  betrachtet  werden. 

Complicirtere  Amide.  Es  kommt  häufig  vor,  daas  zurBildof 
amidartiger  Verbindungen  Säure  und  Ammoniak  nicht  in  den  eintuba 
Verhältnissen  auf  einander  einwirken,  nach  welchen  sie  sich  zu  den  A» 
moniaksalzen  der  betreffenden  Säuren  verbinden. 

Man  hat  z.  B.: 

2  Mol.  Essigsäore  +  INH,  -*  2H2e  r=  Diacetamid 
1  Mol.  Essigsäure  -}-  2NH,  —  2H,0  =  Acetdiamin 
für  die  Kohlensäure  kennt   man  sehr  viele  solcher  complicirter  Amide, 
die  nachher  besonders  zusammengestellt  sind  ($$.  1013,  1014). 

Gemischte  Amide. 

I.  Ebenso  wie  zwei  oder  mehr  Molecüle  derselben  Säure  bei  Bil- 
dung einer  amidartigen  Verbindung  mitwirken  können ,  so  können  vA 
verschiedene  Säuren  gleichzeitig  in  Wirkung  treten;  es  entstehen  dm 
gemischte  Amide,  welche  Reste  von  verschiedenen  Säuren  enthalten. 

II.  Ganz  in  derselben  Weise  können  zur  Bildung  amidartiger  Ver- 
bindungen auch  gleichzeitig  mit  Säuren  Alkohole  in  Wirkung  treten^; 
die  entstandenen  gemischten  Amide  enthalten  dann  neben  einem  Be^ 
der  Säure  einen  Rest  des  Alkohols. 


*)  Es  bedarf  kaum  der  Erwähnung,  dass  auf  die  früher  (§§.  709,  978)  bes^ 
ebenen  von  dea  Alkoholen  und  den  Glycolen  sich  ^ableitenden  Essen  f^ 
dies^en  Bildungsgleichungen  anwendbar  sind,  wie  di^iemgen  die  ohcfi  ^^ 
die  amidartigea  Yerbindungen  der  Simnen  mitgetheilt  sfa&d^    . 


Amide. 


689 


Ifan  kennt  s.  B.  ftir  die  Essigsftore  zwei  Verbindungen,    die  nach  den  fol- 
genden Bildangsgleichungen  entstanden  gedacht  werden  können: 

1  Mol.  Essigsäure  +  1  Mol.  Alkohol  +  1  Mol.  NE,  —  2  H^e  =  Aethylacetamid. 

2  Mol.  Essigsäure  +  1  Mol.  Alkohol  +  1  Mol.  KH,  —  8  H^O  =  Aethyldiacetamid. 

Für  die  Kohlensäure  ist  eine  grosse  Anzahl  solcher  gemischter  Amide  bekannt. 
Vgl.  SS.  1017  flf. 

Zam  weiteren  YerstäDdiiiss  der  Bildung  der  Amide  und  gleichzeitig  loio. 
zum  Verst&ndniss  der  Formeln,  durch  welche  die  typische  Betrachtungs- 
weise  diese  Körper  darstellt,   mögen  beispielsweise  die  Amide  der  ein- 
basischen Essigsäure   und    die   amidartigen  Verbindungen  der  später  zu 
besehreibenden  zweibasischen  Oxalsäure  besprochen  werden. 


Amide  der  Essigsäure. 
Essigsaures  Ammoniak. 


NH,r 


gibt: 


NH,Ha 


Typische  Formeln. 


"  H/N    Acetamid. 


und:     ^*^jJ|h|^         =         eaHj.N    Acetonitril. 


Amide  der  Oxalsäure. 
Neutrales  oxalsaures  Ammoniak. 

NH, 

gibt:    e/e, 

NHa 


im« 

NH« 


e,e,  e. 


nnd: 


N 
N 


=  HjPi    Oxwnid. 


=      ^    jj      Oxalonitril  (Cyen). 


Saures  oxslsanres  Ammoniak. 
TSE, 


€,0,J^»     gibt:     e. 


nnd: 


>,e,L_i_ 

H      1^ 
H, 


Oxaminsänre. 


NE 


H 


Oximid 


'        =         *^p      (unbekannt) 


Man  sieht,  daas  die  typische  Betrachtung  in  allen  amidartigen  Ver- 
bindungen, fär  welche  es  zulässig  ist,  dasselbe  Radical  annimmt  wie  in 
den  Säuren,  aus  welchen  dieselben  ei^tstanden  sind.  Sie  betrachtet  die 
Amide,  in  welchen  der  RestNH)  yom  Ammoniak  enthalten  ist,  als  dem 
Typus  Ammoniak  zugehörige  Verbindungen;  als  Ammoniak,  in  welchem 
^/s  des  Wasserstoffs  durch  das  Radical  der  Säure  ersetzt  ist  Für  die 
Aminsäuren,  in  welchen  derselbe  Rest  (NH^)  zurflckgeblieben  ist,  be- 

KeknK,  organ.  Cheaie.  44 


690  Carbonylvcrbindangen. 

nutzt  sie  flQr  diese  Seite  der  Formel  dieselbe  Schreibweise;  die  andere, 
gewissermassen  unzersetzt  gebliebene  Qälfle  des  Ammoniaksalzes  schreibt 
sie  wie  das  Ammoniaksalz  und  wie  das  Säurehj'drat  selbst  Nach  da 
rationellen  Formeln,  durch  welche  die  Tjpentheorie  dieAmide,  dieAnm- 
säuren  und  auch  die  Imide  der  zweibasischen  Säuren  darstellt,  geböra 
diese  Körper  zu  den  Typen: 

NH3  2Ne3  NH3  +  H,0 

in  welchen  stets  zwei  Atome  Wasserstoff  durch  das  zweiatomige  S&nt' 
radical  ersetzt  sind. 

Diese  Betrachtung  ist  immer  mögh'ch,  wenn  nicht  mehr  Saaentoi 
in  Form  von  Wasser  austritt  als  typischer  Sauerstoff  im  angewaodtei 
Salz  vorhanden  war.  Sobald  dies  der  Fall  ist,  sobald  also  Saaentoffdo 
Radicales  selbst  zur  Verbrennung  des  austretenden  Wasserstoffs  venrcn- 
det  wurde,  muss  die  tj'pische  Betrachtung  andere  Kadicale  (kleiner  g^ 
wordene  Reste)  in  der  Verbindung  annehmen.  Dies  ist  der  Fall  bei  da 
Kitrilen. 

Von  den  complicirteren  und  den  gemischten  Amiden  könoo 
viele,  wie  die  normalen  Amide,  mit  Beibehaltung  des  Radicals  der  Siive, 
oder  glciclizeitig  des  Radicals  des  Alkohols,  durch  rationelle  Formell 
dargestellt  werden.    Z.  B.  : 

Diacetamid.  Acthjlacetamid.  Aethyldiacetamid. 

e.HjO)  e^naO)  e^u^Q) 

Far  andere  dagegen  erleidet,   wie  bei  Bildung  der  Nitrile  das  Radied 
selbst  Veränderung. 
1011.  Nach  der  Typentheorie  sind  also  für  einatomige  Radicaledie 

wahren  Amide  Verbindungen  die  sich  vom  Typus  KH3  ableiten.  Da  der 
Typus  stets  1  Mol.  NH3  ist,  werden  sie  bisweilen  als  Monamine  b6 
zeichnet.  Man  lUnterscheidet  je  nach  dem  1,  2  oder  3  Wasserstoflalooe 
des  Ammoniaks  durch  Radicale  ersetzt  sind:  primäre,  secuDdäre 
und  tertiäre  Amide. 

Zweiatomige  Radicale  können  entweder  2  Atome  Wassentof 
von  einem  Molecül  NH3  oder  zwei  Atome  Wasserstoff,  die  zwei  Uol^ 
cülen  NH3  zugehören,  ersetzen;  sie  können  endlich,  indem  sie  an  die  Stelle 
von  zwei  Atomen  Wasserstoff  treten,  von  welchen  das  eine  dem  Ammo- 
niak, das  andere  dem  Wasser  zugehört,  1  MoL  KH3  und  1  Mol.  H^O  n 
einem  untheilbaren  Molecül  zusammenhallen.  Man  hat  so: 
Imid.  Amid.  Aminsäure. 


SjN 


U  1  H) 


Ha 


Axnido.  691 

Da8  Amid  eines  zweiatomigen  Radicals  wird,  insofern  es  sich  vom 
Typus:  2KII3  ableitet,  bisweilen  als  Diamid  bezeichnet. 

In  allen  diesen  Verbindungen  ist  der  vom  Typus  noch  vorhandene 
Wasserstoff  durch  andere  Radicale  ersetzbar;  und  zwar  durch  Metalle, 
durch  die  Radicale  der  Alkohole  oder  durch  die  Radicale  der  Säuren. 
Solche  Verbindungen  sind  dann  complicirtere  oder  gemischte  Amide. 
Die  gleich  zu  besprechenden  Amide  der  Kohlensäure  geben  zahlreiche 
Beispiele  der  Art.  Hier  mag  nur  im  Allgemeinen  noch  erwähnt  werden, 
dass  es  für  die  aus  den  Amins äuren  durch  Eintritt  anderer  Radicale, 
namentlich  der  Alkoholradicale ,  entstehenden  Verbindungen  von  wesent- 
lichem Einfluss  ist,  ob  der  typische  Wasserstoff  des  Ammoniaks  oder  der 
des  Wassers  ersetzt  wird.  Tritt  ein  Alkoholradical  an  die  Stelle  des  dem 
Wassertyp  zugehörigen  Wasserstoffs,  so  zeigt  die  Substanz  das  Verhalten 
eines  Aethers ;  sie  ist  derAether  der  Aminsäure.  Wird  dagegen  Wasser- 
stoff des  Ammoniaks  ersetzt,  so  behält  das  Product  die  Eigenschaften 
einer  einbasischen  Säure,  gerade  weil  der  dem  W^assertyp  zugehörige 
(basische)  Wasserstoff  noch  vorhanden  ist. 

Dass  zweiatomige  Radicale  ausser  diesen  einfachen  Amiden 
noch  zahlreiche  complicirtere  Amide  zu  bilden  im  Stande  sind,  ergibt 
sich  von  selbst  aus  der  der  Typentheorie  zu  Grunde  liegenden  Vorstel- 
lung:  dass  zweiatomige  Radical,  wenn  sie  mehrmals  in  die  Typen  ein- 
treten, eine  grössere  Anzahl  vonMolccülen  zusammenzuhalten  im  Stande 
sind.  Das  Radical  Carbonyl  (d.  h.  die  Kohlensäure)  gibt  besonders  viel 
amidartige  Verbindungen  der  Art  , 

Amide  der  Kohlensäure. 

Wendet  man  die  im  Vorhergehenden   mitgetheilten  Betrachtungen  1012. 
auf  die  Carbonylverbindungen  an,  so  ergeben  sich  zunächst  die  folgenden 
vier  normalen  Amide  der  Kohlensäure. 

Aus  dem  sauren  Ammoniaksalz: 

—  2H,0    =    ^ßJN        =       Carbimid  (Cyansfiare).    ^*^y-'V 
ans  dem  nentralen  Ammoniaksalz: 


(NHJjP*    — -^aV    -      jjjjj^      _       Carbamid  (Harnstoff).  >y  ] 


A- 


-r  4H,e    =    (onmögUdi)  Nitra 

44  • 


S92  CarbonyWerbindangen. 

(Dae  Nitril  der  KöhlenBäure  ist  unmöglich,  weil  der  im  neutralen  Ammo- 
niaksalz enthaltene  Sauerstoff  zu  seiner  Bildung  nicht  ausreicht) 

An  diese  normalen  Amide  schlieasen  sieh  zun&chst  diejenigen  aus 
dem  neutralen  Ammoniaksalz  entstehenden  Yerbindungen  an,  seu  deren 
Bildung  die  beiden  Ammonium  dieses  Salzes  ungleich  viel  Wasser  ver- 
lieren, nämlich  : 

öoi  'In 

(NH4)J^*    "■    ^*^    ~     6e(  Oarbaminsaures  Ammoniak. 

-  8Hj0    =        gp,       =  H>N      Cyanamid. 

Die  letztere  dieser  Verbindungen  kann,  wie  oben  erwfthnt,  ab 
Amid  des  Imids  betrachtet  werden,  sie  ist  das  Amid  der  Cjansäure. 

Man  kann  sich  endlich  vorstellen,  dass  das  neutrale  Ammoniaksals 
zwei  Holecale  Wasser  verliert,  die  nicht  wie  bei  Bildung  des  Amids  aus 
den  beiden  Ammonium  herrühren,  zu  deren  Bildung  vielmehr  ein  Am- 
monium unzersetzt  geblieben  ist,  während  das  andere  allen  Wasserstoff 
verloren  hat.    Es  wäre: 

TNILli^*    —  2Hj0    =    jjn  |N    =    Cyansaures  Ammoniak. 

Diese  Verbindung,  das  Ammoniaksalz   des  Imids   ist  natflrlich  mit 
dem  Amid,  dem  Harnstoff,  metamer. 

1018.  Complicirtere  Amide  der  Kohlensäure,  das  heisst  Verbindno- 

:  gen,  die  im  Allgemeinen  als  Kohlensäure  -f~  Ammoniak  —  Wasser  be- 
trachtet werden  können ,  existiren  in  sehr  grosser  Anzahl.  Im  Folgenden 
sind  die  Bildungsgleichungen  dieser  Amide  zusammengestellt.  In  diesen 
Gleichungen  ist,  weil  das  Hjdrat  der  Kohlensäure  nicht  existirt,  die  For- 
mel des  Kohlensäureanhjdrids  benutzt,  so  dass  dieselben  demnach  mit 
den  oben  für  die  normalen  Amide  gegebenen  Bildungsformeln  nicht  direcl 
Vergleichbar  sind... 

I.     2669    +    2NH,    -     iHaO    =    OANsO,    Allophansfture. 
260,    -J-    8NHj    —    2Ha0    =    OANjOa    Biuret 
8  60,    4-    8NH,    —    8H310    =    6aH,N,0,    Cyanursäure. 

Da  in  diesen  drei  Verbindungen  das  austretende  'Wasser  niemak  , 
mehr  als  die  Hälfte  des  Sauerstoffs  der  Kohlensäure  enthält,  so  können 
dieselben  noch  durch  tjgische  Formeln  dargestellt  werden,  in  weldien 
das  Radical  Carbonyl  je  zwei  Atome  Wasserstoff  ersetzt  Diese  drei  Ver- 
bindungen schliessen  sich  also  noch  enge'  an  das  wahre  Amid  der  Koh- 
lensäure (Harnstoff)  und  an  das  Imid  (Cyansäure)  an.    Man  hat: 


Attdde  der  KofalensSiire.  693 

AUophansfiiire.  Biuret.  Qjrvuirsftare: 


IQ  '  QQ  '  / 


Die  Ursftche  des  Znsammenhangs  der  verschiedenen  Molecüle  der  Typen  ist, 
nach  den  leitenden  Ideen  der  Theorie  der  mehratomigen  Radicale,  durch  den 
mehrmaligen  Eintritt  des  Radicals  Carbonyl  verständlich. 

Dieselben  Verbindungen  können  indess  auch  durch  Formeln  ausgedrückt 
werden,  in  welchen  das  Radical  Cyan  angenommen  ist,  wie  dies  früher  (§.  576) 
für  die'  Cyanursäure  geschah.  Nur  Ist  dann  keinerlei  Ursache  des  Zusammenhän- 
:genS  der  verschiedenen  Gruppen  ersichtlich.    Man  hätte  etwa: 

Allophansäure.  Biuret.  Cyanursäure. 

"^l'         "^IS-         "^j». 

IL   In  den  folgenden  amidartigen  Verbindungen  der  Kohlensäure  ist  1014 
der  in  Form  von  Wasser  austretende  Sauerstoff  stets  grösser  als  die 
H&lfte,  d.  h.  als  der  lypiscbe  Sauerstoff  der  in  Wirkung  tretenden  Koh- 
lensäure.. 

eee,  +  tkh,  -   m^e  ==  e,N,  h,  e, 

Cyamelursäure. 

8€fe,  +  4NH3  -  4H,0  6der:  660,  +    8KH,  —    SE^B  =  efN«  Hg  0« 

Melanurensäure. 

660,  +    9IIH,  -    9H,e  =  6,Kg  H,  0, 

Ammelid. 

See,  +  6HH,  -  ßHjO  oder;  680,  +  lONH,  -  lOHj0  =  6gNioHjo0, 

Ammeiin. 

660,  +  IINH,  -  12H,0  =  OtNiiHg 

Melam. 

380,  +  6NH,  -  6H,0  oder:  680,  +  12NH,  —  12H,0  =  8gNi,Hi, 

Melamin. 

980,  4-  18NH,  -  18H,0  =  8gN„H, 

MeUonwasserstoff. 

und  endlich:  180,  +    3NH,  —    2H,0  =  8  N,  H» 

Guanidin. 

Alle  diese  Substanzen  können  nicht  mehr  durch  Formeln  dargestellt 
werden,  in  welchen  das  Radical  Carbonyl  angenommen  ist,;  weil  von 
diesem  Radical  nur  der  Kohlenstoff  selbst  übrig  geblieben  ist  Sie  glei- 
chen demnach  dem  Gjanamid  und  können  wie  dieses  entweder  durch 
Formeln  ausgedrückt  werden,  in  welchen  das  Radical  Cyan  angenom- 
men ist,  oder  auch  durch  Formeln,  in  welchen  der  Kohlenatoff  selbst  als 


094  Carbonylverbindimgcit 

vieratomiges  Radical  betrachtet  wird  (vgl.  §.  392).  Nach  der  erateren 
Betrachtungsweise  sind  die  meisten  dieser  Verbindungen  früher  beschrie- 
ben (vgl.  §.  G02),  aber  es  war  nölhig  hier  ihre  Beziehungen  zur  Kohlen- 
aäure  hervortreten  zu  lassen. 

Das  Gnanidin,  ein  Zcrsctzangsproduct  des  Gaanins,  wird  gelegentlkii 
dieses  beschrieben*,  man  kann  ihm  nach  den  beiden  eben  erwfihnten Betrachtnaga» 
weisen  eine  der  folgenden  Formeln  beilegen: 

ir 

€: 


9^N,     oder:    g«JN. 


1015.  Es  mögen  nun  zunächst  diejenigen  Bildungs-  und  Zersetznngs- 

weisen  der  wichtigsten  der  eben  erwähnten  Körper  besprochen  werden, 
durch  welche  dieselben  als  amidartige  Verbindungen  der  Kohlena&ure 
charakterisirt  sind. 

Die  Cy  an  säure  (vgl.  §.  576)  zerfällt  bei  Einwirkung  von  Wasser 
in  Kohlensäure  und  Ammoniak.  Nach  Auffassung  der  Typentheorie  wird 
dabei  das  Radical  Carbonyl,  welches  zwei  Atome  Wasserstoff  des  Am- 
moniaks ersetzte,  gegen  die  zwei  Atome  Wasserstoff  des  Wassers  aas- 
getauscht 

Cyans&nrc.  Eohlensänre. 

IH 


■!? 


eo     jX'      iJIle    =    nJh     +     ee.e. 


Bei  Bildung  der  C^ansüure  durch  Oxydation  der  Cyanwosserstoffsäure  (oder 
eigentlich  bei  Bildung  cj^ansaurcr  Salze  durch  Oxydation  von  Cyanmetallen)  geht 
das  Nitril  der  Ameisensäure  über  in  das  Imid  der  Kohlensäure,  gerade  so  wie  die 
Ameisensäure  selbst  oder  wie  das  Kohlcnoxyd  sich  zu  Kohlensäure  oxydirt,  nur 
erfolgt  diese  Oxydation  ohne  dass  die  stickstoffhaltige  Gruppe  zerfilllt. 

1016.  Der  Harnstoff,   das  Amid  der  Kohlensäure,   kann  wie  Na- 

tan  ton*)  1856  gezeigt  hat,  durch  die  beiden  Reactionen  erhalten  wer- 
den, nach  welchen  im  Allgemeinen  Amide  gebildet  werden.  Nämlich: 
durch  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  das  Chlorid  der  Kohlensäure  (Car- 
bonylchlorid ,  Phosgen)  und  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  einen 
Aether  der  Kohlensäure; 

Carbonylchlorid.        Harnstoff. 

K,<  \ 1  H, 


•)  Ann.  Chcm.  Phann.  XCTIII.  287. 


Amide  der  Kohleiwftara.  695 

Eohlcnsüare-  Harnstoff.  Alkohol, 

fithylather. 


e 


Der  Harnstoff  entsteht  ferner  aus  cjansaurem  Ammoniak 
durch  eine  Umlagerung  der  Atome  im  Molecül.  Man  kann  annehmen, 
dass  das  zweiatomige  Radical  Garbonyl,  welches  vorher  zwei  Atome 
Wasserstoff  in  einem  Molecül  Ammoniak  ersetzte  und  so  Gjansäure  er- 
zeugte (an  die  sich  zur  Bildung  des  Ammoniaksalzes  ein  zweites  Molecül 
Ammoniak  angelagert  hatte)  seine  Stellung  in  der  Weise  umändert,  dass  es 
jetzt  zwei  den  verschiedenen  Ammoniakmolecülen  zugehörige  Wasserstoff* 
atome  ersetzt.  —  Genau  das  Umgekehrte  dieser  Reaction  findet  dann 
statt,  wenn  bei  Zersetzungen  des  Harnstoffs  (z.  B.  bei  Einwirkung  von 
von  Phosphorsäureanhydrid)  Cyansäure  entsteht.  Das  folgende  Schema 
versinnlicht  diese  Reactionen: 

Cyansaarer  Ammoniak.  Homstoft 

Gm 


Beide  Reactionen  finden  sich  gewissermassen  vereinigt,  wenn  der 
Harnstoff  in  Biuret  übergeht.  Es  lagert  sich  dabei  das  Radical  Garbo- 
nyl in  der  Weise  um,  dass  zwei  Harnstoffmolecüle  vereinigt  werden,  wäh- 
rend sich  ein  Molecül  Ammoniak  ablöst. 

Aehnliche  Umlagerungen  des  Radicals  Garbonyl  erklären  den  üeber- 
gang  der  Gyansäure  in  ihre  polymerenModificationeu*);  die  Bildung  der 
Gyanursäure  aus  Harnstoff  etc. 

Der  Harnstoff  ist  weiter  als  Amid  der  Kohlensäure  dadurch  cha- 
rakterisirt,  dass  er  durch  Aufnahme  von  Wasser  zu  Kohlensäure  und  Am- 
moniak zerfällt;  eine  Zersetzung  die  ebenfalls  als  Austausch  des  Radicals 
Garbonyl  gegen  zwei  Atome  Wasserstoff  aufgefasst  werden  kann : 


*)  Die  Umwandlang  von  Cyansäure  in  Gyanursäure  kann  man  sich  etwa  durch 
das  folgende  Schema  versinnlichen: 


8  Mol.  Cyansäure. 

1  Mol.  Cyanursfiarc. 

H  11  U  N 
HUHN 

jH    H  jH  N 
H  jH  )II  N 
HUHN 

HUHN 

G96 


Oarboi^lTerbindimgeii;  * 


Harnstoff. 


N, 


60 


]v 


"Hi^e     =     2NH,     +     Be.^. 


Auch   das  Zerfallen  des  Harnstoffs  bei  Einwirkung  von  salpetriger 
iS&ure  (vgl.  §.  1030)  zeigt,  dass  er  das  Amid  der  Kohlensäure  ist 

Gemischte  Amide  der  Kohlensäure. 

1017.  I^ie  gemischten  Amide  können,  wie  oben  erwähnt  ($.  1011),  be- 
trachtet werden  als  einfachere  Amide,  in  welchen  Wasserstoff  durch  R»- 
dicale,  seien  es  nun  Radicale  der  Alkohole  oder  Radicale  der  Säuren,  er- 
setzt ist.  Die  meisten  derartigen  Abkömmlinge  der  Kohlensäure  entstehen 
indess  nicht  indem  man  die  betreffenden  Radicale  in  die  schon  fertig 
gebildeten  Amide  einführt,  sie  werden  vielmehr  in  den  meisten  P&UeQ 
durch  Reactionen  erhalten,  die  denjenigen  durch  welche  die  einfachen 
Amide  entstehen  völlig  analog  sind,  bei  welchen  aber  statt  der  normalen 
Substanzen  Körper  auf  einander  einwirken ,  welche  schon  die  betreffen- 
den Radicale  enthalten. 

1018.  Iq  der  Garbaminsäure  kann  entweder  der  dem  Wassertjpas 
oder  der  dem  Ammoniaktypus  zugehörige  Wasserstoff  durch  Alkohol- 
radicale  ersetzt  werden.  Im  ersteren  Falle  entstehen  neutrale  Aether;  im 
zweiten  dagegen  Verbindungen,  die  noch  einbasische  Säuren  sind  (Vgl. 
S.  1011).    Z.  B.: 


Carbaminsftare- 
äthylfither. 


Aethylcarbamin- 
Bänre. 

V/vT  . 

h1^ 


Die  Aether  der  Garbaminsäure  (Urethane)  entstehen  dureh 
verschiedene  Reactionen.  Z.  B. :  wenn  Aether  der  Kohlensäure  auf  Am- 
moniak einwirken  : 


Kohlen8äare- 
äthylftther. 


Garbaminsäure- 
äthyläther. 


Alkohol. 


e,H, 


ä|< 


Ferner  bei  Einwirkung    der  Ghlorkohlensäureäther  (Chlorameisea- 
säureäther)  ($.  836)  auf  Ammoniak: 


Attdde  der  EelÜemÜbun.  697 


ChloFkohlenBinr^ 

äthylftther. 

Sthyläther. 

XTTJ                       • 

NH, 

Hl 

H  K 

«Ar 

4-     Ha. 


Sie  entstehen  ausserdem  bei  Einwirkung  von  Garbimid  (Cyansäure) 
auf  Alkohole: 

Cyansäure.  Alkohol.  Carbaminsäaro- 

ÄthylÄther. 

-^  H* 

und  endlich  bei  Einwirknng  von  Chlorcyan  auf  Alkohole : 

Cysnchlorid.  Alkohol.  Carbamins&ore-  Aetbylchlorid. 

&thyl&ther. 
H. 

6N.C1    +    2«.H^(e     =       ^r      +     e,H,.a. 

Das  Verhalten  der  Garbamins&are&ther  seigt  deutlich,  dass 
das  Alkoholradical  den  dem  Typus  Wasser  zugehörigen  Wasserstoff  er- 
setzt Sie  zerfallen  nftmlich  bei  Einwirkung  von  Alkalien  in  Kohlensäure, 
Ammoniak  und  den  betr.  Alkohol  und  liefern  bei  Einwirkung  von  Am- 
moniak Harnstoff  und  Alkohol. 

Die  oben  erwähnte  Aethylearbaminsäure  und  entsprechende 
Verbindungen  sind  bis  jetzt  nicht  in  freiem  Zustand  bekannt,  aber  man 
kann,  der  Analogie  nach,  das  bei  Einwirkung  tou  EohlenBäure(anhydrid) 
auf  Aethylamin  entstehende  Salz  als  das  Aethylaminsalz  der  Aethylcarb- 
aminsäure  betrachten.  Dieses  Salz  zerflült  leicht  zu  Kohlensäure  und 
Aethylamin. 

Dasimid  der  Kohlensäure,  die  Cyansäure,  ist  eine  einbasische  1019. 
Säure;   ihr  Wasserstoff  kann  durch  Alkoholradicale  ersetzt  werden.     Die 
so  entstehenden  Aetherarten  der  Cyansäure  sind  $$.  637,  671,  beschrieben. 

Im  Amid  der  Kohlensäure,  d.h.  im  Harnstoff,  kann  der  Was-  1030. 
serstoff  entweder  durch  Alkoholradicale  oder  durch  Säureradtcale  ersetzt 
werden. 

Harnstoffe,  welche  Alkoholradicale  enthalten,  konnten 
bis  jetzt  nicht  durch  Einwirkung  von  Aethyljodid  auf  Harnstoff  dargestellt 


698  Garbonjlv^rbiadiuigOB. 

werden  *)•  Man  erhält  sie  durch  Reactionen,  die  der  Bildung  des  norma- 
len Harnetoffa  völlig  analog  sind.  Gerade  so  nämlich  wie  bei  Einwir- 
kung Yon  normaler  Cjansäure  auf  normales  Ammoniak  der  normale 
Harnstoff  entsteht: 

N.60.H      +      Nfla      =      Nj.eO.H* 

so  liefert  einerseits  normale  Cjansäure  mit  den  Ammoniakbasen,  welche 
Alkoholradicale  enthalten,  modificirte  Harnstoffe,  in  yelchen  diese  AI- 
koholradicale  enthalten  sind.    Z.  B.: 

Cyansäare.  Aethylamin.  Aethylhamstoir. 

N.ee.H    4-    N(e3iH5)Ha    =    Nj.ee. (e,H,)H, 

Diäthylainin.  Diäthylbamstoff. 

N.ee.H    4-    NcejHOaH    =    N,.ee.(e,H5)jH,  , 

Andererseits  aber  werden  solche  Verbindungen  erhalten,  wenn  die 
Aether  der  Cyansäure  auf  Ammoniak  oder  auf  Ammoniakbasen  einwir- 
ken.   Z.  B.: 

CyanafiureSthyläther.  Aethylharnatoff. 

N.ee.ceaH»)     +        NH,        =  Na.ee.(eaH5)H, 

Aethylamin.  Diftthylhamstoff. 

N.ee.CeaH.)      +    N(eaH5)Ha    =  Nj.ee.(eaHj)A 

Bemcrkenswcrth  ist  noch,  dass  der  Diäthylharnstoff,  der  wie  ans  den 
erwähnten  Beispielen  ersichtlich  durch  zwei  verschiedene  Reactionen  erhalten 
werden  kann,  nicht  identisch  ist;  dass  vielmehr  zwei  isomere  Difithylhamstoffe 
existiren,  von  welchen  der  eine  bei  Einwirkung  von  Alkalien  Ammoniak  und 
Diäthy]amin\  der  andere  dagegen  zwei  MolecOle  Aethylamin  entwickelt  **).  Die 
verschiedenen  Bildungsweisen  der  beiden  Substanzen  erklären  diese  Verschiedea- 
heit,  von  der  man  sich  auch  durch  die  Formeln  Rechenschaft  geben  kann: 

Aus  Cyansäure  und  Aus  Cyansäureäther 

Dläthylamin.  und  Aethylamin. 

TT  11 


Ausser  der  eben  erwähnten  Hetamerie  der  beiden  Diäthylhanistoffe ,    die 
auch  für  die  Dimethylhamstoffe  von  verschiedener  Darstellung  beobachtet  worden 


•)  Weltzien. 
**)  Volhard,  Compt.  rend.  UL  666. 


Andda  d«r  Keiünsttaxe.  699 

ist,  kommen  bei  ded  znsammengeBetzten  Harnstoffen  noch  andere  FfiDe  iron  Uo- 
merie  vor.  So  ist  der  Aethylhamstoff  isomer  mit  dem  Dimethjlhamatoff;  aber 
der  erstere  liefert  als  Zersetzangsprodocte  Ammoniak  nnd  Aethylamin,  während  der 
letztere  2  MoL  Methylamin  erzengt 

Zaaammengeaetzte  Harnstoffe,   die  mehr  als  swei  Alkoholradicale 
enthalten,  sind  bis  jetzt  nicht  bekannt*)* 

Harnstoffe,  welcheS&ureradioale  enthalten,  wurden  1854 
gleichzeitig  von  Zinin  **)  und  Holdenhauer  ***)  entdeckt.  Sie  entstehen 
bei  Einwirkung  des  Chlorids  einer  Säure  auf  normalen  Harnstoff.  Z.  B.: 

Harnstoff.  Acetylchlorid.  Acetylhamstoff. 


»!  3 


fH      .x^'iÄ^.g 

H 
60 


^^     H  =    N,.6e.(ejH,e)H,    +    HCl. 


Sie  erleiden   beim  Erhitzen  Zersetzung,  indem  sie  (genau  wie  dw 
normale  Harnstoff^  Cyanursfture  und  ein  Amid  liefern.    Z.  B.: 
Acetylhamstoff.  Cyannrsänre.  Acetamid. 

8  (N,.0e.(e,H,0)H,)     =      e,Nae,H,      +     8(NHj.e,H,0.) 


Von  denjenigen  gemischten  Amiden,  die  sich  von  eomplicir-  1021. 
teren  Amiden  der  Kohlensäure  ableiten,  erwähnen  wir  die  folgenden. 

Die  Cyanursäure,  das  verdreifachte  Imid  der  Kohlensäure,  bildet 
Aether  und  Aethersäuren,  die  $.  682  beschrieben  sind.  An  diese  Aether- 
arten  der  Cyanursäure  schliesst  sieh  direct  das  von  Limpricht  durch  Ein- 
wirkung von  Kalilauge  auf  Cyanursäureäther  erhaltene  ölförmige  Pro- 
duo t  an,  dessen  §.  682  erwähnt  wurde  (Os^ii^a^i)*  ^^^  Beziehungen 
dieses  Körpers  zur  Cyanursäure  und  ihren  Aethern  und  zum  Biuret  sind 
ans  den  folgenden  Formeln  ersichtlich: 

Cyanor-     Biäthylcyauor-     Cyanursäure-       Oeliges  Biuret 

säure.  sfture.  äther.  Product. 

*  \  "   \  *  \  \  \ 

GO I  ÖO  j  üv  j  Hj  1  H*  j 

eel  ml  eel  eol         eef 

eeU,         ee)N,         ee>N,         eeys^       eeW, 
h(  e,eJ  e,HJ  e^viA  h( 

^1  ^aBsl  ^aBtl  ^i^bl  Hl 

Hl  Hl  e^Hj  e,HJ  Hl 


^)  Vgl  Brflning,  Ann.  Cbem.  Pharm.  CIV.  200. 
^^)  Ann.  Chem.  Pharm.  XCn.  408. 
•••)  ibid.  Xav.  100. 


700  Clarbon^rivflrhindiuij^eii; 

:  E»^  kaoa  demnaeh  als  Binret  beiraehtet  werden,  in  webheni  drei 
Wasserstaffatome  durch  Aethjl  ersetst  sind;  oder  als  GyaoursittreÜlier, 
der  bei  Einwirkung  des  Eali^s  und  unter  Bildung  Ton  KoUensftore  räies 
von  den  drei  Garbonylradioalen  gegen  die  äquivalente  Menge  Wasserstoff 
ausgetauseht  hat. 

Hierher  gehört  femer  die  bei  Einwirkung  von  Cjansfture  auf  Alde- 
hyd entstehende  Trigens&ure  (§.  848);  sie  zeigt  die  folg^oiden  Be- 
siehungen : 

Cyanarsäare.  Trigensäure.  Binret 

00  i  OjH^  I  Hji  J 

f\t\i  ncil    •  /a/\i    • 

H,  /  H  j  /  H,  y 

Ihre  Bildung  kann  aufgefasst  werden  als  Umwandlung  Yon  Cyan- 
säure  in  Gyanursäure  mit  gleichzeitigem  Austausch  von  Carbonjl  gegen 

die  Gruppe:  63H4  des  Aldehyds. 

1022.  Substanzen  von  etwas  complicirterer  Zusammensetzung,  insofern  sie 

sich  von  vier  Molecülen  Ammoniak  als  Tjpus  ableiten,  sind  die  hani- 
stoffartigen  Verbindungen,  die  Volhard*)  in  neuester  Zeit  durch  1^- 
wirkung  von  Gyans&ure  und  Gyansäure&ther  auf  Aethylenbasen  (Aethy- 
lendiamin  §.  978)  erhalten  und  als  Aethylenharnsioffe  beschrie- 
ben hat: 

Aethylenbarnstoff  Diftthyl&thylenhamstoff 

62H4J  ^'^^j 

Man  erhält  diese  Körper  durch  Einwirkung  von  cyansaurem  Silber 
auf  salzsaures  Aethylendiamin  oder  durch  Einwirkung  von  Cyansftiire- 
ftthylftther  auf  Aethylendiamin.  Die  Reaction  ist  genau  dieselbe  wie  die 
Bildung  des  Harnstoffs  bei  Einwirkung  von  Cyans&ure  auf  Ammoniak 
oder  wie  die  oben  erwähnte  Bildung  der  äthylirten  Harnstoffe.  Aber 
während  bei  diesen  Reaotionen,  bei  welchen  ein  Molecül  Ammoniak  oder 
die  von  einem  Holecfll  Ammoniak  sich  ableitende  Aminbase  in  Reaction 
treten,  nur  ein  Molecül  Cyansäure  gebunden  wird;  vereinigt  sich  das 
vom  Typus  2NH3  sich  ableitende  Aethylendiamin   mit  zwei  Moleeflien 


*)  Oompt  rend.  LII.  664. 


Amide  der  KoUensftore.  701 

Ojans&iure  oder  Cyansädre&ther,  gerade  so  wie  es  sur  Bildung  der  Salse 
sich  mit  zwei  Mol.  Salzs&ure  u.  s.  w,  verbindet 

Cyansiore.  Aethylendiamin.  AethylenharnBioff. 

2N(e0).H  +      N,(e,H4).H4  =      N4(€fe),.(eÄ)H, 

CyaiiB&areäther.  Aethylendiamin.  DiäthyUthylenhamstoff. 

2N.(ee).(6,E»)  4-        N,(6,H4)H4  =      N^(ee),(9,H4)(^A),H4 

Eine  mit  dem  eben  erw&hnten  Diäthylftthjlenharnstoff  gleich  rasam- 
mengesetzte,  aber  in  den  Eigenschaften  verschiedene  Substanz  wird  er- 
halten,  wenn  salzsaures  Di&thjläthylendiamin  auf  cyansaures  Silber 
einwirkt 

Cyansftnre.  Diäthylftthylendiamin.  DiftthylftthylenhamBtoff. 

.    -    2N(0e)H      +      N,(e,H4)(eÄ)aH,      =      N4(ee)a(€,B4)(e,H,),H4 

Die  beiden  Difithyläthylenharnstoffe  stehen  anter  einander  genau  in 
derselben  Beziehung  wie  die  zwei  isomeren  Diäthylharnstoffe  ($.  1020);  der  eine 
gibt  bei  Einwirkung  von  Kalilauge  neben  Kohlensäure  Aethylamin  und  Aethylen- 
diamin, der  andere  erzeugt  Ammoniak  und  Diäthyläthylendiamin.  Diese  Verschie- 
denheit findet  ihre  Erklärung  in  der  Entstehung  der  betreffenden  Körper  und  kann 
in  derselben  Weise  wie  dies  fEir  die  Diäthylhamstoffe  geschah  durch  typische 
Formeln  ausgedrückt  werden.    Etwa: 


An  diese  Körper  reiht  sich  in  Bezug  auf  Bildungsweise  und  Zusam-  1023. 
mensetzung  direct   die  von  Hofmann  *)   durch  Einwirkung  von  Cjan- 
s&ureäther  auf  Harnstoff  erhaltene  Substanz  an.   Sie  entsteht  zum  Diftthyl- 
athylenhamstoff  genau  in  derselben  Beziehung  wie  die  Cyanursfture  zur 
Trigensänre  ($.  1021): 

Difithyl&thylenhamstoff. 

Hl  U      \ 


w 


•)  Compt.  rend.  UI.  1011. 


702  CarlKmjrlTerblndiuigeii. 

Die  SabBtaoz  ist  isomer  mit  dem  Ammoniaktals  der  Di&thylejamir» 
Bäure. 

1024.  Der   Allophansäureäthjläther    und    das   AUophans&ure- 

gljcol  entsprechen  der  AUophans&ure  selbst: 

Aliopbansaures  Allopbansäiire-  Allophansäare- 

Baryt  äthyläther.  glycoL 


H,  H,  H. 

.«r  ^r  ^{^ 

I» 


Sie  entstehen  bei  Einwirkung  von  Cyansäare  auf  Alkohol  oder  auf 
Glycol.  Ihre  Bildung  erklärt  sieb  durch  Umlagexung  des  Radicals  Car- 
bonyl. 


1025.  Zu  diesen  amidartigen  Verbindungen  der  Kohlensäure  geh5rt  auch 

noch  das  Methyluramin,  ein  Zersetzungsproduct  des  Kreatins  (vgl 
dieses.  Es  kann  als Methjlabkömmling  des  Ouanidin*s  (§.  1014)  betrachr 
tet  werden : 

Ouanidin.  Hethyluramin. 


ir  ir 


i.!». 


und  steht  zu  diesem  in  derselben  Beziehung  wie  das  Aethylevanamid 
zum  Cyanamid  (vgl.  §.  721). 

An  diese  beiden  Substanzen  schliesst  sich  endlich  eine  von  Hot- 
mann *)  in  neuester  Zeit  durch  Einwirkung  von  Natriumalkoholat  auf 
Cyansäureäther  erhaltene  Base  an.  Die  krystallisirten  Platin-  and  Gold- 
doppelsalze dieser  Base  sind  nach  den  Formeln: 

e^H„N„  HCl,  PtCla 

e^H^Na,  HCl,  AuCl, 

zusammengesetzt,  die  Base  kann  demnach  als  dreifach  äthylirtes  Onani- 
din  betrachtet  werden: 

Guanidin.  Methyluramin.  Triäthylcarbotriamin. 


tr  ir 


hJn»         (ei^)JN,  (e,H^,jN, 


•)  Compt  rend.  HL  1389. 


Amide  der  Eofalensftitfe.  703 

In  freiem  Zustand  hält  die  Base  hartnäckig  1  Mol.  Wasser  zurück 
und  leigt  so  die  Zusammensetzung:  G^Hi^Nj,  H^O.  Beim  Erhitzen  er- 
leidet sie  Zersetzung,'  indem  sie  in  Aethylamin  und  Diäthjlharnstoff 
zerftllt: 

Triäthylcarbotriamin.  Aethylamin.  Diäthjlharnstoff. 

G,H„N„H,e       =    (e,Hs)H,N    +    ee.(G,H.)AN, 


Specielle  Beschreibung  der  wichtigsten  Amide  der 

Kohlensäure. 

Von  den  amidartigen  Verbindungen,   deren  wichtigste  Beziehungen  102^ 
im  Vorhergehenden  besprochen  wurden,  sind  viele  früher  als  Cyanverbin- 
dungen   beschrieben    worden;  für  andere  genügt  das  oben  Angegebene; 
in   Betreff   einzelner    dagegen    müssen   noch    weitere    Details    beigefügt 
werden. 

Carbamins&ure.  Wenn  trocknes  Ammoniak  und  trockne  Koh- 
lensäure zusammentreten,  so  verdichten  sich  stets  zwei  Volume  des  er- 
steren  mit  einem  Volum  des  letzteren: 


2NH,  +  ee,  =  ^^»ifu^je 


ZQ  einer  weissen,  stark  nach  Ammoniak  riechenden  Masse,  die  sieh  schon 
bei  etwa  60^  verflüchtigt  Die  Dampfdichte  dieser  Substanz  (gef.:  0,90) 
zeigt,  dass  das  carbaminsaure  Ammoniak  beim  Verflüchtigen  wie- 
der in  Ammoniak  und  Kohlensäure  zerfällt. 

Bei  Einwirkung  von  Schwefelsäureanhydrid  auf  carbaminsaures 
Ammoniak  entsteht  unter  Entwicklung  von  Kohlensäure  sulfaminsaures 
Ammoniak.  Salzsäuregas  wirkt  nur  in  der  Hitze  und  erzeugt  Kohlen- 
säure und  Ammoniak.  Bei  allen  übrigen  bis  jetzt  näher  untersuchten 
Zersetzungen  geht  das  carbaminsaure  Ammoniak  durch  Aufnahme  von 
Wasser  in  kohlensaures  Ammoniak  über;  schon  seine  wässrige  Lösung 
zeigt  alle  Reactionen  des  neutralen  kohlensauren  Ammoniaks. 

Indessen  erfolgt  diese  Umwandlang  nicht  angenblicklich  und  man  erhält 
selbst  beim  Einleiten  von  Kohlensäure  in  wässriges  Ammoniak  eine  Lösung,  die 
erst  nach  einiger  Zeit  oder  nach  Erhitzen  Kalk-  und  Baiytsalze  fällt  (Kolbe). 

Man  hat  bis  jetzt  weder  die  Carbaminsaure  noch  andere  Salze  die- 
ser Säure  darstellen  können. 

Aether  der  Carbaminsaure,   Urethane    (vgl.  §•  1018).     Die  1027« 
verschiedenen  Bildungsweisen  dieser  Substanzen  wurden  oben  besprochen; 
man  kennt  die  folgenden: 


704  Amide  der  KoUentVore. 

Carbainin6äare.MeÜiyl&ther  (Urethylan)  ^)  ßjEL^  tr0,    =r     ^^f 

H 

Carbaminsäure-Aetliylftther  (ürethan)  **)  0,11,  K0,    =       ^^f 

€arbamin8fture.Am7läther  (AmylarethaD)  **^}    BfiiJSi^^    =5        ^^f 

Die  ürethane  sind  kTystallisirbar  und  in  troeknem  Zastaad  qIm 
Zenetsang  flOohtig. 

Das  Urethylan  bildet  luftbestftndige  Tafeln,  die  bei  62^  ichmelsen.  & 
siedet  bei  177^;  löst  sich  leicht  in  Wasser,  weniger  in  Alkohol  und  noch  weidfer 
in  Aeiher. 

Das  Uärethan  ist  in  Wasser,  Alkohol  und  Aether  leicht  löslich;  es  kiyslil- 
Hsirt  leicht  in  grossen  Blttttchen;  es  schmilst  unter  100*  und  siedet  bei  etwa  180*. 

Das  Amylurethan  krystallisirt  aus  siedendem  Wasser  in  seidenglfinzendoi 
Hadeln,  die  in  Alkohol  und  Aether  Lakht  löslich  sind;  es  schmilzt  bei  06*  und 
siedet  bei  220^ 

Carbamid,  Harnstoff:  e0H4Ns. 

1098.  Diqenigen  künstlichen  Bildangsweisen  des  Harnstoffs,  doroh  welck 

derselbe  als  Amid  der  Kohlens&ure  oharakterisirt  wird,  sind  §.  1016  n- 
sammengestellt.  Es  wurde  dort  gezeigt,  dass  Ammoniak  mit  Carbooyl- 
ehlorid  (Phosgen)  bei  gewöhnlicher  Temperatur,  mit  KohleDsäiireidMr 
bei  180®  Harnstoff  erzeugt;  und  dass  das  eyansaure  Ammoniak  darek 
moleoulare  Umlagemng  in  Harnstoff  flbergeht  Dass  das  Cy  an  amid 
sich  dureh  Wasseraufiiahme  (bei  Zusats  von  etwas  Salpetersäure)  ii 
Harnstoff  umwandelt  wurde  $.  590  erwähnt  Als  künstliche  Bildongs- 
weise  ist  femer  noch  von  Interesse,  dass  Oxamid  beim  Erwärmen  nit 
Quecksilberoxyd  unter  Entwicklung  von  Kohlensäure  Harnstoff  bildet 
(Williamson  1847): 

Oxamid  Carbamid. 

H,(n,     +     HgO    =     H,[n,    +    60,    +    Hg 
H,(  H,\ 


*)  Dumas  u.  Peligot  1886.  vgl.  Liebig  n.  Wöhler,  Ann.  Chem.  Pharm.  LVm.  SS> 

Echevaria,  ibid.  LXXDL  110. 
^^)  Dumas  1838.  vgl.  Liebig  u.  Wöhler,  Ann.  Chem.  Phand.  LIV.  870. 
♦••)  Medlock,  ibid.  LXXI.  104. 


Harnstoff.  705 

Diese  Zersetuuig  des  Oxamid's  entopricht  vollständig  der  Bildung  von  Eoh- 
lensäoreftther  aus  Ozalsftnreäther  (§.  1008)  und  dem  Zerfallen  der  Oxalsäure  in 
Kohlensäure  und  Ameisensäure. 

Der  Harnstoff  entsteht  ferner  als  Zersetzungsproduct  einiger  EOrper 
von  eomplicirterer  Zusammensetzung:  Kreatin,  Harnsäure,  AUantoin  eto. 

Vorkommen.  Der  Harnstoff  ist  ein  wichtiger  Bestandtheil  des 
Harns  der  Menschen  und  der  Säugethiere,  namentlich  der  Fleischfresser; 
auch  der  Harn  der  Vögel,  Reptilien  und  die  Nierensecrete  einzelner  nie- 
deren Thiere  enthalten  Harnstoff.  Er  findet  sich  in  geringer  Menge  im 
Blut  selbst  gesunder  Menschen  und  Thiere;  bisweilen  im  Schweiss,  im 
Fruchtwasser,  in  krankhaften  Ergüssen  und  selbst  in  Geweben.  Der  Hu- 
mor vitreus  des  Auges  ist  reich  an  Harnstoff  (etwa  30  %  der  festen  Be- 
standtheile,  Milien);  im  Chylus  und  in  der  Lymphe  verschiedener  Thiere 
wurde  er  von  Wurtz  *)  in  neuerer  Zeit  nachgewiesen. 

Historische  Notizen.  Der  Harnstoff  wurde  1773  von  Rouelle 
d.  J.  entdeckt,  1799  von  Fourcroy  und  Vauquelin  näher  untersucht. 
Wohl  er  lehrte  1828  seine  Darstellung  aus  Cjansäure;  Natanson**) 
beschrieb  1856  seine  Bildung  aus  Garbon jlchlorid  und  aus  Eohlensfture- 
ftther. 

Darstellung.  I.  Aus  Harn.  Man  dampft  Harn  zur  Trockne, 
zieht  mit  Alkohol  aus,  verdunstet  wieder  und  erschöpft  mit  absolutem 
Alkohol.  Die  Lösung  gibt  beim  Verdunsten  schwach  gefärbten  Harnstoff. 
Oder:  man  f&Ut  aus  durch  Eindampfen  oder  durch  Oefrierenlassen  con- 
eentrirtem  Harn  durch  Zusatz  von  reiner  Salpetersäure  oder  von  Oxal- 
säure salpetersauren  oder  Oxalsäuren  Harnstoff.  Der  oxalsaure 
Harnstoff  kann  durch  Kreide  zersetzt  werden,  v^o  nur  Harnstoff  in  Lösung 
bleibt  (Berzelius).  Der  salpetersaure  Harnstoff  wird  in  wässriger  Lösung 
mit  kohlensaurem  Baryt  oder  kohlensaurem  Kali  zerlegt,  der  grössteTheil 
der  entstandenen  salpetersauren  Salze  durch  Eindampfen  und  Krystallisi- 
renlassen  entfernt,  und  der  in  der  Mutterlauge  bleibende  Harnstoff  durch 
Umkrystallisiren  aus  Alkohol  gereinigt. 

n.  Zweckmässiger  ist  die  künstliche  Darstellung  des  Harn- 
stoffs aus  cyansaurem  Ammoniak.  Man  zersetzt  cyansaures  Kali 
durch  schwefelsaures  Ammoniak  und  trennt  das  in  Wasser  schwer-  und 
in  Alkohol  unlösliche  schwefelsaure  Kali  von  dem  in  beiden  Lösungsmit- 
teb  leicht  löslichen,  durch  moleculare  Umwandlung  des  oyansauren  Am- 
moniaks entstandenen  Harnstoff; 

Besonders  zweckmässig  sind  die  folgenden  Methoden :  1)  Man  erhitzt  ein  Ge- 
menge von  28  Th.  trocknem  und  gepulvertem  Blutlangensalz  mit  14  Th.  Braunstein 
auf  einer  Eisenplatte,  zieht  mit  kaltem  Wasser  aus   und  setzt  20^/^  Th.  trocknes 


^)  Ann.  Chem.  Pharm.  02011.  876. 
••)  ibid.  XCym.  287.  ygl.  auch  Neubauer,  ibid.  OL  842. 
K«kaU»  orgaa.  ChMÜ«.  45 


706  Axnide  der  Kohlenaftore. 

Bchwefelsaores  Ammoniak  it^.  Man  decantirt  von  dem  niederfallenden  schwdd. 
sauren  Kali  und  entfernt  durch  wiederholtes  Eindampfen  und  Erkaltenlassen  die 
grösste  Menge  des  schwefelsauren  Kali's.  Zuletzt  dampft  man  zur  Trockne  nsd 
zieht  mit  siedendem  Alkohol  aus  (Lieb ig).  2)  Man  bereitet  durch  Schmelzen  tob 
8  Th.  entwässertem  Blutlaugensalz  und  8  Th.  kohlensaurem  Kali  Cyankalium^  imd 
führt  dieses  durch  Eintragen  von  15  Th.  Mennige  in  cy ansaures  Kali  über.  Hu 
löst  in  Wasser  und  setzt  8  Th.  schwefelsaures  Ammoniak  zu.  Das  schwefelsann 
Kali  wird  wie  oben  entfernt  und  die  zur  Trockne  eingedampfte  Masse  mit  heisscB 
Weingeist  ausgezogen  (Cle  mm)  *)  Bei  beiden  Methoden  enthält  die  weingeistige 
.  Hamstofflösung  häufig  etwas  unzersetztes  Blutlaugensalz,  welches  leicht  durch  w- 
sichtigen  Zusatz  von  schwefelsaurem  Eisenozyduloxyd  entfernt  werden  kann. 

Eigenschaften.  Der  Harnstoff  krystallisirt  in  farblosen  Nadek 
oder  in  grossen  bisweilen  wohl  ausgebildeten  Prismen,  er  schmeckt  kflh* 
lend,  dem  Salpeter  ähnlich.  Er  löst  sich  in  seinem  gleichen  Gewicht  kal 
ten  Wassers,  in  jedem  Verhältniss  in  heissero  Wasser;  aach  in  Alkohol 
ist  er  leicht  löslich  (kalt  in  5  Th.,  beim  Sieden  in  1  Th.),  fast  unlöslidi 
dagegen  in  Aether.  Er  schmilzt  bei  120®  und  erleidet  bei  stärkerem  & 
hitzen  Zersetzung. 

1029.  Verbindungen.    Der  Harnstoff  verbindet  sich  mit  S&arehydraten, 

mit  Hetalloxyden  und  auch  mit  Salzen  zu  theilweise  wohlcharakterisirtei 
Verbindungen. 

L  Verbindungen  mit  Säuren. 

Salzsaurer  Harnstoff:  60H4N3,  HCl  entsteht  unter  WärmeentwicUmi; 
bd  Einwirkung  von  Salzsäuregas  auf  Harnstoff;  man  erhält  so  ein  gelbes  boB 
Erkalten  krystallinisch  erstarrendes  Oel.  Die  Verbindung  wird  durch  Wasser  md 
schon  durch  feuchte  Luft  zersetzt  und  zerfällt  beim  Erhitzen  (146*)  in  Salmiak  md 
Cyanursäure. 

Salpetersaurer  Harnstoff:  ^OH^N^,  HOsN.  Diese  fOr  den  Hanuttf 
besonders  charakteristische  Verbindung  ist  in  Wasser  ziemlich  leicht  in  Salpeter- 
säure aber  sehr  wenig  löslich.  Man  erhält  daher  aus  nicht  zu  verdünnten  Han- 
stofflösungen durch  Zusatz  von  Salpetersäure  einen  krystallinischen  NiederscUa^; 
eine  concentrirte  Harnstofflösung  erstarrt  mit  Salpetersäure  zu  einem  Brei  toi 
Erystallen.  Der  salpetersaure  Harnstoff  scheidet  sich  bei  diesen  FäUungen  in  gUa- 
zenden  Blättchen  aus,  die  unter  dem  Mikroskop  als  rhombische  oder  hezBgooale 
Tafeln  erscheinen,  deren  spitzerer  Winkel  =  82^  ist  Beim  langsamen  VerdniutcB 
oder  beim  Erkalten  der  warmen  wässrigen  Lösung  erhält  man  bisweilen  gut  au- 
gebildete  Prismen.  Der  salpetersaure  Harnstoff  löst  sich  in  heissem  Wasser  leicb- 
ter  als  in  kaltem,  auch  von  Alkohol  wird  er  gelöst.  Er  zersetzt  sich  beim  Er- 
hitzen (140®),  bei  raschem  Erhitzen  unter  Verpuffen. 

Oxalsaurer  Harnstoff:  2f^BEJS2^  ^2^4H2,  scheidet  sich  in  Form  da» 
ner,  meist  büschelförmig  vereinigter  Krystallblättchen  aus,  wenn  eine  Hamstol 
lösung  mit  einer  concentrirten  Lösung  von  Oxalsäure  vermischt  wird.  Er  IM 
sich  leicht  in  siedendem,  weniger  in  kaltem  Wasser,  noch  weniger  in  Alkdiol; 
von  überschüssiger  Oxalsäure  wird  er  aus  der  wässrigen  Lösung  gefallt 


*)  Ann.  Chem.  PharoL  LXVL  882. 


^c^mstoff.  707 

II.  Verbindangen  mit  Oxyden.  Durch  Eäntragen  von  feuchtem  Sil- 
beroxyd in  eine  Lösung  von  Harnstoff  erhält  man  ein  graues  aus  feinen  Nadeln 
bestehendes  Pulver:  26OH4N2,  SAg,^. 

Salpetersaures  Quecksilberoxyd  föllt  aus  einer  mit EaJi  versetzten  Harn- 
Stofflösung  einen  weissen,   Quecksilberchlorid  einen  weissen  in  siedendem  Wasser  I 

gelb  werdenden  Niederschlag.  Der  erstere  ist:  60H4N2,  2Hg0,  der  letztere: 
26OH4N2,  SHgO.  Bei  Eintragen  von  Quecksilberoxyd  in  warme  Hamstofflösung 
scheint  die  Verbindung:  OOH^Nj,  Hg0  zu  entstehen. 

m.    Verbindungen  mit  Salzen. 

Harnstoff-Chlornatrium:  O0H4N3,  NaCl  -j-  E^B^  glfinzende  wohlaus- 
gebildete Prismen,  die  bei  Verdunsten  der  gemischten  Lösungen  erhalten  werden. 

Harnstoff-Salpetersaures  Natron:  60H4N3,  NÖgNa -f*  H^O  scheidet 
sich  beim  Erkalten  der  heiss  gemischten  Lösungen  aus. 

Auch  salpetersaures  Kali,  salpetersaurer  Kalk  und  salpetersaure  Magnesia 
geben  mit  Harnstoff  krystallisirbare  Verbindungen.  Ebenso  Cadmiumchlorid  und 
Quesksilberchlorid. 

Das  Salpetersäure  Silber  bildet  mit  Harnstoff  zwei  Verbindungen: 

eeH4Na,  N0,Ag 
eOH^Nj,  2N0,Ag. 

Die  erstere  wird  in  grossen  rhombischen  Prismen  erhalten  wenn  kalte  oder  warme 
Lösungen  von  Harnstoff  und  salpetersaurem  Silberoxyd  gemischt  werden.  Die 
zweite  wird,  wenn  das  Silbersalz  im  üeberschuss  angewandt  wurde,  durch  Verdun- 
sten im  luftleeren  Raum  in  prismatischen  Krystallen  erhalten. 

IV.  Verbindungen  von  Harnstoff  mit  Salpetersäure  und  Queck- 
silberoxyd. Durch  Zusatz  von  salpetersaurem  Quecksilberoxyd  zu  einer  Ham- 
stofflösung  wird  ein  weisser  Niederschlag  erhalten,  dessen  Zusammensetzung  je 
nach  den  Bedingungen  verschieden  ist 

Werden  beide  Lösungen  sehr  verdünnt  und  warm  gemischt,  so  verwandelt 
sich  der  flockige  Niederschlag  rasch  in  ein  weisses  körniges  Pulver  (A).  Giesst 
man  zu  einer  Harnstofflösung  so  lange  salpetersaures  Quecksilberoxyd  als  noch 
ein  Niederschlag  entsteht  und  setzt  man  diesen  längere  Zeit  einer  Temperatur  von 
4QP  —  500  Qug^  go  verwandelt  er  sich  in  sechsseitige  durchsichtige  Blättchen  (B). 
Wird  eine  Lösung  von  salpetersaurem  Harnstoff  mit  einer  salpetersauren  Lösung 
von  salpetersaurem  Quechsilberoxyd  versetzt  bis  Trübung  eintritt,  so  scheiden  sich 
beim  Stehen  aus  kleinen  Tafeln  bestehende  krystallinische  Krusten  ab  (C). 

Die  Zusammensetzung  dieser  drei  Verbindungen  ist  nicht  völlig  festgestellt 
Man  weiss  nicht  ob  sie  salpetersauren  Harnstoff  und  Quecksilberoxyd  oder  ob  sie 
Harnstoff  mit  salpetersaurem  Quecksilber  und  Quecksilberoxyd  enthalten.  Liebig 
gibt  die  Formeln: 

A-CjOsH^N,,  NOb,  4HgO 
B.CjOaH4Na,  NO5,  8HgO 
aCa02H4N2,  NO5,  2HgO 

Zersetzungen  des  Harnstoffs.    Alle  Zersetzungen  des  Harn-  1030. 
Stoffs  sind  leicht  verst&ndlich,  wenn  man  denselben  als  Amid  der  Kohlen- 
sfture  betrachtet 

45  • 


708  Amide  der  Eohlenstture. 

1)  Der  Harnstoff  zerftllt  unter  Aufnahme  von  Wasser  in  Kohlenstoe 
und  Ammoniak: 

eeE^^2  +  H^e  =  ee,  +  2NH,. 

Diese  Zersetzung  findet  statt  wenn  Harnstoff  mit  Wasser  in  angeschmol- 
zenen Röhren  über  100®  erhitzt  wird,  wenn  er  mit  Bleizackerlös nng  emgt- 
dampft,  mit  Kalilauge  gekocht  oder  mit  concentrirter  Schwefelsäure  erwfinnt 
wird.    Dieselbe  Zersetzung  tritt  auch  ein  beim  Faulen  des  Harns. 

2)  Bei  vielen  Zersetzungen  eliminirt  der  Harnstoff  nur  die  H&ifte  sei- 
nes Stickstoffs  als  Ammoniak.  Dabei  geht  das  Carbamid  (Barn- 
Stoff)  Ober  in  Carbimid  (Gjans&ure).  Statt  der  Gyanafture  ent- 
steht aber  häufig  die  mit  ihr  polymere  Cjanurs&ure. 

Harnstoff.       Cjans&ure. 

eeH4N,  =  eoHN  +  h,n 

Wird  Harnstoff  mit  salpetersaurem  Silber  eingedampft,  so  entsteht  cyan- 
saures  Silber  und  salpetersaures  Ammoniak  (Wöhler  und  Liebig). 

Erhitzt  man  Harnstoff  mit  Phosphorsäureaihydrid,  so  entsteht  phosphor- 
sanres  Ammoniak  und  Cyansäure,  zugleich  mit  Cyanursfture,  Ammelid  etc. 
(Weltzien)  *).  Wird  Harnstoff  Air  sich  erhitzt,  so  entweicht  Ammoniak  ond 
der  Rückstand  besteht  aus  Cyanurstture,  Ammelid  and  Biuret  (Wöhler  osd 
liebig). 

Erhitzt  man  die  Verbindung  des  Harnstoffs  mit  Salzsfture,  so  tritt  bei  145* 
Zersetzung  ein ,  es  entsteht  Salmiak  und  Cyanursäure  (De  Viy)  **). 

Leitet  man  Chlor  über  schmelzenden  Harnstoff,  so  entweicht  SalzsSsre 
und  Stickstoff  und  es  bleibt  ein  Gemenge  von  Salmiak  und  Cyanorsiare 
(Wurtz)  •••).  vgL  S-  579: 

eeOH^Nj    +    8Cla    =    2e,e3H,N,    4-    4NH4CI    +    2HCa    +   H, 

3)  Von  salpetriger  Säure  (und  ebenso  von  salpetrigsaurem  Qoeck8ilbe^ 
oxydul)  wird  der  Harnstoff  zersetzt  in  Eohlens&ure,  Stiokatoff  und 
Wasser: 

eGH^N,  +  N,e,  =  ee,  +  2H,e  +  sn,. 

In  derselben  Weise   wirkt  unterchlorige  8&ure   oder  unterchlorig- 
saure  Salze: 

GOH^N,    +    3CIHO    =    eOj    +    3HC1    +    H,e    +    N, 

Erkennung   und  Bestimmung  des  Harnstoffs. 

1081.  Reiner   Harnstoff  kann   leicht  an   seinem  Verhalten   beim  Erhitzen  er 

kannt  werden.     Zum  Nachweis   des  Harnstoffes   in  thierischen  Flüssigkeiten  ALDt 


•)  Ann.  CheuL  Pharm.  CVH.  219. 
••)  ibid.  LXI.  249. 
•♦•)  ibid.  LXIV.  807. 


Harnstoff.  709 

man  den  alkoholiBchen  Auszug  mit  Salpetersäure  and  bestimmt  mittelst  des  Mikro- 
C^niometers,  ob  die  geflQlten  Krystallblättchen  den  charakteristischen  Winkel  (82^) 
zeigen. 

Zar  quantitativen  Bestimmung  des  Harnstoffs,  namentlich  im  fiam, 
sind  zahlreiche  Methoden  vorgeschlagen  worden. 

Fällen  des  alkoholischen  Harnauszugs  mit  Salpetersäure  und  Wägen  des  bei 
100*  getrockneten  salpetersauren  Harnstoffs  gibt  ungenaue  Resultate.  Die  Methode 
von  Bunsen  benutzt  das  Zerfallen  des  Harnstoffs  in  Kohlensäure  und  Ammoniak. 
Man  versetzt  den  Harnstoff  mit  ammoniakalischer  Chlorbariumlösung,  erhitzt  die 
filtrirte  Flüssigkeit  in  einer  zageschmolzenen  Glasröhre  auf  220*  *~  240*  und  wägt 
den  kohlensauren  Baryt 

Ragsky*)  and  Heintz**)  dampfen  mit  Schwefelsäure  ein,  ziehen  aus  der 
schwarzen  Masse  das  gebildete  schwefelsaure  Ammoniak  mit  Wasser  ans  und  wä- 
gen als  Platinsalmiak.  Millon***)  zersetzt  mit  einer  Lösung  von  salpetrigsaurem 
Quecksilberoxyd  und  bestimmt  die  gebildete  Kohlensäure  durch  die  Gewichts- 
zunahme eines  mit  Kali  gefüllten  Kugelapparates.  Neubauer  f)  führt  dieselbe 
Zersetzung  in  einem  Fresenius -Will'dchen  Kohlensäureapparat  aus  und  bestimmt 
Kohlensäure  und  Stickstoff  aus  dem  Gewichtsverlust 

Liebig's  Titrirmethode  ff).  Die  von  Liebig  1858  angegebehe  Methode 
zur  Bestimmung  des  Harnstoffs  durch  Titration  beruht  auf  der  Fällbarkeit  des 
Harnstoffs  durch  salpetersaurcs  Qnecksilberoxyd*,  und  weiter  darauf,  dass  der  so 
erhaltene  weisse  Niederschlag  durch  kohlensaures  Natron  nicht  zersetzt,  also  nicht 
gelb  gcfitrbt  wird. 

Zur  Bestimmung  des  Harnstoffs  im  Harn  verfährt  man  in  folgender  Weise. 
Man  vermischt  2  Vol.  Harn  mit  1  Vol.  einer  Barytlösung,  die  aus  2  VoL  kalt  ge- 
sättigtem Barytwasser  und  1  Vol  kalt  gesättigter  Lösung  von  salpetersaurem  Baiyt 
besteht;  man  filtrirt  vom  gefällten  phosphorsauren  und  schwefelsauren  Baryt  ab 
und  tropft  zu  einer  gemessenen  Menge  (etwa  15  0.  C.  m.)  des  Filtrats  so  lange 
von  einer  titrirten  Lösung  von  salpetersaurem  Quecksilberoxyd  bis  eine  herausge- 
nommene Probe  von  kohlensaurem  Natron  gelb  geiäUt  wird.  Die  Quecksilber- 
lösung  wird  zweckmässig  von  solcher  Verdünnung  genommen,  dass  1  C.  C.  m. 
genau  0,01  Grm.  Harnstoff  entspricht 

Von  diesen  Methoden  der  I Tarnstoffbestimmung  gebex^  die  zwei  ersten  (Ban- 
sen und  Ragsky-Heintz)  sehr  genaue  Resultate.  Die  Methode  von  Millon 
und  Neubauer  gibt  wenig  befriedigende  Resultate  fff).  Liebig's  Titrir- 
methode ist  leicht  und  rasch  ausführbar,  die  Resultate  sind,  wenn  die  nöüngen 
Correctionen  (die  hier  nicht  näher  erörtert  werden  konnten)  angebracht  werden, 
sehr  genau. 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  LVL  92. 
••)  Pogg,  Ann.  LXVI.  114.  ' 

•••)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXVIIL  870. 

f)  Jahresber.  1868.  702. 
ff)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXXV.  2S9. 

fff)  In  Betreff  der  letzteren  vgl.  Gorup-Besanez,  Anleit.  z.  zoochem.  Analyse. 
S.  810.  Anmerk. 


710  Amide  der  Eohlenaftiira. 

1082.  Harnstoffe    mit    Alkoholradicalen  ^.       Es    wurde     oben 

($.  1020)  angegeben,  dass  diese  Substanzen  durch  fieaotionen  erzeugt 
werden,  die  der  Bildung  des  normalen  Harnstoffs  yöllig  analog  sind; 
nämlich  durch  Einwirkung  von  Cyansäure  oder  Aetherarten  der  Cjan- 
sfture  auf  Ammoniak  oder  vom  Ammoniak  sich  ableitende  Alkoholbasen. 
Aus  diesen  Bildungsweisen  ergeben  sich  direct  die  verschiedenen  Darstel- 
lungsmethoden dieser  zusammengesetzten  Harnstoffe. 

1)  Man  dampft  Lösungen  von  cyansaurem  Kali  und  schwefelsaurem 
Aethylamin  oder  Methylamin  zur  Trockne  und  zieht  mit  Alkohol 
aus. 

2)  Man  l&sst  Gyansäure-methjläther,  -ftthylftther  oder  -amyl&ther  auf 
Ammoniak,  Methylamin,  Aethylamin  oder  Amylamin  einwirken. 

3)  Auch  bei  Einwirkung  von  Wasser  auf  die  Aether  der  Cyans&ure 
entstehen  zusammengesetzte  Harnstoffe  und  zwar  solche,  die  zwei- 
mal dasselbe  Alkoholradical  enthalten.  Die  Reaction  erfolgt  dabei 
in  zwei  Phasen,  die  aus  den  folgenden  Gleichungen  verst&ndlieh 
sind: 

CyaiiBäareftthyl-  EohlenBäure.        Aethylamin. 

äther. 


N 


Cyansfiiireäthyl-  AethylamiD.  Diäthylhanistoff. 

äther. 

2.    €aP       +  SP        =        tG.Hg,JN, 

4)  Di  äthylharn  Stoff  entsteht  endlich  bei  Destillation  des  ölartigen 
Productes,  welches  durch  Einwirkung  von  Kalilauge  auf  Cjanur- 
säureäther  erhalten  wird  (vgl.  §.  1021);  es  wird  dabei  gleiehzeitig 
Cyansftureäther  erzeugt  (Limpricht)  ^. 

Gyansänreftther.  Diäthylhamstoff. 


Die  zusammengesetzten  Harnstoffe  sind  in  ihren  Eigen- 
schaften dem  normalen  Harnstoff  sehr  ähnlich.  Sie  krystallisiren  in  mei- 
stens zerfliesslichen  Prismen,  die  in  Wasser  und  Alkohol  sehr  löslich  sind. 


*)  Wurtz,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXL  829.  T.YYY.  846. 
••)  ibid.  CV.  896. 


ZüBammengesetBte  Harnstoffe.  711 

Sie  bilden  mit  Salpetersäure  krystallisirbare  Yerbindongen,  vereinigen  sieh 
aber  weniger  leicht  mit  Sfturen  als  der  normale  Harnstoff. 

Beim  Erhitzen  werden  diejenigen  die  nar  ein  Alkoholradioal  enU 
halten  zuCyans&are  und  einer  Aminbase  zerlegt  Der  Dimethjlharn- 
Stoff  und  der  Di&thylharnstoff  siud  ohne  Zersetzung  flachtig,  oder 
werden  vielmehr  bei  der  Destillation  aus  den  entstandenen  Zersetzungs- 
produclen  (Cyans&ureäther  und  Aethjlamin)  direct  wieder  erzeugt 

Beim  Erhitzen  mit  Phosphorsäureanhydrid  oder  mit  Salzsäure  wer- 
den die  zusammengesetzten  Harnstoffe  wie  der  normale  Harnstoff  zerlegt 
Aus  Diäthylharnstoff  entsteht  beim  Erhitzen  mit  Salzsäuregas  salzsaures 
Aethylamin  und  die  Chlorwasserstoffsäureverbindung  des  Gyansäureäthyl- 
äthers: 

Difithylham-  Salzsaures  Salzsaurer 

hamstoff.  Aethylamin.  Cyansäureäther. 

» 
^O  GH  " 

(eaH5)aJN,  +    2HC1    =       *iJN,HCl  +    ^^JN^CL 

Durch  Kochen  mit  Alkalien  zerfallen  die  zusammengesetzten  Harn- 
stoffe in  Kohlensäure  und  vom  Ammoniak  sich  herleitende  Basen. 

Man  kennt  bis  jetzt  die  folgenden  zusammengesetzten  Harnstoffe : 

Methylharastoff  e^H  ,ON,  =  ee(eH,)H,N, 

Aethylhamstoff  e,Hg  ON,  =  Be(ß^E^)EJSl2 

Amylhamfltoff  OeHi^GN,  =  eeCGftHiOHaNj 

Dimethylhamstoff  e,Hg  ONj  =  OOCeHjJaHaNa 

MethyläÜiylbamstoff  e^HioGN,  =  ee(eH3)(C9Hs)H2Na 

Diäthylharnstoff  G^HiaON,  =  6e(G3H5)2H3N, 

Aethylamylharnatoff  egH„0Na  =  Oe(eaH5)(e5Hn)HjNa 

Harnstoffe  mit  Säureradicalen  *)  werden  durch  Einwirkung  1088. 
des  Säurechlorids  auf  Harnstoff  erhalten  (vgl.  $.  1020).     Man  kennt  bis 
jetzt  die  folgenden: 

Acetylhamstoff  e,He  OaNj    =    6e(6aH,e)H,Na 

Bntyrylhamstoff         G^Hj^OjK,    =    6e(e4H,e)H,Nj 
Valerylhamstoff         e«Hije,N,    =    eeCOftH.ejHjNj 
Es  sind  krystallisirbare  Substanzen,  die  mit  Säuren  keine  Verbin- 


•}  Zinin,  Ann.  Chem.  Pharm.  ZCH.  408.    Moldenhaner,  ibid.  XCIV.  100. 


712  Amide  der  EoUensttore, 

duogen  eiDgehen  und  die  beim  Erbitsen  Zersetsung  erleiden,  indem  Cju« 
säure  (oder  CyaDursftare)  und  das  betreffende  Amid  eneugt  wird. 


In  Betreff  der  übrigen  Amide  der  Koblens&nre  genügen  die  folgai- 
den  Angaben. 

1084.  Biuret:  GjHjNje,  =  (ee)2H5N3   (vgl.  §.  1013).     Von  Wiede- 

mann  *)  1848  entdeckt,  entsteht  weiin  Harnstoff  l&ngere  ZSeit  auf  150* 
— 170®  erhitst  wird. 

Man  zieht  den  Rückstand  mit  Wasser  aus,  föUt  aus  der  Lösung  die  Cyannr- 
sänre  mit  essigsaurem  Blei,  entfernt  das  Blei  mit  Schwefelwasserstoif  und  dampfr 
ein. 

Das  Biuret  wird  aus  Wasser  in  kömigen  wasserhaltigen  Krystal- 
len  O2H5N302  +  HjO  erhalten ,  die  in  trockner  Luft  yerwittem  und  is 
Wasser  leicht  löslieh  sind*  Aus  Alkohol  krystallisirt  es  wasaerirei  in 
langen  Bl&ttchen.  Es  zerAUt  beim  Erhitzen  in  Ammoniak  und  Cyanur- 
sfture: 

Biuret  Gyannrs&ure. 

SGjHsNsO,    =    2e,H,N,e,    +    3NH, 

1086.  Allophansäure**).      Man  kennt  nur   die  Aetherarten    und  dai 

Barjtsalz  des  als  Allophans&ure  bezeichneten  Amids  der  Kohlenafture. 
Wird  das  Barytsalz  durch  eine  Säure  zersetzt,  so  erhftlt  man  statt  der 
AUophansäure  deren  Zersetzungsproducte:  Harnstoff  und  Kohleoa&ore. 

e,eaH4N,    =    GOHtNj    +    60,. 

Allophansäure-äthyläther:  OfH^O^N,.  Leitet  man  Oyansanredampr 
in  absoluten  Alkohol,  so  findet  starke  Erhitzung  statt  und  es  scheiden  sich  Kiy- 
BtaUe  von  Allophansäureftthylfither  aus.  Aus  heisser  alkoholischer  Lösung  wird 
die  Verbindung  in  glänzenden  Säulen  erbalten,  die  in  Wasser  und  Alkohol  in  der 
Kälte  wenig,  beim  Erhitzen  leichter  löslich  sind.  Der  AUophansäure -ttthylilkcr 
schmilzt  beim  Erhitzen  und  zersetzt  sich  dann  in  Alkohol  und  Cyanursfture.  Allo> 
phansäure-methyläther  ist  von  Richardson  ***),  Allophansäure-amyl- 
äther  von  Schlieperf)  dargestellt. 

Allophansaurer  Baryt  scheidet  sich  in  harten  in  Wasser  wenig  lös- 
lichen Krystallen  aus,  wenn  Allophansäure-ftthyläther  mit  Barythydrat  und  Wasser 
zerrieben  und  das  Filtrat  einige  Zeit  bei  gewöhnlicher  Temperatur  sich  selbst  über- 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXVm.  828. 

••)  Wöhler  und  Liebig,  Ann.  Chem.  Pharm.  LVIH.  260;  LIX.  291. 
•••)  Ann.  Chem.  Pharm.  XXin.  138. 
t)  ibid.  LDL  28. 


AUophttDBäiire.  713 

lassen  wird.     Das  Sah  zersetzt  sich  schon  beim  Erwftrmen  der  wftssrigen  Lösung 
nnter  Büdang  von  Harnstoff: 

AUophans.  Baryt  Harnstoff. 

2e,H,BaNaO,    +    HjO    =    2eeH4Nj    +    Oe^Ba,    +    eOj 

Wird  das  Sak  in  fenchtem  Zustand  erhitzt,  so  entweicht  kohlensaures  Ammoniak, 
während  cyansaurer  Baryt  zurückbleibt: 

eABaNaO,    +    HjO    =    eOBaN    +    60,12^* 

Allophansfture-Glycol  *).  Das  Glycol  absorbirt  den  Cyansäuredampf 
leicht  und  unter  starker  Erwärmung.  Man  erhält  eine  feste  weisse  Masse,  aus 
welcher  siedender  Alkohol  die  Glycolverbindung  auszieht,  die  beim  Erkalten  in 
glänzenden  Blättchen  ausfällt.  Das  Allophansäure- Glycol  gibt  mit  Barythydrat 
kein  allophansaures  Salz*,  die  Zersetzung  gelit  direct  weiter,  es  entsteht  kohlen- 
saures Salz,  Harnstoff  und  Glycol: 

Allophansäure-Giycol.  Harnstoff.  Glycol. 

eja^e^t  +  2Bae0,  =  eeiifK,  +  ee,Bat  +  €fiH«Ot 

Aehnliche  Verbindungen  entstehen  bei  Einwirkung  von  Cyansäure  auf  Glycerin 
und  auf  Eugensäure. 

Trigenafture:  ejEL^K^O^  (vgl.  §§.  104,  848). 

Leitet  man  Cyansäuredampf  in  stark  abgekt&lten  Aldehyd,  so  findet  unter  1086. 
Erwärmung  reichliche  Absorption  statt;  es  entweicht,  entweder  direct  oder  bei 
guter  Abkühlung  allmälig,  Kohlensäure  und  man  erhält  eine  zähe  blasige  Masse. 
Kocht  man  diese  mit  massig  starker  Salzsäure  aus,  so  krystallisiren  aus  dem  Fil- 
trat  nach  und  nach  kleine  Prismen  von  Trigensänre.  Sie  sind  in  Wasser  wenig, 
in  Alkohol  kaum  löslich ;  sie  schmelzen  beim  Erhitzen  und  zersetzen  sich  dann 
unter  Bildung  einer  flüchtigen  Base.  Die  Trigensäure  gibt  mit  salpetersaurem  Sil- 
berozyd  keinen  Niederschlag  y  auf  Zusatz  von  etwas  Ammoniak  erhält  man  ein 
ans  mikroskopischen  Krystallen  bestehendes  Silbersalz:  ßfi%A,g^^^^  (Liebig  und 
Wöhler)  ••). 

DerValerianaldehyd  gibt  mit  Cyansäure  eine  ähnliche  Verbindung  (Baeyer)  ^**). 
Auch  auf  Aceton  wirkt  Cyansäure  in  ähnlicher  Weise  ein  (Wöhler  und  Liebig). 

SulfocarbonjlYerbindangen. 

Es  worde  oben  erw&bnt  (§.  1003),  dass  eine  grosse  Anzahl  sohwe-  1087. 
felhaltiger  Sabstansen  existirt,  die  in  Zusammensetzung  und  Eigenschaften 
den  Carbonjlverbindungen  YoUsl&ndig  entsprechen  und  in  welchen  man 

bei  typischer  Betrachtung  das  Radical  Sulfocarbonyl  =  GS  anneh- 
men kann. 


*)  Baeyer,  Ann.  Chem.  Pharm.  CXIV.  159. 
•*)  Ann.  Chem.  Pharm.  LDL  296. 
•••)  ibid.  CXIV.  164. 


714  SulfocarbOBylTerbindungen. 

Die  wichtigsten  dieser  Verbindungen  sind: 
Typus. 

Hj  es 

KohleDflulfttr  (?) 

2B,  u.  H,e  es.s  es.cia  es.H, 

Schwefelkoklen-        Solfocarbonyl-  Sulfocacbonyl- 

stoft.  Chlorid.  hydrfir. 

M 
OSJ  Öfil  fji  Qg        l 

2H,e  g^s,  j^|ft,  e,H^jö,  (eA)J^ 

Salfocarbonsäure. 

1088.  Das  Koblensulfür  (isolirtes  Radieal  Salfocarbonyl) ,  fOr  dessen 
Darstellung.  E.  Baudrimont*)  zahlreiche  Methoden  angab  und  dessei 
Bildung  Persoz**)  schon  früher  beobachtet  haben  wollte,  scheint  naeh 
neueren  Versuchen  nicht  zu  existiren  und  nur  mit  Schwefelkohleiutoit 
dampf  beladenes  Eohlenoxjd  gewesen  zu  sein  ***)« 

1089.  Das  Sulfocarbonylhydrür  entsteht  bei  Einwirkung  von  Zink 
und  Salzsäure   auf  Schwefelkohlenstoff ;. -es  kann  auch  als  Methyles- 

sulfid:   OH,. 9   betrachtet  werden  und  wurde  als   solches   $.  969  be- 
schrieben. 

1040.  Das  Sulfocarbonylchlorid  (ChlorschwefelkoUenstoff)  wurde 
von  Kolbe  f)  durch  mehrwöchentliche  Einwirkung  von  trocknem  Chlor- 
gas auf  Schwefelkohlenstoff  erhalten.  JBs  entsteht  leicht,  wenn  Phosphor- 
superchlorid mit  Schwefelkohlenstoff  in  zugeschmolzenen  Röhren  auf  etws 
200«  erhitzt  wird  (Carius)  ft)- 

Schwefelkohlen-  Salfocarbonyl-       Phosphor- 

steif.  Chlorid.  sulfochlorid. 

es[s       jX^      ^^»JcijP    =    ös.ci,    +    psci, 

es  ist  eine  heftig  riechende,  in  Wasser  unlösliche  Flüssigkeit,  die  bei 
etwa  70®  siedet. 

1041.  Schwefelkohlenstoff  (Sulfocarbonylsulfid)  eS,  =  Oe.B.  Ent- 
deckt von  Lampadius  1796.  Er  entsteht  leicht  beim  Verbrennen  tod 
Kohlenstoff  in  Scbwefeldampf. 


•)  Compt.  rend.  XUV.  1000.  —  Jahresb.  1867.  120. 
••)  ibid.  XUV.  1218.  —  ibid.  1867.  122. 
♦♦•)  Vgl.  z.  B.  Playfair,  Quat  Joivn.  ehem.  soc.  XIII.  248. 

t)  Ann.  Chem.  Pharm.  XLV.  41. 
ft)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXII.  198. 


SchwefelkohlenBtolL  715 

Znr  Darstellnng  von  Schwefelkohlenstoff  hn  Kleinen  erhitzt  man  leichte 
Holzkohle  in  einer  schwach  geneigten  Forzellanröhre  deren  tiefer  liegendes  Ende 
mit  einer  Vorlage  in  Verbindung  steht;  man  schiebt  von  Zeit  zn  Zeit  durch  das 
andere  Ende  kleine  Schwefelstacke  ein  und  verschliesst  dann  mit  einem  Kork.  Für 
Darstellung  grösserer  Mengen  wird  die  Kohle  in  einer  Thonretorte  erhitzt  und  der 
Schwefel  durch  ein  Porzellanrohr  eingetragen,  welches  in  den  Tubulus  der  Retorte 
eingekittet  ist.  Der  Schwefelkohlenstoff  wird  jetzt  fabrikmässig ,  wesentlich  zum 
Vulkanisiren  des  Caoutchouk's ,  in  grossen  eisernen  Cylindern  dargestellt. 

Der  SchwefelkohleDstoff  findet  sich  in  geringen  Mengen  in 
dem  aus  Steinkohlen  dargestellten  Leuchtgas  *). 

Zur  Nachweisung  kleiner  Mengen  von  Schwefelkohlenstoff  kann  die 
Bildung  des  xanthogensauren  Kali's  (§.  1046j  oder  auch  seine  Einwir- 
kung auf  Tri&thylphosphin  (^.  1053)  benutzt  werden. 

Der  Schwefelkohlenstoff  ist  eine  farblose,  stark  lichtbrechende  Flfis- 
sigkeit,  die  bei  47®  siedet  und  eigenthQmlich  ätherartig  riecht:  Spec.  Oew. 
1,293  bei  09^  1,271  bei  15®.  Er  brennt  mit  blauer  Flamme  und  entzün- 
det  sich  so  leicht ,  dass  schon  eine  nicht  mehr  glühende  Holzkohle  und 
selbst  eine  rasch  in  Aether  abgelöschte  Kohle  ihn  noch  zu  entzflnden  im 
Stande  ist  (Berthelot).  Er  ist  in  Wasser  unlöslich,  mischbar  mit  Alkohol 
und  Aether  und  löst  in  jedem  Verh&ltniss  flüchtige  und  fette  Oele,  ferner 
viele  organische  Verbindungen  und  mit  Leichtigkeit  Schwefel»  Phosphor, 
Jod  etc. 

■  Erhitzt  man  Schwefelkohlenstoff  mit  Wasser  auf  140^^—1  GO^',  so  ent- 
steht: Kohlensäure  und  Schwefelwasserstoff  (Schlagdenhauffen).  —  Leitet 
man  Schwefelkohlenstoffdampf  über  rothglühende  Metalloxyde,  so  werden 
unter  Kohlensäurebildung  Schwefelmetalle  erzeugt.  Glühendes  Kupfer  gibt 
mit  Schwefelkohlenstoffdampf  verschiedene  Kohlenwasserstoffe,  wesentlich 
Sumpfgas:  6H4  (Berthelot).  Bei  Einwirkung  von  Zink  und  Salzsätrre 
wird  nur  die  Hälfte  des  Schwefels  durch  Wasserstoff  ersetzt  und  man  er- 
hält Sulfocarbonjlhydrflr  eSH,  (vgl.  §§.  969,  1039);  Natriumamalgam 
erzeugt  complicirte  Verbindungen,  die  noch  nicht  näher  untersucht  sind  **). 
Erhitzt  man  Schwefelkohlenstoff  mit  alkoholischer  Ammoniaklösung,  so 
entsteht  Sulfocjansäure  (vgl.  $.  582). 

Trocknes  Chlor  wirkt  bei  gewöhnlicher  Temperatur  langsam  auf 
Schwefelkohlenstoff  ein  und  bildet  Sulfocarbonylchlorid.  Leitet  man  Chlor 
mit  Schwefelkohlenstoffdämpfen  durch  ein  rothglfihendes  Rohr ,  so  wird 
Doppeltohlorkohlenstoff:  eCl4  erzeugt  ($.  640)  (Koibe).  Feuchtes  Chlor 
bildet  das  Chlorid  der  trichlormethyUchwefligen  Säure  (vgl.  J.  641).  An- 
timonsuperchlorid erzeugt  mit  Schwefelkohlenstoff  schon  bei  gewöhnlicher 
Temperatur  leicht  Doppeltchlorkohlenstoff  (Hofmann)  ***). 


♦)  Vogel,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXXVI.  870;  —  Hbfmann,  ibid.  CXV. 
**)  Löwig  nnd  Hei  mann,  Joum.  pract  Chem.  LXXIX.  428. 
•••)  Ann.  Chem.  Phartn.  CXV.  264. 


716  SnlfooarbonyWerbindangeiL 

1042.  Der  Schwefelkohlenstoff  verhält  sich  wie  das  Anhydrid  der  Salfo- 

carbonsäare  (Trisulfocarbonsäure)«     Er  yerbindet  sich  direetnütle- 

m 

tallsolfiden  ond  erzeugt  so  Trisulfocarbonate,   a^  B«:    ^  183,  ?oi 

welchen   die  der  Alkalien  und  alkalischen  Erden  löslich  und  zum  llid 

krystallisirbar,   die  der  schweren  Metalle  meist  unlösliche  Niederscfalige 

ti 

sind.     Die  Trisulfocarbons&ure:    g  i&t  (Schwefelkohlenstoffs&ure)  kau 

in  freiem  Zustand  erhalten  werden,  indem  man  ein  Trisulfocarbonat mit 
Salzsäure  zersetzt  und  schnei]  Wasser  zufQgt;  sie  scheidet  sieh  dann  ab 
rothbraune  ölartige  Flüssigkeit  aus. 

Auch  wenn  Schwefelkohlenstoff  aufOzydhydrate,  z.B.  auf  wässrip 
Ealilösung  einwirkt,  entsteht  ein  trisulfocarbonsaures  Salz  neben  koUes- 
saurem  Salz: 

sGS.ö  +  eJjo    =    2^js,    +    ®K^je,    +    3H,e 

1048.  Die   Aetherarten   der  Trisulfocarbonsäure  können  naeh 

den  far  Darstellung  von  Aetherarten  gewöhnlichen  Methoden  erhslteB 
werden;  z.  B.  durch  Einwirkung  von  äthylschwefelsauren  Balzen  oder 
von  Aethyl -Jodid  oder  -chlorid  auf  trisulfocarbonsaures  Kali.  Man  hat 
so:  Trisulfocarbonsäure-methyläther  *)  (sied.  200^— 205^)  mri 
Trisulfocarbonsäure-äthyläther**)  (237»  — 240«)  dargestellt: 

(öH,),!*»  (e,H,)js»- 

Von  den  sauren  Aetherarten  der  Trisulfocarbons&ure  kennt  mu  b« 
jetst  nur  das:  Aethyltrisulfocarbonsaure  Eali  ***): 

Man  erhält  diese  Verbindung  durch  directe  Vereinigung  von  Schwe- 
felkohlenstoff mit  Ealiummercaptid  ($.  673). 


1044.  Ausser  den  eben  erwähnten  Aethern  der  Trisolfooarbonaftare 

existirt  noch  eine  Anzahl  ätherartiger  Abkömmlinge  des  Sohwefelkobleo- 
Stoffs,  die,  insofern  sie  gleichzeitig  Schwefel  und  Sauerstoff  enthalten,  aU 
Uebergänge  der  Aetherarten  der  gewöhnlichen  Kohlensäure  zu  den  Aethen 
der    völlig  geschwefelten  Kohlensäure   (Trisulfocarbonsäure)    betmhM 


•)  Cahours  1846.  Compt  rend.  ZXUL  821. 
**)  DebuB,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXV.  147. 
«••)  Chance! ,  Compt  rend.  XXXIl.  642.  —  Jahreab.  1861.  518. 


Aether  der  Sulfbcarbonsänren. 


717 


werden  können.  Die  Beziebungen  dieser  Substanzen  zu  den  Aethern  der 
Kohlensäure  und  der  Trisulfocarbonsäure  sind  aus  folgender  Tabelle  er- 
sichtlich, in  welcher  beispielsweise  die  ftthjlhaltigen  Verbindungen  auf- 
gefbhrt  sind,  weil  diese  am  besten  bekannt  sind  *). 


Empirische 
Formel. 

Typische 
Formel 

Dualistische  Formel. 

Kohlensäure 

eeeejga^» 

ee 

C4H,0.C0«  +  HO.  CO, 

CAOt.OO, 

MonoBiilfocarboh- 

eeesj^A 

OAS.COj  +  HS. CO, 

sftore 

«e0SJ|»J» 

eej 
e,H,r 

C4H5S.CO, 

Disulfocarbonsäure 

eessjj»^ 

09» 

CAO.CS,  +HO.CS, 

«^{eS 

e,H,s 

C4H5O.CS, 

Trisalfocarbon- 

€969  jgA 

^«?»|9 

es 

C4H5S.CS,  +  HS.  CS, 

säure 

€S99{^jJ» 

e,H,r 

CAS.  CS, 

*)  Zeiae   1822.    Dessains  und  bes.   Debus, 
LXXV.  121.;  LXXXn.  263. 


Ann.   Ghem.  Pharm.  IXUL   1.; 


718 


SnifoearbonylYerbindiiiigeB. 


Ausser  den  empirischen  Formeln  der  ersten  Spalte,  ans  welchen  die  B6> 
Ziehungen  der  betreffenden  Körper  am  besten  ersichtlich  sind  und  den  typisekes 
Formeln,  die,  mit  Sicherheit  wenigstens,  nur  für  die  Aether  der  Kohlensäure  md 
der  Trisulfocarbonsäure  gegeben  werden  können,  sind  in  der  dritten  Spalte  ds 
Tabelle  noch  diejenigen  Formeln  mitgetheilt,  durch  welche  die  früher  in  der  orgi- 
nischen  Chemie  herrschend  gewesene  dualistische  Radicaltheorie  diese  Sab- 
stanzen  darstellte.  Diese  Formeln  sind  nämlich  einer  der  schlagendsten  Beweiie 
für  den  Hypothesenreichthum  und  die  Unzweckmässigkeit  jener  Ansichten.  Ei 
werden  zunächst  die  neutralen  Aether  durch  halb  so  grosse  Molecularformehi  an- 
gestellt als  die  sauren,  wie  dies,  in  allen  entsprechenden  Fällen  geschieht  Dtm 
wird  weiter  der  Sauerstoff  und  der  Schwefel  willkürlich  vertheilt;  da  die  YerbiB- 
dung  COS  nicht  ezistirt,  so  wird  entweder  Eohlensäare  in  Verbindung  mit  dei 
Oxyd  oder  Sulfid  des  Aethyls  oder  aber  Schwefelkohlenstoff  mit  Aethyl-ozyd  oder 
-Sulfid  vereinigt  angenommen,  und  statt  der  Uebergänge,  die  offenbar  zwiicha 
diesen  Substanzen  stattfinden,  springt  das  Aethyl-ozyd  in  -sulfid  und  dieses  dam 
wieder  in  Oxyd  Über.  In  den  sauren  Aetherarten  wird  endlich  noch  die  Anlage- 
rung der  völlig  unbekannten  Verbindungen:  HS.COi  und  HO.CSt  angenommen. 

Ob  bei  typischer  Betrachtung  in  denAethem  der  Mono sulfocarb onsftnre 
und  der  Disulfo  carbonsäure  Schwefel  oder  Sauerstoff  im  Radical  anzunehnea 
ist,  kann  nicht  mit  voller  Sicherheit  entschieden  werden.  Die  wichtigsten  Bfldnngi- 
weisen  und  einzelne  Zersetzungen  der  betr.  Körper  lassen  die  mitgetheUten  For- 
meln wahrscheinlich  erscheinen. 

1045.  Bildung  und  Verhalten  der  geschwefelten  Kohlens&iire&dier. 

1)  Die  Salee  der  schwefelhaltigen  Aethjlkohleqs&uren  (Aethyl* 
sulfocarboDsfturen)  entstehen  genau  wie  die  ftthylkohleaaaureQ Salie 
selbst.  Gerade  so  wie  Kohlensäure  mit  Alkoholkalium  oder  mit  alkoko- 
liseher  Kalilösung  äthylkohlensaures  Kali  erzeugt,  so  bildet  Kohlensäan 
mit  Kaliummeroaptid  das  ftthylmonosulfooarbonsaure  Kall  b 
derselben  Weise  bildet  Schwefelkohlenstoff  mit  Alkoholkalium  oder  alko- 
holischer KalilösuDg  das  &thyIdi8uIfocarbon8aure  Kali,  mit  Mer- 
captid  oder  mit  alkoholischer  Lösung  von  Kaliumsulfhydrat  das  äthjl- 
trisulfocarbonsäure  Kali. 

ee.e    +    ^^^io       =  ee[        Aethylkohlensaures  KalL 


ee.e  4-  ^»^i 


a«  = 


OAj 


Kl 


AediylmonoBiilfocarbo&BAiMs  KiS' 


e,H, 


e,H, 


n 


QB.B    +    ^3%^S0       =  6S|        Aethyldisulfocarbonsaures  Kall 

Kr 

BB.Q.    +    ^^%|b       c=:  es         Aeihyltrisulfocarbonsaures  Kall 


^etber  der  Bolfocarbonaftiureii. 


719 


2)  Die  neutralen  Aetber  der  Sulfocarbons&nren  können  durch 
Einwirkung  von  Aethjlchlorid  auf  die  entsprechenden  äthylsulfocarbon- 
sauren  Salze  dargestellt  werden. 

3)  Diese  neutralen  Aether  zerfallen  bei  Einwirkung  von  Kali- 
hjdrat  oder  Ealiumsulfhydrat  (besonders  in  alkoholischer  Lösung),  indem 
ein  äthylsulfocarbonsaures  Salz  erzeugt  wird,  während  gleichzeitig  Alkohol 
oder  Mercaptan  entsteht.  Die  folgenden  Gleichungen  zeigen  dieses  Zer- 
fallen : 


Monosulfocarbon- 
Bäureftthyläther. 

Monosulfocarbon- 
Bäoreäthyläther. 

€0l 


j 


& 


DiBnlfocarbonsäure- 
äibylftther. 

Disulfocarbonsäure- 
äthyläther. 


IIQJ 


+     § 


Aethylmonosulfo- 
carbonsaures  EalL 


j»  = 


4« 


B  = 


Aethylmonosnlfo- 
carbonsaures  Kali. 


Aethyldisulfocarbon- 
saures  Kali. 


6  = 


\Jt3\ 

4« 


K( 


AethylmonoBolfo- 
carbonsaares  Kali. 


e        = 


X/TJ\ 


+ 


Alkohol. 


e,H, 


&l< 


Mercaptan. 


«Ä 


st 


Mercaptan. 


e,H, 


kl 


B 


Mercaptan. 


e,H, 


% 


B 


4)   Die   Aethyldisulfocarbons&ure    zerf&Ut   beim   Erwftrmen 
(24^)  gerade  auf  in  Alkohol  und  Schwefelkohlenstoff: 


hI» 


=     ee.s 


e,H, 


'ii 


0 


Die  freie  Sfture  serfiLllt  demnach  genau  nach  derselben  Oleichung,  nach  wel* 
eher  ihr  Kalisalz  sich  bildet  Sie  spaltet  sich  gerade  so  wie  die  normale  Aethyl« 
kohlens&ure;  aber  während  bei  dieser  die  Zersetzung  schon  bei  gewöhnlicher  Tem- 
peratur eintritt,  kann  die  Aethyldisulfocarbons&ure  ans  ihren  Salzen  abgeschieden 
werden  und  zerfftllt  erst  beim  Erwftrmen. 

6)  Lftsst  man  Jod  auf  äthylsulfocarbonsaure  Salze  (in  al- 
koholischer Lösung)   einwirken,   so  entsteht  eine  ßigenthflmliche  Klasse 


720  Siüfoearboii}^Terbliidiiiis«a. 

TOD  Yerbindungeo ,  die  Aethylaolfocarbonsnlfide.  Die  Bfldnog 
dieser  Substanzen  ist  leicht  Terstftndlich.  Ein  Hol.  Jod  wirkt  «of  xw« 
Molecale  des  äthylsulfocarbonsauren  Salzes  ein  und  entsieht  ämea  das 
Hetall  zur  Erzeugung  von  MetaDjodid.  Die  Reste  der  beiden  Moleoftle 
der  Aethylsulfocarbons&ure  bleiben  vereinigt,  indem  jeder  gewiasennaMca 
die  Rolle  eines  einatomigen  Radioales  spielt,  und  erzeugen  so  eio  Aelbyl- 
sulfocarbonsulfld.    Man  hat  z.  B,: 

2  MoL  AethyldiBulfocarbon.  Aetbyldisnlfo- 

saores  KalL  carbonsnlfld. 

€jHJ 

e«  ^^^ 
— -Jö  6ÖJ 

'  —  O  IM  _l_  U 


K 


=        2KJ 


e3- 


Dm  ttfaylmonoBulfooarbonsaure  Kali  leigt  dmstelbe  Yerhalteo : 


*2s    •*■'•-      (ee).U. 


Dieae  Bolfide  zersetzen  steh  in  höherer  Temperatur;  das  AediTidi- 
snlfooarbonsulfld  (130*)  liefsrt  dabei: 

Aethyldisolfo«         Honosulfocarbon- 
car^nsulfid.  säoreäthyläther. 

Disnlfocarbons&ore- 
&thylfither. 

8ie  werden  durch  Kalihydrat  und  Kaliumsulfhydrat  wemetU^ 
unter  Freiwerden  von  Schwefel  haupts&ehlich  das  Kalisah  der  beCrellea- 
den  Aethylsulfocarbonsfture  entsteht. 

104Sh  In  Betreff  der  Eigenschaften  der  einzelnen  hierher  gd&Mgen  Veibnidnagci 

geattgen  die  folgenden  Angaben. 

Monofulfocarbonsäare-ftthyläther  wird  am  besten  dnrdi DestilUfisi 
des  AethyldisuUocarbonsulfids  erbalten;  er  ist  eine  in  Wasser  nnlOsficke  FlOnig- 
kdt,  die  bei  161*— 162«  siedet  Er  dient  zur  DarsteUnng  des  (»förmigen  Ae th yl- 
monosulfocarbonsnlfids  und  zor  Bereitong  des  in  farblosen  Kadeln  oder 
Prismen  krystaUisirenden  athylmonosulfocarbonsauren  Kali'a,  wekfaei 
auoh  leicht  durch  Einwirkung  von  Eohlenaftare  auf  eine  alkoholische  L5sung  ^«a 
Kaliummercapttti  erhalten  wird. 


Amide  des  Snlfocarbonyb.  721 

Aethjidisulfocarbon saures  Kali  (xantho-gensaures  Kall)  scheidet  , 
sich  in  farblosen  Nadeln  aus  wenn  einer  Lösung  von  Ealihydrat  in  absolutem  Al- 
kohol Schwefelkohlenstoff  zugesetzt  wird.  Durch  doppelten  Austausch  erhält  ma& 
andere  Salze  der  Xanthogensdure ,  von  welchen  das  Eupfersalz  das  charakteri- 
stischste ist.  (Aus  Kupferozydsalzen  ffiUt  nftmlich  zanthogensaures  Kali  eki 
schwarzbraunes  Ozydsalz,  welches  sich  bald  in  gelbes  Ozydulsalz  umwandelli) 
Durch  Zersetzung  des  zanthogensauren  Kalis  mit  verdünnter  Schwefelsäure  erhält 
man  freie  Xanthogensäure  als  ölige  Flüssigkeit,  die  mit  kaltem  Wasser  gewa- 
schen und  mit  Chlorcaldum  getrocknet  werden  kann,  beim  Erwärmen  aber  Zer- 
setzung erleidet.  —  Aus  dem  Ealisalz  oder  dem  Bleisalz  erhält  man  mit  Jod  das 
kiystallisirbare  Aethyldisulfocarbonsulfid  (Aethylbiozysulfocarbonat).  Aim3 
diesem,  durch  Destillation,  neben  Monosulfocarbonsäureäthyläther  auch  den  bei  200® 
siedenden  Disulfocarbonsäureäthyläther  (Xanthogensäureäther) ,  welcher 
auch  durch  Einwirkung  von  Aethylchlorid  auf  eine  alkoholische  Lösung  von  zan- 
thogensaurem  Eali  erhalten  werden  kann. 

Von  entsprechenden  Methylverbindungen  kennt  man:  methyldisulfocar- 
bonsaure  Salze  (methylzanthogensaure  Salze),  Disulfocarbonsäure-Methyläther  (sied. 
170®  —  172®)  und  ein  durch  Einwirkung  von  Jod  auf  das  Ealisalz  entstehendes 
Sulfid. 

Disulfocarbonsäureäthylmethyläther  wird  bei  Destillation  von  me- 
thylschwefelsaurem Eali  mit  zanthogensaurem  Eali  erhalten ;  er  siedet  bei'  179®.    * 

Man  kennt  femer:  amyldisulfocarbonsaure  Salze  (amylzanthogen- 
saure  Salze) ,  die  freie  Säure,  den  neutralen  Amyläther  und  das  durch  Jod  er- 
zeugte Sulfid. 

Von  kohlenstpffreicheren  Alkoholradicalen  ist  nur  noch  das  cetyldisulfo- 
earbon saure  Eali  bekannt 


Amide  des  Sulfocarbonyls. 

Den    amidartigen   YerbinduDgen    des    sauerstoffhaltigen    Garbonyls  1047. 
(SS.  1012 ff.)    entsprechen    einige   schwefelhaltige   Substanzen,    die   zum 
grössten  Theil  aus   Schwefelkohlenstoff  dargestellt  werden  oder  wenig- 
stens dargestellt  werden  können  und  die  somit  als  amidartige  Verbindun- 
gen des  Radicals  Sulfocarbonyl  (6S)  anzusehen  sind. 

Den  einfachen  Amiden  der  Eohlensäure  (S-  1012)   entsprechen   die 
folgenden  Verbindungen: 

Sulfocarbamid«  Sulfecarbimid*  Sulfocarbamins&ure. 


vS/  CiSL  i  fl 


H.JH.  «gJN 


HiN 


69» 
h(9 


Das  Sulfocarbamid  ist  bis  jetzt  nicht  bekannt,  aber  man  hat 
phenyl-  und  naphtylhaltige  Abkömmlinge  dieses  Körpers  dargestellt, 
die  gelegentlich  der  übrigen  Verbindungen  dieser  Radicale  beschrieben 
werden. 

K  e  k  n  U ,  orgaa.  Cheaie.  46 


722  SulfocaitonylTerUndongen. 

1048.  Das  Sulfocarbimid  ist  der  früher  (%.  582)  als  Sulfocjanstoe 

©S  >  ©N  i 

besohriebene  Körper :     u  i  N  =    o  |  S-   D&b  AmmoDiaksalz  der  Sulfocjan- 

säure  hat  die  ZusammensetzuDg  des  SulfocarbamidS)  aber  währeod  bd 
den  entsprechenden  Sauerstoffverbindungen  das  cyansaure  Ammoniak  «ehr 
leicht  in  den  isomeren  Harnstoff  sich  umwandelt,  tritt  beim  salfocjii- 
sauren  Ammoniak  eine  solche  Umwandlung  nicht  ein. 

Dass  die  Sulfocy ansäure  wirklich  das  Imid  der  Sulfocarbonsäure  ist,  xagt 
ausser  der  gleich  zu  erwähnenden  Zersetzung  der  Sulfocarbaminsäure,  noch  dk 
Thatsache,  dass  heim  Erhitzen  von  Schwefelkohlenstoff  mit  alkoholischer  Ämmo- 
oiaklösung  (in  einer  zugeschmolzenen  Röhre)  Sulfocyansäure  gebildet  wird: 

SchwefelkohlenstofL  Sulfocyansäure. 

es,      +     NH,      =      ^JJN      +      H,& 

und  dass  in  derselben  Weise  Sulfocyansäureäihyläther  entsteht,  wenn  man  m 
des  Ammoniaks  Aethylamin  anwendet  (Schlagdenhauffen). 


Schwefelkohlen- 

Aethylamin. 

Sulfocyansäure- 

stoff. 

äthyläther. 

es,     + 

+      H,S 

Die  Sulfocyansäure   entsteht  ferner  als  Zersetsungsproduct  maadier  Aelher* 
arten  der  Sulfocarbaminsäure  (vgl.  §.  1051). 

1049.  ^^^  Sulfooarbamins&ure  *).  entspricht  vollständig   der  Carha- 

minsäure.  Ihr  Ammoniaksalz  entsteht  wenn  Schwefelkohlenstoff  auf  Am- 
moniak einwirkt.  Es  bildet  sich  auch  aus  trisulfooarbonsaurem  Amoo- 
niak,  nach  der  Gleichung: 

Trisulfocarbonsaures    Sulfocarbaminsaures 
Ammoniak.  Ammoniak. 


es!  i^s  +       Hj* 


Wird  trisulfocarbonsaures  Ammoniak  mit  Alkohol  zusammengestellt  so  Ttr- 
wandelt  es  sich  in  einigen  Tagen  in  sulfocarbaminsaures  Ammoniak. - 
Stellt  man  eine  Lösung  von  Ammoniak  in  absolutem  Alkohol  (1  VoL)  mit  eiiier 
Lösung  von  Schwefelkohlenstoff  (0,16  Vol.)  in  Alkohol  (0,4  Vol.)  zusammen,  » 
setzen  sich  in  den  ersten  Stunden  kleine  Ejry stalle  von  trisulfocarbonsanres 
Ammoniak,  später  grössere  gelbe  Prismen  von  sulfocarbaminsaurem  Aano- 
niak  ab. 


•)  Zeise,  1824.    Debus,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXIII.  62, 


8iiUoearbauiiii0Siim.  723 

Aus  dfim  Ammomaksah  kOnnen  andere  Salze  der  Sulfocarbaminsftnre  dorcfa; 
doppelte  Zersetznog  dargestellt  werden.  Die  Sulfocaft'baminsäure  selbst  er« 
hält  inan  als  röthlich<gef)Eürbtes  Oel,  wenn  man  das  Ammoniaksalz  mit  verdünntec 
Schwefelsfture  oder  Sabwfture  zersetzt  und  dann  noch  Wasser  zufOgt 

Die  Sulfocarbaminsftare  zersetzt  sich  allm&Iig  in  Salfocjansäure  und 
Schwefelwasserstoff,  bei  Gegenwart  von  Wasser  wird  gleichzeitig  Cjan- 
s&ure  oder  deren  Zersetzungsproducte  gebildet: 

Salfocarbamin-         Sulfocyan- 
B&ure.  säure. 

eSjHjN        =      eSHN      +      H,S 

Gyansäare. 
GS,H,N  +  H,e    =        GOHN    +    2H,S 

An  die  Sulfooarbaminsäure  schliesst  sich  zunächst  das  Sulfooarb-  ^060. 
ammoniumsulfid  (Hjdranzothin *)  =  G2H4N2S4)  an.  Man  erhält  die- 
sen Körper  als  weisses  krjstallinisches  Pulver  wenn  man  zu  einer  wäss- 
rigen  Lösung  von  sulfocarbaminsaurem  Ammoniak  allmälig  Chlorwasser 
zugiesst  Seine  Bildung  entspricht  vollständig  derjenigen  der  Aethylsulfo- 
oarbonsulfide  (S.  1045.  Nr.  5.)-  Das  Chlor  entzieht  zwei  Molecfllen  der 
im  Ammoniaksalz  enthaltenen  Sulfooarbaminsäure  zwei  Atome  Wasser- 
stoff während  die  Reste  der  zwei  MolecUle  Sulfocarbaminsäure  zu  Sulfo- 
carbammoniumsulfid  zusammentreten : 

2  Hol.  Solfocarbaminsaures  Hydranzothin. 

Ammoniak. 

es  es! 


rr  es®» 


a,  2h*!'.         =     2NH.C1     + 


es 


3- 


Das  Hydranzothin  zerföllt  beim  Kochen  mit  Alkohol  oder  alkoholischer 
Kdilösnng  unter  Freiwerden  von  Schwefel  und  Bildung  von  Sulfocyansäure  oder 
deren  Kalisalz: 

Hydranzothin.         Solfocyansftare. 
GjH^NA        =      2e9HN       +       H^S      +      S 

An  die  Sulfocarbaminsäure  schliessen  sich  femer  einige  Substanzen  1051« 
an  **) ,  die  man  als  Aetberarten  der  unbekannten  sauerstoffhaltigen  Amin- 


*)  Zeise,  Ann.  Chem.  Pharm.  XLVni.  96;  Debus,  ibid.  LXXXTTT.  27. 
*^)  Vgl.  bes.  Debus,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXIL  1;  LXXV.  127;  LXXXH.  253. 

46  • 


724  Sulfoe^bonyly^rbindUQgen. 

8ftar6  des  SulfocarbonjU  betrachlen  könnte  (H^N.eS.HO),  diö  aber 
andrerseits  auch  als  Axnide  der  Aetbyldisulfocarbonsäure  (oder  der  eni* 
sprechenden  Amylverbindung)  angesehen  werden  können.    Man  keiuit: 


ethylsulfocarbamid. 
Xanthogenamid. 

Amjlsulfo- 
Carbamid. 

H  N 

hJn 

es; 

Diese  Substanzen  entsprechen  vollständig  den  oben  (§§.  1018,  1027J  beschrie- 
benen Aethem  der  Carbamins&ure ,  dem  Uretban  etc.,  die,  wie  dort  en^rfthnt,  aock 
als  Amide  der  Aetliylkohlensäure  und  der  ihr  entspredienden  Methyl-  und  Amyl- 
verbindungen  betrachtet  werden  können. 

Man  erh&lt  diese  beiden  Körper  durch  Einwirkung  von  AmmooiAk 
auf  die^neutralen  Aether  der  Disulfocarbonsäure,  z.  B.: 

Xanthogensfiure-  Xanthogenamid.  Aethyl- 

äthyläther.  mercaptan. 

oder   auch   durch  Einwirkung   von  Ammoniak  auf  Aethyldi8ulfo€»rbon- 
sulfid: 

Aethyldisulfo-  Aethyldisulfo-       Xanthogen- 

carbonsulfid.  carbonsfture.  amid. 

Das  Aethylsulfo Carbamid  (Xanthogenamid)  ist  krjstallisirbar 
und  verbindet  sich  mit  vielen  Metallsalzen,  namentlich  mit  EupferchlorUr 
und  Eupferchlorid  zu  krystallisirenden  Doppelverbindungen.  Es  zeifiUlt 
beim  Erhitzen  zu  Mercaptan  und  Cyansäure  (oder  bei  152<^  Cyanars&are) ; 
beim  Kochen  mit  Baryt  oder  Kali  dagegen  liefert  es  Alkohol  und  an 
sulfocyansaures  Salz. 

Xanthogenamid.  Mercaptan.  Cyansäürö. 

ese.GjHfi.HjN    =    e^HeS    +    ee.HN 

Alkohol         Sulfoeyansjlure. 

Gse.e^Hj.HjN    — .    «jH^e    +    es.BN.     \-  r 


Xanliiogeiiaiidd.  725 

r :  IMe^e  Zersetzungen  zeigen  deutlich  die  Beweglichkeit  des  Schwefels  tmd  des 
^avarstoiTB  im  Xanthogenamid;  sie  sind  desshalb  Ton  Wicktigkeit  für  die  Bedeor 
tnag  der  rationellen  Formel  dieses  Körpers  und  der  rationellen  Formeln  überhaupt 

Bei  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  auf  in  Wasser  Yertbeätea 
XaDthogenamid  entsteht  eine  krystallisirbare  Substanz,  die  Debus  Oxy« 
eulfocyansäure-Aethyloxyd  nennt,  und  welcher  wahrscheinlich  die  Formel 
69H10N2O29  zukommt.  Sie  bildet  sich  vielleicht  aus  zwei  Holecülen  Xan- 
thogenamid ,  die  sich  unter  Austritt  von  Wasserstofif  und  Schwefelwasser- 
etoff  vereinigen. 

Die  im  Vorhergehenden  beschriebenen  Verbindungen  können  nach  1^^ 
Entstehung  und  Eigenschaften  als  geschwefelte  Garbamins&ure  betraefatet 
werden,  in  welcher  der  dem  W asser tjpus  zugehörige  Wasserstoff 
durch  Alkoholradicale  vertreten  ist;  es  sind  Aetherarten  einer  schwefel- 
haltigen Carbaminsäure.  Neben  diesen  Substanzen  existirt  eine  andere 
Gruppe  von  Körpern,  die  man  nach  Bildung  und  Verhalten  als  schwefel- 
haltige Carfoamins&ure  betrachten  kann,  in  welcher  der  dem  Ammo- 
niaktjpus  zugehörige  WJEtsserstoff  durch  Alkoholr^icale  vertreten  ist. 
Zwischen  beiden  Gruppen  von  Substanzen  findet  also  genau  dieselbe  Ver- 
schiedenheit statt,  wie  zwischen  Carbaminsäureäthyläther  und  Aethyl- 
oarbaminBAure(S$.  1018,  1027):  : 

Garbaminsäure-  Aethylcarbamin- 

äthyläther.  säure. 

H)  H) 

H  N  e^H^jN 


Solche  Verbindungen  entstehen,  wenn  Ammoniakbasen  der  Alkohol« 
radicale  auf  Schwefelkohlenstoff  einwirken.  Am  besten  bekannt  ist  die 
aus  Amylamin  erhaltene  Amylsulfocarbaminsäure  und  ihr  Amyl- 
aminsalz.  Für  das  Aethylamin  ist  nur  Analogie  des  Verhaltenis  fest- 
gestellt. 

Amylsulfocarbamin-  Amylsulfocarbamin- 

säure. saures -Amylamin. 

GjHijJN  GbHj|>N 

Lilsst  man  Schwefelkohlenstoff  und  Amylamin  (§  721)  in  trocknem 
Zustand  und  in  ätherischer  Lösung  auf  einander  einwirken,    so  scheiden 


*)  Hofinann,  Ann.*  CSiem:  Pharm.  >CXV.  260, 


726  SnlfocarbonylTerbindiiiigeii. 

sieh  wdBse  glAnsende  Schuppen  von  amylsalfoearbaminafiareB 
Amylamin  aas.  Die  Entstehong  dieses  Körpers  ist  völlig  analog  der 
Bildung  des  oarbaminsauren  Ammoniaks  ($.  1026)  und  der  des  ilhjl- 
carbaminsauren  Aethylamins  (§.  1018).  —  Zersetzt  man  das  AmjlaiiuB- 
salz  mit  Salzsäure,  so  scheidet  sich  die  Amylsulfocarbamins&Qre 
als  krystallinisch  erstarrendes  Oel  aus,  während  gleichzettig  Amylammo* 
niumohlorid  entsteht  —  Die  Amylsulfocarbaminsäure  ist  isomer  mit  Thitl 
din  (i  843). 

Erhitzt  man  amylsulfooarbaminsaures  Amylamin,  so  entweicht  Schwe- 
felwasserstoff und  es  wird  ein  krystallinischer  Körper  erzeugt,  der  wakr- 
scheinlich  Diamylsulfocarbamid  ist 

Amylsulfocarbamln-  Diamylsulfo- 

saures  Amylamin.  Carbamid. 

H, 


OSf 


1053.  Einwirkung    von   Schwefelkohlenstoff    auf    PhospilO^ 

basen.  Wenn  Triäthylphosphin  (§.733)  und  Schwefelkohlenstoff 
in  trocknem  Zustand  auf  einander  einwirken,  so  findet  eine  stflrmucke 
Reaction  statt  und  man  erhält  eine  rothe  Krystallmasse.  Werden  beide 
Substanzen  in  ätherischer  oder  alkoholischer  Lösung  zusammengebnebt, 
so  scheiden  sich  bald  schön  rothe  Krystallblättchen  ab,  welche  die  Zusib- 
mensetzung  67H15PS2  besitzen  und  demnach  durch  directe  Yereinigiuf 
von  Triäthylphosphin  und  Schwefelkohlenstoff  entstehen : 

(Ö2H»)tP    +    ^&i    =    ©tHi^PB,. 

Nach  Entstehung  und  Zusammensetzung  zeigt  diese  Substanz  den- 
nach  Aehnlichkeit  mit  der  Carbaminsäure  (sie  könnte  als  CarbamiDsiore 
betrachtet  werden,  deren  Stickstoff  durch  Phosphor,  deren  Sauerstoff 
durch  Schwefel  und  deren  Wasserstoff  durch  Aethyl  ersetzt  ist) ;  im  Ver- 
halten findet  indess  keine  Aehnlichkeit  statt  Das  Schwefelkohleip 
Stoff  triäthylphosphin  zeigt  nämlich  schwach  basische  Eigenscfaif- 
ten,  insofern  es  sich  in  Salzsäure  löst  und  durch  Kali  oder  Ammoniik 
aus  dieser  Lösung  wieder  gefällt  wird,  und  insofern  es  mit  Platinchlorid 
und  Goldchlorid  Doppelsalze  zu  erzeugen  im  Stande  ist 

Das  Schwefelkohlenstofftriäthylphosphin  krystallisirC  1» 
siedendem  Alkohol  in  rothen  Nadeln  und  wird  bei  Verdunsten  der  &d^ 
rischen  Lösung  in  tiefrothen  wohl  ausgebildeten  Krystallen  erhalten.  & 


^)  Hofinann,  Ann.  Chem.  Pharm.  I.  SnppL  26  j  Compt.  read.  LIL  836. 


SchwefelkoUenstoff-TriftihylphofpluiL  727 

zersetzt' Bieh  leicht,  *  besonders  beim  Kochen  mit  Hetalloxjden  nnd  selbst 
beim  Kochen  mit  Wasser.  Dabei  wird  stets  Tri&thylphosphinsulfid 
in  überwiegender  Menge  erhalten«  Beim  Kochen  mit  Wasser  wird  gleich- 
zeitig Tri&thylphospbinoxyd  und  eine  in  gelben  Nadeln  krystallisirende 
Substanz  erzeugt,  die  gleich  näher  besprochen  werden  soll;  es  bildet  sich 
ferner,  wenn  das  Kochen  lange  genug  fortgesetzt  wurde,  Hethyltri- 
äthylphosphoniumhydrat,  dessen  Methyl  offenbar  aus  dem  Schwe- 
felkohlenstoff stammt,  in  welchem  der  Schwefel  durch  Wasserstoff  yer* 
treten  wird. 

Die  eben  erwähnten  gelben  Krjstalle  zeigen  die  Zusammensetzung: 
OgHi^PSs-  Man  erhält  sie  leichter,  wenn  die  rothe  Substanz  (Schwefel* 
kohlenstofilriäthjlphosphin)  mit  concentrirter  Schwefel  Wasserstoff  lösung 
erhitzt  wird.    Ihre  Bildung  erfolgt  dabei  vielleicht  nach  der  Gleichung: 

Rothe  Krjstalle.  Triäthylphosphin-  Gelbe 

Sulfid.  Krjstalle. 

ae^HiftPS,    +    H,S    =    2eeHi5P&    +    egHnPSi    +    ÖS, 

Wird  die  gelbe  Substanz  längere  Zeit  mit  Wasser  gekocht,  so  ent- 
steht unter  reichlicher  Entwicklung  von  Schwefelkohlenstoff  eine  alka* 
lische  Lösung,  aus  welcher  durch  Säuren  krystallisirbare  Salze  erhalten 
werden  können,  yon  welchen  das  Jodid  die  Zusammensetzung:  OtH^gPBJ 
zeigt.  . 

Es  ist  bis  jetzt  nicht  möglich  für  die  drei  eben  erwähnten  Substanzen,  deren 
Verhalten  noch  verbältnissmässig  wenig  untersucht  ist,  rationelle  Formeln  aofzu- 
stellen.     Ihre  Beziehungen  werden  vielleicht  ausgedrückt  durch  die  Formeln: 

Rothe  Erystalle.  Gelbe  Krjstalle.  Jodid. 

(eaH,),P  (eaH,),P  (e,H»),P 

;/  n  it 

^D.'CT  0H3.S  ^H^.^ 

es.s  ^-^ 

Diese  Formeln  zeigen  wenigstens,  dass  die  gelben  Krystalle  und  das  Jodid 
gewissermassen  Uebergänge  sind  zwischen  den  rothen  Krystallen  und  dem  als 
Endproduct  der  Zersetzung  beobachteten  Methyltriäthylphosphoniumhydrat.  Sie 
nehmen  an,  dass  durch  die  Verwandtschaft  des  Triäthylpbosphins  zum  Schwefel 
Tri&thylphosphinsulfid  entsteht  und  dass  dadurch  der  Schwefel  des  Schwefelkoh- 
lenstoffs nach  und  nach  durch  Wasserstoff  ersetzt  wird. 

Es  wurde  oben  (§.  1041)  erwähnt,  dass  die  eben  besprochene  Ver- 
bindung des  Triäthylphosphins  mit  Schwefelkohlenstoff  zur  Nachweisung 
des  Schwefelkohlenstoffs  verwendet  werden  kann.  Lässt  man  z.  B.  Leucht- 
gas durch  eine  ätherische  Lösung  von  TViälhylphosphin  streichen,  so  er- 
hält man  beim  Verdunsten  der  Lösung  die  charakteristischen  rothen 
Bjrystalle. 


728  SnlfocarbonylTerbindong^eii. 

1064.  Za  den  amidartigen  Verbindangen  des  SchwefelkohlenstoA  köunca 

ausser  den  im  Vorhergehenden  beschriebenen  Körpern  auch  noch  die  fol- 
genden Substanzen  gerechnet  werden. 

L   Complicirtere  Amide  (vgl.  $.  1014). 
266. S  +  2NH,  —  3H,9  =  GjNjS   =  ^JJjs    Cjansulfid. 

3eS.S  +  4NH,  —  4H,S  =  OiNfHfSt     SulfomellonsAare. 

Die  Sulfomellonsäure  wurde  frflher  ($$.597,  602)  als  Cjan- 
Verbindung  beschrieben.  Das  Gyansulfid  (Anhydrid  der  Sulfocjans&ure 
$.  582)  ist  in  neuester  Zeit  von  Unnemann  durch  Einwirkung  von  Jod- 
cyan  auf  sulfocyansaures  Silber  erhalten  worden.'  Es  krystalliairt  ans 
Schwefelkohlenstoff  oder  Aether  in  farblosen  irisirenden  Bl&ttohen. 

1066.  !!•    Als   gemischte   Amide   (vgl.  $.  1017)   des   Schwefelkohleostolb 

können  noch   betrachtet  werden   das  $.  849  erw&hnte  Garbothialdia 
und  das  Carbothiacetonin  $.  925.  —  Man  hat: 

Aldehyd.  Carbothialdin. 

2e,H4e  +  2NH3  +  es,  —  2H,e  =  efii^^e^ 

Aceton.  Carbothiacetonin. 

sejHeO    +    2NHa    +    es,    —    3H,e    =    Gi^igNA 

Das  Carbothialdin  *)  entsteht  wenn  Schwefelkohlenstoff  aof  eine  wem- 
geistige  Lösung  von  Aldehydammoniak  einwirkt  Es  ist  in  kaltem  Wasser  und 
Aether  kaum  löslich  und  wird  aus  siedendem  Alkohol  in  farblosen  wohlansgebil- 
4eten  Erystallen  erhalten.  Es  zerfällt  beim  Kochen  mit  Säuren  in  Aldehyd,  Schwe- 
felkohlenstoff und  Ammoniak. 


Eine  grosse  Anzahl  amidartiger  Verbindungen  des  Schwefelkohlenstoffs,  (he 
die  Radicale:  Allyl,  Phenyl  und  Naphtyl  enthalten,  werden  gelegentlich  der 
übrigen  Verbindangen  dieser  Radicale  besprochen. 


1066.  Zu  den  amidartigen  Verbindungen  des  Schwefelkohlenstoffa   gehört 

vielleicht  auch    das   Cystin:    e^HiNOjS;    ein  seltner  Bestandtheil   des 


*)  liebig  und  Redtenbacher,  Ann.  Chem.  Pharm.  LZV.  48. 


729 

mensohliohen  Harns  and  der  Blasensteine,   der  1810  von  WoUaston  eni-         : 
deckt  wurde  •). 

Zweiatomige  Säuren:  611H211O3. 

Es  wurde  frflher  (§.  999)  erwähnt,  dass  eine  Reihe  zweiatomiger  1057. 
und  mit  der  Kohlensäure  homologer  Säuren  existirt,  die  in  so  fern  ein 
eigenthümliehes  Verhalten  zeigen,  als  sie  zwar  zweiatomig  aber  doch 
nur  einbasisch  sind,  d.  h.  dass  von  den  beiden  typischen  Wasserstoff- 
atomen nur  das  eine  mit  Leichtigkeit  durch  Metalle  vertreten  werden 
kann,  das  andere  dagegen  nicht. 

Man  kennt  vier  Glieder  dieser  Reihe,  nämlich:  j^ 

<    0^ 
Empirische  Formel.    Rationelle  Formel,  .ji^  wj^ 

Olycolsäure  G,H4  O,  ^'^^j«»  *°*  ^  ^^  ^A^ 

Milchsäure  e,Ha  O,  ^'^^j^i    ^*'  .^cJ^^ 

Butylactinsäure  '  e4Hs  O,  ^*^^  j^i  ^^' 


Leuoinsäurc  GeHuO,  ^•^^^jo,  **  ' 

Genauer  untersucht  sind  nur  die  beiden  ersten  der  genannten  Säu- 
ren,   in  welchen  die  typische  Betrachtung  die  Radicale:   Glycolyl  = 

GSH2O  und  Lactyl  =  G)H40  annimmt. 

Eine  grosse  Anzahl  von  Abkömmlingen  dieser  Säuren  leiten  sich 
direct  von  den  Sänrehydraten  her,  indem  der  typische  Wasserstoff  ganz 
oder  zur  Hälfte  durch  Metalle  oder  durch  zusammengesetzte  Radicale  er- 
setzt ist.  Man  hat  femer  die  Existenz  der  diesen  Hydraten  entspre- 
chenden Anhydride  nachgewiesen;  und  man  kennt  ausserdem  Verbin- 
dungen, die  sich  von  multiplen  Wassertypen  herleiten. 


.^"^ 


•)  Vgl.  bes.  Thaulow,  Ann.  Chem.  Pharm.  XXVH.  197.    Toel,  ibid.  XCVI.247. 
Daa  Cystin  ist  möglicherweise  eine  Aethylenverbindimg: 

GaH4ivr  GJH4JN 

GSf^  oder  GO>G 

ei  steht  vielleicht  in  genetischer  Beziehung  zum  Tanrin  ($.  997);  man  hat: 
Cystin.  Taurin. 

G,H^e,e    +    0,    =    G,HtNG,ö    H-    GG, 


T30 


Zweiatomige  Säuren:  BJEbtü^r 


1058.  Die  wichtigsten  dieser  Verbindungen  sind  im  Folgenden  in  iypiadieft 

Formeln  zusammengestellt.  Den  Gl  jool-  und  Laotylverbindnngen  aimi 
die  Formeln  entsprechender  Aethylen Verbindungen  und  analoger  Sol- 
furyl Verbindungen  beigefügt,  um  die  zwiachen  dieaen  Körpern  stattfin- 
denden Analogieen  hervortreten  zu  lassen: 


Typus. 

H,e 

ejHje.e 

eX^-^ 

e/n^.e 

se.e 

Glycolid. 

Uctid. 

Aetliylen- 
oxyd. 

Schwefelsfion- 
anhydrid 

w^e 

eAe|e, 

e^«je. 

^^. 

Glycolsfiore. 

HilchaSnre. 

Glycol. 

Schwefelsfiore. 

8H,e 

Diglycolsäore. 

DUactylatture. 

Difithylen- 
alkohol. 

NordhXaaer 
VitriolOL 

4H,e 

W»V 
®»,^«>^« 

%^*i 

Diglycol-Äthylen- 
säure. 

Trilactylßäure. 

Triäthylen- 
alkohol 

Die  amidartigen  Verbindungen  der  Radicale:  GaHin— 2O  im 
bis  jetzt  wenig  erforscht  Man  kennt  wesentlich  Substanzen,  die  ab 
Amins'&nren  betrachtet  und  folglich  vom  Typus :  H^O-f-HsN  abgeleitet 
werden  können.    N&mlich: 


Glycocoll 

Alanin. 

Batalanin. 

Leucin. 

Empirische 
Formel. 

O^H^N^) 

GfH^N02 

OftHiiNO) 

6gHi,N0^t 

RationeUe 
Formel. 

HJN 

H  N 

n 

■4- 

H 
H  N 

Als  Verbindungen  derselben  zweiatomigen  Radicale  könnten  ferner  betrtck- 
tet  werden:  die  Monochlorsubstitutionsproducte  der  fetten  Säuren  and  die  fettes 
SAuren  selbst  (vgL  798  und  1064). 


Ailgememe  BetraehtnAgen.  731 

Dieselbe  Eigenihtimliöhkeit,  welche,  wie  mehrfach  erw&hnt,  die  Hj-  1059. 
drate  der  in  Bede  stehenden  Säuren  charaktcrisirt,  findet  sich  bei  nahesn 
allen  Abkömmlingen  dieser  Säuren  wieder.  Es  mag  daher  zunächst  er^ 
örtert  werden,  in  wie  weit  man  von  der  Ursache  dieser  Eigenthümtich» 
keit  sich  Rechenschaft  zu  geben  im  Stande  ist.  Man  wird  die  Ueberzeu- 
gang  gewinnen,  dass  die  jetzt  gebräuchliche  Form  der  typischen  Formeln 
diefte  Eigenthflmlicbkeit  in  keinerlei  Weise  andeutet,  dass  aber  die  durch 
diese  Formeln  ausgedrückte  Idee  sogar  von  der  Ursache  dieser  Eigen- 
ihflmliohkeiten  eine  gewisse  Rechenschaft  gibt. 

Far  die  Säurehydrate  lässt  die  Formel  die  beiden  typischen 
Wasserstoffatome  gleichwerthig  erscheinen«  Die  thatsächliche  Verschie- 
denheit dieser  beiden  Wasserstoffatome  erklärt  sich  aus  den  folgenden 
Betrachtungen. 

Der  typische,  das  heisst  der  an  einem  Sauerstoffatom  anliegende 
und  durch  Vermittlung  dieses  Sauerstoffatoms  mit  der  Kohlenstoffgruppe 
verbundene  Wasserstoff  (vgl.  §•  275)  ist  im  Allgemeinen  leicht  entziehbar 
und  ersetzbar.  Ob  aber  diese  Ersetzung  mit  grösserer  Leichtigkeit  durch 
Elemente  oder  Radicale  von  metallähnlichem  Charakter  stattfindet  oder 
aber  durch  Säureradioale,  dies  ist  abhängig  von  der  Natur  der  flbrigen 
Atome,  die  sich  im  MolecOl  in  der  Nähe  des  ersetzbaren  Wasserstoff- 
atoms befinden. 

In  den  einatomigen  Alkoholen,  in  deren  MolecOl  der  typische 
Wasserstoff  sich  in  der  Nähe  von  nur  einem  Sauerstoffatom  und  von 
2  Wasserstoffatomen  befindet,  ist  er  leichter  durch  Säureradieale  ersetz- 
bar als  durch  Metalle.  In  den  fetten  Säuren  sind  2  Wasserstoffatome 
durch  ein  Atom  Sauerstoff  ersetzt,  so  dass  sich  der  typische  Wasserstoff 
jetzt  in  der  Nähe  von  zwei  Sauerstoffatomen  befindet  Dadurch  wird 
seine  Natur,  oder,  besser  gesagt,  die  chemische  Natur  des  Platzes,  den  er 
einnimmt,  so  umgeändert,  dass  jetzt  leichter  Metalle  diesen  Platz  einneh- 
men als  Radicale  von  Säuren. 

In  den  zweiatomigen  Alkoholen  (Glycolen)  sind  beide  typi- 
schen Wasserstoffatome  in  Bezug  auf  die  anderen  das  Molecül  bildenden 
Atome  genau  so  gestellt  wie  das  eine  typische  Wasserstoffatom  der  ein- 
atomigen Alkohole.  Beide  sind  gleichwerthig  und  besitzen  den  far  den 
Wasserstoff  der  Alkohole  bezeichnenden  Charakter,  d.  h.  sie  sind  leichter 
durch  Säureradieale  vertretbar  als  durch  Metalle.  Man  kann  annehmen, 
dass  beide  je  einem  typischen  Sauerstoffatom  und  ausserdem  je  zwei 
Wasserstoffatomen  benachbart  gestellt  sind. 

In  den  zweiatomigen  Säuren  sind  nun  von  diesen  je  zwei 
Wasserstoffatomen  zwei  durch  Sauerstoff  ersetzt,  während  zwei  bleiben. 
Das  eine  typische  Wasserstoffatom  (oder  der  von  ihm  eingenommene 
Platz)  behält  also  den  Charakter,  den  es  in  den  zweiatomigen  Alkoholen 
hatte,  es  wird  wie  die  typischen  Wasserstoffatome  der  ein-  und  der 
zweiatomigen  Alkohole  weniger  leicht  durch  Metalle  ersetzt.    Das  andere 


732  Zweiatomigie  SAveii:  BJBu^^. 

.  tjpiselie  WasserBtoffatom  dagegen  (oder  sein  Plate)  wird  gewissennassen 
in  den  typischen  Wasserstoff  einer  Säure  umgewandelt;  es  befindet  sidi 
wie  die  typischen  Wasserstoffatome  der-  einbasischen  Sftoren  in  der  NsIm 
Ton  zwei  Sauerstoffatomen  und  wird  wie  diese  leicht  durch  Metalle  er» 
«etzt.  Diese  gewissermassen  unsymmetrische  Constitution  der  ELadi* 
cale  der  zweiatomigen  Säuren  ist  also  die  Ursache,  dass  die  zwei 
typischen  Wasserstoffatome  einen  verschiedenen  chemischen  Charakter 
zeigen.  Sobald  noch  zwei  weitere  Wasserstoffatome  durch  Saaerstoff 
ersetzt  werden,  wie  dies  bei  den  im  folgenden  Kapitel  zu  besprechenden 
Säuren  (Bernsteinsäure  etc.)  der  Fall  ist,  verschwindet  diese  aosymme- 
trische  Natur  der  Verbindung  und  es  werden  beide  Wasserstoffatome  mit 
gleicher  Leichtigkeit  gegen  Metalle  ausgetauscht. 

1060.  Diese  Betrachtungen  erklären  die  Thatsache,  dass  bei  den  in  BeAt 
stehenden  Säuren  nur  ein  Wasserstoffatom  mit  Leichtigkeit  durch  Metalle 
ersetzt  wird: 

Olycolsäure.  Glycolsaures  Silber. 

h|«  Agf» 

Sie  zeigen  femer,    dass   die  Diglycolsäure   (J,  1072)  eine    zwei- 
basische Säure  ist. 

1061.  Sie  erklären  ausserdem ,  dass  die  nach  den  gewöhnlichen  M efhodei 
der  Aetherbildung  dargestellten  Aetherarten  der  Olycolsäure  und  der 
Milchsäure  nur  ein  Alkoholradical  enthalten  und  doch  den  Charakter  vod 
neutralen  Aethern  besitzen: 


Milchsäure.  Milchsäuremonäthylätber. 


.«je  .> 


Aber  sie  ergeben  gleichzeitig,  dass  das  noch  vorhandene  typiaefae 
Wasserstoffatom  dieses  Aethers,  welches  denselben  Charakter  besitzt  wie 
der  typische  Wasserstoff  des  Alkohols,  bei  Einwirkung  von  Alkalinietalka 
durch  Metall  ersetzt  werden  kann ,  wie  dies  von  Wurtz  und  Friedel  *) 
neuerdings  gefunden  wurde. 

1062.  Dieselben  Betrachtungen  zeigen,   dass   die  auf  directem  Weg  (vgl 

$.  1063)  dargestellten  Verbindungen,  bei  welchen   das  andere  nicht-me- 
tallische Wasserstoffatom    durch  Radicale    ersetzt  ist,    nodi   einbasische 


*)  CoB^t.  read.  UL  1067. 


Allgemeine  Beürachtmig^n. 


733 


Sftnten  sind,   insofern  sie  das  durch  Metalle  vertretbare  Wasserstoffatom 
der  normalen  S&ure  noch  enthalten.    Z.  B.: 


Glycoisäare. 

Methylglycol- 

Methylglycol- 

Benzoglycol- 

säure. 

saures  Silber. 

Bäure. 

Ag!^ 

6,H.eie 

Milchsäure. 

Aethylmllch- 

Butylmilch- 

Butylmilchsfiure' 

säure. 

säure. 

äthylftther. 

e4H,ei^ 
e,H,e 

Man  sieht  leicht,  dass  der  Milchsäuremon&thyläther  isomer 
ist  mit  der  Aethylmilcbsäure  und  dass  ebenso  die  aus  ersterem  sich 
ableitende  Kaliumverbindung  isomer  ist  mit  dem  Kalisalz  der  letzteren. 
Wenn  man  in  beiden  das  Kalium  durch  Aethjl  ersetzt,  so  erhält  man 
denselben  neutralen  Aetber  der  Milchsäure*): 


,  MÜchsttare. 

-  > 


lülchsäure- 

monäthyl- 

ftther. 

«Ar 

jAethylmilch- 
säure. 


Ealiummüch- 
sftareäther. 

Aethylmilch- 
aafxipe  Kali. 


Milchsäure- 
^diäthyläther. 


Ö3H4O 


Im  Milchsäurediathyläther  findet  für  die  beiden  Aethylradi-  lo^. 
eale  dieselbe  Verschiedenheit  statt,  wie  die,  welche  die  beiden  typischen 
Wasserstoffatome  des  Säurehydrats  charakterisirt.    Durch  Einwirkung  von 
Kalilauge  wird  nur  das  eine  Aethyl  entzogen  und  so  das  Kalisalz  der 


^)  Es  ist  einleuchtend,  dass  diese  Formeln  nicht  die  Lagerung  der  Atome  in  den 
betreffenden  Verbindungen  ausdrücken    oder  die  Thatsache  der  Isomerie  er- 
'  klären  sollen;   sie  sollen  nur  die  Anwendung  der  oben  gegebenen  Betrach- 
tungen erleichtem,  indem  sie,  Wie  dies  die  typische  Schreibweise  gewöhnlich 
thut,  den- leicht  durch  Metalle  ersetzbaren  Wasserstoff  unten  hinstellen. 


734  ZweUktOBiig«  Säuren:  CkiHteO,. 

oben  erwähnten  Aethjlmilchsäure  gebildet  *).  Der  Milchflinr^ 
diäthyläther  kann  demnach  einerseits  als  neutraler  Aether  der  zweiatoni- 
gen  Milchsäure,  andererseits  aber  auch  als  Aether  der  Aethjlmilehsäore 
betrachtet  werden. 

Ganz  in  derselben  Weise  eliminirt  der  Milchsäurediäthyläther  auch  bei  Dn- 
wirkung  von  Ammoniak  nur  die  Hälfte  des  Aethyls  und  erzeugt  so  eine  amid- 
artige  Verbindung  die  noch  Aethyl  enthält  und  als  Amid  der  Aethylmilchsäare  be- 
trachtet werden  kann. 

Es  verdient  ferner  noch  besonders  hervorgehoben  zu  werden,  daas 
die  Aethjlmilchsäure  (wie  sich  dies  aus  der  ganzen  Betrachtung  er- 
gibt) zwar  Alkalien  gegenüber  eine  grosse  Beständigkeit  zeigt,  indem  de 
nicht  zu  Alkohol  und  milchsaurem  Salz  zerftUt,  dass  sie  aber  bei  Ein- 
wirkung von  Jodwasserstoff  das  Aethyl  gegen  Wasserstoff  austauscht  and 
so  neben  Aethyljodid  Milchsäure  erzeugt  (Butlerow  $.  1081). 

0 

1064.  Diese  unsymmetrische  Natur  der  Radieale:  GaHon-tO  ist  aach  die 

Ursache  des  eigenthümlichen  Verhaltens  der  Chloride  dieser  Radicak. 
Wird  nämlich  durch  Einwirkung  von  Phosphorchlorid  auf  eine  dieser 
zweiatomigen  Säuren  (oder  auf  eine«  ihrer  Salze)  der  typische  Saaerstoff 
durch  Chlor  ersetzt,  so  löst  sich  zunächst,  wie  gewübalich  bei  diesen 
Reactionen,  der  typische  Wasserstoff  als  Salzsäure  von  dem  gebildete 
Chlorid  ab: 

Milchsäure.  Lactylchlorid 

4-  Salzsäure. 
//  w 

^»^«fjOa      +      2PCI5       =        ^»H4e.Cla       ^      2POa, 

^^2 1  ll^d2 

Die  so  entstehende  Chlorverbindung,  ihrer  Bildung  nach  Oilorid 
des  zweiatomigen  LactyPs,  zeigt  aber  ein  eigenthümliches  Verhalten 
insofern  ein  Atom  Chlor  leichter  entzogen  wird  als  das  andere»  Das 
eine  zeigt,  wie  das  Chlor  der  Säurechloride  (Acetylchlorid  etc.}  leicht 
doppelten  Austausch;  der  mit  ihm  verbundene  Rest  verhält  sich  also  bei 
diesen  Heactionen  wie  ein  einatomiges Radical;  das  andere Ghloratom 
bleibt  in  diesem  Rest,  es  gehört  zum  Radical.  Dieses  zweite  Chloratom 
ist  aber  bei  anderen  Reactionen  doch  des  doppelten  Austausches  filhig, 
nur  findet  dieser  Austausch  (ähnlich  wie  bei  den  Chloriden  der  Alkohol- 
radicale)  verhältmässig  schwer  statt.  So  gibt  z.  B.  das  aus  Hilehsäme 
entstehende  Chlorid  mit  Wasser  Monochlorpropionsäure,  mit  Al- 
kohol Monochlorpropionsäureäthyläther,  es  verhält  sich  also 
wie  Monochlorpropionylchlorid: 


*)  Dass  bei  dieser  Zersetzung  nicht  beide  Aethyl  entzogen  werden  ktenen ,  es^ 
gibt  sich  schon  aus  der  Thatsache,  dass  kein  Kalisalz  der  Milchsäure  en- 
stirt,  welches  zwei  Kalinm  enthält  CWurtz,  Ann.  Chim;  Pkys.  HZ.  178.) 


iJlgemeine  Betrachtungen. 


735 


Lactylchlorid.  Honochlorpro-        Monochlorpro-     Monochlorpropion- 

pionylchlorid.  pionsäure.  uäureäthylttther. 

e,H4e.ci,    =     OjH^cie.ci        ^A^^^U        ^'^e'^^l^ 

Die  80  erhaltene  Monochlorpropionsäure  und  ebenso  ihr  Aethyläther 
verhalten  sich  aber  bei  anderen  Reactionen  selbst  wie  Chloride.  Die  er- 
stere  liefert  beim  Kochen  mit  Alkalien  oder  bei  Einwirkung  von  Silber- 
oxyd Milchsäure;  der  Monochlorpropionsäureäthyl&ther  liefert  in  ähn- 
licher Weise  bei  Behandlung  mit  Natriumalkoholat  den  Milohs&ure- 
diäthyläther.    Man  hat: 


Monochlorpropion- 
säure. 


Milchsäure- 
chlorhydrat 


fci 
e 


Milchsäure. 


e 


e^YL^^ 


Monochlorpropion- 
säureäthyläther. 


Milchsäure- 
ätherchlorid 


Milchsäure- 
diSthylfither. 

Ö.H4Ö 


Diese  chlorhaltigen  Verbindungen  können  demnach  durch  je  zwei  rationelle  106fi. 
Formeln  dargestellt  .werden,  von  welchen  stets  eine  die  leichter  stattfindenden  Zer- 
setzungen ausdrückt  und  die  Beziehungen  zur  einatomigen  Propionsäure  hervortre- 
ten läast ,  während  die  andere  die  Beziehungen  der  betreffenden  Substanz  zur  zwei- 
atomigen Milchsäure  zeigt  und  diejenigen  Metamorphosen  ausdrQckt,  bei  welchen 
diese  Körper  aus  Milchsäure  entstehen  oder  in  Milchsäure  Übergehen. 


Chlorprbpionylchlorid    e,H4C10.Cl    =    6,H40.CJa    Lactylchlorid. 
CUorpropionsäure         ^»^«<^'^U 


e.H^e, 


(Cl 


hK 


Milchsäurechlorhydrat. 


Chlorpropionsäure- 
fithyläther 


Propionsäure 


e,H40^ 
«Ar 


Chlormilchsäureäther. 


Milchsäure. 


Wollte  man  alle  diese  Substanzen  durch  Formeln  ausdrücken,  welche  streng 
entweder  nach  dem  der  einen  oder  nach  dem  der  anderen  Reihe  Zu  Grunde  lie- 


736  Zweiatomige  Sfturen:  6bH«0,. 

genden  Princip  gebildet  sind,  so  müdste  man  entweder  der  Propionsfinre  eine 
Formel  beilegen,  welche  der  des  Milchsäurechlorhydrats  analog  ist;  nämlich: 

oder  man  müsste  andererseits  die  Milchsäare  durch  eine  Formel  darstellen,  die 
derjenigen  der  Chlorpropionsäure  entspricht    Man  müsste  die  Milchsfiare, 

e,H4(HO)0U 

als  Propionsäure  ansehen,  in  welcher  ein  Atom  Wasserstoff  durch  das  Radical  HO 
(Wasserstoffhyperoxyd)  vertreten  ist  (vgl.  8.  144  Anm.).  In  diesem  letxteren  FaD 
müssten :  Aethylmilchsäure ,  Milchsäurediäthylfither  und  auch  die  Aminsäure  der 
Milchsäure  in  entsprechender  Weise  geschrieben  werden.  Die  beiden  ersteren  wer- 
den als  Propionsäure  erscheinen,  in  deren  Radical  ein  At  Wasserstoff  durch  6A0 
(Aethylhyperoxyd)  ersetzt  ist;  die  letztere  enthielte  an  der  Stelle  dieses  Wasser- 
stoffs das  Radical  KH,  (Amid).    Man  hätte: 

Milchsäure  e,H4(HO)eu     «tAtf     ö  H  J^ 

(Oxypropionsäure)  H^  *   *   L 

Aethylmüchsäure       6aH4(e,Hje)e(^  «haI^ 

(Oxyäthylpropionsäure)  Hf^        "  *^^0 

Müchsäurediäthyläther   ri  h  rfl  n  mAi  ^*^*}^ 

(Oxyäthylpropionsäure.  ^»««Ct^iH^^^^U         „        BfiM 
äthyläther)  "'  0  H  (^ 

Alanin.  (Lactaminsäure)        6,H4(KH2)e)^  H>K 

(Amidopropionsäure)  ^aHj  ^'        OH  Ol 

Solche  Formeln,  in  etwas  abgeänderter  Form,  sind  in  neuerer  Zeit  mehrftck 
vorgeschlagen  und   als   besonders  zweckmässig  empfohlen  worden  *).     Sie  bietea 


*)  Kolbe,  Ann.  Chem.  Pharm.  CIX.  259.  —  CXUI.  328.  —  In  Betreff  der  Neu- 
heit solcher  Ansichten  Tgl.  Laurent's  Eurhyzen  (Methode  de  Chimie  S.  354); 
Williamson,  Ann.  Chem.  Pharm.  XCn.  846;  Wurtz,  ibid.  CVII.  196;  Weltnen, 
ibid.  CVIH  86.  etc.  —  Es  wurde  irflher  (§.  241)  schon  darauf  aufmerksam 
gemacht,  dass  bei  logisch  consequenter  Durchführung  dieser  Ansichten  d«r 
Alkohol  und  die  Essigsäure  als  Wasserstoffhyperoxydverbindungen  der  Ra- 
dicale  Aethyl  und  Acetyl  betrachtet  werden  mttseten;  der  Aetlier  wäre  die 
Aethylhyperoxydverbindung  des  Aethyls  etc.  Man  hätte  im  All^emeineB 
Formeln,  wie  sie  Brodie  1864  in  gebtreicher  Weise  zusammenstellte  und  ei 
würde  sich  für  die  gemischten  Aether  (S.  666)  die  damals  von  Odling  auf- 
geworfene Frage  aufdrängen:  welches  der  beiden  Alkoholradieale  wohl  ia 
Form  von  Hyperoxyd  mit  dem  anderen  veirbunden  sei?  • 


Allgemeine  Betreditangen.  737 

vor  den  typischen  Formeln  keinerlei  Vorzug,  verhttllen  vielmehr  4ine  groBse  An- 
sah! Yon  Analogieen  und  lassen  in  anderen  Fällen,  wo  keine  Analogie  stattfindet, 
solche  vennnthen*). 

Auch  für  die  amid artigen  Verbindungen  muss  der  Theorie  1006. 
nach  die  mehrfach  erwähnte  unsymmetrische  Constitution  der  Radicale: 
OnH^n-^O  von  eigen thümlichen  Einfluss  sein.  Zweiatomige  Säuren 
bilden,  wie  oben  (§§.  1009  ff.)  ausführlich  erörtert  wurde,  hauptsächlich 
zwei  Amide,  die  bei  typischer  Betrachtung  durch  die  Formeln  ausgedrückt 
werden: 

Amid.  Aminsäure. 


B<  H 

h,[n,  H  N 

Hl»  & 


Die  erstere  Verbindung  kann  aus  dem  neutralen,  die  zweite  aus 
dem  sauren  Ammoniaksalz  durch  Austritt  von  Wasser  abgeleitet  werden. 

Da  nun  die  Glycolsäure  und  Milchsäure  zwar  zweiatomig  aber 
doch  nur  einbasisch  sind,  so  bilden  sie  nur  je  ein  Ammoniaksalz, 
welches  in  der  Zusammensetzung  den  sauren  Salzen  zweiatomiger  Säu- 
ren entspricht,  aber  die  Eigenschaften  eines  neutralen  Salzes  zeigt. 
Aus  diesem  Salz  leitet  sich  durch  Wasserverlust  eine  Verbindung  her, 
die  dem  Typus:  NH|  -f-  HjO  zugehört,  also  demnach  als  Amiüisäure 
zu  betrachten  wäre.  Da  aber  das  angewandte  Ammoniaksalz  ein  neu- 
trales Salz  war,  so  zeigt  die  Verbindung  die  Eigenschaften  eines  Ami  da. 
Sie  ist  unter  den  amidartigen  Verbindungen  genau  was  der  Milchsäure- 
monäthyläther  unter  den  Aetherarten.  ^  ^*' 

Auf  indirectem  Weg,  durch  Einwirkung  von  Ghlorpropionsäuire  oder 
Chloressigsäure  auf  Ammoniak,  kann  das  andere  WasserstoffatQm  <}^r 
Milchsäure  oder  Glycolsäure  durch  den  Rest  NH^  des  Ammoniaks  ersetzt 
werden,  man  erhält  so  amidartige  Verbindungen  (z.  B.  Glycocoll,  Alai^in), 
die  von  den  oben  erwähnten  Amiden  in  den  Eigenschaften  verschieden 
sein  müssen  und  zu  denselben  genau  in  demselben  Verhältniss  stehen, 
wie  die  Aetbylmilchsäure  zum  Milchsäuremonätbyläther.    Z.  B.: 

Milchsäuremonamid.  Alanin. 

gl"  «*lte       ■    :; 


•)  Vgl.  Fester,  Ann.  Chem.  Fharai.  CZVII.  176. 
K«kiiU,  organ.  Gheaii«.  47 


138  Zw^ABtm^  Stfoi^i  ßJSk^Br 

Oljeob&DrenMMitMnid.  OlyeooolL 

H  N  e,H,e 

Die  Monamide  der  Glycolsfture  und  Milchsäure  sind  bis  jetzt  nnr  wenig  m- 
tersucht  Man  hat  indess  beobachtet,  dass  beim  Erhitzen  von  glycolsaurem  Am- 
moniak  oder  bei  Einwirkung  von  Glycolid  auf  Ammoniak  ein  Amid  der  Glycol- 
Bänre  entsteht,  welches  mit  GlycocoU  nur  isomer  aber  nicht  identisch  ist  Es 
serifillt  schon  bei  Einwirkung  von  Aetzkali  in  Ammoniak  und  Glycolsfiure,  waii- 
rend  das  GlycocoU  von  Kali  nicht  zersetzt  wird.  Gegen  salpetrige  Säure  veiy- 
ten  sich  beide  Körper  wie  Awide  der  Glycolsäure,  insofern  sie  beide  unter  Stiek- 
Stoffentwicklung  diese  Säure  erzeugen. 

Die  wahren  Amide  (Diamide)  der  zweiatomigen  Glycols&oie  ud 
Milehs&ure  sind  bis  jetzt  n4cht  bekannt. 


QlyoolB&urediattid.  MilohelMirediamid. 


Hi  fl. 

hU  H  N 


HJN  H[N 

Da  keine  Ammoniaksalze  dieser  Säuren  exisüren,  welche  2  i^^ 
Ammoniak  enthalten,  so  können  diese  Amide  auf  gewöhnlichem  Veg 
sieht  erhalten  werden,  die  Theorie  zeigt  indess  verschiedene  Methoda 
aOi  nach  welchen  man  sie  wahrscheinlich  wird  erhalten  können. 

Eine  ähnliche  Verschiedenheit  wie  die  zwischen  Glycolsäure-mos- 
amid  und  GlycocoU  wird  sich  wahrscheinlich  wiederfinden  für  dieAethyl 
enthaltenden  Amide  dieser  Säuren.  Mit  dem  von  Wurtz  durch  Einwir- 
kmig TOB  Miichsäurediäthyläther  auf  Ammoniedc  erhaltenen Laetamethai 
(LaetaminsäUTeäther ,  Aethjlmilchsäureamid)  ist  wahrscheinlich  eine  tn- 
dere  Bnbstanz  isomer  zu  deren  Darstellung  die  Theorie  ebenfalls  TerMhie- 
4ene  Wege  andeutet. 

Lactamethan.  unbekannt. 


Damit  ist  nun  nicht  zu  verwechseln  die  Verschiedenheit  des  von  Wuils  und 
Frledel  neuerdings  aus  Lactid  und  Aethylamin  dargestellten  Körpers  von  LacU- 
methan.  ^  Diese  Isomerie  hat  ihre  Ursache  nicht  in  der  unsymmetrischen  Katar  i» 
Radicals  *),    sie  findet  sich  bei  allen  derartigen  Verbindungen  zweiatomiger  (td 


*)  Vgl  Wurtz  und  Friedel,  Gompt  rend.  LH.  1069. 


Allgemeine  Betrachtungen.  739 

sweibasiBcher)  Säuren  und  erklärt  sich  dadurch,  dass  das  Aethyl  einmal  den  Was- 
serstoff des  Ammoniaktypus,  das  anderemal  deiyenigen  des  Wassertypus  ersetzt 
(vgl.  §.  1011).    Man  hat: 

Aethylmilchsäureamid.  Milchsäureäthylamid. 


Es  wurde  oben  erwähnt  (§.  1001),    dass  das  Anfangsglied  der  ho-  1067. 
mologen  Reihe  zweiatomiger  Säuren,  die  Kohlensäure,  sich  dadurch  von 
übrigen  Gliedern  der  Reihe  unterscheidet,  dass  sie  nicht  einbasisch  ist, 
wie  die  übrigen  Glieder  der  Reihe,  sondern  zweibasisch. 

Die  Ursache  dieser  bemerkenswerthen  Verschiedenheit  der  sonst  ent- 
sprechend zusammengesetzten  und  homologen  Säuren  ergibt  sich  aus  der- 
selben Vorstellung,  durch  welche  die  Verschiedenheit  der  zwei  typischen 
Sauerstoffatome  der  Milchsäure  und  der  Glycolsäure  ihre  Erklärung  fin- 
det. In  der  That  müssen  sich  die  beiden  Wasserstoffatome  der  als  Hy- 
drat freilich  nicht  exisiirenden  Kohlensäure,  also  besser  die  beiden  Me- 
tallatome der  kohlensauren  Salze  in  Bezug  auf  die  im  Molecül  enthalte- 
nen Sauerstoffatome  in  symmetrischer  Stellung  befinden.  Da  das  Radical 
keinen  Wasserstoff  mehr  enthält,  so  kann  nicht  durch  den  Einfiuss  von 
solchem  Wasserstoff  das  eine  der  typischen  Wasserstoffatome  alkoholi- 
schen Charakter  behalten;  der  Einfluss  des  eintretenden  Sauerstoffs  muss 
sich  vielmehr  auf  beide  typischen  Wasser stoffatome  erstrecken.  Der  ge- 
ringen Anzahl  der  im  Molecül  der  Kohlensäure  enthaltenen  Atome  wegen 
fällt  die  Ursache  und  sogar  die  Möglichkeit  der  Nichtsymmetrie  der  bei- 
den typischen  Wasserstoffatome  weg.  —  Aus  demselben  Grunde  zeigen 
auch  die  Aether  der  Kohlensäure  nicht  ein  den  Aethern  der  Milchsäure 
und  Glycolsäure  entsprechendes  und  etwas  aussergewöhnliches  Verhalten. 
Aus  demselben  Grunde  erhält  man  für  die  Kohlensäure  leicht  ein  wirk- 
liches Amid  (Typus:  2NH3),  während  die  übrigen  Säuren  der  Reihe  zwar 
leicht  Aminsäuren  (Typus :  NH3  -j-  H2O)  aber  nur  mit  grosser  Schwierig- 
keit wirkliche  Amide  bilden.     Auch  das  der  Kohlensäure  entsprechende 

Chlorid:  6O.CI2  (Garbonylchlorid,  Phosgen)  verhält  sich  bei  den  meisten 
Beactionen  wie  das  Ghlprid  eines  zweiatomigen  Radicals.  Es  eliminirt 
bei  Einwirkung  von  Wasser  oder  von  Basen  die  beiden  Chloratome 
gleichzeitig,  aber  es  [gibt  doch  bei  Einwirkung  von  Alkohol,  indem  es 
nur  die  Hälfte  se^ies  C|hlors  eliminirt,  eine  chlorhaltige  Aetherart  die 
YoUfltändig  dem  oben  besprochenen  Chlorpropionsäure-  oder  Chlormiloh- 
Bftureäthylääier  analog  ist  (vgl  $.  1005): 

47  • 


740 


Zweiatomige  SSnren:  GaHteOf 


ChlorameüensSare-       6C10>rv        _ 
äthyläther.  e»H»J  ~ 


Cblorkohlensäure- 
ätl^yläther. 


Auch  diese«  Chorid   verhält  sich  also  bisweilen  wie  ein  zweiatomi- 
ges, bisweilen  wie  ein  einatomiges  Chlorid: 

Chlorformylchlorid        6010.  Cl      =      eO-Clj        Carbonylchlorid. 


1068.  Die  genetischen  Beziehungen  der  Verbindungen  der  zweiato- 

.^^ ,.  migen  Radicale:  6oH2o-aO  zu  Verbindungen  anderer  Radicale  sind  schon 
mehrfach  besprochen  worden.  Es  genügt  daher,  sie  hier  kurz  zusam- 
menzustellen. 

Die  Beziehungen  zu  anderen  Radicalen  von  gleichviel  Kohleo- 
stoffatomen sind  ausgedrückt  durch  die  Tabelle: 

Alkohol. 
Glycol. 


Essigsäure. 

Giycolsänre. 

Oxalsäure. 

WJe, 

^•?ä«. 

Glyoxylsäure. 

Gerade  so  wie  durch  directe  Oxydation  aus  den  einatomigeo  Alko- 
holen einatomige  Säuren  entstehen,  z.  B.  aus  Aethylalkohol  Essigsäare 
($.  792),  so  werden  aus  den  zweiatomigen  Alkoholen  (Gljcolen) 
durch  directe  Oxydation ,  z.  B.  durch  den  Sauerstoff  der  Luft  unter  Ver- 
mittlung von  feinzertheiltem  Platin,  die  zweiatomigen  Säuren  erbalten: 
aus  Glycol  entsteht  Glycolsäure,  aus  Prop^lglycol  Milchsäure  (vgl 
S.  999). 

Werden  in  diesen  zweiatomigen  Säuren  nochmals  2  Atome  'Was8e^ 
Stoff  durch  directe  Oxydation  durch  Sauerstoff  ersetzt,  so  entstehen  Oxal- 
säure oder  mit  dieser  homologe  Säuren. 

Gerade  so  wie  aus  den  einatomigen  Alkoholen  die  zweiatomiges 
Alkohole  erhalten  werden  können,  indem  man  dem  Radical  ein  Atom 
Wasserstoff  entzieht  und  dann  auf  indirectem  Weg  die  dem  Wassertfp 
zugehörige  Verbindung  des  neuen  zweiatomigen  Radicals  darstellt;  so 
können  die  einatomigen  Säuren  in  zweiatomige  übergeführt  werden. 
Man  ersetzt  1  Atom  Wasserstoff  der  einatomigen  Säure  durch  Chlor  oder 


Genetische  Besiehimgen.  741 

Brom  und  Iftsst  das  so  erhaltene  Substitutionsproduct  auf  eine  dem  Waß* 
sertyp  zugehörige  Base  einwirken.  (Eeku]6,  •  Perkin  und  Duppa;  vgl. 
§§.  302,  797). 

Wird  statt  der  Monobromessigsäure  die  Dibromessigsäure  durch 
Basen  zersetzt,  so  erhält  man  zunächst  die  von  der  Glycolsäure  sich 
durch  Substitution  ableitende  Monobromglycolsäure,  die  dann  bei  weiterer 
Zersetzung,  indem  das  Radical  wieder  ein  Atom  Wasserstoff  verliert,  di^ 
dreiatomige  Glyoxjlsäure  liefert  (Perkin  und  Duppa;  vgl.  §.  798). 

Umgekehrt  kann  aus  Olycolsäure  Essigsäure  und  aus  Milchsäure 
Propionsäure  erhalten  werden,  indem  man  zunächst  durch  Einwirkung 
von  Pbosphorchlorid  die  betreffenden  Chloride  darstellt,  diese  dann  mit 
Wasser  zersetzt  und  in  den  entstandenen  Säuren  (Monochloressigsäure, 
Monoohlorpropionsäure)  das  Chlor  durch  Kückwärtssubstitution  durch 
Wasserstoff  ersetzt  (Ulrich,  Perkin  und  Duppa;  vgl.  §.  797).  Dieselbe 
Reduction  der  zweiatomigen  Säuren  zu  einatomigen  kann  auch  direot 
durch  Erhitzen  mit  Jodwasserstoff  ausgeführt  werden,  so  liefert  z.  B.  die 
Milchsäure  beim  Erhitzen  mit  Jodwasserstoff  leicht  Propionsäure  (Lau- 
temann). 

Endlich  kann  aus  dem  einatomigen  Aethylalkohol  durch  Oxydation 
mit  Salpetersäure,  neben  anderen  Zersetzungsproducten  auch  die  zwei- 
atomige Olycolsäure  erhalten  werden  (Debus). 

Die  Verbindungen  der  zweiatomigen  Radicale:  GnH2n-20  liefern  bei 
manchen  Zersetzungen  Verbindungen  der  einatomigen  um  1  At.  6  är- 
meren Säureradieale:  6nH2a.iB;  und  können  umgekehrt  aus  den  Ver- 
bindungen solcher  Radicale  erhalten  werden. 

Die  Milchsäure  zerfsLllt  z.  B.  beim  Erhitzen  in  Aldehyd,  Koblenozyd  und 
Wasser : 

Milchsäure.  Aldehyd. 

Auch  die  Amin  säuren  dieser  zweiatomigen  Radicale  liefern  bei  manchen  Zer- 
setzungen Aldehyde,  bei  anderen  Hydrate  der  fetten  Säuren  (vgl.  §.  1098). 

Die  synthetische  Bildung  dieser  Aminsäuren  aus  Aldehyden  der  fetten  Säu- 
ren und  Cyanwasserstoff  wird  nachher  ausführlicher  besprochen  (§.  1096). 

Auch  Verbindungen  einatomiger  Alkoholradicale  von  1  At.  6  weni- 
ger werden  bisweilen  bei  Zersetzung  von  Verbindungen  der  zweiatomigen 
Radicale:  6nH2n-20  gebildet.  So  zerfällt  z.  B.  die  Lactaminsäure  (Ala- 
nin) bei  trockner  Destillation  zu  Kohlensäure  und  Aethylamin  (vgl.  $.  1098). 


Gl  y  CO  lyl  verbin  düngen. 
Glycolid:  GjHaO.O  (Glycolsäureanhydrid).    Dessaignes  *)  er-  1069. 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  T.XXXIX.  342. 


742  Zweiatomige  Sttnren:  OnBsa^s* 

hielt  das  Olycolid  1854  durch  Erhitzen  von  Tartroneänre  auf  180^; 
es  entsteht  auch  neben  Glycolsäure,  wenn  krystallisirtes  monoehloresng. 
saures  Kali  ($.  871)  auf  120<^  erhitzt  wird  (Eekuld).  Das  Glycolid  ist 
ein  weisses  in  kaltem  Wasser  unlösliches  amorphes  Pulver.  Beim  Kooben 
mit  Wasser  geht  es  langsam,  beim  Kochen  mit  Ealilösang  oder  Kalk- 
wasser rasch  in  Ol jcolsäure  über.  Mit  Ammoniak  erzeugt  es  Olycolstait- 
monamid. 

1070.  Glycolsäure*):    e,H4e,    =  ^'^]^|Oi.     Strecker  und  So- 

eoloff  stellten  1851  die  Glycolsäure  dar  durch  Kochen  der  Benzoglycol- 
s&ure  mit  yerdünnten  Säuren: 

Benzoglycols&ure.  Glycolsäure.       Benzoesäure. 

GAG  + 


M      +  H,G  =  ^«\^JG,  +  ^^^*gje 


und  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  auf  Glycocoll  ($.1099). 
Dessaignes  erhielt  sie  1854  aus  Glycolid  ($.1069).  Debus  1856 
als  Ozydationsproduct  des  Aethylalkohols  mittelst  Salpetersäure  (vgl 
Glyoxalsäure).  Wurtz  zeigte  1857,  dass  das  Glycol  bei  langsamer  Oxy- 
dation, namentlich  bei  Einwirkung  verdünnter  Salpetersäure,  Glycolsäure 
erzeugt.  Die  Glycolsäure  wird  am  leichtesten  durch  die  mehrfach  er- 
wähnte Zersetzung  der  monochloressigsauren  Salze  erhalten  (Ke- 
kul6;  vgl.  §.871).  —  Monobromessigsäure  liefert  in  derselben  Weise 
Glycolsäure  (Perkin  und  Duppa). 

Darstellung.  Monocbloressigsaares  Kali  wird  mit  etwas  Wasser  emige 
Stunden  auf  120®  erhitzt  und  die  Masse  mit  Aetheralkohol  ausgezogen.  Heinti**) 
empfiehlt,  zur  Reinigung  der  Säure,  durch  Zusatz  von  schwefelsaurem  Eupferoxyd 
zur  concentrirten  Lösung  des  Rohproducts  glycolsaures  Eupferoxyd  darzustellen 
und  dieses  in  heisser  wfissriger  Lösung  durch  Schwefelwasserstoff  zu  zersetzen.  - 
(Die  von  Ol  o  6z  ***)  1852  in  den  Mutterlaugen  von  der  Darstellung  des  Enallqaed- 
silbers  aufgefiuidene  und  als  Homolactinsäure  bezeichnete  Säure  ist  offenbar 
mit  Glycolsäure  identisch) 

Die  Glycolsäure  ist  in  Wasser,  Alkohol  und  Aether  sehr  löslieh. 
Die  wässrige  Lösung  der  reinen  (aus  dem  Silber-  oder  Eupfersals  abge- 
schiedenen und  auch    der  aus  Glycolid   dargestellten)  Säure   hinterlM 


•)  Socoloff  u.  Strecker,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXX.  17.  —    Dessaignes,  ibü 
LXXXIX.  8de.     Debus,  ibid.  C.  1;    Cfl.  27.     Wurtz,  ibid.   CIIL  W7. - 
Eekul6,  ibid.  CV.  286.    Perkin  u.  Duppa,  ibid.  CVITL  118. 
••)  Pogg.  Ann.  CXIL  87. 
••*)  Ann.  C^em.  Pharm.  LZZXIY.  282. 


GlfcoMove.  743 

beim  Verdunsten  weisse  sehr  zerfliessliohe  Krystde.     Dureh  Oxydation 
geht  die  Olycolsäure  leicht  in  Oxalsäure  aber. 

Glycolsaure  Salze.  Die  bis  jetzt  bekannten  Salze  der  Glycolsftnre  ent- 
halten nur  ein  Aeqnlvalent  Metall.  Das  Kalks  alz:  OsHyCaOs  ist  in  kaltem  Was- 
ser sehr  wenig  löslich,  es  scheidet  sich  beim  Erkalten  der  heissen  Lösung  in  fei- 
nen sternförmig  vereinigten  Nadeln  aus.  Das  Barytsalz  ist  in  Wasser  ziemlich 
löslich  und  aus  concentrirten  Lösungen  krystallisirbar.  Das  glycolsaure  Sil- 
ber wird  als  krystallinischer  Niederschlag  erhalten,  wenn  eine  heisse  Lösung  von 
glycolsaurem  Kalk  mit  salpetersaurem  Silberozyd  versetzt  wird.  Es  löst  sich  in 
heissem  Wasser  unter  theilweiser  Zersetzung  und  Reduction  von  Silber.  Das 
Kupfer  salz  wird  erhalten,  indem  man  eine  heisse  Lösung  von  Glycolsaure,  einem 
glycolsauren  Salz  oder  auch  direct  eine  heisse  Lösung  von  dem  durch  Hitze  zer- 
setzten mon^chloressigsauren  Salz  mit  Kupfervitriollösung  versetzt;  es  scheidet 
sich  beim  Erkalten  als  grünblaues  Krystallpulver  aus. 

Aether  der  Glycolsaure  sind  bis  jetzt  nicht  aus  Olycolsfture  1071. 
dargestellt  worden,  aber  man  kennt  Aethersäuren  der  Olycols&ure, 
in  welchen  der  nichtmetallische  Wasserstoff  der  Olycols&ure  durch  Alko- 
holradicale  ersetzt  ist  (vgl.  §.  1061).  Man  erhält  diese  Verbindungen 
durch  eine  Reaction,  welche  der  Bildung  der  Glycols&ure  aus  Honoohlor- 
essigsänre  völlig  analog  ist,  n&mlich  durch  Einwirkung  von  monochlor^ 
essigsaurem  Natron  auf  Natriummethylat  oder  Natriumäthylat    Z.  B.: 

Monochloressigsaures  Natrium-        Methylglycol- 

Natron.  methylat       saures  Natron. 

Naf^     -  jj^[e      eH,p    -    eaHa0         +    NaCL 

n4^ 

Ileintz*)  hat  auf  diese  Weise  dieMethylglycolsäure,  Aethyl- 
glycolsäure  und  Amyl glycolsaure  dargestellt  und  verschiedene 
Salze  dieser  Säuren  untersucht.  Die  Säuren  sind  ohne  Zersetsung  destil- 
lirbar. 

Beim  Kochen  mit  Kalilauge  erleiden  diese  Säuren  keine  Zersetzung.  Es  er- 
gibt sich  dies  aus  den  §.  1062  mitgetheilten  Betrachtungen  und  daraus,  dass  die 
Glycolsaure  keine  Salze  mit  zwei  Aequivalent  Metall  bildet 

IT 

G  HBrO ) 
Monobromglycolsäure:      '      g  > O3  entsteht,  nach Perkin  und 

Duppa,  durch  Zersetzung  des  bibromessigsauren  Silbers  ($.  875). 

Di  glycolsaure.    Durch  Oxydation  des  Diäthylenalkohols  ($.966)  1079« 
mittelst  Platinmohr  oder  Salpetersäure   erhielt  Wurtz**)   die  Diglyool* 
säure: 


•)  Pogg,  Ann.  CIX.  801,  470.    CXI.  662. 
**)  Ann.  Ghem.  Pharm.  CXVIL  186. 


744  Zweiatomig«  Sttaren:  6nHsa0a* 


N&thylcnalkohol. 

Diglyoolsinre. 

e,H,e  ö. 

Sie  iet  isomer  mit  Aepfelsäure  und  krystaliisirt  in  rhombisebei 
\n  Wasser  und  Alkohol  löslichen  Prismen :  O^B^Ö^  -f-  HjO,  die  an  treck- 
ner  Luft  verwittern.  Die  trockne  Säure  schmilzt  bei  148^,  erstarrt  beim 
JBrkalten  krystallinisch  und  zersetzt  sich  in  höherer  Temperatur. 

Das  Kalks  alz:  G^H^Caae^  4-  SH^O  krystaliisirt  in  glänzenden  Nadeli, 
4ie  in  kaltem  Wasser  fast  unlöslich  sind.  Das  Silbersalz:  Bfi^Ag^^^  ist  eii 
weisser  Niederschlag.  Ein  saures  Kalisalz:  64H5KO5  wird  durch  Zusatz  von  Di- 
glycolsäure  zur  Lösung  des  neutralen  Kalisalzes  als  krystallinischer  in  Wasser 
wenig  löslicher  Niederschlag  erhalten. 

Eine  mit  der  Digljcolsäure  offenbar  identische  und  als  Para- 
äpfelsäure  bezeichnete  Säure  wurde  von  Ueintz  bei  DarsteüuBg 
von  Glycolsäure  durch  Kochen  von  Monochloressigsäure  mit  Natronlauge 
erhalten.  Die  Bildung  der  Diglycolsäure  unter  diesen  Umständen  ist 
leicht  verständlich,  sie  erfolgt  vielleicht  durch  Vereinigung  von  2  Hol 
Olycolsäure  unter  Austritt  von  Wasser  : 


Glycolsäure.  Diglycolsäure. 


X)der  wahrscheinlich  durch  Einwirkung  von  Monochloressigsäure  auf  schoo 
gebildetes  glycolsaures  Natron: 

Glycolsaures  Monchloressig-  Diglycolsäure. 

Natron.  säure. 


*4lt«.    +    ^'tP      =      elijtj 


=         e,Hae>Os      +       NaCl. 


Heintz  erhielt   ein  sauer  reagirendes  in  grossen  Prismen  krystallisirtes  Aa- 
.   moniaksalz:  G4Hs(NH4)05  und  ein  krystallisirtes  Barytsalz:  G4H4BaaO«  -f-  H^O. 

1078,  Diglycoläthylensäure.       Von  Wurfz  ♦)    durch  Oxydation  d« 

Triäthylenalkohols  ($.  966)  mittelst  Salpetersäure  erhalten: 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXVIL  189. 


Snlfbeseigstaie.  745 

Tri&thylenalkohol.         Digljoolftthylens&ure. 

n  n 

Die  Säure  krystallisirt  erst  bei  längerem  Stehen.  Das  Kalksalz  ist  in  Was- 
ser viel  löslicher  als  diglycolsaurer  Kalk  and  krystallisirt  in  amianthähnlichen 
Nadeln. 

Olycolchlorid,     identisch     mit     Monochloracetylchlorid:  1074. 

ejHjO.Cl,  =  ejHjCie.CI.  Es  entsteht  bei  Einwirkung  von  Phosphor- 
supercblorid  auf  OJjcols&ure  und  schliesst  sich  dadurch  an  die  übrigen 
Gljcolylverbindungen  an.  Bei  anderen  Bildungsweisen  und  bei  allen  bis, 
jetzt  bekannten  Zersetzungen  verhält  sich  wie  das  Chlorid  des  einfach 
gechlorten  Acetyls.    Es  ist  $.  883  beschrieben. 


Sulfo essigsaure:  SO, . esH^e, . H^ . O,.  Zu  den  Verbindungen  1076. 
des  Radicals  der  Olycolsäure  muss  auch  die  von  Melsens*j  1842  bei 
Einwirkung  von  Schwefelsftureanhydrid  auf  Essigsäure  entstehende  Sulfo* 
essigsaure  gerechnet  werden,  die  später  von  Hof  mann  u.  Buckton**) 
auch  durch  Einwirkung  von  rauchender  Schwefelsäure  auf  Acetamid  und 
Acetonitril  erhalten  wurde. 

Die  Sulfo  essigsaure  entsteht  aus  Essigsäure  durch  eine  Reao- 
tion,  die  derjenigen,  durch  welche  aus  AlkohoJ  Isäthionsäure  (§§.  994ff.) 
gebildet  wird  vollständig  entspricht  (vgl.  auch  §§.  306,  355).  Sie  kann 
ausgedrückt  werden  durch  die  Formel: 

Typus.  Sulfoessigstture. 

H  H) 


\ 
H  ^» 


H| 

Zur  Darstellung  der  Snlfoessigsänre  sättigt  man  Eisessig  mit  Schwefelsäure- 
anhydrid, erwärmt  einige  Zeit,  verdünnt  mit  Wasser,  neutralisirt  mit  kohlensau- 
rem Blei  und  dampft  die  filtrirte  Lösung  zur  Krystallisation  ab.  Die  aus  dem  so 
erhaltenen  sulfo  essigsauren  Blei  mit  Schwefelwasserstoff  abgeschiedene  Sul- 
foessigstture bildet  zermessliche ,  bei  62'  schmelzende  Säulen.  Sie  ist  zwei- 
basisch.   Ihre  Salze  sind  meist  in  Wasser  löslich  und  krystallisirbar. 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  XLIV.  97;  LO.  276. 
••)  Ibid.  C.  141. 


746  Zweiatomige  Sftnren:  6nH2oO,. 

Die  Sulfo essigsaure  geht  beim  Erwftrmeii  mit  Sohwefelsäure- 
anhydrid  oder  mit  rauchender  Schwefelsäure  in  Disulfomethols&ure 
über  (vgl.  §.  998). 

Sie  ist  die  einzige  bis  jetzt  bekannte  Sulfosäure  der  zweiatomigen 
Radicale:  GnH^n-iO. 

La  ctyl  Verbindungen. 

1076.  Milchsäure:   G^E^e^  =  ^'^^{Oj.     Die  Milchsäure  wurde  1780 

von  Scheele  in  saurer  Milch  aufgefunden,  ihre  Zusammensetzung  wurde 
1832  von  Mitscherlich  und  von  Liebig  festgestellt. 

Die  Milchsäure  findet  sich,  wie  es  scheint,  nicht  fertig  gebildet 
im  lebenden  Pflanzen-  oder  Thierorganismus.  Sie  entsteht  aus  den  Zucker- 
arten,  aus  Gummi  und  selbst  aus  Stärkemehl  durch  eine  eigenthttmllohe 
unter  dem  Einfluss  gewisser  Fermente  stattfindende  Oährung.  Daher  ent- 
halten theilweise  zersetzte  thierische  Flüssigkeiten  und  sauer  gewordene 
Pfianzensäfte  häufig  Milchsäure.  Auch  die  Milchsäure  des  Magensaftes 
entsteht  offenbar  durch  eine  solche  Zersetzung. 

In  besonders  grosser  Menge  findet  sie  sich  z.  B.  in  saurer  Milch,  im  Sauer- 
kraut, in  Gerberlohe,  in  gegohrenem  Runkelrübensaft  etc. 

Von  den  künstlichen  Bildungsweisen  der  Milchsäure  sind 
besonders  die  folgenden  von  Interesse: 

1)  Propylgljcol  (§.970)  wird  bei  Gegenwart  von  Platinschwarz 
durch  den  Sauerstoff  der  Luft  zu  Milchsäure  oxydirt  (vgl.  SJ,  937,  1067) 
Wurtz  ♦). 

2)  Monochlorpropionsäure  ($.  895)  liefert,  wenn  ihre  Salze 
mit  Wasser  erhitzt  werden,  Milchsäure. 

3)  Alanin  (§.  1100)  zerfällt  bei  Einwirkung  von  salpetriger  Säure 
unter  Bildung  von  Milchsäure.  Strecker  ♦♦). 

Da  das  Alanin  durch  Vereinigung  von  Acet-aldehyd  und  Cyanwasserstoff 
(Nitril  der  Ameisensäure)  erzeugt  werden  kann,  so  ist  diese  Bildung  der  Milch- 
säure eine  auf  Umwegen  verwirklichte  Synthese  durch  Vereinigung  von  Aldehyd 
mit  Ameisensäure: 

Aldehyd.  Ameisensäure.  Milchsäure. 

1077.  Zur  Darstellung  der  Milchsäure  verwendet  man  gewöhnlich 
ihre  Bildung  bei  Oährung  der  Zuckerarten,  besonders  des  Rohrzuckers 
und  des  Milchzuckers.  Auch  das  Sauerkraut  ist  ein  ziemlich  ergiebiges 
Material. 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CV.  206. 
••)  ibid.  LXXV.  42. 


ttflehs&iire.  747 

Bei  DarsteUnng  der  Milchsäure  darch  Gährang  ist  za  berücksichtigen ,  dass 
diese  Gflhmng  durch  Anwesenheit  einer  grösseren  Menge  freier  S&are  verhindert 
wird.  Löst  man  z.  B.  in  Milch  noch  mehr  Milchzucker  auf  und  lässt  man  die 
Flüssigkeit  bei  Sommertemperatur  (15^  —  20®)  in  offenen  Gefössen  stehen,  so  wird 
sie  bald  sauer  und  es  verwandelt  sich  nicht  nur  der  in  der  Milch  enthaltene,  son- 
dern auch  ein  Theil  des  zugesetzten  Milchzuckers  in  Milchsäure*,  aber  man  muss 
von  Zeit  zu  Zeit  die  freie  Säure  mit  kohlensaurem  Katron  neutralisiren ,  um  allen 
Milchzucker  in  Milchsäure  überzuführen  (Boutron  und  FremyJ.  Besonders  zweck- 
mässig ist  die  folgende  Methode.  Man  löst  Rohrzucker  (8000  Gr.)  und  etwas  Wein- 
säure (16  Gr.)  in  siedendem  Wasser  (18  Liter),  lässt  mehrere  Tage  stehen,  setzt 
dann  etwa  100  Gr.  alten  Ktise,  der  in  4000  Gr.  saurer  Milch  vertheilt  ist  und 
1600  Gr.  Schlemmkreide  zu  und  überlässt  das  Gemisch,  unter  Öfterem  Umrühren, 
an  einem  etwa  80^—85®  warmen  Ort  sich  selbst  Nach  8—10  Tagen  ist  die  Masse 
zu  einem  steifen  Brei  von  milchsaurem  Kalk  erstarrt  (Bei  zu  langem  Stehen  wird 
die  Masse  wieder  flüssiger  und  es  bildet  sich  buttersaurer  Kalk,  $  896).  Man  setzt 
der  rohen  Masse  10  Liter  siedendes  Wasser  und  16  Gr.  Aetzkalk  zu,  filtrirt  und 
dampft  das  Flltrat  zur  Syrupconsistenz  ein.  Nach  einigen  Tagen  krystallisirt  der 
milchsaure  Kalk  in  kömigen  Krusten  aus.  Zur  Reinigung  wird  der  mUchsaure 
Kalk  mehrmals  mit  wenig  kaltem  Wasser  angerührt  und  ausgepresst  oder  auch 
nochmals  aus  siedendem  Wasser  krystallisirt.  —  Man  zersetzt  dann  den  in  dem 
doppelten  Gewicht  siedenden  Wassers  gelösten  milchsaiiren  Kalk  mit  verdünnter 
Schwefelsäure  (auf  1000  Gr.  des  ausgepressten  Kalksalzes  210  Gr.  concentrirte 
Schwefelsäure) ,  filtrirt  heiss  vom  niedergefallenen  Gyps  ab  und  kocht  die  Flüssig- 
keit (etwa  '/f  Stunde  lang)  mit  kohlensaurem  Zinkoxyd  (auf  je  1000  Gr.  der  zu- 
gesetzten Schwefelsäure  1400  Gr.  kohlensaures  Zinkoxyd).  Die  kochend  filtrirte 
Flüssigkeit  setzt  nach  einiger  Zeit  farblose  krystallinische  Krusten  von  milchsau- 
rem Zinkozyd  ab.  Man  löst  endlich  dieses  Zinksalz  in  7^/a  Th.  siedendem  Wasser, 
zersetzt  mit  Schwefelwasserstoffgas  und  dampft  die  abfiltrirtc  Lösung  von  Milch- 
säure zur  Syrupconsistenz  ein  (Bensch)  *). 

Statt  des  kohlensauren  Kalkes  kann,  und  die  Darstellung  wird  dadurch  ver- 
einfacht, auch  Zinkoxyd  (käufliches  Zinkweiss)  dem  Gährungsgemisch  zugesetzt 
werden.  Man  nimmt  im  Allgemeinen  die  von  Bensch  angegebenen  Verhältnisse, 
aber  man  setzt  Vs  Wasser  mehr  zu,  nimmt  statt  der  Schlemmkreide  1200  Gr.  Zink- 
ozyd und  hält  die  Temperatur  während  der  Gährung  möglichst  eonstant  auf  40* 
— 46*.  Nach  8 — 10  Tagen  ist  die  Innenwand  des  GefUsscs  mit  weissen  Krystall- 
krnsten  von  milchsaurem  Zinkoxyd  bekleidet,  welches  durch  ein-  oder  zweimali- 
ges Umkrystallisiren  aus  siedendem  Wasser  rein  erhalten  wird.  Die  aus  dem  Zink- 
salz dargestellte  Milchsäure  enthält  gewöhnlich  Mannit,  der  aus  der  concentrirten 
Säure  nur  zum  Theil  auskrystallisii-t.  Zu  seiner  Entfernung  schüttelt  man  die  noch 
wasserhaltige  Säure  mit  Aether,  hebt  die  ätherische  Lösung  ab  und  gewinnt  durch 
Verdunsten  des  Aethers  reine  Milchsäure  (Lautemann)  ••). 

Zur  Darstellung  der  Milchsäure  aus  Sauerkraut  kockt  man  dieses  mit  Was- 
ser, sättigt  das  Filtrat  mit  Zinkweiss  oder  kohlensaurem  Zinkozyd  und  erhält 
durch  Erkalten  des  eingeengten  Filtrats  milchsaures  Zinkoxyd  (Liebig). 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXI.  176. 
**)  ibid.  CZm.  242. 


748  Zweiatomige  Sftaren:  63)a0a* 

1078.  Eigenschaften.     Die  Milohs&ure   ist  in  völlig  entwässertem  Zu- 

stand eine  farblose,  sjrupdicke  Flüssigkeit  von  1,215  sp.  Gew.  (bei  20^). 
Sie  ist  sehr  hygroskopisch  und  löst  sich  in  Wasser,  Alkohol  und  Aether 
in  jedem  Verhältniss;  sie  wird  von  Aether  der  wässrigen  Lösung  entzo- 
gen. Man  hat  die  Milchsäure  bis  jetzt  nicht  in  festem  Zustand  erhalten 
können,  bei  ~  24^  ist  sie  noch  flüssig.  Beim  Erhitzen  wird  sie  zum 
Theil  zersetzt,  ein  anderer  Theil  destiilirt  unverändert  oder  wird  wahr- 
scheinlicher im  Destillat  durch  Vereinigung  der  Spaltungsprodukte  wie- 
dererzeugt. Nach  Engelhardt  siedet  die  Milchsäure  bei  raschem  Erhitzen 
an  einem  eingesenkten  Platindraht  bei  200^. 

Zersetzungen.  Wird  Milchsäure  längere  Zeit  auf  140® — 150* 
erhitzt,  so  entweicht  Wasser  und  verdünnte  Milchsäure  und  es  bleibt 
Dilactjlsäure  (§.  1085),  die  bei  weiterem  Erhitzen  (2^0®)  sich  zum 
Theil  in  Wasser  und  Lactid  (§.  1084)  spaltet,  während  ein  anderer 
Theil  zu  Wasser,  Kohlenoxjd  und  Aldehyd  zerfällt  (§.  1068).  Erhitzt 
man  Milchsäure  mit  concentrirter  Schwefelsäure,  so  entweicht  viel  Koh- 
lenoxjd, destiilirt  man  mit  Braunstein  und  Schwefelsäure,  so  entstehen 
Kohlensäure  und  Aldehyd;  setzt  man  dabei  Kochsalz  zu,  oder  destiilirt 
man  mit  Braunstein  und  Salzsäure,  so  bildet  sich  Chloral  (§.  885);  durch 
Oxydation  mit  Salpetersäure  wird  Oxalsäure  erzeugt. 

Zersetzt  man  milchsaures  Kali  durch  den  galvanischen  Strom,  so 
zerfällt  die  Milchsäure,  wie  bei  anderen  Oxydationen  in  Kohlensäure  und 
Aldehyd  (Kolbe)  *).  Durch  Reduction,  beim  Erhitzen  mit  concentrirter 
Jodwasserstofifsäure ,  geht  die  Milchsäure  direct  in  Propionsäure  über 
(Lautemann)  ♦♦), 

Diese  Reduction  scheint  in  gewissen  Bedingungen  auch  bei  Gfihnmg  milch- 
saurer Salze  stattzufinden.  Wenigstens  erhielt  Strecker,  (vgl.  §.  896)  aus  einem 
nach  der  Vorschnft  von  Bensch  dargestellten  Gährungsgemisch  neben  milchsaorem 
Kalk  und  Mannit  auch  viel  Propionsäuren  Kalk.  Gewöhnlich  entsteht  bei  längerem 
Stehen  dieses  Gährungsgemisches  wesentlich  Bnttersäure  (vgl.  §.  896),  aber  die  so 
dargestellte  Buttersäure  ist  nie  rein,  sie  enthält  meist  Essigsäure,  EVopionsäure^ 
Baldriansäure  und,  wie  es  scheint,  auch  noch  höhere  Säuren  dieser  homologen 
Reihe. 

Lässt  man  auf  Milchsäure  oder  auf  milchsauren  Kalk  rauchende 
Schwefelsäure  einwirken,  so  entsteht  Di su  1  fo m e th o  l säure  (§.  998) 
(Strecker)  *♦*).  Bei  Einwirkung  von  Phosphorsuperchlorid  auf  Milch- 
säure oder  milchsaure  Salze  wird  Lactylchlorid  (=  Chlorpropionyl- 
Chlorid  §.  1087)  erzeugt. 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXIIL  244. 
♦♦)  ibid.  CXm.  217. 
♦•♦)  ibid.  CXVm.  291. 


MUchsäure.  749 

Milchsäure   Salze  *).       Die  Milchsäure    ist   eine    starke  Säure,  1079. 
sie  treibt  die  Essigsäure  und  in  vielen  Fällen  sogar  die  Salzsäure  aus. 

In  den  gewöhnlichen  (neutralen)  milchsauren  Salzen  ist  1  Aeq. 
Wasserstoff  des  Milchsäuremolecüls  durch  Metall  ersetzt.  Man  kennt  in- 
dess  für  einzelne  Metalle,  namentlich  für  das  Zinn,  Salze,  in  welchen 
die  beiden  Wasserstoffatome  der  Milchsäure  durch  Metall  vertreten  sind. 
Man  kennt  ferner  einige  übersaure  Salze;  d.  h.  moleculare  Aneinander« 
lagerungen  von  normalem  Salz  mit  Säurehydrat  (vgl.  §.  810);  und  man 
kennt  endlich  einige  diesen  übersauren  Salzen  analoge  Doppelsalze. 

Die  milchsauron  Salze  sind  sämmtlich  in  Aether  unlöslich;  die  meisten  sind 
in  kaltem  Wasser  und  in  Alkohol  schwer  löslich. 


1)  Normale    Salze:    ^^h*^}^» 


Das  Kali-,  das  Natron-,  das  Ammoniak-  und  das  normale  Barytsalz 
der  Milchsäure  sind  in  Wasser  löslich  und  nicht  krystallisirbar. 

Milchsaurer  Kalk^  OsHsGaO,  +  2^/1  H2O  (vgl.  §.  811)  bildet  weisse 
zu  Warzen  vereinigte  Nadeln,  die  in  Alkohol  und  in  siedendem  Wasser  leicht,  in 
kaltem  Wasser  weit  weniger  löslich  sind  (9,5  Th.  Wasser). 

Mit  denjenigen  Metallen,  deren  Schwefelsäaresalze  isomorph  sind  (Vitriole), 
namentlich  mit  Magnesia,  Zink,  Eisen,  Mangan,  Kobalt  und  Nickel,  bildet  die 
Milchsäure  Salze,  die  denselben  Krystallwassergehalt  und  in  den  Eigenschaften 
grosse  Aehnlichkeit  zeigen.  Das  wichtigste  dieser  Salze  ist  das  milchsaure 
Zinkoxyd:  OjKaZne,  +  Vi  Ha0  (vgl.  §.  811),  es  bedarf  58  Th.  kalten,  6  Th. 
kochenden  Wassers  zur  Lösung  und  krystallisirt  in  glänzenden  Nadeln  oder  in 
kleinen  zu  Krusten  vereinigten  Krystallen;  es  verliert  sein  Krystallwasser  leicht 
bei  100®,  und  kann  auf  210®  erhitzt  werden  ohne  Zersetzung  zu  erleiden.  Aus 
der  heissen  Lösung  kann  das  Zink  durch  anhaltendes  Einleiten  von  Schwefelwas- 
serstoff vollständig  gefällt  werden.  Das  normale  milchsaure  Kupferoxyd 
krystallisirt  aus  Wasser  in  schön  blauen  Kry stallen ;  63H5CU0,  4~  ^a^)  die  schon 
in  trockner  Luft  ihr  Wasser  verlieren  und  bei  etwa  200®  eine  Zersetzung  erleiden, 
durch  welche  viel  Aldehyd  erzeugt  wird.  Milchsaures  Silberoxyd  ist  in 
Wasser  und  Alkohol  in  der  Kälte  wenig,  beim  Erwärmen  leicht  löslich,  es  kry- 
stallisirt in  kleinen,,  meist  warzenförmig  vereinigten  Nadeln:  63H5Ag0j  4"  HjO. 
Milchsaures  Bleioxyd  konnte  bis  jetzt  nicht  krystallisirt  erbalten  werden. 

2)  Salze  mit  zwei  Aequivalent  Metall  sind  bis  jetzt  nur  wenige  be- 
kannt. Alle  Metalle  von  stark  ausgeprägt  basischen  Eigenschaften  ersetzen  nur 
ein  Atom  Wasserstoff  der  Milchsäure;  das  zweite  Wasserstoffatom  scheint  (inUeber- 
einstimmung  mit  den  oben  entwickelten  Ansichten,  §.  1059)  nur  von  denjenigen 
Metallen  ersetzt  werden  zu  können ,  die  in  ihrer  chemischen  Natur  sich  den  Säure- 
radicalen  nähern.  EinZinn(oxydul)salz  von  der  Zusammensetzung 63H4Sn203 
wird  beim  Vermischen  einer  Lösung  von  Zinnchlorür  mit  milchsaurem  Natron  als 
weisses  Krystallpulvcr  erhalten.  Ein  Kupfersalz,  welches  wahrscheinlich 
die  Zusammensetzung  ^fi^pn^^^  zeigt,  entsteht,  wenn  Milchsäure  mit  überschtls- 
sigem,  kohlensaurem  Kupferoxyd  gekocht  wird. 


*)  Vgl.  bes.  Engelhardt  und  Maddrell.    Ann.  Chem.  Pharm.  LSHI.  88;  Brüning, 
ibid.  CIV.  191.    Strecker,  ibid.  XCL  352. 


750  Zweiatomige  Sfturen:  BtJhnB^. 

3)  Ueber saure  milchsaure  Salze  maocher  Basen  werden  dnrch  Ver- 
dunsten der  mit  Milchsäure  versetzten  Lösung  des  neutralen  Salzes  erhalten.  Man 
kennt    wesentlich    das    Barytsalz:    OsH^BaO,,  OgH^Os    und    das    Kalks  als: 

4}  Von  den  Doppel  salzen  der  Milehsfture  mögen  erwähnt  werden:  mich- 
saures  Kalkkali,  milchsaures  Kalknatron  und  milchsaurer  Zinknatron;  z.  B.: 
^sHsCaOs  -{-  C3H5KO3.  Eine  Verbindung  von  der  '  Zusammensetzang : 
OsHsGaO,,  CaCl  4~  SH9O  kann  in  wohlausgebildeten  prismatischen  Krystallen  er- 
halten werden. 

1080.  Aether  derMichs&ure*).  Die  theoretischen  Beziehungen  der 
verschiedenen  Aetherarten  der  Milchsäure  wurden  oben  besprochen 
(§.  1062)  und  es  ist  hier  nur  einiges  Thatsächliche  beizufügen. 

Michsfture- monftthyläther.  63H5 (62H5) O3.  Kann  durch 
Destillation  von  milchsaurem  Kali -Kalk  (i  Th.)  mit  äthylschwefelsaurem 
Kali  erhalten  werden  (Strecker) ;  man  erhält  ihn  leicht,  indem  man  Milch« 
säure  mit  Alkohol  auf  170®  erhitzt.  (Wurtz  und  Friedel).  Der  Aether 
ist  eine  neutrale  Flüssigkeit,  die  bei  156®  siedet  und  sich  in  Wasser 
löst,  indem  er  rasch  in  Milchsäure  und  Alkohol  zerfällt.  Er  löst  viel 
Chlorcalcium  und  gibt  damit  eine  krjstallisirende  Verbindung:  CaCI, 
46)H5(02H()0,.  Mit  weingeistigem  Ammoniak  verdunstet,  liefert  es 
Lactamid  (§.  1093). 

Es  löst  Kalium  unter  Wasserstoffentwicklung  auf  und  erseugi  so 
eine  mit  äthylmilchsaurem  Kali  (§.  1061)  isomere  Verbindung,  aus  wel- 
cher bei  Einwirkung  von  Aethyljodid  der  Milchsäurediäthjläther 
erhalten  werden  kann  (Wurtz  und  Friedel). 

1081.  Aethylmilchsäure.  e,H4(esH5)He3.  Das  Kali-  und  das  Ealk- 
salz  dieser  8äure  werden  erhalten,  wenn  Milchsäurediätjläther  mit  Kali- 
lauge oder  mit  Kalkmilch  gekocht  wird.  Das  Kalksalz  krjstallisirt  in 
weissen  Warzen,  das  Zinksalz,  trocknet  zu  einer  gummiartigen  Masse  ein. 
Das  Silbersalz  bildet  beim  Krystallisiren  aus  siedender  wässriger  Lösung 
seidenglänzende  büschelförmig  vereinigte  Nadeln  (Wurtz,  Butlerow). 

Erhitzt  man  Aethylmilchsäure  mit  concentrirter  Jodwasserstoffsäure, 
so  entsteht  (durch  Austausch  des  Aethyls  gegen  Wasserstoff)  Aethyljodid 
und  Milchsäure;  wird  Jodwasserstoffsäure  im  Ueberschuss  angewandt,  so 
tritt  statt  der  Milchsäure  Propionsäure  auf  (Butlerow). 

Lässt  man  auf  äthylmilchsaures  Silber  Aethyljodid  einwirken,  so  wird 
Milch sfturediäthyläther  erhalten  (Butlerow). 

Die  Aethylmilchsäure  entsteht  auch  (neben  Methylenjodid  und 
Acrylsfiure)  bei  Einwirkung  von  Natriiun&thylat  auf  Jodoform,    In  welcher 


*)  Vgl.  bes.  Strecker,  Ann.  Chem.  t>harm.  XCI.  852 (  —  Wurts;  ibid.  CXII. 
288',  CXVni.  825.  Anm.  und  Ann.  Chem.  Phys.LIX.  161;  —  Butlerow,  Ann. 
Chem.  Pharm.  CXIV.  206;  CXVUl.  825;  -  Wurts  u.  Friedel,  Compt  rend. 
UL  1067. 


Milchsäiire.  151 

Weise  die  Aethylmilcha&ure  bei  dieser  synthetischen  Bildung  erzeugt  wird,  ist  noch 
nicht  völlig  aufgeklärt.    Butlerow   macht  darauf  aufmerksam,   dass   sie  vielleicht 
durch  direkte  Vereinigung  von  Acryls&ure  mit  Alkohol  gebildet  würde: 
Acrylsfiure.         Alkohol  Aethylmilchsäure. 

Milcbsäuredi&thjläther.  63H4(62H5)203 ;  wird  erhalten,  wenn  1062. 
Chlormilchsäureäthyläther  (Cblorpropionsäureäthyläther   §.  1088)  auf  Na- 
triumäthjlat  einwirkt  (Wurtz). 

Er  entsteht  ferner  aus  äthylmilchsaurem  Silber  bei  Einwirkung  von 
Aethjrljodid  (Butlerow);  und  ebenso  bei  Einwirkung  von  Aethyljodid 
auf  die  aus  Milchsäuremonäthyläther  dargestellte  Kaliumverbindung  (Wurtz 
und  Friede!). 

Der  Milchsäurediäthyläther  ist  eine  angenehme  riechend  Flüssig- 
keit, die  bei  156^,5  siedet.  Er  ist  in  Wasser  unlöslich,  löslich  in  Alko- 
hol und  Aether. 

Beim  Kochen  mit  Kalilauge  oder  Kalkmilch  verliert  er  nur  das  eine 
der  beiden  Alkoholradikaie  und  zerft^llt  zu  Alkohol  und  äthjlmilchsaurem 
Salz.  Bei  Einwirkung  von  Ammoniak  findet  eine  ähnliche  Zersetzung 
statt,  durch  welche  Alkohol  und  das  Amid  der  Aethylmilchsäure  erzeugt 
wird  (§.  1093). 

Butyrylmilchsäureäthyläther  ♦).      Wenn     Chlormilchsäure-  lOÖ^- 
äthyläther  mit  buttersaurem  Kali   längere  Zeit  auf  100®  erhitzt  wird,    so 
entsteht .  der  Butyrylmilchtäureäthyläther,    als   in  Wasser  unlösliche,    in 
Alkohol  und  in  Aether  lösliche  Flüssigkeit.     Siedep.  208®. 


eje 


Er   zerfällt  beim   Erhitzen   mit  Kalilauge  zu  Alkohol,    Buttersäure 
und  Milchsäure  (Wurtz). 

Lactid**).  (Anhydrid  der  Milchsäure);  6311402  =  631140.0.  Es  1084. 
entsteht  bei  trockner  Dsstillation  der  Milchsäure.  Zu  seiner  Darstellung 
dampft  man  das  bei  langsamer  Destillation  der  Milchsäure  erhaltene  De- 
stillat bei  100<^  ein,  wäscht  mit  kaltem  Alkohol  und  krystallisirt  aus 
heissem  Alkohol  um.  Das  Lactid  krystallisirt  in  rhombischen  Tafeln,  die 
bei  etwa  100^  schmelzen;  es  siedet  bei  etwa  250^.  Es  löst  sich  nur  we- 
nig in  heissem  Wasser.  Beim  Kochen  mit  Wasser  geht  es  langsam,  bei 
Einwirkung  von  Basen    rasch  in  Milchsäure   über.     Mit  Ammoniak  er- 


•)  Würz,  Ann.  Chem.  Phwm.  CXlI.  236* 

••)  J.  Gay-Lussac  undPelouze  (188S)  Ann.  Ohem.  Pharm.  VtL  48;  Pelouze  ibid« 
LUX.  116;  Engelhardt  ibid.  UUL  248. 


753  Zweiatomige  Sfturen:  0nHte0,. 

zeugt  es  MilchsfturemoDanid  ($.  1093):  mit  Aethjlamin  Lacl&thjlamid 
(§.  1093). 

1085.  Dilactylsäure  *)     (wasserfreie    Milchsäure).      6eH|oOft.     Wenn 

man  Milchsäure  längere  Zeit  auf  130^—200  erhitzt,  so  bleibt  eine  blass- 
gelbe, amorphe,  leicht  schmelzbare  Masse,  die  beim  Kochen  mit  Wasser 
langsam ,  bei  Einwirkung  von  Alkalien  rasch  in  Milchsäure  flbergeht,  und 
bei  trockner  Destillation  zu  Lactid  und  Wasser  zerftllt. 

Dilactylsäure-monäthyläther**);  iG^^O)^(ejl^)ü.e^^  wird 
als  bei  etwa  235  siedende  Flüssigkeit  erhalten,  wenn  man  Chlormilch- 
Säureäther  mit  einer  alkoholischen  Lösung  von  milchsaurem  Kali  auf  100* 
erhitzt. 

Trilaotylsäureäther***);  (GaHAO), (esH^^ .  O4,  entsteht  dorch 
direkte  Vereinigung  yon  Lactid  (2  Mol.)  mit  Milohsäuredi&thjlätlicr 
(1  Mol.). 

Der  erstere  dieser  beiden  Aether  kann  als  saarer  Aether  der  DUactylsänre, 
der  letztere  als  neutraler  Aether  der  noch  unbekannten  Trilactylsäare  betrachtet 
werden. 

Dilactylsfture.        Dilactyls&uremon-      Trilactylsfture.        Trilactyls&oreiither. 
fithylftther. 


Ha) 


e,H4e\  ^«".*^i  ^8^4^] 

^J?1?>^«         ^»^I^^Ut  ^Ä^U^ 


1066.  Lac  tont);  O^H^Oj.    Bei  Destillation  von  Milchsäure  entsteht  neben  Lactid 

noch  eine  bei  etwa  92®  siedende  Flüssigkeit  von  aromatischem  Geruch.    Das  Lae- 
ton  steht  zur  Milchsäure  in  ähnlicher  Beziehung  wie  das  Aceton  zur  Essigsäure  ff), 
seine  Bildung  erklärt  sich  aus  der  Gleichung: 
Milchsäure.  Lacton. 

2e,H.e3  =  eaHgOa  +  ee,  +  2Hje. 

1087.  Lactylchlorid fff)  63H4O . Glj  (identisch  mit  Chlorpropionylchlo- 


•)  Pelouze  (1845)  Ann.  Chem.  Pharm.  LIIl.  112j  Engelhardt,  ibid.  LXX.  241. 
••)  Wurtz  und  Friedel,  Compt  rend.  LH.  1070. 
♦••)  Wurtz  und  Friedd,  ibid. 

t)  Pelouze,  Ann.  Chem.  Pharm.  LIIL  118. 
tt)  Die  Beziehung  des  Lactons  zur  Milchsäure  unterscheidet  sich  von  derjenigen 
des  Acetons   zur  Essigsäure  genau  wie  die  Beziehung  der  salicyligen  Säure 
(Halbaldehyd)  zur  Salicylsäure  von  derjenigen  des  Aldehyds  zar  Essigs&are. 
—  Das  Lacton  kann  demnach  durch  die  Formel  ausgedrückt  werden: 
Lacton.  Typus. 

0sH4e  ) 
ttt)  Wnrts,  Ann.  Chem.  Pharm.  CVII.  192;  Ubich,  ibid.  CIX.  268. 


HÜchsfture.  753 

rid:  63H4CIO.CI).  Durch  Destillation  Yon  milchsaurem  Kalk  mit  dem 
doppelten  Gewicht  Phosphorsuperchlorid  erhält  man  das  mit  Phosphor- 
oxychlorid  gemengte  Chlorid  der  Milchsäure,  dessen  Reindarstellung  bia 
jetzt  nicht  gelang,  weil  es  bei  der  Destillation  theilweise  Zersetzung  er- 
leidet. 

Das  Lactjichlorid  zerfällt  mit  Wasser  zu  Salzsäure  und  Chlorpro- 
pionsäure (§.  895),  es  verhält  sich  also  wie  Monochlorpropionylchlorid. 
Mit  Wasser  und  Zink  liefert  es  durch  Rückwärtssubstitution  der  anfangs 
gebildeten  Monochlorpropionsäure  Propionsäure;  beim  Erhitzen  mit  Kali- 
hjdrat  erzeugt  es  Milchsäure.  Lässt  man  Lactjichlorid  auf  Alkohol  ein- 
wirken, so  entsteht  Chlormilchsäureäther. 

Chlormilchsäureäther,        Chlorpropionsäureäther    *);  108& 
63H4C1.H.(62H5).6.    Man  erhält  diesen  Aether  leicht,    indem  man  das 
bei  Destillation  von  milchsaurem  Kalk  mit  Phosphorsuperchlorid  erhaltene 
Product   in   Alkohol  giesst  und   dann   mit  Wasser  fUUt.    Der  gereinigte 
Aether  ist  eine  aromatisch  riechende  Flüssigkeit,  die  bei  143®  siedet. 

Der  Chlorpropionsäureäther  gibt  mit  Alkalien  Chlorpropionsäure;  bei 
längerer  Einwirkung  von  Zink  und  Wasser  direct  Propionsäure.  Mit 
Natriumäthylat  erzeugt  er  Milchsäurediäthjläther  (§.  1082);  mit  milch- 
saurem Kali  Dilactylsäuremonäthyläther  (§.  1085);  mit  buttersaurem  Kali 
erhitzt  bildet  er  Butylmilchsäureäthjläther  (§.  1083). 

Paramilchsäure,  Fleischmilchsäure**).  Berzelins  ent-  1069. 
deckte  1806  im  Muskelfleisch  eine  Säure,  die  er  für  identisch  mit  der  aus 
saurer  Milch  dargestellten  Milchsäure  hielt.  Liebig  zog  dieses  Vorkommen 
in  Zweifel,  indem  er  namentlich  darauf  aufmerksam  machte,  dass  die 
von  Berzelius  gefundenen  Thatsachen  nicht  hinreichten  die  Identität  bei- 
der Säuren  festzustellen.  1847  zeigte  dann  Lieb  ig,  dass  die  Fleisch- 
flttssigkeit  allerdings  eine  Säure  enthält,  die  mit  der  gewöhnlichen  Milch- 
säure gleiche  Zusammensetzung  zeigt  und  mit  ihr  in  vielen  Eigenschaften 
übereinstimmt  in  anderen  Eigenschaften  dagegen  wesentliche  Verschie- 
denheit zeigt.  Strecker  fand  1858,  dass  die  Fleischmilohsäure  durch 
längeres  Erhitzen  auf  130^  — 140®  und  Auflösen  der  gebildeten  wasser- 
freien Milchsäure  in  Wasser  in  gewöhnliche  Milchsäure  übergeführt 
werden  kann. 

Zur  DarsteUang  der  Paramilchsäare  laugt  man  zerhacktes  Fleisch  mit  kal« 
tem  Wasser  oder  verdünntem  Weingeist  aus,  versetzt  mit  Barytwasser,  coagulirt 
das  Albumin  durch  Kochen,  fUtrirt  nnd  dampft  ein.    Dem  syrupartigen  Rückstand 


*)  Wurt£,  Ann.  Chem.  Pharm.  CVIt.  194;  übrich,  ibid.  CIX.  268. 
••)  Liebig,  Ann.  Chem.  Pharm.  T.XTL  278  und  826.  —    Engelhardt,  ibid.  LZV. 

269;    Heintz,  Pogg.    Ann.  LXXV.  391.   —    Strecker,    Ann.   Chem.  Pharm. 

CV.  818. 
KeksU,  org«B.  Cheai«.  43 


754  Zweiatomige  Säuren:  6nH2a03. 

setzt  man  Schwefelsäure  zu ,  schüttelt  mit  Aether  und  erhält  durch  Verdunsten  der 
ätherischen  Lösung  die  fleischmilchsüure.  Sollen  gleichzeitig  die  übrigen  im  Mus- 
kelfleisch enthaltenen  Stoffe  gewonnen  werden.,  so  muss  dos  Verfahren  etwas  ab- 
geändert werden.  Die  Milchsäure  ist  dann,  nachdem  Kreatin,  inosinsaurer  Baryt 
etc.  auskrystallisirt  sind,  in  der  letzten  Mutterlauge  enthalten. 

Die  Fleisohmilchsäure  ist  der  gewöhnlichen  Hilchs&ure  sehr 
ähnlich;  sie  bleibt  wie  diese  beim  Verdunsten  ihrer  Lösung  als  unkry- 
stallisirbarer  Syrup. 

Einige  Salze  der  Fleisch milchsäure  weichen  von  den  entsprechenden  Salzen 
der  gewöhnlichen  Milchsäure  in  Löslichkeit  und  in  Krystallwassergehalt  ab.  So 
enthält  der  paramilchsaure  Kalk  (GsHsCaOs -^  2H2O)  weniger  Erystailwasser 
als  der  milchsaure  Kalk  und  ist  in  Wasser  weniger  löslich.  Das  Zinksalz  der 
Fleischmilchsäure  (G^H^Zn^j  -f"  ^2^)  enthält  weniger  Wasser  als  das  der  ge- 
wöhnlichen Milchsäure,  ist  aber  in  Wasser  und  auch  in  Alkohol  weit  löslicher  als 
dieses.    Anch  das  Magnesiasalz  und  das  Kupfersalz  zeigen  Verschiedenheiten. 

1090.  Ozybuttersäure,  Acetons äure,  Butylact]n8äure:64Hg03  = 

•  « 

G  H  Oi 
^   IT  {^s-    ^^  ^i°^   ^^^^  Säuren  bekannt,    die  sich   von  der  Milchsäare 

nur  durch  einen  Mehrgehalt  von  OH)  unterscheiden.  Die  erste,  Aceton- 
säure,  wurde  von  Städeler  *)  durch  eine  synthetische  Reaction  aus 
Aceton  dargestellt;  die  Butylactinsäure  erhielt  Wurtz**)  durch  Oxyda- 
tion des  Amylglycols;  die  Oxybuttersäure  endlich  stellten  Friedel  und 
Machuca  ***)  und  gleichzeitig  Naumann  f)  durch  Zersetzung  der  Ho- 
nobrombuttersäure  dar.  Nach  den  bis  jetzt  vorliegenden  Angaben  schei- 
nen Acetons&ure  und  Butylactinsäure  identisch,  die  Oxybuttersäure  aber 
von  beiden  verschieden  zu  sein.  Da  indess  diese  drei  Säuren  bis  jetzt 
nur  wenig  untersucht  sind,  so  ist  weder  ihre  Verschiedenheit  noch  ihre 
Identität  mit  Sicherheit  festgestellt. 

Acetonsäure.  Wenn  Aceton  mit  wässriger  Blausäure  und  Salzsäure  ver- 
mischt, die  Mischung  nach  längerem  Stehen  gekocht  und  dann  im  Wasserbad  ein- 
gedampft wird,  so  bleibt  ein  bräunlicher  Syrup,  der  allmälig  krystallinisch  erstarrt 
und  aus  einem  Gemenge  von  Salmiak  und  Acetonsäure  besteht.  Die  Acetonsäure 
wird  mit  Aether  ausgezogen  und  aus  Wasser  oder  Aether  umkrystallisirt  Sie 
bildet  kleine  luftbeständige  Prismen.  Das  Zinksalz:  B^U^ZnO,  -f*  ^a^  krystalli- 
sirt  in  dünnen  sechsseitigen  Tafeln  oder  Prismen,  es  ist  in  kaltem  Wasser  wenig 
in  Alkohol  und  Aether  nicht  löslich.  Das  Barytsalz  ist  in  Wasser  und  Alkohol 
leicht  löslich,  es  krystallisirt  in  Nadeln  oder  in  feinen  Prismen.  Die  Bildung  der 
Acetonsäure  erklärt  sich  aus  der  Gleichung: 

Aceton.  Blausäure.  Acetonsäure. 

ejH.e  4.     eNH     +  2H,0  +  HCl  =  e^e,  +  nb^ci. 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXI.  820. 
•♦)  ibid.  CVIL  197. 
•••)  Compt.  rend.  UL  127. 
t)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXIX.  116. 


Lencinsäare.  755 

Die  Acetonsftore  entsteht  demnach   durch   eine   auf  indirectem  Weg  verwirklichte 
Vereinigung  von  Aceton  mit  Ameisensfture  (vgl.  §.  1076). 

Butylactinsäure.  Wurtz  erhielt  diese  S&ure,  indem  er  Amylglycol 
(14  Grm.)  mit  Salpetersäure  (30  Grm.)  und  Wasser  (42  Grm  )  gelinde  erwftrmte 
und  die  Flüssigkeit  im  leeren  Raum  Über  Actzkalk  verdunsten  Hess.  Aus  dem 
syrnpartigen  Rückstand  wurde  ein  unkrystallisirbares  Barytsalz  dargestellt,  das  in 
Wasser  und  verdünntem  Alkohol  leicht,  in  absolutem  Alkohol  und  in  Aether  nicht 
löslich  ist.  Die  aus  dem  Barytsalz  abgeschiedene  Säure  gibt  ein  warzenförmig 
krystallisirendes  Kalksalz  und  ein  in  glänzenden  Blftttchen  krystallisirendes  Zink- 
salz: 64H-,Zn03  4"  ^a^^  welches  in  absoluten  Alkohol  fast  unlöslich  ist. 

Oxybuttersäure.  Wenn  Monobrombuttersfiure  bei  Gegenwart  von  Was- 
ser mit  der  zur  Sättigung  des  Broms  nöthigen  Menge  Silberozyd  erwärmt  wird, 
so  entsteht  eine  in  strahligen  Warzen  krystallisirende  Säure,  die  ausnehmend  zer- 
fliesslich  ist  und  deren  Zinksalz  in  harten  Krystallwarzen  erhalten  wird.  (Friedel 
und  Machuca).  —  Naumann  erhielt  dieselbe  Säure  indem  er  Monobrombutter- 
säure  mit  überschüssiger  Natronlauge  längere  Zeit  erhitzte,  nach  üebersättigen 
mit  Schwefelsäure  mit  Aether  schüttelte  und  aus  der  in  Aether  gelösten  Säure  das 
Zinksalz  darstellte.  Das  so  erhaltene  butylactinsaure  Zink,  OfiiZuB^-^-E^B^ 
bildet  weisse  Krystallblättchen ,  die  sich  leicht  in  heissem,  wenig  in  kaltem  Was- 
ser lösen  und  in  Alkohol  und  Aether  fast  unlöslich  sind.  Die  ans  dem  Zinksalz 
mit  Schwefelwasserstoff  dargestellte  Butylactinsaure  ist  krystallisirbar  und  sehr 
zerfliesslich. 

Leucins&ure:    O^HijOa.     Die   Leucinsäare    wurde    zuerst   yon  1091. 
Strecker*)  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  auf  Leucin  darge- 
stellt.   Oössmann  **)   erhielt    sie  dann   durch  Behandeln  einer  alkali- 
schen Leucinlösung    mit  Chlorgas.      Sie    wurde    in   neuerer  2^eit    von 
"Waage  *♦♦)  genauer  untersucht. 

Zur  Darstellung  von  Lcucinsäure  leitet  man  salpetrige  Säure  in  eine  mit 
Salpetersäure  schwach  angesäuerte  wässrige  Lösung  von  Leucin,  schüttelt  mit 
Aether  und  dampft  die  ätherischen  Auszüge  ein.  Es  bleibt  eine  braune  ölartige 
mit  Wasser  nicht  mischbare  Flüssigkeit,  die  bei  längcrem  Stehen  zu  strahlig  kry- 
stallinischer  Masse  erstarrt.  Nur  Reinigung  stellt  man  am  besten  das  Zinksalz  dar 
und  zersetzt  das  in  Alkohol  suspendirte  Salz  mit  Schwefelwasserstoif. 

Die  Leucinsfture  krystallisirt  in  farblosen  Nadeln,  die  bei  729 
schmelzen  und  schon  bei  etwa  100®  sublimiren.  Sie  ist  in  Wasser 
Alkohol  und  Aether  leicht  löslich.  Bei  l&ngerem  Erhitzen  zerftlllt  sie  in 
Wasser  und  ein  krystallinisches  noch  nicht  näher  untersuchtes  An- 
hydrid. 

Die  Salze  der  Leucinsfture  sind  in  Wasser  weniger ,  in  Alkohol  leicb« 
ter  löslich  als  die  entsprechenden  Salze  der  Milchsäure. 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXVIIL  65. 
••)  ibid.  XCL  136. 
•••)  ibid.  CXVni.  296. 

48 


756  Amide  der  Radicale:  OhHid-ie^. 

Dm  Zinksftlz  bildet  seidenglftozende  sehr  leichte  Schuppen:  B^BnZa^^  •f' 
^/jH^O.  Die  Alkalisalze  sind  nnkrystallisirbar;  das  Kalksais  bildet  in  Wasser  und 
Alkohol  leicht  lösliche  Nadeln;  das  Barytsalz  wird  in  seidenglänzenden  Blftttchen 
erhalten,  die  in  wannen  Wasser  und  Alkohol  ziemlich  löslich  sind.  Das  Kapfer- 
salz  ist  in  Wasser  wenig  löslich,  es  kann  aus  siedendem  Alkohol  umkrystallisirt 
werden.    Das  Silbersalz  ist  in  siedendem  Wasser  löslich. 


Amide  der  Radicale:    OnHan-?^. 

1092.  Es  wurde  oben  (§.  1065)   erwähnt,   dass  sich  von  der  Gljcolsäore 

und  ebenso  von  der  Milchsäure  drei  verschiedene  Amide  ableiten,  welche 
beispielsweise  durch  die  folgenden  Formeln  ausgedrückt  werden  können: 

^0 


Lactamin./    („!.)      e,H,0 
säure.      V  Hf« 

^  H|^    I  Milchsäure- 

eaH4e(        /  diamid. 

(IL)  H  N 

H' 

Uilchsäure- 
monamid. 

Die  Di  amide  sind  bis  jetzt  nicht  bekannt. 

Die  Aminsäuren:  Glycolaminsäure (Glycocoll)  und  Lactamins&are 
(Alanin),  können  aus  den  oben  (§.  1065)  erörterten  Gründen  nicht  direct 
aus  Glycolsäure  und  aus  Milchsäure  erhalten  werden;  sie  entstehen  aas 
den  diesen  Säuren  entsprechenden  Ghlorhydraten ,  d.  h.  ans  Monochlor- 
essigsaure  und  aus  Monochlorpropionsäure. 

Die  Monamide  sind  mit  diesen  Aminsäuren  metamer.  Sie  ent- 
stehen aus  den  Ammoniaksalzen  der  Glycolsäure  und  der  Milchsäure 
durch  Austritt  von  Wasser;  sie  bilden  sich  durch  Vereinigung  von  Am- 
moniak mit  den  Anhydriden  der  Glycolsäure  und  der  Milchsäure;  sie  ent- 
stehen endlich  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  Milchsfturemonätbyl- 
äther  etc.  Sie  unterscheiden  sich  von  den  isomeren  Aminsäuren  wesentlich 
dadurch,  dass  sie  beim  Kochen  mit  Alkalien  oder  Säuren  zerfallen,  indem 
sie  sich  unter  Aufnahme  von  Wasser  zu  Ammoniak  und  der  betreffenden 
Säure  spalten. 

Mit  den  Aminsäuren  und  den  metameren  Monamiden  der  zweiatomigen  Sau- 
ren sind  ausserdem  noch  zahlreiche  andere  Substanzen  isomer.    So  z.  B.  mit  GQy- 


Laetamld.  757 

cocoU  und  mit  Glycolamid  der  Salpetrigsäareätbylttther  (§.  687),  der  Carbamin- 
säoremethyläther  und  die  Methylcarbaminsänre  (J.  1018). 


Wir  stellen  zuD&chst  das  Wenige  zusammen ,  welches  über  die  aus  1098. 
Oljcolsfture  und  Hilchs&ure  direct  darstellbaren  Monamide  bekannt  ist 

Olyeols&uremonamid  (Glycolamid)  63H5N62.  L&sst  man  trock- 
nes  Ammoniak  auf  Glycolid  (§.  1069)  einwirken,  so  erhält  man  farblose 
Ery  stalle ,  die  leicht  in  Wasser,  wenig  in  Alkohol  löslich  sind.  Beim 
Kochen  mit  Kali  zerflillt  das  Glycolamid  zu  Ammoniak  und  Glycolsäure. 

Dieselbe  Substanz  entsteht  auch,  wenn  saures  tartronsaures  Ammo- 
niak längere  Zeit  auf  150®  erhitzt  wird  (Dessaignes)  *).  —  Das  Glycol- 
amid ist  isomer  mit  Glycocolt  ($.  1099). 

Milchsäuremonamid  (Lactamid)  63H7NO2,  wurde  von  Fe- 
lo uze  **)  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  Lactid  (§.  1084)  erhal- 
ten. Man  bereitet  es,  nach  Brüning***),  indem  man  Hilchsäuremon- 
äthyläther  (§.  1080)  mit  Ammoniak  sättigt  und  einige  Zeit  stehen  lässt. 
Es  bildet  kleine  Prismen ,  die  in  Wasser  und  Alkohol  leicht  lOslich  sind 
und  die  sich  weder  mit  Basen  noch  mit  Säuren  verbinden.  Beim  Kochen 
mit  Alkalien  oder  Säuren  zer&llt  es  zu  Ammoniak  und  Milchsäure.  — 
Es  ist  metamer  mit  Alanin  (§.  1100). 

Aethylmilchsfiureamid  (Lactamethan):  6,H9(63Hs)NG3  (vgl  §.  1066). 
Sättigt  man  eine  alkoholische  Lösung  von  Hilchsäuredifithyläther  ($.  1082)  mit 
Ammoniak  und  lässt  einige  Tage  stehen  so  bildet  sich'  dieses  Amid,  welches  in 
schönen  glänzenden  Blättern  krystallisirt,  die  schmelzbar  und  in  Wasser  und  Al- 
kohol löslich  sind  (Wurtz)  f ). 

Milchsäureäthylamid  (Lactftthylamid) :  6,H«(G2H,)NG3.  Lässt  man 
Aethylamin  auf  Lactid  einwirken,  so  erhält  man  bei  48®  schmdzbare  Krystalle, 
die  bei  260®  sieden  und  beim  Kochen  mit  Alkalien  zu  Milchsäure  und  Aethylamin 
zerfallen  (Friedel  und  Wurtz)  +f ).    Es  ist  mit  der  vorigen  Verbindung  isomer. 

S.  g.  Lactaminsaures  Ammoniak:  GeHi^NjO^.  Pelouze  erhielt  durch 
Einwirkung  von  ti'ocknem  Ammoniak  auf  wasserfreie  Milchsäure  (Dilactylsäure 
§.  1085)  eine  weisse  Substanz,  in  welcher,  nach  Laurent,  nur  ein  Theil  des  Ammo- 
niaks in  der  Kälte  durch  Platinchiorid  gefKUt  wird,  während  der  andere  Theil  des 
Ammoniaks  ci-st  durch  längeres  Kochen  ausgefällt  werden  kann.  Da  die  Dilactyl- 
säure als  eine  Verbindung  von  Jjactid  mit  Milchsäure  betrachtet  werden  kann,  so 
ist  das  8.  g.  lactaminsaure  Ammoniak  wahrscheinlich  eine  Verbindung  oder  auch 
nur  ein  Gemenge  von  Milchsäuremonamid  mit  milchsaurem  Ammoniak. 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXXIX.  889. 
••)  ibid.  LUI.  112. 
♦••)  ibid.  CIV.  197. 

+)  ibid.  CXIL  284. 
tt)  Compt  rend.  LU.  1069. 


758  Amide  der  Radicale:  6&H«ii-.20. 

1094.  Aminsäuren  der  Radicale:  GnH^n-^O  (Glycine).  Die  Be- 
ziehiingen,  welche  diese  Körper  mit  den  einbasischen  Säuren  der  Fett- 
sfturereihe  und  mit  den  zweiatomigen  Säuren  der  Hilchsäurereihe  verknflpfen 
sind  oben  (§$.  1065,  1092)  ausführlich  erörtert  worden.  Es  wurde  ge- 
zeigt, dass  sie  nach  Eigenschaften  und  Zusammensetzung  als  die  der  61j- 
colsäure  und  Milchsäure  entsprechenden  Aminsäuren  betrachtet  werden 
können;  es  wurde  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  sie  von  einem  ge- 
wissen Gesichtspunkte  aus  als  Amidosubstitutionsproducte  der  einbasi- 
schen (fetten)  Säuren  angesehen  werden  können. 

Die  jetzt  bekannten  Verbindungen  dieser  Gruppe  sind  *) : 

GlycocoU         GjHj  NO, 
Alanin  6,87  NO, 

Butalanin         G^HiiNO, 
Leucin  O^Hi^NO, 

1095.  Bildung  und  Vorkommen  der  Glycine.  Diese  Körper  kön- 
nen durch  zwei  in  theoretischer  Hinsicht  sehr  interessante  Reactionen  er- 
zengt werden: 

1)  Die  einfiiöh  gechlorten  oder  gebromten  Säuren  der  Essigsänre- 
reihe,  welche  (vgl.  $.  1063)  gleichzeitig  als  Ghlorhydrate  oder  Bromhydrate 
der  zweiatomigen  Säuren  der  Milchsäurereihe  betrachtet  werden  können, 
liefern  beim  Erhitzen  mit  Ammoniak  Glycine.  Man  hat  so  die  Essigsäure 
in  GlycocoU**)  und  den  aus  Milchsäure  dargestellten  Ghlorpropion- 
Säureäther  in  Alanin***)  umgewandelt. 

Die  Reaction  wird  ausgedrückt  durch  die  Gleichung: 

GACIG,      +      2NH,      =      eaHjNGa      +      NH4CL 
Monochloressigsäure.  Glycocoll. 


oder: 


GAG 


G^Gv 


+      HCl. 


Die  letztere  Gleichung  zeigt,  dass  der  in  der  Monochloressigsäure  mit  einem 
Atom  Chlor  'verbundene  Rest  ein  Atom  Wasserstoff  des  Ammoniaks  ersetzt^  wie 
dies  bei  Einwirkung  der  Chloride  auf  Ammoniak  gewöhnlich  geschieht. 


*)  Eine  fünfte  dieser  Reihe  angehörige  Substanz:  GsHi^NGj  scheint,  nach  Er- 
lenmeyer und  Schöffer,   synthetisch  aus  Blausäure  und  Oenanthol  erhalten 
werden  zu  können  (Jahresb.  1859.  866). 
**)  Ferkln  u.  Duppa,  Ann.  Chem.  Pharm.  CYIÜ.  118-,  Gahours,  ibid.  CVIL  148. 
•••)  Kolbe,  ibid.  CXffl.  220. 


Glydne.  759 

2)  Aas  den  Aldehyden  der  fetten  S&uren  können  die  nm  ein  Atom  1096. 
Kohlenstoff  reicheren  Glycine  synthetisch    dargestellt  werden,  indem 
man  die  Ammoniakverbindungen   der  Aldehyde  mit  Blaus&ure  und  Salz- 
säure eindampft 

In  dieser  Weise  ist  aus  Acet-aldehyd  das  Alanin  *)  und  später  aus 
Yaleraldehyd  das  Leucin  ♦*)  dargestellt  worden. 

Die  Reaction  wird  ausgedrückt  durch  die  Gleichung: 

Aldehydammoniak.  Alanin. 

^'n*^|     +    ^^^    +    ^»^    +    ^^    ="    e,H,N0a    4-    NH4CI 

sie  wird  besser  verständlich,   wenn  man   sich  der  folgenden  Formeln  bedient,   in 
welchen  das  Aldehydammoniak  in  der  §.  840  angegebenen  Weise  geschrieben  ist, 

während  das  zweiatomige  Radical  (63H4O)  des  Alanins  nach  den  §.  1000  mitge- 
theilten  Grundsätzen  weiter  aufgelöst  wird. 

Aldehydammoniak.  Alanin. 

e  H  '^     +    ^^^  +  ^»^  +  "^^    =    ««hA       +    ^"*^^- 

Man  kann  nämlich  die  Reaction  in  folgender  Weise  auffassen:  unter  dem 
Einflass  der  Salzsäure  nimmt  die  Blausäure  (Nitril  der  Ameisensäure)  Wasser  auf, 
das  gebildete  Ammoniak  vereinigt  sich  mit  der  Salzsäure,  während  das  Radical  der 
Ameisensäure  in  das  Aldehydammoniak  eintritt. 

3)  Die  meisten  Glycine  (OlycocoU,  Butalanin,  Leucin)  kommen  fer-  1097. 
tig  gebildet  im  thierischen  Organismus  vor.     Das  Glycocoll  und  das  Leu- 
cin sind  ausserdem   häufig  auftretende  Zersetzungsproducte   stickstoffhal- 
tiger Körper  von  complicirterer  Zusammensetzung,  namentlich  der  eiweiss- 
artigen  Körper  und  der  Leimsubstanzen. 

Eigenschaften.     Die  Glycine  vereinigen,    wie  dies  ihre  typische  1098. 
Formel  ausdrückt,   die  Eigenschaften   einer  Säure  und  die  einer  Ammo- 
niakbase«    Das  heisst  sie  verbinden  sich  einerseits  direct  mit  Säuren  und 
sind  andererseits  Ahig  ein  Atom  Wasserstoff  gegen  die  äquivalente  Menge 
Metall  auszutauschen.    Sie  verbinden  sich  ferner  mit  einigen  Salzen. 

Zersetzungen.  Von  den  Zersetzungen  der  Glycine  ist  die  fol- 
gende von  besonderem  Interesse,  weil  sie  diese  Körper  als  amidartige 
Verbindungen  der  zweiatomigen  Säuren  der  Milchsäurereihe  charakteri- 
sirt  Lässt  man  salpetrige  Säure  auf  ein  Glycin  einwirken  so  entweicht 
der  Stickstoff  des  Glycins  gleichzeitig  mit  dem  der  salpetrigen  Säure  und 


•)  Strecker,  Ann.  Chem.  Pharm.  LZXV.  27. 
•«)  Limpricht,  ibid.  XCIV.  243. 


T60  Amide  der  Radicale:  6nHfto-iE0. 

es  entsteht  diejenige  zweiatomige  Säure,  deren  entsprechende  Amins&nre 
angewandt  wurde.    Z.  B. : 

Alanin.  MilchBäure. 

Gegen  Alkalien  zeigen  die  Oljoine  eine  grosse  Beständigkeit;  sie 
werden  selbst  beim  Kochen  nicht  zu  Ammoniak  und  der  entsprechenden 
zweiatomigen  Säure  zersetzt.  Sie  unterscheiden  sich  dadurch  wesentlich 
von  den  isomeren  Monamiden  (vgl.  jj.  1092  ff.). 

Bei  vielen  Zersetzungen  der  Glycine  wird  ein  Atom  Kohlenstoff  als 
Kohlensäure  eliminirt  und  es  entsteht  gleichzeitig  eine  Verbindung,  die 
sich  von  dem  um  ein  Atom  Kohlenstoff  ärmeren  Alkohol  oder  der  ent- 
sprechenden fetten  Säure  ableitet. 

Die  Glycine  zerfallen  z.  B.  bei  trockner  Destillation  oder  bei  Destil- 
lation mit  Aetzbaryt  in  Kohlensäure  und  eine  Aminbase: 

Alanin.  Aethylamin. 


e,H4eje 


ms    -f-    ee. 


(Schreibt  man  das  Alanin  mit  der  oben  benützten,  das  Radical  OaH«^  wei* 
ter  auflösenden  Formel  (§.  1096),  so  erscheint  diese  Zersetzung  als  Austritt  von 
Carbonylozyd  und  Uebergang  des  zweiatomigen  ß^^^  in  das  einatomige  63H5). 

Schmilzt  man  die  Glycine  mit  Kalihydrat  so  entweicht  Ammoniak 
und  der  Rückstand  enthält  Cyankalium  und  das  Salz  einer  fetten  Säure. 

Durch  oxydirende  Substanzen  wird  häufig,  unter  Austritt  von  Koh- 
lensäure, das  Nitril  einer  fetten  Säure  erzeugt. 

Alle  diese  Zersetzungen  sind  bei  den  einzelnen  Glycinen  noch  be- 
sonders erwähnt. 


1099.  GlycocoU,   Glycin,  Leimzucker:  GjHsNOj.     Das   GlyeoooU 

wurde  1820  von  Braconnot  durch  Zersetzung  des  thierischen  Leims 
mittelst  Schwefelsäure  erhalten.  Dessaignes*)  bereitete  es  1846  durch 
Spaltung  der  Hippursäure.  Strecker**)  fand  1848,  dass  die  in  der 
Ochsengalle  vorkommende  Glycoch Ölsäure  beim  Kochen  mit  Säuren  oder 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  LVUI.  322. 
••)  ibid.  LXV.  180.    LXVU.  16. 


GlycocoU.  76  t 

Basen  eu  Cholsftare  und  Olycocoll  zerf&llt.  Die  künstliche  Bildung  des 
Olycocolls  aus  Essigsäure  wurde  1858  von  Perkin  und  Duppa  *j 
entdeckt.  Diese  Chemiker  lehrten,  dass  Monobromessigsäure  beim  Er- 
hitzen mit  Ammoniak  Olycocoll  erzeugt.  Cahours**)  fand  dann,  dass 
die  Monochloressigsäure  bei  derselben  Behandlung  ebenfalls  Olycocoll 
liefert. 

Zur  Darstellung  des  GlycocoUs  eignet  sich  besonders  die  Bippursäure. 
Man  kocht  diese  Säure  (etwa  '/a  Stunde)  mit  concentrirter  Salzsäure,  filtrirt  nach 
Wasserzusatz  und  Erkalten  von  der  ausgefallenen  Benzoesäure  ab,  dampft  das  Fil- 
trat  im  Wasserbad  zur  Trockne  ein  und  zersetzt  endlich  den  aus  salzsaurem  Gly- 
cocoll  bestehenden  Rückstand  indem  man  mit  Ammoniak  übersättigt  und  absolu- 
ten Alkohol  zufügt,  wodurch  das  GlycocoU  in  kleinen  Krystallen  gefällt  wird 
(Horsford).  Man  kann  auch  den  aus  salzsaurem  GlycocoU  bestehenden  Rückstand 
in  Wasser  lösen,  durch  Zusatz  von  Bleioxydhydrat  die  Salzsäure  ausfällen  und  aus 
dem  flltrat,  nach  Fällung  des  gelösten  Blei's  mittelst  Schwefelwasserstoff,  durch 
Eindampfen  das  GlycocoU  krystallisirt  erhalten. 

Zur  DarsteUung  aus  Leim  verfährt  man  in  folgender  Weise.  1)  Gepulverter 
Tischlerleim  (l  Th.)  wird  mit  2  Th.  Schwefelsäure  übergosssen  und  das  Gemenge 
24  Stunden  sich  selbst  überlassen;  man  setzt  dann  8  Th.  Wasser  zu  und  kocht 
unter  Ersetzung  des  verdampfenden  Wassers  5  Stunden  lang*,  man  neutralisirt  mit 
Kreide,  filtrirt  'und  dampft  zur  Syrupconsistenz  ein.  Das  nach  längerem  Stehen 
auskrystaUisirte  GlycocoU  wird  mit  kaltem  Weingeist  gewaschen  und  mehrmals  aus 
heissem  verdünntem  Weingeist  umkrystallisirt,  um  das  weit  löslichere  Leucin  zu 
entfernen  (Braconnot).  —  2)  Man  kann  auch  Leim  so  lange  mit  EalUauge  kochen 
als  Ammoniak  entweicht,  dann  mit  Schwefelsäure  neutraUsiren,  stark  eindampfen 
und  den  Rückstand  mit  heissem  Weingeist  ausziehen  (Mulder). 

Die  künstliche  Bildung  aus  Monochloressigsäure  oder  Monobromessigsäure 
ist  zur  DarsteUung  des  GlycocoUs  sehr  geeignet. 

Das  GlycocoU  *♦♦)  krystaUisirt  aus  Wasser  in  grossen  luftbestän- 
digen Krystallen.  Es  löst  sich  in  4,3  Th.  kalten  Wassers;  in  Aether  und 
absolutem  Alkohol  ist  es  fast  unlöslich;  in  heissem  verdünntem  Alkohol 
löst  es  sich  in  reichlicher  Menge.  Es  schmilzt  bei  170<>  und  zersetzt  sich 
bei  höherer  Temperatur  ohne  zu  sublimiren. 

Zersetzungen.  Wird  GlycocoU  mit  trocknem  Aetybaryt  erhitzt, 
so  entsteht  neben  Ammoniak  auch  Methylamin;  beim  Erhitzen  mit  Na- 
tronkalk oder  Kalihydrat  wird  nur  Ammoniak  erzeugt  (Cahours).  Leitet 
man  in  eine  wässrige  Lösung  von  GlycocoU  salpetrige  Säure,  so  entsteht 
unter  Entwicklung  von  Stickgas  Glycolsäure  (Strecker).  Wird  GlycocoU 
mit  Braunstein  oder  Bleisuperoxyd  und  verdünnter  Schwefelsäure  erwärmt, 


•)  Ann.  Chem.  Pharm.  CVIII.  113. 
••)  ibid.  CVn.  148. 

•••)  Vgl.  feiner:  Mulder,  Ann.  Chem.  Pharm.  XXVIII.  79.  Boussingault,  ibid. 
XXVIII.  80;  XXXIX.  304.  Horsford,  ibid.LX.  1;  Dessaignes,  ibid.  LXXXII. 
286;  Strecker,  LXVU.  16. 


762  Amide  der  Radicale:  6bH2d-.30. 

80  entsteht  Wasser,  Kohlensäure  und  Blausäure  (Nitril  der  Ameisen- 
säure). 

Metallverbindungen  des  Oljcocolls.  Das  GlycocoU  reagirt 
schwach  sauer.  Seine  wässrige  Lösung  löst  viele  Metalloxjde  auf  und 
erzeugt  so  salzartige  Verbindungen,  die  zum  grössten  Theil  krjstallisir- 
bar  sind. 

Der  Eupferverbindung  ist  besonders  charakteristisch.  Man  erhält  sie 
leicht  durch  Auflösen  von  Kupferoxyd  in  siedender  Lösung  von  Glycocoll;  sie 
scheidet  sich  beim  Erkalten  als  feine  tiefblaue  Nadeln  aus.  Aus  der  Mutterlauge 
wird  sie  von  Alkohol  vollständig  gefallt  Das  Glycocoll  treibt  beim  Kochen  mit 
essigsaurem  Kupfer  selbst  die  Essigsäure  aus  und  erzeugt  diese  Verbindung.  Setzt 
man  zu  einer  Lösung  von  schwefelsaurem  Kupferozyd  Glycocoll  und  dann  Kali, 
so  wird  kein  Kupieroxyd  geföllt;  man  erhält  eine  tiefblaue  Lösung,  ans  welcher 
Alkohol  die  Kupferverbindung  des  Glycocolls  ausfällt.  Die  Kupferverbindung  enthält 
Krystallwasser  (62H4CUNO2  -{"  ^/a^a^))  welches  sie  bei  lOC^  verliert.  Die  dorch 
Auflösen  von  Silberoxyd  in  warmer  GlycocolUösung  erhaltene  Silber  Verbin- 
dung wird  von  Alkohol  in  farblosen  Krystallen  gefällt;  sie  ist  wasserfrei: 
ejE^AgNOa. 

Verbindungen  des  GljcocoUs  mit  Säuren.  Das  Glycocoll 
verbindet  sich  mit  Säuren  in  verschiedenen  Verhältnissen  und  erzeugt  so 
krystallisirbare  Verbindungen. 

Durch  Verdunsten  von  Glycocoll  mit  wenig  Salzsäure  erhält  man  farblose 
Prismen:  2€2HftN03,  HCl.  Wird  Glycocoll  mit  überschüssiger  Salzsäure  eingedampft, 
so  erhält  man  in  Wasser  sehr  lösliche  Krystalle  von  OjHjNOj,  HCL  Diese  letst- 
tere  Verbindung  entsteht  bei  der  Darstellung  des  Glycocolls  aus  Hippursäure;  sie 
bildet  mit  Platinchlorid  ein  in  Wasser  und  Alkohol  leicht  lösliches  krystalliuisches 
Doppelsalz:  GaHaNO,,  HCl,  PtCl,. 

Die  Verbindungen  des  Glycocolls  mitSalzen  sind  grössten- 
theils  schön  krystallisirbar. 

Man  kennt  Verbindungen  mit  KCl,  NaCl,  BaCl,  salpetersaurem  Kali ,  Baryt, 
Kalk,  Magnesia,  Zink,  Blei,  Kupfer,  Silber^  mit  schwefelsaurem  und  mit  chromsau- 
rem  Kali  etc. 

1100.  Alanin:    GaH^NOj.      Das  Alanin   wurde   1850  von  Strecker*) 

durch  Synthese  aus  Aldehyd  erhalten.  Kolbe**)  stellte  es  1860  aus 
Milchsäure  dar,  indem  er  den  aus  dieser  Säure  erhaltenen  Chlorpropion- 
säureäther  (§.  1088)  auf  Ammoniak  einwirken  liess. 

Darstellung.  Man  mischt  die  wässrige  Lösung  von  Aldehydammoniak 
mit  Blausäure  (auf  2  Th.  Aldehydammoniak,  1  Th.  wasserfreie  Blausäure),  kocht 
längere  Zeit  und  dampft  zur  Hälfle  ein.  Man  setzt  dann  ein  Gemenge  von  Alkohol 
und  Aether  zu,  filtrirt  vom  ausgeschiedenen  Salmiak  ab  und  dampft  wieder  ein. 
Das  so  erhaltene  salzsaure  Alanin  wird  in  wässriger  Lösung  mit  Bleioxydhydrat 


*)  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXV.  27. 
••)  ibid.  CXin.  220. 


Leudn.  763 

gekocht,   aus  der  vom  basischen  Chlorblei  abfiltrirten  Lösang  das  Bleioxyd  durch 
Schwefelwasserstoff  geföllt  und  das  Filtrat  zur  Erystallisation  eingedampft. 

Das  Alanin  krystallisirt  in  meistens  büschelförmig  vereinigten  Pris- 
men. Es  löst  sich  in  4,7  Th.  kalten  Wassers,  leichter  in  heissem.  In 
Aether  und  absolutem  Alkohol  ist  es  nahezu  unlöslich.  Es  sublimirt  bei 
etwa  200«. 

Zersetzungen.  Das  Alanin  zerfollt  bei  raschem  Erhitzen  in 
Kohlensäure  und  Aethylamin.  Beim  Erwärmen  mit  Bleisuperoxjd  und 
Wasser  liefert  es  Kohlensäure,  Aldehyd  und  Ammoniak.  Von  salpetriger 
Säure  wird  es  unter  Stickgasentwicklung  und  Bildung  von  Milchsäure 
zerlegt 

Verbindungen.  Das  Alanin  verbindet  sich  wie  das  Olyoocoll 
mit  Oxyden,  mit  Säuren  und  mit  Salzen  zu  grossentheils  krystallisirbaren 
Verbindungen. 

Butalanin:  ©jEnNGj.    Es  wurde  1856  von  Gorup-Besanez  *)  1101. 
neben  Leucin  in  der  Milz  und  Bauchspeicheldrüse  des  Ochsen  aufgefun- 
den.   Es  bildet  weisse  glänzende  Prismen  und  ist  in  Wasser  und  Alkohol 
weniger  löslich  als  Leucin.    Es  sublimirt  zum  Theil  unzersetzt 

Leucin:  60II13NO2  (früher  auch  Aposepedin,  Käseoxyd,  genannt).  1102. 
Es  wurde  1818  von  Proust  im  faulenden  Käse  entdeckt.    Braconnot 
erhielt   es   neben    Olycocoll   bei  Zersetzung    thierischer  Substanzen    mit 
Schwefelsäure.    Limpricht**)  lehrte  1855   seine  synthetische  Darstel- 
lung aus  Blausäure  und  Baldrianaldehyd. 

Das  Leucin  findet  sich  fertig  gebildet  ***)  in  vielen  Organen,  z.  B. 
im  Hirn,  in  Lunge,  Leber,  Milz,  Pankreas,  Speicheldrüse,  Lymphdrüse, 
Schilddrüse,  Thymusdrüse  etc.  im  Blut,  Harn  u.  s.  w.  Bei  einzelnen  Krank- 
heiten wird  seine  Menge  in  bestimmten  Organen  und  Flüssigkeiten  be- 
trächtlich vermehrt. 

Das  Leucin  entsteht  häufig  bei  Fäulniss  f )  eiweissartiger  Substanzen 
(Casein,  Albumin,  Fibrin);  ferner  bei  Behandeln  derselben  Substanzen  mit 
Kalilauge  ff ) ;  und  endlich  in  besonders  reichlicher  Menge,  wenn  eiweiss- 
artige  Substanzen,  elastische  Gewebe  oder  Hornsubstanz  (Ochsenhorn, 
Federn,  Haare  etc.)  längere  Zeit  mit  verdünnter  Schwefelsäure  oder  auch 
Salzsäure  gekocht  werden. 


*)  Ann.  Chem«  Pharm.  XCVIIL  15. 
••)  ibid.  XCIV.  248. 

***)  Vgl  bes.   Gomp-Besanez,  Ann.  Chem.  Pharm.  XCVIIL  15.     Cloetta,  ibid. 
XCIV.  291;  Müller,  ibid.  CUI.  145;  Scherer,  ibid.  276. 
f)  Vgl.  bes.  Djenko,  Ann.  Chem.  Pharm.  LXUL  271;  Bopp,  ibid.  LXIX.  20. 
ff)  liebig,  Ann.  Chem.  Pharm.  LVIL  128;  Bopp,  loc.  dt 


764  Amide  der  Radicale:  B^u-^iB. 

Darstellung.  Die  Darstellung  des  Lencins  aus  denjenigen  Organen  die 
es  fertig  gebildet  enthalten  kann  hier  nicht  näher  besprochen  werden.  Von  den 
zahlreichen  Vorschriilen  zur  Darstellung  erwähnen  wir  die  folgenden.  1)  Aue 
Hörn.  2  Th.  Homspäne  werden  mit  einem  Gemisch  von  5Th.  Schwefelsäure  mit 
18  Th.  Wasser  Übergossen,  24  Stunden  lang  unter  Erneuerung  des  verdampfenden 
Wassers  gekocht,  noch  heiss  mit  Kreide  übersättigt,  filtrirt  und  auf  etwa  die  Hälfte 
eingedampft  Man  fällt  dann  den  gelösten  Kalk  durch  schwach  Überschüssige 
Ozaldäure,  filtrirt  vom  Oxalsäuren  Kalk  ab  und  dampft  zur  Kr3'8talli8ation  ein. 
(Hinterberger,  Schwanert).  —  2)  Aus  Nacken  band.  Das  vom  Bindegewebe  mög- 
lichst befreite  Nackenband  des  Ochsen  ist  zur  Darstellung  des  Leucins  besonders 
geeignet.  Man  bringt  1  Th  bei  100®  getrocknetes  Nackenband  in  die  noch  warme 
Mischung  von  2  Th.  Schwefelsäure  mit  3  Th.  Wasser  und  kocht  drei  Stunden 
lang,  am  zweckmässigsten  in  einem  mit  aufsteigendem  Kühlrohr  versehenen  Kol- 
ben. Man  setzt  dann  einen  dicken  Kalkbrei,  der  die  zur  Sättigung  der  angewand- 
ten Schwefelsäure  gerade  hinreichende  Menge  Kalk  enthält,  zu,  verdünnt  mit  6  Th. 
Wasser,  lässt  absetzen  und  filtrirt  ab.  Die  Flüssigkeit  wird  dann  nochmals  mit  ^^ 
des  früher  angewandten  Kalkes  versetzt  und  1  —  2  Stunden  gekocht.  Man  filtrirt 
von  Neuem,  neutralisirt  möglichst  genau  mit  Schwefelsäure  und  dampft  die  schwach 
saure  Flüssigkeit  ein  etc.  (Zollikofer,  Erlenmeyer  und  Schöffer)  **).  —  Zur  Reini- 
gung wird  das  rohe  Leucin  mit  Thierkohle  entförbt  und  mehrmals  aus  Wasser 
und  heissem  Alkohol  umkrystallisirt.  Eine  dem  Leucin  hartnäckig  anhaftende 
schwefelhaltige  Substanz  entfernt  man  am  besten  indem  man  in  verdünnter  Kali- 
lauge löst,  mit  alkalischer  Lösung  von  Bleiozyd  kocht,  vom  ausfallenden  Schwe- 
felblei abfiltrirt,  genau  mit  Schwefelsäure  neutralisirt  und  die  zur  Trockne  einge- 
dampfte Masse  mit  kochendem  Alkohol  auszieht  (Gorup-Besanez)  ***).  Die  meisten 
DarsteDungen  geben  neben  Leucin  auch  etwas  Tyrosin,  das  durch  seine  geringere 
Löslichkeit  in  Wasser  getrennt  werden  kann. 

Eigenschaften  f).  Das  Leucin  bildet  weisse,  fettig  anzufbh- 
lende  Schuppen.  Es  löst  sich  in  27  Tb.  kalten  Wassers,  leichter  in  heis- 
sem. Es  bedarf  1040  Th.  kalten  Alkohols  und  800  Th.  siedenden  Alko- 
hols (98  %)  zur  Lösung.  Es  kann  bei  vorsichtigem  Erhitzen  vollständig 
sublimirt  werden.  Es  schmilzt  bei  170^  und  zeriUilt  bei  wenig  höherer 
Temperatur  in  Kohlensäure  und  Amjlamin  (Schwanert)  ff). 

Schmilzt  man  Leucin  mit  Kalihjdrat,  so  entsteht  unter  Entwicklung 
von  Ammoniak  und  Wasserstoff  baldriansaures  Kali  (Liebig)  fff)*  Setzt 
man  zur  alkalischen  Lösung  des  Leucins  übermangansaures  Kali,  so  ent- 
weicht Ammoniak  und  es  wird  oxalsaures  und  baldriansaures  Kali  gebil- 


*)  Bopp,  loc.  cit.;  Hinterberger,  ibid.  LXXL76;  Zollikofer,  ibid.  LXXXIL  174; 
KöUer  u.  Leyer,  ibid.  T,XXXTTL  882;  Schwanert,  ibid.  CII.  222. 
••)  Zeitschrift  für  Chemie.  18Ö0. 
•••)  Ann.  Chem.  Pharm.  CXVin.  280. 
f)  VgL  femer:  Mulder,  Ann.  Chem.  Pharm.  XXVIII.  79;   Gerhardt  u.  Laurent, 
ibid.  LXVm.  864;   Strecker,  ibid.  LXXIL  89;  Gössmann,  ibid.  XCH.  129. 
ff)  ibid.  Cn.  224 
ti-h)  Ann.  Chem.  Pharm.  lUL  127. 


Leacin.  765 

det  (Neubauer)  *).  Erwärmt  man  Leucin  mit  Braunstein  und  yerdünnter 
Sohwefelsäure,  so  entsteht  Kohlensäure  und  Yaleronitril;  destillirt  man 
mit  Bleisuperoxyd,  so  erhält  man  Ammoniak,  Kohlensäure  und  Butjral- 
did  (Liebig)  **).  Lässt  man  Chlor  auf  feuchtes  oder  trocknes  Leucin 
einwirken,  so  entsteht  unter  Entweichen  von  Kohlensäure  Yaleronitril  und 
gleichzeitig  gechlortes  Yaleronitril  (Schwanert,  l.  c).  Schwefelsäureanhy- 
drid gibt  mit  Leucin  eine  braune  Flüssigkeit,  die  bei  100^  viel  schweflige 
Säure  entwickelt  und  dann  bei  Destillation  mit  Wasser  Yaleraldid  liefert 

Salpetrige  Säure  zersetzt  das  Leucin  unter  Bildung  von  Leucinsäure 
(§.  1091). 

Yerbindungen  des  Leucins.  Das  Leucin  verbindet  sich,  ähn- 
lich wie  Olycocoll  und  Alanin ,  mit  Säuren  (Salzsäure  und  Salpetersäure) 
und  mit  einigen  Salzen.  Es  bildet  mit  Kupferoxyd,  Quecksilberoxyd  und 
Bleioxyd  krystallisirbare  Yerbindungen. 

Leucinimid:  6eH||N0.  Bei  Darstellung  von  Leacin  aus  eiweissartigen  1108. 
Körpern  erhielt  Bopp  •*•)  eine  schwefelhaltige  dem  Leucin  und  Tyroßin  in  mancher 
Beziehung  ähnliche  Substanz,  die  seitdem  von  Erlenmeyer f)  näher  untersucht 
wurde.  Hesse  ff)  fand  einen  ähnlichen  Körper  unter  den  Fäulnissproducten  der 
Hefe;  Limpricht  und  Hessefff)  stellten  dieselbe  Verbindung  aus  Hornsubstanz 
dar.  Die  so  dargestellten  Substanzen  enthalten  als  Qemengtheil  eine  schwefelfreie 
Verbindung  von  der  Formel:  6«HiiN0;  die  danach  als  Leucinimid  (Leucin  —  H^O) 
d.  h.  als  Imid  der  zweiatomigen  Leucinsäure  angesehen  werden  kann. 


An  die  amidartigen  Yerbindungen  der  zweiatomigen  Säuren  und  1104. 
specieller  der  Glycolsäure  reihen  sich  ausserdem  noch  dasKreatin  und 
dessen  Abkömmlinge :  Kreatinin  und  Sarkosin  an.  DieseKörper  sol- 
len später  im  Zusammenhang  mit  andern  ähnlichen  Substanzen  beschrie- 
ben werden.  Es  mag  hier  nur  einstweilen  bemerkt  werden,  dass  sie  als 
complicirtere  Amide  der  Glycolsäure  betrachtet  werden  können  *J. 

Man  hat: 

Glycolsäure.    Methylalkohol. 

GaH^e,    +    GH^e  -f    NH,  —  ffl^G  =  GaH^N  G^  Sarkosin 

GaH4G3    +    GH4G    +  e^2  +  3NH,  —  4HaG  =  G4H,N,Ga  Kreatm. 

^^^^9    +    GH4G    4-  ^^2  +  8NHt  —  öHaG  =  G4H,N3G    Kreatini 


ktinin. 


^)  Ann.  Chem.  Pharm«  GVL  59. 
♦•)  ibid.  LXX.  813. 
••♦)  ibid.  XTJX.  16. 
+)  ibid.  CXIX.  17. 
+f)  ibid.  CXVI.  201. 
ttt)  Jahresb.  1867.  538. 

•)  VgL  Strecker,  Ann.  Chem.  Pharm.  CXVEI.  166. 


^M 


%     S^»     K  lJi£L.J^x 


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766 

Das  Sarkosin  kann  als  Methylglycocoll  betrachtet  werden,  es  ist  isomer 
mit  Alanin  (§.  1101).  Das  Kreatinin  erscheint  als  Glycolyl-methylaramin 
(§.  1026) ;  das  Ejreatin  hat  die  Zusammensetzmig  von  Cyauamid  -j-  Methylglycocoll, 
es  leitet  sich  von  einer  Aminsäure  des  Guanins  (§.  1014)  oder  des  Methylur- 
am  ins  (S-  1025 j  ab.  Man  kann  demnach  diese  drei  Körper  durch  die  folgenden 
rationellen  Formeln  darstellen: 


H 
Sarkosin 


4^ 


Kreaänin  =  ^^»^^^ 


N.         = 


eNi 


Kreatin  = 


S|- 


H, 

h1^ 


ä 


i 


3  2»  049  975  691 


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